Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Der Flavier jubilierte. Rom war gezählt. Nachdem er ein paar Runden blindwütig durch sein Officium gehoppst war und dabei, die Fäuste herumwirbelnd, fast Vespasian von seinem Sockel heruntergeschlagen hätte, setzte er sich mit fast blindwütigem Enthusiasmus über die Wachstafeln und überflog sie. Holte Namen aus seinem Gedächtnis heraus. Überprüfte, ob sie auch drinnen waren – ja, und das waren sie auch. Es war ein gutes Gefühl.
    Es war vorbei.
    Eine große Weinamphore, nein, gleich mehrere, wurden ins Arbeitszimmer gebracht, um diesen Triumph zu feiern. Wann, wenn nicht jetzt, sollte man sie nämlich öffnen?


    Jetzt gab es im Prinzip nur noch zwei Sachen zu tun. Auf Ostia zu warten. Und auf Germania zu warten. Denn von diesen zwei Orten waren bisher noch kein Census gekommen... was Piso beunruhigte. Schliesslich begann schon bald die neue Amtszeit...

    Es kam nun der Tag, da stießen zwei Trupps von der Kanzlei auf einer Straße zusammen. Es waren nicht 2 beliebige Horden von Kanzleibeamten, nein, es waren die beiden Kanzleitrupps, die unter Pisos Fuchtel standen und sich durch den letzten Stadtbezirk Roms, Transtiberim, arbeiteten. Mit dem letzten Stadtbezirk gemeint ist hier freilich der letzte Stadtbezirk, der bei jener unsäglichen Volkslistung, über der Piso schon so lange saß, abgearbeitet werden musste, von Türe zu Türe, von Ianitor zu Ianitor (wobei sich die Ianitoren als verschiedentlich bissig erwiesen).
    Und nun trafen diese beiden Trupps zusammen, und nach kurzer Absprache stellten sie fest, dass sie die letzten Notarii waren, die noch beschäftigt waren, und sie gerade die letzten Häuser Roms abgearbeitet hatten.
    Es war vollbracht. Rom war gezählt. Eilenden Schrittes wurde die Botschaft sowie die letzten Tafeln der Volkszählung zu Piso gebracht.

    Hui. Sprachen aus Piso die hochlöblichen Eigenschaften, die Verus ihm unterstellte? Gut möglich. Er selber war sich ziemlich sicher. Oh ja, er hielt sich wahrlich für das makellose Abbild des besten römischen Typus.
    “So, sagt man das auf den Straßen?“, grinste Piso und legte seine rechte Hand vorsichtig die linke Schulter des Decimers. “Es könnte stimmen, ja... es könnte stimmen. Denn schließlich bringe ich jetzt die Quaestur zu Ende, und danach könnte ich wirklich, sofern die Gunst des Kaisers – beziehungsweise seines Stellvertreters – mir hold ist, Senator werden.“ Er lachte. “Aber reden wir nicht so viel von mir. Sondern von dir! Wo hast du so lange gesteckt? Warum habe ich so lange nichts gehört von dir? Nicht einmal dein Patron und dein Verwandter Matiacus konnten mir sagen, wo du steckst!“ Denn es war schon seltsam - wieso tauchte Verus jetzt so einfach auf? Aus welchen Loch kam er gekrochen?

    Nach den Wahlen wuselte es wieder einmal im Atrium der Casa Purgitia. Es war voll mit Gratulanten und sonstigen nervigen Leuten, die sich hier eingefunden hatten, also Klienten, oder Leute, die es werden wollten.
    Einer davon war Piso, der die Chance seines Lebens gekommen sah. Zwischen diversen Klienten zwängte er sich durch, an einem Sklaven, der ihm unbedingt Wein anbieten wollte, vorbei, und kam schließlich nach etwas Suchen dort an, wo Macer bereits von ein paar Leuten umringt wurde. Der Flavier schlürfte wartend an dem Becher Wein, der ihm doch noch gereicht wurde, und wartete auf den geeigneten Augenblick.
    Dieser kam, als sich ein paar der Gratulanten abwandten, und der Flavier durchschlüpfen konnte. Piso kam vor Macer zu stehen und strahlte ihn an.
    “Salve, Patron! Herzlichen Glückwunsch zur Wahl, Consul Electus!“ Ja, ein Patron, der Consul war, das konnte sich sehen lassen! Freilich hoffte Piso nicht, dass Macer auf die vergaß, die ihn dorthin verholfen hatten, wo er jetzt war. Er fand es ja ein wenig schade, dass er nicht Quaestor Consulum dieses Jahr sein konnte. Auf der anderen Seite, dieser Posten war ja, wie Piso wusste, schon von einem Schergen des Vesculariers belegt. Von da aus konnte sich Piso glücklich schätzen, dass er diese Amtszeit es noch geschafft hatte.

