Beiträge von Alsuna

    Wie es schien war es ihrem Herrn inzwischen wiederum überaus vortrefflich gelungen, seine verdammt freundliche und aalglatte Maske zurück vor die Abgründe zu zerren, aus denen sein wahres Gesicht tatsächlich bestand. Vermutlich lediglich, damit er nicht aus der Übung käme, denn schließlich kannte Alsuna sein durchaus realistischeres Ich inzwischen zur Genüge. Interessanterweise ertrug sie jenes, obwohl es doch ungleich hässlicher war als sein jetziges Gehabe, doch um einiges besser. Dieses hier war nichts als blanker, leerer Hohn und die Germanin mochte es nicht, auf derart offensichtliche Weise für dumm verkauft zu werden.
    Zumindest sah Achilleos es ein, dass er sie wohl unmöglich gegen ihren Willen zu irgendeinem seltsamen Fleckchen im Osten zerren konnte. Und dass es nach seinem lebensfeindlichen Übergriff mit dem Herrn-Sklavin-Verhältnis anscheinend auch eher negativ bestellt war. Osten... die schlimmste Vorstellung wäre es, sich nicht mehr zu fast jedem Herzschlag mit der beruhigenden Aussicht trösten zu können, seinem Leben im Notfall immer noch irgendwie ein Ende zu bereiten. Noch viel größer war indes die Gefahr, es bar jedweder Vernunft trotzdem zu versuchen. Misslang es, wäre sie sehr wahrscheinlich am Ende ihres eigenen Daseins angelangt. Hatte sie wider Erwarten Erfolg, stünde sie vollkommen hilflos im Niemandsland. Darauf sollte sie es nun wirklich nicht ankommen lassen.


    Gut, sollte er sie eben freilassen. Sie würde hier schon zurecht kommen, immerhin kannte sie die Stadt, sie besaß Kontakte, und wie schwer konnte es schließlich sein, hier zu leben, wenn so viele Idioten dies scheinbar problemlos meisterten. So lange hatte sie auf die Freiheit gewartet, da würde sie nun gewiss nicht davor zurück schrecken, aus irgendwelchen sentimentalen Anflügen heraus.
    “Du bist übrigens im Begriff, gerade wieder davonzulaufen, nachdem du den Kindern hier gezeigt hast, was hätte sein können. Befände ich mich in deiner Haut, würde ich überhaupt nicht mehr hierher zurückkehren, wenn all die Kinder erwachsen sind und imstande ein Schwert zu führen.“
    In einem Anflug von Zynismus warf Alsuna ihrem davonstrebenden Jinshi noch ein verächtliches Lächeln zu, welches er ohnehin nicht mehr sehen konnte.

    Natürlich gab es keinen Anlass, ihren Worten Glauben zu schenken, stellten sie doch nichts als eine zweifelhafte Vereinfachung des Miteinanders dar, abgesehen davon, dass sie auch ohne gesprochen zu werden hinlänglich zu gelten hatten. Doch wer diente schon gerne einem meuchelnden Irren? Es war ihr allerdings tatsächlich vollkommen einerlei, ob er sie der Lüge bezichtigte oder nicht, umgekehrt tat sie dies auf jeden Fall. Welchen Anlass gab es auch, ihm irgendetwas zu glauben? Allem Anschein nach wusste er selber nicht so recht, wonach er denn eigentlich strebte. Abseits des Umstandes, seine eigenen, seltsamen Ansichten und Regeln mit Gewalt durchzuschlagen. Da konnte er sich seine hübschen Reden gerne sparen. Wahrscheinlich ging er nun zu dieser Taktik über, um ein weiteres Mal in besserem Licht dazustehen, ebenso wie in seiner Rolle als Lehrer armer, unterdrückter Kinder.


    Aus reiner Vorsicht wich Alsuna noch einen kleinen Schritt zurück, als er sich zum Gehen wandte, da er sein eigenes Gewissen wie es schien ausreichend erleichtert hatte und ihre Meinung dazu wohl nicht brauchte. Natürlich, so lebte es sich gewiss am Einfachsten. Ein wütender Schatten senkte sich über die Augen der Germanin, welcher jedoch nur wenig später von einem gleißenden Blitz verdrängt wurde. Hatte sie gerade richtig gehört? Er würde sie ‚gerne‘ in den Osten mitnehmen?!
    “So ein Pech aber auch, dass ich nicht gerne in den Osten gehen will!“ stieß sie nur wenig später rau hervor, ohne sich die Arbeit eines längeren Gedankenganges bezüglich dieses Themas zu machen. Es war einfach zu ungeheuerlich, als dass es einer größeren Überlegung bedurfte. Im ‚Osten‘, ein nicht gerade präzises Reiseziel, wäre sie vollkommen aufgeschmissen und noch ein gutes Stück einsamer als hier. Zudem lauerten dort gewiss eine größere Anzahl ebensolcher Fanatiker, nur dass sie deren Geplärr nicht einmal verstehen könnte!


    Ihr dies in einem lockeren Nebensatz mitzuteilen... Die reine Wut ließ Alsuna alle angebrachte Vorsicht vergessen und schnurstracks auf ihre Räumlichkeiten zustreben. Spätestens am morgigen Tage wäre sie verschwunden. Zwar hätte sie zu gerne miterlebt, wie Achilleos seine Pläne der darbenden Bevölkerung hier mitteilte, doch sollte sie noch lebensfähig hier heraus kommen, würde sie selbst auf ein solch amüsantes Spektakel gerne verzichten.

    Er bewegte sich zumindest nicht auf sie zu. Obgleich sie eine solche Bewegung vermutlich auch diesmal, da sie irgendwie auf etwas Derartiges vorbereitet war, viel zu spät wahrgenommen hätte. Und er sprach mit ihr, ein Umstand, der ihr eigentlich Entwarnung hätte geben müssen, denn in ihrer Vorstellung hielt sich ein solcher Massenmörder überhaupt nicht mehr mit derartigen Lästigkeiten wie Worten auf, wenn er doch stattdessen bereits Hälse brechen konnte. Dennoch barg seine offensichtliche Verwunderung ob ihres Auftauchens aus dieser Richtung noch keinen Anlass, sich in irgendeiner Weise zu entspannen. Dafür erschien Alsuna sein Wesen für zu unberechenbar, ein Eindruck, der sich in den nächsten Augenblicken noch rapide verstärken sollte.


    Mitten hinein in ihre unruhigen, lauten Herzschläge drangen seine Worte, deren es natürlich nach wie vor an einer dazu passenden Mimik fehlte, weil die Germanin auch weiterhin – und nun erst recht – einen direkten Augenkontakt vermied. Ihre eigenen Seelenspiegel verengten sich leicht, während die fluchtbereite Anspannung nicht eine Winzigkeit aus ihren Muskeln wich. Ihr war nur zu bekannt, dass dieser Mann durchaus eine nette, harmlose Oberfläche präsentieren konnte, allerdings sollte sie wirklich verdammt sein, fiele sie ein zweites Mal auf diese hinterhältige Methode herein.
    Und ganz ehrlich, was wollte er damit erreichen? Reumütigkeit? Buße? Lächerlich, im Angesicht einer Sklavin.
    Alsuna befeuchtete kurz ihre Lippen mit der Zungenspitze und erwiderte schließlich, absichtlich eher leise und gepresst, da ihre Stimme nach wie vor nicht voll einsatztauglich war:
    “Ich bin nur eine Sklavin, mir ist es gleich, was oder wer du bist... Jinshi‘.“

    Wahrscheinlich beging sie mit ihrer Rückkehr zu jener unseligen Akademie gerade den zweiten großen Fehler ihres Lebens. Der erste war es gewesen, keine der ungezählten sich bietenden Gelegenheiten zu nutzen, Hermione auf kreativem wie ironischem Wege in die Unterwelt zu befördern und anschließend ihr Glück als geflohene, wegen Mordes gesuchte Sklavin zu versuchen, welches so viel schlechter als ihre derzeitige Situation auch nicht sein konnte. Von wegen 'Weglaufen war keine Lösung', es war die beste Idee, die man in einer solchen Lage fähig war zu bekommen. Jetzt sogar noch weitaus mehr als zuvor, denn schließlich befand sie sich bei einem offensichtlich geistesgestörten, kaltblütigen Fanatiker, dem es Spaß bereitete, sie mit seinen Mordfähigkeiten zu bedrohen. Alsuna mochte sich in ihrem Dasein schon außerordentlich viel gefallen gelassen haben und zugegeben, sie hatte es ein wenig provoziert, dennoch war sie mit der Aussicht auf einen qualvollen Tod nicht einverstanden. Mochte ihr Wunsch nach Freiheit auch ein weiteres Mal in unerreichbare Ferne gerückt sein, so wäre ein solches Ende mit der Unterstützung eines derart sadistischen Bastards ihrer nicht wert.


    Zumindest wusste sie nun sehr genau, woran sie war. Ein weiterer Grund, nicht an diesen Ort zurückzukehren. Das war mitnichten die reine, nachvollziehbare Überlegenheit eines ausgebildeten Kriegers gegenüber einer... mäßig normalen Sklavin. Selbst um seine Arme und das Augenlicht beraubt stünde der Kerl wahrscheinlich noch zehnmal besser da als sie! Erst jenes niederschmetternde Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins vermochte das Feuer der Wut in ihr so richtig anzufachen. In den letzten Stunden des relativ nutzlosen Herumlaufens und Verirrens in den stinkenden Gassen Rhakotis' hatte sie neben ihres Ärgers hauptsächlich nach irgendeinem noch so winzigen Schwachpunkt in seiner perfekten Art gesucht, diesmal im Gegensatz zu früheren Überlegungen in seiner Art zu Kämpfen, in seinem physischen Schutz. Zu guter Letzt endete sie immer wieder bei Gift, mit mehr oder minder 'fairen' Mitteln war von ihrer Position aus einfach nichts zu machen.


