Beiträge von Alsuna

    Verdammt, ihr Kopf erweckte langsam den Eindruck, als würde er unter einem massiven Felsbrocken zusammengepresst. Unwillkürlich festigte sich ihr Griff um die eigenen Oberarme, damit sie nur nicht in Versuchung geführt wurde, sich über die Stirn oder den Hinterkopf zu streichen oder sonstwie ihre Problematik öffentlich zu machen. Andererseits mussten ihre Haare, ehemals in einer schlichten, aber nett gestalteten Frisur arrangiert, mittlerweile aussehen, als hätte man den Boden mit ihnen ausgekehrt, insofern hätte es ihr als Frau durchaus zugestanden, an ihrem Haupte zu zupfen und zu ordnen. Aber aus würdetechnischen Gründen wollte sie gerade nicht noch explizit auf ihr Geschlecht hinweisen. Abgesehen vielleicht von der Notwendigkeit, ihren Peplos ein wenig mehr in die Ausgangslage zurückzubringen und eine der Fibeln neu zu befestigen. Egal, auch das hatte Zeit. Schließlich war sie noch weit davon entfernt, halb nackt herumzuspringen. Doch jene dämlichen griechischen Gewänder eigneten sich schlicht überhaupt nicht für diese Art der 'Freizeitaktivität'. Wenigstens trug sie derzeit keinen Chiton. Den hätte es inzwischen garantiert in seine zartbesaiteten Einzelteile zerlegt.
    Ihr eigener, immer noch adrenalingetränkter Herzschlag hämmerte ihr widerlich in den Schläfen und so wäre die ruckartige Bewegung eines Stoßes von ihrem gegenwärtigen Sitzmöbel aus mehreren Gründen recht unleidlich geworden. Aber, weswegen auch immer genau, Achilleos machte keine Anstalten, sie von sich zu entfernen. Entspräche das nicht irgendeiner seiner östlichen Philosophien? Erschiene er durch eine solche Tat noch biestiger, als er es ohnehin schon tat? Was auch immer die Ursache sein mochte, Alsunas Kopf war ihm dankbar.
    Zudem gab es da noch die Sache mit seinen übermäßig widerstandsfähigen Bauchmuskeln zu klären und dafür besaß sie augenblicklich die beste Ausgangssituation.


    Vor einer präziseren Analyse dieses Geheimnisses drangen allerdings seine Äußerungen zu ihr, bei denen sie nicht genau wusste, ob sie lachen oder fluchen sollte. Er hatte verloren, das war das Problem. Herrje, eine Tragödie, die Welt brach zusammen und verkroch sich heulend hinter der Sonne! Ein schlechter Verlierer war er also auch noch. Sah lieber Blut und Leichen um sich herum liegen, als eine Fr... einen Sieger auf sich sitzen! Sein kompletter Kampf für 'das Gute und Gerechte' war letztendlich also doch nur Selbstbeweihräucherung. Schließlich hatte er hier gerade nicht gegen seinen mächtigen Erzfeind verloren und ihr fiele spontan auch niemand ein, dem sie brühheiss von ihrem Sieg würde erzählen können. Ebenso wenig sähe er sie gleich durch die Straßen Alexandrias laufen, um seinem Mythos mit einem gezielten Kick den Garaus zu machen. Bei den schwarzen Klauen der Harpyien, dieses Ego!
    Unterstützt von einem genervten Seufzer verdrehte Alsuna die Augen gen inzwischen fast nachtschwarze Decke, obgleich diese Geste ihrem Kopfschmerz überhaupt nicht gefiel.
    "Ha! Glaubst du allen Ernstes, ich würde dir jetzt noch danken, nachdem du mir mal eben geflüstert hast, dass du mich am Liebsten umbringen willst? Hallo?! Mein Dank ist ein äußerst scheues Tierchen, das flieht, wenn es dich mit deinem Schwert ausholen sieht! Zudem war das im Rahmen deiner östlichen Regelwelt garantiert gar keine wirkliche Niederlage, weil meine 'Techniken' nichts als ein paar vulgäre, dreckige Finten und Tricks sind, wie man sie in jeder dunklen Gasse hier findet, jedoch mit Sicherheit nicht auf irgendeinem 'ehrenvollen' Schlachtfeld! Und dass du auf mein Aussehen und meine Berührungen hereingefallen bist ist nur natürlich und vollkommen menschlich!"


    Schließlich und endlich war sie der Sieger, und Sieger durften nach dem Kampf mit ihren Taten und ihrem Können prahlen, bis niemand mehr zuhören wollte. Ihre 'tröstenden' Worte stellten im Übrigen auch nichts als ein paar schlecht verhüllte, verbale Nachschläge dar, denn sollten ehrwürdig überlieferte Stile nicht dem niederen Bauerngekloppe haushoch überlegen sein?
    Während sie sich in einer durchaus das Prädikat 'überheblich' verdienenden Geste mit den Fingern durch ihr kupferfarbenes Haar fuhr, fiel ihr Blick erneut auf seinen halbwegs von den Armen verdeckten Brustbereich, wodurch sie wiederum auf das bislang ungelöste Mysterium zurückfand. Wenig behutsam ließ die Germanin ihre Fingerknöchel auf den Stoff seiner Kleidung klopfen und fand dort einen Widerstand, welcher dem an seinem Bauch überaus ähnlich war. Ihre Augen weiteten sich langsam.
    "Trägst du da etwa... eine Rüstung drunter?" Auch ihre Fingerspitzen drückten nun darauf, erst auf die Brust, dann auch auf die Seiten. Tatsache, es musste sich entweder um eine Rüstung oder eine sehr üble Hautkrankheit handeln.
    "Du hast noch den Vorteil einer Rüstung und ich habe dich trotzdem...?" Alsunas Verblüffung begann sich langsam zu einem erst zögerlichen Lächeln zu wandeln, dann presste sie die Lippen aufeinander. Doch auch die kurz danach noch zu Hilfe genommene Hand vermochte nicht zu verbergen, dass ihre Schultern erbebten, bis sie endlich zu kichern und schließlich kaum noch verborgen zu lachen anfing. Äußerst schadenfroh und nicht weniger schmerzhaft.
    "Scheiße... tut das weh... auauauau..." Nichtsdestotrotz musste sie einfach weiter lachen, mit Tränen in den Augen, auch wenn er ihr nun garantiert das Genick brach.

    Alsuna wartete. Sie wusste nicht genau, worauf eigentlich, doch entschied sie sich in diesem Zweifelsfall lieber für etwas Negatives. Angesichts ihrer gerade durchgeführten Aktion war wohl auch kaum damit zu rechnen, dass Achilleos freudestrahlend seine Niederlage eingestehen würde und sie beglückwünschte für ihren unvergleichlichen Kampfstil, von welchem selbst er noch eine Menge würde lernen können. Zudem wusste sie gar nicht zu sagen, ob seine Niederlage ihr vordergründiges Ziel darstellte. Wollte sie gewinnen? Die Vorstellung erschien nach wie vor zu weit her geholt, um sie ernsthaft in Betracht zu ziehen und darüber einen Gedanken zu verschwenden. Er würde sie im nächsten Moment von sich werfen, nachdem er ihr zuvor einen kräftigen Schlag gegen die Schläfe verpasst hatte, der ihren Kopf endgültig sprengte. Er war der Unbesiegbare, der Schlächter, der einsame Wolf, der für Gerechtigkeit sorgte. Und in dieser Welt durfte eine Sklavin eben nicht auf solche Art ihren Herrn besiegen. Im Grunde durfte sie es nicht einmal ausprobieren. Sie hatte ihn tätlich angegriffen, mehrmals, beleidigt, ebenfalls mehrmals, ihn völlig respektlos behandelt und ihn verspottet. Selbst der pazifistischste dominus hätte dies alles nicht einfach so hingenommen, erst recht nicht jemand wie Achilleos. Womöglich sah er ihre Auseinandersetzung bis zu einem gewissen Punkt als 'spielerisch' und nicht ernst zunehmen an, bis sie alles dafür getan hatte, dass er sie ernst nahm.


    Bereute sie? Nein. Vieles in ihrem Leben bereute sie, vornehmlich und immer wieder das stille Erdulden. Was sie als gute Sklavin gekennzeichnet hatte, doch der Begriff 'gute Sklavin' stellte wohl die größte Beleidigung dar, welche man sich vorzustellen vermochte. Sie war eine schlechte, eine hundsmiserable, eine unerträgliche und abgrundtief unbrauchbare Sklavin. Es war die reinste Musik, sich diese Begriffe vor Augen zu führen.


    Immer noch schnell atmend und mit bis zum Zerreißen angespannten Muskeln wartete Alsuna auf das Unausweichliche, bereit, auf jede Bewegung von ihm zumindest mit einem schnellen Zucken zu reagieren - viel mehr würde sie wahrscheinlich auch nicht mehr tun können. Zudem machte sich ihr Kopf zunehmend bemerkbar, denn auch ihr Gegner besaß einen nicht zu verachtenden Dickschädel. Auf das, was nun folgte, war sie indes nicht im Geringsten vorbereitet gewesen, abgesehen von einigen Wunschträumen in Seifenblasenform.
    Sie hatte gewonnen? Bedeutete dies...er gab auf? Für einige Augenblicke war die Germanin der festen Überzeugung, dass er nun seinerseits eine Finte anwandte. Alleine diese Worte aus seinem Munde klangen... unpassend. Da sie nach wie vor den Blickkontakt mied, vermochte sie seine gegenwärtige Stimmung daraus nicht abzulesen, doch sein Tonfall klang... anders als sonst. Meinte er das etwa ernst? Irritation machte sich in ihr breit, parallel zu der Erkenntnis, dass ihre kleinen, dreckigen Tricks eigentlich überhaupt nicht zu seinem Charakter passten. Ansonsten wäre er auch wohl kaum derart glatt auf sie hereingefallen. Und es war seltsam, obgleich sie seine Augen nicht sah, spürte sie sie auf seltsame Weise dennoch. Er war wütend. Wirklich wütend.


