Beiträge von Phraates

    „Nein, nein!“, machte Phraates, der für sein schlechtes Latein sich ziemlich blöd vorkam. „Nicht das Kaninchen jeden Tag essen. Nur, es war Essen für diese Tag. Für nächste Tag gibt es dann eine andere Kaninchen.“, erklärte er. Er nickte aber nur bedächtig, als Marei meinte, der Eber würde nicht gerade logisch denken. Dies dachte er auch. Aber der Schmäh an der Geschichte war ja, dass das Kninchen, nicht der Eber, den Wolf austricksen würde.
    Er fuhr also fort.
    „Der Wolf also! Er folgte die Kaninchen. Der Wolf war ziemlich böse. Er dachte, das kann es nicht geben, dass er einen Rivalen hatte, vor dem alle mehr Furcht hatten als er selber! Und das Kaninchen führte die... den Wolf an einen alten Brunnen. Ihn haben einmal Menschen gebaut, aus den Volk der Hephtaliten, bevor der große Shah-an-shah von Parthien sie hatte vertrieben.“, vertraute er Klein-Marei an. „Dorthin führte der Kaninchen den Wolf! Und es sagte, in diese Brunnen lebt der andere Wolf. Der stärkere und viel bösere Wolf. Der Wolf, neugierig, schaut in den Brunnen hinein. Und sieht nichts. Beuge dich weiter vor, ruft der Hase. Das tut der Wolf auch, und er sieht – sein eigenes Spiegelbild. Und der blöde Wolf denkt, das ist der andere Wolf, der ihm macht Konkurrenz! Und er bellt. Und es gibt ein Echo. Der Wolf rutscht weiter nach vorne und bellt hinein. He du, Feigling, ruft er. Und das Echo kommt zurück. Feigling, Feigling, Feigling!, ruft es. Der Wolf wird ganz wütend, er denkt, der andere hat ihn Feigling genannt. Und er ruft weiter in den Brunnen hinein, Beschimpfungen über Beschimpfungen, und er schimpft sich ganz in Rage wegen seine Echo! Der Kaninchen ruft ihm zu: Du musst ihn besiegen! DU musst hinein in den Brunnen! Der Wolf knurrt! Und er stürzt sich hinein, in den Brunnen! Und...“ Phraates lächelte. „Der dumme böse Wolf konnte nicht schwimmen. Also ertrank er im Brunnen.“ Er breitete die Hände aus.
    „Und alle Tiere kamen und schauten sich an den toten bösen Wolf! Und alle sagten: ein Hoch dem klugen Kaninchen, dem Retter unseres Tales, unserem Helden! Von nun an wurde das Kaninchen, das den Wolf besiegt hatte, als Held gefeiert. Und nie wieder traute sich ein Wolf in das Tal hinein.“ Mit diesen Worten schloss er seine Geschichte.

    Phraates blickte das Mädchen ratlos an. Wieso begann sie zu schluchzn? Bisher war doch noch nichts Schlimmes gesehen. Dabei würde die Geschichte noch einen Gang höher schalten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass das Mädchen so empfindsam war. So lächelte er einfach nur. „Ja, ein ganz böses Wolf.“, machte er und beugte sich lächelnd über Marei. „Alles ist gut. Alles ist gut.“, meinte er, ihm fiel nichts Besseres ein, er wollte ja nicht dem Ausgang der Geschichte vorweg greifen.
    „Also, bereit? Der Eber seufzte ganz, ganz tief! Und dann sagte er: Wir können nichts gegen den Wolf tun. Wir müssen mit ihm leben! Und das können wir nur tun, wenn wir jeden Tag ein Tier den Wolf geben! Dann können wenigstens alle anderen in Frieden leben, weil sie wissen, dass heute der Wolf satt sein wird, und niemandem mehr etwas antun wird. Wir werden ohne Angst leben müssen. Alle Tiere staunten, und waren sehr sauer auf den Eber! Aber man konnte nichts machen, es war halt so. Der Eber hatte recht! Kein einziges Tier konnte den Wolf besiegen! Und der Eber deutete auf das kleinste, schwächste Kaninchen! Du, sagte der Eber, du sollst morgen dem Eber gegeben werden! Morgen schauen wir dann weiter, aber morgen bist du dran! Alle Kaninchen protestierten, aber das kleine Kaninchen meinte, es würde das schon tun!“
    Er beugte sich, verschwörerisch zwinkernd, zur Kleinen hinunter. „Denn unser kleines Kaninchen war ein ganz schlaues. Und es hatte einen Plan! Es wusste, wie es den Wolf austricksen könnte! Und so ging es am nächsten Tag zum Wolf hin und sagte ihm, es wäre jetzt sein tägliches Opfer von den Tieren! Jeden Tag würden sie ihm von nun an etwas zum Essen geben, sodass sie in Frieden leben könnten! Der Wolf freute sich gewaltig. Er würde nie wieder seinem Essen nachjagen müssen! Und gerade wollte er zum Schlag ausholen, um unser kleines Häschen zu töten! Da sagte das Kaninchen etwas! Es sagte: Die Tiere haben auch etwas anderes beschlossen. Der Wolf senkte seine Pfote. Was denn, fragte er. Die Tiere haben auch beschlossen, auch dem zweiten Wolf täglich ein Tier zu geben. Welchem zweiten Wolf, wollte der Wolf wissen. Dem zweiten Wolf hier im Tal! Der Wolf, der viel größer und stärker ist als du! Der, von dem alle reden – denn er ist so viel größer, dass sich keiner mehr interessiert für dich!
    Der Wolf war sehr sauer. Lüge, sagte er. Das Kaninchen blickte ihn an. Glaubst du mir, wenn ich ihn dir zeige?, fragte es. Der Wolf nickte. Und folgte dem Kaninchen.
    Alles klar bis jetzt?“,
    fragte er und sah das Mädchen sanft an.

