Beiträge von Titus Duccius Vala

    "Machen wir es anders herum, du zeigst mir den Wagenrennsport, und dann schauen wir, ob es mich packt.", konterte Vala lächelnd den Vorschlag, und überlegte sich sogleich, ob er sich überhaupt vorstellen konnte viel damit anfangen zu können. Er hatte bisher in Mogontiacum nur ein gewisses Interesse an den Gladiatorenkämpfen gezeigt, der Kampf Mann gegen Mann hatte immernoch was recht faszinierendes, auch wenn Vala hoffte, nie wieder selbst in so eine Situation zu kommen.


    "Erlaube mir die Frage, Annaeus, inwieweit steckst du in der Verwaltung des Reiches? Ich habe gelesen, dass du Procurator Annonae bist... genauer habe ich mich mit deinem Lebenslauf allerdings nicht auseinandergesetzt. Wie bist du dahin gekommen, wo du jetzt bist, und vor allem: wo willst du noch hin?"

    "Ahso, hmhmhhm...", murmelte Vala, dessen Gedanken abdrifteten, nachdem ihm niemand sagen konnte, was da wirklich vor sich gegangen war. Es würde wohl länger dauern, sich im politischen Rom zurecht zu finden, als er gedacht hatte. Seine Tante nahm den Faden eines Gesprächs wieder auf, und Valas Gedanken versanken noch ein Stück weit in einer Welt von wütenden Handwerkern und klammen Kassen, bis es plötzlich still wurde, und Vala sich beobachtet vorkam.


    Seine Tante blickte ihn fragend an, und es brauchte eine Sekunde, bis Vala abrufen konnte, was sie gerade gesagt hatte. Verstand er das jetzt richtig? Er sollte bei was mitmachen?


    "Eh... entschuldigt, ich habe das Gefühl, den Anfang des Gesprächs nicht mitbekommen zu haben. Über was sollen wir denn einen Überblick verschaffen?"

    "Einen Baum aushöhlen? Ich weiß nicht.", sprach Vala mit nachdenklich-zweifelnder Miene, "Ich bin mir sicher, wenn ich versuche zurück zu paddeln lande ich mit Sicherheit in Afrika. Ich will nicht nach Afrika..", betonte Vala noch einmal mit hilflos aufgerissenen Augen, "..da hätte ich dann zwar trockene Füße, aber jede Menge Sand in den Schuhen. Jetzt weiß ich nicht, was schlimmer ist."


    Die Fremde spielte tatsächlich mit, und das garnicht mal so einfallslos, wie Vala anerkennend feststellte. Das Lachen, das in ihren Augen glitzerte, bestätigte Vala in seinem ohnehin nicht unbedingt dezent ausgeprägtem Ego, und eine Spur von siegessicherem Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Maskerade aufgab: "Und du eine wahre Scherzboldine, Caecilia Calena. Ist mir eine Freude. Mein Name ist Titus Duccius Vala, und ich habe tatsächlich nicht die geringste Ahnung wo wir hier gerade sind."

    "Die römische Überlegenheit scheint sich auch in den unterlegenen Geistern festgesetzt zu haben. Wer könnte es ihnen verdenken, ihr Volk hat die ganze Welt erobert und unterworfen.", grollte Vala mit Blick auf die beiden leise vor sich hinspielenden Kinder, die in persona für eine gelungene Vereinung der beiden Welten standen, "Opferst du noch für die Götter? Also, UNSERE Götter? Verus hat mir vor meiner Abreise etwas interessantes erzählt... was meiner Meinung nach garnicht mal so dumm war. Er meinte, dass alle Völker den gleichen Göttern opferten. Dass die Völker diesen Urkräften nur andere Namen geben, so wie sie andere Sprachen haben. Und andere Bedürfnisse. Die Mächte aber, die sie lenken sind immer die gleichen... ob Wodan und Mercurio, Tyr und Mars, Frigg und Iuno, Donar und Iuppiter... nur unsere Gebetsplätze sind anders aus. Kann ich davon ausgehen, dass die Römer keine hölzernen Tempel besitzen? Wenn dem so ist, müssen wir uns wohl damit abfinden."


    Vala ließ seinen Blick auf den Kindern ruhen, während er nachgrübelte, bis er sich schließlich entschloss: "Wir sollten ein Opfer darbringen. Du, deine Kinder und ich. Um für unsere Familie auch in Rom den Segen der Götter zu erbitten, immerhin sind wir neu hier, auch wenn die Casa schon seit Jahren steht. Was hälst du davon?"

