Beiträge von Alsuna

    Schreien war nicht gut. Schreien war im Gegenteil ganz, ganz schlecht. Dummerweise war Alsunas Wut dies momentan fürchterlich einerlei. Seit sie jene bislang gut unter Verschluss gehaltene Emotion so großzügig von der Leine gelassen hatte, schien diese ganz dicht unter der Oberfläche vor sich hin zu schwelen, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Nächstgreifbare darstellen zu können. Ganz gleich, wie viele Kraftreserven dies auch einforderte oder ob nach der Eruption noch ausreichend Energie für Dinge wie das Atmen vorhanden war.
    Langsam aber sicher entwickelte es sich sogar so weit, dass die Germanin ihre Wut als die sicherste Option im Umgang mich Achilleos ansah, denn schließlich sollte ihr Verhältnis zueinander möglichst von Hass und Verachtung geprägt sein, und was schürte diesen Wunsch mehr als Beleidigungen und Anfeindungen? Insofern war ihre Wahl durchaus gut und richtig. Nicht gerade wohl durchdacht und in der Anwendung eher impulsiv, aber doch gewinnorientiert.
    Und wie es schien hatte ihre gar nicht mehr so geheime Geheimwaffe auch diesmal wieder tadellos funktioniert. Gut, ausgezeichnet, obgleich sein Gebrüll nicht weniger qualvoll in ihrem Kopf nachhallte denn ihr eigenes vordem. Doch damit konnte sie problemlos umgehen. Zumindest um einiges besser als mit 'Soll ich dir eine Decke holen?'. Wie albern war das denn mal?


    Achso, eine Dankesbezeugung! Na aber sicher. Sie benötigte auch immer mehrere Stunden, um sich zu bedanken, das war ja vollkommen normal. So normal wie alles andere an diesem Irren, der offenbar an arger Launenhaftigkeit litt. Und sie war also die hysterische Tussi? Wer zickte denn hier gerade so lautstark herum? Wäre er eine Frau, hätte sie darauf gewettet, dass ihr Gegenüber sich gerade in einer kritischen Zyklusphase befände.
    Flüchtig folgte ihr eisiger Blick dem Flug des Kissens, allerdings nur soweit wie möglich, ohne dass sie zusätzlich den Kopf drehen musste, in welchem es stetig arger zu hämmern begonnen hatte. Doch davon würde sie sich nichts mehr anmerken lassen. Keine Schwächen mehr in seiner Anwesenheit. Immerhin gebrauchte er bei dieser eher sinnfreien Aktion seinen rechten Arm. Insofern verhielt sich die Heilerin in ihr noch ruhig und friedlich.
    Dann sah sie die schicksalsschwere Bewegung kommen, allerdings erfolgte diese viel zu schnell, als dass Alsuna mehr hätte tun können, als Atem zu holen um eine Warnung zu rufen, welche ohnehin viel zu spät gekommen wäre. Beim Aufprall seiner Faust auf den Boden glaubte die Germanin förmlich ein Knirschen zu hören, was sie sich vermutlich nur einbildete, nichtsdestotrotz zuckte sie zusammen und schmälerte die Augen, als spürte sie jenen, nun garantiert über Achilleos hereinbrechenden Schmerz am eigenen Leib. Aber gut, ganz so uneigennützig war ihre Empfindung dann doch nicht, ein gewisser, düsterer Teil ihrer Seele erfreute sich diebisch an dieser Wende, ganz gleich, ob sie dafür letzten Endes würde büßen müssen. Immerhin hätte sie sich nach ihrer Provokation auch locker in der Rolle des Bodens wiederfinden können.


    Dann wurde er richtig laut und unbeherrscht, Beweis dafür, dass die Schmerzen wirklich heftig sein mussten. Verspürte sie deswegen ein schlechtes Gewissen? Nein, sie vermochte sich nicht zu erinnern, ihn dazu gezwungen zu haben, ausgerechnet mit diesem Arm seinen Frust der Umgebung mitzuteilen. Weswegen war er denn überhaupt dermaßen aus der Haut gefahren? Sie war frech geworden, gut, aber warum ließ er das überhaupt so nahe an sich heran? Konnte ihm doch mal fröhlich gleich sein, was seine dumme kleine Sklavin da in die Gegend blökte.
    Doch Alsunas ohnehin trägen Gedanken blieb nicht viel Zeit zur Entfaltung. Er schickte sie nicht einfach nur weg, nein, er schrie sie geradezu in ihre Räumlichkeit zurück. Und dann verschwand er selbst. Die Sklavin sah ihm nach, die Augenbrauen leicht in die Höhe gezogen. Wollte er nun heldenhaft seinen Schmerz verbergen? Dafür hatte er zuvor doch ein wenig zu freimütig seinen Gefühlen Ausdruck verliehen. Und allein die Haltung seines Armes sagte mehr aus, als alle Versuche, dem entgegenzuwirken.
    Alsuna seufzte tief in die Nacht hinaus und schloss die Augen, während sie sich bewusst machte, was eine solche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes nun auch für sie hieße. Ganz besonders nach diesem Aufeinanderprallen. Womöglich war sie auch nicht gaaanz frei von Schuld. Aber er sollte bloß nicht glauben, dass er ihr vorzugeben hatte, wie sie fühlte und dass sie seine Andeutungen genauso und völlig richtig interpretierte, wie er sie denn irgendwie auf verschlungenen Pfaden beabsichtigt hatte. Sie war kein verfluchtes Orakel.


    Langsam und mithilfe der Wand als Stütze richtete sich Alsuna schließlich wieder auf und wagte einige vorsichtige Schritte in den Hof hinein. Immerhin, sie fiel nicht gleich um. Erst, als sie sich nach dem Kissen zu bücken versuchte, kam sie sehr rasch auf die Idee, doch besser direkt auf die Knie zu fallen, damit der unerzogen schwankende Boden auch wirklich dort bliebe, wo er hingehörte. Behutsam strichen ihre Fingerspitzen über den edlen Stoff und reinigten ihn notdürftig vom Staub des Hofes, ehe sie sich nach einem tiefen Atemzug erneut hochstemmte. Unschlüssig wanderte ihr Augenmerk erneut auf Achilleos, der sich nach wie vor an der interessanten Oberflächenstruktur seiner Mauern erfreute. Wenn sie jetzt sanft und freundlich zu ihm wäre, gestand sie damit nur indirekt ihre Schuldgefühle ein. Die ohnehin nicht vorhanden waren. Und er hatte ihr einen deutlichen Befehl erteilt. Der sichere Weg zurück in ihre Unterkunft stand weit und einladend offen. Womöglich verärgerte sie ihn nur noch mehr, wenn sie sich ihm erneut widersetzte. Andererseits, war Ärger nicht eigentlich das, was sie wollte?


    "Jinshi? Du musst gleich heute früh zu einem richtigen medicus, damit er sich den Arm anschaut. Vielleicht ist es gut so, ansonsten wärest du wahrscheinlich niemals dorthin gegangen, oder?" Vordergründig hätte sie seine Schmerzen vielleicht etwas lindern können, doch die Gefahr einer ernsthaften Verletzung wäre nicht gebannt gewesen.
    "Besser auf diese Art, als innerhalb eines Kampfes auf Leben und Tod, nicht wahr?" Zaghaft machte Alsuna ein, zwei Schritte in seine Richtung und auch ihre leise Stimme drückte eine gewisse Vorsicht aus. Hoffentlich hatte sie es nicht ungesund übertrieben. Sie drückte das Kissen eine Spur fester an ihren Oberkörper und wagte sich noch ein wenig näher an den Verletzten heran.
    "Sieh' es als eine Herausforderung. Verletzungen härten ab, glaub mir. Danach wirst du nur noch stärker sein. Ich werde dir eine provisorische Schiene für den Rest der Nacht anlegen, deine Umschläge erneuern und du versuchst noch ein wenig zu schlafen, ja?" Mit einem hoffnungsvollen, aber nichtsdestotrotz auch unsicheren Lächeln blieb Alsuna schließlich hinter ihm stehen und gab sich der Erwartung hin, auf wenigstens eine ihrer Nachfragen eine positive Resonanz zu erhalten.

    Verdammt, einen Moment nur war sie unaufmerksam gewesen. Warum hatte sie sich auch gleich an dieser Stelle fallen gelassen, wo er förmlich über sie stolpern musste? Natürlich würde er kein Auge zutun unter diesen Bedingungen, ohne Rüstung, mit den Verbänden! Vermutlich schlief er selbst im für ihn optimalen Zustand noch fürchterlich schlecht. Das alles hätte ihr im Vorhinein bewusst sein müssen. Sie hätte sich zu ihrem eigenen Lager bequemen sollen, dort hätte sie auf jeden Fall erholsamer ruhen können als hier, auf dem nackten Boden, und die Pflicht hätte sie trotz dessen frühzeitig wieder aufgescheucht. Bis dort hinein hätte sich Achilleos ganz gewiss nicht getraut. Aber nein, sie musste ja die selten dämliche 'Heldin' spielen, die sich aufopferungsvoll und mitleidheischend auf den harten Boden warf, quasi wie ein folgsames Hündchen zu Füßen ihres Herrn zusammenrollte, um jederzeit hinspringen zu können, wenn er sie und ihre Dienste bräuchte. Kurz gesagt, es war genauso wie bei Hermione, nur dass ihr dort zumindest in angemessener Nähe ein Bett zugestanden hatte, natürlich ganz in der Nähe ihrer Herrin. Allzu viele Nächte hatte sie in ihren Diensten nicht auf hartem Holz verbringen müssen. Nicht unter einem Befehl und ganz gewiss nicht aus freien Stücken.


    Nun gut, sie war erschöpft gewesen. Eigentlich war sie es immer noch, gemessen an jedem scharfen, gehetzten Atemzug, der ihre Kehle passierte. Und sie hatte selige Dankbarkeit verspürt, als sie sich endlich hatte entspannen können, ganz gleich wo und wie und in welchem Zustand.
    Trotzdem... jetzt war ihr dieser Zustand ganz gewiss nicht mehr einerlei. So hatte sie von Achilleos mit Sicherheit nicht gesehen werden wollen. Besonders nicht nach seiner kalten, ihre Mühen so geringschätzenden Art kurz zuvor. Hart biss sie die Zähne aufeinander und spürte, wie sich aus Beschämung und Unsicherheit zunehmend Wut herauskristallisierte, vornehmlich auf sich selbst, doch dies ließe sich ändern. Natürlich trug sie Schuld, sie hatte sich schließlich so richtig dumm, lächerlich und peinlich verhalten und womöglich nur einmal mehr den gerechten Lohn dafür kassiert. Ihre glänzenden Augen begannen sich zu verengen, während sie weiterhin den starren Blick zu Boden hielt und der heißer Atem ihre Arme erwärmte. Ob sie fror? Ob er ihr eine Decke holen sollte? Gleichzeitig spürte sie den unstillbaren Drang zu lachen und entnervt aufzustöhnen. Großartig war ihr dies gelungen, hervorragend. Genauso wollte sie von Achilleos gesehen werden, als kleines zitterndes Nervenbündel. Ja! Mehr davon!