    Der Parther badete nicht mehr. Er hatte nur, als Cimon hinweggerauscht war, noch ein wenig im Bad gesessen, bis es entschieden lauwarm geworden war. Anschliessend war er herausgehüpft und hatte sich wieder seine Sachen angezogen. Durch die lange Reise waren seine Glieder komplett verspannt gewesen, doch nun fühlte er wieder das Leben in seinen Adern pulsieren. Er atmete tief ein und aus, bevor er sein Gewand sich wieder umband. Den Turban setzte er sich gleichsam auf, jener war eine ausgezeichnete vorbeugende Einrichtung gegen die Gefahr, sich durch nasse Haare eine Verkühlung zu holen.
    Und so harrte er der Dinge, als Cimon Bashir aufsuchte. Als sie kamen, erblickte er die beiden sofort in der Ferne. „Salve, Cimon!“, rief er, bevor er Bashir anlächelte. „Dorud, Bashir. Schon lange nicht mehr gesehen, mein Freund.“

    Phraates lächelte. „Kein Buch? Auch in Buchen steht viel, was erlogen ist.“, war er sich sicher. Er selber würde keinen müden As auf den Wahrheitsgehalt der Geschichte legen. Aber das sagte er Marei natürlich nicht.
    Viel eher ging er dazu über, aus seinem Gedächtnis eine Geschichte heraus zu kramen.
    Er fand nach einigem an Nachdenken eine richtige, und begann sie auf erstaunlich fließendem latein zu erzählen.
    „Vor langer Zeit gab es ein wunderbare, schöne Tal in Baktrien. Das ist in Ostparthien. Fruchtbar, groß, und weit. Kein Mensch weit und breit. Nur Tiere lebte in die Tal, und alle lebten glücklich miteiander. Keiner fügte dem anderen ein Leid zu. Niemand tötete, alle lebten friedlich beinander. Denn das Tal war groß und grün, und alle hatten genug zu essen.
    Doch eines Tages kam ein Wolf. Es war nur ein Wolf, der ins Tal kam, doch kaum, dass er gekommen war, begann er, Chaos und Terror im Tal zu verbreiten. Zuerst waren es nur Geruchte. Dann hörte man immer mehr, und immer mehr, Geschichten vom Wolf, der durch das Tal zog und Tiere tötete. Alle fürchteten sich ganz gewaltig! Niemand war sich sicher, ob er nicht am nächsten Morgen nicht vom Wolf gefressen werden wird! Es war schlimm! Jedes Tier im Tal hatte Angst. Und so beschlossen sie, eines Tages, sich zu versammeln. An einer Stelle des Tal, die der Wolf noch nicht kannte. Alle versammelten sich – von den Hasen zu den Pferden, von den Rehen zu den Eichhörnchen, von den Schafen bis zu den Mause, von den Ziegen bis zu den Enten! Alle waren sie da und besprachen sich.
    Alle redeten durcheinander! Niemand wusste, was zu tun war, oder wie man den Wolf halten kann! Es war ein ziemliches Durcheinander. Und so fragten die Tiere den alten Eber, der auch hier war, was man tun sollte. Der alte Eber war der weiseste und älteste von den Tieren! Und er begann zu sprechen...“

    Phraates unterbrach sich und blickte auf das Mädchen. „Du hörst mich schon zu, oder?“, fragte er.