    Der Typ machte ein ziemlich langes Gesicht, als ob gerade 7 Tage Regenwetter wäre. Piso kratzte sich am Kopf. “Du musst wissen, ich bin ein beschäftigter Mann. Er wird es schon getan haben... ANTIOCHOS! TERMINKALENDER!“, brüllte er durch den Raum. Ein hagerer Grieche am anderen Ende des Raumes duckte sich zum Boden und hob eine Wachstafel auf. Diese reichte er an seinen Sitznachbarn, der sie zu Piso rüberwarf. Der Flavier warf die Tafel auf und schaute hinein.
    “Mhm... aha... ah ja. Dontas, steht da, will Discipulus werden. Ist das korrekt?“ Er blickte wieder auf und schaute den Peregrinen neugierig an. “Ach ja, Lollius Tubulus ist übrigens mein Calator, nicht mein Nomenclator“, fügte er noch hinzu.
    “Wie dem auch sei. Discipulus. Das wird sich machen lassen, das wird sich machen lassen... sage mir. Irgendeine Vorbildung auf deiner Seite? Eine Präferenz für einen Lehrer?“

    Eine Orchidee? Wer spricht da von einer Orchidee? In ganz Rom gibt es nur eine Orchidee, und die tänzelte gerade ins Atrium hinein.
    Aulus Flavius Piso, Quaestor Principis, Septemvir Epulonum, Arvalbruder – was für eine orchideenhaftere Erscheidnung konnte es geben? Vor allem, wenn er wieder endlich mal eine gute Laune hatte. Diese kam nicht von ungefähr. Sein leben lief wieder in geregelteren Bahnen. Die Tode von Vera und Archias, obwohl sie tiefe Narben in der Seele hinterlassen haben, lagen schon länger wieder zurück und heilten. Piso stand kurz davor, Senator zu werden. Vielleicht würde er sogar Pontifex. Und ganz, ganz sicher würde er Prisca heiraten. Die holde Prisca, der Traum des nach Glanz und Glamour strebenden Piso!
    Piso grinste und breitete seine Arme einladend aus, als er auf den Decimer zuging. Als man ihm in seinem Officium gesagt hatte, dass Verus da sei, hatte Piso ganz blöd aus der Wäsche geschaut. Nachdem er einen Moment kontempliert hatte, was jetzt sein könnte, hatte er sich entschlossen, sich darüber zu freuen.
    Und so schritt er eilends auf ihn zu. “Titus!“, rief er. Ja, Verus und Piso nannten sich bei Praenomen... noch aus der Zeit, unendlich lange her, da Piso fast der Schwiegersohn des Verus geworden wäre. Ahh, Serrana. Decima Serrana, du Stern von Rom... ganz tief drinnen tat es noch immer weh. Aber der Gedanke an Prisca wischte die unangenehmen Erinnerungen weg.
    “Du hier? Ich habe dich ja ewig nicht mehr gesehen!“ Seinen Bart hatte er rasiert, fiel Piso auf. Dabei war Verus immer ziemlich stolz auf den gewesen.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpgAcanthus


    Acanthus murmelte in sich rein, bevor er leise seufzte. “Ich werde den Herrn Piso fragen, ob er Zeit hat. Gedulde dich bitte.“ Mit diesen Worten schlug er die Türe zu. Selbstverständlich fragte er nicht selber. Phoebus würde fragen.
    Der Kleine kam schon nach einigen Minuten aufgeregt zurück. “Der Herr sagt, wir sollen ihn einlassen. Atrium“, teilte er knapp mit. Acanthus erhob sich griesgrämig und öffnete wieder.
    “Herr, tritt ein. Rechter Fuß zuerst. Phoebus wird dich ins Atrium geleiten.“

    Aus dem Vestibulum heraus trat ein kleiner Sklave namens Phoebus, schweigsam und gebückt. Er kam vor einer Kline zu stehen, wo er mit einer tiefen Verbeugung und einer Handbewegung Verus anbot, sich niederzulassen. Ein weiterer Sklave brachte ebenso schweigsam etwas Wein und füllte in einen Becher ein, ohne dass Verus erst dazu kommen könnte, nach Wein zu fragen.

