Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Die Fragerei wurde eingestellt, was Piso am Rande auffiel, als er Axilla mit der Hand über eine besonders delikate Stelle strich. Ihm sollte das nur Recht sein. Piso, der Geheimnisvolle, ja, das könnte sein Motto werden, sein Agnomen, den er stolz herumtragen könnte. Axilla konnte somit natürlich nur wenig über ihn erfahren. Das war ihm jedoch egal. Denn durch sein Hirn zogen nicht die selben Gedanken von so reichhaltigem Couleur, wie das bei Axilla der Fall war. Nein, er hatte abgeschalten. Würde er nachdenken, würde er bloß eh nur wieder die Panik bekommen, ob dessen, was er getan hatte. Er wollte dies nicht. Nein, abschalten und an nichts denken, und nur das hier und jetzt genießen, das konnte Piso. Er praktizierte es oft, ununterbrochen direkt. Würde er an alles denken, was ihn umtreiben könnte – sein Verhältnis zu seinem Vater, das Schicksal seiner Mutter, seine politische Zukunft, seine Pflichten, würde er nächtens kein Auge mehr zubekommen. Und er wollte auch nicht an die moralischen Verfehlungen denken, die er gestern am Abend begangen hatte, sie würden ihn zu Boden drücken.
    Er selber dachte keinen Augenblick an das Wort Liebe, denn es passte hier einfach nicht. Was Piso und Axilla ins Bett getrieben hatte, war nicht Liebe, sondern Begehren (dies eher auf Pisos Seite), und Betrunkenheit (dies eher auf Axillas Seite). Es war einfach das gewesen, was man ein one-night-stand später nennen würde. Nichts weiter.
    Sein Blick wanderte zu Axilla hinüber, und er bemerkte etwas. Tränen liefen ihr über die Wangen, heiße Zähren, deren Ursprung Piso sich denken können müsste. Er war ein wenig erschüttert, wusste nicht ganz, was er daraufhin sagen sollte. Bevor er sie fragen konnte, wieso sie weinte, bekam er eine Anweisung, zu schlafen.
    „Schlafen? Aber ich kann nichts schlafen... und... ich will... noch... wiss... en...“ Er würde seinen Satz nicht mehr zu Ende bringen können. Das waren nämlich seine letzten Worte, bevor sein Kopf zurücksackte auf das kuschelige Kissen, und er ins Reich des Morpheus flüchtete. In einen traumlosen Schlaf, der ihm ein Refugium bieten würde, vor unangenehmen Fragen von anderen und vor allem an sich selber. Eine geistige Ruhestätte, in der ihn niemand stören würde, oder zumindest nicht sollte. Er war weg. Nicht einmal Schnarchen kündigte von seinem Schlaf, er lag einfach nur in seinem Teil des Bettes, eher einem Toten gleichend als einem Schlafenden.

    Piso beobachtete. Er verzog keine Miene, ließ sich nicht anmerken, ob er erzürnt oder erfreut war. Sein Gesichtausdruck glich dem eines unbeteiligten Beobachters, dem dieses Opfer vielleicht kurios vorkäme, aber sich sonst nichts dabei denken würde. Er betrachtete das Voropfer. Er lauschte dem Gebet, und der dudelnden Musik, die das Opfer begleitete. Er beobachtete das Hauptopfer. Der Flavier zuckte nicht zusammen, als das Tier getötet wurde und das Blut sich überall hin vergoss. Er blinzelte nur, als die Litatio ausgerufen wurde, und verzog die Lippen leicht nach links. Sie hatte es also geschafft. Die kleine, nichtsnützige Gauklerin hatte es also geschafft, dass ihr Opfer von Vertumnus angenommen worden war. Sein Blick wanderte vom Opferaltar hin zum Tempel, und wieder zurück, fast so, als ob er den Tempel examinieren wollte.
    Und dann war alles vorbei. Piso, der sich die ganze Zeit hindurch an Corvinus und Verus gehalten hatte, blickte mit undefinierbarem Blick zu Calvena, als diese auf sie zukam – mit Fleisch wohlweislich für 4 Leute, also wohl auch ihm. Es roch gar nicht einmal schlecht. Er neigte seinen Kopf demonstrativ eicht nach oben, als ob er den Vogleflug betrachten wollte, als ob er kein Septemvir, sondern Augur wäre.

