Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Dieser Ahala machte seine Sache eigentlich ganz gut, und so sah Piso nicht die Notwendigkeit gegeben, irgendwas zu fragen. Auch niemand anderer tat dies. Also sollte es Piso gleich sein. Er blickte den Tiberier an, dann fiel sein Blick auf Furianus, und auch er stimmte dafür. Würde schon passen, wenn Furianus es sagte.
    :dafuer:

    Cocceia Maior


    “Die bin ich. Salve. Kann ich etwas für dich tun?“ Maior blickte Piso direkt an. Sie war vielleicht Mitte, Ende 30, und hatte etwas von jener herben Schönheit, welche Frauen in einem schon ein kleines bisschen reiferen Alter dann und wann hatten. Die Haare waren sehr sorgfältig und hübsch aufgesteckt, stellte Piso anerkennend fest, der die mittlerweile schon etwas altmodisch gewordene Haarpracht, die unter den flavischen Kaisern vorherrschten, sehr schätzte. Ihre Augen entbehrten des Feuers der Jugend, aber waren ruhig, interessiert und suggerierten charakterliche Tiefe der Besitzerin. Ja, die war in Ordnung, dachte er sich. Einmal vom ersten Eindruck her.
    “Salve, werte Cocceia. Ich heiße Flavius Piso, ich bin einer der Septemviri.“ “Oh, wirklich?“ Nun sah man ein Aufblitzen in den Augen der Cocceia, welches wohl bedeutete, dass sie nun wahrlich gespannt war. “Sagt dir der Name Propertius Secundus etwas?“ “Sicherlich. Er wohnt hier in der Nähe, und kommt häufiger zum Opfern. Unsere Häuser stehen zudem nicht allzu weit auseinander.“ “Ah. Weißt du, dass er dich als Septem... mulier... hmm... als Epulonin vorgeschlagen hat?“ Cocceia Maior runzelte die Stirne. “Hat er das?“ Piso nickte. Maior reagierte recht gefasst auf seine Ansage. Sie hatten sich wohl abgesprochen, dachte er. Nun, das war üblich. “Hat er. Nun musst du wissen, dass einige Septemviri Bedenken geäußert hatten.“ Maior blickte Piso einige Zeit an, als überlegte sie. “Nun... natürlich kann ich das nachvollziehen. Ich bin ja immerhin...?“ Sie lächelte und deutete auf ihren Körper. Piso lächelte zurück. “Eine Frau, ich weiß.“ Sie hatte ein durchaus reizendes Lächeln. Vor 20 Jahren musste ihre Schönheit einfach phänomenal gewesen sein. Oder aber verhielt es sich bei ihr wie bei einem guten Falerner, der erst mit der Zeit richtig an Geschmack gewann?
    Bei jenem Gedanken fiel ihm auf, dass er durchaus von der Frau eingenommen war. Natürlich nicht wie bei... nun ja... wie bei Prisca. Ganz anders. Sie erschien ihm wie eine, mit der man nach der Arbeit noch gemütlich einen Krug Wein leeren konnte, wie Piso das häufig mit Vitellius Rufio und Aemilius Atimetus tat. Er mochte sie auf jeden Fall, er spürte es.

    Der Tempel der Ops also. Cocceia Maior war eine Priesterin der Ops, eine Tempelverwalterin der Göttin des Erntesegens. Piso konnte sehen, was für Vorzüge Ops als Göttin hatte – eine ein wenig erdige Qualität, durch und durch natürlich, ein bisschen rustikal, ein bisschen verschmitzt. So stellte Piso sich Ops vor, und vielleicht auch die Priester und Priesterinnen, die für sie die Tempel verwalteten und auch den Opfernden dann und wann zur Hand gingen. Der Flavier lenkte seine Schritte in den Tempel hinein, welcher am Kapitol stand, und war fast etwas überrascht zu sehen, wie sauber all dies war. Er hatte erwartet, dass Erde rumlag. Fehlanzeige.
    Er fragte sich, wie diese Cocceia so sein würde. Eine Frau mit hervorragenden Referenzen war sie auf jeden Fall. Nicht nur Propertius, sondern auch diverse andere Priester konnten bestätigen, dass sie eine tüchtige Frau mit großem Wissen war. Die Erfahrung und die Meriten, um Septemvir (was in ihrem Falle eine absolute Fehlbezeichnung wäre) zu werden, machte ihr kaum jemand streitig. Nur, als Frau war die Sache doch komplett anders. So wie Piso sich erinnern konnte, war dies ohnehin das erste Mal, dass eine Frau auch nur in Erwägung gezogen worden war zur Aufnahme ins Collegium der Epulonen.
    Piso hatte seinen Calator, Lollius Tubulus mitgenommen. Dieser trottete ihm brav hinten nach, mit einer Wachstafel in der Hand. Bridhe wollte er dann doch lieber nur zu Privatzwecken einsetzen, Tubulus war da, um den ganzen Religionskram zu machen. Bridhe, die Keltin, würde sich eh nicht damit auskennen, dachte Piso sich. Sie war halt trotz allem eine Barbarin, wenn auch eine sympathische und nette Barbarin.
    Der Flavier wandte sich an einen Popa und fragte ihn, ganz unverbindlich, nach Cocceia Maior. Nachdem er sie herausgedeutet bekommen hatte, bedankte er sich und ging auf sie zu. “Cocceia Maior?“ Die Angesprochene, welche gerade offenbar eine kurze Pause gemacht hatte, drehte sich herum.