    "Ach, solange du oben landest, ist es also ein guter, gefälliger Angriff, lande ich aber oben, bist du zu Tode beleidigt?" Sie klang zugegeben ein wenig trotzig, abseits des leisen Keuchens, aber wenn das hier kein Trick war und er sie auch nicht absichtlich hatte gewinnen lassen, musste sie sich auf eine ordentliche Verhärtung der Fronten gefasst machen. Was ihr gerade aber kräftigst wo vorbeiging.
    Mit einem anfänglich energischen, dann jedoch zunehmend etwas müder werdenden Ruck zog sie ihre Hände zurück und verschränkte die Arme ebenfalls vor dem Brustkorb. Falls er schon zu einer so kindischen Schmollgeste tendierte, dann sie aber erst recht! Wenn es ihm irgendwie Befriedigung verschaffte, durfte er sie gerne mit einem Ruck von sich stoßen, wahrscheinlich gierte er bereits mit jeder Faser seiner verwundeten Ehre danach. Sie hingegen veränderte ihre Haltung auf ihm nur insoweit, als dass sie etwas bequemer wurde.
    "Also Ehre und Philosophie und Bildung und das ganze Tamm-Tamm hin oder her, am Ende bist du doch nur ein ganz einfacher Mann, der es nicht ausstehen kann, von einer kleinen, schwachen Frau besiegt zu werden. Vermutlich brennst du gerade förmlich darauf, mir den Kopf abzuschlagen, um deinen gekränkten Stolz mit meinem Blute zu heilen, oder wie auch immer du es ausdrücken willst. Bitte, mach doch. Ich rechne schon die ganzen letzten Stunden ständig damit, von dir umgebracht zu werden. Und das wird ehrlich lästig. Eigentlich wollte ich dir danken, aber ich nehme an, an so etwas 'Tiefgeistigem' bist du gar nicht mehr interessiert. Und du würdest es ohnehin nicht verstehen. Deckt sich eben nicht mit deiner Welt. Zum Glück, möchte man annehmen. Denn ansonsten wärest du jetzt wahrscheinlich tot."
    Ein wenig übertrieben, aber Alsuna fehlte die Geduld für differenzierende Kleinigkeiten wie ihrem Willen zu Mord und Totschlag.

    Immerhin, die Überraschung schien gelungen. Wenigstens zeitweise. Hätte nicht jener unselige Drang von ihr Besitz ergriffen, diesen Mann ganz und gar vernichtend zu schlagen, hätte sie wohl triumphieren und sich womöglich aus dem Staub machen können. Aber nein, augenblicklich hatte eine überaus sture Besessenheit von ihr Besitz ergriffen und hielt sie fest und unnachgiebig in den Krallen. War das dieser sagenumwobene Berserkerrausch, welchen man ihrem Volk hier im Süden nachsagte? Nein, wohl kaum, noch niemals hatte sie etwas Derartiges bei einem Germanen tatsächlich einmal mitbekommen. Alsuna wusste selbst nicht recht, was es war, außer zusätzlich eine gehörige Portion tödlicher Dummheit. Sie schaufelte sich hier gerade mit aller Gewalt ihr eigenes Grab. Und sie vermochte nicht aufzuhören, nicht einmal mehr einen Gedanken zu fassen, der abseits ihres brennenden Wunsches lag, Achilleos so schmerzhaft wie möglich zu besiegen. Oder ging es überhaupt um Achilleos? Wollte sie nicht einfach nur gegen 'einen' Herrn triumphieren? Dann hatte sich allerdings gerade ein sehr ungünstiges Schicksal ihrer Wahl angenommen, denn wo Memnos schon lange keuchend am Boden gelegen hätte, würde dieser Mann sie abschütteln wie eine lästige Fliege. Sie konnte nicht gewinnen. Und sie wusste das. Und sie machte weiter.


    Dieser ganze verfluchte Kerl war eine einzige Waffe. Sobald sie den Überraschungsmoment verlöre, wäre das ihr rasches Ende. Und dieses Mal würde er ihr gewiss mehr rauben, als nur ihre Stimme. Temporär. Dennoch. Es gefiel ihr. Es war... lebendig. Lebendiger als beinahe alles, was sie bislang in ihrem Leben erfahren hatte. Immerhin wehrte sie sich. Wenigstens erhob sie sich und zeigte überdeutlich, wie sie ihrem Herrn gegenüber fühlte. Fast hätte sie gegrinst, würde nicht dieser plötzliche Schmerz durch ihren Daumen schießen, der es dringlich machte, ihren Arm mit einem Ruck von seinem Hals zu lösen. Andererseits waren augenblicklich seine beiden Hände dort beschäftigt. Wären sie frei, würde sich das Blatt erst recht wenden. Bereits jetzt besaß dieser Körper allem Anschein nach mehr Gliedmaßen und Muskeln, als jeder andere. Und es schien ihm überhaupt nicht zu gefallen, unter ihr zu liegen. Dennoch - wenn ihr Daumen tatsächlich bräche, wäre sie noch früher erledigt, als sie es ohnehin bereits sein würde. Denn gleich wie unterlegen man gegenüber dem Gegner auch war, man musste ihm nicht zwangsläufig noch in die Hände spielen. Zudem besaß auch sie noch eine weitere freie Hand, sobald sie die dazugehörigen Finger aus Achilleos' Haar gelöst hatte.


    Er musste sie loslassen, und zwar schnell. Womöglich gelang es ihr nicht, ihren Arm fortzuziehen, obgleich sie es nach Kräften versuchte. Lieber ging sie auf Nummer sicher. In mehrerer Hinsicht. Mit durch die Dringlichkeit der Situation gesteigerter Gewalt drückte Alsuna ihren nun wieder freien Daumen auf Achilleos' rechtes Auge, von der Position her mit Tendenz zum inneren Augenwinkel. Die übrigen Finger verhakte sie nicht unbedingt sanfter und mit spürbar scharfem Druck der Nägel hinter seinem rechten Ohr, so dass ihre gespreizte Hand einen guten Halt bekam.
    "Hör auf oder du darfst all deine hübschen Kampfstile auf Einäugigkeit anpassen!" Sie hatte bereits mitangesehen, dass es lediglich des richtigen Winkels und ausreichend Kraft bedurfte, um einem Menschen den Augapfel seitlich aus der Höhle zu pressen. Selbst, wenn er sich wand, ihre Hand besaß genügend Halt, um seinem Gezappel mit zunehmendem Druck rasch ein Ende zu bescheren. Sie täte es nicht gerne, viel lieber sähe sie bereits die Drohung allein ausreichend Früchte tragen, doch wenn er partout nicht aufgab, was bliebe ihr übrig? So aufgewühlt und kampfeshungrig wie sie derzeit war und mit jedem gierigen Atemzug stärker wurde, fiele es ihr ab einem bestimmten Punkt überaus schwer, inne zuhalten. Wenigstens ohne fremde 'Hilfe'. Sie musste auf seine Hände achten, am Besten auch gleich auf seine Beine und den gesamten Rest. Um ihrer Drohung die nötige Unterstützung zu verleihen, drückte sie probehalber etwas stärker zu, und sei es nur, um seine Reaktion zu testen.

    Flüchtig dämmerte Alsuna der Gedanke, ob sie derzeit möglicherweise auf dem besten Wege war, auch noch den Rest Menschlichkeit und Vertrauen in andere nachhaltig in Achilleos zu vernichten, indem sie zunächst auf sein Mitgefühl setzte, um es im Folgenden gnadenlos auszunutzen. Zumal seine Freundlichkeit irgendwann, wenn sie es doch schlicht übertrieben hatte, gewiss ein fürchterliches Ende finden würde. Es war erstaunlich, dass es das bislang noch nicht getan hatte. Doch wahrscheinlich sah er sie immer noch nicht als ernstzunehmende Gegnerin an oder als echte Gefahr, denn wie sonst war es zu erklären, dass er tatsächlich auch auf diese Finte einging? Wie vermochte man eine mitleidlose Spur aus Blut und Leichen zu hinterlassen und gleichzeitig so schrecklich naiv zu sein? Es musste maßlose Unterschätzung sein - oder aber das Wissen um die eigene gnadenlose Überlegenheit. Beide Optionen schürten Alsunas Wille, diesen überheblichen, arroganten Bastard den Schmerz seines Lebens spüren zu lassen, eine solch heftige Niederlage, dass er sich so bald nicht mehr davon würde erholen können, erst recht nicht, wenn sie ihn kontinuierlich daran erinnerte. Und das würde sie. Selbst wenn ihr im Gegenzug sämtliche Knochen gebrochen werden sollten, sie fände einen Weg. Anscheinend wusste er nur um die edlen, ehrenvollen Kampfstile. Sein Nachteil.


    Er war nahe über ihr, das konnte sie fühlen. Die Ausgangsposition war nicht die beste für ihre Absichten, doch es würde schon gehen. Überraschung war alles. Konzentration und Geduld, um auf den rechten Zeitpunkt zu warten. Sowie Unterdrückung einiger sehr fieser Triebe, die ihn am Liebsten einfach nur mit allem verprügelt hätten, das in Reichweite war. Was ohnehin nicht sehr viel darstellte.
    Gedämpfte Laute drangen über ihre Lippen, welche nach wie vor unverständliche Wortfetzen darzustellen schienen, doch zumindest schien sie langsam und zögerlich in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Ihre Brust hob und senkte sich unter einem tiefen Atemzug, den sie schlicht nicht länger unterdrücken konnte und ihre Hände bewegten sich stärker, schienen nach etwas in der Luft zu tasten, bis ihre Fingerspitzen der linken Hand einige Strähnen seines Haares berührten und sich zaghaft wieder zurückzogen. Die rechte, welche etwa in Hüfthöhe gelegen hatte und die - wenigstens in der Theorie - außerhalb seines Sichtfeldes lag, hob sich bedeutend zügiger bis zum Ellbogen, tastete hauchzart über Achilleos' Kleidung, welche seinen Rücken bedeckte und verharrte endlich relativ unschuldig auf seinem Oberarm. Schließlich waren die Augen der Germanin nach wie vor geschlossen und dennoch musste sie irgendwie seine Position erkennen können.


    Langsam wandte sie ihm das Gesicht zu und versuchte gleichzeitig möglichst unauffällig ihre Muskeln anzuspannen, welche dies immer noch unruhig nur zu gerne taten. Die linke Hand glitt inzwischen immer noch blind tastend über seine Wange und zwang seinen Kopf sanft in die richtige Position, um ihren Blick erwidern zu können. Falls es diesen Blickkontakt denn tatsächlich zum ersten Mal geben sollte. Schon flatterten ihre Lider leicht und ihre Fingerspitzen streichelten von seinem Wangenknochen über den Rand seines Ohres in die seidige Tiefe seines Haares hinein. Der Anflug eines Lächelns legte sich auf ihre Lippen, während sie die Lider langsam öffnete und den Blick über seine Züge hinauf zu seinen Augen wandern ließ...


    Oder beinahe bis zu seinen Augen. Inzwischen war auch ihre rechte Hand zu seinem Hinterkopf gelangt und verschränkte dort die Finger mit jenen der anderen. Viel Schwung konnte sie nicht holen, da er ein wenig zu dicht bei ihr war, doch es würde vielleicht für die erste Überraschung reichen. Mit einem schnellen Ruck hob sie den Oberkörper das fehlende Stück an und ließ ihre Stirn so hart als möglich gegen die seine schlagen. Da ihr Schädel ohnehin schon brummte, würde diese Beule nun auch nichts mehr groß ändern. Mit zusammengebissenen Zähnen rammte sie ihm zeitgleich das rechte Knie in den Bauch, diesmal allerdings auf die dort herrschende, absolut anormale Härte vorbereitet. Hätte ihre Position eine solche Aktion möglich gemacht, so hätte ihr Ziel deutlich tiefer gelegen, doch was jetzt noch nicht gelang, vermochte man möglicherweise später nachzuholen. Erst einmal wollte sie ihn hauptsächlich auf den Rücken drehen und unter sich bringen - wie sie ihn dort hielte, würde sie dann überlegen, wenn es so weit war. Ihr rechter Unterarm drückte sich nach einem schnellen, festen Schlag auf seinen Kehlkopf, während die linke Hand sich in seinen Haaren vergraben hatte und ihn auch eben nach links unten zerrte, dorthin, wo ihr gesamter Körper ihn nun mit allem Schwung, den sie aufbringen konnte, zu stoßen versucht. Liefe alles glücklich und konnte sie wenigstens halbwegs auf ihm landen, würde sie immer noch mithilfe ihres Knies prüfen können, wie weit die augenscheinliche Rüstung verlief. Erst mal sog sie den Atem ein und brachte ihre gesamte Energie auf, um einen Meisterkämpfer zu Fall zu bringen.