    Unter der Decke war es kuschelig warm, angenehm, sie schirmte fast perfekt die Kälte der Nächte... von ihm aus, der Morgen des December ab. Der Gedanke, auch nur einen Fuß aus der Decke herauszubewegen, missfiel Piso sehr. Er wollte es nicht. Es würde sicher sehr kalt sein. Und außerdem war er zu faul dafür, schier zu faul. Ein großes Energiebündel war er am Morgen nicht, im Gegenteil, er war erst ab Mittag wirklich zu etwas zu gebrauchen. Mittag konnte es also noch nicht sein. Außerdem, wenn man schon beide Hände an so etwas Angenehmen wie der Haut einer hübschen jungen Frau kleben hatte, wollte man sie selbstverständlicherweise nicht so schnell davon wegbringen. Vor allem, weil seine Hände aufgewärmt wurden durch die Hitze, die ihr Körper ausstrahlte wie ein Kachelofen. Ja, so hätte er ewig verbleiben können.
    Als er auf ihre Frage – nicht – antwortete, wandte sie ihr Gesicht ab, und Piso runzelte erstaunt seine Stirne, einen Vorgeschmack auf einen in Ehren ergrauten Würdeträger Roms geben, als der er sich in 30 oder 40 Jahren sah.
    Irgendwann schätzte sie sein Alter ab, und wieder lachte Piso leise. „25? So? Wenn du mich als 25-Jährigen siehst, will ich hier und jetzt 25 sein, nur für dich, liebe Axilla.“ Fast schien es so, als ob Piso aus seinem Alter ein Enigma machen wollte. Er suchte sie ein wenig näher an sich heranzuziehen in einer vorsichtigen, bedächtigen Geste. Tatsächlich kuschelte sie sich näher an ihn ran.
    „Ja, ich auch!“, bestätigte er ihre Worte und umklammerte sie noch ein bisschen fester. „Ich muss ebenfalls...“ Seine Armmuskeln entspannten sich.
    „Ich stehe jetzt auf.“ Ein paar lahme Signale wurden von seinem Hirn an seine Beine hinunter gesandt, verloren sich aber in seinem Nervensystem. Nichts geschah, außer, dass sich sein Körper noch ein bisschen entspannte.
    „Ich gehe. Wirklich.“ Er zwinkerte mit seinen Augen die Decke an, das war das einzige, was er zu tun imstande war. Schlaff jedoch fühlten sich seine Arme an, er schaffte es nicht einmal, sie von Axilla zu lösen.
    „Ich bin schon weg...“, behauptete er. Und blieb doch im Bett liegen, neben Axilla. Mit einem vagen Lächeln auf seinen Lippen.

    Es war nicht so, dass Piso die Morgenstunden nicht gewogen waren, doch war er ein Langschläfer, der sich zudem viel Zeit mit seinem Frühstück ließ und irgenwann einmal zum Arbeiten anfing, mit der Intention, vor dem Mittagessen noch möglichst viel erledigen zu können. Am Abend oder aber am späten Nachmittag war deshalb die Zeit, wo er seinen Neigungen am Besten nachgehen konnte. Gut also, dass Gracchus ihm Recht gab. „Sehr gut.“ Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, welches sicher noch breiter geworden wäre als die eigentliche Oberfläche seines Antlitz, bevor ihn Gracchus wieder auf den Teppich brachte. Nicht heute! Wie schön hatte Piso sich den Abend schon ausgemalt. Nicht heute! Wie schrecklich war dieser Gedanke. Trübsal begann schon, die Heiterkeit in seinem Gesicht zu vertreiben, da lenkte der Ältere doch noch ein. In einigen Tagen.
    „Nun gut. Sicherlich. In einigen Tagen.“ Eine schwammige Formulierung war dies, doch Piso wäre sicher nicht Piso, wenn er nicht in spätestens 2 oder 3 Tagen nachhacken würde (wenn er es nicht vergessen würde, natürlich). Doch für jetzt gab er sich zufrieden. Vielleicht hätte er dann noch die Zeit, ein wenig zu üben (und dabei den Hörsinn der flavischen Sklavenschaft auf Jahre hinaus zu schädigen).
    Er nickte nochmals, zur Bestätigung. „Also. Ich möchte dir nochmals für alles danken... und freue mich schon auf unseren gemeinsamen Abend. Der noch nicht heute ist, sondern erst in ein paar Tagen. Vale – man sieht sich zur cena wieder.“, verabschiedete sich Piso frohen Mutes, als er sich aus seiner Sitzgelegenheit erhob.