    Piso und Würde? Hmm, interessantes Konzept. Irgendwann mal sicher.
    Aber auch so erkannte Piso, dass der Blick doch nicht der rechte war, und vergaß ihn. Immerhin verdammte Macer seinen Klienten nun nicht in Grund und Boden, weil er sich dagegen entschieden hatte, noch ein paar Jahre zu warten, und stattdessen den Stier an den Hörnern zu packen. Vielleicht kandidiere ich nochmal zum Quaestor, wenn er Consul wird, dachte sich Piso, natürlich komplett delusionistisch. Nun ja, auf jedem Fall würde er ihm absolut zu Diensten stehen, wenn es einmal so weit war.
    “Vielen Dank, Patron“, machte Piso deshalb. Hmm, vielleicht noch ein freches kleines Tribunat hintendrein? Oder auch nicht. Mal sehen. Mit der Quaestur war er sich jedenfalls schon sehr sicher, hatte er doch schon einige Tage in seinem Cubiculum, erfüllt von Nachdenken darüber, verbracht.
    Die nächste Frage seines Patrons kam wie ein Steinblock, der unversehends vom Himmel fiel und einem unglücklichen Passanten auf den Schädel (Piso musste an den Septemvir Ceionius denken, dem genau dies tödlicherweise passiert war). Für eine Sekunde lang machte der Flavier einen Gesichtsausdruck, als hätte ihn der bei weitem athletischere Purgitier ihn in den Bauch gehauen. Dann fing er sich wieder.
    “Hmm. Ehe.“ Er versuchte, nicht gar so dämlich dreinzublicken wie gerade eben, als er seinem Patron seinen Entschluss, dieses Jahr zu kandidieren, klar gemacht hatte. “Es gibt tatsächlich eine junge Dame, die ich im Auge habe, was das angeht. Eine Patrizierin aus gutem, senatorischem Hause. Nur, es ist ziemlich kompliziert. Ich habe sie sehr gerne... und ich glaube, sie mag mich auch, sehr sogar... nur, ihr Tutor hat etwas gegen mich...“ Er fuhr sich durch die Haare und presste seine Lippen zusammen. Er wagte es gar nicht, die Namen preis zu geben.

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer
    Es war ganz gut, dass Macer nicht wusste, wie sehr sich sein Klient über ein Treffen mit ihm freute, denn er hätte das reichlich übertrieben gefunden. Andererseits freute er sich selber auch gerne über einen Besuch von Piso, da dieser zu der Sorte von Klienten gehörte, die ihren Patronen Freude machte. "Salve, Flavius Piso", grüßte er daher freundlich und nahm sich Zeit für das vorgetragene Anliegen. Am Ende des Vortrags musste er schmunzeln. "Wenn ich ehrlich bin, noch nicht", gab er zu. "Ich genieße mein Leben, wie es derzeit verläuft. Ich habe Zeit für die Factio, brauche keine Senatsdebatte wegen anderer Pflichten vorzeitig zu verlassen und muss nicht immer und überall in der ersten Reihe sitzen. Ein Zustand, der gerne noch länger anhalten darf." Er blickte seinen Klienten an und ahnte, was dieser nun denken würde. "Was nicht heißt, dass mich ein Consulat nicht reizen würde. Ich habe den Cursus Honorum begonnen und es wäre nicht gut, ihn nicht zu Ende zu bringen." Dazu kannte Macer einfach viel zu viel Pflichtgefühl. "Du würdest mir also als Quaestor zur Seite stehen wollen? Wenn ich meine Entscheidung verschiebe, würdest du dann die deinige ebenfalls verschieben?" fragte er vorsichtig und durchaus neutral.


    Macer machte keinen Terror darüber, dass Piso als Quaestor kandidieren wollte – also würde Piso es einfach tun. Er würde, wenn die Zeit gekommen war, bei Furianus hereinschneien und dann... doch vorher hörte er sich noch an, was Macer zu sagen hatte.
    Offenbar hatte er nicht vor, so schnell ein Consulat zu besetzen. Was Piso doch ein wenig enttäuschte. Natürlich, es war angenehm, keine Pflichten zu haben, aber war dies eine langfristige Lösung? War es nicht der Wunsch eines jeden Römers, den Cursus Honorum so schnell wie möglich zu durchschreiten? Macer wäre im rechten Alter. Und er würde mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt werden, das dachte Piso nicht nur, das wusste er.
    Der Purgitier beschwichtigte seine Worte aber sofort wieder, was Piso ein wenig beruhigte – ein wenig. Ein Turbopatron, der alle Stufen des Cursus Honorum hinaufwetzt, den konnten halt nciht alle haben. Und das waren vermutlich auch nur Sterne, die schnell in einer götterverlassenen Provinz als Proconsule verglühten und in Intrigen untergingen.
    Die bedächtig vorgetragene Frage seines Patrons ließ sich Piso durch den Kopf gehen. Lange. Er stellte Überlegungen auf, die meisten zu abstrus, um sie hier reproduzieren zu können.
    Dann seufzte er und blickte Macer mit einem Dackelblick an. “Am Liebsten wäre es mir schon, ich könnte so bald wie möglich Senator werden und danach vielleicht meine Karriere ruhiger anpacken. Ich habe jetzt eigentlich schon das nächste Jahr für mich eingeplant...“ Er kratzte sich am Kopf, etwas verlegen, als er Macer einen entschuldigungsheischenden Blick gab. Aber er fühlte irgendwie den Druck, vorwärts zu kommen. Vor allem wollte er sein Umfeld beeindrucken. Nicht nur Furianus, von dem er endlich Anerkennung für seinen Stand bekommen wollte. Sondern auch von Corvinus, dem er somit zeigen könnte, dass er kein niemand war, mit dem er seine Nichte unmöglich... nun, er wollte das Wort noch nicht einmal in seinem Inneren aussprechen... konnte.