    "Aachiiilleeeoos..." Seltsam langgezogen presste sie seinen Namen hervor, ihre Kiefer dafür nicht einmal auseinandernehmend. Noch nicht. Immerhin war sie so freundlich und entsandte im Voraus eine Warnung. Doch da sie bereits so wütend war und die Gründe jener Wut in erster Linie ihm zuzuschieben gedachte, hielt sie sich nicht mehr lange an diesem Punkt auf. Ihr Blick strich langsam, gleich einer sich anpirschenden Raubkatze, an ihm empor und verharrte in der üblichen Position an seinen Wangenknochen. Die Knöchel ihrer Hände traten inzwischen weiß hervor, so stark umschloss sie ihre immer noch zitternden Arme.
    "Was machst du eigentlich hier?! Kriegst du es nicht fertig, eine Stunde lang ruhig liegen zu bleiben und zu schlafen?! Du bist ja schlimmer als ein kleines Kind! Stattdessen schleichst du dich an und erschreckst erschöpfte, schlafende Frauen fast zu Tode! Was hast du dir dabei gedacht?! Duuuu... Perversling!!"
    Mit einer schnellen Bewegung packte Alsuna das Samtkissen, schlicht weil es sich dabei um den nächsten, greifbaren Gegenstand handelte. Unter anderen Umständen und im Angesicht einer größeren Auswahl hätte sie mit Sicherheit zu etwas weniger Flauschigem gegriffen. Nichtsdestotrotz schleuderte sie ihre Wahnsinnswaffe nun mit Schwung in Richtung seines Kopfes, präziser auf seine Augen zielend, in welche sie um ein Haar geblickt hatte. Bedauerlicherweise würde der Samt dort wohl kaum bleibenden Schaden hinterlassen.

    Langsam und nur äußert zähflüssig begannen sich die wie verlorene Federn durch die Luft wirbelnden Erinnerungsfetzen zu senken und miteinander zu verbinden, formten erst Bilder, und schließlich sogar etwas wie eine brauchbare Zeitlinie. Sogar jene obskuren Ausschnitte, welche gänzlich ohne Sinn hätten bleiben müssen, fanden ihren Platz darin, so verwirrend und verrückt jener auch sein mochte. Diese Umgebung... Rhakotis... und dieser Dämon, der nichts anderes war, als ihr neuer Herr. Unnötig zu behaupten, dass Alsuna in dieser Offenbarung nicht die geringste Beruhigung fand.
    Sie war eingeschlafen vor seinem Zimmer, später hatte sie seine Verbände noch wechseln wollen... Anscheinend war er ihr zuvor gekommen und herausgekommen um... ja, um was eigentlich zu tun. Angesichts der miserablen Lichtverhältnisse hier musste draußen auch weiterhin noch tiefste Nacht herrschen. Das trüb-klebrige Gefühl trügte sie nicht, sie konnte kaum eine Stunde geschlafen haben.
    Immer noch starrte sie vollkommen bewegungslos und nur ab und an leise keuchend zu ihm empor, ehe sie mit einem hastigen Ruck den Kopf senkte und die Arme schützend vor der Brust verschränkte, die Hände fest um die eigenen Oberarme gelegt. Beinahe hätte sie ihm tatsächlich in die Augen gesehen. Lediglich ihr getrübter Blick und das Schattenspiel in seinen Zügen hatten das Schlimmste verhindert. Ihr ohnehin hektisch pochender Herzschlag beschleunigte sich noch einmal quälend und kurz schien es ihr, als würde sie gerade einen mächtig tiefen, gähnenden Abgrund hinabfallen. Ihr Griff um die Arme festigte sich zitternd, musste eigentlich schon fast schmerzhaft sein, dennoch lockerte sie ihn nicht. Das Zittern ihres Körpers schien nicht schwächer zu werden, im Gegenteil, ihre nackten Schultern begannen in unregelmäßigen Abständen zu erbeben und die drückende Stille, welche von ihr ausging, bekam etwas Beängstigendes.

    Ebenso plötzlich und bar eines Hauchs von Vorwarnung schien die alles umfassende Finsternis sie wieder freizugeben, ohne, dass Alsuna auch nur die Gelegenheit bekam, sich an deren schwarze Essenz zu klammern und zu flehen, sie nicht erneut in diese unwirtliche, schmerzvolle Welt dort draußen zu stoßen. Zudem durchdrang sie die Befürchtung wie ein Peitschenschlag, dass sie zu einem Zeitpunkt und an einem Ort eingeschlafen war, an dem ihr ein kleines Nickerchen bei höchster Strafe verboten war.
    Ihr Erwachen folgte schlagartig und mit einem derart tiefgehenden Schrecken gepaart, dass ihr bislang ruhig schlagendes Herz nun losjagte wie von einem Dämon verfolgt. Ein hastiges Muskelzucken durchlief ihren Körper und während sie bereits die Augen aufriss musste sie nach Luft schnappen wie eine Ertrinkende, welche es noch ein letztes Mal vor dem endgültigen Versinken an die Wasseroberfläche schaffte. Würde es ihre Lungen gegenwärtig nicht in erster Linie nach Atem verlangen, so hätte Alsuna vermutlich schon in diesem Moment zu einer Entschuldigung angesetzt.
    Dann zuckte ihr Blick orientierungslos über ihre Umgebung, während ihr Verstand scheinbar erst ebenfalls noch erwachen musste, um ihr brauchbare Informationen zu liefern, nach welchen sie gerade heftigst verlangte. Instinktiv fuhr sie von der neben ihr aufragenden Schattengestalt zurück, was mit zitternden, teilweise ihren Dienst versagenden Armen und Knien nicht sonderlich erfolgreich war, abgesehen davon, dass man als Beobachter die ursprüngliche Absicht noch halbwegs zu deuten vermochte.


    Wo war sie? Rhakotis kam ihr in den Sinn, obgleich ihr Gedächtnis zunächst nur aufgeschreckt wie ein Schwarm Gänse Erinnerungsbruchstücke durch die Gegend warf, welche kein logisches Ganzes ergaben. Sie musste mitten in den Straßen Rhakotis' eingeschlafen sein - nur was bei den Feuern des Tartaros trieb sie in Rhakotis mitten in der Nacht?! Hermione hasste diese Gegend und würde aufgrund der bevorzugten Sauberkeit in ihrer Umfeld gewiss nicht ihre Leibsklavin dorthin schicken. Aber dies hier war doch keine Straße! Mit zunehmender Panik jagte Alsunas Blick weiter über ihre unmittelbare Umgebung, vermochte darin jedoch nicht die kleinste bekannte Ecke zu finden. Laut und drohend dröhnte ihr eigener Herzschlag in ihren Ohren, während sie mit nackter, heller Panik in den jadegrünen Augen schließlich zu dem ihr unglaublich riesig erscheinenden Unterweltwesen fand und dort bewegungslos verharrte. Das Ding musste sie mit irgendetwas auf den Kopf geschlagen haben angesichts der fürchterlichen Schmerzen, welche sie verspürte. Die Germanin unterdrückte jeden Laut, der ihre Kehle bereits emporsteigen wollte und hob schützend eine Hand zwischen sich und das Ungeheuer.

    Zitat

    Original von Alaina


    Leid und Schmerz? So wie sie dies sagte war man glatt versucht anzunehmen, dass darin etwas allzu Negatives läge. Eigentlich kam es doch lediglich darauf an, dass den richtigen Personen diese beiden Emotionen zugeführt wurden, nämlich jenen, die aufgrund ihrer Taten auch nichts anderes verdienten. Und das waren eine ganze Menge. Würde auf einmal überall nur noch Frieden und Fröhlichkeit herrschen, empfände Alsuna persönlich dies als himmelschreiende Ungerechtigkeit. Alles vergeben, vergessen und verzeihen? Allein ihre Rachegelüste hatten sie die ganzen letzten Jahre durchhalten lassen und sie war höchst geizig was den Verlust auch nur einer dieser finster kichernden Dämonen anbelangte. Pazifismus konnte sie sich nicht leisten. Ohja, der Gedanke an Krieg war auch ihr eine Mahnung, jene nämlich, nichts, auch nicht die kleinste Demütigung zu vergessen und den geeigneten Zeitpunkt abzuwarten, um hundertfach gesteigert zurückzuschlagen.
    Was die Gerichtsbarkeit anschließend mit ihr anstellte war ihr dann auch völlig einerlei. Abgesehen von ihren Rachedämonen besaß sie keine Zukunftspläne, nichts, nach dem sie strebte oder was sie einmal erreichen wollte. Eine solche konstruktive Denkweise hatte man ihr frühzeitig ausgetrieben und mit irgendetwas musste sie diese Lücke schließlich auffüllen.


    Da ihre Augen weiterhin entweder auf dem Schiff, der Menge oder dem Himmelszelt ruhten, fiel es derzeit noch nicht gar so drastisch auf, dass sie Alainas Blick ebenso absichtlich unerwidert ließ denn die aller anderen. Dafür bemerkte sie den leisen Seufzer trotz des Stimmengewirrs um sie herum nur zu genau. Diese Thematik schien die Keltin in wirklich tiefe Gefühle zu stürzen. Seltsamerweise waren diese offenbar eher trauriger Natur. Und auch die gegebene Antwort ‚weder noch‘ war für Alsuna nicht nachvollziehbar. War sie wirklich Keltin sollte sie sich doch naturgemäß gegen alles Römische aussprechen. Andererseits hatte sie die Soldaten auch zuvor bereits objektiv verteidigt, indem sie betonte, dass jene nur ihren gewohnten Arbeiten nachgegangen waren.
    „Da ich Sklavin bin, stehe ich in erster Linie auf meiner eigenen Seite. Irgendjemand muss es ja tun.“ Die Germanin zuckte knapp und desinteressiert anmutend mit den Schultern.
    „Wer da vorne nun wen und weswegen umbringt ist mir vollkommen einerlei. Davon abhalten kann sie niemand und ich bin gewiss nicht willens, mir unsinnigerweise den Kopf darüber zu zerbrechen. Mich betrifft das nicht.“ So ganz stimmte dies zwar nicht, doch brächte es wohl niemandem etwas, wenn sie dieser Fremden nun ihre Motive und Absichten in Haarspaltereien zerlegte.
    „Ich heiße Alsuna. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Alaina.“

    Gewöhnlicherweise hätte Alsuna auf seine Atmung geachtet, und auch nun versuchte sie so gut wie möglich, jenen charakteristischen Geräuschen zu lauschen, doch ihre Sinne waren inzwischen derart überschattet von dem dröhnenden Kopfschmerz, dass sie sich nie wirklich sicher sein konnte, ob das, was sie dort vernahm, nicht irgendwie von ihr selbst stammte. Näher heran wagte sie sich ebenfalls nicht. Ihre Vorgehensweise, so gut sie auch gemeint war, würde seinen ohnehin scheuen Schlaf nur noch weiter fortjagen. Und ganz offensichtlich zürnte er ihr bereits deswegen, zumindest hatte er ihren Nachtgruß unerwidert gelassen. Ziemlich unhöflich für jemanden auf der verzweifelten Suche nach Harmonie.
    Doch sie hatte wenigstens höchst erfolgreich dafür sorgen können, dass er die Augen schloss. Gewöhnlich vermied sie es tunlichst, irgendwelche Wasser- oder Öltropfen von der Körperpflege oder dergleichen in Augenkontakt treten zu lassen, doch im vorliegenden Fall war diese geheime Taktik schlicht zu verlockend gewesen, um sie nicht anzuwenden. Er hatte sich auch weder gewehrt, noch ein tadelndes Wort darüber verlauten lassen.
    Er hatte einfach rein gar nichts gesagt.
    Und dies verwirrte sie auf sehr ungesunde Art und Weise.


