Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Piso kam zusehends in Bedrängnis. Zumindest kam es ihm so vor. Dasitzend in seiner ganz normalen roten Tunika, die eigentlich gar nichts so Besonderes war, umschmeichelt von einem ganz normalen Geruch (er hatte zwar am Morgen sich gewaschen, aber seither war er zum Beispiel schon über den Viehmarkt gegangen), hatte er keinen blassen Schimmer, was er jetzt tun sollte. Am Besten tat er es ihr gleich, und trank ebenfalls einen Becher Wein nach. Vielleicht würde er sich dann beruhigen. Denn er konnte nicht abstreiten, dass die Situation schon irgendwie aufregend war. Im ganz und gar positiven Sinne. Er wollte eigentlich mit seiner Hand zu denen von Axilla hinfahren, sodass er sie daran hindern konnte, noch mehr Wein zu trinken. Wenn er komplett nüchtern gewesen wäre, hätte er dies auch noch getan.
    Doch bevor er dies tat, füllte er sich noch einmal vom Wein ein – und trank ein wenig daraus. Als er den Becher wieder abstellte, hatte plötzlich die Attraktivität, Axilla vom Trinken abzuhalten, abgenommen. Ihre Frage drang ihm ans Ohr, und – sie war plausibel, verflucht noch einmal. Er rüttelte an den beiden Krügen und stellte fest, dass es in beiden noch vergnüglich herumschwappte. Sie hatte ja recht, es wäre jammerschade um den guten Wein.
    Doch bevor er sich daran machen konnte, sich daran zu machen, den Wein auch entsprechend einzusetzen, ihn seine Gurgel hinuntergleiten zu lassen, als er plötzlich Axillas zweite Frage hörte, und wahrnahm, wie sie ihm um den Hals fiel. Ein wenig rot wurde er jetzt tatsächlich, und ja, er hörte die Kommentare rund um sich. Er musste jetzt entscheiden. Den väterlichen Aufpasser spielen und um eine prima Gelegenheit kommen, sich zu vergnügen? Oder aber richtig reinhauen – was die Götter die schenken, das lehne nicht ab?
    Es gab nur eine Möglichkeit für ihn, herauszufinden, was er wollte. Er legte die Linke um Axilas Schulter, und griff mit der Rechten zu seinem Becher, und leerte ihn. Ja, eigentlich schon, dachte er sich, als er ihn absetzte und zu Axilla blickte, die sich in seine Schulter hineinkuschelte.
    „Nun...“ Er hob seine Hand und strich ihr über die rechte Wange. „Willst du das denn auch, dass wir gehen und ein wenig alleine sind?“ Seine Frage war leise gestellt, und mit einem Lächeln, von dem Piso sich dachte, es wäre ziemlich charmant.

    Das Nicken – Piso wusste nicht recht, wie er es einordnen sollte. Es stellte sich so dar, als ob Corvinus alles, was es über Piso Wissenswertes gäbe, nun wahrhatte. Als ob die bestgehüteten Geheimnisse des Flaviers sich dem Aurelier nun erschlossen. Es war fast so, als ob Corvinus seine Gedanken las – es war beunruhigend. Er schluckte unwillkürlich, als sich Corvinus scheinends zufrieden gestellt gab mit seiner Antwort. Corvinus schien etwas befremdet über das Wort Jause, als ob es barbarisch war, ein solches Wort zu gebrauchen. Piso aber war kein besseres eingefallen, und er selber empfand es als durchaus adäquat.
    Und trotz des Lächelns wirkten seine Worte ein kleines bisschen bedrohlich. Piso konnte sich nicht erklären, wieso. Hatte das etwa jemand Eifersucht oder wie? Piso entschloss sich, das ganze gütlich aufzunehmen und freundlich zurückzulächeln.
    „Ich danke dir nochmals viele Male. Wenn es dir nichts ausmacht – ich habe noch viel zu tun für heute.“ Die Wahlzeit war sehr anstrengend, vor allem für unbekannte Vigintiviratskandidaten. „Vale.“, verabschiedete er sich, als er suchte, aufzustehen und den Fängen der Villa zu entkommen.