    Gänzlich unwissend ob der grausamen Strafen, die ein Künstler wie Piso am Hofe des Königs der Könige in Ktesiphon in Parthien erleiden müsste, schaute er mit zunehmender Neugierde den Sklaven an. Nun würde es sich entscheiden, ob der Sklave das Geld wert war, das man sicher für ihn rausgeworfen hatte. Und tatsächlich, was der Sklave sagte – sogar noch im besten Latein – das gefiel dem Flavier. Auf seinem Gesicht zeigte sich, trotz aller Tiefschläge in letzter Zeit, ein glückseliges Grinsen, welches bezeugte, dass Piso eine seiner berüchtigten Gefühlswandlungen durchlebte. Der Flavier liebte Schmeicheleien, je süßer und klingender, desto besser. Der Sklave schlug da bei ihm gerade die richtigen Saiten!
    Doch er wollte sich schon hinfort machen. Piso holte tief Luft und schmetterte: “Verweile doch, Geselle! Wie ist dein Name?“ auf den Sklaven los. Dann trat er zu ihm, gab ihm ein ein wenig verschwörerisches Grinsen und knuffte ihm mit seiner linken Faust mit einem erstaunlich schwachen Fausthieb in die Seite. “Kaum habe ich es gewagt, jemanden je zu treffen, der so ein umfassendes Verständnis zeigt von der Musik der Postmoderne. Post-mo-der-ne, du verstehst sicher, was ich meine?“, fragte er ungeachtet der Tatsache, dass man noch nicht im zwangzigsten Jahrhundert angekommen war. “Endlich versteht jemand die subliminale und avantgardistische Eleganz, nein, Ästhetik der neuen Schule der Kunst!“ Wenn Piso sich einbildete, jemanden getroffen zu hatten, der so dachte über Kunst und Ästhetik wie er, dann regnete es förmlich gequirlten Bockmist. Seine ganzen Sorgen waren wie auf einem Schlag vergessen, er hatte, so dachte er, endlich jemanden getroffen, der nicht gänzlich irre war.
    “Sage mir, du bist aus Parthien, nicht wahr? Ja, die Parther, schon immer großen Respekt gehabt vor ihnen!“ Hatte er nicht, er redete es sich nur ein, damit er jetzt behaupten konnte, eine ganze Nation stand hinter ihm und seiner Auffassung von Kunst. „Ihr Kerle versteht, was wahre Kunst ausmacht, und du bist das beste Beispiel dafür! Ja, aber nicht jede Nation versteht, ihre Genies zu schätzen! Wahre Anerkennung werden Künstler wie wir erst nach unserem Tode erringen. Erst morgen wird die Welt feststellen, dass der größte Künstler aller Zeiten ich war: Aulus Flavius Piso! Denkmäler, Monumente, Statuen!“ Aus seinen begeisterten Augen glimmerte es. „Möchtest du noch ein Lied von mir hören? Selber geschrieben!“
    Er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern schmetterte sobald los. “Wir ziehen durch die Lande, bumstrallala! Einig, Hand in Hande, bumstrallala! Wir ziehen nach Rohohohohohohohohoooooma! Bumstrallala!“ Enthusiastisch blcikte er den Parther an. “Was sagst du? Ein Funke der Zukunft, nicht wahr?“ Piso war in seinem Element, und gegenüber Sklaven musste er sich auch nicht das winzigste bisschen zurückhalten.

    Dann, erst dann erhob sich eine Stimme. Propertius Secundus, ein Mann mit Ansehen und einer gewichtigen Stimme. “Wie wäre es mit Cocceia Maior?“ “Eine Frau?“, ächzte Fulvius Frugi, dessen Blick dazu simultan zu Opimius ging. Dieser runzelte seine Stirn. “Dir ist schon klar, dass wir die SeptemVIRI sind. Nicht die Septemmulieres.“ Propertius zuckte die Achseln. “Es muss immer ein erstes Mal geben. Es gab ja auch schon einen Präzedenzfall, als Tiberia Claudia Pontifex war.“ Die Epulonen blickten unsicher um sich. “Aber das war doch was komplett anderes!“, meinte Vitellius Rufio und blickte sich, aufmerksamkeitsheischend, um. “Inwieweit?“
    Schweigen im Walde. Schließlich erhob Piso seine Stimme. “Es gibt halt keine weibliche Form von Septemvir...“ Er brach ab. Von Pontifex gab es das auch nicht, oder?
    “Weitere Kandidaten gibt es nicht?“ Offenbar nicht, denn niemand antwortete. “Nun gut, wir werden Bedenkzeit üben. Und vielleicht diese Cocceia im Auge behalten. Was war sie denn noch gleich?“ “Die Tochter des Senators Cocceius Faustus, Witwe des Senators Porcius Sisenna. Den Stand hätte sie. Und sie ist schon recht lange Aeditua, also hat sie auch die relevante Erfahrung, zumal sie schon oft bei Götterspeisungen geholfen hat“, erklärte Propertius. Naso blickte um sich, unsicher. “Ich kann sie mir ja einmal anschauen!“, bot Piso an. “Wenn sie nichts ist, dann schließt sich das ohnehin im Vorhinein aus.“ “Gut, gut, Flavius. Dann mach du das einmal.“ Naso nickte.
    Das Gespräch wrde auf etwas anderes gelenkt – diverse Prozessionen, diverse Feierlichkeiten, diverse Aufgaben, die die Pontifices an die Septemviri delegiert hatten. Irgendwann kam die Contio auch zu einem Ende... und Piso ging heim, nachdenkend darüber, ob diese Cocceia denn auch halbwegs hübsch war – wenn sie eine hässliche Vettel war, schied sie gleich im Vorhinein aus.