    Im Grunde durfte es ihr fürchterlich einerlei sein. Sie selbst hatte gefordert derartig dämliche, geheuchelte Höflichkeiten bleiben zu lassen. An jenem zurückliegenden Zeitpunkt allerdings hatte ihr auch noch erheblich mehr Kraft und damit Energie und wohl auch Wut zur Verfügung gestanden. Nun fühlte sie sich wie ein Krebs, welchem man gnadenlos den Panzer geknackt und das weiche Fleisch freigelegt hatte, allem ausgeliefert, was sich daran gütlich tun wollte. Trotz der Probleme und Konflikte war sie so unglaublich nett zu ihm gewesen, obwohl er bei allen Furien nun wirklich anderes verdient hätte. Und was tat er? Gar nichts. Rummosern oder einfach nur da liegen und schweigen. Diese verfluchte, egomanische Ratte! War er nicht einmal imstande, ihr in einer solchen Situation eine gute Nacht zu wünschen?!
    Sie hätte es besser wissen sollen. Der Kerl war einfach zu verdreht und krank und geschädigt, keinesfalls eine Neuentdeckung. Man durfte rein gar nichts von ihm erwarten, erst recht nichts Positives. Verschwendete Zeit, etwas zu versuchen, ihn irgendwie zu beeinflussen. Zumal sie augenblicklich selbst nicht zu sagen wusste, in welche Richtung dieser Einfluss überhaupt gehen sollte. Er sollte sie hassen und das tat er offenbar. Also war doch alles in bester Ordnung. Augenblicklich machten die Schmerzen sie etwas dünnhäutig und weinerlich, doch dies ginge vorbei. Am Morgen wäre alles so wie früher. Dann würde sie keinen Dank mehr wollen für die Wahnsinnstortur, die sie auf sich genommen hatte, nur aufgrund seines blöden Armes, in dessen Knochen sich vermutlich ein Riss befand. Es wäre ihr vollkommen gleich, was er wann aussprach oder verschwieg.


    Wütend über sich selbst und mit einer ebenso gereizten Geste fuhr Alsuna sich mit dem Handrücken über die Wangen, sog die Luft ein und schloss demonstrativ die Augen. Wenigstens ein klein wenig dösen musste sie. Langsam ließ sie sich seitlich auf den Boden sinken und seufzte stumm bei der Wohltat, ihren Kopf auf etwas betten zu können, und sei es nur hartes Holz. Vorsichtig zog sie die Beine an und schob eine Hand unter ihre schmerzende Schläfe. Die Erschöpfung ließ den Schlaf gleich einer schwarzen Bestie über sie herfallen und ersparte ihr zumindest die Energieverschwendung sinnloser Träume.

    Beinahe hätte Alsuna damit gerechnet, bei dieser Aufforderung erneut auf irgendwelche sinnlosen Widerstände zu stoßen, welche es nötig gemacht hätten, erneut Körpereinsatz zu betreiben. Jener hätte dann wahrscheinlich so ausgesehen, dass sie sich einfach gegen Achilleos hätte fallen lassen, unkoordiniert und sich einzig auf ihren Schwung und ihr Gewicht verlassend, welche ihn im besten Falle gemeinsam in eine angemessene Position gerückt hätten. Im schlechtesten Falle wäre er schlicht ausgewichen und sie hätte sich der Länge nach hingelegt, ohne die Kraft zu besitzen, so bald wieder alleine hoch zu kommen. Insofern war es schon als ein enormer Vorteil zu bezeichnen, dass ihr Patient die gewünschte Lage von sich aus einnahm. Und dass er sich ebenso selbständig zudeckte. Was das Schwert auf seinem Bauch allerdings dort bewirken sollte, entzog sich gänzlich Alsunas derzeit ohnehin sehr eingeschränktem Verstand. Warum legte er es nicht neben sich? Dies konnte doch gar nicht in irgendeiner Weise bequem sein.
    Doch andererseits hatte er ja selbst erwähnt, in der letzten Zeit kaum Schlaf gefunden zu haben. Dies würde sich heute ganz gewiss nicht ändern, ohne Rüstung, mit zwei Verbänden und mit ihr. Denn sie würde in regelmäßigen Abständen die Verbände wechseln müssen, damit sie kühl blieben und ihre volle Wirkung entfalten konnten. Gerade zu Beginn der Behandlung, wenn die Pflanzenwirkstoffe noch alle Kraft besaßen, war dies eine äußerst wichtige Maßnahme zur Genesung.


    Vermutlich würde er hellauf begeistert sein, wenn er ihrer Absicht gewahr wurde. Schon jetzt knurrte er wie ein Kind, das seine Medizin nicht schlucken wollte.
    Endlich hatte Alsuna ein sorgfältig zusammengefaltetes, kühlnasses Leinentuch auch auf seine Stirn platziert und leicht festgedrückt. Alleine der Anblick einer solchen Behandlung weckte das Verlangen in ihr, bei sich selbst das Gleiche durchzuführen, sobald sich die Gelegenheit böte. Was hoffentlich in naher Zukunft sein würde. Das Herabblicken auf seinen Kopf war nicht ganz förderlich gewesen, doch ihre Sinne beruhigten sich nach mehrmaligem, längerem Verschließen der Augen wieder.
    "Gute Nacht, Jinshi. Hab eine angenehme Nachtruhe. Möge Morpheus sich deiner annehmen und dir nur die schönsten Träume schenken."
    Diese von ihm so gewünschte Anrede war dazu gedacht, ihn entspannter werden zu lassen, falls denn Alsuna überhaupt etwas zu tun vermochte, das einen Effekt in diese Richtung hinterließe.
    Das Erheben war nur langsam und erneut verbunden mit einiger Mühsal möglich, doch nach einem stärkeren Aufeinanderpressen der Kiefer und einer nicht zu hohen Erwartung an Eleganz gelang ihr diese schwierige Aufgabe schließlich. Mit leisen Schritten verließ sie das Zimmer, bog um den Eingang und ließ sich nur zwei Schritte weiter erneut auf dem Boden nieder, den Rücken an die Wand gelehnt und die Augen endlich schließend. Ihr Körper kannte solche Zeitintervalle bereits von Hermione, sie würde in halbwegs angemessenen Etappen erwachen und die Tücher erneut auswaschen können. Bei ihrer früheren Herrin waren ihr derartige Behandlungsmethoden sogar so gut geglückt, dass die Griechin dadurch nicht einmal in ihrem Schlaf gestört wurde. Hier sähe dies wahrscheinlich anders aus.

    Unter jedem ruhigen Atemzug schien es schwerer, die Augen offen zu halten, dennoch wartete Alsuna mit jedem kleinen Blinzeln, bis es unter den Lidern schon unangenehm brannte. Auch ihre Armmuskulatur litt unter den gewollt langsamen Bewegungen und das Zittern verstärkte sich, bis die Arbeit endlich getan war und sie die Hände vorsichtig wieder auf die Oberschenkel bettete, ungeachtet der Tatsache, dass sie sie zuvor nicht abgetrocknet hatte. Wiederum durchlief ein tiefer, erleichterter Atemzug ihren aufrechten Körper, als habe sie gerade eine weitere schwere Prüfung absolviert. Ihr Blick wanderte noch einmal prüfend über ihre Arbeit, sondierte förmlich jedes kleine Stück des Verbandes, welches sie von ihrer Position aus erkennen konnte. Es sollte, es musste perfekt sein.


    Dann sprach er zu ihr, diesmal vernahm sie es besser, womöglich weil er sich nun innerhalb ihres eng bemessenen Wahrnehmungsradius' aufhielt. Dennoch brauchte es eine kleine Weile, bis der Sinn der Worte sie wahrhaftig erreichte. Ruhig schüttelte Alsuna den Kopf, nur gerade soviel, dass man die sachte Bewegung als solche zu erkennen vermochte. Nein, sie konnte nicht gehen, sie war noch nicht fertig. Ihr Blick glitt träge zu seinem Lager hinüber, danach wieder zur Schüssel, eh sie erneut ein Tuch aufnahm und es in das Wasser tauchte.
    "Die Stirn." Gerade die würde sie ganz gewiss nicht vergessen, angesichts des kontinuierlichen Hämmerns in ihrer eigenen. Erneut blickte sie hinüber zu seinem Lager, ehe sie die Luft einsog und kaum hörbar flüsterte:
    "Bitte leg dich hin."

    Achilleos hätte ihr in diesem Moment wohl keinen größeren Gefallen tun können, als ihr mit einem schnellen Hieb den schmerzenden Kopf abzuschlagen. Doch seine Bewegungen waren viel zu übereilt, als dass Alsunas vernebelte Sinne derart rasch darauf reagieren konnten. Nicht einmal ihr gesenkter Blick folgte den Bewegungen seines Körpers. Einzig nur erfüllt von der noch zu erledigenden Aufgabe starrte sie auf die Schüssel und legte nur kurz die Hände auf den Rand, als sein hastiges Aufschrecken ihn gefährlich nahe an das Behältnis heranbrachte. Allerdings wären ihre Bemühungen im Notfall wohl viel zu spät gekommen und das Malheur schon längst passiert.
    Seine Stimme drang nur von fern zu ihr und der Sinn der Worte entzog sich ihr gänzlich. Was sie sehr wohl auf verschlungenen Pfaden bemerkte war der verbotene Gebrauch seines linken Armes, was ihre Augen dazu brachte, sich zu verengen, doch auch diese Offenbarung eines Gefühls war minimal. Sie erwiderte nichts, unter Umständen hatte sie die Frage überhaupt nicht als solche wahrgenommen. Etwas angestrengter blinzelnd registrierte die Germanin erst wieder die unmittelbare Anwesenheit ihres Herrn, als dieser sich stumm hinsetzte und ihr den linken Arm hinhielt.


    Langsam hoben sich ihre Hände vom Rand der Schüssel und ergriffen eines der Tücher, um es mit ruhigen, nur gelegentlich zitternden Bewegungen in der Schüssel zu bewegen, wie sie es im Folgenden einige Male mehr tun sollten. Die Kühle des Wassers wirkte noch recht angenehm, obgleich es die ohnehin kraftlosen Finger noch klammer zu machen begann. Allerdings registrierte Alsuna auch diese Entwicklung nurmehr am Rande. Das langsame Ausdrücken der Tücher und vor allem das Einwickeln seines Armes, möglichst ohne auch nur die Haut desselben zu streifen, deren Wärme sie augenblicklich überhaupt nicht ertragen konnte, forderte ihre völlige Hingabe. Auf diese Weise besaßen ihre Bewegungen beinahe etwas Ehrfurchtsvolles oder gar Zeremonielles, als wäre dies ein sehr feierlicher Moment, welche ihre vollkommene Aufmerksamkeit einforderte. Stetig strich sie die Umschläge glatt und ließ nicht die kleinste Falte bestehen, so dass die kühlen Umschläge sich schließlich wie eine zweite Haut um den Arm schmiegten.