    Brav natürlich wartete Piso ab, bis alle ihre Eide geleistet hatten, alles andere wäre ein Verstoß gegen die Gesetze gewesen. Zuerst kamen die Consule dran, und erst zum Schluss die Vigintiviri. Die Decemviri durften zuerst ihren Eid schwören, dann kamen die Tresviri Capitales dran. Piso war der erste des Dreimännerkommittees, der nach vorne trat und mit klischeehaft feierlicher, vibrierender, lauter Stimme seinen Eid ablegte.


    "EGO, AULUS FLAVIUS PISO HAC RE IPSA DECUS IMPERII ROMANI ME DEFENSURUM, ET SEMPER PRO POPULO SENATUQUE IMPERATOREQUE IMPERII ROMANI ACTURUM ESSE SOLLEMNITER IURO.


    EGO, AULUS FLAVIUS PISO OFFICIO TRESVIRI CAPITALIS IMPERII ROMANI ACCEPTO, DEOS DEASQUE IMPERATOREMQUE ROMAE IN OMNIBUS MEAE VITAE PUBLICAE TEMPORIBUS ME CULTURUM, ET VIRTUTES ROMANAS PUBLICA PRIVATAQUE VITA ME PERSECUTURUM ESSE IURO.


    EGO, AULUS FLAVIUS PISO RELIGIONI ROMANAE ME FAUTURUM ET EAM DEFENSURUM, ET NUMQUAM CONTRA EIUS STATUM PUBLICUM ME ACTURUM ESSE, NE QUID DETRIMENTI CAPIAT IURO.


    EGO, AULUS FLAVIUS PISO OFFICIIS MUNERIS TRESVIRI CAPITALIS ME QUAM OPTIME FUNCTURUM ESSE PRAETEREA IURO.


    MEO CIVIS IMPERII ROMANI HONORE, CORAM DEIS DEABUSQUE POPULI ROMANI, ET VOLUNTATE FAVOREQUE EORUM, EGO MUNUS TRESVIRI CAPITALIS UNA CUM IURIBUS, PRIVILEGIIS, MUNERIBUS ET OFFICIIS COMITANTIBUS ACCIPIO."

    Piso lächelte, er liebte Bauchpinseleien. „Du bist zu freundlich, Senator, zu freundlich.“ Er konnte jetzt nicht für die Flavier sprechen – für sich selber und sein Gedächtnis aber durchaus.
    „Nun, das mit Decimus Verus... ist eine etwas lange Geschichte, mit der ich dich nicht langweilen will.“ Vor allem wollte er selber diese Geschichte mit Serrana nicht wieder herauswürgen, hatte er sie doch schon fast verdrängt.
    „Um sie kurz zusammenzufassen, ich habe mich mit Decimus Verus befreundet, doch ist jener nach seiner gescheiterten Wahl auf einmal verschwunden. Mir hat er nicht gesagt, wo er hin ist. Zuerst habe ich mir gedacht, er wird wohl ein wenig freie Luft zum Atmen brauchen. Doch mittlerweile bereitet mir seine Abgängigkeit Sorgen, und... ich würde ihn gerne kontaktieren.“ Verus war sehr labil, das wusste Piso, und er hatte eine gewisse Furcht, der Decimer hätte sich selber was angetan.