    Zugegeben, von ihrer jetzigen Position aus hatte sie ihren Gegner nicht wirklich angemessen im Blick. Sie durfte es lediglich sehr vorsichtig wagen, ihr dem Boden am nächsten liegendes Auge, in diesem Fall das rechte, einen winzigen Spalt zu öffnen um vielleicht an der gegenüberliegenden Wand die Bewegung eines Schattens wahrzunehmen. Viel war es nicht, was sich ihr dort eröffnete, doch ihren Gehörsinn störte die gespielte Ohnmacht zum Glück in keiner Weise.
    Im Grunde rechnete die Germanin nicht wirklich damit, dass Achilleos ihr die kleine Scharade tatsächlich abkaufen würde. Dafür schien er zu erfahren im Umgang mit Kampf und dessen Folgen auf andere Leute. Wahrscheinlich grinste er vor sich hin und murmelte lediglich so zögernd ihren Namen, weil er wissen wollte, wie weit sie ihr Spielchen noch trieb. Oder wie lange sie ihre Lungen, die nach tieferen Atemzügen lechzten, noch würde mit Gewalt beherrschen können. Bedauerlicherweise nicht mehr allzu lange, wie sie sich eingestehen musste.


    Zwar schien er sich auch folgsam - oder amüsiert - etwas zu ihr hinabzubeugen, allerdings nicht tief genug, wenn sie ihre blinde Wahrnehmung anhand von Gewänderrascheln und leichter Bodenerschütterung nicht täuschte. Dass er ihre tatsächlich auch noch vorhandene Atmung mit der Hand kontrollierte, bemerkte sie indes nicht. Er war noch nicht nahe genug und so langsam ging ihr die Luft aus. Und so sehr ihrem angeschlagenen Kopf auch die Aussicht missfiel, bald wieder bewegt zu werden, so musste sie den Verlauf ihrer Finte doch ein wenig beschleunigen.


    Die Fingerspitzen ihrer linken Hand, welche mit der Handfläche nach oben neben ihren Kopf und auf einem Schleier kupferfarbenen Haares gebettet ruhte, zuckten leicht und die Pupillen unter den geschlossenen Lidern zeigten schwache Aktivität. Schließlich begannen sich auch Alsunas sacht geöffnete Lippen zaghaft zu bewegen und Worte zu formen, allerdings sprach sie wenn überhaupt so gedämpft und leise, dass aus der gegenwärtig noch herrschenden Entfernung zu einem menschlichen Ohr unmöglich etwas zu verstehen war.

    Wenn diese Härte alleine von seiner Bauchmuskulatur herrührte, dann stand ihr hier tatsächlich gerade Herakles gegenüber, der bereits seinen Platz zwischen den Göttern des Olymps eingenommen hatte. Wenigstens war ihr Vorhaben letztendlich von Erfolg gekrönt gewesen und ihr Ziel gab dem Angriff ausreichend nach, ansonsten hätte sie sich wahrscheinlich gleich selbst außer Gefecht gesetzt. Doch auch jetzt genügte die Härte des Kontakts bereits aus, um ihr für einige Augenblicke fast gänzlich die Orientierung zu rauben, der Sturz und das anschließende Abrollen taten ihr Übriges, um die Gesetze des Oben und Unten zunächst einmal außer Kraft zu setzen. Gleich einem Stier, den man gegen das Scheunentor hatte preschen lassen, fühlte sie sich und war dementsprechend unzufrieden mit dem Resultat ihrer Bemühungen. Zumal man nie zu sagen vermochte, ob Achilleos wahrhaftig überrascht worden war oder ihre Absicht von Weitem bereits hatte kommen sehen und einfach einmal mitgespielt hatte, um der Kleinen einen Gnadentriumph zu gönnen.
    Zumindest musste er mit irgendeinem Körperteil heftig auf den Boden aufgeschlagen sein, abgeleitet von dem harten Rumms, der dicht neben ihr einschlug. Ihr Kopf war es nicht, der verursachte sein eigenes, ungesundes Krachen auf dem Holzboden, unmittelbar danach. Es war nicht ganz so kräftig wie das zuvor vernommene, doch es genügte, um Alsuna flüchtig ein paar glitzernde Sternbilder auf schwarzem Grund erblicken zu lassen. Ein gepresstes, leises Stöhnen entfloh ihren Lippen. Normalerweise hätte sie sich reflexartig zusammengerollt und den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, doch ihre Körperspannung hatte sich kurzfristig verabschiedet und aufgrund dessen bedauerlicherweise ihren Einsatz verpasst.


    Auch ihr Rücken fühlte inzwischen die Härte des Bodens und Alsuna stellte erleichtert fest, dass sie nun zumindest nicht mehr durch die Luft gewirbelt wurde wie eine Feder im Sturm. Nein, das hatte sie sich definitiv anders vorgestellt, schon allein weil er letztendlich doch wieder oben gelandet war. Wie eine verfluchte Katze war dieser Kerl, er landete einfach immer auf den Pfoten! Kein Wunder, dass ihm alles glückte, an diesem Ort waren Katzen schließlich auch noch heilig und wurden verehrt und angebetet. Mit immer noch geschlossenen Augen und einem gequälten Gesichtsausdruck schob die Germanin diese ohnehin eher wirren Gedanken beiseite. Das würde tüchtig Kopfschmerzen geben, abgeleitet von dem sich ausbreitenden, wellenartigen Pulsieren, das von gleich zwei Stellen ihres Schädels ausging. Wie angezogen und ebenso unnütz tastete ihre rechte Hand durch ihr Haar auf der Suche nach dem Entstehungsort der Beulen. Währenddessen schien Achilleos bereits wieder widerlich wohlauf zu sein. Zudem hatte sich seine Stimme noch einen netten, verzerrenden Nachhall zugelegt, wie es Göttern offenkundig gebührte.


    'Guter Angriff.' 'tatsächlich schmerzhaft'. Dämlicher Idiot! kam es leicht würgend von ihrem durchgeschüttelten Geist, den es ganz gewiss nicht noch nach dem Lob ihres Gegners gelüstete. Großartig, es gefiel ihm! Alle Knochen einzeln sollte sie ihm brechen, ganz langsam, Faser für Faser, damit er von dem Vergnügen ihrer Attacken auch wirklich lange etwas spürte! Schon wollte sie ihm eine äußerst unflätige Bemerkung bezüglich ihrer Meinung zu seiner Meinung entgegenschleudern und hatte auch schon die Lippen geöffnet und Luft geholt als man sie zwang, sich umzuentscheiden. Kurz schien sie zu versuchen, die Augen zu öffnen, allerdings sah man nur flüchtig zwei schmale, weiße Halbmonde, ehe auch der letzte, kümmerliche Rest Körperspannung sie verließ und ihr Kopf kraftlos zur Seite sackte. Natürlich war es eine Finte, sogar ihre Atmung versuchte sie flach zu halten, was angesichts ihres brennenden Wunsches, dem schmerzhaften Donner in ihrem Kopf irgendwie Ausdruck zu verleihen, gar nicht so einfach war. Doch nach diesem Angriff war ihr Herr wahrscheinlich auf jeden eventuellen Versuch in diese Richtung bis zum Zerbersten vorbereitet, was man ihm zuerst einmal wieder austreiben musste. In dieser lückenlosen, kampfbereiten Haltung würde sie niemals gegen ihn bestehen können. Ohnehin fühlte sie sich in der Welt der fiesen, kleinen Tricks bedeutend wohler.

    Ja, verdammt, es hatte äußerst gut getan! Ein recht niederer Trieb fühlte sich mit diesem Schlag aufs Höchste befriedigt. Einer, der schon viel zu lange unterdrückt worden war, und der vor allem so schnell nicht mehr aufhören wollte, wenn er denn tatsächlich einmal die Oberhand gewann und aus seinen Fesseln gelöst wurde. Und da sich Achilleos erfreulicherweise weder zusammenkrümmte, noch stöhnte, sondern einfach stehen blieb und weiterhin spitzfindige Bemerkungen von sich gab, fand Alsuna während ihrer knappen, eher stark sporadischen Suche keinen Anlass, bezüglich ihrer Handlungen einen anderen, pazifistischen Weg einzuschlagen. Der Schuss Adrenalin mischte sich in ihr Blut und beschleunigte ihren Herzschlag, als hätte sie soeben halb Alexandria gepackt und im Meer versenkt. Ihre Augen, welche weiterhin an einen Punkt in den oberen Schatten gerichtet waren, blitzten freudig erregt und nur mit Mühe bezwang sie den Impuls eines gleichermaßen wirkenden Lächelns. Ohja, sie fühlte sich durchaus glücklicher. Glücklich, dieses blasse Wort vermochte gar nichts auszudrücken, wie sie gegenwärtig empfand. Ihr war zwar nicht danach, die ganze Welt zu umarmen, um sie jedoch mit Mann und Maus zu vernichten gereichte ihre Lust durchaus.


    "Wenn du nicht gerade irgendeinen schlauen Ostling zitierst, büßen deine Worte ziemlich an Eleganz ein, Jinshi." erwiderte die Germanin zwischen zwei tiefen Atemzügen, das letzte Wort dabei unheilvoll betonend.
    "Zudem, hätte ich die Freiheit nicht ausgeschlagen, wären mir so bewegende Dinge entgangen wie deine reumütige Entschuldigung oder deine hübsche, wehrlose, vollkommen verunsicherte Seele, die selbst eine peinliche Sklavin um Rat fragen muss. Was hätte ich mich um rührende Augenblicke gebracht!"
    Nun grinste sie doch, jedoch nur einen kurzen Moment lang. Es besaß durchaus auch Vorteile, wenn man der Umgebung stets und immer mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachte, als dem Menschen, der darin stand. Nicht unbedingt im Nahkampf, wenn man quasi gezwungen wurde, den Blick an die Decke zu richten, doch vordem hatte sie Gelegenheit genug gehabt, sich mit dem Inventar an diesem Ort näher auseinanderzusetzen. Da gab es beispielsweise diesen feinen Schreibtisch, welcher recht genau hinter Achilleos stand und der noch immer Spuren ihrer aufgegebenen Freiheit trug.
    Nun gut, er wollte Nähe? Die konnte er bekommen.