    Mit einem nachlässigen Krachen knallte der Torriegel in seine schützende Position, dergestalt, dass sogar kleine Splitter davon abgebrochen wurden. Es war mehr ein grobes Schubsen denn ein ordnungsgemäßes Verschließen gewesen, doch da im Folgenden weder Fäuste gegen das Akademietor hämmerten noch jemand brennende Fackeln zum Einsatz brachte lag diese unprofessionelle Vorgehensweise zumindest nicht an einer Flucht vor wütenden Rhakotisbewohnern.
    Wenngleich sich Alsuna trotz dessen ebenso fühlte, als wäre sie stundenlang von einem aufgebrachten Mob durch die nachtschwarzen Straßen getrieben worden. 'Stundenlang' entsprach sogar der Wahrheit, obgleich sie nicht zu sagen vermochte, wie weit die Nacht inzwischen tatsächlich fortgeschritten war. Schon seit einiger Zeit hatte sie die richtungweisenden Blicke gen Himmel einstellen müssen, da ihr das bloße Anheben des Kopfes bereits nieder drückende Schwindelgefühle bescherte. Zudem hatte sich ihr Blick inzwischen derart verschleiert, dass sich alles, was sich weiter als zehn Schritte von ihr entfernt befand, in dunklen, verwischten Schleiern verlor.
    Wie sie den Rückweg letztendlich gefunden hatte - ihr Verstand konnte diesbezüglich keine große Rolle übernommen haben. Vielleicht war sie von irgendeinem gnädigen Instinkt geführt worden, ähnlich demjenigen, der fortlaufend dem Drang widerstanden hatte, sich in irgendeine dreckige Ecke zu werfen und das Bewusstsein zu verlieren. Sie war einfach nur gegangen, immer weiter, einen Schritt vor den nächsten, eine Art Fluch und Segen gleichzeitig.


    Der Weg zur Händlerin war noch einigermaßen erträglich verlaufen, anfangs hatten sich die Kopfschmerzen sogar gebessert aufgrund der erfrischenden, kühlen Luft. Die ältere Frau war zwar nicht begeistert gewesen über die mitternächtliche Störung, doch sie wusste um die Egozentrik Hermiones und so war lediglich die Andeutung eines kleinen Stolperers nötig gewesen, um die Alte knurrend in Bewegung zu setzen. Zudem würde sich die Tageszeit deutlich auf die folgende Zahlung niederschlagen, was Alsuna nur recht war, schließlich hatte sie alles ohne mit der Wimper zu zucken auf Memnos schreiben lassen, wie stets, wenn sie nach Besorgungen geschickt wurde. Zwar hatte man sich gewundert, dass die Sklavin gänzlich ohne Begleitung aufgetaucht war, doch erledigte sich diese Ungereimheit rasch mit einer ordentlichen Schimpftirade auf 'das kleine griechische Gör und seine idiotischen Ideen'. Jeder, welcher Hermione auch nur wenige Augenblicke hatte kennenlernen dürfen, hielt es sofort für wahrscheinlich, dass sie ihre Sklavin aus Jux und Dollerei mal eben in der Nacht auf einen Botengang durch das nicht ganz ungefährliche Alexandria geschickt hatte.
    Das einzige Problem ergab sich durch die Freundlichkeit der Händlerin, Alsuna ihren Sklaven als Begleitschutz mitzugeben. So fürchterlich gerne sie ein solch verlockendes Angebot auch angenommen hätte, doch wäre es diesem Mann gewiss nicht entgangen, wenn Memnos plötzlich in eine sehr seltsam anmutende Villa mitten in Rhakotis umgezogen wäre. Die ältere Frau war daraufhin ein wenig verstimmt gewesen, und auch die Germanin hätte bei dem Gedanken an den beschwerlichen Rückweg für den Moment vielleicht doch eine Rückkehr in alte Verhältnisse bevorzugt.


    Doch alles Jammern würde letztendlich nicht helfen. Sie hatte tüchtig und vorsorgend eingekauft, nicht ausschließlich, um die Kosten in die Höhe zu treiben. Bei der nächsten Verletzung würde sie nicht wieder hierher kommen können, denn bis zu jenem Zeitpunkt hätte sich zweifelsfrei herumgesprochen, dass Alsuna inzwischen den Besitzer gewechselt hatte. Sie würde eine andere Quelle, näher an der Akademie gelegen, auftun müssen. Ohnehin wollte sie sich in diesem immer noch recht unbekannten Bereich ein wenig besser orientieren lernen, sobald sich ihr Kopf nicht länger wie von einer Elefantenherde zerstampft anfühlte.
    Der Rückweg hatte sie dann einmal quer durch den Tartaros geführt. Nicht nur kehrten die Kopfschmerzen zurück, sie schienen auch noch gleich einige Freunde mitgebracht zu haben, welche ihr fröhlich an den Nervenenden nagten und ihr nach und nach den ungehinderten Zugriff auf die Umwelt verwehrten. Ihre Sehkraft war die eine Sache, doch auch ihr Gehörsinn schien sie manches Mal entweder gänzlich im Stich zu lassen, nur um sie anschließend mit einer verzerrten Kakophonie zu quälen, die sich letztendlich als ein paar kläffende Hunde entpuppte. Zum Glück musste sie nicht sprechen, ihr Geist war indes auch derart leergefegt, dass sie vermutlich kein einziges Wort zu fassen bekäme und dieses noch in verständliche Laute umformen könnte. Außerdem hatten sich diverse Extremitäten abwechselnd recht taub angefühlt, was sie, so sie noch die Kraft dazu verspüren würde, sicherlich irritiert hätte.
    Irgendwann schien der schmerzhafte Druck auf ihre Augen derart groß zu werden, dass sie stumm angefangen hatte zu tränen. Das war ihr bereits seit einigen Jahren nicht mehr passiert und sie hoffte, dass sich dieses unerwünschte Phänomen so bald nicht wiederholte. Wahrscheinlich war sie nur müde, erschöpft und hatte das Gefühl bereits eine Ewigkeit durch diese schmalen, dunklen Straßen zu stolpern.


    Endlich, allen Prophezeiungen zum Trotz, erreichte sie die Akademie doch. Es existierte kein Muskel in ihrem Körper, welcher nicht gnadenlos schmerzte oder sich einfach nur noch taub und kalt anfühlte. Am Liebsten wäre sie sofort weitergegangen, um Wasser für die Umschläge zu holen, doch sie würde sich umziehen müssen und auch wenn es sie bereits störte, ihr Gesicht nur zu berühren, so mussten auch die Tränenspuren verschwinden. Dennoch sah sie vermutlich erbärmlich aus, wie eine zum Leben erweckte Leiche, die selbst Anubis zu verkommen aussah. Der einzige Trost, welcher sie vorwärtstrieb, war jener, dass sie das Schlimmste hinter sich gebracht hatte. Was könnte ihr Achilleos nun schon noch entgegenwerfen, das es mit dieser nächtlichen Tortur aufnähme?
    Schön, es wäre nicht angenehm ihm zu gestatten, dass er sie so zu Gesicht bekäme, doch selbst ihr Stolz war inzwischen zu erschöpft, um mehr als ein leises, unbedeutendes Grummeln von sich zu geben. Sollte er sie doch sehen, sollte er dämliche Bemerkungen von sich geben oder, noch weitaus schlimmer, Mitleid bekommen. Beim nächsten Sieg gegen ihn würde sie dann einfach ihre Drohung wahrnehmen und ihm gleich beide Augen nehmen. Das hätte er dann davon. Selbst schuld. Nachdem sie seinen Arm behandelt hätte, gehörte dieser nach der Heilerlogik ebenfalls ihr. Dann besäße sie seine Augen und einen seiner Arme. Mochte sie sich noch so dreckig fühlen, sie war hier letztendlich die Überlegene, sie übte Macht aus, indem sie seine Verletzungen behandelte. Und sie würde dafür sorgen, dass er dies nicht vergäße.


    Mit mühsamen, langsamen Schritten trug sie schließlich eine breite, tönerne Schüssel mit zumindest ausreichend kaltem Wasser in seine privaten Räumlichkeiten, welche er ihr doch am gestrigen Tage noch verboten hatte zu betreten, so sie sich recht erinnerte. Alleine der sichere Transport des Wassers, in welchem sich bereits die Essenzen verschiedener Pflanzen zu einem hoffentlich heilenden Ganzen vereinigt hatte, brachte sie beinahe endgültig an ihre Grenze. Kurz bevor sie sein Zimmer erreichte hielt sie noch einmal an die Wand gelehnt inne und schöpfte Atem. Das Wasser war unruhig, rasch hintereinander bildeten sich Ringe auf der wenigstens angenehm duftenden Oberfläche, streiften sich gegenseitig und zeugten vom Zittern nicht bloß ihrer Hände, sondern teilweise ihres gesamten Körpers. Noch einmal riss sie sich zusammen und setzte ihren Weg fort. Sie musste das Ding abstellen, wenn sie es fallen ließe und es auf dem Boden zerschellte, wäre alles umsonst gewesen. Trotzig blinzelte sie gegen den Schleier vor ihren Augen an und begann erneut einen Fuß vor den anderen zu stellen. Am Ende würden noch die sauberen Leinentücher von ihren Armen rutschen, was bedeutete, dass sie sich würde bücken müssen. Eine schreckliche Vorstellung.


    Alsuna nahm lediglich grob Achilleos' Umriss wahr, mehr wollte sie ihren langsam aufgebenden Sinnen nicht zutrauen. Sie wusste wo er saß, wo sein verletzter Arm sich befand, mehr mochte sie augenblicklich nicht in sich aufnehmen. Ihre Kiefer waren fest aufeinandergepresst, doch nahm sie die Verkrampfung ihrer gesamten Gestalt kaum wahr. Würde sie diese lösen, fiele sie wahrscheinlich ohnehin um wie ein Getreidesack. Langsam kniete sie sich neben ihren Herrn und stellte ebenso behutsam die Schüssel ab, obgleich sie ein tiefes Durchatmen nicht unterdrücken konnte, als sie endlich nicht mehr zu stehen brauchte, auch wenn sie selbst auf den Knien noch beherrscht und kaum entspannt wirkte. Sie war hier noch nicht fertig und wenn sie dem schier übermächtigen Drang nach Ruhe auch nur einen Herzschlag lang nachgäbe, wäre es erst einmal mit aller Disziplin vorbei.
    Ähnlich ruhig, beinahe andächtig nahm sie die Tücher von ihren Armen und breitete jene sorgsam darüber streichend neben dem Wasser aus. Kurz nur bewegte sich ihre Hand zu den Augen und strich darüber, allerdings in dem Moment, als ihr Kopf gesenkt war und einige ihrer offen fallenden Haare ihr Gesicht teilweise verbargen. Auch verließ kein Laut ihre Lippen, weder ein Wort, noch ein anderer Ausdruck ihres Zustandes.