    Hmm, ja. Das fühlte sich gut an, das fühlte sich richtiggehend fantastisch an, dieses Gefühl, die latente sexuelle Unterforderung abgeschüttelt zu haben. Fast hätte Piso eigentlich nur noch auf seiner Seite des Bettes liegen können und herumgrinsen können, wenn er nicht diese verfluchten Sorgen gehabt hätte. Im Gegensatz zu Axilla sackte bei ihm das Hochgefühl fast von der einen zur anderen Sekunde auf einen wunschlos glücklichen Zustand hinunter. Er fühlte sich müde, als ob wirklich noch Nacht wäre. Er ließ sich dennoch aufs Nachspiel ein, sicher nicht zuletzt wegen des schlechten Gewissens, welches auf ihm lastete, und streichelte ihr sanft über diverse Stellen. Er konnte gar nicht einmal richtig erfassen, wo das war, selbst in seinen Händen schien ein ermattetes Gefühl Einzug gehalten zu haben.
    Langsam drangen Laute an sein Ohr. Selbst durch die massiven Balken drangen die Laute von draußen. Er schüttelte sich unwillig langsam. „Sicherlich sind das diese Fuhrleute. In Buden wie diesen hier kann man sie sehr gut hören. Und da fragt man sich, wieso die Leute in den Insulae immer so schlechte Nächte haben.“ Die Fuhrleute, die die Nacht Roms unsicher machten, waren eine hervorragende Ausrede für die Geräusche von draußen, dachte er selber, obwohl weder das Rollen von Rädern, das Wiehern der Pferde, noch das charakteristische Fluchen der Männer zu hören war. Und das Lachen kam definitiv von Kindern – Kindern, denen man es verbieten würde, in der Nacht auch nur einen Schritt nach draußen zu setzen.
    Als er die Berührung an der Schulter verspürte, zuckte er leicht zusammen. Seine Schultern waren schon immer seine empfindlichen Stellen gewesen, und diese Beißerei hatte das ganze auch nicht besser gemacht.
    „Suchen... das kann gut sein. Sicher fragen sich auch schon meine Notarii, wo ich bleibe.“, gab er sich selber gegenüber die Wahrheit zu.
    Noch einmal spürte er ihre Lippen an den seinen, und bemühte sich, in diesen Kuss sich zu verlieren. Langsam löste er sich wieder von ihr. „Oh ja, das war es.“ Die beste Nacht seit... dieser endlos geilen Orgie damals in Massilia, wo er gleich mit 3... ach was, besser sogar als das!
    Er musste leicht lachen, als sie ihm nach seinen Alter fragte. „Wie alt, denkst du, dass ich bin?“, fragte er sie. „Ist man nicht so alt, wie man sich fühlt? Wenn dies wahr ist, bin ich höchstens 10.“ Er schloss genüsslich die Augen und sog ihren Duft ein. Es roch sogar nach Morgen.

    Das erste, was Piso vom Aelier sah, war der prägnante Bart, der das Markenzeichen von Aelius Quarto war. Das Lächeln verhieß nicht unbedingt Schlechtes, also konnte Piso es wagen, sein Vorhaben vorzutragen.
    „Salve, Senator Aelius Quarto!“, grüßte er zurück. „Es ist mir eine große Ehre, in deinem Haus ein Gast sein zu dürfen. Ich bin hier, um dir zu danken für deine Unterstützung beim Wahlkampf. Ob ich ohne deine Hilfe so gewonnen hätte, wie ich es habe, ist zu bezweifeln. Die gens Flavia wird das nicht vergessen.“ Er nickte ernsthaft.
    „Und... ich bin nicht nur deswegen hier. Ich habe eine Frage, betreffs eines deiner Klienten. Titus Decimus Verus. Ich frage mich, wo er ist. Und ich wollte dich fragen, ob du mir da vielleicht weiterhelfen kannst.“