    Piso grinste Pulcher an. “Pulcher, mein Freund. Ich musste mich ja revanchieren für den wundervollen Abend, den wir beide jüngst in der Villa Curatia verlebt haben. Wundervoll, sage ich dir, wunderbar! Besonders habe ich ja die halbnackten Damen genossen, die uns mit Wein übergossen haben.“ “Huahahaha! Damen sagst du, Piso? Damen? Diese wertlosen Flittchen? Naja, nicht ganz wertlos, denn sie sind schön. Aber nciht so schön wie deine Sklavinnen.“ “Jaja, das sind ganz Liebe. Meine Scriba hätte ich auch noch einladen können... ist aber eine Freigelassene. Also kann ich sie jetzt nicht wie eine Sklavin antanzen lassen... schade.“ “Isse heiß?“ “Kumpel! Wenn du sie anfasst, verbrühst du dir die Finger!“ “Woahohoho!“, lachte Pulcher amüsiert von der Vorstellung. “Schon alleine, was bei dir am Arbeitstisch hockt... hihi... musst wohl eine ganz lauschige Zeit im Abeitszimmer haben.“ “Ne... das ist eine ganz Spröde. Die lässt mich nicht ran. Will eh nicht. Ich meine...“ “Ach, fang nicht schon wieder mit deiner Trulla an! Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob die überhaupt existiert!“ “WAS SAGST DU DA?“, schnaubte Piso erbost. “He, ganz ruhig, Alter, ganz ruhig. War ja nur ein Schmäh.“ “Dass hoffe ich doch“, brummelte Piso wieder entspannter. “Du wirst Augen machen, wenn du sie siehst. Wirklich. Dir werden die Augäpfel rausrollen... ah, ja, Phrima. Genau so. Mach so weiter, so ist es guuuuuuut...“ Er ächzte leise und kuschelte seinen Kopf in das Kissen hinein, dass man ihn an das Kopfstück gelegt hat.
    Genau in diesem Moment ging die Türe auf. Schon ein wenig schläfrig vom Wein wandte Piso seinen Blick hin zur hineintapsenden Sklavin. Die Syrerin näherte sich und begrüßte scheinends erst die auf ihrem Rücken sitzende Räterin, bevor sie ihn selber ansprach. Piso machte sich in seinem Innersten eine Notiz, ging aber nciht weiter darauf ein.
    Semiramis schien verängstigt. Soso, Angst hatte sie wohl. Der Flavier betrachtete sie ausgiebig, ergötzte sich am Anblick der makellosen Äpfel, die der Syrerin an der Brust gewachsen waren. Mit einem Grinsen wandte er sich zu Pulcher. “Semiramis, das hier ist Curatius Pulcher, mein alter Freund. Pulcher, das hier ist Semiramis. Sie wird uns heute...“ Er grinste zur Sklavin hin. “...verwöhnen.“ Er nahm noch einen Schluck Wein.
    “Semiramis. Du nimmst dir die Schüssel voller Trauben hier...“ Er deutete vage auf eine, die am Tisch rumstand, ein großes und fülliges Teil. “...und du stopfst uns die Trauben in den Mund. Jede einzelne, nach und nach. Zuerst mir, dann Pulcher, und dann wieder von vorne, abwechselnd also. Hinsetzen kannst du dich ja an der Tischkante.“ Er schloss die Augen, grinste abermals beschwipst, machte den Mund auf und machte so laut, dass es sogar die schwülstige Musik übertönte: “Aaaaah...“ Denn diese Belustigung wollte er sich nicht entgehen lassen.

    Schlief ihm der etwa ein? Es sah ganz danach aus! Piso machte sich schon bereit, den Kaiser aufzufangen, im Falle, dass dieser nach vorne fiel. Und doch schien der Kaiser sich gerade noch rechtzeitig einzufangen. Er war sehr schnell ermüdet, stellte Piso innerlich nüchtern fest. Denn schließlich hatten sie nicht sonderlich viel geredet. Es schien wohl zu sein, dass es nicht so einzigartig für einen Kaiser war, einen Quaestor zu sehen, wie für einen Quaestor, den Kaiser zu sehen. Eigentlich logisch. Der Flavier blickte den Bärtigen besorgt an, als dieser sich wieder aufraffte, und nickte dienstfertig. Der Kaiser hatte unmissverständlich klar gemacht, dass Piso sich zu verzupfen hatte. Piso würde da natürlich Folge leisten.
    “Ich danke dir viele Male für dieses erleuchtende Gespräch, Imperator Caesar Augustus.“ Ja, erleuchtend in vielerlei Hinsicht, und nicht unbeidngt in äußerst erbaulicher Hinsicht. Dieser Kaiser war ja eigentlich ein Witz. In Pisos Gegenwart einschlafen! In der Gegenwart eines solchen Künstlers sich von seiner Umwelt klammheimlich verabschieden. Der Patrizier ließ sich seinen Unmut freilich nicht anmerken, und lächelte nur verständnisvoll.
    “In diesem Sinne, vale. Mögen die Götter dich behüten.“ Er wandte sich ab und verließ betont langsam das Zimmer – nicht etwa noch, dass der Kaiser ihn zurückrief und noch etwas von ihm wollte.