    "Und bitte, ein Überwesen wie du fühlt doch keinen Schmerz. So etwas würde ich mir nie einbil..." Noch vor Beendigung des Satzes, der ohnehin nur als Ablenkungsmanöver diente, tauchte Alsuna unter seinem wahrscheinlich wirklich noch kerngesunden Arm hindurch, ging kurz in die Hocke, und stieß sich im nächsten Augenblick mit dem Kopf voran, die Hände gegen seine Hüften gepresst und ordentlichem Schwung gegen seinen Bauch, der zwar um einiges härter war, als erwartet, doch diese späte Erkenntnis vermochte die eigentliche Aktion auch nicht mehr wirklich aufzuhalten. Im Grunde brauchte er lediglich ein wenig das Gleichgewicht zu verlieren, zurückzutaumeln und die Tischkante hinter ihm würde ihr Übriges tun, um ihn zu Fall zu bringen. Schön, sie hatte die unangenehme Situation als Erste zu einem Ende geführt, aber zurückgewichen war sie auch nicht. Im Gegenteil.

    Alsuna zweifelte trotz seiner vermutlich ohnehin nicht ernstgemeinten Aussage mittlerweile stark daran, dass noch irgendetwas Sinnvolles bei dem herauskommen würde, was einen Kontakt zwischen ihr und Achilleos betraf. Zum einen weil er die Ausweichmanöver eines Aals bevorzugte und zum anderen, weil ihr so langsam die Lust an diesem Spielchen verging. Stattdessen dürstete es sie vielmehr danach, ihn einfach nur noch gedemütigt und geschunden im Dreck Rhakotis' liegen zu sehen, was umso frustrierender war, als dass sich jenes Bild garantiert niemals in die Wirklichkeit retten ließe.
    Mit einem ordentlichen Aufgebot ihrer Reste an Selbstbeherrschung unterdrückte die Sklavin den aufkeimenden Drang, gegen alle stolzen Absichten zurückzuweichen, da ihr Gegenüber wie es schien rein gar nicht an dieser Option interessiert war. Selbst trotz seiner voluminösen Überlegenheit musste er sogar bei einer solchen Kleinigkeit noch den Überlegeneren demonstrieren. Alle Welt sah auf den ersten Blick, dass sie es auf direktem Wege niemals mit ihm aufzunehmen vermochte, und wenn sie noch eine Million mal wie eine Irre auf sein Handgelenk einschlug. So sie nicht zusätzlich irgendeine Verletzung aus der Vergangenheit träfe und damit einen miesen kleinen Schwachpunkt gnadenlos ausnutzte, würde sie niemals mehr ernten als blutige Hände und eine ordentliche Portion Schmach. Und selbst dann stünde er wahrscheinlich nach wie vor vollkommen unbeeindruckt vor ihr gleich einer Statue.


    Aber halt, da gab es doch noch seine 'einzige bislang erlebte Kampfverletzung'. Welche sich erfreulicherweise auch über jenen Unterarm erstreckte, welcher in der Hand mündete, die immer noch ihr Kinn hielt. Nun gut, mehr als eine Narbe war davon nicht übrig geblieben, zumindest konnte sich Alsuna nicht daran erinnern, irgendeinen Bewegungsmakel bemerkt zu haben. Was vermutlich auch gar nicht sein konnte, schließlich würde Achilleos dadurch massiv an Vollkommenheit einbüssen. Dennoch, ein Versuch war es wert. Ohnehin hatte sie ihn bereits tätlich angegriffen und dadurch eine gewaltige Grenze im Herr-Sklave-Verhältnis übersprungen, so kam es auf einen Versuch mehr oder weniger auch nicht mehr an. Da seine Taktik aus arrogantem Stillhalten bestand, würde sie schon merken, wie tief ihn dieser Schlag erwischt hatte.


    "Nein, heute sicherlich nicht mehr. Ist schon peinlich, wenn man bei einer schwachen Frau gleich körperliche Überlegenheit demonstrieren muss, weil man sich mental in die Ecke gedrängt fühlt." 'Schwache Frau' war kein erstrebenswerter Titel und so eigentlich auch nicht korrekt, doch sollte er ruhig weiter dem Glauben verfallen, hier unter jeder Vorraussetzung leichtes Spiel zu haben. Bislang hatte sie ihm auch nicht wirklich das Gegenteil beweisen können.
    Den Blick immer noch in höhere Ebenen gerichtet hob sie beide Hände zu ihren Schläfen, um sich einige kupferfarbene Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen und verlagerte so unauffällig wie möglich ihr Gewicht auf das linke Bein. Dann versuchte sie in einer möglichst schnellen, fließenden Bewegung die Finger beider Hände ineinander zu flechten und diese mit aller wütenden Kraft möglichst sowohl in der Nähe des Ellbogens als auch der Narbe auf seinen Arm zu schlagen. Sollte er nachgeben - was er vermutlich ohnehin nicht täte - konnte sie ihm etwas tiefer noch ihr Knie gegen die Unterarmknochen treten lassen. Und dann... ja... wahrscheinlich eine zügige Flucht antreten.

    Nun würde es langsam so weit sein müssen. Sehr bald würde er ihr entweder aus dem Weg gehen oder sie sonstwie ins Leere laufen lassen müssen. Tat er dies nämlich nicht, besäße sie dasselbe Problem, was sie ihm augenblicklich aufzuzwingen versuchte, nämlich zu viel Nähe im Hinblick auf eine Person, von der sie bevorzugt Abstand hielt. Zu Beginn ihres kleinen Manövers hatte sie sich die Wahrscheinlichkeit eines zumindest moralischen Sieges - im weitesten Sinne - als noch recht ansprechend ausgemalt. Langsam schlich sich jedoch die geflüsterte Frage in ihren Kopf, wo ihre ach so schöne Taktik enden sollte, wenn Achilleos eben nicht so reagierte, wie sie es sich vorfreudig ausmalte. Wenn er einfach stur und starr stehen bliebe und sie gegen eine Wand aus Ignoranz prallen ließe. Oder ihr wutentbrannt den Kopf zertrümmerte, weil sie ihn so unsagbar nervte mit ihrer beabsichtigten Penetranz. Was hätte sie dann erreicht?
    Doch vielleicht dachte sie auch einfach bereits zu früh darüber nach. Wenn sie ihre Schritte fortan etwas kleiner gestaltete, besäße sie noch die halbe Zeit der Welt, und wenn sie wirklich nicht weiter käme, würde sie schon Rat wissen. Ihre Psyche mochte ebenfalls nicht die gesündeste sein, doch bei ihm dürfte es noch um einiges heftiger aussehen.


    Selbstmord würde er also nicht begehen. Und sie machte sich ganz gewiss keine Sorgen um ihn, sie hatte lediglich ihn dazu drängen wollen, sich weiter mit seinem Scherbenhaufen von Seele auseinanderzusetzen und ihn deswegen voller übler Hintergedanken beruhigen wollen. Wenn man sich um jemanden sorgte, umstreifte man denjenigen wohl nicht wie eine Hyäne mit der Witterung frischen Blutes in den Nüstern. Da Alsuna sich in ihrem Leben bislang ausschließlich um sich selbst gesorgt hatte, wäre ein derart vermittelter Eindruck auf jeden Fall eine Missdeutung. Zudem war ihre Sorge wenig wert, denn wie man merkte, geriet sie dennoch gerne in bedrohliche Situationen. Eine gewisse Lust an Gefahr vermochte sie nicht ganz zu verbergen.
    Dann jedoch änderte Achilleos merklich die Lage. Er begann erneut, seinerseits Fragen zu stellen, was wahrscheinlich auch daran lag, dass sie bei ihrer vorherigen Antwort schlicht vergessen hatte, beständig bohrend ihrerseits Fragen zu stellen. Wundervoll, nach einer solch großzügigen Einladung konnte der Kerl ja gar nicht anders, als dankbar darauf einzugehen. Als hätte sie ihm höchstpersönlich ein Schlupfloch in ihrer Belagerung gezeigt, durch welches er entkommen konnte. Alsunas Kiefer pressten sich kurz ein wenig fester aufeinander und die ohnehin nur gespielte Entspannung geriet ins Wanken, wurde gerade noch so von ihrem Willen und dem Entschluss gehalten, nicht gleich alles hinzuwerfen und aufzugeben. Falls er glaubte, die Spitze des Speers nun einfach in ihre Richtung deuten lassen zu können, würde sie ihn bedauerlicherweise eines Besseren belehren müssen. Zu nahe war sie ihrem Ziel gewesen, um ihn nun wegen eines kleinen Fehlers gänzlich aufzugeben. Obgleich 'nahe' ein sehr relativer Begriff war. Um eine Antwort war sie in der Regel jedoch nie verlegen, nur kam ihr diese eher selten wirklich über die Lippen.


    Insofern sog sie bereits die Luft für eine seine Mutmaßungen gänzlich entkräftende Erwiderung ein und ließ ihre Aufmerksamkeit flüchtig tiefer sinken, um so unauffällig wie möglich den Abstand einzuschätzen und den im Folgenden geplanten Schritt dementsprechend zu gestalten, als Achilleos ganz offenbar fand, dass Angriff am Ende doch die beste Verteidigung wäre. Natürlich waren all die Jahre der kontinuierlichen Übung nicht vergebens gewesen, so dass ihr Blick rasch in Bereiche flüchtete, die ein gutes Stück über den Augen ihres Herrn lagen, ohne diese auch nur zu streifen. Man würde ihr die Augäpfel schon aus den Höhlen schaben müssen um sie zu zwingen, einen Blick zu erwidern und tatsächlich galt diesem gewohnheitsmäßigen Ausweichen gerade der kleinste Teil von Alsunas Aufmerksamkeit. Vielmehr drängte sich ihr die brüllende Frage auf, was beim Ufer des Styx dieser Kerl da gerade tat. Und, vielleicht etwas weniger offensichtlich, was er damit bezweckte. Die Charmeoffensive? Er musste wirklich ungeheure Furcht vor seinen inneren Bestien hegen, wenn er lieber so etwas anstellte, als das Gespräch auf 'normalem' Wege fortzusetzen. Sie hatte doch wohl mit dem Nähertreten nicht impliziert, dass sie ihm nahe sein wollte! Wie kam man nur zu einer derartig absurden Schlussfolgerung?!
    Die Germanin wusste nicht zu sagen, was sie gegenwärtig mehr empören sollte; dass ihr Herr sich auf so miese Art aus der Affäre zu ziehen versuchte, oder dass er tatsächlich glaubte, diese Art könne bei ihr von Erfolg gekrönt sein. Doch ganz gleich, für was sie sich letztendlich entschied, etwas hatte gerade definitiv seinen neuen Tiefpunkt erreicht. Ihre Hinterhältigkeiten waren zumindest noch halbwegs niveauvoll gewesen, die seinen allerdings waren so platt und lächerlich wie Hermiones Brustumfang.