    Zitat

    Original von Alaina


    Britannien? Alsuna blinzelte etwas irritiert, da sie einen Augenblick länger benötigte, um von dem Geschehen, welches sie direkt umgab, zu der weit entfernten Inselgruppe zu gelangen. Wahrscheinlich stammte die Fremde von dort und erlebte diese ganzen Unruheherde gegenwärtig zum zweiten Male. Von der Feuersbrunst zur Überschwemmung sozusagen. Ihre Worte waren zwar in einem vordergründig sachlichen Tonfall vorgetragen worden, doch die Germanin meinte, da noch eine andere, persönliche Saite mitschwingen zu hören, welche nur von eigenen Erlebnissen stammen konnte. Andererseits barg dies wenig Überraschendes, wenn man das Aussehen der Frau noch in die Gleichung mit einbezog.
    Freiwillig hatte sie den weiten Weg von Britannien nach Alexandria wahrscheinlich nicht angestrebt, ebenso wenig wie Alsuna selbst. Selbst die reiselustigsten und abenteuerlichsten Gestalten, Händler oder Schausteller, mochten in ihrem Leben zwar weite und freiwillige Reisen unternehmen, entstammten jedoch eher selten den nordischen Inseln. Ohne das ‚beherzte‘ Eingreifen der Römer, welche Britannien mit Gewalt für den Rest der Welt geöffnet hatten, fände man so weit im Süden wahrscheinlich nicht einen einzigen Vertreter dieser Art.


    Die Germanin nickte sacht und schob eine ihrer leicht gewellten Strähnen zurück unter den Schutz des indigoblauen Himationschleiers. Natürlich war kein Volk begeistert, von einem anderen blutig niedergeschlagen zu werden, doch war ihr auch bewusst, dass die Römer durchaus noch um einiges mehr die Kulturen und Religionen der anderen Völker hätten beschneiden können. Dieser Parasit tötete seine Wirte nicht, im Gegenteil, er schien sich aus deren Blut noch die interessantesten und fortschrittlichsten Aspekte herauszufiltern und sich selbst einzuverleiben. Zumindest war er lernfähig, innerhalb gewisser Grenzen. Selbst Gottheiten verschlang er mit stoischer Gelassenheit, solange sie nicht gar zu verrückt daherkamen, und führte sie sich selbst zu. Rom war ein seltsames Monster. Wahrscheinlich würde es irgendwann platzen wie ein überfüllter Schweinedarm. Im Grunde war ihr persönlich diese Entwicklung vollkommen einerlei. Wenn man es nur klug genug anstellte, würde man aus jeder Situation einen Vorteil herausholen können.


    „Die Soldaten sind einfach nur hier, das reicht doch schon. Es weckt eben Erinnerungen.“
    Alsuna war sich inzwischen sehr sicher, dass sie Memnos‘ bloßen Anblick bereits zum Anlass nähme, sich für die ein oder andere Freundlichkeit der Vergangenheit angemessen zu bedanken. In der Theorie war sie bereits soweit, doch wenn die Gelegenheit tatsächlich vor ihr stünde – Themawechsel.
    „Und, für welche Seite bist du? Rom oder... alles andere?“ Vielleicht eine etwas direkt und unvermutet gestellte Frage und die Mundwinkel der Sklaven führten sich flüchtig versucht, ein schwaches Grinsen anzudeuten, doch im Angesicht dieser Konfrontation sowie auf die seltsam ‚gerecht‘ klingenden Worte ihrer Gesprächspartnerin hin hatte Alsuna schlicht nicht widerstehen können. Zumal sie die mögliche Keltin ohnehin nicht zu einer Antwort würde zwingen können.

    Zitat

    Original von Alaina


    Obgleich ihre Augen nach wie vor über das römische Schiff und die davor stehende Menge glitten, welche sich widerwillig zerstreute, hing ihre Hauptaufmerksamkeit doch stetig bei jener nordisch erscheinenden Frau, welche sie um etwas Aufklärung gebeten hatte. Deren Stimme klang ein wenig niedergeschlagener, als man von einer Person, die weder römisch noch ägyptisch wirkte, eigentlich erwartet hätte. Aber was wusste sie schon über die Hintergrundmotivationen dieser Fremden? Vielleicht hatte sie auch einfach nur Angst bekommen im Angesicht einer offenen, blutigen Auseinandersetzung. Dann allerdings stellte Alexandria derzeit keinen angemessenen Aufenthaltsort dar. Doch vielleicht war auch sie eine Sklavin und ihre Auswahlmöglichkeiten stellten sich als dementsprechend eingeschränkt heraus.


    „Die Gemüter hier sind eigentlich zu jeder Stunde des Tages erhitzt, sie warten nur auf eine passende Gelegenheit, um sich abzureagieren“, erwiderte Alsuna etwas leiser, obgleich sie nach wie vor noch mit der Fremden sprach. Bei genauerer Betrachtung fühlte sie sich mit der brodelnden Bevölkerung dieser Stadt auf geradezu amüsante Art verbunden. Sie selbst ließe sich gewiss auch keinen Anreiz entgehen, um sich auf die ein oder andere Art ‚abzureagieren‘, so nichtig der Anlass auch sein mochte.
    Apropos.
    „An welchem Funken hat sich dieser Brand denn entzündet? War es einfach nur dieser römische Kahn.. ehm, das Schiff?“
    Verdammt, sie musste auf ihre Sprache achten, wenn sie sich nicht explizit darauf konzentrierte, käme ihr noch sämtliches Niveau abhanden.

    Respekt... wollte sie von ihm tatsächlich respektiert werden? Es war ein seltsames Wort, welches sich im Zusammenhang mit ihrem Namen unpassend anfühlte, gleich einem viel zu groß geschmiedeten Ring. Das, was ihr bekannt war und Respekt am nächsten zu stehen schien, war Furcht. Und ja, sie mochte die Vorstellung, von anderen gefürchtet zu werden. Ein solches Bild schien um einiges besser in ihr Universum zu passen denn große Worte von Harmonie. Was brächte ihr Harmonie persönlich? Rein gar nichts. Und eigentlich plante sie, ihre Selbstlosigkeit in Zukunft drastisch zu verringern.
    Zu dem angeblichen Respekt, welchen Achilleos ihr wie er bemerkte entgegenbrachte, schien der Begriff 'Furcht' allerdings nicht zu passen. Für ihn stellte dies offenbar etwas Positives dar und eine solche Vorstellung gefiel Alsuna nicht im Geringsten. Er sollte ihr keine positiven Empfindungen entgegenbringen, denn dies würde bedeuten, dass sie doch irgendetwas richtig gemacht hatte in seinen Diensten. Eine solche Vorstellung bereitete ihr förmlich Magenkrämpfe, was gewiss auch auf ihren derzeitigen Gesundheitszustand zurückzuführen war. War sie also doch wieder zu weich und gutherzig geworden! Unter solch miserablen Voraussetzungen wäre es sinnlos, tatsächlich weitere Kämpfe zu bestreiten, bei denen von vornherein sicher war, dass beide sie relativ ungeschoren überleben würden. Wozu sollte man dann noch kämpfen? Zu Übungszwecken? Übungen besäßen nicht dieselben wohltuenden Auswirkungen wie richtige Auseinandersetzungen! Ein netter kleiner spaßiger Kampf unter Freunden? So ein Schwachsinn!


    Erfüllt von neuer, hell lodernder Wut auf sich selbst betrat die Germanin ihr kleines Zimmer, um die entsprechenden Vorbereitungen für ihren nächtlichen Ausflug zu treffen, denn unbewaffnet und ohne angemessene, praktischere Kleidung würde sie sich den Wölfen Rhakotis' ganz gewiss nicht anbieten. Ein bohrender Schmerz verteilte sich nach wie vor von einer ihrer Schläfen zur anderen, doch ihr Frust und ihr Unmut über die eigene Unvernunft obsiegten zumindest in diesen Augenblicken noch.
    Nie wieder ein gutes Verhältnis zu einem Herrn, hatte sie sich das nicht auf dem Weg an diesen Ort am Höllenschlund fest geschworen? Lieber würde sie sich jeden Tag beinahe tot prügeln lassen als sich freiwillig in die Rolle der braven, gehorsamen Sklavin zu pressen. Unter normalen Umständen hätten ihre Taktiken auch aufgehen sollen, nur dummerweise war sie an Achilleos geraten und damit an eine Ausnahme, so weit fort von der Norm, dass sie einfach niemals recht zu sagen vermochte, was ihm nun gefiele und was nicht. Sie hätte Stein und Bein darauf geschworen, dass er die permanenten Kränkungen seiner Ehre und seiner Prinzipien nicht so ohne weiteres begrüßt hätte. Und nun respektierte er sie genau deswegen?! Was stellte dies bitte für einen Umschwung dar? Wie sollte sie ihn denn noch behandeln, was würde sie tun können, um ihn wirklich und wahrhaftig davon zu überzeugen, dass sie bereits zu verdorben und abstoßend wäre, um sie auch nur anzuschauen? Einem Kind vor seinen Augen die Zunge abschneiden? Seine Meditationskammer verwüsten? Ihn an seine Feinde verraten? All dies war eigentlich zu grobschlächtig und brachial für ihren Geschmack.
    Wahrscheinlich ging es ihm einfach nur besser mit einer Niederlage durch jemanden, welchen er respektieren konnte, als gegen einen wirklichen Feind und er hatte sich dies alles zu seiner eigenen Entlastung hübsch drapiert. Damit die Schande für ihn nicht zu groß würde.


    Doch egal wie sie es auch drehte und wendete, die Entwicklungen verliefen gänzlich gegen ihre Absichten und augenblicklich schmerzte ihr Kopf zu stark, um großartig andere Pläne zu schmieden, welche dem entgegenwirkten. Sie würde nun erst einmal Rhakotis verlassen müssen und gewiss benötigte sie allein für den Hin- und Rückweg ihre gesamte Kraft. Und wofür? Damit dieser Bastard sie am Ende noch mehr respektierte, weil sie den weiten, beschwerlichen Weg in ihrem Zustand und ganz allein für seine Gesundheit auf sich genommen hatte! Er wäre ihr ewig zu Dank verpflichtet für die paar Tropfen verdammte Arnikatinktur!
    Alsuna stöhnte leise und presste ihre kühlende Hand gegen die Stirn, um sich im verwobenen Straßennetz des Viertels halbwegs orientieren zu können. Einige Male wanderte ihr Blick zum Himmel und immer wieder musste sie angestrengt blinzeln, um die winzigen leuchtenden Sternenpünktchen überhaupt korrekt erkennen zu können.
    Endlich entschied sich die Germanin für eine Richtung, zog ihren Umhang enger um den Körper und tauchte in den Schatten der dichtstehenden Gebäude ein.

    Wundervoll, sie hatte schon wieder viel zu viel Energie auf einen kleinen Fleck verschwendet, welchem jene gesammelte Aufmerksamkeit ohnehin rein gar nichts einbrachte. Als könnte sie damit noch dergestalt verschwenderisch umgehen! Sie hätte seinen selten dämlichen Vorschlag mit einem knappen 'Nein' abwiegeln sollen, anstatt noch groß und breit Erklärungen dorthingehend vorzubringen, welche ohnehin wertlos und ineffektiv wären. Was für eine 'effektive' Wirkung hatte sie sich denn vorgestellt? Eine Erhebung in den Olymp des unnützen Wissens? Sie vermochte Kampfstile zu analysieren anhand von Merkmalen, die bereits schmerzhaft ins Auge stachen. Uuh, beeindruckend. Sicherlich war er jetzt geblendet von ihrer Weisheit, dem Vergleich mit Straßenhunden und Sklaven. Warum hatte sie nicht einfach die Klappe gehalten?
    Langsam fuhr Alsuna sich mit beiden Händen über das Gesicht und verspürte wiederum diese bleierne Erschöpfung, welche ihr mitteilte, dass sie wohl eine weitere Notreserve an Kraft würde anbrechen müssen. Keine eindrucksvollen Monologe mehr in dieser Nacht, die weisen Philosophien würden bis zum morgigen Tage warten müssen. Sie würden schon nicht fliehen, fanden sie doch inmitten dieser Mauern ein heimeliges Plätzchen.