    Es hämmerte in Pisos Schädel, nicht etwa vom Alkohol – soviel hatte er nun nicht getrunken, dass es einen gestandenen Flavier umhauen würde – sondern viel eher vor Sorgen. Die Sorgen, aus denen sich die Angst speiste, welche in Pisos Augen zu sehen war. Er blinzelte, versuchte den Ausdruck in seinen Augen, den er selber verspürte, zu verwischen. Ob es ihm gelang? Er wusste es nicht. Vielleicht war es ja auch egal. Hauptsache, er konnte noch ein bisschen hierbleiben, um den Augenblick der Wahrheit hinauszuzögern. Das Bett fühlte sich gemütlich an. Wie immer am Morgen – nein, bloß nicht dieses Wort verwenden! Es war noch Nacht – obwohl, nach Pisos Zeitgefühl her war es wohl eher schon Vormittag als Morgen oder gar Nacht. Vielleicht würde er hier noch den ganzen Tag verbringen, ungeachtet dessen, wie spät es wäre. Zusammen mit Axilla. Ja, das hätte seinen Reiz.
    Plötzlich, urplötzlich durchzuckte ihn ein Gefühl, das Gefühl, ein Verräter zu sein. Ein Verräter an Decima Serrana. Niemand wusste, wo sie war. Ob sie überhaupt noch lebte. Sie hatte nicht auch nur ein einziges Mal versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, obwohl sie genau wusste, wo er wohnte. Und trotzdem, er war sich so vorgekommen, als ob dies eine Liebe wäre, die nie erlöschen würde. Doch nun lag er im Bett zusammen mit einer wildfremden Frau. Er bekam es wieder mit der Angst zu tun, seine Augen wanderten nach oben und fizierten starr die Decke, als ob diese Antworten auf all seine Fragen böte, ähnlich wie eine Leber einem Haruspex. Wenn man ihm jetzt einen Wunsch geboten hätte, hätte er sich nur eines gewünscht – nichts wie weg hier.
    Doch das war jetzt nicht so einfach zu bewerkstelligen. Er und Axilla klammerten sich zusammen, als ob sie tatsächlich Liebhaber wären, nicht nur zwei sich zufällig begegnende und es rein zufällig miteinander treibende Leute. Und jetzt hatte er sich schon zu ihr gebeugt, um ihr einen Kuss zu geben. Das konnte er jetzt nicht mehr zurücknehmen.
    Wahrscheinlich würde dies jetzt ohnehin das Ende sein. Sie würde nun aufstehen und den Beginn des Morgens deklarieren. Die traumhafte Zeit der Nacht wäre vorbei, die Wahrheit würde zuschlagen...
    Doch halt. Sie küsste ihn zurück. Piso spürte seine Männlichkeit erwachen, er wollte das selbe wie vorm Einschlafen noch einmal, jetzt, auf der Stelle! Die Überlegungen, die er gehabt hatte, wurden von einem Trieb zur Seite gefegt, der so stark war, dass er schon als Urkraft bezeichnet werden könnte – Männer, Reiche gar hatte er gestürzt. Vielleicht würde dieser Trieb auch Piso stürzen, doch das war dem Flavier jetzt egal, er spürte den Körper der Frau vor ihm an den seinen reiben, er spürte ihre Zunge in seinem Mund, und konnte nicht mehr an sich halten – er drang in sie ein.


    Irgendwann waren sie fertig, und Piso fühlte die Erregung in sich selber abflauen. Er keuchte, nicht vor Lust, sondern vor Erschöpfung. Am liebsten hätte er jetzt weiter geschlafen, doch er konnte nicht – er war wach, dagegen konnte er nichts tun.
    „Axilla... entscheide jetzt du. Ist es noch Nacht oder schon Morgen?“, wollte er wissen, behutsam über ihren Bauch streichelnd. Er kam sich mittlerweile ein bisschen besser vor. Dieses Mal war es passiert, ohne dass sie ihre Zustimmung unter Alkoholeinfluss gegeben hatte. Obwohl, jetzt gerade hatte er seine Chancen verdoppelt, sie geschwängert zu haben. Verdammter Mist. Daran wollte er jetzt am Liebsten gar nicht denken.

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    Wie sein Vater. Vor Acanthus taten sich da enorme Abgründe auf. Er verzog den Mund marginal, und fing noch einmal von vorne an, Bridhe und den Kleinen von oben bis unten zu mustern. Er sagte nichts, er nickte nur knapp. Keinerlei Regung war zudem in seinem Gesicht zu sehen, als er sah, dass die Hibernierin die Nachrich, dass keine der beiden Herren da waren, offenbar nicht eben gut aufnahm. Ihm war das eigentlich egal, er wollte nur seine Ruhe haben, um weiter über fleischliche Genüsse weitersinnieren zu können.
    Wer Zeit hätte?“ Er dachte nach. Im Prinzip alle. Aber ob dich jemand sehen möchte, ist fraglich.“ Er schüttelte den Kopf. Wenn du betteln willst, vielleicht Piso. Der hat momentan die Spendierhosen an. Ist zum Vigintivir gewählt worden, oder was weiß ich. Wenn du irgendwelche Weisheiten willst, vielleicht Gracchus. Der ist durchgeistigt wie immer. Wenn du dich danach sehnst, zusammengescheißt zu werden, sicherlich Furianus.“, erklärte er in einem ungewohnten Anfall von Altruismus, der noch vom Verzehr dieses unglaublich guten Fleisches (ach, er liebte es) rühren mochte.