    Alsuna unterdrückte mühsam den äußerst hartnäckigen Impuls, ihm auf die ein oder andere ähnlich niedere Art Schmerzen zuzufügen - oder zumindest die Absicht auszuführen, ob jene letztendlich von Erfolg gekrönt wäre, stand auf einem anderen Pergament. Tze, sein Wohlergehen... nur weil sie in seinem kranken Seelenleben herumkratzte, bedeutete dies noch lange nicht, dass sie ihn dadurch irgendwie heilen wollte. Je mieser er sich fühlte, um so besser ging es ihr. Was einem tödlich gerechten Halbgott wie ihm natürlich niemals in den Sinn käme. Obgleich ein solcher sehr wahrscheinlich auch nicht derart überdeutlich vermittelt hätte, dass er dringlichst vom Thema ablenken wollte.
    Man vermochte der Sklavin ihre Reaktion durchaus anzumerken, das Zucken, welches anfänglich ihren Körper durchlaufen hatte, wirkte zwar überrascht, doch keineswegs positiv. Was sich bald bestätigen sollte.
    "Ich wühle einfach nur gerne im Dreck", kam es gepresst und durchzogen von mühsamer Beherrschung über ihre Lippen, ehe sie einen schnellen, dank ihrer Wut auch recht kraftvollen Schlag mit der Handkante nach seinem Handgelenk tätigte, den er entweder abbekäme, oder, was wahrscheinlicher war, der einfach nur die Luft vor ihrem Gesicht durchschnitt, da er sich schon längst aus der Gefahrenzone zurückgezogen hätte. Zurückweichen würde sie ganz sicher nicht, nun erst recht nicht.

    In dem er nicht von Prinzipien geleitet wurde? Alsuna musste sich eingestehen, dass sie diese Aussage verwirrte, was man ihr möglicherweise auch flüchtig angesehen hatte. Schließlich war sie bislang davon ausgegangen, dass gerade jene hanebüchenen Regeln und Gesetze ihn dazu verpflichtet hatten, fern jeden Mitgefühls durch die Gegend zu ziehen und Unschuldige auszulöschen. Hatte er diese so genannten 'Weisheiten' am Ende doch nur für den Drang zur Vernichtung und Tod benutzt, welcher ohnehin in seinem Innersten lauerte?
    Nun gut, über die langen Jahre ihrer Sklavenschaft hinfort hatte sich auch in ihr einiges angestaut, das selbst mittels ihres gegenwärtigen 'Ausbruchs' von Ungehorsam noch nicht neutralisiert hatte werden können. Demütigungen und Wut verkörperten nun einmal eine mehr als hungrige, gierige Bestie. Allerdings brachte Alsuna derlei Empfindungen mitnichten rein negative Ansichten entgegen. Sie gaben Kraft und härteten ab. Beides äußerst nützlich in ihrem Stand. Und solange man nicht dergestalt die Kontrolle über sich verlor, dass man sich in einem Rausch selbst gefährdete, war laut ihrem persönlichen Urteil die Welt in Ordnung. Noch nie hatte sie sich als Menschenfreundin gesehen und fand darin auch keinen Makel. Schließlich hatte man ihr bislang auch wenig gegeben, das der Dankbarkeit oder Freundlichkeit bedurft hätte.


    Insofern befand sie sich eigentlich recht weit entfernt von einem zartbesaiteten Weiblein, das bei jedem Tropfen Blut einer Ohnmacht nahe kam. Zwar war sie ebenfalls noch nie hüfthoch in Leichenbergen gewatet, allerdings schätzte Alsuna sich selbst als nicht unbedingt zimperlich und schwächlich ein, wenn sie es denn anders haben wollte. Immerhin schritt sie gerade todesmutig auf ein 'Ding' zu, dessen Reaktion aufgrund der Tatsache, dass sie es zunehmend in die Ecke drängte, sicherlich nicht fröhlicher ausfiele. Oder harmloser. Oder schmerzfreier. Mittlerweile trennten sie nur noch etwa zwei kleine Kinderschritte, Tendenz abnehmend. Wenn sie nun innehielte, würde sie damit lediglich andeuten, dass sie sich vor ihm und seinen Worten fürchtete. Und sie lebte von derartigen winzigen Triumphen.


    "Wenn du ewig davonläufst, wirst du niemals bereit sein, dich ihnen zu stellen - falls man das überhaupt jemals sein kann. Zudem ist niemand so perfekt, wie er gerne wäre. Außer vielleicht, er ist zufälligerweise ein Gott, aber denen bin ich weder begegnet, noch interessieren sie mich sonderlich. Und du musst ja auch nicht sofort über dich richten und dich dann womöglich gleich selbst in ein Schwert stürzen."
    Irgendwie glaubte Alsuna zu ahnen, dass diese unglückliche Maßnahme ziemlich gut auf ihren Herrn passen könnte.
    "Dämonen sind zudem weit weniger schlimm, wenn man sie mal bei Licht betrachtet, als wenn man sie nur in der Finsternis rumoren hört. Sogar ein Kaninchen klingt im Dunkeln unheimlich, wenn es scharrt und knabbert und man nicht weiß, was es ist. Nun lauf nicht vor irgendwelchen Schatten davon."

    Er wusste es nicht? Diese Antwort bestätigte zwar durchaus den Verdacht, welchen Alsuna bezüglich seiner Kenntnisse um wirklich wichtige Angelegenheiten inzwischen hegte, dennoch war sie deswegen nicht weniger frustrierend. Wen sollte man denn seiner Meinung nach diesbezüglich fragen, wenn nicht ihn? Seine Nachbarn? Irgendwen im Osten? Auf eine derartige Frage vermochte er sich wohl nur selbst eine Antwort zu geben.
    Die Alternative war natürlich, dass er mit ihr einfach gar nicht länger über dieses Thema sprechen wollte und vorgab, keine Ahnung zu haben, damit sie das Interesse an ihm verlöre, beziehungsweise an seiner verpfuschten Einstellung. Denn natürlich setzte sie ihn irgendwie unter Druck, sowohl durch ihre andauernde Fragerei, als auch auf physischem Wege. So distanziert und abgehärtet, wie er über das Schicksal anderer bestimmte, konnte man womöglich nur agieren, wenn man immer einen gewissen Abstand wahrte und sprichwörtlich niemanden zu nahe an sich heran ließ. Außer natürlich im Kampf. Und unter Umständen Kindern gegenüber, denn so quirlig, wie jene waren, konnte man ihnen mitunter schlicht nicht entkommen oder aus dem Weg gehen.


    Doch wahrscheinlich sollte sie sich keine großen Hoffnungen machen, dass ihre Präsenz ihm allzu viel Unbehagen einflösste. Sie wirkte abgesehen von ihrer Haarfarbe nicht sonderlich furchterregend, zumal sie einfach nicht auf die Unterstützung eines durchdringenden Blickes zählen konnte, wie er oftmals schon genügte, um Menschen zum Schweigen zu bringen oder aber handeln zu lassen. Und wenn es ihm zu viel würde, schubste er sie einfach zur Seite und sein Weg wäre wieder unversperrt. Sie selbst ließe so etwas wiederum als kleinen Sieg gelten, doch über derart unwichtige Dinge würde dieser Mann ohnehin nicht nachdenken müssen. Der bislang Unbesiegte. Insofern konnte sie ihren Weg ruhig noch einen Schritt weiter fortsetzen.


    "Nun, ich denke, so etwas findet man nur dadurch heraus, dass man einen Versuch wagt. Ich halte dich für einen offensichtlich klugen Menschen. Der sich gerade hinter einem stagnierenden 'Ich weiss es nicht' versteckt. Du bist doch wissensdurstig, oder? Und neugierig. Wenn du etwas nicht weißt, willst du es in der Regel herausfinden und lernen. Den weißen Fleck beseitigen. Was kann denn schon groß passieren? Tappst du lieber für den Rest deines Lebens weiter freiwillig im Dunkeln herum, als endlich die Augen zu öffnen?"

    "Möchtest du damit vielleicht andeuten, dass das Recht dir nicht angemessen vorgibt, was richtig oder falsch ist? Aber dann wäre es ja fehlerhaft. Dann begingen diejenigen, welche sich eisern an die Gebote des Gesetzes hielten, ja möglicherweise Fehler. Woran soll man sich denn dann noch orientieren?"
    Mochte es auch daran liegen, dass Alsuna sich selbst hin und wieder gerne in diffuse Grauzonen zurückgezogen hatte, doch verspürte sie gerade große Lust, ihrem Herrn diesen 'Verteidiger von Recht und Ordnung'-Zahn zu ziehen. Einfach eine kleine, einsame Sklavenfreude, die vielleicht nicht ihren Ansporn in reiner Freundlichkeit fand, deswegen jedoch nicht weniger motiviert war. Zudem war diese aktuell herrschende Situation recht interessant, wie es eben immer Schaulustige anlockte, wenn die Welt eines Menschen zusammenzubrechen drohte. Zwar machte sich die Germanin diesbezüglich kaum Illusionen, da sie in ihrem Gegenüber immer noch einen Tausendsassa mit ungeahnten und unbegrenzten Möglichkeiten sah, doch ihr sollte es bereits genügen, wenn sie ein wenig an seinem Schild zu kratzen vermochte.


    So, letztendlich war er auch nichts als ein Sklave. Und damit war er also zufrieden? Eine Existenz bis zur Selbstaufopferung für eine Institution, die einem nie etwas zurückgab? Mit einem Herrn vermochte man sich zumindest noch halbwegs gut zu stellen, aber der Staat? Gut, es winkten vermutlich nicht unerhebliche Privilegien, aber dank denen geriet man nur noch mehr in diesen Sumpf. Doch anscheinend war dies ja genau die Lage, welche sich Achilleos für sein Leben wünschte. Ein kleiner Selbstquäler. Oder aber er suchte schlicht nach Macht, Ruhm und Reichtum. Ganz gleich, nach was er im Endeffekt strebte, oder ob er immer noch irgendein Spiel mit ihr abzog, falls es nur die kleinste Möglichkeit gab, ihm doch irgendwie den Boden unter den Füßen fortzuziehen, würde Alsuna diese nutzen. Was hatte sie schon zu verlieren?


    Ein weiterer Schritt auf ihren Herrn zu folgte, immer noch durchsetzt mit einer gewissen eleganten Gelassenheit, als wäre sich das Raubtier beim Umkreisen seiner bereits angeschlagenen Beute sehr sicher, das diese ihr nicht mehr würde entkommen können. Selbst ohne direkten Blickkontakt.
    "Möchtest du denn einmal den Versuch wagen und darüber nachdenken, was du eigentlich willst, oder fürchtest du dich doch zu sehr vor dem Ergebnis?"