    Es wäre reinste Ironie, wenn ausgerechnet in dieser Nacht, in welcher er ausnahmsweise nicht die Rüstung trug, ein großangelegter Angriff auf die Akademie stattfände. Nicht bloß Ironie, sondern Hohn. Würde Alsuna zu den Göttern beten, hätte sie sie wahrscheinlich in genau diesem Moment angefleht, dem armen Mann zumindest eine erholsame Nacht zu gönnen. Doch so wusste sie sich nur ins Gedächtnis zu rufen, dass Götter einen äußerst kranken Sinn für Humor besaßen.
    Ein leises Schnauben war zu vernehmen als Achilleos verkündete, es einmal ohne Anfeindungen mit ihr 'versuchen' zu wollen. Von ihm war dieser strahlende Vorschlag doch gekommen! Reichte sein Vertrauen nicht einmal mehr zehn Herzschläge lang? Dieser verfluchte Heuchler! Hatte seine Vorstellung einer idealen Welt und bekam sie ums Verrecken nicht umgesetzt.


    "Ich hasse Freundlichkeiten, weil sie immer und stets nichts als leere Heucheleien sind. Ist dir das etwa nicht aufgefallen? Herrje, ich schau dich nicht mal an, und trotzdem siehst du immer nur dich selbst und dein Spiegelbild!"
    Ihre Stimme wurde zunehmend ungeduldiger, während sie ihm auf den Hof hinaus folgte. Die frische Luft und der sanfte Nachtwind taten ihrem Kreislauf zwar gut, doch ihr Ungemach vermochten sie in keiner Weise zu lindern.
    "Du warst mir tausendmal lieber, als du mich geschlagen hast, denn am Anfang mit deiner widerlichen Freundlichkeit, die einfach nicht echt sein konnte. Wenn Menschen nett zu mir sind, bekomme ich den Drang, sie auf der Stelle gegen mich aufzubringen. Ich hab das lange genug durchgemacht, und ich will nicht mehr dorthin zurückkehren. Dich kann ich wenigstens angemessen schlagen, ohne das großartig was passiert. Dafür wollte ich dir eigentlich vorhin danken. Du hältst sowas aus, bei dir hinterlässt man ohnehin keinen bleibenden Schaden. Ich weiß nicht, ob das nun ein Kompliment ist, aber... es tat gut, das vorhin. Ich hätte nicht mal gewinnen müssen, selbst wenn ich halbtot in der Ecke gelandet wäre, hätte ich noch gegrinst. Deswegen werde ich auch nicht versuchen, nett zu sein. Ich war mein ganzes Leben lang nett und ich habe mich jeden Augenblick dafür gehasst. Insofern brauchst du dich auch nicht zu bemühen. Wir können uns nicht ausstehen und würden einander am Liebsten umbringen. Dabei kann es doch bleiben, oder?"


    Erneut zuckte Alsuna müde mit den Schultern, ehe sie ihren Weg zum Tor fortsetzte und Achilleos dabei gemächlichen Schrittes passierte.
    "Rhakotis ist besonders dann bedenklich, wenn du in der Nähe bist. Ich komme schon zurecht." Vor ihm angekommen hielt sie inne, wandte sich schließlich nach kurzem Zögern ihm zu und legte die Hand auf seinen Hinterkopf, um ihn ein wenig zu sich hinab zu ziehen, während sie sich gleichzeitig auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn hauchte.
    "Du musst nicht wachbleiben und mit dem Essen auf mich warten, Schatz, es könnte später werden." Mit einem spitzbübischen Grinsen auf den Lippen entließ sie ihn wieder und setzte ihren Weg gen Ausgang fort. Sie würde den ein oder anderen Plan benötigen.

    Dass es Widerworte gäbe stellte eine so unumgängliche Gewissheit dar wie der Sonnenlauf. Vermutlich wäre Alsuna vor Verwunderung wirklich umgefallen, hätte er zu all ihren Anweisungen einfach nur genickt und sich schicksalsergeben in seine Rolle als leidender Patient gefügt. Jemand wie er würde noch angeben, sich eigentlich ganz brauchbar zu fühlen, während sein Kopf gerade allein eine Böschung hinabrollte. Wenn ein Medicus starb, fand er im Tartarus garantiert nur Patienten wie Achilleos vor. Bockig, uneinsichtig, unvernünftig, stolz. Dieser Kampf zwischen ihnen war noch nicht beendet, obgleich am nächtlichen Himmel inzwischen bereits die Sterne glitzerten. Schön, sie würde durch das nächtliche Rhakotis laufen müssen, auf der Suche nach Arnikatinktur. Hei, welch ein Spaß würde das werden, erst recht mit ihrem Brummschädel. Andererseits hatte sie sich diesen Schaden ja auch höchstselbst eingebrockt, insofern traf es zumindest den wirklich Verantwortlichen.
    Gut, er war also quasi beidhändig. Immerhin würde ihm das vorwiegende Benutzen der anderen Hand in den nächsten Tagen dadurch erheblich leichter fallen. Am Liebsten hätte sie ihm eine Schiene verpasst. Doch wahrscheinlich fände die Prellung diese Maßnahme nicht ganz so optimal. Eins nach dem anderen, erst der Ellbogen und der Rest... nun, man würde sehen.


    "Du sollst die Rüstung doch keine ganze Woche ablegen, aber wenigstens eine Nacht. Gönn' dem Ding doch auch einmal eine Verschnaufpause!" Er 'brauchte' sie. Weswegen, fiele er ansonsten auseinander? Kamen seine inneren Dämonen frei und stürzten Alexandria ins Chaos? War er die personifizierte Büchse der Pandora? Diesmal unterließ Alsuna wohlweislich den Blick gen Decke, sondern presste stattdessen lediglich flüchtig ihre Lippen fester aufeinander, Zeichen ihres Unmuts. Hätte er sich nicht inmitten eines brodelnden Vulkans seine kleine Insel gebaut, müsste er nicht permanent Rüstung tragen, was doch eigentlich kaum angenehm sein konnte. Die Heilerin in ihr schrie zumindest gerade empört auf. Seiner Haltung, seiner Wirbelsäule würde dies sicherlich nicht allzu gut behagen. Von seiner Haut ganz zu schweigen, doch ein derartiges Argument würde bei ihm ganz gewiss nicht ziehen.
    "Du brauchst die Rüstung nicht." Sie führte diese kühne Behauptung gar nicht erst mit einem schwerer wiegenden 'weil' fort. Nein, diese Aussage stand alleine schon recht gut da, nachdrücklich, fest, und wahrscheinlich erfolglos.


    Zumindest ließ er sich helfen und zeigte sich auch im Folgenden durchaus einsichtig, wesentlich mehr, als die Germanin erwartet hatte. Wenngleich sie sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass er nicht all ihre Bemerkungen sogleich verstand. Sein 'Was?' an dieser Stelle wirkte doch verwirrter, als jemand mit Sinn für Humor es verwendet hätte. Dabei war dies wirklich nur ein Scherz gewesen, ein gutmütiges, wenngleich etwas scharfes Necken und Provozieren, wie es Alsunas Naturell entsprach und was sie selbst im Angesicht des Todes nicht würde unterdrücken können. Aber anscheinend war ihrem Herrn diese Art unbekannt. Nunja, er würde sich schon daran gewöhnen müssen.
    "Das nennt man 'einen Scherz machen'. Oder präziser 'auf deine Kosten einen Scherz machen'. Es dient einer Auflockerung der Gesamtsituation. Zumeist. Du hättest jetzt durchaus auch beleidigt reagieren können, weil ich irgendwie... ach, nicht so wichtig." Unter Umständen hatte sich ihm nicht einmal erschlossen, dass 'Leo' eine Abkürzung seines Namens darstellen sollte und suchte nun in jenem Zusammenhang wahrhaftig nach einem Löwen.


    Auf seinen Dank hin nickte sie nur knapp und überging jene Bekundung ansonsten unkommentiert. Eigentlich wollte sie sich auch schon aufmachen, um Tücher und kaltes Wasser zu holen - und zu prüfen, ob er sich tatsächlich zu seinem Lager bewegte -, als Achilleos' abschließend einlenkende Worte ihr zuvor kamen.
    "Stimmt, der Kampfstil sagt einiges über die Persönlichkeit aus. Und ich benutze Finten und schmutzige Tricks. Sollte dir das nicht zu denken geben? Du kennst mich überhaupt nicht. Aber du solltest dir im Klaren sein, dass Sklaven aus zweiter Hand immer irgendwelche Macken haben. Wie ein Hund, den du von der Straße aufsammelst, du weißt nie, wie er in bestimmten Situationen reagieren wird. In einem Moment schaut er dich treudoof an und im nächsten hat er dir drei Finger abgebissen. Aber diese Macken und deren Ursache oder ich überhaupt sind dir allesamt vollkommen gleich. Das sagt nämlich dein Kampfstil über dich aus. Du stehst im Mittelpunkt, du lässt nichts an dich heran und du fertigst Menschen innerhalb von zwei Herzschlägen ab, nachdem du sie innerhalb eines einzigen eingeschätzt hast. Du unterscheidest gerade mal zwischen 'tot' und 'lebend' und das auch nur, wenn du dir richtig viel Zeit nimmst. Wenn wir uns anfeinden sind wir immerhin ehrlich zueinander. Vielleicht ist dies das einzige, was wir voneinander erwarten können."

    Ihr Kopf schien derzeit eine wesentlich größere Anziehungskraft zum Boden zu besitzen denn der Rest ihres Körpers. Am Liebsten hätte sie sich einfach zur Seite kippen lassen, die Augen geschlossen und ihre komplette Umgebung ausgeblendet, doch natürlich würde sie dies nicht tun. Ihr Körper sollte es mittlerweile mehr als nur gewohnt sein, dass seinen unmittelbaren Bedürfnisse niemals sofort nachgegeben und ihm ebenso wenig das zugeführt wurde, was er augenblicklich am Dringlichsten brauchte. Dadurch war er zäh geworden und hatte Reserven eingerichtet, auf welche Alsuna im Notfall immer noch zurückgreifen konnte. Sie war noch nicht am Ende, sie würde dies hier zu Ende führen. Sie verabscheute Tätigkeiten, welche sie nicht ordentlich abgeschlossen hatte, doch oft genug hielten sie gerade ihre Herrschaften von diesem Bemühen ab und gaben ihr andere Befehle, welche sie den Rest des Tages beschäftigten. Wie oft war sie nachts zurück zu ihrer unerledigten Aufgabe geschlichen und hatte sie müde beendet, um dann endlich auf ihr Lager zu sinken? Trotz aller Erschöpfung hätte sie ansonsten keine Ruhe gefunden.
    Und so war dies gegenwärtig nichts als eine gewohnte, normale Situation für sie, bei der sie keinerlei Anlass sah, diese nicht auch in üblichem Maße abzuschließen. Sie hatte damit angefangen und wenn nötig würde sie einem sich sträubenden Achilleos den Arm auch abhacken, um ihn anschließend ordentlich zu untersuchen. Oder ihn nachts in seinen Räumlichkeiten aufsuchen, was wahrscheinlicher war. Unbeantwortet blieb die Frage, welche Option für beide wohl unangenehmer wäre.