    Piso schaffte ein freundliches Grinsen, zum wiederholten Male. “Wir tun es gerne. Und sicherlich werde ich meinem Collegium deinen besten Gruß ausrichten.“ Immer bereit zu helfen, ein gutes Motto eigentlich für die Septemviri! Wobei, das bezog sich wohl nur auf den Kaiser. “Du wirst wohl nicht bei den Feierlichkeiten zugegen sein können...“ Für dieses wunderbare Raten gewann Piso sicher einen Blumentopf! “...aber unsere Gedanken werden bei dir sein!“ Natürlich. Schließlich opferte man für ihn. Aber wer opferte für Piso? Keine Sau. Ungerecht war das.

    Ja, wie ein kleines Kind freute sich Piso wirklich. Der Flavier schien eine Wandlung durchlaufen zu haben. Wie lange hatte er niedergedrückt herumvegetiert! Wie lange hatte er um Vera getrauert, um Archias, um die unterdrückte Liebe zwischen ihm und Prisca! Doch nun war alles anders. Zwar war Celerina tot, und Piso bedauerte ihren Tod zutiefst. Aber nun, nun waren er und Prisca zusammen. Dafür konnte er so ein zusätzliches Tödchen locker in Kauf nehmen. Freilich hätte er Celerina nicht selber dafür umgebracht, aber so fiel alles ins Lot. Seitlich bemerkte er eine Sklavin, die ihm nickend zugrinste. Piso hatte keine Ahnung, wieso sie das tat, und warum sie genau so lächelte, aber er merkte es sich trotzdem, dieses freundliche Gesicht. Vielleicht meinten es doch nciht alle schlecht mit ihm. Er unterdrückte den Zwang, zurückzugrinsen – den grund hatte er ja nun –, und blickte nur ernst zurück, ohne die Gestik zu erwidern, bevor er sich wieder geradewegs an Prisca wandte.
    Doch jetzt konnte Piso sein Lächeln nicht mehr unterdrücken, als Prisca ihm das bestätigte, was er schon erahnt hatte. Sie würden sich verloben dürfen! Sie beide! Oh, wie sehr sich Piso zusammenreißen musste, um nicht vor Glückseligkeit sich auf die Knie sacken zu lassen, seine Fäuste herumzuwirbeln und fröhlich zu jodeln. Tatsächlich hielt er seinen Mund geschlossen und biss sich auf die Unterlippe, wie es Leute taten, die einen Lachanfall niederkämpfen mussten. Endlich würde alles ins Lot kommen! Es würde Friede, Freude und Eierkuchen nur so hageln!
    “Ursus...“, wiederholte er langsam und musste wieder vor sich hin lächeln. Der gute alte Ursus! Sicher würde der nicht nein sagen! Sicherlich nicht! Ursus hatte Hirn im Kopf! Ursus war zurechnungsfähig! Sicher würde der nichts dagegen haben, wenn die beiden den Bund fürs Leben schlossen! Haha! Piso sah die Sache schon als geritzt an.
    Wobei es da noch einen Unsicherheitsfaktor gab. Piso blickte sich kurz um, aber sah Lupus nicht. Nun gut, er würde schon irgendwo rumkriechen, wie ein Lurch im Schlamm. Als sein zukünftiger Schwager würde er Piso hoffentlich keinen Anlass geben, auf eine seiner neuerlichen Schandtaten zu reagieren. Man konnte sich ja in Frieden gegenübertreten. Einmal bis Piso seine Schafe im Trockenen hatte, das hieß, bis Piso verheiratet und Senator war. Und wer wusste, vielleicht rückte er ja als Nachfolger des Corvinus nach? Das wäre schon etwas!
    Aber momentan war noch nichts von dem der Fall. Also musste Piso erst einmal sein Mütchen zügeln. Denn seine Gedanken wurden jetzt jäh unterbrochen, als Prisca losschniefte. Ihre Worte rührten ihn zutiefst. Sie war glücklich, seine Frau werden zu dürfen! Sie war glücklich mit ihm... Piso war nicht so realitätsfremd, dass er sich je vorstellen hätte können, solche Worte je aus dem Mund einer Frau wie Prisca zu vernehmen. Prisca, das war seine Traumfrau. Und sie schien zum Griefen nah. Ja, es würde nur noch ganz kurz dauern, dann würden sei heiraten! Den Teil mit ihrem geliebten Marcus, den überhörte Piso einfach. Jahahaha, er war heilfroh, keinen eifersüchtigen Heini über seine Schultern glotzen zu haben. Denn mit ihm würde Prisca diesen schönsten Moment in ihren Leben kaum je erleben.
    So löste Piso seine rechte Hand von der ihren und tätschelte ihr sachte auf den Rücken. “Ich bin sicher, er ist bei uns und freut sich mit uns beiden“, machte er leise und nickte, als sie ihn fragte, ob er mitkäme.
    “Natürlich bleibe ich bei dir“, war seine Antwort, als er wieder seine rechte in ihre linke Hand legte. “Ich bleibe bei dir bis zum Ende meines Lebens.“ Au ja, das war schön gesagt, freute er sich innerlich, als er sich mitziehen ließ und sich beeilte, in den Gleichschritt mit ihr zu kommen.
    Was war denn das da drüben? War das Ursus? Ja, er war wohl angekommen. Großartig, dann konnte er ihn abpassen, und das Angenehme mit der Arbeit verbinden. Wenn man Hochzeitsverhandlungen denn als Arbeit sah.