    Ach Herrjemine, jetzt begann Archi, den gastgeber zu beleidigen. Überfluss war eine wichtige römische Tugend, sie einem Gastgeber abzusprechen, mochte nicht von jedem gut aufgenommen werden. Wäre Piso gegenüber Archias gesessen, hätte dieser wohl einen Tritt ins Schienbein bekommen haben, aber so konnte Piso nicht viel mehr tun, als sich übertrieben in seine Sardellen zu vertiefen. Doch Imperiosus wäre nicht er selber gewesen, wenn er Archias das übel genommen hätte. So atmete er auf, als Imperiosus den Spruch auf die leichte Schulter nahm.
    „Die Hybride? Ist das nicht ein Gemisch, eine Kreuzung, sowas in der Art?“ Seine Augenbrauen fuhren kurz grüblerisch zusammen, bevor er Archi wieder heiter anblickte. „Die Hybris! Das ist das Schicksal, wenn es ganz dicke kommt!“, verkündete er dramatisch, bevor er sich eine Sardelle herausholte aus seinem Napf und diese in seinem Mund verschwinden ließ. „Doch hoffen wir, dass es die Parzen gut mit mir meinen.“, kaute er eher, als dass er es sagte.
    „Xanthippe? Ne danke, dass kann ich auch daheim haben.“ Er zwinkerte keck seiner Schwester zu. „Dann verziehe ich mich in die Apenninen und lebe dort als Einsiedler. Dort kann ich dann auch singen, ohne dass irgendwelche Schmierfinke anfangen zum rummeckern."
    Er fühlte den Blick von Axilla auf sich ruhen für einen Moment. Er wusste nicht, was die Iunierin sich dachte, er konnte aus ihrem Blick auch nichts erraten. Er blickte also nur zurück und lächelte ihr das unverbindliche Lächeln zu, welches man jemandem zuwirft, wenn man draufkommt, dass man von demjenigen angeglotzt wird. Sogleich aber widmete er sich wieder den Meeresfrüchten, und Seiana.
    „Da bin ich aber sehr beruhigt.“ Er atmete gespielt auf. „Ich meine, es ist eh schon eine Weile her, danach kräht kein Hahn mehr.“ Er bediente sich am Honigwein und blickte erstaunt zu Archi und Axilla, als ihm jene wohl weh tat.
    „Was ist denn da los?“, fragte er, allerdings in einem ermüdeten Tonfall, als in einem, der Interesse implizierte. Er wollte es gar nicht wirklich hinterfragen, es war ja nicht sein Bier.
    Archi begann von den Pferden der Aelier zu erzählen, und hier hörte Piso wieder aufmerksam zu. „Aber auch nur, solange Quarto die Zügel in der Hand hält.“, riet er ganz und gar komplett ins Blaue hinein und grinste. „Da lobe ich mir die Villa Flavia. Wir haben die Pferde in einem Stall direkt neben den Sklavenquartieren, und lassen die Sklaven hinter uns herwischen. Es sind wahre Putzteufel, die wir da in der Sklavenschaft haben. Ich schaffe es gar nicht, in meinem Zimmer so viel Chaos anzurichten, dass sie es nicht noch viel schneller wegräumen.“ Er trank nochmals etwas Honigwein mit einem genüsslichen Grinsen.

    Gäste. Piso wurde ihrer erst gewahr, als Celerinas freudige Stimme ihm durchs Atrium ans Ohr klang. Piso drehte sich von Furianus weg und strahlte die beiden unerwarteten Gäste an. „Celerina! Senator!“ Na, das war eine Überraschung. Ohne zu wissen, dass Celerina wohl ein paar politische und priesterliche Ämter durcheinandergebracht hatte – was ja kein Ding war, hatte er auch schon getan – und außerdem keine allzu positive Gedanken über ihn hegte (was sich ihm überhaupt nicht erschloss, war er doch der festen Meinung, alles liebte ihn), trat er ein paar Schritte auf sie zu. Zum einen hatte sie ihm beim Praenomen genannt, was ihm enorm gefiel, implizierte es doch Nähe und ein Maß an Verbundenheit, und zum anderen war sie hier, zusammen mit ihrem Mann. „Celerina, es freut mich so, dass du es einrichten konntest...“ Seine überquellende Freude war nicht einmal gespielt, zumindest heute nicht. Er umarmte sie und küsste sie sanft auf beide Backen, wie in der römischen Oberschicht, besonders der affigen solchen, üblich.
    Er ließ von ihr ab und wandte sich ihrem Göttergatten zu. „Ich danke dir recht herzlich!“, meinte er stolz. „Und gratuliere dir hiermit ebenfalls, Senator Aurelius... wobei ich dich wohl eher Aedilis Electus nennen sollte.“ Sein freudestrahlendes Grinsen zog sich über sein Gesicht. Früher hatte ein solches ganz offensichtlich falsch und gekünstelt gewirkt, mittlerweile hatte er es aber schon so lange trainiert, dass es halbwegs überzeugend wirkte, und auf jeden Fall ein großes Ausmaß an Enthusiasmus implizierte. „Ich freue mich schon so auf den Amtsantritt...“ Obwohl, nervös war er schon, nervöser sogar als damals, als er zu den Septemviri kooptiert wurde. Aber damit würde er sicher nicht hausieren gehen. Zuerst einmal würde er sich entspannen, bevor es zum großen Tag käme.