    Die Germanin versuchte zumindest ihre Atmung tief, ruhig und gleichmäßig zu halten und ließ sich nun auch unter eher bedachten Bewegungen von seinem Bauch und an seine linke Seite gleiten. Sowohl weil er nun ein Patient war und sie ihn in diesem Rahmen nicht noch zusätzlich so unprofessionell belasten sollte, als auch für ihre eigene, etwas weniger erhöht kniende Position, von der aus sie den Arm besser würde untersuchen können.
    Wie viel durfte sie wohl auf seine Worte geben? Zumal sie ihn umgekehrt was ihren eigenen gesundheitlichen Zustand anbelangte noch gerade heraus angelogen hatte? Nun, ein verantwortungsvoller Krieger sollte seinen Körper eigentlich immer ernst nehmen und um dessen adäquate Behandlung bemüht sein. Dummerweise war Achilleos ein Fanatiker und womöglich gaben seine starren Regeln etwas anderes vor. Beispielsweise ihr in der Rolle des 'Feindes' nicht in einem solchen Maße zu vertrauen. Denn sie hatte seine Schwäche ja tatsächlich vorhin erst ausgenutzt. Weil es ihre gewohnte Art war, Schwächen und Fehler bei anderen Menschen zu suchen und kaltblütig auszunutzen. Eben schmutzige Tricks und Finten, die ihr einen Vorteil verschafften. Im Dreck wühlen und Gold finden.


    "Grundsätzlich ist eine schmale Narbe natürlich sehr... hübsch..." Dass er diese Näharbeit in Eigeninitiative durchgeführt hatte, war ihr schließlich direkt mit der Präsentation des Endergebnisses mitgeteilt worden. Nach wie vor versuchte sie dieses Bild aus ihrer Vorstellung zu verbannen, besonders jetzt, wenn ihr derartige Beweise von Kaltblütigkeit unangenehm am Magen zupften.
    "Wirklich, du hast das ungeheuer gekonnt vernäht. Ich bin ehrlich beeindruckt!" Da er nun ihr Patient war, fiel es Alsuna auch wesentlich leichter, ihm das ein oder andere Kompliment zuzugestehen.
    Der Druck ihrer Finger an der Narbe verstärkte sich etwas und schien sich auf die darunter liegenden Knochen zu konzentrieren, auf der Suche nach einer Verhärtung oder Schwellung. Wahrscheinlich hatte er den Arm nicht sonderlich geschont, weil er die Sache mit Beendigung der Blutung und dem Heilungsprozess als erledigt ansah. Zudem schien das Wort 'Schonung' für ihn in keiner Sprache verständlich zu sein.
    "Du bist Linkshänder, nicht wahr?" Vermutlich war er sogar beidhändig, sie wäre die Letzte, welche Verwunderung verspürt hätte angesichts der Erkenntnis, dass er selbst mit den Füßen noch Seidentücher besticken konnte.


    "Ich werde dir erst einmal kühle Umschläge machen und anschließend Arnikatinktur besorgen. Rosmarin und Thymian sollten bereits hier sein. Du wirst die Rüstung ablegen und dich auf dein Lager begeben, damit dein Arm einmal etwas Ruhe unter den Umschlägen erfährt. Genau wie dieses Prachtstück hier."
    Unter einem mäßig verborgenen Grinsen schnippte Alsuna ihren Zeigefinger gegen den roten Fleck an seiner Stirn, wo er mit ihrem Schädel Bekanntschaft geschlossen hatte, ehe sie theatralisch überzogen seufzte.
    "Herrjemine, Leo! Was soll aus dir nur werden, wenn du dich schon derart von Mädchen verprügeln lässt?"
    Relativ vorsichtig richtete sich die Sklavin anschließend wieder auf und umfasste seinen rechten Arm, um Achilleos ebenfalls aufzuhelfen. Das kurze Bücken war nicht wirklich angenehm, doch sie riss sich zusammen und schloss lediglich kurz die Augen, um ihren Gleichgewichtssinn zu beruhigen. Sprechen konnte sie dennoch auch weiterhin.
    "Die nächste Woche bis auf Weiteres kein Kampf, keine Belastung, nicht einmal ein Nasekratzen mit diesem Arm. Du kannst froh sein, wenn ich dich auch nur einen schwermütigen Blick darauf werfen lasse!"

    Er wusste nicht mehr zu sagen, welches seiner Körperteile vorhin ein temporäres Erdbeben verursacht hatte? Alsunas Augenbrauen schoben sich als Abbild größten Zweifels nach oben, doch sie vermied es rechtzeitig, noch zusätzlich ungläubig den Kopf zu schütteln. Bewegung war derzeit etwas fürchterlich Schlechtes und gehörte bis auf Weiteres verboten. Selbst ihre Pupillen bemühte sie um eine starre, auf seinen Arm gerichtete Haltung, was sie dennoch nicht davor schützte, immer wieder das eingefangene Bild korrigieren zu müssen. Mal tanzte es, mal teilte es sich in drei bis fünf identische Kopien, dann wieder wirkte es so verschwommen, als betrachte sie etwas, das sich unter der Wasseroberfläche befand. Alles keine guten Omen, dies hätte sie sogar ohne die entsprechenden Vorkenntnisse vorhersagen können. Hinlegen, Beine erhöhen, trinken, Augen schließen, gleichmäßig atmen. Und nicht auf jemandes Bauch hocken, Beine angewinkelt, mit angestrengt bohrendem Blick bewaffnet und einer hechelnden Atmung. Bedauerlicherweise schlossen sämtliche vorbeugenden Maßnahmen eine Untersuchung seiner etwaigen Verletzungen aus, und da sie nun einmal damit angefangen hatte, würde es äußerst ungünstig erscheinen, jetzt mit den Schultern zu zucken und sich auf den Weg zum eigenen Bett zu begeben.


    "Pfft, verletzt? Ich? Wegen dieser kleinen, unbedeutenden Kabbelei? Wovon träumst du eigentlich nachts?" Ein zynisches Grinsen huschte über ihre recht blassen Lippen während sie versuchte, das Zittern ihrer Hände, welches ihr ebenfalls irgendwann aufgefallen war, zu unterdrücken. Da Alsuna, nachdem sie den Ärmel noch etwas weiter hinaufgeschoben hatte, nun den Ellbogenknochen abtastete, würde diese dumme Auffälligkeit hoffentlich nicht länger allzu offensichtlich sein. Im Gegensatz zu ihren vorangegangenen 'Behandlungsmethoden' waren ihre Berührungen nun geradezu verblüffend sensibel. Sehr behutsam übte sie Druck mit den Fingerspitzen aus und achtete dabei vornehmlich auf leichte Zuckungen oder ein stärkeres Hervortreten seiner Schlagadern.
    "Hattest du eigentlich noch Beschwerden aufgrund der alten Verletzung am Unterarm?" Schließlich hatte sie genau darauf abgezielt, was trotz seiner belehrenden Worte zum Thema Ehre auf dem Schlachtfeld ein wenig unfein gewesen war. Trotzdem bekäme sie nun kein schlechtes Gewissen. Sicherlich nicht wegen ihm.

    Das klare Denken fiel ihr zunehmend schwerer, was man vermutlich auch an ihren Worten bemerkt hatte. Womöglich war dies auch auf einen rapiden Sauerstoffabfall in ihrem Gehirn zurückzuführen, zunächst aufgrund der Anstrengung des Kampfes und dann wegen des doch eher ungesunden Lachanfalls, welchen sie inzwischen wenigstens wieder unter Kontrolle und zu einem plötzlichen Ende geführt hatte. Dennoch zeichnete sie nach wie vor eine gewisse Kurzatmigkeit aus sowie eine allgemeine Blässe, was gemeinsam mit den rotgeränderten Augen eine etwas morbide Mischung ergab. Zudem begannen sich die finsteren Winkel dieses Raumes ganz grässlich zu verziehen. Ihren einzigen Trost stellte die Gewissheit dar, dass er nach ihrer gespielten Bewusstlosigkeit eine echte gewiss nicht mehr ernst nehmen würde.
    Zumindest vermochte sie ihn innerlich bezüglich ihres für ihn nicht sehr angenehmen Sitzplatzes zu beruhigen, denn allzu lange würde sie diese aufrechte Position wahrscheinlich nicht mehr halten können. Überfiele jetzt jemand die Akademie würde dies ganz, ganz übel enden. Zumindest sie fühlte sich für diesen Tag, diese Nacht und auch den folgenden Sonnenaufgang erst einmal was das Kämpferische anbelangte bedient. Allenfalls ihr Stolz würde diesbezüglich vielleicht noch etwas reißen können, doch zunehmend verspürte sie zusätzlich die Schlaflosigkeit der vorangegangenen Nacht. Vielleicht machte auch dies sie so aufgekratzt und albern. Wie ein Stein würde sie schlafen, wenn... ja, wenn sie diese Begegnung mit Würde und Anstand hinter sich gebracht hatte.
    Oder mit etwas Ähnlichem.


    "Hm..." Ihr Gesicht wurde ernster und ihre Augen verengten sich leicht, weniger aufgrund des angedrohten umgekehrten Essens, als des schneidend scharfen Kommentars zu ihrer 'Armuntersuchung'. Ein wenig umständlich löste sie seine Arme voneinander, indem sie zunächst an den Fingern zog und sich dann an die Entknotungsarbeit gab, bis sie den richtigen Patienten schließlich ausreichend betrachten konnte. Sie hatte schließlich darauf geschlagen, und selbst wenn es sich bei ihr um ein zartes Fräulein handelte, so reagierten Körperteile auf wüste Schläge in der Regel nicht mit Beifallsbekundungen.
    In einer ungeduldigen Geste strich sie sich einige zwischendurch von ihren Klammern befreite Haarsträhnen hinter ein Ohr zurück, den geschmälerten Blick immer noch auf den Arm gerichtet.
    "Was hat da eigentlich so geknallt, als du gefallen bist?" Ihr eigener Kontakt mit dem Hartholzboden tat momentan überhaupt nichts zur Sache und wurde deswegen gar nicht erst erwähnt.
    Nun gut, vieles an einem Körper ließ ein solches Krachen verlauten, wenn es auf den Boden aufschlug. Köpfe zum Beispiel, oder auch Knie. Alsuna blinzelte leicht, als sich ein trüber Film über ihre Augen zu legen begann, gegen welchen sie jedoch ankämpfte. Das wäre ja auch noch schöner, wenn sie sich doch noch in der Verlängerung geschlagen geben müsste!
    Federleicht glitten ihre Fingerspitzen die Innenseite seines Unterarms entlang, mehrmals, um gegebenenfalls eine Schwellung zu erfühlen. Dass ihre Hand leicht zitterte, machte diese Angelegenheit nicht unbedingt leichter.