    Sein Gegenüber schien ihn nicht verstanden zu haben, oder noch schlimmer: sie wollte ihn veräppeln! Zumindest deutete Vala das Schmunzeln der jungen Frau so. Weit gefehlt, das konnte Vala auch!
    So griff er sich theatralisch an den Hals, tat sein möglichstes um furchtbar erschrocken auszusehen, und blickte sich panisch um.


    "ROM??????", rief er mit gespielter Hilflosigkeit aus, wobei er immer verzweifelter dreinblickte, "DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN!!! ROM!!!"


    Einen Moment lang tat er noch so, als würde er es kaum glauben können, auf einmal in Rom zu sein; dann ließ er hilflos die Arme und den Kopf sinken, lehnte sich gegen das steinerne Brückengeländer und seufzte theatralisch auf.


    "War ja klar, dass mir sowas passieren muss... da tut man einmal einen Schritt aus dem Haus, was übrigens in Aiacum (Corsica) liegt, und wo landet man? In Rom!", er schüttelte den Kopf und schalt sich murrend selbst einen Narren, dann hob er ihn wieder, und blickte die junge Frau grinsend an, "Das erklärt allerdings auch, warum ich zwischendurch so nasse Füße hatte. Hmh, jetzt stellt sich mir nur die Frage, wie komme ich wieder zurück?"

    Wieder einmal hatte Vala Rom unterschätzt. Um genau zu sein: er hatte unterschätzt was für einen Andrang eine frisch renovierte (und vor allem: saubere!!!) Insula erwecken würde. Das vollkommene Fehlen von Kündigungsfrist und ausgefeiltem Vermieter-Mieterrecht machte es einfach von einem Tag auf den anderen die Behausung zu wechseln.
    Was dazu führte, dass sich Vala, der einen kleinen Tisch, einen Hocker, eine Tabula mitsamt Griffel vor dem Treppenaufgang positioniert hatte, sich mit einer schieren Masse von einzugswilligen Menschen konfrontiert sah. Gut fünf Dutzend Menschen, einige davon in Vertretung ganzer Familien, andere MIT ihren ganzen Familien hatten sich vor der neuen Insula versammelt, die in den letzten Tagen durch die Meuterei, die Besetzung und die großangelegte Reinigungsaktion für Aufsehen gesorgt hatte.


    Und alle wollten mit ihm reden.
    Fünf Dutzend Menschen.
    Auf einmal.
    Quasi gleichzeitig.
    Und das sofort.


    Vala fühlte sich in diesen Moment als wäre das komplette Theatrum Flavium ausverkauft, und er der einzige arme Wicht der Otternasen verkaufte.
    Allerdings hatte Vala auch die Schnauze voll, dauernd vor den enormen Extremen und den extremen Enormen dieser Stadt kapitulieren zu müssen, und begriff auf einmal, wie Rom es schaffte Rom zu bewältigen: Organisation!
    Er stellte sich auf seinen Hocker, und brüllte die Masse (die natürlich zuerst zurück brüllte, denn wie hieß das Sprichwort noch: so wie du die Römer anbrüllst so brüllen sie zurück, oder so) zur Ruhe. Was folgte, war ein penibler Verwaltungsplan um der tatsächlich noch wachsende Aspirantenmenge noch Herr zu werden, dazu führte Vala eine Strichliste ein, in der er erst einmal alle ausschloss, die seiner Meinung nach nicht das richtige Mieterpublikum für die Insula waren:



    Arbeitslose
    Huren
    Arbeitslose Huren
    Hurende Arbeitslose
    Trinker
    Trinkende Arbeitslose
    Arbeitslose Trinker
    Trinkende Huren
    Hurende Trinker
    Arbeitslose hurende Trinker
    Hurende trinkende Arbeitslose
    Arbeitslose trinkende Huren
    Vorbestrafte
    Vorbestrafte Arbeitslose
    Vorbestrafte Huren
    Vorbestrafte Trinker
    Arbeitslose Vorbestrafte
    Hurende Vorbestrafte
    Trinkende Vorbestrafte
    Arbeitslose hurende Vorbestrafte
    Hurende trinkende Vorbestrafte
    Trinkende arbeitslose Vorbestrafte
    Hurende arbeitslose Vorbestrafte
    Verrückte
    Arbeitslose Verrückte
    Hurende Verrückte
    Trinkende Verrückte
    Vorbestrafte Verrückte
    Arbeitslose hurende Verrückte
    Hurende Trinkende Verrückte
    Trinkende Vorbestrafte Verrückte
    Vorbestrafte arbeitslose Verrückte
    Arbeitslose Trinkende Verrückte
    Hurende Vorbestrafte Verrückte
    Vorbestrafte Arbeitslose Verrückte
    Griechen
    Arbeitslose Griechen
    Hurende Griechen
    Trinkende Griechen
    Vorbestrafte Griechen
    Verrückte Griechen
    Arbeitslose hurende Griechen
    Hurende Trinkende Griechen
    Trinkende Vorbestrafte Griechen
    Vorbestrafte Verrückte Griechen
    Verrückte arbeitslose Griechen
    Arbeitslose Trinkende Griechen
    Hurende Vorbestrafte Griechen
    Verrückte Arbeitslose Griechen