    Wenn sie denn tatsächlich zurückkehrte und sich in der Lage sähe, noch ein Weilchen die reumütig Untertänige zu spielen, bis er ihr erneut mehr Vertrauen entgegen brächte und die Regeln etwas lockerte. Überhaupt, diese Regeln! 'Auf den Boden werfen wenn ich ein Gesetz verlese, ganz gleich in welcher Sprache'... ja, sicher. Manch einem bekam die Sklavenhaltung schlicht und ergreifend nicht, man entwickelte dadurch einen ganz hässlichen Größenwahn. Dann hätte er ihr eben keine Spracherlaubnis erteilen sollen, wenn er anschließend die Beherrschung verlor. Ihr Hals brannte immer noch wie mit Feuer ausgespült. Es wäre durchaus besser gewesen, hätte sie nicht kurz nach dem Anschlag auf ihr Leben jenen unsäglichen Haferbrei mit Früchten hinuntergewürgt, um sich selbst irgendetwas vollkommen Banales zu beweisen. Bei jedem hervorgestoßenen Fluch klang sie nun wie eine alte, zankende Greisin, die ein paar Bälger verjagte. Irgendwie nahm das jeder noch so düsteren Beschreibung die eigentliche Würze.


    "Soll er doch zurückkehren in sein stinkendes, kleines Kuhkaff", drang es leise und heiser gezischt von Alsunas Lippen, während sie das vermaledeite Eingangstor passierte und nach einem knappen Blick über den leeren Hof schnurstracks in Richtung ihrer Räumlichkeiten abbog, die Hände zu Fäusten geballt, dergestalt, dass ihre Fingernägel bereits bleibende Spuren in den Handinnenseiten hinterlassen haben mussten. Wahrscheinlich hockte ihr hoher Jinshi noch in seinen Meditationshallen bei irgendeiner unverständlichen Übung.
    Einen wütenden Herzschlag später wusste die Germanin, dass die Dinge ein wenig anders lagen, woraufhin sie zunächst mitten in der Bewegung innehielt und schließlich sicherheitshalber noch einen Schritt zurückwich, den Blick hastig senkend. Verflucht, hätte sie sich eine Ecke weniger weit verirrt, wäre sie garantiert rechtzeitig zurück gewesen. Zwar wusste sie nicht genau zu sagen, wie die Strafe für unerlaubtes Entfernen nach einer größeren Strafpredigt aussähe, doch im Angedenken an die letzte 'förmliche Zurechtweisung' mochte es einem Selbstmordversuch gleichkommen, wenn sie sich nun ungeschützt zu Boden warf und um Gnade winselte, wenn sie doch besser ihr Heil in der Flucht suchte. Schön, er war schnell, doch vielleicht musste sie es nur bis jenseits des Tors schaffen und vor die Augen genügend anderer Menschen, vor denen Achilleus sein 'wahres Selbst' unter Umständen lieber verbergen wollte. Nicht, dass sich dort draußen irgendwer auch nur ansatzweise um ihr Schicksal gekümmert hätte.


    Ihre Finger spreizten sich langsam, während sie so unauffällig wie möglich ihre Muskeln anzuspannen versuchte. Das Problem bestand darin, dass sie sich zunächst würde umdrehen müssen. Zuzüglich würde sie sich nicht den kleinsten Fehltritt erlauben dürfen. Angespannt behielt sie die Bewegungen ihres Herrn im Blick. Immerhin war es besser, bei einem Fluchtversuch zu sterben, als flehend auf den Knien. Wäre sie doch nur nachts zurückgekehrt! Sie hätte ihre Habseligkeiten abholen können und wäre gesund und munter und vor allem frei gewesen!

    Wenigstens war er jetzt und für alle Zeiten von der irrigen Annahme befreit, dass zwischen einem Herrn und einem Sklaven etwas wie echte Freundschaft herrschen könnte. Ganz besonders nicht bei einem derartig heuchlerischen, verlogen freundlichen Herrn wie ihm selbst. Selbstverständlich besaß sie weder Rechte noch Schutz, doch wenigstens wollte sie Ehrlichkeit im Umgang mit sich. Ihr mit Nettigkeiten zu kommen, nur um das eigene Gewissen zu beruhigen, widerte sie ganz besonders an. Zudem stellte sich Alsuna die Frage, welche Art von Respekt Achilleos denn bitte nach seiner Schlächtergeschichte erwartet hatte. Abgesehen von Respekt aus Furcht vor seiner Kaltblütigkeit. Ansonsten fiel ihr nicht eine respektable Handlung ein, die er begangen hatte. Diese elende Schule war nichts als eine große Lüge, hinter der er sich versteckte. Sicher, er war ja so gut und edelmütig und kümmerte sich um die dummen Bettlerkinder. Hier half er ihnen und am anderen Ende der Welt ermordete er sie. Respektabel!


    Alsuna blickte ihm nicht einmal nach, als er sich sein Schwert nahm und verschwand, sie hatte genug damit zu tun, sich wieder auf die Beine zu bringen und gegen das schmerzhafte Gefühl in ihrem Hals anzukämpfen. Schlucken und husten tat immer noch verdammt weh und sie konnte den Verdacht nicht abschütteln, dass dies auch noch ein Weilchen so bliebe. Hübsche Möglichkeit, jemanden zum Schweigen zu bringen, dessen Worte einfach nicht gefielen. Am Ende hätte man sich denen noch stellen müssen! Dieselbe Taktik wandte Achilleos gerade wieder an. Er verzog sich, vermutlich unter dem Vorwand, ihr am Ende glatt noch die Kehle durchschneiden zu müssen. Mächtig unbeherrscht für einen angeblich so respektablen Mann.


    “Ja, lauf nur davon, das kannst du ja so gut.“ Die Germanin wusste nicht, ob er ihre immer noch sehr heiser klingenden Worte gehört hatte und in diesem Augenblick war es ihr auch fürchterlich einerlei. Was brachte die Befriedigung, jemandem die Maske vom Gesicht gerissen zu haben, wenn man anschließend quasi hilf- wie wehrlos war angesichts seiner Rache? Im offenen Kampf war er ihr eindeutig überlegen, eindeutiger ging es schon gar nicht mehr. Aber der offene Zweikampf war eben auch nur etwas für Idioten.
    Nach einem tiefen, köstlichen Atemzug begann sie sich den Staub von ihrem Gewand zu klopfen, während sie überlegte, was nun mit dem Essen zu tun wäre, da ihrem hochwohlgeborenen ‚Jinshi‘ ja ironischerweise der Appetit vergangen war. Wenigstens etwas. Nun, sie hatte den Brei gekocht und sie würde auch so konsequent sein und ihn verspeisen. Soweit ihre Kehle diesen Plan eben unterstützte.

    Langsam ließ das teilweise ohrenbetäubend laute Rauschen in Alsunas Ohren nach und ihre Fingerspitzen massierten vorsichtig die Seiten ihres Halses. Vermutlich sah man nicht einmal irgendeine Spur des vorangegangenen Schlages. Jeder Meuchelmörder wäre von dieser Taktik hellauf begeistert.
    Ihr schwaches Lächeln verstärkte sich. Natürlich war sie ein Idiot, jeder Sklave war das. Deswegen nannte man sie ‚Sklaven‘. Langsam stemmte sie sich etwas höher und blinzelte prüfend, um die Wirkung des Lichtes auf ihr Schwindelgefühl einzuschätzen. Immer noch hatte sie das Gefühl, nicht richtig atmen zu können und wahrscheinlich würde dieser Eindruck gleich einer Warnung so bald nicht nachlassen.


    Ohnehin sparsam mit ihren Worten hörte sie der gerade neu erstellten Liste zu und verzog abschätzig das Gesicht, was Achilleos von seinem Blickwinkel aus ohnehin nicht mitbekam. Vorsichtig räusperte sie sich und dachte gleich danach, ein glühend heißer Dolch wäre ihr in die Kehle gefahren. Mit zusammengebissenen Zähnen unterdrückte die Germanin den Drang zu würgen und spuckte auf den Boden – wobei sie schweren Herzens vermied, ihrem Herrn demonstrativ vor die Füße zu speien.
    “Du hast mir die Erlaubnis erteilt zu tun... was ich will. Und jetzt strafst du mich dafür, dass ich es... getan habe? Warum... ‚legst du mir meinen Kopf dann nicht gleich vor die Füße‘... wie du es so schön umschrieben hast? Das lässt dich weniger... verwirrt erscheinen.“ ‚Verwirrt‘ war noch einer der höflichen Begriffe, welche ihr augenblicklich durch den Kopf tobten.

    Na also, das war doch endlich etwas, mit dem sie sich auskannte. Es änderte nichts an dem Schrecken aufgrund seiner Schnelligkeit oder dem unangenehmen Gefühl einer verschlossenen Luftröhre oder der traurigen, jedoch nicht änderbaren Tatsache, dass sie nun auf dem Boden kniete und nach Luft rang gleich einem Fisch auf dem Trockenen, doch das Gefühl der Genugtuung war hartnäckig. Außerdem hatte sie vergleichsweise raschen Erfolg gehabt. Ein Tag nur und er hatte ihr bereits zeigen müssen, was für ein Riesen-Arschloch er war. Das war eine gute Quote. Und wohl auch die letzte, wenn ihre Lungen weiterhin erfolglos Luft zu holen versuchten.
    Alsuna konnte nicht anders als schwach und grimmig zu lächeln, wenngleich es aufgrund der Atemprobleme wohl eher einem Zähnefletschen ähnelte. Zudem achtete sie trotz aller aufsteigenden Panik tunlichst darauf, ihn selbst jetzt mit keinem einzigen Blick zu beachten. Da schaute sie lieber auf den sich langsam dunkler färbenden Staub zu ihren Knien. Herrje, was hatte sie den Göttern nur getan, dass ausgerechnet sie immer bei den größten Idioten landete?


    Sie befand sich bereits recht flach auf den Boden gepresst als sie spürte, dass die Blockade in ihrem Hals sich langsam zu lösen begann. Ihre Finger gruben sich schmerzhaft in den grobkörnigen Untergrund und sie presste die Augen zu, um gegen das zähschwarze Schwindelgefühl anzukämpfen. Ein klein wenig länger und sie wäre wahrscheinlich bewusstlos geworden. Nunja, was nicht ist, konnte schließlich noch werden. Mies genug fühlte sie sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt.
    Ein heftiger Hustenanfall wollte ihr erneut die Kehle zuschnüren, doch wenigstens erstickte sie nicht mehr daran. Nicht zu ersticken war gut. Damit konnte man arbeiten. Die keuchenden Laute nahmen gegen Ende, als sie nach und nach zu schwerem, schnellen Atemstößen übergingen, beinahe einen amüsierten Klang an. Alsuna machte sich nicht die Mühe, sich hochzuarbeiten, höchstwahrscheinlich würde sie ohnehin umgehend wieder auf dem Boden landen. Mühsam und rau brachte sie immer noch lächelnd hervor:
    “Tja... das ist das Dumme an ... den Fanatikern... Sie besitzen... dieses fiese Problem mit... der Wahrheit...“
    Und das war auch das Problem mit ihr. Wenn sie einmal eine bestimmte Grenze überschritten hatte, kam sie nur ganz schwer wieder zurück.