    Pisos Mimik verzog sich zu einer Trauermiene. „Ja, so ist das. Diesen Schuften ist nichts heilig.“, sprach er in einem feierlichen Tonfall, der normalerweise bei einem Begräbnis angeschlagen wurde. Er nickte aber, als die Sprache auf den Falerner hier kam. „Ich hoffe doch, schließlich ist die Apicia ja berühmt für ihren authentischen Wein. Sicherlich hätte sich jemand da schon beschwert!“, war er sich ganz sicher und blickte sich mit einer gewichtigen und großmannssüchtigen Geste herum. „Diese Kellnerin ist so lahm wie eine Schnecke. Ist denn das zu glauben?“ Er schüttelte den Kopf.
    Er dachte kurz über die Frage des Mannes nach. „Das nächste große Rennen? Also mit richtig viel Pomp und Rambazamba? Das sollte die Equirria sein. Da musst du dich aber noch bis nächsten Monat gedulden. Du kannst dir die Zeit bis dahin ja mit Gladiatorenspielen überbrücken.“, schlug er vor, obwohl er das Gemetzel im Grunde unästhetisch fand.
    „Ah, Vinicius Lucianus! Ein honoriger Mann!“, befand Piso zufrieden. Lucianus hatte ihn schließlich für diese Wahlen unterstützt. „Kennst du eigentlich Aurelius Ursus? Er ist Senator, und Vinicius Lucianus‘ wichtigster Klient. Vielleicht kann er dir einige Tipps zur Karriere geben!“, schlug er vor.
    Er seufzte. „Ach, der ordo. Dem bin ich ebenfalls ewig nachgerannt. War nicht lustig, kann ich dir sagen. Du musst es einfach am Praefectus Urbi vorbei bringen. In meinem Fall war das wohl ein kleineres Politikum – Vescularius hat das wohl nur gemacht wegen meines Patrons.“ Dankbarkeit darüber schwang noch immer mit.
    Er nickte. „Nun ja, sicherlich, werde erst Duumvir. Einige Senatoren haben ihre Karrieren als Duumviri begonnen. Spontan fallen mir Annaeus Modestus und Aurelius Corvinus ein, beide waren sie Duumviri von Mantua.“ Er nickte heftig. „Als Duumvir kann man sich ein gutes Standbein aufbauen. Schau einmal Octavius Macer an – gestern noch Duumvir von Ostia, heute Vigintivir. Und morgen wohl Senator.“ Er zuckte die Achseln. „Also, solch eine Karriere kann dir wohl ans Herz gelegt werden. Obwohl, man kann sich auch einiges aufbauen, wenn man im Cultus Deorum tätig ist. Schau mich an, ich bin Septemvir.“, erwähnte er nicht ohne Stolz.
    Piso grinste. „Du musst ausharren, Iulius, ausharren! Um so schöner wird es dann, wenn man den Wein hat.“, klugscheißerte er und trank in seiner Bemühung, mit dem Iulier mitzuhalten, widerum einen großen Schluck.

    „Sehr schön...“, gab Piso gedankenabwesend von sich und beäugte das Atrium mit der stets wachsam-kritischen Miene eines Künstlers von Schrot und Korn. Na ja, er kannte es eigentlich eh schon. So lebte der gute Archias jetzt also, nicht schlecht, nicht schlecht. Obwohl, die Villa Flavia war da doch um einiges gemütlicher, befand er.
    Er trat zum Rand des impluviums hin und beäugte sich selber dort im widerspiegelnden Wasser. Vorsichtig strich er sich durchs Haar. Gut, so konnte er sich sehen lassen.
    Er richtete sich auf, zupfte seine Kleidung zurecht und wartete.