    Piso war, auch wenn er es nie zugeben würde, im Grunde seines Herzens zumindest seiner Schwester gegenüber großmütig genug, um ihr diese Neckereien zu vergeben, die dann und wann kamen. Solange sie nicht öffentlich daherkamen, passten sie schon, und hie und da konnten sie Piso sogar ein Lächeln abringen. Meistens aber waren sie vor allem nervig, und langsam aber sicher hatten sich die besten Schmähs schon vor einigen Jahren ausgeleiert. Aber, nun gut, jetzt, wo Nigrina wieder hier war, brauchte er vielleicht eine Auffrischung in nigrinischer Aufzieherei. Lange würde er es eh nicht mehr erdulden brauchen. Dies sagte er nicht, weil er seine Schwester an diesen Aurelier weggeben wollte, und dann mit leeren Händen zurückkehren. Nein, er war sich sicher, sein dringendstes Problem, welches ihm dieser Tage plagte, könnte schnell gelöst werden.


    Er war herzlich wenig interessiert in die Gladiatorenspiele. Obwohl er Priester war, und auch dann und wann zu den Circenses ging, hatte er sich an das Blutvergießen gewöhnt, war ihm früher doch immer schlecht davon geworden. Doch selbst nun liebte er es nicht so, dass er alles drüber wissen wollte. Es haben sich ein paar Leute abgemetzelt, in Ordnung, aber es würde sich schon nicht grundsätzlich von den Schlachtereien unterschieden haben, die man immer wieder aufführte. Das einzige Mörderschauspiel, das ihn einmal genuin und wirklich begeistert hatte, war die Seeschlacht des Annaeus Modestus gewesen. Danach tote Hose.


    Nigrina begann ziemlich doof zu grinsen, als sie Pisos Reaktion auf den Namen der Aurelierin sah. Aber Piso nahm das gar nicht richtig war. In seinem Kopf spielte ein ausgewachsenes Orchester, und vor seinen Augen hingen rosarote Wölkchen – ja, Piso liebte den Kitsch. “Bittebitte... hmm... mit mir?“, brachte er dann endlich heraus und blickte sie an wie ein Omnibus. “Öh. Äh. Gar nichts. Wieso?“ Er grinste ertappt.

    Es erklang von der Ferne, immer näherkommend jedoch, eine Stimme. Sie sang ein Lied. Das Lied klang traurig und wäre an sich nicht einmal schlecht gewesen. Aber die Stimme, die sie sang, war grässlich. Blechern und kratzend, wie er sang, konnte der Sänger kaum einen ton länger als eine Sekunde halen, bevor seine Stimme herabsackte auf Tartarustiefen – zumindest schien es so. Mangelndes Gesangstalent machte der Sänger aber mit seiner lauten, leicht fisteligen Sangesstimme auch nicht wieder gut. Das Lied war in der lateinischen Sprache gehalten, jedoch im norditalischen Dialekt , den man hier in Rom kaum sprach – nur unter Einwanderern aus dem Norden.
    Als sich die Büsche teilten, und der Sänger mit grotesk verzogenem Mund, zu einer schrägen Gesangsnote sich bereit machend, hervortrat, wurde es klar, wer dies war – Piso. Jener, gebürtig zu Ravenna, hatte sich den Akzent, in welchem er sang, schon komplett abgewöhnt, nur beim Singen klang er noch durch.
    Der Flavier war wieder bei seiner Schwester Vera gewesen. Wieder ging es ihr schlechter als zuvor. Er machte sich unheimliche Sorgen um sie, er konnte es kaum ausdrücken. Sie sah so bleich und zerbrechlich aus in ihrem nie enden zu wollenden Schlaf, in welchem sie dem Elysium immer näher glitt, zumindest schien es ihm so. Er hatte also gedacht, ein kleines Lied im Garten könnte ihn aufheitern. Er hielt aber abrupt inne, als er einen Sklaven sah. Vielleicht schaute er auch einfach nur in seine Richtung. Dem Flavier kam es aber so vor, als ob er ihn anstarrte. Piso machte seinen Mund zu, sodass er wieder normal dreinschaute, und zog seine rechte Augenbraue, ohne es selber zu merken, hoch.
    “Was starrst du so, Sklave?“ Er musterte ihn ein wenig. Genau, das war doch dieser Parther. Von Gracchus. Was der auch immer an ihm fand. “Beeindruckt von meinem Gesang?“ Diese Frage war ernst gemeint, man solle sich das einmal vorstellen.