    Zweifellos war es Alsunas wenig zurückhaltenden Worten geglückt, etwas in ihrem Herrn zu wecken, wenngleich die Sklavin eigentlich mit etwas vollkommen anderem gerechnet hatte. Schläge, Gebrüll, Drohungen, Strafen, all dieses wäre durchaus nachvollziehbar gewesen. Sie hatte sich maßlos über ihre Grenzen hinfortgesetzt und das nicht bloß versehentlich inmitten eines impulsiven Anfalls. Zwar war ihr Temperament nicht halb so passiv, wie sie sich für gewöhnlich im Rahmen ihrer Stellung gab und hätte sie sich nicht schon vor Jahren Gelegenheiten gesucht, um ihren aufgestauten Frust und ihre stetig steigende Aggressivität abzubauen, so hätte ihr Leben höchst wahrscheinlich schon vor jeder Begegnung mit Achilleos ein übles Ende gefunden. Gab man ihr jedoch willentlich eine Gelegenheit, die gehorsame Maske abzuschütteln, so lernte man unter Umständen die erschwerte Problematik kennen, sie ihr in naher Zukunft wieder aufsetzen zu können.
    Nun, da sie sich ohnehin schon viel zu weit vorgewagt hatte, besaß die Germanin auch nicht die Absicht, wieder zum stummen Ausgangspunkt zurückzukehren. Außerdem fühlte sie zum jetzigen Zeitpunkt auch noch keinerlei Reue. Es mochte sich ein anderes Bild formen, wenn ihr Herr sie erst halb besinnungslos geschlagen hatte, doch man musste im Zweifelsfall für den goldenen Moment leben. Der aktuelle war vielleicht noch nicht völlig vergoldet, jedoch auf dem besten Wege hin zu diesem Edelmetall. Mit diesem Kerl und seiner widersprüchlichen Art stimmte etwas nicht und Alsuna war gewillt, dem auf den Grund zu gehen. Sie liebte es im Verhalten und im Charakter ihres Gegenübers Schwächen und Fehler aufzudecken, wenngleich sie diese gegenwärtig zum ersten Mal in einer derartigen Deutlichkeit zur Konfrontation benutzt hatte. Für gewöhnlich genügte ihr bereits das Wissen und die damit verbundenen Möglichkeiten des Ausnutzens. Aber hier – jetzt – spürte sie das Verlangen zuzustechen wie ein gereizter Skorpion. Wahrscheinlich weil sie diesen Mann noch nicht ausreichend kannte und sie wie die meisten Sklaven noch austesten musste, wo ihre Grenzen lagen. Womöglich war er auch einfach zu freundlich zu ihr gewesen. Vielleicht vertrug sie das einfach von dieser Seite nicht mehr.


    Dass sie nach wie vor seinen Blick unerwidert ließ machte die Angelegenheit nicht eben einfacher. Den Brei im Topf hatte sie mit ihrem wütenden Starren garantiert eingeschüchtert, nur hatte dieser ihr eigentlich nichts getan – wenn man einmal von der Problematik der Äpfel absah. Innerlich bereitete sie sich instinktiv darauf vor, im nächsten fliegenden Augenblick äußerst heftigen Schmerzen ausgeliefert zu sein, wenn er sie nicht gleich packte und auf dem Markt verhökerte an denjenigen, der am Miesesten und Dreckigsten aussah. Ja, eine solche Vorgehensweise passte wohl besser zu ihm, als ohnmächtig auf eine Sklavin einzudreschen. Andererseits, was wusste sie schon von seinen inneren Dämonen?


    Erstaunlicherweise schien ihre provozierende Ansprache ihn noch stärker geknackt zu haben. Verwirrt blinzelnd hörte Alsuna ihm stumm zu und konnte die Frage nach dem Warum trotz aller besorgniserregenden Details nicht ausklammern. Weswegen öffnete er sich ihr so? Wollte er ihr Verständnis? Ihre Abscheu? Ihren Zuspruch? Momentan befand sich die Germanin ordentlich weit entfernt von allen dreien. Allein die Tatsache, dass er ihr quasi die wichtigsten Informationen aus seiner Vergangenheit offen legte, war nicht einfach einzuschätzen. ER war nicht einfach einzuschätzen. Da Alsuna wie viele ihrer Art zum latenten Sadismus neigte was das Schicksal ihrer Herren anbelangte, hielt sich ihr Mitgefühl in Grenzen. Zumal sie irgendwie stark bezweifelte, dass dies seine Absicht war. Andererseits konnte sie die wahren Absichten eines solchen Mannes kaum erahnen. Weswegen also sollte sie sich nicht einfach auf sich selbst konzentrieren und das tun, was sie selbst gerade am Liebsten tun wollte? Hatte er ihr diese ungewohnte Freiheit nicht gerade eben so großzügig offeriert? Welchen Grund gäbe es also nun wieder zu ihrer alten, geheuchelten Unterwürfigkeit zurückzukehren? Allerhöchstens aus Sympathie dem Überleben gegenüber. Denn gleich was er sagte, strafen konnte er sie trotzdem noch. Schmerzhaft. Tödlich.


    “Zusammengefasst bist du demnach ein Fanatiker, ein Mörder, ein Betrüger, ein Lügner, ein Feigling, ein Menschenfeind und ein halber Deserteur. Habe ich das so korrekt verstanden?“

    Noch eben rechtzeitig hatte sich Alsuna daran erinnern können, dass das Kerngehäuse eines Apfels für gewöhnlich nicht feineren Speisen zugeführt wurde. Und so hatte sie jene mit raschen, bogenförmigen Schnitten entfernt und auf den kleinen Berg aus Schalen fallen lassen, der sich im Tuch auf ihren Oberschenkeln wand gleich einem filigranen Schlangennest. Das Zerstückeln des Fruchtkörpers ging ähnlich zielstrebig und präzise vonstatten wie der Prozess des Schälens, wenngleich die Sklavin auch bei dieser Tätigkeit mit ihren Gedanken gleichzeitig bei Achilleos' Ausführungen weilen musste.
    Zuvor war ihr die Überlegung durch den Kopf gegangen, wie ihre Reaktion wohl ausfiele, wenn er sie für ihre teilweise doch unverschämten Worte körperlich zu strafen versuchte. Würde sie sich der beschränkten, aber im Überraschungsmoment sicherlich effektiven Hilfe des Messers bedienen, welches in seiner augenblicklichen Tätigkeit so furchtbar harmlos und unschuldig wirkte? Es war kein weiter Weg bis zum Tor und in Rhakotis unterzutauchen musste selbst für jemanden wie sie einfach sein. Vermutlich lag im Auftauchen aus diesem Dreck und Schlamm die eigentliche Herausforderung.


    Der Winkel war nicht ganz einfach, sie würde sich drehen und das Gleichgewicht verlagern müssen. Und sollte sich ihr Gewissen wider Erwarten doch eines Tages zu Wort melden, könnte sie es mit dem Vorwand der Notwehr ganz und gar entkräften. Wahrscheinlich wäre die Stelle der Verletzung das einzig Schwierige. Hals? Seite? Wenn sie nicht acht gäbe, wäre sie im Nu über und über mit Blut bedeckt und dieser Anblick würde vielleicht selbst in Rhakotis Aufmerksamkeit anziehen.
    Ja, wie sie darüber nachsann wurde ihr bewusst, dass sie es mit großer Sicherheit täte. Und irgendwie beruhigte sie dieser Gedanke nicht unwesentlich, hätte beinahe sogar ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen gezaubert. Alles, was sie benötigte, wäre ein Anlass, ein guter, starker Grund. Es wäre einem wahren Befreiungsschlag gleich. Im Grunde sollte sie gar nicht mehr an einem solchen Ort weilen, sie sollte frei sein und nicht im größten Dreckloch der Stadt sitzen. Zudem war ihr schon zuvor ab und an der Gedanke gekommen, wie sie auf eine einfache förmliche Freilassung reagieren sollte. Freude? Glück? Dankbarkeit? Nein, dafür war zu viel geschehen, hatte sich eine zu große Macht in ihr angesammelt. Das würde ihr nicht ausreichen. Und wenn sie schon nicht mehr Hermione die milchweiße Kehle aufschneiden konnte, dann würde eben Achilleos herhalten müssen. Selbstredend traf ihn die wenigste Schuld an diesem schwarzen Fels in ihrem Inneren, aber dies nannte man dann wohl schlichtes Pech. Zur falschen Zeit die falsche Sklavin erhalten. Ein Idealist wie er würde an einem solchen Ort ohnehin nicht lange überleben. Wenn sie es nicht täte, würde es durch die Hand eines gekauften Meuchelmörders, eines Diebs oder eines besoffenen Verrückten getan. Wenn sie ihn tötete, geschähe es zumindest noch aus einem halbwegs respektablen und verständlichen Zweck heraus. Sein Körper läge in seinem selbsterschaffenen Sanktuarium und nicht im stinkenden Unrat in irgendeiner Seitengasse, wo derartige 'Legenden' für gewöhnlich ihr beschämendes, unrühmliches Ende fanden.