    Oh Ahura, oh Mazda! Sei deines treuen Dieners Phraates Seele gnädig! Siehst du ihn nicht, oh großer Herr des Feuers, wie er darbt? Siehst du ihn nicht, wie er sich langweilt? Erkennst du nicht, wie nahe dein Untertan auf Erden dabei ist, einzunicken, und nur höflich nickt, während die Geschichte durchs eine Ohr hineingeht, und durch das andere wieder hinausplumpst, oh mächtiger Bezwinger des Bösen? Oh Ahura Mazda, der Führung, Segen und Wahrheit schenkt, war Phraates dir nicht treu, dass du ihn zu der undankbaren Aufgabe des Babysittings verdammen musst? Pass auf die Kleine auf, hatte ihm die Köchin ncoh zugerufen, und ward nie mehr gesehen.
    Vielleicht hätte Phraates dem Herrn des Lichtes wirklich mehr opfern sollen, dachte sich der junge Parther, als er in der Küche vor Marei saß, ein freundliches Grinsen vorspielend, dann und wann den Kopf nickend, ganz interessiert scheinend an der Geschichte. Deren Faden er längst schon verloren hatte. Wer soll Decius oder Celer oder Clodius (oder war es eine –a?) sein? Keine Ahnung. Die Kleine plapperte und plapperte und quatschte, Phraates nickte und lächelte und murrte gelegentlich „mhm“, um seinen Wohlgefallen vorzutäuschen.
    Es schien aber nun tatsächlich so, als ob sie mit ihrer Geschichte aus ihrem Schundbüchlein fertig wäre. Er dachte sich wirklich, da waren aber die Geschichten des Sklaven Gaius besser.
    Er räusperte sich. „Das ist wohl jetzt wirklich interessant. Ich hoffe, die nächste Buch kommt bald. Dann werden es wir erfahren.“ Er lehnte sich zurück und dachte kurz nach. „Marei, willst du, dass ich dir eines Geschichte erzähle, aus meine Land?“, fragte er das Sklavenmädchen.

    Auch Phraates fühlte sich auf angenehme Art und Weise an die Nacht im Hof erinnert. Hoffentlich würde auch dieses mal nicht wieder alles schief gehen! Konnte er glatt noch haben. Er hatte schon seit ein paar Tagen kein unglückliches Ereignis mehr gehabt.
    Er nickte nur sanft und entgegnete Charis‘ Blick. Das war es. Das war es. Trotz Sklavenschaft Freude. Trotz Unterdrückung Liebe. Trotz der Ferne der Heimat ein Stück Heimatlichkeit. Phraates wurde innerlich warm, sehr warm. Heiß direktgehend, als er fühlte, wie sich die Hand der Charis durch sein Gewand bahnte, die parthische Tracht aufband. Er selber schob sich sein Gewand mit der Linken von der Schulter und stand nun da in Hemd und Hosen, während er sich daran machte, mit der Rechten den Gürtel -vorne - irgendwie aufzukriegen.
    Mit einer Hand schaffte er es nicht, und mit der zweiten, als jene frei war, schien es auch nicht recht zu funktionieren. Er begann verzweifelt herumzuzerren. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen, als er seine ganze Kraft, Konzentration und Kreativität dazu benötigte, herauszufinden, wie man das blöde Ding bloß aufbekam. Um von der peinlichen Situation abzulenken, ließ er vom Gürtel ab, umarmte die schöne Makedonierin abermals und küsste sie wieder.
    Seine Hände rutschten dann, wie zufällig, wieder nach unten, wo sie den Gürtel fanden. Er begann wieder herumzuhantieren. Selbst wenn Charis ihm versuchen würde zu helfen, das würde er sich nicht bieten lassen! Es war nun Ehrensache, das verdammte Ding irgendwie aufzuhebeln! Ein echter Mann ließ sich da nicht dreinreden. Er presste seine Zähne zusammen, versuchend, irgendwie die Contenance zu bewahren und nicht schreiend aufzujammern. Doch die Mühe zahlte sich dieses Mal aus. Der (vielleicht ein wenig malträtierte) Gürtel fiel nach unten mit ein wenig von der Gürtelschnalle verursachtem Geklirre, und stolz blickte Phraates seine neu gefundene Liebe an. Elender Patentverschluss! In die Unterwelt des Ahriman, von wo du sicherlich herstammst, dorthin sollst du nun zurückweichen!, dachte er sich und widerstand der dringenden Versuchung, dem idiotischen Teil einen Stoß mit dem rechten Fuß zu versetzen. Ein wenig Erwartung lag in seinem Blick, den er Charis gab.
    Zieh dir das Kleid aus... aber schön langsam... :P

