Es schien sie viel mehr Überwindung zu kosten dieses Opfer durchzuführen, als sonst. Etwas womit sie sonst sich täglich beschäftigte fiel ihr auf einmal furchtbar schwer. Auch Furcht, dass das Opfer nicht das Ergebnis bringen würde, dass sie sich erhoffte. Eine ganze Weile stand sie einfach nur unentschlossen da und betrachtete die Statuen.
| Aedituus
„Ähem!“ räusperte sich jemand hinter ihr und holte sie somit aus ihrer Betrachtung von Iunos Abbild. Verlegen drehte sie sich um und brachte tatsächlich ein freundliches Lächeln zustande, als sie einem anderen Aedituus gegenüber stand. „Salve!“ grüßte sie den Mann mittleren Alters. „Kann ich dir behilflich sein?“ fragte beflissentlich. Kurz zögerte sie, eigentlich hatte sie das Opfer selbst durchführen wollen, weil sie fand, dass es so richtig war, besonders bei einer solch persönlichen Sache und weil es so viel von diesem Opfer abhing. Aber es war wohl besser, wenn sie es jemand anderem überließ, im Augenblick war sie zu durcheinander und aufgeregt und würde wohl nur Fehler machen. Erst etwas zögerlich, dann entschlossener nickte sie. „Ich würde gern ein Opfer für Iuno darbringen. Für eine Freundin. Ich kann derzeit nicht bei ihr sein und würde gern auf diesem Wege ihr ein wenig beistehen“, erklärte sie dann. Der Mann betrachtete sie kurz nachdenklich und nickte dann. „Es wird einen Moment dauern um das Opfer vorzubereiten. Begleite doch einen der Ministri und wähle dann ein geeignetes Opfertier aus!“ Ein Junge, an der Schwelle zu Mann eilte auf den Wink des Mannes herbei und führte Calvena erst einmal zu den Wirtschaftsgebäuden des Tempels.
Eingepfercht in einen Stall warteten kleine weiße Zicklein darauf ein Geschenk der Götter zu werden. Auf den ersten Blick sahen sie alle gleich aus. Große schwarze Augen, schneeweißes Fell und kleine Hörner. Scheinbar ohne jeglichen Makel.
Eigentlich war sie sich sonst immer sicher, was sie wollte, doch heute war alles anders. Unentschlossen sah sie von einem Tier zum anderen und wusste nicht, welches das Richtige war. Ihre Gedanken kreisten noch immer um die schlechten Nachrichten und sie war wirklich nicht bei der Sache. Hatte dieses Opfer nicht einmal richtig durchdacht, sondern war einfach nur zum Tempel gegangen, weil sie irgend etwas tun musste. Es war ihr als Einziges sinnvoll erschienen Iuno um Beistand zu bitten.
Weil sie eine Entscheidung treffen musste, wählte sie schließlich ein Zicklein aus, dass gerade an ihrer Pala herum knabbern wollte. Ob es die richtige Entscheidung gewesen war, konnte sie nicht sagen, irgendwie hatte sie für den Moment sogar jegliche Intuition verlassen. Immer noch war ihr ganz flau in der Magengegend. Die Nachricht über Serranas baldigen Tod konnte sie nicht wirklich verkraften. Calvena kam nicht auf den Gedanken, dass dies Unwohlsein vielleicht auch einen anderen Grund noch haben könnte.
Die Abläufe in den Tempel waren alle gleich und dass tägliche Brot der Priester, dass die Vorbereitungen recht schnell abgeschlossen waren und Calvena sich wenig später wieder im Tempel vor Iunos Abbild wiederfand. Das Voropfer würde sie selbst machen, dafür hatte sie Weihrauch, Wein, Obst und Gebäck aus den Vorräten des Tempels gekauft. Ihr Entschluss ein Opfer zu bringen, war so spontan gewesen, dass sie nicht einmal einen Umweg über den Marktplatz gemacht hatte. Ein wenig bereute sie es, so gedankenlos gehandelt zu haben. Noch konnte sie das Ganze auch abbrechen und an einem anderen Tage durchführen. Dann wenn sie soweit war. Aber sie hatte das Gefühl, dass es so wichtig war, dass sie dieses Opfer jetzt und hier machen musste. Kurz schloss sie die Augen und atmete tief durch. Das half ihr meist die Gedanken zu ordnen, aber heute blieb die Ruhe aus, da war nur Nervosität und Anspannung.
Knisternd verbrannte das Weihrauch in den glühenden Kohlen, Rauchschwaden ringelten sich durch den Tempel und erfüllten den Raum mit süßlich schwerem Geruch. Zuerst goss sie den roten Wein in eine der silbernen Schalen. „Oh große Iuno Regina, bitte nimm dieses Opfer an und erhöre die Bitte deiner Tochter Germanica Calvena!“ begann sie mit klarer Stimme. Sie stellte nun das Obst auf den kleinen Altar vor der Statue und auch das Gebäck. „Oh große Iuno Lucina! Ich bitte Dich, beschütze meine Freundin Iunia Serrana. Halte Deine schützenden Hände über Deine Tochter. Begleite sie durch diese schwere Zeit! “ Es war eine Bitte die von Herzen kam und doch schien sie nicht die richtigen Worte zu finden. Mit einer Rechtsdrehung beendete sie das Voropfer und machte dann eine kleine Geste. Nun sollte das Zicklein noch sein Leben aushauchen.
Auf dem Vorplatz sprach der Aedituus salbungsvolle Worte bevor er dem Tier die Kehle durchschnitt und das helle Blut aufgefangen wurde.
Mit bangem Herzen verfolgte sie wie dann der Brustkorb geöffnet wurde und die vitalia in eine Schüssel gelegt wurden um sie zu lesen.
Diesen Moment eines Opfer fürchtete sie am meisten. Es war der Moment der Wahrheit, denn wenn Iuno das Opfer nicht annehmen wollte, dann zeigte sie dies meist deutlich durch hässliche schwarze Blasen in dem sonst so makellosen hellen Eingeweiden.
Der Mann drückte, quetschte, drehte und untersuchte die vitalia mit geübten Fingern und fachkundigem Auge. Die Erfahrung sprach aus seinen Bewegungen. Schließlich wandte er sich mit rastloser Miene an sie. „Das ist mir noch nie passiert“, meinte er zu ihr und wusch sich die Hände in einer Schüssel. „Es ist so nichtssagend. Ich konnte kein Zeichen der Göttin finden! Ich fürchte du wirst einen anderen Zeitpunkt wählen müssen um das Opfer noch einmal durchzuführen!“ erklärte er ihr. Das Opfer war nicht angenommen worden. Calvena fühlte den Mut sinken. „Ich danke dir!“ Nicht gerade mit erleichtertem Herzen trat sie wieder den Heimweg an.