    Selbstverständlich besaß die Vorstellung, mit einem scharfen Messer an seiner ungeschützten Kehle fuchteln zu können, etwas unerhört Reizvolles. Doch es war Alsuna bereits im Vorfeld irgendwie bewusst, dass sie ihre kaltblütige Entschlossenheit auf anderem Wege würde prüfen müssen, weil die Kehle in diesem Bild einen vorzeitigen Rückzieher anstrebte. Und so kam es denn auch. Wenigstens war er es anscheinend schon von anderer Seite gewohnt, beleidigt zu werden, allerdings mussten diese Zurechtweisungen ungesund weit zurück liegen, hätten sie ihm womöglich ansonsten einmal ordentlich den verrückten Kopf zurechtgezogen. Andererseits, vielleicht war diese ganze Fanatiker-Geschichte auch erst deren Schuld.
    Uninteressant, was grübelte sie überhaupt über das Warum? und Wie? nach, wenn sie doch eher froh sein sollte, nach ihren Worten noch unter den lebenden Seelen zu weilen. So lebendig ein Sklave eben sein konnte. Gemächlich, mit der Ruhe eines kleinen Sieges, verschränkte Alsuna die Arme vor der Brust und vermied so seinen Blick auf ihre noch immer zitternden Fingerspitzen, welche die angebliche Gelassenheit übelst Lügen straften. Aha, nun war es ihm also wieder vollkommen gleich, ob er hässlich war. Nun, wahrscheinlich war sein Bart der falsche Ansatzpunkt gewesen, vielleicht hegte er irgendeinen lächerlich-männlichen Stolz bezüglich dieses Dings. Gut, sollte er ihn eben behalten. Sie konnte sich selbst bei allem Sadismus' nettere Tätigkeiten vorstellen, als ihn zu rasieren. Schön, er hatte ihr dürftiges, nicht ganz ernstes, ohnehin von Anfang an zum Scheitern eingestuftes Angebot zurückgewiesen. Und? Warum sollte sie sich deswegen aufregen? Nur weil er alle paar Takte die Richtung wechselte wie ein Hasenrammler auf der Flucht? Tze. Wenn ihm dies Spaß machte. Sein Pech. Sie hätte ihn schon nicht geschnitten. Nicht tief. Nicht so heftig, wie sie ihn nun schneiden würde, sollte dieser Idiot doch plötzlich auf die Idee kommen, von ihr rasiert werden zu wollen.


    Alsuna räusperte sich noch einmal leise, doch scharf, und ein beruhigend üppiger Schmerz zerkratzte prompt ihre Kehle. Zufrieden verbiss sie sich ein Lächeln und verfolgte stattdessen mit geradezu lauerndem Ernst seine Versuche, ihr etwas mitzuteilen, das offensichtlich bar seines bisherigen Wirkungsfeldes lag. Zweifel und ein gewisses Maß an Misstrauen lagen ihr dabei deutlich auf den Gesichtszügen, was durch seine etwas stockende Rede und das zwischenzeitliche Flüstern nicht entschärft wurde. Beinahe hätte sie ihre Hand ans Ohr gelegt und sich überdeutlich nach vorne gebeugt, doch Achilleos schien das Problem rechtzeitig von selbst entdeckt zu haben.
    Er entschuldigte sich? Die Germanin war derart perplex, dass selbst ihre Gedanken auf die Schnelle keine zynische Bemerkung darzubieten wussten. Im Grunde existierte tatsächlich kein Anlass für ein solches... Eingeständnis, denn wie er schon ansetzte, er war ihr verdammter Herr. Und so vollkommen überzeugt schien er selbst nicht davon zu sein, gerade das Richtige zu tun. Was hatte ihn dazu nur bewegt? Wohl kaum ihre dauernden Beschwerden. Dieser Mann schien eindeutig mehr als eine Seele zu besitzen, wahrscheinlich einen ganzen Haufen, von denen jede einmal seine Zunge kontrollieren durfte.


    Eine schmale Augenbraue blieb nach wie vor zweifelnd angehoben, wenngleich ihr mittlerweile eine Menge Bemerkungen auf den Lippen tanzten und nur darauf warteten, Stimme verliehen zu bekommen. Insbesondere, da der Größenwahn nun die Seiten zu wechseln schien, was nur natürlich war, wenn man einer Sklavin wie Alsuna den kleinen Finger reichte. Zudem hatte er ihren Versuch vorhin ja auch zurückgewiesen. Weswegen sollte sie da plötzlich mit Freundlichkeit kommen und ihm strahlend um den Hals fallen? Andererseits würde ihn dieses Verhalten wahrscheinlich unter den Tisch schockieren. Da reizte es doch beinahe schon, es wirklich zu tun, aber auch die Germanin hing an ihrem Rest Würde.
    In ihren Augen blitzte es kühl, während diese sich leicht verengten und sich der Kopf etwas senkte, was den Eindruck erweckte, als befände sich genau hinter Achilleos der Mörder ihrer geliebten Katze.
    "Natürlich hättest du es tun sollen. Ich bin deine Sklavin und ich habe dich beleidigt. Du besitzt jedes Recht der Welt, mich zu schlagen, zu verstümmeln, zu misshandeln, zu töten. Du kannst mich nicht mal ausstehen. Also, was soll das alles? Die Frage, ob du hässlich bist? Sollte ich dir von deiner Schönheit vorschwärmen? Was wolltest du hören? Dass ich es kaum erwarten kann, das Lager mit dir zu teilen?" Gleichzeitig mit dem ruhigen Schritt, den sie auf Achilleos zumachte, senkte sich ihre Stimme in der ohnehin gedämpften Lautstärke noch ein wenig mehr.
    "Ich werde das dumpfe Gefühl nicht los, dass du selbst überhaupt nicht weißt, was du eigentlich willst."

    Schön, das war dann wohl das Ende ihres Daseins. Ein erfülltes Leben sah vermutlich anders aus als das, was sie bislang in ihren Erinnerungen trug, doch selbst wenn sie inzwischen nur zu genau wusste, was für eine tödlich präzise Waffe seine Hand sein konnte, so teilte ihr doch bereits eine geringe Spur Realitätssinn mit, dass selbst eine kleine Armee bewaffneter Soldaten ihr Leben um höchstens zehn adrenalingepeitschte Herzschläge verlängert hätte. Wahrscheinlich hätte Achilleos ihre Wachen noch benutzt, um sie darunter zu begraben und langsam am Gewicht ersticken zu lassen. Ja, das würde zu ihm passen. Und während ihr langsam die Sinne schwanden, die schwarzen Schatten stetig mehr von ihrem Gesichtsfeld eroberten, würde dieser Mann seelenruhig noch irgendwelche Gesetze zitieren und ihr als Dreingabe damit den Weg in die Unterwelt erleuchten. Wenigstens hätte das Sterben dann noch irgendwie etwas Angenehmes, sie würde niemals mehr die wichtigtuerische Stimme dieses Fanatikers in ihrem Kopf hören müssen. Sofern Hades nicht den Tartarus für sie vorsah. Dies konnte in der Tat sehr übel enden.
    Natürlich war sie trotz ihres Wissens darüber, dass er sehr wahrscheinlich gerade eine provozierende Taktik durchführte, auf genau diese Taktik schmählich hereingefallen. Ihre Selbstbeherrschung schien von seinem Angriff relativ tödlich getroffen worden zu sein, ebenso wie ihr bislang eigentlich sehr gesunder Selbsterhaltungstrieb. Dabei hätte sie das doch eigentlich zurück in ihre braven, unterwürfigen Bahnen schubsen sollen. Wäre dieser Schlag stumm dahergekommen, wäre ihm dies sicherlich auch gelungen, doch sein Fanatismus hatte irgendwie eine Grenze in ihr gesprengt. Nicht etwa, dass alles in ihrem vorherigen Haushalt ihren inneren Werten entsprochen hätte oder ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit. Womöglich hatte sie jenen Gesellen auch schlicht einiges mehr durchgehen lassen, weil sie sich unfreiwillig an deren Art gewöhnt hatte.


    Glücklicherweise würde sie sich an Achilleos' Art sehr wahrscheinlich niemals gewöhnen. Nun, da sie ihrem schmerzhaften Tod entgegenblickte, erst recht nicht. Was hatte sie auch ihre Klappe nicht halten können? Zusätzlich zu diesen berechtigten Vorwürfen bemerkte Alsuna mit einem Gefühl der frustrierten Beschämung, dass sie trotz aller herbeigesehnter Abgebrühtheit zwar einen ihren Stand stabilisierenden Schritt zurückgemacht hatte, es dann mit ihrer Defensivhaltung jämmerlich bergab ging. Die Schultern hochziehen wie ein Kleinkind gehörte gewiss nicht zu diesem Plan, und auch das Schließen der Augen erhöhte für gewöhnlich nicht unbedingt die Wahrscheinlichkeit einer glücklichen Abwehr. Letztendlich war er eben doch ihr Herr, und wenn er handgreiflich wurde, hielt sie folgsam still. So wütend sie diese Barriere auch machte, so sehr sie sich verbal kurz vorher noch darüber hinweggesetzt hatte, als existiere sie gar nicht, nun war sie da und Alsuna gelang es nicht einmal, mit einer Fingerspitze darüber zu gelangen. Hervorragend, ein Ziel wie ein leuchtend rot angemaltes Scheuentor bot sie da gegenwärtig für jemanden mit seinen Fähigkeiten. Und dann...


    ... geschah nichts. Das war deutlich weniger als erwartet. Oder war sein Angriff dermaßen schnell erfolgt, dass sie nicht einmal den Luftzug der Bewegung oder eine Berührung gespürt hatte? Setzte der Schmerz womöglich erst später ein? Zögernd sog Alsuna die Luft etwas tiefer in ihre Lungen. Es funktionierte tadellos. Ihr Herz schlug auch noch, beinahe schmerzhaft panisch, aber eindeutig. Vorsichtig wagte Alsuna ein Blinzeln, nicht zuletzt, weil ihr fassungsloser Stolz ihr einen solchen Befehl ins Ohr schrie.
    Achilleos schien seltsam erstarrt. Das war gut.
    Und er nahm die bereits erhobene Hand herunter. Das war noch besser - auf den ersten Blick.
    Was dann folgte war - bedenklich. Erneut empfand es Alsuna als eher hinderlich, nicht seine komplette Mimik betrachten zu können, von der das wenige Licht ohnehin nicht allzu viel preisgab, doch andererseits mochte sie vielleicht dankbar sein. Dieses Vorbeten um seine Person besaß nichts wirklich Beruhigendes. Eher einen Grund um zügig Gute Nacht zu wünschen und rasch das Weite zu suchen. Sobald sie die eisige Starre abgeschüttelt hätte wäre dies auch eben jenes, was sie als Erstes in die Tat umsetzte.