    Noch einmal ein bisschen Wein, aber ganz vorsichtig. Pflaume war es eindeutig... Piso schüttelte den Gedanken ab. Was brachte es, über Weingeschmäcker zu sinnieren? Er hatte eh das Gefühl, er könnte nur verlieren, wenn er jetzt noch irgendwas über den Wein sagte, also ließ er es sein.
    Lieber horchte er kurz in sich hinein, als ob er dadurch etwas erfahren könnte, was er nicht eh schon wusste. Hatte er zuviel Wein getrunken? Nein, er spürte noch kaum etwas, es war ihm vielleicht ein wenig wärmer im Gesicht geworden, aber sonst nichts. Axilla hingegen schien der Wein nicht so gut zu bekommen, fiel ihm doch auf, als sein Blick wieder ein bisschen weniger verklärt wurde nach seinen Fragen. Sie leckte sich ihre Hand ab, Iuppiter weiss warum. Und sie klang so duselig irgendwie, als sie ihm antwortete. Sie habe tatsächlich schon Nymphen gesehen, antwortete sie ihm, doch das war das einzig Sinnvolle, was er aus ihren Worten destillieren konnte. Als sie ihm erklärte und mit der Hand anzeigte, wie klein sie damals gewesen war, nickte er nur ein wenig konfus, ließ sich seine Verwirrtheit aber nicht anmerken. Axilla hätte sie in ihrem Zustand eh nicht mehr bemerkt. Bei den Göttern, die ist aber schnell betrunken worden, dachte er sich. Wie alt sie damals gewesen war, konnte er nicht feststellen, schwankte ihre hand doch beträchlich herum. Und... was war das den? Seine Augen? Er hob ganz leicht eine Augenbraue an. „So...?“ Er selber kam sich natürlich sehr schön vor, zumindest gab er sich so, als ob er das täte, doch er wusste nicht recht, wie er das aufnehmen sollte. Sie musste wirklich schon jenseits von gut und böse sein. Er fühlte eine Berührung auf seiner Schulter und merkte, dass Axilla, als ob sie müse wäre, ihren Kopf dort hinangelehnt hatte.
    Sie begann, etwas zu faseln, wovon Piso nicht besonders fiel mitbekam. Die Aussprache war verzogen und von vielen Hicksern durchsetzt. Etwas von einem Ausritt, von Stimmen, von der Nacht. Ihren letzten Satz, eine Frage, die verstand er aber widerum sehr gut. „Sicher.“, machte er kalmierend und dachte nach. Immer mit der Ruhe, dachte er sich. Was tun?
    Ein Gedanke fuhr ihm durch den Kopf. Gib ihr noch etwas Wein. Und wenn sie dann so besoffen ist, dass sie quasi bewusstlos ist, kannst du sie dann in aller Ruhe irgendwo nehmen. Ohne dass jemand es jemals erfährt...
    Urplötzlich wurde die Farbe in seinem Gesicht um eine Spur weißer. Wieso hatte er nur so etwas gedacht? Wie konnte er nur? Solche Gedanken waren diabolisch, und eines Menschen unwürdig. Wo war nur seine Ehre hin, dass er so etwas denken konnte, seine Männlichkeit, seine Manieren, die Ansprüche, die er an sich selber und seine Mitmenschen stellte? So etwas zu tun wäre doch zutiefst... unästhetisch.
    „Axilla.“, begann er deshalb vorsichtig. „Ich glaube, wir haben jetzt genug gehabt. Sollen wir gehen?“, fragte er.

    Der Stoiber war natürlich jenseits jeder Kritik. Andererseits gab es auch Sachen, wo man ihn ungerechtfertigt verunglimpft hat - z.B. bei der Kompetenz-Kompetenz. Doch die gibt es (was jeder Jurist wissen sollte ;)), und was er dort sagt, ergibt auch Sinn - siehe Wiki!


    Nur, das mit dem Bahnhof und dem Flughafen ist selbstredend indiskutabel. :D



    On to something completely different:


    Wer mir sagen kann, was hier abgeht, kriegt 10 Sesterzen von mir.