    Alsuna sog die leicht rauchige Luft etwas tiefer in ihre Lungen und schob sich das letzte Stückchen Apfel in den Mund um zu prüfen, wie viel Zimt sie ungefähr brauchen würde, wenngleich sie nicht genau zu sagen wusste, wie stark im Geschmack sich dieses Gewürz äußern würde. Allzu sauer war das Fruchtfleisch wenigstens nicht, eher ein wenig mehlig. Allerdings war dieser Apfel nicht das einzige, was einen seltsamen Geschmack auf Alsunas Zunge hinterließ.
    Anscheinend hatte er ihre Aussage, ihn nicht zu kennen, dorthingehend gedeutet, dass sie mehr von ihm erfahren wollte. Oder sollte. Was Achilleos nun genau damit erreichen wollte, erschloss sich der Germanin nicht genau, sie hoffte nur, dass es nicht etwas wie Verständnis oder Mitgefühl für seine Situation wäre. Bereits nach den ersten Sätzen hätte sie ihn am Liebsten mit einer spitzen Bemerkung unterbrochen und am Besten gleich völlig zum Schweigen gebracht. Er erzählte ihr, einer Sklavin, etwas von Demütigungen? Oh, dazu vermochte sie ihm auch einiges zu erzählen, allerdings verspürte sie im Gegensatz zu ihm nicht die geringste Lust, sich zu öffnen und von der Vergangenheit zu plaudern. Sie wollte ihn auch nicht besser kennenlernen, sich in seine Denkweise hineinarbeiten oder Lebensgeschichten von fremden Ländern und deren Rangfolgen hören. Momentan wollte sie einfach nur diesen verdammten Brei kochen und nicht die unerwartete wie unwillkommene Entdeckung machen, dass sich die zerkochenden Äpfel irgendwie nicht mit der Hirse über die Vorherrschaft im Kochtopf einig wurden. Wenigstens fand sie dadurch einen begründeten Anlass, noch ein wenig impulsiver im Topf zu rühren, was sie allerdings nicht dazu brachte, das Messer aus der rechten Hand zu legen.


    Scheinbar war er also im hochheiligen Land der Perfektionisten gewesen, in welches er sicherlich hervorragend gepasst hatte. Warum bei den modernden Gebeinen des Hades war er nicht dort geblieben? Was tat er dann bitte hier, wenn er sich dort so erfolgreich und angesehen und kampfesmutig hervorgetan hatte? Nein, stattdessen versuchte er krampfhaft, dieses Chin oder Han nach Alexandria zu holen, so als presse man einen quadratischen Stein in ein rundes Loch.
    Verdammt, dieser Kerl machte sie wütend mit seinem krankhaft guten Willen und den formidablen Absichten! Wenn ihm die Umstände hier so missfielen, sollte er sich doch wiederum dreizehn Karawanen anschließen und sich davonmachen, solange er noch halbwegs jung und unverletzt war! Stattdessen hockte er hier beim Kochen und gab sich mit einer dummen Sklavin ab! Und das, obwohl jemand mit seinen Ambitionen, seinem Können und seinem Wissen doch die komplette Welt zu retten vermochte. Oder zumindest zwanzig Menschen. Das war doch besser als nichts. Sie persönlich hatte noch keinen einzigen Menschen gerettet und dreisterweise plante sie auch nichts in diese Richtung. Sollte sie allerdings bei sich selbst damit anfangen, so würde gleich ein nachzitternder Messergriff aus jemandes Kehle herausragen.


    Welche Reaktion sollte sie ihm nun anbieten? Die Offenbarung ihrer Mordabsichten fiel sehr wahrscheinlich aus.
    "Warum bist du eigentlich hier? Gab es in... Han keine armen Menschen, die du retten konntest? Oder sind dort schon alle derart gebildet, dass sie deiner Lehren nicht mehr bedürfen?"
    Ohja, sie vergriff sich augenblicklich ganz massiv im Ton, denn trotz aller leisen Unterwürfigkeit räkelte sich der Zynismus überdeutlich in der Sonne und nahm verdächtig provokative Züge dabei an. Nicht unbeabsichtigt und erst recht nicht ohne Hintergedanken. Man lernte einen Menschen erst richtig kennen, wenn man ihn in einem Zustand ohnmächtigen Zorns erlebt hatte, so fest die freundliche, gütige Maske ansonsten auch auf seinem Gesicht klebte. Als Sklavin besaß Alsuna das zweifelhafte Privileg, sehr viel früher als manch anderer hinter diese Maske blicken zu können, doch wenigstens wusste sie dann ganz genau, mit wem sie es hier tatsächlich zu tun hatte.
    "Stattdessen kommst du hierher und versuchst die Prinzipien und Ansichten eines Landes am Ende der Welt zu vermitteln, um dich dann zu wundern, wenn es nicht funktioniert. Du predigst als einziger, dass der Himmel grün ist, und selbst wenn ab und an einer kommt und findet, dass ein grüner Himmel viel schöner ist als ein blauer, bist du doch am Ende der einzige mit dieser Anschauung. Du provozierst dieses ohnehin schon von Unruhe durchsetzte Viertel zu noch mehr Gewalt und Tod, indem du dich so groß und unübersehbar hier niederlässt, dass sie dich gar nicht ignorieren können. Und als Krönung behauptest du auch noch, dass dir in all diesen aufgewirbelten Kontroversen, den Problemen, dem Ärger und dem philosophischen Hufscharren dein eigenes Wohl mal kräftig am Arsch vorbeigeht. Memnos ist der Sohn einer schwanzlutschenden Hündin und seine Missgeburt von Tochter ein Stück stinkendes, madiges Rattenfleisch, aber wenigstens wusste ich bei denen, dass sie nicht willentlich ihr Leben in Gefahr bringen, weil deren Selbsterhaltungstrieb eben nicht auf einer Reise ins Niemandsland von Aasfressern abgenagt wurde! Doch ehrlich gesagt ist es mir ganz und gar egal, was aus dir wird oder den armen, ungebildeten Menschen von Rhakotis! Ich bin Sklavin, wenn ich hier irgendetwas tue, dann aus dem einfachen Grunde, weil ich es muss! Nicht weil ich es gut finde oder weil ich dich gut finde, sondern weil ich keine andere Wahl habe! Wenn ich dir aber einen gut gemeinten Rat geben darf, dann reise so bald wie möglich in dein geliebtes Han zurück und versuche da glücklich zu werden, dort sind die Aussichten für eine solche Zukunft nämlich wesentlich gewaltiger als an diesem von den Göttern verlassenen Ort. Was immer dich von dort vertrieben hat ist bestimmt leichter zu ertragen als dieses Leben voller höherer Bedeutsamkeiten, die aber dennoch am Ende alle ziemlich sinnlos zu sein scheinen, wenn sie deiner Existenz nicht einmal einen Wert verleihen können. Ach, und zum Thema 'Demütigungen' könnte ich auch einige hübsche Anekdoten beisteuern, ich befürchte nur, dass dabei der allgemeine Appetit auf der Strecke bleiben dürfte."


    Dies war auch vorerst alles, was er umgekehrt von ihr wissen sollte. Vielleicht hatte jetzt auch endlich diese unerträglich freundliche Heuchelei ein Ende, mit welcher er sie andauernd bedachte und dessen tieferer Sinn sich Alsuna immer noch hartnäckig verschloss, einmal von einer weiteren östlichen Einrichtung abgesehen. Das konnte er sich gerne sparen. Und auch wenn sie vorhin nicht wirklich laut geworden war, so würde er ihre Worte ganz gewiss nicht ohne entsprechende Konsequenz im Raum stehen lassen. Sein Bedürfnis nach innerer Harmonie konnte auch nicht ewig halten.

    Aha. Diese Sprache schien selbst Achilleos zu verstehen, wenngleich man nie sagen konnte, ob er ihre Worte in seinem Kopf nicht erst solcherart umgewandelt hatte, dass sie in seine Welt angemessen Einzug fanden. Da sie seine Mimik nicht beobachtete sondern wieder dazu übergegangen war, den letzten Apfel zu schälen, vermochte Alsuna lediglich am Klang seiner Stimme abzuschätzen, wie ihre Worte genau auf ihn wirkten, schließlich hatte sie die übliche Demut kurzfristig aber umso deutlicher hinter einen imaginären Vorhang geschoben. Manch ein Herr hätte dies nicht sehr amüsant gefunden. Nun gut, andererseits gab es auch genügend Männer welche es mochten, wenn ihre Sklavin ein klein wenig rebellisch und wild war - natürlich nur, wenn es sich in einem perfekt abgesteckten Rahmen hielt. Bei Memnos hatte es sich stets als vorteilhafter entpuppt, im Geheimen aufzubegehren und offiziell in etwa so zurückhaltend und friedlich zu sein wie eine der zahllosen Öllampen. Angenehm und nützlich in manchen Situationen, doch ansonsten passiv und unsichtbar abseits ihrer Aufgaben.
    Unter Achilleos lagen die Dinge scheinbar anders. Es war allerdings fraglich, wohin ihn diese gelockerte Einstellung auf Dauer bringen würde.


    Die Vorstellung, einen Ianitor zu besitzen enthüllte tatsächlich einige Vorteile. Einen geistig plumpen, aber körperlich kräftigen Kerl fände man in Rhakotis mit Sicherheit an jeder Straßenecke. Leider stand seine Zuverlässigkeit mit derartigen Eigenschaften auf einer anderen Tafel. Es entpuppte sich als überaus zuvorkommend, dass ihr Herr sie diesbezüglich nach ihrer Meinung fragte - obgleich es schwierig war, diese in angemessener Wortwahl auch kundzutun. Alsuna schwieg eine kurze Weile nachdenklich, während sie die inzwischen allesamt von ihrer Haut befreiten Äpfel mit schnellen, präzisen Schnitten in den Brei würfelte. Vermutlich würden sie ebenso zerkochen wie der Hafer, andererseits konnte dies dem Geschmack nur zuträglich sein.
    "Herr, wenn das Tor nur während deiner Abwesenheit geschlossen ist, könnte man gerade das als Gelegenheit sehen, über die Mauern zu klettern, denn dann würde jeder wissen, dass du gegenwärtig nicht hier weilst." Einen Moment zögerte die Germanin, ob dieses Argument bereits den Rahmen des Normalen sprengte und auf Gedankengänge deutete, die man in ihrer Situation nicht unbedingt verfolgte, doch andererseits waren die Umgebung und die Lage der Akademie an sich schon Grund genug, ein wenig paranoid zu werden.