    Nein, ach was, er war doch nicht größenwahnsinnig. Er besaß einen vollkommen gesunden, natürlichen Blickwinkel auf seine Person und seine Aufgaben in der Welt. Und, was war mit ihrem Hals? Blinzelnd und nicht wirklich beruhigt wartete Alsuna auf die aufklärende Fortsetzung dieses Satzes, welche leider - oder zum Glück? - nicht erfolgte. Ein halber, abgebrochener Satz? Das sah diesem Kerl gar nicht ähnlich. Bestimmt existierte auch irgendwo ein Gesetz dagegen, einen Satz unbeendet im Raum schweben zu lassen.
    Wie, sie wusste ganz genau, was er meinte? Nun erst recht irritiert weiteten sich Alsunas grüne Augen und starrten den 'Verteidiger von Recht und Ordnung' an - beziehungsweise das übliche kleine Stück an ihm vorbei. Was er ihr auch postwendend zum Vorwurf machte. Hallo? Langsam und dabei ihre leicht geduckte Haltung nun wieder aufrichtend sog Alsuna den Atem ein. Suchte dieser verfluchte Kerl da gerade fröhlich nach Anlässen, um sie weiter zu beschimpfen? Und dann spielte er auch noch den Ahnungslosen! Was bei den Furien hatte er da gerade vor?!
    "Ja, du bist hässlich. Du bist so hässlich, dass man dich zum Unkrautvernichten einsetzen könnte. Und nein, ich habe keine Ahnung, was du mir sagen willst. Ich trage meine Gedankenlesehaarnadel heute leider nicht." Trocken wie ägyptischer Wüstensand waren diese Worte über ihre Lippen gekommen, einmal mehr bevor sie darüber großartig nachgedacht hatte. Nun gut, das war.... gemein gewesen. Andererseits verspürte die Germanin wenig Lust, doch noch plötzlich und unvermutet von dem anscheinend schon geschlagenen Kriegerdämon die Strafe ihres Lebens verpasst zu bekommen, nur weil sie plötzlich von Barmherzigkeit gepackt wurde. Die er schließlich auch nie gezeigt hatte, so man seinen eigenen Worten Glauben schenken durfte. Was interessierte es ihn überhaupt plötzlich, ob er hässlich war?!
    "Ich könnte dich ja mal rasieren", ergänzte sie schließlich doch etwas widerwillig und weniger spitzzüngig. Gut, ein Freundschaftsangebot sah anders aus. Doch es sollte auch beileibe keines darstellen.

    "Ach, DU kannst MICH also nicht ausstehen?! Verzeihung, ich hoffe, die Berührung mit meinem Hals hat deiner Hand nicht irgendwelche bleibenden Schäden zugefügt!" Das war schlicht und ergreifend die Höhe, ihre Abscheu aufgrund der Misshandlung mit seinem beleidigten Stolz auf eine Stufe zu rücken und anzugleichen, als läge hier derselbe Fall in umgekehrter Reihenfolge vor. Und zumindest hatte sie anfänglich versucht, ihm bezüglich seiner Wünsche gefällig zu sein, er hingegen war von vornherein in sein absurdes Theaterspiel verfallen. Nur weil sie das irgendwie enttarnt hatte, war sie ihm nun also schrecklich zuwider? Das hatte er doch wohl eindeutig seinen eigenen verschlungenen Machenschaften zu verdanken!
    Inzwischen stellte es sich als deutlichen Nachteil heraus, so permanent den Blick seines Gegners zu meiden. Nicht nur wirkte sie dadurch unsicher, es gelang ihr zudem deutlich schlechter, seine Stimmung abzulesen. Andererseits war diesem Menschen der Umgang mit einer entstellenden, freundlichen Maske nur zu vertraut, wahrscheinlich sah er so unverschämt ruhig aus wie eh und je.
    Alsuna hingegen bemerkte zu ihrem größten Missfallen, dass sie sich augenblicklich ein wenig zu sehr in diesen Disput hineinzusteigern begann, vielleicht gerade weil sie seit Jahren auf eine passende Gelegenheit wartete, einer 'Herrschaftlichkeit' einmal ohne jedwede höfliche Zurückhaltung die Meinung ins Gesicht zu schreien. Zwar war sie trotz ihres steigenden Pulsschlages noch recht weit entfernt von Äußerungen, die den Titel 'Schreien' verdienten, doch die Anspannung umgab sie schon beinahe wie greifbare, aufgeladene Gewitterwolken. Da half auch nicht das Wissen um ihre natürliche, schmähliche Niederlage, mit der diese Auseinandersetzung zwangsläufig enden musste, und nach welcher ihr wahrscheinlich irgendein nicht unwichtiger Körperteil erhebliche Schmerzen bereitete, wenn sie denn noch imstande sein sollte, etwas zu fühlen.


    Wenigstens hielten seine Worte sie überaus erfolgreich davon ab, weder ihre Aufmerksamkeit noch ihre Gedanken auf den kümmerlich rauchenden Rest ihrer Freiheitsaussichten zu lenken. Ihre Augen weiteten sich sowohl verständnislos wie auch ungläubig angesichts der Absonderlichkeiten, welche ihr nicht minder zweifelndes Ohr da gerade zu hören glaubte. Weswegen fing er denn jetzt mit den Griechen an? Eine persönliche Beleidigung konnte damit kaum gemeint sein, selbst im Zwielicht sah man ihr die nordische Abstammung noch mehr als deutlich an. Und dass sie ihren ehemaligen Herrschaften kaum eine positive Empfindung entgegenbrachte, dürfte er inzwischen auch erfasst haben.
    Die Sklavin biss die Zähne ohnehin bereits fest aufeinander, um nicht kräftig seine Annahme bezüglich Dummheit zu bestätigen. Wahrscheinlich wollte er genau das erreichen, sie in ihrer offensichtlichen Impulsivität einen Fehler begehen lassen. Gewiss vermochte dieser Bastard jeden Gegner in Grund und Boden zu argumentieren, war ein gefeierter Redner und hatte sich unlängst die Zunge in Gold aufwiegen lassen. Natürlich, er basaß schließlich genug Selbstbewusstsein, denn jeden überlegeneren Rhetoriker konnte er mit einem kurzen Handstreich die Sprache rauben.


    "Es gibt da einen kleinen Unterschied zwischen 'dumm sein' und 'sich dumm verhalten'! Wenn du dumm wärst, hättest du dir dieses ganze Philosophiezeug bestimmt nicht merken können, zusätzlich zu den anderen dreitausend Gebieten, auf denen du unschlagbar glänzt! Und warum musst du bitte immer wie irgendwer werden? Oder gar ein ganzes Volk? Werd doch zur Abwechslung einfach mal du selbst, und wenn was allzu Enttäuschendes dabei rauskommt, kannst du dich immer noch umentscheiden! Schreib deine eigenen Zitate, kehr mal vor deiner eigenen Haustür! Und pack vor allem mal deinen Größenwahn ein, der beantragt ja schon bald sein Recht auf einen eigenen Staat! Als würdest du allein als Auserwählter alle Griechen auf den rechten Weg führen müssen! Oder können! Abgesehen davon können sie rein logisch betrachtet gar nicht die Größten sein, diesen Platz hast du dir doch schon längst unter den Nagel gerissen, oder?!"

    Zugegeben, es war kein schönes Gefühl, die Aussicht auf Freiheit, endlich zum Greifen nahe, dort ein Opfer von Flammen werden zu sehen, die sie gierig zerfrassen. Doch Achilleos‘ unmittelbare Anwesenheit zwangen Alsuna, sich nichts von der Verzweiflung, welche in ihr aufkeimen wollte, anmerken zu lassen. Ebenso ihre Sturheit. Sie hatte es schließlich so gewollt und es war auch richtig so. Es fühlte sich fürchterlich an, doch dies würde vorbeigehen. Und es war tatsächlich derart, wie sie gesagt hatte. Sie wollte ein so besonderes Geschenk wie ihre Freiheit nicht durch die Hände eines solchen Mannes erlangen. Ob sie sich nun wirklich davor fürchtete, ungeschützt und mittellos durch die Stadt zu stromern, brauchte an dieser Stelle gar nicht erst erörtert zu werden, da es zu so etwas schlicht nicht käme. Bei ihr mochte es sich nur um eine Sklavin handeln, doch wenigstens hatte sie sich einen Rest Stolz bewahrt. Und sie hatte bereits so lange in diesem Stand ausgeharrt, dass es auf ein wenig länger nun auch nicht mehr ankäme. Besser so, als in Freiheit zu leben und ausgerechnet dadurch immer mit einer gewissen tauben Dankbarkeit an denjenigen denken zu müssen, der ihr dieses Leben ermöglicht hatte. Unter solcherlei Umständen hätte sie am Ende eine positive Empfindung mit ihm verbinden müssen, zwangsläufig, und dies verdiente er einfach nicht.


    Es war richtig so. Alsuna hob herausfordernd ihr Kinn ein wenig an und änderte den Blick zumindest auf eine Höhe mit seinen Augen, wenn auch ein gutes Stück links von ihnen. So, er konnte also nicht dafür garantieren, sie nicht zu erschlagen? Großartig, ebenso erging es ihr mit ihm, nur dass sie zu deutlich weniger offensichtlichen Mitteln greifen würde. Außerdem war es gut um sein Wissen zu erfahren, dass sie ihn nicht mochte. Insofern war sie in jenem Punkt zumindest deutlich genug gewesen. Und sie war es gewohnt unter Herrschaften zu dienen, welche sie verabscheute. Nur hatte sie jene dies niemals so deutlich spüren lassen wie Achilleos, der allerdings auch keinen Hehl aus seinen verabscheuungswürdigen Taten gemacht hatte und eine solche Reaktion förmlich herauszufordern schien. Selbst Hermione und ihr Vater waren im Vergleich dazu sanfte Lämmer gewesen. Nun wieder in die ihr zustehende Rolle zurückzufallen wäre nicht nur äußerst schwierig, da sie wahrscheinlich eine unangenehme Neigung zu halb verborgenen Spitzen in ihren Kommentaren entwickeln würde. Außerdem sträubte sich ihr Inneres dagegen, nach so etwas wie einem moralischen Sieg nun wieder die dumme kleine Sklavin zu mimen.