    Als er diese Liste unerbittlich durchgesetzt hatte, standen noch genau 2 Männer vor ihm: ein Bildhauer und ein Tischler, die mit ihren kleinen Familien einziehen wollten.


    Damit hatte er kein Problem.

    Rom war drauf und dran ihn fertig zu machen. Und er kurz davor den Verstand zu verlieren. Zumindest kam es Vala so vor, denn die letzten Tage stellten ihn immer wieder vor Situationen, die er sich in seinen düstersten Träumen nicht hätte ausmalen können. Als wäre es dessen nicht genug, dass er den organisatorischen Aufwand für die Renovierung einer winzigen Casa so dermaßen unterschätzt, dass ihm die Souveränität über das Heim seiner Familie tagelang von meuternden Bauarbeitern streitig gemacht worden wäre, nein, er hatte dadurch auch das Abgabedatum eines Cursus verpasst, was für ein testosterondurchflutetes Ego wie das von Vala eine unerträgliche Schmach darstellte, und zudem die Zeit unterschätzt, die es brauchte von einem Punkt der Stadt zum anderen zu kommen.


    Vor große Probleme stellte ihn zusätzlich auch seine Orientierung. Stock und Stein, Wälder und Seen konnte er ohne Probleme durchqueren ohne sich den Weg auch nur annähernd einzuprägen, aber diese Stadt... oh ja... diese Stadt. Eigentlich hatte er einfach nur zwei wichtige Schriftrollen mit Aufträgen des Privatmanns Tiberius Prudentius Balbus von Punkt A zu Punkt B zu bringen, und irgendwie hatte er es auch geschafft, Punkt B noch am selben Tag zu erreichen. Aber: der flüchtige Moment der Sicherheit, sich in der Stadt orientieren zu können hatte sich sehr, sehr schnell in Luft aufgelöst, als Vala plötzlich am Tiber stand. Nicht, dass er den Tiber nicht mochte. In dem Teil des Flusses, der in die Stadt hineinfloss konnte man ihn sogar als nett anzusehen bezeichnen.. mit zunehmendem Weg durch die Stadt verwandelte sich der Fluss jedoch in ein vor Unrat und Dreck nur so starrendes Ungetüm.
    Hier aber, hier war er definitiv an einem Punkt des Flusses, der sich noch ansehen ließ. Und genau das war Valas Problem: er durfte eigentlich garnicht hier sein. Nicht einmal in der Nähe.


    Die offensichtliche Desorientierung, die er sich eingestehen musste, zwang ihn zur größten Demütigung, die ein Mann auf sich nehmen konnte: er fragte nach dem Weg.


    "Heils.. eh.. salve!!", sprach er dabei eine junge Frau an, die so bestimmt verträumt auf den Fluss starrte, dass sie sicherlich wusste WO sie gerade verträumt auf den Fluss starrte, "Wo sind wir? Ich meine... wo bin ich?"

    Vala war viel zu sehr damit beschäftigt, sich nicht in einen tumben Klumpen Kochfleisch zu verwandeln. Er bewegte sich einfach nicht, denn selbst die Muskeln im kleinen Finger konnten dafür sorgen, dass er das Gefühl hatte, sein Blut würde sich gleich dem Siedepunkt nähern. Dass es Becken gab die NOCH heisser temperiert waren konnte Vala sich beim besten Willen nicht vorstellen.


    Dennoch versuchte er, dem Gespräch so aufmerksam wie möglich zu folgen, auch wenn er das Gefühl hatte, sein Blut würde sich in den Ohren sammeln um wenigstens dort etwas Abkühlung zu erfahren. Der Claudier war der Klient von Tiberius Durus? Was ein Zufall. Vala merkte sich sogleich, Lepidus nachher mal darauf anzusprechen, immerhin hatte er bisher keine Möglichkeit bekommen den Senator ins nähere Gespräch zu ziehen. Dass dieser zum Konsul kandidieren wollte machte die Sache für ihn umso nachvollziehbarer, es gab wohl kaum beschäftigtere Menschen als die Kandidaten auf dem Cursus Honorum.