    Als Piso Imperiosus zuhörte, schaffte er es, endlich wieder zu lächeln. „Wenn du es so sagst...“ Richtig breit grinsen konnte er ob dieser Botschaft aber noch nicht. „Und sag bloß den Namen von Nero nicht zu laut. Denn sonst wird man in den Familien der Notarii bald sagen: Sei brav, oder es ergeht dir so wie Imperiosus.“ Nero war ja noch immer unter der damnatio memoriae – was Piso gar nicht nachvollziehen konnte. Ein so großer Künstler und Ästhet gehörte verehrt und nicht verdammt! Immerhin war Piso aber wieder dazu imstande, zu scherzen, un er zwinkerte Imperiosus zu. „Sonderbare Vergleiche ziehst du da, aber ich glaube dir mal!“ Vielleicht hatte er ja den einen oder anderen Notarius diszipliniert.
    Sei gesichtszug heiterte sich auf, als Imperiosus ihm vorschlug, er könnte ihm einen Besuch abstatten. „Das wäre wirklich schön, Imperiosus! Ich würde gerne wieder kommen, wenn auch nur, um die Gedanken schweifen zu lassen.“ Gene? Was sollte das sein? Sicher wieder mal nur irgendeine pompeische Spinnerei, dachte sich Piso.

    Seine Kehle schmerzte vom Schreien, und tief in ihm kam das Gefühl auf, dass solch sinnloses Herumjohlen wohl nicht unbedingt den höchsten Ansprüchen der Ästhetik genügt hatte. Er schnaubte und wischte den Gedanken mit einer wegwinkenden Handbewegung weg. Alles, was er tat, war ästhetisch! Er konnte nichts tun, ohne dass es künstlerisch hochwertig war! Mit diesem selbstzufriedenen Gefühl im Magen lehnte er sich leicht zurück und trank ein bisschen aus seinem Wein.
    Aber es war schon komisch. Irgendwie brachte alles, was Piso tat, Furianus auf die Palme. Dieses Mal konnte er es aber sogar noch verstehen.
    „Salve, Vetter!“, begrüßte er jenen, als der ältere Flavier ins Atrium trat. Furianus hielt sich direktgehend bewundernswert zurück, was seine Emotionen im Innersten betraf, selbst Piso konnte das sehen. So lächelte er leicht schuldbewusst, wie ein Sohn hin zu seinem Vater, dessen Spiegel er zerdöppert hatte durch ein hirnrissiges Ballspiel.
    „Es tut mir Leid, wenn der Lärm dich verstört hat... aber sag bloß, du hast die Wahl zu deinem ersten Amt nicht auch ausgibig genossen.“, unterstellte Piso Furianus. „Wie dem auch sei, es kommt nicht mehr vor – bis zum nächsten Wahlerfolg.“ Was war das bloß für ein gutes Gefühl. Furianus‘ Arm auf seinen Schultern, seine Gratulation im Ohr – alleine dies war den Wahlerfolg wert gewesen. Wenn Furianus ihm auch bloß noch gesagt hätte, er wäre stolz auf ihn. Das hätte Piso zu einem wunschlos glücklichen Menschen gemacht.
    Aber auch das, was momentan geschah, war wie der Himmel. Furianus wünschte auch weiterhin ihm alles Gute, und Piso lächelte. „Ich danke dir vielmals.“ Auch er erhob einen Becher und ließ etwas davon auf den Boden plitscheln. Er rief: „Dir, Iuppiter Victor.“, bevor er ebenfalls trank.
    Piso senkte seinen Becher wieder, wischte sich dezent mit dem Handrücken seiner Rechten den Mund ab und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. „Der erste Wahlsieg... das ist etwas ganz besonderes...“ Er schüttelte den Kopf, als könnte er es gar nicht fassen.
    „Sag...“, machte er, ein bisschen zögerlich, doch er hielt den Zeitpunkt für richtig. „Wir sind Vetter, aber nennen uns bei Cognomen, als wären wir alte Leute oder bessere Bekanntschaften. Sollen wir uns vielleicht beim Praenomen nennen? Also ich dich Lucius und du mich Aulus? ich meine... es bleibt in der Familie...“ Das hatte er schon einige Zeit fragen wollen, doch er schätzte die Chance, nun eines dafür auf den Deckel zu bekommen, auf ein bisschen geringer ein als zu sonstigen Gelegenheiten.