    "Und wenn du dich in deinen Räumlichkeiten aufhältst, müsstest du erst einmal überhaupt mitbekommen, dass Fremde eingedrungen sind, bevor du gegen sie zu kämpfen vermagst. Ich mag überängstlich klingen und verzeih meine offenen Worte, aber diese Gebäude hier liegen leider nicht abseits auf einem einsamen Berg, wo nur ab und an jemand den Weg zu dir findet. Dein Besuch eben war begleitet von zwei kräftigen Männern, dabei hielt er sich vermutlich nur äußerst kurz in Rhakotis auf. Wir wohnen hingegen hier und schließen nicht einmal das Tor. Ich bewundere deine Gründe dafür, jedoch... vielleicht solltest du einmal darüber nachdenken, welche Begründung letztendlich ausschlaggebend ist: die, dass du niemanden abweisen möchtest, oder jene, die deine kriegerische Überlegenheit demonstrieren soll. Ich meine, ich kenne dich und deine Beweggründe nicht..." Und selbst wenn würde ihr vermutlich das Verständnis fehlen. "...womöglich suchst du auch die Herausforderung und fühlst dich in deinem Tun bestätigst, wenn du Angreifer besiegst und damit deine Macht demonstrieren kannst. Diesbezüglich entgeht mir ein wenig der Sinn hinter einer solchen Einstellung, allerdings bin ich auch nur eine Sklavin. Und es ist dein Anwesen. Es steht mir nicht zu, etwas an deinen Regeln und Prinzipien zu kritisieren, nur weil ich sie nicht verstehe." Dies vermochte wahrscheinlich ohnehin nur ein anderer Mann mit einer ebenso unendlich hoch angesetzten Ehre. Wahrscheinlich hasste Achilleos den Frieden wie die Ruhe und suchte einfach Konflikt und Konfrontation. Welche noblen Absichten er auch immer wie ein verhüllender Schleier davor gehängt hatte.


    "Dein Flötenspiel gleicht vermutlich dem frohgemuten Murmeln eines verträumten Bächleins oder dem Vogelgezwitscher in den ersten Frühlingssonnenstrahlen oder dem zarten Gelächter der Nymphen in einer lauen, romantischen Sommernacht." 'Nie besonders gut darin', ja sicher. Alsuna vermochte sich ausgezeichnet vorzustellen, was bei einem solchen perfektionistischen Genie hinter 'nie besonders gut' verborgen lag. Im besten Fall falsche Bescheidenheit.

    Immer schneller löste sich die Haut des Apfels in einem langen, hauchdünnen Band von der sich drehenden Frucht. Entweder Achilleos' Worte verliehen Alsuna diese Präzision, oder die wunderbare Schärfe des Messers, oder die Sklavin hatte in ihrem Leben bislang nichts anderes gemacht als Obst zu schälen. Die Form der in der Natur gewachsenen Kugel wurde fast vollkommen beibehalten, allerdings sah es mehr als einmal so aus, als müsste die Germanin sich im nächsten Augenblick die Klinge tief in den Daumen schneiden. Doch nichts dergleichen geschah, nichts tat sich, außer dass wieder ein Apfel aus seiner Schale trat als bestünde sie aus feiner Seide.


    Ohja, seine Worte beruhigten sie wirklich unglaublich. Jetzt fühlte sie sich in dieser arenagleichen Anlage gleich um ein Vielfaches sicherer, wenn ihre Augen alle paar Herzschläge die Mauern abspähten auf der Suche nach Eindringlingen. Trotzdem, eine zu niedrige, ungesicherte Mauer war eine Sache, ein beständig offen stehendes Tor eine völlig andere. Mochte es mit ihrem Stand zusammenhängen, doch ein derartiges Zeichen der 'Ehre' empfand Alsuna vornehmlich als Einladung für herumlungernde, gelangweilte Diebe und Schläger. Und davon gab es doch gerade in dieser Gegend mehr als genug. Es musste noch nicht einmal etwas Spektakuläres sein; betrunkene Obdachlose oder neugierige Störenfriede genügten bereits vollkommen. Die standen dann plötzlich mitten im Hof oder in den Waschräumen oder im Schrein. Man musste ständig über die Schulter schauen. Da sollte man nicht paranoid werden!
    Aber sollten sie nur kommen, so wie ihr werter Herr sie gerade herausforderte. Wenn sie Glück hatten, befanden sich er und sein Schwert auch gerade gar nicht zu Hause, sondern im Museion oder in der Stadt oder bei der Erwiderung hübschen Damenbesuchs. Dann hätten sie es gleich noch eine ganze Ecke einfacher, wenn sie nämlich nur auf eine einsame Sklavin trafen, der so langsam die Obstmesser ausgingen.


    Ihre Kiefer pressten sich fast schmerzhaft aufeinander und ihre Schälgeschwindigkeit schien sich flüchtig noch einmal zu erhöhen, ehe das Messer am Stiel der Frucht angekommen war und die feine Schale zu ihrem Vorgänger auf das Tuch fiel. Kurz hielt Alsuna inne und umfasste den Griff in ihrer Hand so fest, dass die Fingerknöchel hervortraten, ehe sie sich wortlos auch dem letzten Apfel zuwandte. Solange sie mit etwas arbeiten könnte, wäre hoffentlich alles wunderbar.
    Das dachte sie zumindest. Als Achilleos dann aber plötzlich meinte, eine 'galante' Themenänderung herbeiführen zu müssen, merkte Alsuna gerade noch rechtzeitig, dass dies in Kombination mit dem Fruchtsaft am Messer keine gute Ausgangslage darstellte. Und bevor sie sich vor seinen Augen doch noch tölpelhaft in die Finger schnitt, ließ sie die kleine Klinge lieber mit einem leisen Fauchen in den Apfel eindringen, wo sie auch noch steckte, während die Germanin sich mit nun betont langsamen Bewegungen die Hand am Tuch abtrocknete.


    Nach einem tiefen Atemzug glaubte sie, relativ sicher sprechen zu können, wobei sie nicht umhin kam, eine kleine Nuance Schärfe in die gewohnte Unterwürfigkeit einfließen zu lassen.
    "Deine Worte mögen richtig sein, Herr, aber mir bereitet der Gedanke Sorge, dass Eindringlinge womöglich dein Eigentum entwenden oder zerstören könnten, wenn sie auch nicht dich direkt angreifen. Und du verstehst sicher wenn mir, die ich dein Eigentum bin, eine solche Vorstellung Angst einjagt. Natürlich wird es mir helfen, mich an diesen Satz 'Wer unbedingt sterben will, der möge sterben.' zu erinnern, wenn ich mit aufgeschnittener Kehle hier im Staube des Hofs liege oder auf meinem Lager neben dem offenen Tor oder im Badezimmer, wo man mich zuvor noch geschändet hat, aber nichtsdestotrotz werde ich gleich nach dieser wertvollen Erinnerung vermutlich tot sein und dir nicht mehr dienen können."
    Da sie sich während jenes über ihre Lippen floss nicht groß mit dem Füllen ihrer Lungen beschäftigt hatte, benötigte Alsuna im Anschluss daran erneut ein tieferes Luftholen, ehe sie das Messer wieder mit einem entschlossenen Ruck aus dem Apfel zog und mit dem Schälen fortfuhr, welches nun aufgrund des Schlitzes ein wenig komplizierter ausfiel.
    Wieder in ihrer normalen Tonart fügte die Germanin endlich noch hinzu:
    "Mein Flötenspiel ist wahrscheinlich nur durchschnittlich und nicht mit dem deinen zu vergleichen."

    Kardamom also. Nachdenklich wiederholten Alsunas Lippen stumm dieses Wort während sie überlegte, ob ihr dieser Begriff irgendwann einmal bereits begegnet war. Nein, zumindest in keinem größeren Zusammenhang. Und wo fand man es häufig? In Indien? So wie er das aussprach, schien er der festen Überzeugung zu sein, sie würde schon verstehen, von was er da wieder sprach. Im Gegensatz zu Kardamom wusste sie zumindest, dass es sich um ein Land weit im Osten und am Meer handelte, hauptsächlich mit Wald bedeckt, seltsamen Wilden und Elefanten mit kleinen Ohren. Ansonsten existierten da noch eine Menge kurioser Geschichten, von denen man nicht wusste, ob sie wirklich samt und sonders glaubhaft sein konnten. Eigentlich würde sie ihrem Herrn gerne die ein oder andere Frage nach den von ihm bereisten Ländern stellen. Nur fürchtete sie, dass es über ihre Fragereien und seine Antworten Nacht werden könnte. Natürlich war es von Vorteil, dass Achilleos scheinbar nicht zu den Schweigsamen gehörte – für einen Lehrer wäre dies wahrscheinlich auch nicht sehr produktiv.


    Alsuna betrachtete die fremde Kapsel ebenso wie zuvor die Zimtstange, während sie den Erwiderungen ihres Herrn lauschte. Natürlich, er hätte sie sicherlich zurecht gewiesen, wenn sie sich in Gegenwart seines Gastes ungebührlich verhalten hätte. Für gewöhnlich fühlte und benahm sie sich auch nicht derart verunsichert, wie seit ihrer Ankunft in diesem neuen Domizil. Vermutlich lag dies nicht zuletzt an dieser verdammten, ständig offenstehenden Eingangstür! Weswegen musste dieses elende Stück Holz auch ständig jedermann stumm zum Eintritt verlocken?


    “Nein, Herr, das hier ist mein erster Kochversuch. Dies wurde noch nie von mir verlangt. Danke für deine Geduld. Ich hoffe, bald Fortschritte machen zu können.“ Jedoch dämmerte Alsuna die Befürchtung, dass auch die hohe Kunst des Kochens auf einen guten Teil Talent angewiesen wäre, den man entweder besaß, oder aber ewig vermissen würde. Achilleos besaß dies zweifellos, doch auf welche Kunst traf das nicht zu? Verglichen mit ihm würde sie wahrscheinlich in sämtlichen Bereichen kläglich versagen.
    Ein solcher Gedanke war nicht gerade angenehm, denn trotz ihrer fast lebenslangen Sklavenexistenz lebte auch in ihr ein gewisser Stolz. Verglichen mit Hermione war sie immer intelligenter und fähiger gewesen, andererseits lag darin selten eine Herausforderung. Wahrscheinlich würde sie dies alles nun dank ihres Alleskönner von Herrn irgendwo im Durchschnitt wiederfinden können.
    Mit leichter Verärgerung suchte die Germanin die Regale der Vorratsräume nach ein paar geeigneten und vor allem bekannten Früchten ab, ehe sie sich der Einfachheit halber für drei Äpfel entschied. Deren Zubereitung im Sinne von Waschen, Schälen und Schneiden würde wohl selbst sie hoffentlich noch bewerkstelligen können.


