Piso nahm sich zusammen, um bei der Berührung nicht zusammenzufahren. Ach du liebe Zeit, war ihre Hand eiseskalt! Es war, als ob man seine Hand in siedend heißes Öl tauchte. Nur halt andersrum. Logisch, oder? Sich fragend, was dazu wohl geführt haben mochte, dass sie sich so kalt anfühlte – vielleicht war es eine direkte Translation ihrer psychischen Konditionen auf die Physis? – umschloss er ihre Hand mit der seinen. Ja, sie sollte etwas aufgewärmt werden. Das war gut so, ja. Körperliche Nähe war Piso wichtig, denn er empfand sie als schön. Der Flavier hatte keine Ahnung, ob Lupus jetzt zuschaute, aber er hoffte, er tat es. So geht man mit seinen Mitmenschen um, dachte er sich ein wenig hochmütig, denn Lügen hatten kurze Beine. Und Pisos Gefühle waren ehrlich, ja, er verspürte sie wirklich, die Pfeile des Amor in seinem Herzen, und wie sein Herz glücklich war, nach Langem endlich Labsal zu finden für die Pein, die er durchgemacht hatte. Ja, ihre Nähe war wie Salbe, sie zu hören wie Medizin. Ein Remedium für die lange Zeit, da er sie nicht gesehen hatte, sie nur nach ihr verzehrt hatte und sich deshalb kreuzunglücklich gefühlt hatte. Vielleicht würde nun alles gut werden. Doch zuerst mal hörte er ihren Worten zu.
Erst horchte er hin, und seine Reaktion kann folgendermaßen wiedergegeben werden: “Oh.“ Ja, etwas anderes konnte er wohl nicht sagen. Celerina war in den Nemoralien verwickelt gewesen. Man munkelte, sie wäre gestorben zwischen der Nemoralia und ihrer Ankunft hier? Und Corvinus hatte sich das Leben genommen...
In Pisos Hirn entstand eine Geschichte, die perfekt kompatibel war mit seiner Vorstellung von Corvinus als gemeingefährlichen Stumpfhirn. Und die ging so. Corvinus hatte seine Frau veranwtortlich gemacht für den Skandal, er hatte sie umgebracht und sich dann selbst, in einem Wahn von Idiotie. Ja, so musste es gewesen sein! Das war ihm zuzutrauen, diesem Schmalzheini, der immer gelabert hatte von wegen Familienehre und oh wie sittsam und ziemlich und guter Name der Gens. Piso würde ihn umbringen, wenn... nun ja, wenn Corvinus die Arbeit nicht schon für ihn erledigt hätte. Aber wer wusste, vielleicht kam er mal am Grab des Kerls vorbei und würde, wenn niemand hinguckte, draufpinkeln. Jawohl, dass würde ihm recht geschehen, dem Gauner! Und da war es ihn egal, wenn ihn dann die Lemuren holen würden!
Er hütete sich aber davor, seine Gedanken Prisca mitzuteilen. Die Gründe waren offensichtlich. Und er wollte ihren geliebten Onkel nicht vor ihr diffamieren. Es hieß nun also ernst dreinzuschauen und zu nicken.
“Hmm“, machte er, was ihre kommende Frage nun anging. Ob die Götter den Flaviern zürnten? Vielleicht. Den Aureliern? Naja, war ja nur der eine. Kein sonderlich großer Verlust. Konnte man ersetzen (zum Beispiel mit ihm selbst, Piso, im Collegium Pontificorum, dachte er sich). “Ich denke nicht. Es ist nun einfach passiert“, hoffte er mit der Authorität eines Septemvirs sagen zu können. “Die Sühne wird wohl vom Staat geleistet werden.“ Ob da ihre beiden Familien etwas beitragen mussten? Piso hoffte nicht, denn er mochte sein Geld!
Doch dann, dann kam der Moment, der der Frisch ins Wasser springt. Piso klebte an ihren Lippen, soweit dies möglich war bei diesem Schleier, der ihre Schönheit von ihm fern hielt. Was war das? Er hatte... Segen?
Pisos Unterkiefer klappte auf, nach unten hin. Mit seiner Kinnlade unten, rauschte ihm etwas durch den Kopf. Das konnte nicht sein, nein. Corvinus hatte in seinem Kopf schon einen festen Platz – der des unverbesserlichen Schurken! Des Bösewichts! Corvinus war vom Prinzip her gehässig, doof, uneinsichtig und antiästhetisch – wie also konnte so etwas passieren? Wi konnte solch ein Typ Prisca die Erlaubnis geben, ihn zu heiraten? Das war ja... unglaublich! Als Piso seinen Mund wieder schloss, suchte er nach Erklärungen. Es war ein Teil von demselben Wahn, der Corvinus dazu veranlasst hatte, Celerina zu ermorden (diese Geschichte nahm immer mehr Form in ihm an)! Oder aber es war der Gedanke, dass, wenn das rauskäme, niemand mehr bereit wäre, eine Aurelia zu heiraten! Oder aber Corvinus hatte doch noch das Licht gesehen! Ja! Vielleicht hatte der Aurelier ihn doch noch am Ende seines Lebens als das Genie gesehen, das er war! Vielleicht hatte er eingesehen, dass er seiner Nichte einen großen Künstler vorenthielt! Vielleicht hatte er Vernunft angenommen!
Möglich. Hmm. Vielleicht würde Piso doch nicht auf sein Grab schiffen. Mal sehen.
Im Moment aber beschränkte er seine Aktionen darauf, auch seine zweite Hand um ihre andere zu fassen. “Oh Prisca. Das ist ja wunderbar... wunderbar... einfach... das ist großartig...“ Er wirkte baff, und er war es auch. Mit so etwas hätte er nie gerechnet.
“Das heißt also, dass wir uns verloben können? Nicht jetzt, sondern halt... wenn die Trauerzeit vorbei ist?“ Erwartungsvoll blickte er sie an.