    Es ließ der Flavier seine Sensibilität wieder unverblümt raushängen. Hie und da schaffte er es, sie durch eine Aura von patrizischer Indifferenz und noblem Getue zu umgeben, zumeist jedoch nicht. Er schaffte dieses Mal nur ein tiefes Seufzen, als Axilla ihn mit einem Blick anschaute, der einem Reh zur Ehre gereichen würde. Sie war so goldig irgendwie, besonders, wenn sie beschwipst war. Goldig. Es hatte einmal ein anderes Mädchen gegeben, das er so bezeichnet hat, dachte er sich insgeheim. Eine, deren Verhältnis mit ihm zerbrochen ist, zerbrochen an dem unüberwindbaren Graben zwischen seinem und ihrem Stand. Er schloss die Augen für einen Moment, bevor er sie wieder behäbig öffnete, und wieder zu Axilla hinblickte, die noch immer zu ihm hinschaute. Es war ein irgendwie intimes Gefühl. Angenehm intim. Er blickte ihr noch immer in die Augen, als der Wein daherkam, umfasste ihn mit lockerem Griff und trank ein wenig daraus, ebenso wie Axilla. Sie folgerschlusste... schlussfolgerte, der Wein schmäcke... schmöcke?... schmeckte?... nach Blumen. Er runzelte seine Stirn kurz. Begann der Wein ebenfalls schon, ihn einzuduseln?
    „Ich denke, du hast recht.“ Schmeckte der nicht eher nach Pflaumen? Egal, er hatte ja noch Manieren. Und diese besagten: Gib einer Dame recht. Und Axilla war unbestreitbar eine solche, wenn auch ein wenig eigenwillig in ihrer Eigenschaft als erwachsenes weibliches Wesen. Fast kindlich. Nicht ein Kindskopf wie Piso oder Archi, sondern so, dass man dachte, sie müsste noch ein halbes Kind sein. Zum ersten Mal kam ihm die Erkenntnis, dass Axilla sehr jung sein musste, und er spürte ein bisschen ein schlechtes Gewissen darüber, tief in seinem Inneren, dass er ein solches Mädchen, denn nichts anderes war sie, mit Alkohol abfüllte. Na ja, auch schon egal, dachte er sich innerlich und hörte ihr zu, als sie mit ihrer Gesichte begann.
    „Ich werde niemandem erzählen.“ Sein Versprechen war ernst gemeint, er konnte gut dicht halten. Ein bisschen verwundert war er aber, dass sie ihn auf der Brust anstupste. Was sollte das sein? Was hatte sie vor? Dass sie irgendwas markierte, bemerkte er gar nicht, er blickte sie nur erstaunt an, und gönnte sich noch einen Schluck Wein. Ach, gut, jetzt war es besser.
    Er begann also, hinzuhorchen, und unterdrückte einen Furz, den auszustoßen sein Hintern sich bemühte, wie vor langer Zeit im gemeinsamen Furzwettbewerb mit Archi. Durch ein solches akustisches und olfaktorisches Phänomen wäre der Eindruck seines guten Geruches sicherlich dahin.
    Piso nickte. „Das klingt sehr schön.“ Er lächelte leicht. Ein spanischer Baum. Erinnerungen wurden in ihm wach. Auch er hatte einst Zuflucht vor der Welt gesucht auf einem Baum in Hispania. Das war bei Caesaraugusta gewesen. Es war schön gewesen – nichts zu hören außer das Geschnarche seines Sklaven Cassivellaunus, der seine Siesta am Fuße des Baumes hielt.
    „Nymphen.“, echote er, was sie sagte. Nymphen. Einerseits war das Humbug. Andererseits – was für ein Arvalbruder wäre er, so etwas komplett im Vorhinein auszuschließen? „Hast du sie jemals gesehen?“ Ob solch numinöse Gestalten sich jemals blicken lassen würden? „Hast du sie jemals... gehört?“ Er legte seinen Kopf schief und lächelte noch immer. Nymphen müssten sich schön anhören.
    Er lachte, als sie seine Handlungen kommendierte. „Ich denke nicht. In einem Baum zu hocken und zu sinnieren, statt sinnlos sich Alkohol hinter die Binde zu gießen, finde ich präferabel. Besonders, wenn beim einen Szenario Nymphen deine Begleiterinnen sind, und beim anderen...“ Billige Huren? Ne, das sagte er besser nicht. „...niemand.“
    Er atmete tief ein, dann aus, und trank schnell Wein hintennach. Glockenblümchen? Nicht im Ernst. Das waren eindeutig Pflaumen.

    „Da ist sie ja.“
    Mit funkelnden Augen blickte Piso auf seine neue, große Patera, und die Patera funkelte zurück. Tubulus grinste Piso salbungsvoll an. „Das, Septemvir, das ist die Patera, das Symbol der Septemviri. Aus purstem Silber! Mit dem, hehe, charakteristischem Buckel in der Mitte, und verziert mit Symbolen aus der Mythologie. Ideal für Trankopfer, insbesondere, hrhr, Wein, Septemvir. Jedem Septemvir steht eine zu.“ Piso blickte auf und blickte den Lollier an. „Ja... ich weiß, was eine Patera ist. Danke.“ Tubulus blickte zufrieden drein, und zwar in einer recht blasierten Art und Weise, und zog sich zu seinem Tisch zurück. Und Piso widmete sich wieder der Patera. Sie hatte einen Durchmesser von vielleicht einem Fuß, also war sie kein minimales Ding, und hatte Verzierungen, die durchaus einen Blick wert waren. „Schiffe. Hmm. Aeneas. Den Annaeern würde das sehr gut gefallen.“ Sein Murmeln war niemandem hörbar, nicht einmal Tubulus, der schon wieder mit Scribaaufgaben beschäftigt war. „Dann ist wohl bald einmal eine Libatio fällig.“ Er stellte dieses Wunderwerk an Ästhetik vorsichtig auf einem Schemel neben sich, noch wusste er nicht, wo er die Schale denn hinstellen konnte. Aus einer solchen wundervollen Schale nahmen die Götter sicher mit noch viel größerem Belieben seine Trinkopfer an als bisher. Und man konnte damit auf Opfertieren Wein und mola salsa über den Kopf schütten – und zudem konnte man mit so einer Schale beim Opfern richtig schön protzen.
    Er lehnte sich befriedigt zurück, und verharrte in dieser Position für ein paar Sekunden, bevor er sich wieder nach vorne beugte und in seine Unterlagen hineinschaute.

