Stille hatte sich über die Lichtung wie ein Tuch gelegt. Kein Vogelsang, kein Rauschen, kein Wind, nur eine feierliche Ruhe, die zum Anlass des Opfers passen wollte. Selbst die Kinder waren ruhig und ließen sich von der Magie des Ortes tragen. Sogar Landulf, zu klein um wirklich zu verstehen, was vor sich ging, hatte aufgehört, im Laub zu spielen und schaute sich gespannt und neugierig um. Fast schien es, als suche er nach kleinen Elfen und Kobolden. Elfleda erinnerte sich an diese Zeit, als sie noch ganz klein war, und diese Wesen viel realer waren, weniger abstrakt als jetzt. Solange man ganz klein war und nichts wusste, nichts verstand und hinterfragte, da war man dieser Welt viel näher, in jeder Beziehung. Nicht nur, dass die Kinder die Disen und Wichte viel körperlicher erfuhren als die Erwachsenen, sie beschwören konnten, sie zu sehen und zu hören; sie waren auch sehr viel häufiger Opfer dieser unsichtbaren Kräfte, dass die Disen ihren Lebensatem mit sich nahmen, oder sie im Wald verunfallten beim Spielen, weil sie irgendwo hochgeklettert und dann abgestürzt waren.
Dennoch lächelte Elfleda ganz leicht, als sie sah, wie die drei Kinder sich umschauten, beinahe ehrfürchtig, und das Opfer vollbrachten. Keiner tanzte aus der Reihe, jeder wusste um die Wichtigkeit der Aufgabe. Und jeder machte artig mit. Ja, Elfleda war durchaus zufrieden mit ihrer kleinen Meute.
“Jetzt...“, antwortete sie auf Audaods Frage in einem Tonfall, der recht selten bei ihr zu hören war: verträumt. “... gehen wir langsam nach Hause und hoffen, dass die Disen sich genauso über das Opfer freuen wie die Wichte bei uns zuhause sich über die Milch. Und heute Abend...“ Beim Sprechen nahm sie Landulf wieder hoch auf den Arm und nahm ihm noch ein paar Blätter aus der Hand, was erst zu einem Quängeln und dann zu einem unwilligen Wimmern bei dem Kleinen führte. Aber sie sollten sich langsam auf den Heimweg machen. “...machen wir im Kaminzimmer ein schönes Feuer und wir überreden Marga, ein paar schön unheimliche Geschichten von den Disen zu erzählen. Was meint ihr? Von Yaga, oder von Holle?“ Einige dieser Geschichten würden noch Jahrtausende später als Märchen den Kindern erzählt werden, immer ein wenig angepasst, ein wenig verändert und an die Gegebenheiten der Zeit angepasst. Aber wer würde schon denken, dass man aus einer großen Schicksalsmacht der Winterzeit einmal eine Frau Holle machen würde, die den Schnee brachte, oder aus der weisen Frau der Wälder eine Baba Yaga, eine mächtige (und oft bösartige) Hexe?
Ein Eichhörnchen kam langsam näher, blieb aber in sicherer Entfernung zu den Menschen. Vor allem im Winter, wenn es wenig anderes gab, gab es durchaus einige Jäger, die auch mal ein Eichhörnchen erlegten, um es auf dem Feuer zu rösten und zu essen. Und Jahrhunderte, bevor Zobel ein Zeichen für Herrschaft war, und Jahrtausende vor Nerz, war das rote Fell der Eichhörnchen Material für viele Herrschaftsmäntel, eben weil es viel Arbeit war, daraus einen Mantel herzustellen, und der Rest des Tieres zum verzehr eher weniger geeignet. Es schmeckte furchtbar.
Aber es gab noch etwas anderes, für das Eichhörnchen standen, und weswegen Elfleda leicht traurig lächelte, als sie es sah. Sie liefen den Weltenbaum rauf und runter, verbreiteten Gerüchte, stifteten keckernd Streit. Mit ihrem roten Fell waren sie Geschöpfe Lokis, des Listigen, des Tricksers. Des Chaoten, der ihrem Mann seinen Namen geliehen hatte. Sie sah das kleine Wesen einen Moment noch an, ehe sie Landulf auf ihrem arm zurechtrückte.
“Also, lasst uns heimgehen.“