    Als sie schließlich ebenfalls wieder auf ihrem Stuhl neben dem Haferbrei Platz genommen hatte, die Äpfel in ein Tuch auf ihrem Schoß schälte, kam ihr der Gedanke, dass es wesentlich einfacher war, bei einem fehlerhaften Herrn Sklavin sein zu müssen, als bei einem derart perfekten. Bislang hatte sie schließlich gewusst, dass es Themen und Bereiche gab, in denen sie besser war als ihre Besitzer und irgendwie hatte ihr dieses Wissen über so manche Ungerechtigkeit hinweg geholfen. Es mochte weder edelmütig noch ehrenvoll sein, doch es hatte ihr etwas gegeben, was sie nun eindeutig entbehrte. Vermutlich wären die meisten anderen Sklaven dankbar und selig gewesen für einen solchen Aufstieg, die bessere Behandlung, einen derart couragierten und intelligenten Herrn. Doch so funktionierte Alsuna eben nicht.
    “Trägst du das Schwert permanent, weil die Tür immer offen ist, oder ist die Tür stets offen, weil du von Früh bis Spät dein Schwert trägst?“ Eigentlich hätte die Frage Warum verschließt du diese Tür nicht?! lauten müssen, doch so überdeutlich mochte die Germanin nicht auf diesen wunden Punkt hinweisen.

    Anscheinend hatten ihre Antworten ihn ausreichend zufriedengestellt. Oder aber er kochte einfach nur so leidenschaftlich gerne, dass alles andere sich erst einmal hinten anstellen musste. Ein Umstand, der ihn nur noch seltsamer werden ließ. Alsuna war kein männliches Wesen bekannt, das gerne kochte oder mit Speisen hantierte, von Tätigkeiten innerhalb einer Plantage, Metzgerei und Ähnlichem einmal abgesehen. In Memnos' Haushalt hatte es nur Köchinnen gegeben, wenngleich die Germanin schon hin und wieder mitbekommen hatte, dass mancher Herr sich auch einen Mann als Koch hielt. Dass jedoch ein Herr seiner Sklavin zeigte, wie man würzte und kochte besaß etwas derart Irreales, dass Alsuna einige Momente benötigte, um diesen Mosaikstein irgendwo in ihrem Weltbild unterzubringen. Etwas trieb sie an, ihm sofort alles aus den Händen zu nehmen und diese Arbeit selbständig auszuführen - wenn sie nur gewusst hätte, wie und wo sie damit anfangen sollte. Achilleos wusste zweifellos, was er zu tun hatte, wie sie an den geübten Handgriffen schnell feststellte. Und eigentlich sollte es ihr auch vollkommen egal sein, ob das Herr-Sklave-Gefüge gerade auf den Kopf gestellt wurde. Umso ärgerlicher, dass es ihr nicht so einerlei war. Stattdessen musste sie sich auf die Zunge beissen, um keinen unsinnigen Einwand zu murmeln.


    Lieber versuchte sie sich auf seine Künste mit dem Mörser zu konzentrieren, und auf die Mengen, welche er verwendete. Den Pfeffer erkannte Alsuna auch noch relativ problemlos, bei diesen seltsamen Kapseln allerdings fiel ihr kein passender Name ein. Mohn war es zumindest nicht, der war ihr bekannt. Wahrscheinlich kam es auch auf die Kombination an. Sie hätte zunächst einmal vermutlich nur nach einem einzigen Gewürz gegriffen und nicht gleich derartige Mischungen erstellt. Angesichts Achilleos' Können begann sich die Sklavin stattdessen zu wünschen, sich mit ihrem Haferbrei zu einem Zeitpunkt ans Feuer gesetzt zu haben, an dem er definitiv auswärts weilte und sie keinesfalls bei ihren miserablen Bemühungen würde erwischen können.
    Ein wenig aus ihren Gedanken gerissen schüttelte sie auch dementsprechend hastig den Kopf als er ihr anbot, die Würzmischung zu probieren. Mit einem Finger... sie kannte Küchensklaven, denen hatte man nach derartigem Kosten und Naschen ein Fingerglied abgeschnitten. Diese Erfahrung hatte sich derart in ihr Gedächtnis gebrannt, dass sie selbst noch davor zurückschreckte, wenn ihr Herr selbst es tat und ihr anbot. Womöglich lauerte dahinter auch nur wieder ein Trick, um ihre Verhaltensweisen auf die Probe zu stellen. Also lehnte sie sicherheitshalber ab. Sie hing an ihren Fingern und die Gewürze würde sie gleich ohnehin schmecken können.


    Bei der Frage bezüglich ihres Haferbreis kam sie natürlich nicht so einfach davon und sie musste sich eingestehen, dass sie viel zu fasziniert von den Kochkünsten eines Mannes gewesen war, um sich noch groß um ihren Brei Gedanken zu machen.
    "Nachtisch, Herr. Vielleicht mit Zimt und Früchten und... etwas Milch... und etwas Scharfem? Was ist dies hier, Herr?" Nicht ganz so sicher, wie sie es gerne gewesen wäre, deutete Alsuna auf die unbekannte Kapsel und hoffte, sich nicht erneut der Lächerlichkeit preisgegeben zu haben. Möglicherweise zur Ablenkung fügte sie relativ rasch noch hinzu:
    "War mein Verhalten vorhin bei deinem Besuch nicht angemessen? Hätte ich mich nicht entfernen dürfen?" Es schien sich um eine geschäftliche Angelegenheit zu handeln, doch in erster Linie hatte Alsuna ihren Brei retten wollen.

    Scheinbar war er bezüglich ihrer Aussage der Verteidigung gegen ihn doch auf einige Ungereimtheiten gestoßen. Angesichts seiner bislang offenbarten Gesinnung musste ihm das erst recht seltsam erscheinen, da es sich anhörte, als fürchte seine neue Sklavin jederzeit eine gewalttätigen Übergriff von seiner Seite. Eigentlich hatte Alsuna trotz ihrer Aussage, sich verteidigen zu können, lediglich von vornherein eine Demonstration zu Testzwecken ausschließen wollen. Frei nach dem Motto 'Dann zeig mir doch mal, was du tätest, wenn dich jemand so von hinten überfiele.' Zumindest war ihr Herr nach ihren Worten derart überrascht, dass er in eine solch unerwünschte Richtung gar nicht mehr dachte. Insofern war das ursprüngliche Ziel letztendlich doch erreicht worden. Deswegen beließ es die Germanin lieber auch dabei und widmete sich ebenfalls wieder dem Essen.


    Hm, welchen Geschmack bevorzugte sie? Nachdenklich blickte Alsuna auf die Zimtstange, ehe sie sie behutsam wieder in die Kiste zurücklegte. Nach ihrer Meinung selbst bei so einer kleinen Sache fragte man sie für gewöhnlich aus dieser Richtung nicht und es war seltsam, dies nun von Achilleos zu hören. Irgendwie befürchtete sie wiederum eine Falle, allerdings nur ehe sie sich verdeutlichte, wer da zu ihr sprach.
    “Ich mag scharfes Essen. Aber süß ist auch in Ordnung.“ Sie war neugierig, welche Würzmischung er nun verwenden würde. Wahrscheinlich würden ihr die einzelnen Namen nicht viel über das Ergebnis verraten können, doch vielleicht erlaubte er ihr, ihre Essensportionen immer ein wenig nachzuwürzen. Außer natürlich die entsprechende Zutat sprengte alle finanzielle Grenzen.


    “Meine Augen sind grün, Herr.“ Zwar hob sie ihren Kopf in eine vernünftige Höhe, beließ den Blick jedoch immer noch knapp unterhalb von Achilleos‘ Kinn. “Und ich durfte ausgezeichnet schlafen, hab Dank.“ Sie war glücklich gewesen, als sie endlich ruhigen Gewissens hatte den Tag beginnen und von ihrem Lager flüchten können. Immer wieder war sie aus dem Schlaf hochgefahren, weil sie glaubte, irgendjemand – oder irgendetwas hätte sie gerufen. Noch ein guter Grund, ihrem Herrn nicht die Gelegenheit zu geben, sich allzu genau ihre Augenpartie anzuschauen.
    “Und ich bin sehr zufrieden mit meinem Raum.“ Sie hatte eine leicht gelöste Bodendiele durch bohren und schieben noch ein wenig mehr lockern können. Es entsprach noch nicht ihren Bedürfnissen oder Wünschen, doch man näherte sich langsam.

    Zurück aus den eher endlichen Weiten der Vorratsräume wurde Alsuna sehr rasch verdeutlicht, dass sie wohl laut der Meinung ihres Herrn nicht gerade einer Amazone ähnelte. Was sie wahrscheinlich von sich aus bereits eher von sich gewiesen hätte. Doch ob ‚Weglaufen‘ ein so guter Rat wäre? Immerhin kannte sie sich bei Weitem nicht so gut im Gassenlabyrinth dieses Problemviertels aus, wie düster gesinnte Ansässige dies vermutlich taten. Gewisse einschlägige Orte waren ihr zwar schon bekannt, aber wenn es wirklich um Leben und Tod ginge... die Unruhe, die sie befiel, sobald jemand sich im Eingangsbereich der Akademie zeigte, traf sie sicherlich nicht zufällig. Und einen Hinterausgang oder eine verborgene Kammer hatte sie an diesem Ort bislang auch noch nicht ausmachen können. Sie würde hier im Ernstfall gnadenlos in der Falle sitzen.


    Schweigend und mit den Gedanken unwillentlich an einigen anderen Orten verweilend nahm sie Achilleos‘ Erklärungen eher halbherzig wahr. Gewürzlehre stand also auf dem Stundenplan. Nun, dafür brachte Haferbrei vermutlich eine großartige Grundlage mit sich, denn der schmeckte passenderweise pur nach rein gar nichts.
    Alsuna quittierte die Ausführungen zum Thema Zimt und Honig mit einem neuerlichen Nicken, bemerkte aber mit einiger Verwunderung, dass ihr Herr dann plötzlich abbrach. Das war neu. Und ungewohnt. Und seltsam bei einem derart leidenschaftlichen Dozenten. Ihre Augenbrauen hoben sich, doch da sie wie gewohnt nicht seinen Blick erwiderte, dürfte er ihr die Überraschung nicht allzu deutlich ansehen können. Seit wann durfte sie etwas selbst herausfinden? Hatte man ihr die Frustration eben doch angemerkt?