    Das Tscheppern veranlasste ihn nicht einmal mehr dazu, aufzuzucken. Es war ihm schon wurscht. Lethargisch lümmelte er in seinem Bett rum. War nicht alles schon wurscht? Er spürte noch immer den Teil der Wange, den Prisca geschlagen hatte. Fast wie betäubt war er ob dieses Gedanken. Er hatte keinen Hunger mehr. Er betrachtete nicht einmal das Essen, was sie organisiert hatte, registrierte nicht einmal mehr, was dort drinnen war.
    Gleichzeitig hörte er auch das distinktive, vom Purzeln anderer Schriftstückarten unterscheidbaren Purzeln von Papyri – ah, seine unfertigen Dichtungen. Nicht mehr wichtig. Nichts mehr war wichtig.
    Semiramis schien seine freundlichen Worte gar nicht zu goutieren, und als sie ihn fragte, was er wollte, sagte er auch natürlich, dass er massiert werden wollte. Wenn man schon so direkt fragte...
    Auf ihre Frage hin, wo denn genau dies stattfinden sollte, zuckte er die Achseln. “Weh tut es mir hier“, murmelte er und deutete auf den linken Teil seines Brustkorbes. Ach, was hätte er jetzt gegeben für eine herzallerliebste, verständnisvolle und nicht ständig grantigen Sklavin! Doch da war er bei Semiramis fehl am Platz. Dabei war sie nicht einmal allzu aufmüpfig. Nein, sie war nur gemein zu ihm. Buhuhuhu! Wie gemein die Welt war, dachte sich Piso, während seine Mundwinkel absackten, so wie seine Schultern.
    “Ach, massier einfach meine Schultern.“ Er drehte sich um, sodass nun Semiramis sich der Rücken des Flaviers darbot. “Bitte.“ Vielleicht würde sie sich weniger zieren, wenn er sie gebeten hatte.
    Während er nun also auf eine sachgerechte Behandlung wartete, entfuhren ihm mehrere mehr oder minder unbewusste Seufzer, die den Raum durchfluteten und eine wahre Qual für Semiramis sein mussten. Manche davon klangen wie Todesgewimmer, manche, als ob Piso einen Latrinengang tätigen würde.

    Piso blickte kurz zur Seite, wo sich Flora kollegialerweise neben ihn hingesetzt hatte. Was sagte sie da? Prisca würde Piso gerne wieder sehen? Und sie hatte es nicht so gemeint? Das war zumindest das, was Flora ihm sagte. Er fühlte sich... Himmel nein, er konnte nicht sagen, wie er sich fühlte. Er hatte den unwiderstehlichen Drang, rauszurennen. Zur Villa Aurelia, sich den Weg an diesem riesigen schwarzen Ianitor vorbeizuboxen, und zu ihr zu rennen. Das wollte er, nicht mehr als dies.
    Was ihn zurückhielt, war der Gedanke an Aurelius Corvinus. Der Kerl würde ihn in futzelig kleine Stückchen zerreißen, er war sich da ziemlich sicher.
    Er blickte sie an mit einem frenetischen Blick, in dem sich alle möglichen Gefühle widerspiegelten, von aussichtsloser Liebe bis hin zu Ärger, von Angst bis zu Hoffnung. “Ich... ich...“ Rhetorisch einwandfrei war er wieder einmal. Er räusperte sich.
    “Ich weiß nicht, wie es mir geht. Ich bin erleichtert, so erleichtert. Aber gleichzeitig... wie soll ich sie jemals erreichen?“ Mit heruntergezogenen Mundwinkeln blickte er sie an. Dann wandte er seinen Körper ihr zu und streckte bittend die Hände nach ihr aus.
    “Schau! Ich liebe sie! Ich kann an nichts anderes mehr denken als immer nur an sie! Wie soll ich jemals glücklich werden? Wie soll ich jemals wieder mein Leben genießen können, wenn ich sie nicht habe? Hilf mir! Bitte hilf mir! Ich werde vor Kummer eingehen, wenn ich mich daran halte, was mir Corvinus gesagt hat – dass ich sie nie wieder sehen kann!“ Es war ein Bild des Jammers, welches er abgab. Er spürte, was geschehen war mit ihm. Immer war er auf der Suche nach Äshetik gewesen, sein Leben lang... doch dies war nun zweitrangig.

    Nein, er hatte Nigrina tatsächlich nichts erzählt von seiner Liebe. Er hatte niemanden etwas davon erzählt. Wieso auch? Es war eine persönliche Sache, die er, wie er glaubte, in sien Herz fressen lassen musste, über Jahre hinweg, bis er alt, bitter und noch immer Junggeselle war. Ja, all die Sachen zusammen – die Ämter, die er nun bekleidete und bekleidet hatte, die Sache mit Vera, die mit Prisca, die hatten ihn verändert. Vielleicht zum Guten hin, wer wusste. Obwohl, hie und da blieb er doch noch gedankenverloren stehen und lugte hinter einen Topf, in welchem ein riesiger Busch gepflanzt worden war, ob dort nicht ein bisschen Ästhetik rumlungerte.
    Nigrina begann zu sprechen, endlos langsam. Piso war schon kurz davor, sie aufzufordern, etwas schneller zu machen, sonst wären sie morgen noch hier. Es war wohl einfach eine der Sachen, die seiner Schwester endlos Vergnügen bereitete. Sie wusste ganz genau, wie sehr sie ihren Bruder, der die Katze immer sehr gerne sofort aus dem Sack gelassen sehen wollte, damit nerven konnte. Aber er beherrschte sich und blickte sie weiterhin an. Megalesia... tja, dann wäre es wohl so gewesen, dass er, wenn er dort mitgekommen wäre, sich bei der Auswahl von seiner Schwester leiten lassen hätte, und dann wohl massivst Wettgeld verbraten hätte – ebenso wie Nigrina, was er ja aber nicht wusste.
    Das mit Ravenna ignorierte er einfach. Er war kein Ravenner mehr, sondern ein Römer. Ja, er hatte sich mit seiner Wahlheimat so verstrickt, so verbandelt, dass nichts an ihm mehr an seine oberitalienische Heimat erinnerte. Nur, wenn er hie und da fluchte, drang noch ein hörbarer norditalischer Akzent hervor.
    Aha, sie hatte also eine Patrizierin kennen gelernt, und suchte nun eine Begleitung für sie. Piso hätte eigentlich nein gesagt, was wollte er denn mit der auf einem Theater? Da geschah es, dass sie sagte, dass es sich um Aurelia Prisca handelte.
    Mit Piso ging eine merkliche Veränderung vor sich, als er den Namen hörte. Sein Mudn klappte auf, seine Kinnlade fiel runter. Er starrte auf einmal seine Schwester an wie ein Ufo. Seine Gesichtsfarbe oszillierte zwischen gelb und weiß. Er tart unbewusst einen Schritt zurück und wäre glatt über den Tisch, an welchem er noch gerade seine Arbeit verrichtet hatte, gestolpert, wäre dieser für solche Unterfängnisse nicht zu hoch gewesen.
    “Aurrrrl Prrsc?“, fragte er mit einer grausam heiseren Stimme, endlos viele Vokale in geradezu gracchischer Manier verschluckend. Er war selber erschrocken, wie unästhetisch er ihren namen klingen hatte lassen, schluckte, und versuchte er noch einmal. “Aurelia... Prisca?“ Noch einmal schluckte er. Es war unglaublich. Von allen Patrizierinnen Roms würde Nigrina gerade Prisca über den Weg laufen. Unfassbar.
    Er begann zu nicken. Zuerst langsam, dann etwas schneller. Ein dümmliches Grinsen (welches nur ein über beide Ohren hin verliebter Mann haben konnte) zog sich über sein Gesicht. Sein Nicken wurde rapide. “Ja... ja!“ Er hielt inne und blickte seine Schwester an. Seine Hautfarbe war wieder normal geworden, erstrahlte nun sogar in einem kräftigeren Farbton als vorher. Seine Hände zitterten vor Aufregung.