    „Ja, ich.“, antwortete der junge Parther mit samtiger Stimme und blickte sie warm an. Seine Augen begannen leicht zu glühen, als sie auf ihn zukam... wie zwei Glühkäferchen, die am lauen Abend am Strand von Ostia gegenseitig um ihre Gunst warben.
    „Wir sind ganz allein...“, flüsterte er, breitete seine Arme aus und legte jene um sie. Sein Mund suchte den ihren und verpasste ihr einen Kuss, weder zu kurz noch zu lange. Er lächelte, als er von ihr abließ. „Das Licht in deine Augen, Charis... es ist wie die heilige Feuer von Adur Farnbag.“ Gern erinnerte er sich an damals zurück, als er mit seinem Vater den sakrosankten Tempel des Feuers besuchte. „Wie der Abendstern. Und deine Haare... wie...“ Pferdeäpfel? Nein, das wäre wohl nicht so angebracht. „Blätte im Herbst.“, fiel ihm noch etwas ein.
    Seine Hände glitten auf ihrem Rücken ein wenig herunter, zu der Gürtung ihres Kleides. Wie machte man das blöde Ding bloß auf? (Eine Frage von eminenter Wichtigkeit für Männer durch die Jahrtausende hinweg.) Gleichzeitig schlielte er unauffällig zu einer Matraze, die im noch nicht eingerichteten Cubiculum am Boden lag, hin. Hm, die könnte man doch mal ausprobieren.

    „Hast du nicht, hast du nicht.“, winkte Phraates ab. Er war es schließlich, der seine Gedanken damit belastet hatte. Nur schwer wanderte sein Blick vom Boden wieder herau. Die Massage löste vieles in Phraates, angefangen von seinen verspannten Rückenmuskeln, bis zu seinem sich in einem leicht chaotischen Zustand befindenden Gehirn. Der Gedanke an seine daheim verbliebene Familie schwand langsam.
    Cimon stotterte wie ein Kriegsversehrter, Phraates sah ihm das nach. Er selber war nicht mehr der Alte, seitdem er in der Sklaverei war. Geborene Sklaven hatten sowieso alle einen Knacks. „Das Lied, es handelt von...“ Er seufzte leicht. „Von dem Sonnenuntergang hinter den Zagros-Bergen. Wie die Schafe heimge...trieben werden. Wie als letztes von allen Bergen... der Dena, der hohe Berg, in Dunkelheit verschwindet. Wie das Land dunkel wird. Wie in der Nacht die Sterne leuchten. Und wie dann, am Ende, am Morgen die Sonne wieder aufgeht.“ Ein einfaches Motiv, doch war es mit Phraates zutiefst mit seiner Heimat verbunden. Er sollte aufhören, daran zu denken, sonst würde er wieder schwere Depressionen durchleiden.
    „Bashir? Du kennst Bashir?“, fragte Phraates jedoch erstaunt, schon mit vollem Mund, denn er hatte, hungrig wie er war, schon reichlich zugelangt. Er schluckte zuerst, bevor er weitersprach. „Weißt du, wo er ist? Vielleicht ist er ja in der Nähe und könnte zu uns kommen!“, hoffte er. „Ich habe ihn in Rom kennen gelernt. Ich habe ihm einen Brief gesendet, vielleicht ist dieser sogar angekommen.“ Er bezweifelte dies eigentlich, er traute dem Ogulnier nicht weiter, als er ihn werfen könnte. Aber mal sehen.
    Er unterdrückte ein Lachen, als Cimon diensteifrig Saft herbeibrachte. „Das war jetzt aber nicht notwendig...danke!“, rief er aus und langte zu den Köstlichkeiten, die ihm hingestellt wurden. Leicht scheel blickte er zu Cimon – hatte dieser ihn gerade Herr nennen wollen? Musste wohl ein Versprecher gewesen sein – bevor er in einem Schluck den Becher leerte. „Bist du fertig mit das Massage?“, fragte er vorsichtig, da er bemerkt hatte, dass Cimon aufgehört hatte.