    Acanthus blickte scheel auf den sehr direkten Ritter. Er räusperte sich. “Der Quaestor Principis ist ein viel beschäftigter Mann. Weshalb möchtest du ihn aufsuchen?“, schnarrte er fragend.

    Ich darf hinzufügen – er trug was unter der Toga, und zwar ein Subligulaculum, einen Lendenschurz (den man statt einer Tunika tragen konnte), aber eben keine Tunika. Eben um herauszudeuten, wie bescheiden und stoisch er war. Er war übrigens nicht der einzige, der so daherkam, es gab noch andere Senatoren, auch patrizische, die sich so gaben, um Integrität und Bescheidenheit wie auch erzkonservative politische Ansichten vorzuschützen.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpgAcanthus


    Acanthus hustete rhythmisch, über die Klang- und Melodielehren nachdenkend, da klopfte es. Klopfen wäre auch eine Art, den Rhythmus anzugeben, aber dieses Mal unterbrach es Acanthus‘ Gedanken. Ächzend stand der Ianitor auf, klopfte sich den Hintern ab und öffnete dann die Türe. Da lehnte sich ja jemand an die Wand! Acanthus wollte schon loskläffen, da erkannte er die Ritterstreifen an der Tunika und der Toga des Mannes. Ah, ein Ritter. Was der hier wohl wollte? Acanthus räusperte sich, bevor er zu sprechen begann. “Salve, Herr. Willkommen in der Villa Flavia. Wer bist du und was kann ich für dich tun?“

    Wer von patrizischer Würde, vom Prunk einer Verlobung, vom Stolz einer alten Familie, vom noblem und blaublütigen Prachtstück der Herrscherin der Welt und ewigen Stadt Rom sprach, der konnte sicher nicht Piso meinen.
    Die Niederlage vorne bei der Verlobungsstätte hatte ihn zusammenknicken lassen wie ein morsches Regals. Dieser Aurelius hatte ihm im übertragenen Sinne in die Eier gehaut, und seine Schwester hatte nichts getan, aber auch nichts zu seiner Verteidigung – die war nur dagestanden und hatte müde gegrinst, als Lupus einen Scheißkübel über die Ehre der Flavier ausschüttete. Und sein Vater hatte auch nur mitgespielt bei diesem Schmafuh, der Piso immer unwirklicher vorkam. Wieso war Lupus immer der strahlende Held und er der glänzende – vor lauter Pisse, die Lupus über ihm geschwemmt hatte – Verlierer? Piso verstand das Leben nicht mehr. Vielleicht sollte er auch ein Arsch werden, dann würden ihn alle mögen. Er musste einfach nur Drohungen rumschleudern an Personen, die viel höher standen als er, und schon war alles geritzt. Diesem Corvinus sollte er vielleicht noch eine raffiniert formulierte Drohung schicken. Oder am Besten gleich dem Kaiser!
    Wie man vielleicht merkte, war Flavius Piso an dieser Stelle schon reichlich betrunken. Sicher nicht trunken vor lauter Freude über die Verlobung seiner Schwester, sondern vor lauter Wein, den er in den letzten Minuten runtergegurgelt hatte. Der Wein war unverdünnt gewesen, sodass er richtig schön Pisos Sorgen hinwegspülte. Nun ja, es stimmte nicht. Pisos Sorgen waren noch immer da, aber der Flavier konnte ihnen jetzt etwas mehr Witz herausringen. Vielleicht konnte er ein Gedicht daraus schustern.