    Selbst wer Prunk und Protz übelster Machart gewohnt war, der konnte noch immer überrascht werden von der Villa Flavia, ein gewaltiges Haus, erbaut im Geiste der Großmannssucht und des flavischen Wahns, welches schon Leuten als Schlafstätte gedient hatten, die noch weniger Tassen im Schrank gehabt hatten als Piso.
    Die Aurelia begrüßte ihn, er schaute auf. Sie hatte ein sehr schönes, offenes, ja richtiggehend ästhetisches Lächeln. Das war gut. Piso lächelte seinerseits matt zurück. “Salve, Aurelia Flora.“ Ja, er konnte sich noch erinnern, Flora und Narcissa, die Blümchen, sie waren ihm ein Begriff. Die junge Dame ganz alleine ohne ihre Schwester? Piso wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Die beiden Schwestern nebeneinander waren doch eine sehr interessante Sache gewesen – als ob er zuviel Wein getrunken hätte und sich alles verdoppelte vor seinen Augen. Nun, nicht, als ob er selber jemals schon so was erlebt hätte, vielleicht, aber dann war er schon so betrunken gewesen, dass er es gar nicht mehr wahr genommen hatte.
    Aufmerksam hörte er weiter zu. Am Beginn des Gesprächs war Piso etwas bleich gewesen, nun aber war seine Haut kalkweiß, wie bei einem erbärmlichen Wesen, das sein Leben lang in den Abwässerkanälen Roms gelebt hatte und nie die Sonne gesehen hatte.
    “W... P... G... K... R...”, offenbarte er Flora seine Gedanken. Er starrte sie an, als ob sie ihm gesagt hätte, sie wäre eine Fee, die ihm 3 Wünsche offenbaren würde.
    “Sie hat... aber....“ Aber sie hat mir doch eine Watsche gegeben! Und sie... ach ihr Götter! “Du... dir ist das ernst, oder?“ Piso blickte die Aurelierin an we eine gequälte Seele, die das Licht am Ende des Tunnels sah. Und dann hielt sie ihm schon den Brief hin. Piso ergriff ihn und examinierte ihn, Linie für Linie.
    Lieber Aulus. Schon alleine das brache ihn zum Erschaudern. Es gab nur wenige, die ihn Aulus nannten. Seine engste Familie, das war es auch schon. Sein Praenomen... es war nicht so, dass dieser inflationär rumgeschleudert wurde wie bei anderen Leuten. Die Flavier waren da im Umgang miteinander weniger herzlich als andere Leute. Wer ihn ihm gegenüber aussprach, der hatte immer zumindest einen gewissen Grad von Liebe ihm gegenüber gehegt.
    Ich schreibe dir, weil ich dir sagen möchte wie sehr ich mich über unser Wiedersehen gefreut habe und ich tief betrübt bin, über das abrupte und unschöne Ende. Tief betrübt?! Pisos Augen weiteten sich. Welcher Natur war dieses Bedauern? Floskelhaft oder ehrlich?
    Das habe ich nicht gewollt, da ich dich wirklich sehr gern habe. Piso keuchte wie ein Asthmatiker nach einem Hustenanfall. Sie hatte ihn gern. Gern, das musste man sich vorstellen!
    Es tut mir auch leid wegen der Ohrfeige und wenn ich dir Unrecht getan habe. Ich muss immerzu an dich denken, an dein wundervolles Gedicht, an den Kuss und dann wünsche ich mir nichts sehnlicher, als diesen einen Augenblick mit dir zurück. Wäre Piso nur noch ein kleines bisschen zartbesaiteter gewesen, als er es von Natur aus schon war, er wäre jetzt in Ohnmacht gefallen. Gab es das? War es möglich? Ih musste offenbar einiges an ihm liegen, anders war dies nicht erklärbar! Verwirrt blickte er noch auf das Liebe Grüße, dann blickte er mit einem Blick hoch zu Flora, einem unbeschreiblichen Blick. So einen Blick hatten nur Leute, die etwas unvergleichlich Schönes gesehen hatten und dadurch nicht nur zutiefst berührt, sondern auch schockiert waren. “Krnnchggglllchng...“, brachte er hervor.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpg]


    Acanthus blickte zu der jungen hübschen Frau hin, die nun das Reden übernahm, und muserte sie kurz, bevor er einen Entschluss fällte. Er drehte sich um und redete auf Phoebus ein, den jungen Sklaven, der des Acanthus rechte Hand war. Nach einem kurzen Warten kam der Sklave wieder, und verbeugte sich tief vor der Domina. “Domina, der dominus Piso will dich sprechen. Er erwartet dich im Atrium. Bitte folge mir.“ Er verbeugte sich noch einmal, wandte sich dann um und führte die Domina ins Atrium.