    Ha... ha! Die Augenbraue! Sie zog sich hoch! Und zwar nur eine Einzige! Was für eine flavische Eigenart, dachte sich Piso, der belustigt beide Augenbrauen einmal hochtippte.
    Sie schlug sofort in die selbe Kerbe wie er und bestellte einen Wein nach. Hach, das war ja was! So musste man nicht einmal selber den Kellner rufen! Er nickte zu der Iunierin hin, als Zeichen, dass ihre Aussprache richtig gewesen war (immer diese gallischen Wörter!) und wartete auf den Kellner. Lange musste er nicht warten. Er wandte sich an ihn, der dahergeeilt kam wie ein Wiesel, und dachte kurz nach. „Am Besten... einen aus den Alpen. Aus Noricum oder Pannonien vielleicht.“ Der Kellner nickte. „Wir haben da einen aus Noricum, er...“ „Her damit!“, befahl Piso und drehte sich wieder zu Axilla hin, als der Kellner sich verbeugte wie ein Sklave vor seinem Herrn und davoneilte.
    Der Flavier hörte sich die Frage von Axilla an, und während er gerade vorhin noch gerade so munter dahergeschaut hatte wie Axilla, rutschten ihm nun die Mundwinkeln ein winziges Stück herunter. „Hmm.“ Das war sicher nicht die Antwort, die Axilla erwartete, und doch hielt er inne, um einen Satz zusammen zu basteln. Selbstverständlich war es nicht, dass er auf so etwas antwortete, es nicht nur mit einem Kopfnicken überging, aber erstens mochte er Axilla zu sehr, um sie so abzukanzeln, und zweitens hatte ihn der Wein doch ein bisschen redseliger gemacht.
    „Ich weiß nicht. Weißt du, Axilla... hie und da will ich meine Ruhe haben. Und dann doch nicht auf das Ambiente in einer Kneipe verzichten.“ Er hätte schon genug Leute, mit denen er ausgehen konnte, allerdings wollte er dies manchmal gar nicht. „Manchmal, da wird mir die Welt so lästig... alle gehen mir auf den Geist... und niemand will mich verstehen. Dann will ich nicht die Gesellschaft von irgendwelchen Banausen... ich will einfach nur... in Ruhe mein Ding durchziehen. Über die Welt sinnieren, ohne dass jemand meine Kreise stört.“ Ob sie das verstand? Gut möglich, hie und da verstand er sich selber auch nicht. Er würde sich selber als extrovertierter Mensch bezeichnen, aber hie und da hatte er das Bedürftnis, sich in eine Kapsel zurückzuziehen, und diese durch den Genuss von Alkohol verstärken.