    Phraates machte sich daran, sich auszuziehen. „Danke für das Bad. Das wird sicher schön.“, meinte er in aller Aufrichtigkeit und blickte Cimon dankbar an. Er würde es nach dieser langen Reise brauchen.
    Er nickte ebenfalls, ernst und langsam, als Cimon meinte, Ursus würde lange trauern. „Das sicherlich.“, bestätigte der Parther und schmunzelte, als der Schwarze ihn fragte, woher er komme. „Ich komme aus Parthien. Das ist sehr weit, das stimmt.“, antwortete er. „Ich bin getrennt. Von meine Familie, von meine Eltern, von meine Schwester, meine Freunde. Es ist so, als ob sie sind tot. Ich werde sie nie wieder sehen...“ Bedrückt senkte er seinen Blick zu Boden. „Die Melodie ist aus meine Heimat. Meine Vater hat oft sie gespielt... er ist ein sehr gute Lautenspieler.“, informierte er Cimon.
    Phraates stieg in das warme Wasser und begann sich von Cimon massieren zu lassen. „Das tut gut, danke...“, meinte er murmelnd und blickte hinüber zum Essen. Ihm rann das Wasser im Mund zusammen, als er es sah! Gerade als er sich damit abfand, dass er sich bis zum Ende der Massage gedulden werden müsste, wurde es ihm auch schon hergeschoben. Dass die Massage unterbrochen wurde, störte Phraates nicht, der sich mit einem: „Bei Ahura Mazda, danke!“, über die angebotenen Nahrungsmittel hermachte. Er jausnete mit Genuss die Speisen, die Cimon ihm anbot, bevor er zu ihm hinaufschaute. „Sag, kennst du eigentlich einen gewissen Bashir hier im Lager?“ Inwieweit sich die Sklaven der Tribune hier kannten, wusste er nicht, von einem „Nein“ wäre er alles andere als überrascht.

    Phraates hatte, wie Ursus schon richtig bemerkt hatte, sich alle erdenklichen Mühen gegeben, nach mantua, ins Lager zu kommen. Aus diesem Grund auch war er durchs Lager gelatscht, dem Soldaten hintendrein, ohne es recht wahrzunehmen. Erst jetzt, wo es sich so demonstrativ vor ihm ausbreitete, sah er, wie groß es überhaupt war. Erschreckend groß. Solche Lager gab es in Parthien auch, aber nur zu Kriegszeiten und an den Grenzen. Zumeist zum römischen Reich, denn zur Absicherung gegen die Barbaren aus dem Osten und gegen die Inder brauchte man selten mehr als einige mobile Reitereinheiten. Die Römer kämpften aber anders. Und ein Blick in ein jedes Lager verriet, wieso man die Römer vielleicht abwehren von den Grenzen, doch nie zurückdrängen könnte.
    Wie wohl hier alles organisiert war. Und, wie um dem ganzen noch eine Haube zu versetzen, lag dies alles hier in Italia, im Herz des römischen Reiches. Da fragte man sich, was für Massen von Soldaten die Römer wohl an der Grenze stehen hatte. Wie die wohl alle mobilisiert werden konnten...
    Dem verhinderten Kataphraktarier gingen lauterlei militärische Gedanken also durch den Kopf, als er Cimon hinterhertrabte.
    Cimon entfernte sich. Seine Bitte ließ der junge Parther sich nicht zweimal sagen. Er pflanzte sich auf den Boden hin und begann, ein Lied aus der alten Heimat vor sich hin zu summen.
    Irgendwann kam Cimon wieder, und Phraates hörte auf mit seiner Melodie. „Nein, nein, danke.“, winkte er ab. „Ich brauche wirklich nichts. Wirklich nichts.“ Er hörte sich aufmerksam die Frage des Afrikaners an und nickte, als ob er den Mann in irgendetwas bestätigen wollte.
    „Was geschehen ist... Also, die Schwester von Ursus ist gestorben. Magersucht.“, machte er Cimon klar. „Ich habe den Botschaft von Corvinus, seinen Onkel, gebracht. Schlimme Sache.“, fügte er hinzu und stierte hinaus ins Freie, als ob er irgendeinen heroischen Punkt in der Ferne erblicken könnte. Doch das einzige, was zu sehen war, war ein in aller Gemütsruhe herumkramender Nubier. Er senkte seinen Kopf. „Ursus tut mir Leid. Ich weiß, wie es ist, von der eigenen Familie getrennt zu werden.“ Er atmete tief ein, als ob dies seine Sorgen, sienen Kummer, irgendwie vertreiben könnte. Was natürlich nicht funktionierte, er würde sie immer herumschleppen, solange er bei den Römern und nicht in Parthien war. Ein Schwall von Heimweh übermannte ihn, der ihn fast physisch niederzustrecken drohte. Gut, dass er ohnehin schon saß. Er hustete hart und versuchte, seine Augen nicht feucht werden zu lassen.