    Als man Piso in seinem Cubiculum erzählt hatte, eine junge Aurelia wollte ihn sprechen, war er aufgefahren. Seine Haare waren ihm zu Berge gestanden, seine Augen hatten sich geweitet, seine Arme nach oben gestreckt. Als der sichtlich eingeschüchterte Sklave nachgeschoben hatte, dass es sich um Aurelia Flora handelte, war Piso wie zusammengeknickt. Doch bevor er noch vor lauter Geknicktheit den Boden berühren konnte durch schieres Umfallen, dachte er schnell nach. Eine Aurelia. Eine Aurelia Flora war besser als gar keine Aurelia. Vielleicht kam sie ja von Corvinus, um ihm Schimpfwörter an den hals zu werfen.
    Allerdings hatte sie sich als Freundin von Piso identifiziert. Piso fand diese Klassifikation fraglich, hatte er sie doch nur flüchtig kennen gelernt. Aber gut. Sie sollte hereinkommen.
    Er war aus seinem Cubiculum herausgestolpert, ungelenk, und hatte sich ins Atrium gesetzt, auf eine Kline hin, stocksteif, als ob er einen Besen geschluckt hätte. Seine Finger verkrallten sich in die Kante der Kline, und er spürte, wie der Schweiß ihm über den Rücken rann. Was hatte diese Aurelia ihm zu sagen? Was würde sie ihm sagen?
    Oh, Prisca. Er bekam sie nicht mehr aus seinem Kopf. Vielleicht gab es aber jetzt für ihn eine Erlösung von seinen Höllenqualen?

    Sim-Off:

    Alles klar.


    Jawohl, Piso konnte es ihr ansehen, dass sie sich nur mit Mühe einen weiteren bissigen Kommentar verkniff, der wohl dazu geführt hätte, dass Piso nicht weiter – wohl ein wenig kindisch – herumgewitzelt, sondern sie achtkant herausgeworfen hätte aus diesem officium. Es war gut für sie, dass sie wusste, wo die Grenzen waren, auch wenn diese bei Piso etwas weniger eng waren als bei einem Furianus, nur so zum Beispiel. Wieso flösste ihm der schiere Name noch immer etwas mehr Respekt als notwendig ein? Er wusste es nicht, nur Furianus hatte bei ihm bei den Gelegenheiten, wo sie sich getroffen hatten – und das kam überraschend selten vor, wenn man in Betracht nahm, dass beide im selben Haus lebten – einen ordentlichen Eindruck hinterlassen. Nein, das war kein Mann, mit dem leicht Kirschen essen war.
    Er schob den Gedanken weg, betrachtete sie zufrieden dabei, wie sie die Kopien fertig stellte, diktierte ihr noch ein paar Briefe, und ließ es dann für heute gut sein. Gemeinsam verließen Piso und Bridhe das Officium. Bald schon war auch ihr letzter Tag gekommen – jener verhängnisvolle Tag, an dem Piso seine Pfauenfeder verlor. Doch auch nachher würde Piso das Dienstverhältnis weiterlaufen lassen, hatte er sich bislang doch nicht beklagen können.

    Piso führte einen verbissenen Krieg mit einem Haufen von Dokumenten. Diese verdammten Versager, diese Schweine, die sein Grundstück in Oberitalien verwalteten, waren elende Schlamper. Jetzt musste Piso sich tatsächlich selber durch diesen losen Datenmüll, den diese Kerle ihm gesendet hatten, wühlen, um daraus halbwegs brauchbare Infos zu filtern. Er hasste es, von Herzen hasste er es, und trotzdem musste er da durch. Amsonsten würde er seine Finanzen nie mehr in Ordnung bringen. Dann und wann stieß er einen lästerlichen Fluch aus, als er sich durch sich widersprechende Zahlen wühlte, alles durchrechnete, und dann feststellte, dass er einen Rechenfehler gemacht hatte.
    Es war so frustrierend. Nicht ganz so frustrierend wie die Sache mit Prisca, aber trotzdem. Wie gut, dass er nie in der Finanzabteilung der Kanzlei gearbeitet hatte. Es wäre eine verdammt willkommene Abwechslung, würde nun jemand reinkommen. Aber es sah nicht danach aus.
    Piso war nicht mit seiner Schwester auf der Megalesia gewesen, hatte er sich doch auf die Götterspeisung der Cybele vorbereiten müssen. Jetzt war die asiatische Göttin proppensatt, zumindest hoffte Piso dies. Seine Amtszeit wa gerade zu Ende gegangen, und er hatte gedacht, nun würde er wieder Freizeit haben. Doch das war ein Irrgedanke.
    Wischendurch sorgte er sich auch um Vera. Es ging ihr nicht gut. Gar nicht gut. Alleine der Gedanke war so deprimierend. Ja, tatsächlich hatte sich der Flavier schon beim Gedanken an Veras Todeszug erwischt. Aber das konnte doch nicht sein! So etwas konnte es nicht geben! Sie würde es schaffen, und schon bald wieder unter den Diesseitigen sein.
    Doch bis es soweit war, galt es, nicht darüber nachzudenken. Besser, er arbeitete. Doch das würde er jetzt nur noch 2 Sekunden machen. Eine Sekunde. Eine halbe Sekunde.
    Und da – es klopfte an der Türe! Piso hüpfte auf. “Herein!“ Er war ja schon gespannt, wer das war – und wer sollte es sein, wenn nicht seine Schwester?
    Piso atmete doch erleichtert auf. Nigrina würde ihn sicherlich ablenken von diesem Papiergewürgs. Er schritt um seinen Arbeitstisch herum und ließ sich bereitwillig von ihr zur Begrüßung abschmusen. “Schwesterchen!“ Er lächelte Nigrina an. Dass sie ihn bei ihrer Ankunft so gelobt (manche konnten sagen, eingeseift) hatte, das hatte er nicht vergessen. In seinem Buch war sie auf jeden Fall um vieles höher gerutscht.
    “Nein, nein, du störst nicht.“ Er lehnte sich leicht ungeschickt an seinen mächtigen Arbeitstisch und schaute Nigrina neugierig an.
    “Eine Bitte?“ Was wollte sie denn von ihm? Vermutlich Geld zum Ausgeben. Piso hatte mittlerweile schon einiges gespart, somit konnte er auch großzügig gegenüber seiner Schwester sein. Er wollte sie jetzt aber nicht direkt fragen, worum es ging. “Klar, sicher. Schieß los“, meinte er betont leger.