    “Danke... Herr“, brachte sie nicht ohne eine leichte Verunsicherung in der Stimme heraus, fast so, als rechne sie mit einer gut getarnten Falle hinter dem plötzlichen Vertrauen. Sie griff auch keineswegs direkt mitten hinein in die Gewürze und machte sich ans Ausprobieren – diese Art und Weise des Kochens hätte Achilleos sicherlich auch gleich wieder seine Worte bereuen lassen.
    Alsuna indes fand jene sonderbare Wendung des zweiten Themas dermaßen seltsam, dass sie doch lieber wieder zum ersten zurückfand. Zudem sollte er sich auch nicht ständig Gedanken darüber machen, ob er seine Sklavin am Ende des Tages noch in einem Stück wiederfände.
    “Ich werde mich schon zu verteidigen wissen, Herr. Solange du nicht verlangst, mich gegen dich zu verteidigen, brauchst du dir darüber keine Gedanken zu machen.“ Zugegeben, diesen Wortlaut konnte man missinterpretieren – oder unglücklich nachhaken. Da wandte sie sich lieber wieder der Holzkiste zu und nahm eine der intensiv duftenden Zimtstangen zwischen Daumen und Zeigefinger, um sie genauer zu betrachten.

    Da ihr Herr glücklicherweise selbständig den Weg zum äußeren Hof und damit in die Arme seines Besuches gefunden hatte, konnte sich Alsuna ruhigen Gewissens aus dem Gespräch zurückziehen und sich derzeit wichtigeren Dingen, nämlich ihrem Haferbrei, zuwenden. Sogleich hatte sie das Rühren wieder aufgenommen und geschnuppert, ob sich ein verdächtig angebrannter Duft ausbreitete. Doch Fortuna schien wenigstens in dieser Kleinigkeit auf sie hinab zu lächeln. Mit einem leisen, erleichterten Seufzer hockte sie sich wiederum neben den kleinen Kessel und überlegte, was sie aus den Vorratsräumen am Besten als Beilage nutzen sollte. Sie mochte nicht wild durchprobieren, sondern lieber bereits im Voraus die Möglichkeiten bedenken.


    Gerade war die Sklavin zu einem Entschluss gekommen und erhob sich, um ihn in die Tat umzusetzen, als ihr Herr seinen Besuch offenbar verabschiedet hatte und sich auch gleich daran machte, ihren Brei zu kosten, wovon sie ihm natürlich abgeraten hätte, wäre ihr die Gelegenheit dazu gekommen. Dies hier war ein Aufwärmen, ein Probedurchlauf sozusagen, um sich erst einmal mit der Hitze des Feuers und dem Kochen an sich anzufreunden. Nie im Leben hätte sie etwas davon Achilleos angeboten. Bedauerlicherweise bediente er sich jedoch gänzlich selbständig und zeigte ihr daraufhin mit Sicherheit dasselbe Gesicht, welches sie selbst noch wenige Augenblicke zuvor gezogen hatte. Und was auch kein Wunder war! Natürlich musste sie kochen noch üben, sie war ja auch gerade dabei gewesen!


    Hart schluckte sie eine patzige, aber angemessene Antwort hinab und beschränkte sich auf ein knappes Nicken. Über diese Fiesheit hatte sie sogar seine Frage nach der Selbstverteidigung beinahe vergessen. Dummerweise konnte sie wohl kaum erwidern, dass sie mit seinen Besitztümern lieber alleine ein wenig experimentiert hätte, anstatt es sich von ihm zeigen zu lassen, denn jetzt bauschte sich das Ganze wieder zu einer unerträglichen Unterrichtsstunde auf, dank der sie garantiert kein Vergnügen an der Kochkunst gewinnen würde. Andererseits war sie dies inzwischen hinlänglich gewohnt.
    „Gegen wen oder was genau verteidigen, Herr?“ Das fehlte ihr gerade noch, dass er sie auch noch im Kampf unterrichten wollte. Für derart viele Unterrichtseinheiten fühlte sie sich inzwischen wirklich zu alt.
    Doch da er ihr ohnehin erst einmal einen Auftrag gegeben hatte, konnte sie in der Vorratskammer ausreichend mit den Zähnen knirschen, um zurück mit der Holzkiste wieder den gewohnt demütigen Eindruck zu erwecken.

    Kochen war bestimmt an sich eine sehr lockere Angelegenheit. Und keine unlösbare Herausforderung. Eigentlich galt es doch nur bestimmte Zutaten in einer bestimmten Reihenfolge zu bestimmten Zeitpunkten in einer bestimmten Art zu verbinden. Die Köchinnen in ihrem ehemaligen Haushalt schwörten natürlich auf ihre Intuition, ihre instinktive Abmessung der Menge, das im Blut liegende Erahnen des richtigen Augenblicks, der korrekten Würzmischung, und so weiter und so fort. Gut, Alsuna war keine eingefleischte Köchin. Vielmehr verlangten diverse außerdienstliche Tätigkeiten nach Präzision und genauen Maßeinheiten, und in diesem Sinne wollte sie es auch gerne weiterhin belassen. Also nichts mit 'ein paar Handvoll Diesunddas in heißes Wasser werfen', nein, das sollte man schon ordentlicher exerzieren. Zumal Achilleos es garantiert nicht schätzte, wenn sie teure Zutaten durch missglückte Kochversuche ungenießbar machte.
    Also fing sie mit etwas Kleinem, Einfachem an unter der Absicht, sich nach und nach in anspruchsvollere Gefilde emporzuarbeiten. Und so rührte sie erst einmal langsam und gleichmäßig in einem Topf mit Haferbrei. Das mochte lapidar und simpel klingen, aber es war schließlich ihre erste eigenständige Kocherfahrung. Ihr Herr hatte sich soweit sie wusste in seine mysteriöse Meditationskammer zurückgezogen, ergo konnte sie in Ruhe dabei zusehen, wie der Hafer sich bis zur Unkenntlichkeit auflöste. Aß man das eigentlich pur oder gab es zu diesem Gericht Beilagen? Etwas Obst vielleicht?


    Nachdenklich hob sie den Kopf und blickte zum Eingang der Vorratskammer hinüber. Eigentlich wollte sie es ja gemäßigt angehen lassen. Nachdem sie die Spitze eines Holzlöffels in den Brei getunkt und vorsichtig daran geleckt hatte, änderte sie ihre Meinung schlagartig. Natürlich war ihr Gaumen ziemlich verwöhnt, aber ein wenig Geschmack ab und an sollte schließlich ganz unverschämt die Stimmung heben.
    Sie hatte sich schon erhoben, dem gelassen und zäh vor sich hin blubbernden Gericht durch eine unmissverständliche Geste zu verstehen gegeben, dass es bloß während ihrer kurzen Abwesenheit keine Dummheiten machen sollte, und sich gerade dem Vorratsraum zugewandt, als sie glaubte, vom Eingang her einen Ruf gehört zu haben. Der große Vorteil einer ständig offenstehenden Eingangstür. Andererseits hätte es bei der abgeschlossenen Variante auch einen ständig anwesenden Pförtner geben müssen und Alsuna verspürte wenig Enthusiasmus bei dem Gedanken, diesen Posten auch noch übernehmen zu müssen.


    Mit einigen Handgriffen überprüfte sie den Sitz des breiten, tannengrünen Haarbandes, das sie in ihre wie stets teilweise hochgesteckte Frisur eingearbeitet hatte und welches farblich auf den einfach geschnittenen Peplos abgestimmt war. Haarbänder besaß sie für so gut wie jeden Anlass zuhauf. Nachdem sie sich noch einige verirrte Haferkörner von ihrem Gewand gestrichen hatte versuchte sie, die leichte Nervosität, welche sie stets bei sich ankündigendem Besuch verspürte, niederzuringen. Diese offene Tür hatte sie inzwischen derart häufig verflucht, dass diese eigentlich schon alleine davon zu Staub zerfallen sollte.
    Dann erblickte die Germanin auch schon drei sich nähernde Gestalten, sog noch einmal tief die Luft ein und ging zügigen Schrittes auf den Besuch zu. Als sie die drei Gesichter nach einer flüchtigen Prüfung als unbekannt identifizierte, fühlte sie sich gleich um einiges besser. In gebührendem Abstand blieb Alsuna stehen, so dass die Gäste den Hof ungehindert betreten konnte, und verneigte sich leicht und anmutig, wie sie es in endlos erscheinenden Stunden gelernt hatte. Ihr Blick blieb ehrfurchtsvoll gesenkt.
    "Ich grüße euch. Wünscht ihr meinen Herrn Marcus Achilleos zu sprechen?" Möglicherweise wirkte ihre Art etwas überstürzt, aber es gab da noch diesen Brei auf einem Feuer, der zu seinem eigenen Besten nicht anbrennen sollte.

    Ihre Anmerkungen waren gut? Stellte sich diese ganze seltsame Geschichte am Ende als eine Art Prüfung heraus? Alsuna musste gestehen, dass sie diesen Mann nicht unbedingt besser verstand, je länger sie ihn kannte und mit ihm Umgang pflegte. Entweder er war sehr edelmütig - oder unwahrscheinlich niederträchtig. Vielleicht war ihm dies im Endeffekt auch gleich, solange er nicht zur gefürchteten Mitte zählte. Die Germanin allerdings war bislang eigentlich immer ganz gut damit gefahren, ihre Herrschaft im richtigen Maße einschätzen zu können. Auf diesen Vorteil verzichtete sie nur äußerst ungern.
    Andererseits schien sie ihre Ansichten bislang recht gut durchgeschlagen zu haben. Wenigstens hatte Achilleos bis dato weder wütend noch geringschätzig reagiert - zumindest oberflächlich betrachtet. Dennoch gelang es Alsuna nicht so recht aufzuatmen aufgrund der Akzeptanz ihres Argumentes bezüglich der Überforderung. Weswegen hatte man ihm dies überhaupt noch nennen müssen? War es nicht offensichtlich, aus welchen Umständen Fehler geboren werden konnten? Anscheinend maß er sich in einem von der Realität etwas abweichenden Rahmen und legte dasselbe Maßband dann auch rundheraus an seiner Umwelt an. Und er war mit einer solchen Taktik bislang noch nie enttäuscht worden, nie aus den Wolken gefallen? Bei den Göttern, diese Menschen mit den seltsamen, kurzen Namen mussten eine Perfektion besitzen, bei der einem nur schwindeln konnte.