    „Ich... ich, ich...“, stotterte Phraates, der komplett überrumpelt war vor der 180-Grad-Drehung des Aureliers. So kannte er die Römer gar nicht. Bislang hatte sich noch keiner von denen... entschuldigt! Beim ewigen Feuer des Ahura Mazda, Phraates war auf ein Kuriosum gestoßen.. Fast schon hätte er den Römer am liebsten neugierig näher inspiziert, doch er wollte es sich nun nicht mit ihm verscherzen. So meinte er einfach nur: „Ich verstehe dir.“ Er schwieg ein paar Sekunden. „Ich verstehe dich gut.“ Seinen Fehler hatte er in diesem Satz ausgebügelt.
    Der Parther blickte zu Cimon hin, der besorgt herumstand. „Gehen wir am Besten.“, flüsterte er dem Schwarzen zu. „Ich glaube, Ursus will sein gelassen alleine. Ich erkläre dich, nein, dir dann, was ist geschehen.“, murmelte er und begab sich richtung Tür, mit der Absicht, Ursus nun allein zu lassen.

    „Genau, ich bin der.“, bestätigte Phraates und behielt einen, angesichts der Misshandlungen, die ihn Celerina angedeihen lassen hatte, sehr stoischen Gesichtsaudruck bei. Alles andere wäre auch fehl am Platze gewesen. Er musste Ursus eine traurige Nachricht mitteilen, da wüde er nicht weiterkommen, würde er ihm das ganze Unrecht aufzählen, dass ihm widerfahren war.
    Aus den Augenwinkeln registrierte er, dass Cimon noch immer herumlungerte. Eigentlich war es ein sehr netter Kerl, Ursus schien ihm zu vertrauen. Dass ein Römer einen Sklaven so vertraut, war schon merkwürdig. Hatte Cimon Dreck am Stecken, von der Warte eines aurelischen Sklaven aus gesehen? Womöglich. Aber Phraates wollte einmal nichts Schlechtes über den Nubier vermuten.
    Und so übergab er ihm den Brief. Ursus reagierte erwartungsgemäß, ungläubig. Als er angebrüllt wurde, zuckte Phraates nicht einmal zurück, so vorbereitet war er auf jegliche Reaktion des Aureliers. Er seufzte nur. „Es ist wahr, Herr. Es ist die Wahrheit. Ich habe gesehen das Gesicht von Corvinus, als er mir hat gegeben die Brief. Ein Gesicht von Ehrlichkeit und Traurigkeit. Es ist wahr.“, machte Phraates behutsam in seiner samtigen orientalischen Stimme.“Es tut mir Leid, Herr. Ich selber bin... entsetzt.“, brachte er hervor und blickte Ursus an wie ein Hündchen, welches zu Unrecht geschlagen wurde.

    Phraates wurde nun tatsächlich zu Ursus durchgelassen. So schritt also der Parther, so würdevoll er konnte, durch die Türe in das Officium des Aureliers hinein. Vor dem Aurelier kam er zu stehen. „Salve, Herr. Mein Name sei... ist Phraates. Ich bin Sklave von Flavia Celerina, die ist Frau von Aurelius Corvinus. Corvinus hat mich jetzt geschicken hierher.“, machte er langsam und höflich. „Ich muss überbringen ein Nachricht. Eine Nachricht, natürlich.“, verbesserte er sich. „Ich habe da einen Brief... von Corvinus. Eine traurige Nachricht, Herr...“ Vorsichtig zog er ihn aus seinem Gewand heraus, wo er ihn aufbewahrt hatte. „Hier, lese.“, sagte er leise und übergab ihn an Ursus.
    Im Brief stand Folgendes:


    Titus,


    ich wünschte, ich müsste diese Zeilen nicht schreiben. Ich wünschte, ich hätte bessere Neuigkeiten für dich. Unsere geliebte Minervina hat den Lebenswillen verloren. Mich erreichte ein Bote aus Dyrrhachium, der mir das Schreckliche berichtete. Die Parzen haben ihren Schicksalsfaden dünner und dünner werden lassen, sodass er unweigerlich reißen musste. Die Einzelheiten erspare ich dir vorerst. Ich habe dafür gesorgt, dass man den Leichnam deiner Schwester nach Rom überführt. Zumindest wird sie nicht allein in der Fremde zur letzten Ruhe gebettet werden. Ich weiß, das ist ein schwacher Trost. Wir sollten in dieser schweren Zeit zusammenhalten. Bitte gib dir nicht die Schuld an ihrem Tod, du hast das Richtige getan, als du sie ans Meer schicktest. Niemand hat ahnen können, dass die Situation schlimmer ist als befürchtet.