    Feigen, fragte Axilla ganz verwundert nach, was doch eine gewisse Skepsis in Piso auslöste. Er trank noch einmal ein wenig Wein – und schmatzte noch einmal laut hörbar. Jetzt, wo sie es sagte... konnte das tatsächlich sein... das waren doch Beeren. Erdbeeren sogar. Piso blinzelte und stellte seinen Wein ab. Er hatte doch noch einen gewissen Rest Stolz, und er würde sich sicher nicht bloßstellen wegen so einer Sache. Er lächelte deshalb ein bisschen süßlich die Iunierin an. „Ja, das muss wohl so sein. Vielleicht liegt es auch am Unterschied zwischen ägyptischen Feigen und Beeren und italischen Feigen und Beeren.“ Er beeilte sich, das Thema so schnell wie möglich abzuschließen, da sowieso jetzt wieder ein Kompliment kam, welches seine Seele labte. Zufrieden lächelte er.
    „Nun, es ist vor allem so, dass man wissen muss, wohin man gehen muss. Aber eine schlechte und eine gute Kaschemme kann man schon unterschieden.“ Obwohl es eher so war, dass er Glück gehabt hatte... und vielleicht war die Qualität des Falerners, den man anbot, doch entscheidend.
    „Danke trotzdem.“ Auch er nahm noch einmal einen Schluck vom Wein. Plutoverdammmich, das waren Beeren. Ganz sicher. Was sollte daran auch nur im Entferntesten an Feigen erinnern? Am besten, wenn er dies gar nicht mehr erwähnte, denn es war ja wohl auch schon egal.
    Ein wenig belustigt blickte er aber auf Axilla. Das Mädchen hatte aber einen gesunden Zug drauf. Das konnte gut daran liegen, dass der Wein so unwiderstehlich süffig war, dass man gar nicht anders konnte, als noch mehr davon zu wollen.
    Er schlug trotzdem etwas anderes nun vor. „Magst du einen anderen probieren? Wir können ja einmal schauen, wie dir der Rosé schmeckt.“ Wenn er so weitermachen würde, hätte er sie sicher bald einmal abgefüllt bis ganz nach oben hin. Doch er wollte der Iunierin einmal wirklich die Freuden eines guten Weines vorführen... und dass man schon nach einem Becher beschwipst wurde, sah der trinkfeste Flavier nicht ein.
    „Oh, ähm, ja!“, beantwortete er ihre Frage. „Ich gehe gerne einmal auswärts was trinken. Manchmal alleine, manchmal mit Freunden.“ Hie und da endete das in einem veritablen Disaster, doch das musste er Axilla jetzt nicht unter die Nase reiben. „Aber ich muss sagen, in dieser Schänke war ich noch nie.“ Gut möglich, dass die neu war. Und auch gut möglich, dass der Kellner sich so beeilt hatte, weil einem Flavius Piso sein Ruf vorauseilte. 8)

    Lebensfroh war er heute ganz und gar nicht, seine unverwüstlich scheinende Heiterkeit war wie weggefegt. Er hatte zwar einen wichtigen Posten erhalten, einen gut bezahlten, einen, der ihm enorm weiterhelfen würde bei seiner Karriere – und trotzdem spürte er Trauer. Trauer ob des Umstandes, dass er die Kanzlei verlassen würde, dass er nie wieder Notarii herumscheuchen könnte, dass er nie wieder das 23. Officium das seine nennen konnte.
    „Ach. Du weißt davon.“ Müde klang seine Stimme. „Na ja... wenn du eine ehrliche Antwort haben willst – eigentlich schon. Es gab keine Möglichkeiten mehr für mich in der Kanzlei. Mir wurden klar die Grenzen aufgezeigt – ich bin an eine Decke gestoßen, die undurchdringlich war. Dies konnte ich nicht ertragen. Beim Cultus Deorum, verknüpft mit einer Karriere im Cursus Honorum, steht mir der Weg ganz nach oben offen. Darauf baue ich. Bei der Kanzlei komme ich nicht weiter. Es hat mich nicht mehr interessiert, an einem Platz zu arbeiten, wo meine Ambitionen untergraben werden.“ Er seufzte und blickte zum Fenster raus. „Und noch immer haben sie mich kein Fenster installieren lassen in meinem Officium... ich werde, nachdem mein Name abgekratzt ist, keine Spuren hier hinterlassen.“ Alles würde wieder so werden wie vorher, dachte er sich verzweifelt.

    Es war nicht nur so, dass Piso nicht nur nicht sauer gewesen war auf Axillas Aktionen, sondern sie gar nicht bemerkt hatte (der Grund war wohl eine sekundenlange delirische Umwolkung, die gerne dann und wann passierte). Er hätte wohl noch einmal vorm Abschicken Axillas Beitrag durchlesen sollen. :D
    Piso war, im Gegensatz zu Axilla, ganz und gar nicht erstaunt, dass der Kellner so spurte. Schließlich hatte er hier die Möglichkeit, einem reichen Patrizier ein gutes Trinkgeld abzuluchsen, oder auch nur dazu zu animieren, wieder zu kommen und sein Geld hierzulassen. Denn egal, wie gerne Piso über seine Armut lamentierte – er war nicht arm.
    Es war schon bewundernswert, wie Axilla Pisos Getue aufnahm. Der Patrizier nahm das, was er predigte, sowieso bierernst, und so fühlte er sich in seinen Worten nur allzu bestätigt. Ein Funkeln aus seinen Augen kündete davon, wie sehr Piso mittlerweile von sich selber eingenommen war.
    Doch da, ganz schien sie es sich nicht verkneifen zu können! Piso fiel dies ebenfalls auf, und in gespielter Oberlehrerhaftigkeit blickte er auf sie hinab. Dieser Gesichtsausdruck änderte sich zu einem Lächeln, als sie ihn nachfragte, ob sie das tun sollte. Er nickte auffordernd und schaute interessiert zu, wie sie einen Schluck Wein trank. Keinen großen, und sie schmatzte auch so, wie Piso es ihr empfohlen hatte, bevor sie loslachte. Pisos Lächeln verlor sich, als er seine Bemühungen, die Herrlichkeiten der Kultur zu verbreiten, darniedergeschmettert sah.
    Allerdings versuchte sie es nochmals. „Nicht so viel...“, mahnte der Flavier, doch es war schon zu spät, und Axilla hatte schon den größten Teil des Bechers hinuntergekippt.
    „Beeren? Hmm.“, dachte Piso nach, die Gesichtsverfärbung der Iunierin registrierend und gleichzeitig ignorierend. „Die meisten würden sicher sagen, es schmeckt nach getrockneten Feigen... aber das mag nicht für alle gelten.“ In Wirklichkeit schmeckte es, objektiv gesehen, tatsächlich nach Beeren, und zwar vor allem nach Waldbeeren, aber Piso war doch eben leider kein so großer Connoisseur, wie er sich gab. Er war eher der Hinunterschütter, was Weine anging.