    “Ganz recht, ich kann dich nicht ausstehen. Was hast du erwartet, nachdem du mich erst schlägst, so dass ich keine Luft mehr bekomme und du anschließend einen seltsamen Sinneswandel nach dem anderen durchläufst? Ich habe keine Ahnung, nach welchen Prinzipien du handelst, du kannst mir zu jeder Äußerung irgendein Zitat vor die Füße werfen von einem noch so tollen Kerl aus dem Osten, der einmal etwas Weises gesagt hat, was zur gegenwärtigen Situation zu passen scheint, aber was ist mit deiner eigenen Meinung? Hältst du dich für so einfältig, dass du dich permanent nach anderen richten musst, um ja nicht vom rechten Weg abzukommen, wie auch immer der aussehen soll? Ich bezweifle, dass auch nur einer deiner klugen Männer jemals in Alexandria war oder dein Leben geführt hat, insofern passt nichts von dem, was sie sagen, zu dem, was hier passiert. Da ist es doch vollkommen klar, dass du unsicher bist und nicht weißt, was du machen sollst. Deswegen verstehst du auch mein Handeln nicht, weil keine deiner Philosophien dazu passt und du vermutlich keinen Versuch unternimmst, es von einem anderen, abweichenden Standpunkt aus zu betrachten.“ Alsuna nahm einen tieferen Atemzug und schluckt den Hustenreiz herunter, welcher sich in ihrer wieder zunehmend brüchiger werdenden Stimme abzeichnete. Stattdessen räusperte sie sich nur leise. Und hinter vorgehaltener Hand, ehe sie ergänzte, wenn auch etwas widerstrebend:
    “Du hast doch einmal etwas von einem ehemaligen Schüler erwähnt. Kann der nicht auf deine Schule aufpassen bis du wieder hier bist?“

    Allem Anschein nach stellte ihre Antwort nicht ganz das dar, was dieser Mann erwartet hatte. Natürlich, was wäre logischer als die Annahme, dass eine Sklavin ihm auf Knien Dankbarkeit entgegenbringen würde, wenn er ihr doch das großmütige Geschenk der Freiheit offerierte? Es war so wundervoll einfach.
    “So, du verstehst meine Entscheidung also nicht? Und wie soll umgekehrt ich dir einen Rat bezüglich deiner eigenen Entscheidungsfindung geben können, wenn du bereits an einer solchen Kleinigkeit scheiterst? Wir sind viel zu verschieden, um uns auch nur annähernd in die Welt des anderen hineinversetzen zu können.“ Was sie nicht unerheblich freute. Sollte tatsächlich einmal der Tag kommen, an welchem sie die Denk- und Handelsweise Achilleos‘ verstand und nachzuvollziehen vermochte, wäre das wohl ihr persönlicher Tiefpunkt.


    Gebildet... ja sicher, kleine Kunststücke konnte sie vorführen, jedoch nichts, was tatsächlich die Bezeichnung ‚Bildung‘ rechtfertigte. Zudem hatte sie nicht vor, irgendetwas von diesen Errungenschaften, die sie gegen ihren Willen erlernen musste, für ihr ‚freies‘ Leben zur Verwendung zu bringen, einmal von den Grundkenntnissen wie Lesen und Schreiben abgesehen.
    “Ich brauche nicht noch einmal darüber nachzudenken. Jetzt, in diesem Rahmen, lehne ich ab. Und was ich will, werde ich dir nicht sagen, aus dem einfachen Grunde, weil du es mir ohnehin nicht zu geben vermagst.“

    Wollte er sie nun tatsächlich irgendwie... freilassen? Auf seltsame Art nicht unerheblich befriedigt nahm Alsunas Stolz zur Kenntnis, dass sie sich mitnichten freute bezüglich einer solchen Aussicht. Schließlich würde sie dem Kerl anschließend etwas wie Dankbarkeit entgegenbringen müssen – oder zumindest etwas in der Art. Aus eben diesem Grunde blieb ihre Miene verdunkelt während sie seine Handgriffe aus immer noch gebührender Entfernung beobachtete, trotz dessen sie ihm zögernd ein Stückweit gefolgt war. Das Ganze erschien ihr zunehmend wie ein absurdes Theaterstück, als bräuchte dieser Mann nun gewohnte Dinge und Tätigkeiten, um aus seiner zuvor noch so seltsamen Starre herausbrechen zu können. Was er da gerade tat, lag in seiner Absicht äonenweit entfernt von Freundlichkeiten oder Edelmut. Ganz gewiss stand er sich auch dabei selbst am Nächsten, sei es, um sich zu beruhigen, oder einfach nur eine Antwort auf seine Frage zu erhalten – was sie an seiner Stelle zu tun gedächte.


    Alsuna unterdrückte ein düsteres, freudloses Lachen. Es mochte verrückt erscheinen angesichts ihrer Lage und vor allem ihres brennenden Wunsches nach Freiheit, doch sie hatte nicht vor, es diesem Mann in irgendeiner noch so kleinen Weise irgendwie leichter zu machen.
    “Ich will es nicht.“ Der Satz war kurz genug, um das Brennen ihrer Kehle aus der Stimme weitestgehend fernzuhalten. Ihre Augen hefteten sich wie gewohnt etwa in der Höhe seiner Wangenknochen fest, ohne sich ihm oder dem Schriftstück auch nur einen Schritt weiter zu nähern.
    “Was immer du dort auch geschrieben haben magst läuft am Ende doch nur darauf hinaus, dass du deinen Willen bekommst. Ich erhalte meine Freiheit, damit du aus deiner Apathie entkommen kannst.“

    Immerhin fiel nun diese unerträgliche Starre von ihm ab, und, ein noch viel größeres Wunder, er ging nicht in einer direkten, fließenden Bewegung zu ihrer Bestrafung über. Schließlich befand sich Alsuna nach wie vor in seinem Besitz, auch wenn er ihr vermutlich aus einer puren Laune heraus die Freiheit in Aussicht gestellt hatte. Doch an dieses Panorama glaubte die Germanin erst, wenn der Zeitpunkt wirklich gekommen wäre. Auf Spielchen in einem solchen Ausmaß verspürte sie nicht mehr die geringste Lust. Am Ende würde sie doch höchstens wieder verkauft, an den nächsten Verrückten, wie es sie zu Hunderttausenden in dieser verfluchten Stadt gab.
    Auch gänzlich ohne das Handzeichen hätte Alsuna aus reinem Instinkt heraus wohl erst einmal nichts weiter zu bemerken gewusst. Wenn er selbst auf diese gewaltige Spitze nicht reagiert hätte... nun gut, auf ihrer Zunge formten sich die Beleidigungen meist flinker, als es ihr Verstand für realisierbar erachtet hätte. Womöglich war es wirklich nicht unklug von ihm gewesen, ein Zeichen zu setzen dafür, dass es nun erst einmal genug des Stichelns war.


    Auch das wiederholte Durchatmen entging Alsuna nicht, schließlich konnte sie ihn nun, da er ihr den Rücken zuwandte, unverhohlen beobachten. Das änderte sich selbstverständlich, als er sich schließlich doch umdrehte und in erstaunlich gefasstem Tonfall antwortete. Seine Sklavin indes brauchte bis zu ihrer Erwiderung kaum einen Herzschlag verstreichen zu lassen.
    “Ich bin nicht frei.“ Und sie hatte auch beileibe nicht vor, sich diesen Zustand wie ein kleines Kind mit bunten Farben auszumalen. In dieser Hinsicht verstand sie wirklich keinen Spaß, obgleich sie über wesentlich ernstere Themen durchaus immer einen zynischen Witz mit sich herumtragen konnte.
    In einer möglicherweise zu gelassen wirkenden Intention verschränkte sie langsam die Arme vor der Brust zum Zeichen, dass sie diesbezüglich auch keinesfalls zu diskutieren gedachte. Ernsthaft, als ob sie jemandem wie ihm einen netten Ratschlag geben könnte! Seine Welt war doch derart zugeschüttet mit Regeln und Pflichten und Zitaten, dass sie wahrscheinlich nicht zu sagen gewusst hätte, wo sie mit dem Aufräumen anfangen sollte.

    Nicht gänzlich grundlos fühlte sich Alsuna ob der undurchsichtigen Reaktion ihres Herrn eher unwohl, wenngleich sie dies niemals in einem solchen Umfang eingestanden hätte. Natürlich war ihr nur zu bewusst, dass sie sich auch diesmal ungesund weit vorgewagt hatte, was ihre Kommentare und Äußerungen anbelangte, aus diesem Grunde drückte ihre Körperhaltung auch nach wie vor reinste Anspannung aus. In seiner Reaktion, die eigentlich gar nicht erfolgte, sah sie auch mitnichten einen Anlass zur Gelassenheit. Vermutlich lag sie nicht völlig daneben wenn sie damit rechnete, dass sein Zorn gerade die Grenze allen Irdischen passierte und sie im nächsten Augenblick kalten Stahl auf sich zurasen sähe. Dies wäre dann wahrscheinlich auch das letzte Bild, welches ihre Iris aufnehmen könnte, bevor die Schwärze des Todes sie verschluckte.
    Und dies natürlich ganz kurz vor der so lange ersehnten Freiheit? Ironie? Nein, nur ihre Unfähigkeit zu erkennen, wann die Grenze des Erträglichen bei ihrem Jinshi überschritten war. Zu ihrer Verteidigung musste sie jedoch leicht trotzig hinzufügen, dass Achilleos‘ Grenzen mitunter in Nebel und Staub nicht leicht zu erkennen waren.


    Insofern hätte es jedoch durchaus irgendwo ihr widerwilliges Verständnis gefunden, hätte dieser Mann ihrer beider Arbeitsverhältnis nun endgültig ‚getrennt‘. Aber er tat es nicht. Und er ging auch nicht unbeeindruckt weiter. Oder zitierte irgendeinen Sun Kim Ding. Nein, er tat oder sagte beunruhigenderweise rein gar nichts. Alsuna bezweifelte, dass dies ein gutes Zeichen sein mochte, für was auch immer. Vielleicht tat er dies auch des Öfteren und sie kannte ihn lediglich nicht lange genug, um diese unangenehme Situation angemessen einschätzen zu können. Eine plötzlich über ihn hereinbrechende Erleuchtung oder so. Allerdings schätzte sie die Gewalt ihrer sarkastischen Worte beileibe nicht für derart gewaltig ein. Vermutlich war es doch nur irgendeine Taktik, um sie in Sicherheit zu wiegen, den Wind und die Umgebungseinflüsse und sonstige Dinge zu berechnen und danach sein Schwert einfach in ihre Richtung zu schleudern, um sie gleich einer Fliege gegen die Tür ihrer Unterkunft zu zimmern. Das wäre kein schneller, gnadenvoller Tod, oh nein, das würde richtig fies werden.


    Womöglich sollte sie sich in ihre Räumlichkeit zurückziehen. Oder einfach so schnell wie möglich davonlaufen. Ja, laufen klang recht vernünftig. Andererseits... wovor sollte sie da gerade davonrennen? Vor einem Mann, der ihr den Rücken zuwandte? Gut, sie hatte am eigenen Leib gespürt, zu was der Kerl fähig war, oder besser noch, sie verspürte es auch gegenwärtig noch in ihrer Kehle. Doch sie war nicht feige. Und sie würde ihm vor allem nicht eine solche Genugtuung gönnen, sie ohne irgendeine Bewegung oder ein Wort in die Flucht schlagen zu können. Er sollte sich gefälligst wenigstens ein wenig die Hände schmutzig machen, wenn er sie schon loszuwerden gedachte.
    “Ach, mach dir keine Sorgen um die paar Gören. Ich bin sicher, sie verstehen deine Beweggründe, wenn du es ihnen ordentlich erklärst. Du musst schließlich auch einmal an dich denken, da du doch schon die ganze Zeit über ausschließlich deren Wohl im Sinn hattest.“ So, dies sollte nun wirklich genügen. Das war schon kein sachtes Anstupsen mehr, sondern vielmehr ein harter Stoß zwischen die Rippen.