    Komm bald nach Hause. Steh dies nicht allein durch.
    Marcus


    Phraates blickte bedrückt drein. „Ach Herr... es tut mir Leid. So Leid.“ Er meinte es ehrlich, und man konnte es ihm ansehen.

    Bis jetzt hatte Phraates nicht gesprochen, kein einziges Wort geäußert. Wie auch? Der Soldat hatte gequasselt, und dem Parther keine Zeit gelassen, einen lateinischen Satz formulieren (was bei ihm noch immer konsiderable Zeit beanschlug, und nicht immer leicht zu bewältigen war, wenn auch die Ergebnisse immer korrekter wurden). Und so hatte er tatsächlich nichts gesagt, bis der Soldat, verköstigt von einer durchaus üppigen Frau, die Phraates nicht kannte, die beiden Sklaven in Ruhe ließ.
    So also geschah es, dass der Schwarze den Orientalen von der Türe wegführte, hin zum Atrium, welches Phraates sofort als solches erkannte. Auch wenn es mit den prunkvollen Atria der patrizischen Villen nicht vergleichbar war, war es doch weitaus mehr als das, was man bei einem Lager erwartet hätte.
    Er fühlte sich angesprochen und drehte seinen Kopf mit einer krampfhaften Kopfbewegung nach links, wo der massive Mann ging. Cimon also.
    „Freut mich, Cimon.“, brachte er heraus. „Und, du kannest mir ansehen. Ich bin kein Gott.“, schmunzelte er. „Nur Phraates. So ich heiße. Ich bin Sklave von die Aurelier, und bin geschickt von Aurelius Corvinus. Ich habe ein Nachricht für Aurelius Ursus.“ Er senkte den Blick ein wenig. „Eine traurige...“, fügte er hinzu und nahm einen traurigen Blick an, den man nach monatelanger Sklaverei zwangsläufig perfektioniert hatte. „Eine Nachricht, die er sollte wissen.“, fügte er hinzu, als ob dies nicht schon klar wäre. Ihr Bruder, hatte Corvinus ihm gesagt. Es war Minervinas Bruder. Kurz musste er an seine Schwester denken. Was hätte er bloß getan, hätte ihm die Nachricht ereilt, seine Schwester wäre gestorben? Vielleicht, vielleicht war sie ja schon tot. Und er wusste es nur nicht.
    Auf jeden Fall war er dazu entschlossen, bei diesem Römer Fingerspitzengefühl zu zeigen. Egal, ob er es verdient hatte oder nicht. Der Mann, Ursus, war auch nur ein Mensch.

    Ein Muskelberg öffnete. Ein Kohlrabenschwarzer. Phraates aber erstaunte gar nichts mehr, er hatte schon weitaus wahnwitzigere Sklaven als den kennen gelernt, obwohl auch dieser ein ganz gelungenes Exemplar war. Mit dem feinen Lächeln, welches wohl nur ein Mann von Adel hervorbringen konnte, schaute er den Koloss freundlich an. Mehr tun konnte er nicht. Der Soldat neben ihm übernahm eh die Aufgabe des Ankündigens und Erklärens, worüber Phraates heilfroh war. Er begann, die Nachricht in seinen Händen von der rechten zur linken und wieder zurück wandern zu lassen, wiederholt, aus schierer Langeweile darüber, dass er hier so lange herumstehen musste. Der Hüne würde ihn jetzt hoffentlich reinlassen, dann würde... der schwierige Teil beginnen.

    Phraates war mit dem Soldaten eher lustlos mitgelatscht. Seine Botschaft hielt er, noch immer fest umklammert, in seiner Hand. Er stellte sich neben dem Mann auf, sah ihm dabei zu, wie er anklopfte, und wartete darauf, dass jemand aufmachte. Viel mehr blieb ihm nicht übrig.