    Wären Piso und Archias ein Ehepaar gewesen, wäre dies wohl die wildeste Beziehung in ganz Rom gewesen... er dacht lieber gar nicht drüber nach, denn er war ja kein griechischer Lustknabe, und brachte selber auch keine Sympathie für solche Neigungen auf. Aber gut, dass das ganze Gefrett vorbei war. Da war er seinem Kumpel schon dankbar.
    Wie vermutet, war Archi mehr als nur unenthusiastisch über die Aussicht, ohne was an über die Brutstätte römischer Politik zu rennen. Er grinste. „Nein, vielleicht hast du da recht. Gut, nehmen wir den Viehmarkt. Aber gib bloß acht, dass du nicht in irgendeinen Kuhfladen oder einen Pferdeapfel hineinrennst. Also gut. Vom Tempel des Portunus bis zum Herculestempel!“, schlug er vor. „Und ich halte dir dann dort auch eine Tunika bereit.“
    Was Archias dann ansprach, mochte ihm nicht ganz schmecken. „Och... muss ich das wirklich? Ich meine, haben wir nicht gesagt, der erste von uns...?“ Er dachte kurz nach. „Nee. Eigentlich nicht, oder? So’n Käse. Heute wäre mir das nicht mehr passiert, da hätte ich eine nette Provision hineingeknallt!“ Er schüttelte den Kopf über seine eigene Fahrlässigkeit.
    „Na gut, dann werde ich das auch machen, dasselbe wie du. Also, Wein runterschütten, nackt übers Forum Boarium, einer Dame die Unterwäsche abschwatzen... was war das vierte? Es waren ja vier... genau, einem Soldaten den Helm zu stehlen...“ Er kratzte sich am Kinn. „Hmm. Vielleicht haben wir uns da wirklich übernommen. Ich meine, ich will nicht, dass du mit einem Pilum im Rücken endest, oder verfeindet mit allen Frauen in Rom. Zudem, der Winter geht zuende, im Sommer trägt doch niemand subligares. Viel zu heiß!“, warf er noch ein.
    Er zuckte die Achseln, als Archi sich wunderte, ob Piso so was erlaubt sei. „Wieso denn nicht? Es wäre nicht in der offiziellen Ausführung meines Amtes, aber tun kann ich es schon. Das ist dann einfach nur ein Freundschaftsdienst. Es kann ja jeder die Opferung machen. Wenn du es lieber selbst tun willst...“, bot er an, wobei er sich nicht sicher war, ob Archi das Opfer nicht von Grund auf verdackeln würde.

    Zitat

    Original von Decimus Duccius Verus et moi-même


    Piso überreichte huldvoll die 100 Sesterzen und verließ den Tempel, glücklich pfeifend. Bis jetzt ging doch alles wie am Schnürchen für ihn.
    Doch halt. Erst als er schon dabei war, den Capitol hinunterzugehen, fiel ihm siedend heiß etwas ein. Bei seiner Opferung hatte er komplett vergessen, das Opfertier, als er mit dem Messer darüber fuhr, der Gottheit zu weihen durch eine Inkantation!
    Wat'n Schiet!
    In diesem Fall musste wohl das rechte Denken das richtige Handeln ersetzt haben, doch blieb das dumpfe Gefühl, dass das Opfer doch nicht so lehrbuchmäßig abgelaufen war wie gedacht. Nun, nicht alle Opfer mussten gleich sein, und nicht alle nach dem selben Schema ablaufen. Das nächste mal jedoch würde er daran denken – durch Praxis erst wurde man zum Meister.
    Mit dem frommen Gedanken, bald dem Iuppiter wieder ein Opfer darzubringen, eilte er von dannen, bevor ihn noch der Zorn des Göttervaters träfe.