    Es geschah ein wenig nach den Opferungen an die Magna Mater. Schweigsame Leute. Düstere Mienen. Zusammengepresste Lippen. Ernstes Gegucke. 9 Männer saßen im Atrium der Casa Opimia und blickten sich gegenseitig an, ohne ein Wort zu sagen.
    “Jaja. So schnell vergeht das Leben.“ Opimius war der Erste, der nach der Schweigeminute wieder sprach. Er hatte die Septemviri wieder zu einer Contio einberufen. Es ging dabei um den Tod eines Septemvirs. Ceionius Petro war gestorben, ein distinguierter Herr mit kurzem grauen Haar und einer prachtvollen Hakennase. Eine dröhnende Stimme hatte er gehabt, und von Zeit zu Zeit hatte er Anekdoten von der Herrschaft des Claudius erzählt und hatte regelmäßig die Parther als Seleukiden bezeichnet. Dieser Mann, altmodisch wie ein Spucknapf und erhaben wie ein samnitischer König, war nun gestorben. Nicht im Kreise seiner Familie, wie er es gerne gehabt hätte, sondern weil in einer Straße ein Betonblock von einem Dach gefallen war und den unglücklichen Ceionius zu Brei gematscht hatte. Piso war schockiert gewesen, als er davon gehört hatte. Er hatte immer geglaubt, würde so etwas passieren, müsste doch der Betonblock zerschmettern. Das hatte er aber nicht getan – so hatte man nun Petro von der Straße wegschrubbern müssen.
    Wieder Stille. Wieder sagte niemand etwas. Naso räusperte sich. “Wir hatten nun lange genug Zeit, uns Seiner zu erinnern. Wir haben uns aber nicht deshalb versammelt – sondern weil wir einen geeigneten Nachfolger brauchen.“ Er blickte in die Runde. “Vorschläge?“
    Die Epulonen blickten sich gegenseitig an, schließlich erhob einer die Hand. Fulvius Frugi, ein Mann, von dem selbst der avantgardistische Piso nicht recht wusste, was er von ihm halten sollte. “Hmm. Vielleicht Gellius Longus? Sohn des Senatoren Gellius Longinus?“ “Wirklich? Wie alt ist der denn? 14?“, warf Aemilius Atimetus ein. “Nein, nein! Er ist schon 15!“ Frugi grinste in die Runde. “Grade erst geworden...“
    Opimius Naso seufzte. “Andere Vorschläge?“ “Jawohl!“, rief Vitellius Rufio. ”Quintius Nerva!” ”Der Betrüger?”, fragte Piso. ”Nein, alles falsche Anschuldigungen, er wurde nur...” “...vom Praetor verurteilt, als ich Vigintivir war. Ich selber habe die Prozesskosten bei ihm eingetrieben. Nein danke“, machte Piso mürrisch.
    “Gibt es sonst niemanden?“ Stille. Schweigen im Walde.

    Es war nun endlich so weit. Die Kalenden des Iunius waren herangekommen. Die Septemviri hatten sich versammelt vor der Domus Opimia. Sie warteten nur noch auf den Magister selber. Piso stand eher hinten. Er hatte eine Schar von Sklaven um sich gesammelt, und in seiner Kutsche am Stadtrand (ja, er hatte jetzt eine gekauft) lag sein Zeug, bewacht von diversen flavischen Sklaven mit punischen Namen, also die Treusten der Treuen.
    Endlich kam auch Naso aus dem Haus. Er wirkte vielleicht ein bisschen lädiert, er war ein bisschen krank gewesen in letzter Zeit. Piso selber hatte sich auch ein bisschen indisponiert gefühlt – und war dies auch nur wegen der Liebe, die er verspürte, aber ohne zu wissen, wohin damit.
    Die Septemviri setzten sich in ihre Sänften – jeder hatte eine dabei – und langsam setzte sich der Zug in Bewegung durch die engen Straßen Roms. Es war nicht weit bis zu den Stadttoren, und bald war es so, dass die Septemviri ihre Sänften verlassen und in die Kutschen umsteigen konnten.
    Bald würden sie schon im Umkreis von Rom sein, wo sie dann der Magna Mater an 3 Quellen von Aquädukten opfern würden, damit das Wasser auch in Zukunft so gut und rein sein würde wie in der Vergangenheit.