Anscheinend war der hochjubelnde Enthusiasmus ein wenig abgedämpft worden. Am Ende bewahrheitete sich doch noch Memnos‘ Credo, dass sich noch lange nicht jeder Herr für eine angemessene Sklavenhaltung eignete. Und vermutlich wäre es auch unklug, jemandem wie ihr nach beinahe einem ganzen Leben im Besitz anderer allzu viele Freiheiten einzuräumen. Man konnte nie voraussagen, wie sie dieses unerwartete und seltene Geschenk am Ende nutzen würde. So ganz wusste sie es selbst noch nicht, es waren mehr bloße Empfindungen, die sie durchzuckten wenn sie an ein Ende ihres Sklavendaseins dachte. Doch schon allein diese Gefühle hätten so manchen besorgt gestimmt.
Trotzdem hätte ihr Achilleos beinahe leid getan. Unerfüllte Erwartungen waren immer so... unangenehm. Deswegen war es wohl am Besten, wenn man gar keine Erwartungen hegte.
Alsunas Blick glitt langsam über die Kindergesichter, ehe sie eine leichte Verneigung andeutete, als ihr Name genannt wurde. Da sie den Rhakotis-Nachwuchs nach Aussage ihres neuen Herrn ebenfalls unterrichten sollte, akzeptierte sie die jungen Herrschaften auch gleich als ihre Vorgesetzten, da ihr spontan keine Beziehung einfiel, die sie ihnen sonst anbieten konnte, ohne Gefahr zu laufen, sich irgendwann den Befehlen ihres Jinshi zu widersetzen. Auf das ‚ältere Schwester-Klischee‘ verspürte sie ebenso wenig Lust wie auf das ‚Mutter-Kind-Spielen‘. Also konnte sie sie auch gleich als Höhergestellte ansehen, denen sie in ähnlichem Maße zu dienen hatte wie Achilleos.
Die Kinder schienen recht aufgeweckt, zumindest deren Wortführerin. Allzu viel Kontakt hatte Alsuna mit dieser Größenordnung Mensch bislang nicht gehabt, außer vor langer Zeit, als Hermione und sie ebenfalls in diese Kategorie gehört hatten. Seitdem waren höchstens einmal Kinder von Memnos‘ Geschäftspartnern bei ihr gewesen, damit sie sie beschäftigte und die Erwachsenen nicht gestört wurden. Und diese kleinen Blagen hatten wahrhaft anderes im Sinn gehabt, als von ihr unterrichtet zu werden. Kinder konnten gegenüber Sklaven ebenso große Monster sein wie ihre Eltern.
Nun, Alsuna war schon mit schlimmeren Namen tituliert worden als ‚Verlobte von Marcus Achilleos‘. Und wie eine typische Sklavin sah sie gerade in dieser Gegend sicherlich nicht aus. Ihre repräsentativen Betätigungen würden in ihrer jetzigen Situation vermutlich brachliegen, vielleicht musste sie ihre kostbareren Besitztümer, welche Memnos ihr so großmütig überlassen hatte, ohnehin abgeben. Idealisten und Weltverbesserer brauchten eigentlich immer Geld, und wenn man es ihnen schenkte, würden sie schwerlich widerstehen können.
Er lächelte also selten. Dieses kleine Ding konnte sich noch als wahrer Quell von Informationen entpuppen. Anscheinend schnatterte sie gerne. Andererseits konnte das Ganze auch böse nach hinten losgehen. ‚Die Alsuna hat mich ganz komische Dinge über dich gefragt‘. Kinder waren eben ein zweischneidiges Schwert.
Memnos wäre jedoch pikiert gewesen, hätte er die Meinung bezüglich seines Aussehens vernommen. Er hatte hier eines der freundlichsten Gesichter aufgesetzt, das sich in seinem Repertoire befand. Und herrje, auf seine Art und Weise war er nett gewesen. Zwar verspürte die Sklavin nicht direkt den Wunsch, ihren ehemaligen Herrn zu verteidigen, doch ging sie auch nicht davon aus, dass alle übrigen Menschen unglaublich mehr Herzensgüte besaßen. Memnos war guter Durchschnitt und niemand konnte ihm verübeln, dass er bei fast allem was er tat zunächst einmal an sich dachte. Jeder dachte im Grunde nur an sich.
Stumm und aufmerksam verfolgte Alsuna den folgenden Unterricht und vermochte sich so langsam ein Bild von dem zu machen, was demnächst wohl auch von ihr verlangt werden würde. Lesen, schreiben und rechnen. Eigentlich seltsam, dass sich nicht noch mehr Kinder hier fanden. Vermutlich wurden sie woanders gebraucht. Rhakotis war ein quirliger Ameisenhaufen, da gab es immer etwas zu tun. Zumindest war ihr Jinshi nun mit ausreichend anderen Dingen beschäftigt, so dass es ihr möglich war, ihn ohne direkten Augenkontakt befürchten zu müssen etwas genauer mustern zu können. Er besaß Charisma, derart, dass man sich zwangsläufig fragte, weshalb er hier herumvegetierte, anstatt sich um seine Karriere in der Politik oder im Heer zu kümmern. Aber vielleicht tat er dies auch nebenbei, neben seinem Ehrenamt von Unterricht, der Speisung aller Armen und dem Bau seltsamer Gebäude. In dieser besonderen Ausstrahlung lag vermutlich auch sein Talent im Unterrichten zugrunde. Es wäre sicherlich nicht falsch, sich schon einmal innerlich darauf vorzubereiten, dass ihr eigener Umgang mit den Schülern von mehr Schwierigkeiten durchsetzt sein würde.
Es gelang ihr dank jahrelanger Übung hervorragend, ihren Blick rechtzeitig wieder zu senken, bevor Achilleos sich ihr wieder zuwandte und damit fortfuhr, ihr die Gebäude und deren Nutzung näherzubringen. Auf seine Hoffnung bezüglich der Zukunft seiner Schüler antwortete sie lediglich mit einem leichten Nicken. Zum Ungeheuer namens ‚Gesellschaft‘ hätte sie zwar gut und gerne zwei Stündchen zu berichten gehabt, allerdings hätte dies außer einer enormen Verschwendung von Zeit nichts gebracht.
“Ich bete nicht, Jinshi“, antwortete Alsuna lediglich knapp auf sein Angebot bezüglich des Tempels. Zwar war es einer kleinen Sensation gleichzusetzen, dass er sich überhaupt Gedanken um ihre Religion machte, doch diese gutmütigen Samen fielen bei ihr auf fruchtlosen Steinboden. Mit Göttern hatte sie sich mit Ausnahme des griechischen Pantheons niemals bewusst auseinandergesetzt und ihre Ahnen waren tot, wie es Ahnen nun einmal so an sich hatten. Was brachte es, mit der Luft zu diskutieren und sich einzubilden, dass irgendjemand nicht nur zuhörte, sondern auch noch dafür sorgte, dass sich Wünsche erfüllten?
“Darf ich mich erkundigen, wo mir erlaubt ist zu schlafen, Jinshi?“ Eine weitaus wichtigere Angelegenheit. Als sklavischer Erstzugang auch durchaus berechtigt. Es würde sie nicht überraschen, hätte ihr Herr beim Hausbau eine derartige Unterkunft überhaupt nicht vorgesehen.