    Piso selbst war ein Provinzler, aus Ravenna, wo einige noble Familien ihre Residenz hatten. Auch wenn er seine Herkunft verdrängte. Mit Ravenna verband er keine schönen Erinnerungen, und das letzte Mal, dass er dort gewesen war, hatte er den Tod gesehen. Er fühlte sich mittlerweile genauso als Stadtrömer wie jemand, der dort geboren war, und niemals auch nur nach Ostia oder in die Albaner Hügel gekommen war.
    Er nahm es gütlich zu Kenntnis, dass Saturninus seinen Belehrungen zustimmte. Dass sie jemandem oberlehrerhaft vorkommen könnten, sah er nicht ein. Schließlich sprach die unverfälschte Wahrheit (zumindest das, was er darunter verstand) daraus.
    „Falerner, ah! Jede anständige römische Familie hat eben ihren Falerner. Wir selben haben unseren Keller bis ganz oben hin angefüllt mit Falerner. Falerner bekommt man übrigens hier sehr Gute – schließlich ist der Falerner aus Kampanien, hat zumindest dort her zu kommen. Aber hie und da sieht man ja auch, wie billige Ersatzprodukte aus Gallien oder weiß der Kuckuck woher kommen. Und dort schreiben sie dann in großen Lettern auf die Amphoren „Falerner“ hinauf. Ein Frevel. Eigentlich sollte man die anzeigen.“ Nur mies, dass es zu Pisos Zeiten noch kein Urherberrecht gab, und Kampanien kein Copyright für Falerner besaß.
    „Die Russata? Auch nicht schlecht!“, dachte er laut. „Mein Patron ist der Vorsitzende der Russata, von daher werde ich auch niemals schlechte Gefühle ihr gegenüber hegen.“ Sicherlich wusste Saturninus nun, welchen Mann er damit meinte. „Ist sicherlich eine gute Wahl.“
    Er grinste, als Saturninus ihm gratulierte. „Danke!“ Ja, darauf bildete er sich sehr viel ein. „Ah, du interessierst dich also auch für eine Laufbahn im cursus honorum? Hast du denn schon einen Patron, und den passenden ordo? Dann sehen wir uns hoffentlich mal im Senat wieder!“, meinte er fröhlich und grinste. „Misenum? Ja, das weiß ich schon! Ich habe mich einmal am Stützpunkt volllaufen lassen. War sehr schön!“, grinste er. „Und, danke! Gut, trinken wir darauf!“ Er war schon entschieden fröhlicher als zum Anfang dieser Episode am Tisch. Er stürzte einen nicht unerheblichen Schluck hinunter. „Ah. Je mehr man davon trinkt, um so besser wird er!“, fand der Flavier.