    Oh, hört, Unsterbliche, des Piso Lot,
    der ehrenvoll dem Lupus unterlag!
    Der miesen Kröte, die ganz ohne Not,
    so machte, dass sie niemand jetzt mehr mag!
    Buhuschluchzheul,
    das ist des Piso Moritat.
    Mimimi.


    Grosse Dichtkunst. Jaja.
    Schwankenden Fußes begann der Dichtmeister, der schon ziemlich dicht war, mit einem fast vollen Weinbecher in der Hand, herumzustolpern. Er trank einen tiefen Schluck und wankte hinüber zu Axilla, an der sich jetzt wohl schon Flaccus ranmachte. Jawohl, Flaccus, sicherlich! Mach du nur, mein Guter, dachte sich Piso. Geh ihr an die Wäsche, das ist nicht schädlich, sonst wäre halb Rom jetzt schon tot!
    Er ging unsteten Ganges also hin und blieb leicht ungleichgewichtig vor ihnen stehen. Er nickte Flaccus schnell zu und hob dann in die Richtung von Axilla eine Augenbraue. “Na geh. Wie schaust du denn aus? Hicks... du traust dich was... eine feine Witwe bist du...“, hauchte er ihr einen nicht gerade netten Atem entgegen. Indigniert drehte er sich, nachdem er sie sorgsam taxiert hatte – was für eine lächerliche Zeichnung an diesem Bein da –, um und stolperte wieder fluggs zurück in die Menschenmasse rein, aus der er gekommen war. Weiter aufhalten wollte er jetzt nicht – Flaccus sollte ja auch mal seine Runde haben, wie so viele andere zuvor schon –, aber seine Meinung wollte er nur mal schnell deponiert haben. Denn das durfte er ja wohl noch! Man lebte ja schließlich in einer [strike]Demokratie[/strike] Republik. Einmal dem Namen nach.

    “Nun“, entgeghnete Piso mit einem freundlichen, unverbindlcihen Lächeln, “was deine Gesundheit angeht, sind wir, der Cultus Deorum – wie du vielleicht weißt, bin ich Septemvir – dabei, deinen Geburtstag angemessen zu feiern. Ich bin sicher, die Götter werden die Opfer, die wir für dein Wohl entgegenbringen werden, auch gebührend in Empfang nehmen werden.“
    Aus den Antworten derweil konnte er zwei Sachen entnehmen. Erstens, der Kaiser schien fest davon überzeugt zu sein, dass seine Krankheit ihn davon abhielt, nach Rom zurückzukehren. Ob das ansteckend war, begann leichte Furcht in Piso aufzusteigen. Nicht, dass er so endete wie der Kaiser und den Rest seiner Tage in Misenum am Krankenbett verbringen musste.
    Und zweitens antwortete er nicht auf seine Frage mit dem Sohn. Ah, er wollte wohl nicht antworten. Schade, dass man ihm die Antwort nicht abverlangen durfte wie einen Kanzleiscriba! Aber Piso würde wohl seine eigene Antwort dazu spinnen müssen. Traute der Kaiser seinem Sohn das etwa nicht zu? Schlechter werden konnte es sicher nicht. Plante er gar, Vescularius Salinator zum Caesar zu machen? Oh Schreck lass nach – das dicke Schwein mit der Fresssucht? Dieses Sinnbild der Antiästhetik? Piso schluckte kurz.
    “Und keine Sorge, meine quaestorische Arbeit wird wegen meines priesterlichen Amtes nicht leiden“, fügte er noch als Versicherung und Pausenfüller hintendrein.

    IN NOMINE SENATVI POPULIQUE ROMANI
    ET PONTIFICIS MAXIMI


    - Relatio Pontificium -


    Auf Anfrage des Collegium Septemvirorum gibt das Collegium Pontificium bekannt, dass es nach Konsultation der Sibyllinischen Bücher und der Erforschung der Mores Maiorum zu folgendem Entscheid gelangt ist:


    Fortan soll es Frauen nicht mehr gestattet sein, in den Collegia Sacerdotium Publicorum Sitz und Stimme zu haben. Als Begründung wird hierbei angeführt, dass aus den Tagen unserer Ahnen keinerlei Hinweise vorliegen, dass Frauen jemals in diese Collegia gewählt wurden. Weiterhin konnte von den Quindecimviri Sacris Faciundis nach Konsultation der Libri Sibyllini zweifelsfrei festgestellt werden, dass Derartiges auch nicht dem Willen der unsterblichen Götter entspricht, sodass in diesem Fall keine Einwände geltend zu machen sind.


    - ANTE DIEM XIII KAL NOV DCCCLX A.U.C. -
    (20.10.2010/107 n.Chr.)