    Phraates grummelte unwillig, als der Soldat sich vor ihm über ihn lustig machte. Aber was sollte man da tun? Als Sklave war man den Schikanen von solchen Leuten ausgesetzt. Sein Ehrgefühl meldete sich in seinem Hirn, doch das half jetzt auch nichts.
    „Dann suchdurcht... durchsucht mir.“, meinte Phraates schicksalsergeben und blieb, mit verdrießlichem Gesichtsausdruck, am Fleck stehen, damit der Soldat ihn untersuchen könne.

    Erschöpft vom langen Ritt von Rom nach Mantua kam Phraates nun, endlich, in Mantua an. Das Castellum war leicht zu finden, und zielstrebig ging Phraates darauf zu. Sein Pferd an den Zügeln führend, blieb er vor den Wachsoldaten stehen und beäugte sie müde. „Salvete.“, bekam der Parther schliesslich heraus. „Ich bin Phraates, Sklave der Aurelier. Ich suche Tribunus Aurelius... Ursus.“, erinnerte er sich an den Cognomen. „Eine Botschaft gebt... gibt es für ihm. Es ist wichtig. Kann ich drinnen... nein, hinein?“, fragte er mit noch immer nicht ganz sattelfestem Latein.

    Hastig führte Phraates das Pferd an den Zügeln durch das Gewühl von Rom. Es war ein Krampf, wie immer, doch nun führte er auch noch ein Pferd mit. Man kann sich die Erleichterung des jungen Parthers kaum vorstellen, als dieser endlich die Stadttore von Rom erreichte.
    Kaum draußen, schwang er sich aufs Pferd, gab jenem die Sporen, und zischte davon. Wie schön sich das anfühlte, endlich frei herumreiten zu können! Zumindest fühlte es sich frei an, auch wenn es das nicht war.
    Die Orte zischten nur so vorbei, als Phraates das Pferd zu Höchstleistungen anspornte, und zwar genau so, dass es nicht zuschande geritten wurde. Veii, Clusium, Arretium, Florentia, alle diese Städe druchritt Phraates hastig. Über den Apenninenpass bei Florentia ging es fast genau so schnell. Weiter nach Felsina, dann nach Mutina. Und von dort aus bog die Straße nach rechts ab, nach Mantua.
    Phraates schlug diesen Weg ein, und schon nach Kurzem erreichte er die Stadt Mantua... sowie das Legionslager, das direkt neben der Stadt lag.

    Phraates war kein großer Römerfan, war es noch nie gewesen. Und doch wünschte er keinen von ihnen den Tod - mit der Ausnahme derer, die sein geliebtes Heimatland anzugreifen wagten. Doch dieses Mädchen, von dem Corvinus sprach, hatte nichts mit Parthien am Hut gehabt. Sie war wohl in seinem Alter gewesen, von dem her, wie es sich anhörte. Er seufzte ganz leise, als die Todesursache, die er vermutet hatte, bestätigt wurde vom Aurelier. Wie gesagt, er wünschte niemanden den Tod, und auch er verspürte ein kleines bisschen Trauer über den sinnlosen Tod der jungen Frau.
    Er wurde durch Rasseln aus seinen Gedanken geweckt. Es stammte von diversem Kleingeld, welches Corvinus hervorholte. Phraates blickte es an, als würde er römisches Geld zum ersten mal in seinem Leben sehen, bevor es in einem kleinen Beutel verschwand. Jetzt hatte er wirklich Geld! Hoffentlich war es nicht allzu mickrig bemessen.
    Bei den folgenden Worten des Aurelius verwunderte sich der junge Parther dennoch. Er hatte es sich erlaubt, wie? Corvinus trieb wohl seine Scherze mit ihm! Phraates sprach gut genug Latein, um herauszuhören, wie schräg die Formulierung aus dem Mund eines Sklavenhalters kam. Aber gut. Er nickte und sackte mit einer geradezu rasanten Bewegung den Brief und den Beutel ein. Zumindest versuchte es. Allerdings schaffte er es tatsächlich, die beiden Gegenstände vielmehr auf den Boden zu pfeffern, als ihnen habhabt zu werden. Grummelnd, darauf bedacht, dass ihm der Turban nicht vom Kopf rutsche, bückte er sich und hob sie auf, bevor er wieder aufstand, den Brief und den Beutel in seiner linken bzw. rechten Hand haltend.
    „Dann ich werde meines Sachen packen, und dann gehen.“, meinte er. Es sollte nciht zu lange dauern. Er nickte Corvinus freundlich zu. „Vale.“, meinte er und eilte dann aus dem Zimmer.