    Also hatten die werten Konkubinen das Amt des Generals an sich nicht respektiert? Nein, es war müßig, weiter darüber nachzudenken. Vermutlich war die gesamte Erzählung nur aus dem Grunde geschaffen worden, dass man irgendeine Lebensweisheit daraus ziehen sollte, und hatte sich so nie wirklich ereignet. Was sollte man auch mit 360 Frauen? Und warum sollte man sie exerzieren lassen, um einen General zu testen? Eine Situation direkt aus dem Leben gegriffen!
    "Ja natürlich, Herr. Das ist gerecht."
    Angesichts eines solchen Herrn sollte man wohl tatsächlich nicht versuchen, mit eigener Vernunft und Logik an ein Problem heranzutreten. Dafür war die Gefahr zu groß, das komplette Gegenteil von dem anzurichten, was sich Achilleos wünschte.
    "Wenn es ohnehin noch etwas dauert, bis die Wasserleitungen verlegt sind, kann ich diejenigen Bereiche der Anlage, für die du dir Bepflanzung wünschst, schon einmal auf ihre Lage hin beobachten und dir Pläne für diejenigen Pflanzen erstellen, welche an dieser Stelle vorteilhaft wären. Möchtest du auch Figuren oder ähnliches aufstellen?"

    Alsunas Blick war auf den festgetretenen, trockenen Boden des Innenhofs gerichtet, während ihr Geist versuchte, seinen Worten und vor allem dieser seltsamen Geschichte zu folgen, mit der er augenscheinlich etwas erreichen wollte. Leider eröffnete sich ihr auch nach einer Weile des Schweigens und Nachsinnens nicht so ganz, inwieweit diese Erzählung eine direkte Anweisung für sie enthielt. Abgesehen von der Kleinigkeit mit dem Töten. Diese Drohung schien im Vergleich zum Rest nur zu klar hervorzustechen. Wenn sie einen Fehler zum zweiten Mal beginge, würde sie äußerst schmerzhafte Konsequenzen spüren. Wahrscheinlich würde er sie nicht gleich umbringen, doch es gab wesentlich furchtbarere Dinge als der Tod.
    Alsuna schluckte und ärgerte sich gleich darauf maßlos über diese unbewusste Gestik. Achilleos teilte ihr noch etwas bezüglich der Gartenbewässerung mit, doch sie hörte nur mit halbem Ohr zu. Nach dieser in hübsche Worte eingehüllten Drohung wollte die anstehende Bepflanzung nicht mehr so recht ihre Aufmerksamkeit einfangen.


    Schließlich erwiderte sie, ihre Stimme möglichst ruhig haltend:
    „Verzeih mir Herr, doch ich kann in deiner Geschichte keinen Zusammenhang mit meiner Situation finden. Es sind zweierlei Seiten, ob man einen Befehl verweigert, weil man albern und verwöhnt ist, oder ob man Fehler begeht, weil zu viele Arbeiten gleichzeitig auf einen einstürzen. Fehler begeht man nicht nur aus Unwissenheit, sondern auch, weil man zu erschöpft ist oder abgelenkt wurde oder die Umstände sich geändert haben. Es gibt sehr viele gute Gründe, einen Fehler zu begehen.“
    Alsuna war sich bewusst, dass sie viel zu emotional reagierte. Doch wenn er sie schon bedrohte, sollte er dies nicht hinter irgendeinem fremdländischen Befehlshaber verstecken, um sich dadurch besser zu fühlen, sondern es ihr deutlich mitteilen.
    „Abgesehen davon, warum trägt der General nur dann die Schuld, wenn erwiesen ist, dass die Soldaten keine Ahnung haben? Warum ist es anschließend plötzlich die Schuld der Offiziere? Hätte sich der General nicht konsequenterweise selbst umbringen müssen, weil er die Befehlsausführung schlecht erklärt hat und sich keinen Respekt verdienen konnte?“ legte sie noch etwas leiser nach.

    Alsunas Gedankengänge kreisten noch ein wenig länger an diesem in ihrem Leben bislang nur äußerst selten erscheinenden Begriff 'ästhetisch'. Natürlich besaß sie eine ungefähre Ahnung, was man sich darunter vorzustellen hatte und sie musste gestehen, dass es zu Achilleos passte, einen solchen Geschmack zu offenbaren, doch was dies genau für einen Garten bedeutet, welche Vorstellungen er besaß, wollte sich ihr noch nicht vollkommen erschließen. Memnos war immer mehr an Üppigkeit, an Fülle gelegen gewesen was seine Gartenanlagen betraf. Und es war auch nicht so gewesen, dass Alsuna ganz allein den gesamten grün-bunten Bereich verwalten musste. Sie hatte einiges von den dort arbeitenden Sklaven gelernt, die präzise wussten, was ihrem Herrn zusagte und was er umgekehrt als Verschwendung guter, fruchtbarer Erde ansähe. Des Öfteren war sie den Männern zur Hand gegangen, wenn es Hermione erlaubt hatte, und mehrmals war ihr ein guter Geschmack und eine fähige Hand im Umgang mit den Pflanzen bestätigt worden. Einen kompletten Garten von Grund auf neu anlegen, ohne eine einzige darauf ausgelegte Voraussetzung - nun, dies war neu. Und eine ordentliche, anspruchsvolle Herausforderung. Mit einer solchen Aufgabe konnte man glatt mehrere Sklaven eine gute Zeit lang beschäftigen. Das war keine Angelegenheit, die sich nebenbei erledigen ließ, wenn man gerade etwas Luft erübrigen konnte. Besonders nicht, wenn man die hohen Ansprüche ihres Herrn erfüllen und brauchbare Arbeit leisten wollte, bei der man noch nie so viel Eigenverantwortung hatte tragen müssen. Beispielsweise wusste sie beim besten Willen nicht zu sagen, wo und von wem sie die Erde denn organisieren sollte. Bei Memnos war sie einfach da gewesen, wurde in regelmäßigen Abständen frisch angeliefert und dann verteilt. Komplett mit Würmern und kleinen Insekten, die den Boden auflockerten und für Nährstoffe sorgten. Wie lange diese kleinen Viecher letztendlich überlebten, konnte sie nur erraten. Woran sie sich allerdings sehr gut erinnerte waren die riesigen Mengen Wasser, die dieser Garten konsumieren musste, um so erhalten zu bleiben, wie er war. Wenn etwas nicht anschlug oder von Schädlingen zerfressen war, wurde es meist sehr rasch ersetzt.


    Die Germanin nahm einen etwas tieferen Atemzug. Ein effektiv verdoppelter Tag, ja sicher. Vielleicht in einem halben Jahr, wenn sie sich entsprechend eingewöhnt und die anfänglichen Hindernisse überwunden hatte, dann vielleicht würde sie die Hälfte seines Arbeitspensums bewältigen können - weil sie es musste, nicht, weil sie es wollte. Wenn man etwas wollte, war man zu ungleich größeren Leistungen fähig, als wenn man zu etwas gezwungen wurde, das man insgeheim als Zeitverschwendung abtat. Und was man keineswegs für sich selbst erledigte.
    "Ich werde mein Bestes versuchen, Herr, aber von einer effektiven Verdopplung des Tages würde ich nicht zu sprechen wagen", murmelte sie einen vorsichtigen Einwand, während sie sich wünschte, er besäße wenigstens ein klein wenig Vorerfahrung mit Sklaven. Dabei benahm sie sich geradezu vorbildlich. Was würde er denn tun, wenn sie sich schlichtweg weigerte, wenn sie absichtlich versagte und sich in allem querstellte, was er ihr auferlegte?
    "Ich besitze keine Erfahrung im Handel, ich durfte nie etwas selbst kaufen. So viel Vertrauen brachte man mir nicht entgegen." Vollkommen zurecht.
    "Schon alleine weil du der Herr bist und ich die Sklavin kann man nicht davon ausgehen, dass ich dieselbe Leistung aufbringe wie du. Du arbeitest für dich selbst, ich arbeite für dich. Selbst wenn ich mich bemühe, so wird mir der Enthusiasmus und die Inspiration fehlen, die dich antreibt. Ein Sklave wird hauptsächlich durch Furcht vor Strafe motiviert. Ich bin sicher du verstehst, dass sich auf dieser Basis keine Leistung wie die deine gewinnen lässt. Doch natürlich werde ich mein Möglichstes tun, dich zufrieden zu stellen. Nur eben aus anderen Gründen." Ihre Stimme hatte weitestgehend sachlich geklungen und fuhr in gleicher Weise fort, seine letzten Fragen zu beantworten.


    "Womöglich wäre es auch sinnvoll, Gewürzpflanzen anzubauen, wenn hier täglich gekocht wird. Doch bevor wir uns mit den Pflanzen beschäftigen, wäre es vielleicht besser, erst einmal einen geeigneten Boden anzulegen. Wie oft kann er bewässert werden? Morgens und abends? Alleine für das Bewässern musst du einiges an Zeit einplanen. Es ist nicht damit getan, einfach einen Eimer Wasser auszukippen. Auch wenn du über ausreichend finanzielle Mittel verfügst, so wäre es bedauerlich, wenn das Saatgut oder die Setzlinge am Ende nicht anschlagen können. Wahrscheinlich wäre es am Sinnvollsten, die Aussaat zunächst vorzuziehen, bis sie etwas widerstandsfähiger ist und ausgesetzt werden kann. Mit der Anlage eines guten Gartens ist man sehr beschäftigt. Ich werde nicht alles, was du bislang aufgezählt hast, gleichzeitig tun können. Angesichts der bisher von dir genannten Aufgaben wäre es vielleicht besser, Prioritäten zu setzen, da ich sonst nichts von alldem zu deiner Zufriedenheit werde erfüllen können."