    [B]gez. Manius Tiberius Durus
    - PONTIFEX PRO MAGISTRO -


    Opimius Naso endete mit dem Vorlesen und senkte die Schriftrolle, die man ihn zukommen lassen hatte. “Nun ja.“ Die Septemviri schwiegen sich an. Auch wenn man es sich gegenüber nicht recht zugeben wollte, man war schon gespannt gewesen auf ein revolutionäres Ergebnis der Anfrage. Gar man einer hatte sich schon vorgegaukelt, jetzt würde eine neue Ära anbrechen. Fulvius Frugi hätte ja gerne eine der jungen, hübschen Priesterinnen hier im Collegium gesehen, damit er ihr endlos auf den Hintern gaffen könnte. Propertius Secundus schien besonders erschüttert, als er hörte, dass bei Aeditua wohl Endstation war für die Frauen. Er murmelte etwas von Ungerechtigkeit und Glasdecke in sich hinein, wobei diese Decke nach der Realtio gar nicht mehr so gläsern war. Nun ja.
    “Hmm. Schaut so aus, als müssten wir nach jemand anderem suchen.“ Vitellius Rufio räusperte sich. “Na gut, dann bin ich für Trebonius Seius...“ “Was? Den stadtbekannten Bettnässer?“ Ein paar Septemviri lachten, gingen dann aber sofort dazu über, eigene Vorschläge in den Raum zu werfen. Eine lange und fruchtlose Diskussion später verließen eine Anzahl an frustrierten Männer die Domus Opimia und suchten sich ihren Weg nach Hause. So ein Krampf.

    Piso nahm sich zusammen, um bei der Berührung nicht zusammenzufahren. Ach du liebe Zeit, war ihre Hand eiseskalt! Es war, als ob man seine Hand in siedend heißes Öl tauchte. Nur halt andersrum. Logisch, oder? Sich fragend, was dazu wohl geführt haben mochte, dass sie sich so kalt anfühlte – vielleicht war es eine direkte Translation ihrer psychischen Konditionen auf die Physis? – umschloss er ihre Hand mit der seinen. Ja, sie sollte etwas aufgewärmt werden. Das war gut so, ja. Körperliche Nähe war Piso wichtig, denn er empfand sie als schön. Der Flavier hatte keine Ahnung, ob Lupus jetzt zuschaute, aber er hoffte, er tat es. So geht man mit seinen Mitmenschen um, dachte er sich ein wenig hochmütig, denn Lügen hatten kurze Beine. Und Pisos Gefühle waren ehrlich, ja, er verspürte sie wirklich, die Pfeile des Amor in seinem Herzen, und wie sein Herz glücklich war, nach Langem endlich Labsal zu finden für die Pein, die er durchgemacht hatte. Ja, ihre Nähe war wie Salbe, sie zu hören wie Medizin. Ein Remedium für die lange Zeit, da er sie nicht gesehen hatte, sie nur nach ihr verzehrt hatte und sich deshalb kreuzunglücklich gefühlt hatte. Vielleicht würde nun alles gut werden. Doch zuerst mal hörte er ihren Worten zu.
    Erst horchte er hin, und seine Reaktion kann folgendermaßen wiedergegeben werden: “Oh.“ Ja, etwas anderes konnte er wohl nicht sagen. Celerina war in den Nemoralien verwickelt gewesen. Man munkelte, sie wäre gestorben zwischen der Nemoralia und ihrer Ankunft hier? Und Corvinus hatte sich das Leben genommen...
    In Pisos Hirn entstand eine Geschichte, die perfekt kompatibel war mit seiner Vorstellung von Corvinus als gemeingefährlichen Stumpfhirn. Und die ging so. Corvinus hatte seine Frau veranwtortlich gemacht für den Skandal, er hatte sie umgebracht und sich dann selbst, in einem Wahn von Idiotie. Ja, so musste es gewesen sein! Das war ihm zuzutrauen, diesem Schmalzheini, der immer gelabert hatte von wegen Familienehre und oh wie sittsam und ziemlich und guter Name der Gens. Piso würde ihn umbringen, wenn... nun ja, wenn Corvinus die Arbeit nicht schon für ihn erledigt hätte. Aber wer wusste, vielleicht kam er mal am Grab des Kerls vorbei und würde, wenn niemand hinguckte, draufpinkeln. Jawohl, dass würde ihm recht geschehen, dem Gauner! Und da war es ihn egal, wenn ihn dann die Lemuren holen würden!
    Er hütete sich aber davor, seine Gedanken Prisca mitzuteilen. Die Gründe waren offensichtlich. Und er wollte ihren geliebten Onkel nicht vor ihr diffamieren. Es hieß nun also ernst dreinzuschauen und zu nicken.
    “Hmm“, machte er, was ihre kommende Frage nun anging. Ob die Götter den Flaviern zürnten? Vielleicht. Den Aureliern? Naja, war ja nur der eine. Kein sonderlich großer Verlust. Konnte man ersetzen (zum Beispiel mit ihm selbst, Piso, im Collegium Pontificorum, dachte er sich). “Ich denke nicht. Es ist nun einfach passiert“, hoffte er mit der Authorität eines Septemvirs sagen zu können. “Die Sühne wird wohl vom Staat geleistet werden.“ Ob da ihre beiden Familien etwas beitragen mussten? Piso hoffte nicht, denn er mochte sein Geld!
    Doch dann, dann kam der Moment, der der Frisch ins Wasser springt. Piso klebte an ihren Lippen, soweit dies möglich war bei diesem Schleier, der ihre Schönheit von ihm fern hielt. Was war das? Er hatte... Segen?
    Pisos Unterkiefer klappte auf, nach unten hin. Mit seiner Kinnlade unten, rauschte ihm etwas durch den Kopf. Das konnte nicht sein, nein. Corvinus hatte in seinem Kopf schon einen festen Platz – der des unverbesserlichen Schurken! Des Bösewichts! Corvinus war vom Prinzip her gehässig, doof, uneinsichtig und antiästhetisch – wie also konnte so etwas passieren? Wi konnte solch ein Typ Prisca die Erlaubnis geben, ihn zu heiraten? Das war ja... unglaublich! Als Piso seinen Mund wieder schloss, suchte er nach Erklärungen. Es war ein Teil von demselben Wahn, der Corvinus dazu veranlasst hatte, Celerina zu ermorden (diese Geschichte nahm immer mehr Form in ihm an)! Oder aber es war der Gedanke, dass, wenn das rauskäme, niemand mehr bereit wäre, eine Aurelia zu heiraten! Oder aber Corvinus hatte doch noch das Licht gesehen! Ja! Vielleicht hatte der Aurelier ihn doch noch am Ende seines Lebens als das Genie gesehen, das er war! Vielleicht hatte er eingesehen, dass er seiner Nichte einen großen Künstler vorenthielt! Vielleicht hatte er Vernunft angenommen!
    Möglich. Hmm. Vielleicht würde Piso doch nicht auf sein Grab schiffen. Mal sehen.
    Im Moment aber beschränkte er seine Aktionen darauf, auch seine zweite Hand um ihre andere zu fassen. “Oh Prisca. Das ist ja wunderbar... wunderbar... einfach... das ist großartig...“ Er wirkte baff, und er war es auch. Mit so etwas hätte er nie gerechnet.
    “Das heißt also, dass wir uns verloben können? Nicht jetzt, sondern halt... wenn die Trauerzeit vorbei ist?“ Erwartungsvoll blickte er sie an.