    Sie entschuldigte sich. Entschuldigung wofür? Piso blickte in seinem Dämmerzustand zwischen wach sein und Schlaf die Iunierin neben sich etwas verdattert an. „Na ja, ist schon in Ordnung...“, schaffte er, zwischen seinen beiden Lippen herauszubringen. Seine Augenlider flatterten leise. Er fühlte sich mehr als nur versucht, sich einfach nur zurückzusacken lassen, auf das Kissen, und weiterzupennen. Das wäre schön. Aber er wurde durch zwei Dinge daran gehindert.
    Zum einen drückte Axilla ihn an sich, und er wollte eigentlich dies nicht aufgeben. Er legte vorsichtig, betulich, seinen linken Arme ebenfalls um sie, sodass sie noch eine Weile so liegen bleiben konnten.
    Zum anderen begann sie, leise etwas zu reden. Piso brachte all seine Konzentration auf, um sie anzuhören, um zu wissen, worum es hier überhaupt ging. Ob es morgen war? Er wusste es selber nicht, aber er hatte das Gefühl, lange geschlafen zu haben. Das war nicht gut. „Ich weiß nicht... die Fenster sind verschlossen...“ Draußen konnte es genausogut zappenduster wie auch strahlend hell sein.
    Vermutlich wäre ersteres besser, denn es dräute ein Gespräch, wie ein Gewitter am Horizont. Er hob leicht die rechte Augenbraue (nach welchen Prinzipien die Flavier ihre Augenbrauen hoben, war unerklärlich, und gewiss wussten sie selber es auch nicht). Ein Gespräch. Die Ankündigung dessen könnte sogar den starken Hercules oder den unverzagten Perseus in die Flucht schlagen, ganz zu schweigen von einem Piso. Doch er floh nicht, vielmehr schaute er Axilla an wie ein Kaninchen die Schlange. Axilla hielt ihm gerade vor, was er sowieso schon wusste. Oder kündigte es zumindest an zu tun.
    Er zwang sich dazu, sie sich weiter anzuhören. Äußerlich bewahrte er mit riesiger Anstrengung die Fassade, lächelnd, aber innerlich verkrampfte sich sein Magen. Er widerstand dem Impuls, hektisch herumzuschlagen wie ein Irrer vor lauter Angst – ja, genau so konnte man es nennen, was den Flavier umtrieb, Angst, vor sich selber, vor der Situation, und vor allem davor, mit den Konsequenzen seines Handelns zurechtzukommen. Ja, sie hatte recht. Wie hatte er so unverantwortlich handeln können? Falsch, wie hatten sie so unverantwortlich handeln können? Axilla hatte ja auch Schuld daran, protestierte eine Stimme in ihm, welche wohl jedem Menschen innewohnte – jene, die suchte, die Schuld, zumindest partiell, an den anderen bzuschieben. Piso wusste zwar, dass dieser Gedanke schäbig war, aber er konnte den Gedanken nicht abschütteln.
    Doch er hörte weiter zu, und was se sagte, ergab Sinn. Der Morgen wäre die Zeit, der brutalen Wahrheit, der Realität sich zu stellen. Die Nacht aber erlaubte es den beiden noch, einfach einen Schleier der Vergesslichkeit über die beiden zu legen. Zu vergessen, wer sie waren, zu vergessen, wo, und wie, und warum, und was.
    Er blinzelte kurz, als ob die Argumentationen Axillas wie zähflüssiger Honig waren, als sie durch seine Gehirnwindungen krochen. Erst, als sie zu Ende war, wagte er, etwas zu erwidern.
    „Dann... sei... es noch die... Nacht.“ Fehlte nur noch das missglückte ch in Nacht, dann hätte der Satz auch von Gracchus in seiner Diktion und der leicht schleppenden Ausdrucksweise sein können. Siedend heiß fiel ihm ein, er wurde am Morgen in der Kanzlei erwartet (denn es waren ja immer noch die Faunalien, und er war noch immer ein Kanzleibeamter, und weder ein Collegiatspriester noch ein Vigintivir). Aber auch schon egal.
    Er atmete leise aus, und ließ die Stelle, wo Axilla ihn mit ihrer Nasenspitze sanft berührt hatte, noch kurz auf sich wirken, bevor er sie wieder küsste. Nox, lass diese Nacht ewig andauern, betete er innerlich, auf dass ich mich niemals der angedrohten Unannehmlichkeiten stellen muss.

    Oje, da war wieder einmal ein Spezialist an der Arbeit. „Salve!“, grüßte Piso. „Aulus Flavius Piso heiße ich. Ich würde gerne mit Senator Aeilus Quarto sprechen – erstens, um ihm zu danken für seine Unterstützung, zweitens, um Erkundigungen einzuholen über einen seiner Klienten.“ Dabei wurde der Sklave von oben bis unten gemustert. Er war schon einmal hier gewesen, aber der Sklave war damals ein anderer gewesen. Na ja, egal. Dieser Aegypter schien ein enormer Dümpel zu sein, aber wenn er ihn reinließ, würde es schon in Ordnung sein.

    Nachdem Piso dem Praetorianer erklärt hatte, dass er tresvir capitalis werden würde, und somit vielleicht nun auch des Öfteren hier sein würde, marschierte er ab, den altbekannten Hügel hinauf (ja, er kannte noch jeden Plasterstein hier am Palatin) bis zur Domus Aeliana. Dort angekommen, richtete er noch einmal seinen Mantel, bevor er laut und deutlich anklopfte.