Bedächtig betrat sie den Tempel. Der Stoff ihrer Tunika säuselte leise, als sie den Mittelgang hinab Schritt und dann vor dem Kultbild der Iuno stehen blieb. Ihre Miene war Ausdruckslos nur ein glückliches Funkeln in den Augen verriet, wie lange sie diesen Tag herbei gesehnt hatte. Hier stand sie nun, dies war ihr Tempel. Ihr oblag die Aufsicht über einige Priester, Helfer und Schüler. Eine ganze Weile blickte sie schweigend in das Ebenbild der großen Göttin. Unbeweglich, fast wie eine Statue selbst. Schließlich räusperte sich jemand hinter ihr und sie wandte den Kopf. Vor ihr stand eine Priesterin mittleren Alters. Erfahrung und auch eine gewisse Weisheit lag in ihrer Haltung.
„Sei willkommen, Aeditua Germanica. Ich bin Caedicia Aviola. Ich soll Dich mit Deinen Aufgaben vertraut machen und Dir Deine Fragen beantworten!“ stellte diese sich freundlich vor. Calvena erwiderte das Lächeln.
„Vielen Dank. Ich bin froh, nun endlich meine Arbeit aufnehmen zu dürfen!“ erwiderte sie. „Es ist mir eine Freude dich kennen zu lernen.“ Ihr Blick wanderte durch den Tempel. Nicht zum ersten Mal war sie hier, aber nun sah sie dieses Bauwerk mit ganz anderen Augen. Sie war nun keine Schülerin mehr. Aufregung stieg prickelnd in ihr auf. Später würde sie Iuno noch ein eigenes Opfer darbringen. Um ihr zu danken. Sie fand, dass war sie der Göttin schuldig.
Die Caedicia neigte huldvoll den Kopf. „Als erstes werde ich Dir alle Tempeldiener vorstellen und auch unsere beiden Schüler. Dann zeige ich Dir die Gebäude die noch zum Tempel gehören. Sicherlich hast Du diese schon einmal besichtigt, aber es schadet nie, sich noch einmal mit allem vertraut zu machen!“ verkündete sie und zwinkerte der jüngeren Frau zu. Calvena konnte nicht anders, sie musste Grinsen. Aviola war ihr sympathisch. Ein wenig hatte sie sich vor den älteren Priestern gefürchtet, aber anscheinend wurde sie ohne weiteres in den Kreis aufgenommen und auch sogleich respektiert. Obwohl es ihr noch ein wenig an Erfahrung mangelte. Aber mit der Zeit würde sich auch dies ändern.
„Nun denn, ich bin bereit!“ sagte sie nickend.
„Du weißt welche Aufgaben Dir obliegen?“ hackte Aviola nach. Sie wollte das Wissen der Aeditua testen und sicher gehen, dass sie nicht einfach nur Glück gehabt hatte.
„Natürlich“, sagte antwortete Calvena. „Mir obliegt die Aufsicht über den Tempel. Ich bin für die Organisation der großen Opfer an den Feiertagen zu Ehren Iunos zuständig. Ich darf Schüler ausbilden und muss darauf achten, dass es genügend Opfergaben gibt. Auch arbeite ich eng mit den Händlern zusammen die uns die Opfertiere liefern. Sollte jemand Hilfe bei der Ausrichtung eines privaten Opfers benötigen, dann stehe ich ihm beratend zur Seite!“ zählte sie ruhig auf. Sie konnte verstehen, warum sie gefragt wurde und antwortete deswegen bereitwillig.
Zufrieden nickte die Caedicia. „Wer war Dein Lehrer? Er hat ganze Arbeit geleistet bei Deiner Ausbildung.“
„Durmius Verus. Er wird sich wohl nun zur Ruhe setzten.“
„Der Jüngste ist er wahrlich nicht mehr. Aber er war ein guter Priester. Er wird dem Collegium fehlen. Er hat es oftmals geschafft streitende Parteien wieder anzunähern. Ein guter Mann und noch besserer Lehrer. Wir bräuchten mehr Männer wie ihn. Der Cultus Deorum hat längst nicht mehr das Ansehen wie einst.“
„Sehr bedauerlich. Dies sollte sich ändern, schließlich sind die Götter ein wichtiger Teil unseres Lebens.“
„So ist es!“ Aviola seufzte tief. Während sie durch den Tempel schritten nickten sie immer wieder den wartenden Römern zu. „Und doch vergessen die Menschen nicht den Göttern zu danken!“ meinte sie lächelnd. Zustimmend nickte Calvena. „Nun komm, ich stell Dir alle vor!“