    Dass er sich mit seinen Lektionen zum Thema 'Ehre auf und dann unter dem Schlachtfeld' gerade selbst sein Grab schaufelte, bekam er hoffentlich selbst in geeignetem Maße mit. Aber gut, sollte er sie und ihre Kampftechnik ruhig mit der seinen auf eine Stufe stellen, wenn er sich dadurch irgendwie besser fühlte. Durch seine fernöstliche Labyrinthlogik vermochte sie ohnehin nicht zu folgen, insofern hätte er ihr allerlei erzählen können, das entweder stimmte, oder seinem eigenen flausigen Kopf entsprungen war. Aber gut, lebte er nun eben in Schande, war er halt ein Idiot. Nicht, dass er ihr damit irgendetwas erzählte, auf das sie nicht zu einem bereits viel früheren Zeitpunkt von alleine gekommen wäre. Dennoch war es überaus erfrischend dies nun, wenn auch indirekt, von ihm selbst zu hören.
    Wenigstens schien die Wut ein wenig abzuklingen, seine Blicke wirkten nicht länger auch ohne direkte Musterung wie glühend heiße Speere. Allerdings musste Alsuna sich eingestehen, dass sie selbst kaum etwas bewusst dazu beigetragen hatte. Bedauerlicherweise hatte sie ihre Reaktion nach der Erkenntnis zuvor vollkommen aus der Kontrolle verloren. Inzwischen meldete sich ihr Zwerchfell und in ihren Kopf war ein quälendes Hämmern eingefallen, dennoch lachte sie weiter, als wäre sie eine kleine, ganz und gar sorgenfreie Nymphe an einem Quellfluss.


    Wahrscheinlich war es die gesammelte Anspannung zweier Tage, welche nun gerade von ihr abfiel und sie zu übermäßigen Albernheiten verleitete. Tatsächlich vermochte sie sich nicht zu erinnern, wann sie zuletzt derart ungezwungen und hemmungslos gelacht hatte. Wahrscheinlich als Hermione aus der Sänfte und in Hundedreck gefallen war. Obgleich Alsuna sich ihre Belustigung bis zu einem Zeitpunkt der Einsamkeit hart hatte aufheben müssen.
    "Auf... Schlachtfeldern... sind ja auch eher selten.. Frauen anzutreffen... brachte sie mühsam hervor und strich sich Tränenflüssigkeit von Wangen und Wimpern, im Sprechen immer wieder von neuerlichen Belustigungsanfällen unterbrochen.
    "Wie viele deiner.... östlichen Lehrmeister... waren denn Frauen? Du... hast da eine ganz... ganz üble Lücke..." In welche sie gnadenlos schlagen würde, doch diese Folgerung ergab sich hoffentlich von selbst, auch ohne, dass sie sie laut aussprach.


    Inzwischen hielt sie sich doch den Kopf und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf Landgang. Vermutlich geschah es ihr wirklich irgendwie recht, dennoch hielt der böse pochende Schmerz sie keineswegs von ihrem Amüsement ab. Das plötzlich und sehr unvermutet jedoch abbrach.
    "Doch, das macht mir etwas aus. Diesen Platz hier..." Bei diesen Worten tippte sie mit der ganzen Autorität ihres Zeigefingers auf seine Brust, ".. habe ich mir schwer erkämpft. Und obwohl du ungefähr so bequem bist wie das Kind eines Kaktusfelds mit einem Steinbruch werde ich hier diesen Sieg gnadenlos auskosten, ganz gleich, wie laut und weinerlich du auch jammerst, was übrigens auch nicht sonderlich beeindruckend daherkommt... ach nein... halt..." Ihre Miene hellte sich auf, wenngleich simultan dazu ein eher sadistisch anmutendes Glitzern ihre Augen heimsuchte, welche nach wie vor eher seine Wangenknochen im Blick hatten.
    "Stimmt, ich habe dich ja auch im Bauch getroffen! War es hier?" Beide Hände legten sich in etwa in Höhe der Bauchregion auf den Stoff seiner Gewänder, ehe sie mit durchgedrückten Armen kurz ihr Gewicht verlagerte und grinsend daraufpresste. Sie gestaltete diese Aktion zwar kurz, aber bar jeden offensichtlichen Mitgefühls.
    "Und da war doch noch etwas, das ich überprüfen wollte.... Vertrau mir, ich bin Heilerin. Wenig vertrauenserweckend umfassten ihre Hände nun seinen linken Arm so gut es in dessen Position eben möglich war, die Finger flochten sich fest ineinander und der Unterarm wurde von beiden Handballen nun wie bei einer Zange beidseitigem Druck ausgesetzt, ähnlich wenig zimperlich wie zuvor die Gesundheitsprobe in der Bauchregion durchgeführt worden war. Kurz, aber unnachgiebig.
    "Na, tut es hier weh?"

    Der Hafen hatte so direkt eigentlich nicht Alsunas Ziel dargestellt. Nicht einmal sonderlich neugierig war sie geworden, als der Menschenstrom mit einem Male unter wildem Flüstern und wüsten Gesten verdächtig in nur eine Richtung strömte und alle die Hälse reckten, obwohl man von jenem Punkt aus selbst auf einer Leiter stehend noch kaum das Meer erkennen konnte. Die Germanin hasste diese gaffenden Horden, besonders, da man einmal mitgeschoben nur äußerst schlecht dagegen ankämpfen konnte. Man hing in diesem Getümmel und vermochte sich nur mittels unglaublichen Geschicks oder ordentlicher Kraft wieder zu befreien. Zudem waren solche unübersichtlichen Momente eine glückliche Gelegenheit für Taschendiebe und ähnlich veranlagte Gestalten, weswegen Alsuna mit der einen Hand ihr wertvolleres Hab und Gut in einer Gürteltasche unter ihren Gewändern an sich drückte und mit der anderen eine sehr kleine, schmale Klinge, welche eher einer Pfeilspitze denn einem wahren Dolch ähnelte und eine Art Hakengriff besaß, fest wie unauffällig zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand hielt. Man wusste schließlich nie, wann in einem solchen Pulk plötzlich Panik ausbräche und alle in die entgegengesetzte Richtung drängten gleich einer kopflosen Herde Schafe.


    Nun befand sich die Sklavin letztendlich also doch mitten drin und ließ sich notgedrungen in dieselbe, blinde Richtung schieben, wie einige andere auch, welche ursprünglich ein ganz anderes Ziel besessen hatten und davon rigoros wie unnachgiebig abgebracht worden waren. Verlassenem Strandgut inmitten der Fluten gleich. Wäre ihre Begleitung nicht gewesen, hätte sie sich deutlich willensstärker widersetzt, doch im allgemeinen Getuschel war des Öfteren das unheilschwangere Wort 'Römer' gefallen, jener an diesem Ort so heißgeliebten 'Gruppe', zu der ihr Bekannter ebenfalls gehörte, was er jedoch nicht allzu oft betonte. Inzwischen hatte sie ihn ohnehin verloren und so stellte sich ihr mit jedem unfreiwilligen Schritt lauter die Frage, was sie hier eigentlich verloren hatte. Den Gerüchten zufolge, welche um ihr Ohr zischelten und wisperten wie Feuergeister im sommerlichen Stroh, erwarteten sie dort vorne irgendwo mindestens zwanzig unterschiedliche Szenarien, eine brisanter und katastrophaler als die andere. Würde nicht mindestens Poseidon dort stehen und mit Seth eine Runde Würfel spielen, wäre Alsuna wirklich bitter enttäuscht.


    Zu guter Letzt schien sich auch ihre letzte, nicht unbedingt düsterste Ahnung zu bewahrheiten, nämlich das alles Spannende und Überirdische bereits längst vorbei wäre, wenn es ihr denn endlich gelänge, den sagenumwobenen Ort des Geschehens zu erreichen. Sich zwischen zwei rundbäuchigen, älteren Herren hindurchschlängelnd und die rechte Hand nach wie vor unter dem locker fallenden Himation verborgen rettete sich Alsuna auf eine etwas weniger bevölkerte 'Insel' und atmete zunächst einmal tief durch, ehe sie sich wie der Großteil der übrigen Menschen auf die Zehenspitzen stellte und nach ihrer ehemaligen Begleitung Ausschau hielt, welche natürlich nicht aufzufinden war. Erst anschließend musterte sie knapp das römische Schiff, wegen dem es augenscheinlich diverse unschöne Auseinandersetzungen gegeben hatte. Nichts wirklich Aufsehenerregendes, wenn man Poseidon und Seth höchstpersönlich erwartet hatte.
    Mit einem stummen Seufzer reduzierte sich die Germanin wieder auf ihre normale Größe, ein wenig unschlüssig ob ihrer weiteren Pläne. Sollte sie näher herantreten? Zugegeben, eine gewisse Neugier plagte sie schon. Zudem war sie nun bis hierhin geschoben worden und hatte noch nicht einmal wirklich mitbekommen, weswegen überhaupt. Die Menschen hier waren ihr definitiv die Wahrheit schuldig.


    Ihre jadegrünen Augen wanderten über die nicht gerade geringe Auswahl möglicher Informationsträger und verharrten schließlich auf einem helleren Punkt inmitten der Menge, welcher aufgrund seiner offensichtlichen Andersartigkeit kaum weniger hervorstach, als sie selbst es getan hätte, trüge sie nicht einen Schleier über dem warmen Kupfer ihrer Haare. Auffälligkeit war beileibe kein Ziel Alsunas und da ihr Blick bis auf seltene Ausnahmen gesenkt war, nahmen die meisten Passanten ihr nordisches Aussehen allerhöchstens beiläufig wahr. Ihre Größe, welche das Normalmaß südländischer Frauen doch ein wenig überragte, war das einzige kleine Manko in ihrer Hülle der Unauffälligkeit, allerdings würde sie sich deswegen kaum die Füße abhacken lassen. Dafür durfte sie sich viel zu glücklich schätzen, dass ihr Herr ihren Hals nicht schon längst um den sturen Kopf erleichtert hatte.
    Dank dezent geduckter Haltung passte sie sich inzwischen jedoch recht gut an die Masse an, zumal deren gierende Aufmerksamkeit ohnehin derzeit nach etwas vollkommen anderem verlangte. Und es war immer erfreulich, wenn dieses andere in keinem direkten Zusammenhang mit einem selbst stand.
    "Verzeih meine Aufdringlichkeit, doch hat mich die Masse zwar hierher mitgerissen, spuckte mich allerdings scheinbar erst zu einem ungünstig verspäteten Zeitpunkt wieder aus. Wo ich nun aber einmal hier bin, wäre es doch interessant zu erfahren, was ich denn gerade Unverzeihliches versäumte. So es dich nicht zu sehr erschüttert hat", beeilte sich Alsuna auf Koine nachzusetzen, denn der flüchtige Blick auf das noch abgewandte Gesicht der jungen Frau hatte einen ganz und gar mitgenommenen Ausdruck offenbart. Ihre eigenen Augen eilten sich, zurück zu dem verräterischen Schiff zu gelangen, auf diese Weise wirkte ihre permanente Flucht vor Blickkontakt weniger verdeutlicht.