    Piso blickte von seinem Schreibtisch auf. Und er war nicht der Einzige.
    Rund um ihn erhob eine Mehrschaft von arbeitenden Sklaven und Freigelassenen ihre Köpfe und stierte den Neuankömmling an. Jeder einzelne saß an einer Bank, hatte einen Haufen von Wachstafeln vor sich und war frenetisch damit beschäftigt, die Wachstafeln durchzusortieren und zu listen – nun, sie waren damit beschäftigt gewesen, bevor Dontas eingetreten war. Kürzlich waren die Listen aus Ägyptus gekommen, was wieder einen Haufen Arbeit für Piso, den man weniger denn je außerhalb seines Arbeitszimmer sah, bedeutete. Die Arbeit war so unglaublich, dass sich Piso manchmal fragte, wieso er Quaestor geworden war. Ablenkung war da vielleicht das Richtige.
    Der Flavier musterte den Peregrinus kurz, bevor er, den Kopf schüttelnd, eine ehrliche Antwort gab. “Salve. Nein, leider nicht. Weiter an die Arbeit, aber sofort!“ Wie sollte er denn alle seine Termine im Kopf behalten? Zweiteres war übrigens nicht an Dontas gerichtet, sondern an seine Schreiberlinge, die wieder hastig anfingen zu arbeiten. “Hast du denn einen Termin?“ Dontas dürfte anders nicht reingekommen sein. Piso begann fieberhaft zu überlegen, wo er denn diesen blöden Terminkalender hingelegt hatte. Vermutlich lag er wieder mal begraben unter einem Stoß Papyrus am Boden. Oder Antiochos hatte ihn. Oder Tubulus. Piso kratzte sich am dunkel-lockigen Kopf und schaute Dontas zweifelnd an.