    "Ich wäre durchaus geneigt ihm meine Stimme zu geben, wüsste ich, dass sie bei ihm gut aufgehoben ist. Was verspricht so ein Konsul Tiberius Durus denn?", begab sich Vala gleich auf ein Gebiet, in dem er sich bestens auskannte: taktieren und manövrieren. Da gab es keinen Unterschied zwischen germanischen Adeligen, die einen für sich selbst und ihre Sache gewinnen und römischen Politikern, die dasselbe tausend Meilen weit weg auch erreichen wollten.


    "Mein Patron ist Marcus Vinicius Hungaricus, ich wurde ihm vorgestellt, und er hat mich als Klient akzeptiert. Jetzt bin ich hier.", fasste Vala seine Geschichte knapp zusammen, und ließ dabei bewusst offen, wie es dazu gekommen ist, was er sich davon versprach und noch viel mehr: was er eigentlich vor hatte.

    "Ich werde wohl nicht umhin kommen, mir das Capitolium anzusehen.", gab Vala zu, auch wenn er wie gesagt nicht zielstrebig darauf zusteuerte. Er hatte ein Faible für die Details, und das machte den Weg für ihn oft genug zum Ziel.


    "Ich lerne viel von ihm.", erzählte Vala von seinem aktuellen Mentor, "Ich habe mich vorher in der Heimat meiner Familie schon schlau gemacht über die Prinzipien des römischen Staates, aber irgendwie scheint es eine andere Welt gemeint zu haben. Die kaiserliche Kanzlei, und alleine das, was Prudentius Balbus an privaten Geschäften umtreibt ist bar jeder Beschreibung in den Chroniken und Büchern die ich gelesen habe. Ich muss zugeben in den ersten Tagen absolut überfordert gewesen zu sein.. allerdings scheint der Schlüssel zu einer erfolgreichen Bewältigung Roms darin zu liegen, das Nützliche von dem Nutzlosen zu trennen. Oder den Unterschied überhaupt zu erkennen."


    Vala gab sich ziemlich überrascht, als der Aurelier das Leben der Patrizier in diesen Tagen als schlapp bezeichnete: "Enttäuscht? Nicht im geringsten... was vielleicht auch an meinem unbedarft-lückenhaften Wissen liegen mag. Andererseits, hätte ich dem Glauben geschenkt, was ich im vorneherein von den Adelsfamilien Roms gehört hatte, müsste ich jetzt wirklich enttäuscht sein, nicht einem Mann gegenüber zu sitzen, dessen Kleider von Gold und dessen Augen aus Edelsteinen bestehen."


    Er lächelte schmal über seinen eigenen Witz, hoffte innerlich, nicht zu weit gegangen zu sein. Allerdings war er sich sehr klar darüber, dass er wohl kaum lernen würde, wie die verschiedenen römischen Schichten auf was reagierten, wenn er nicht immer wieder auf die Nase flog.


    "Nun, ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir erzählen könntest was gerade Rom so umtreibt. Ich hörte davon, dass der Kaiser nicht in Rom ist, und der Praefectus Urbi die Zügel in der Hand hat, was so ziemlich allen Angst macht, die selbst nicht mächtig genug sind um sich selbst zu schützen. Und dann ist da noch diese Sache mit den Senatoren... ich war gestern auf dem Mercatus, und da haben sich ein Senator Decimus Livianus und ein Senator Germanicus Sedulus miteinander versöhnt. Sehr öffentlichkeitswirksam.. ich frage mich, warum das nötig war."


    Als der Senator auf die Casa Duccia zu sprechen kam, verzog Vala ein Miene, die deutlich machte wie unangenehm ihm das Thema war: "Nunja... eigentlich wohne ich gerade bei den Prudentii, das Haus meiner Familie... eh.. also... naja... lass es mich so sagen: es machte ziemlich deutlich, wo meine Familie ihre Heimat sieht. Ich bin gerade dabei, es in einen akzeptableren Zustand bringen zu lassen, um es dann unterzuvermieten. Meine finanzielle Basis steht immernoch auf tönernen Füßen.. und ich habe ehrlich gesagt keinen Bedarf für ein solches Haus, egal wie klein es sein mag."

    Seine Tante sprach weise, das sah Vala jetzt ein. Die Geschichte ihrer Gens war so wechselhaft wie der Fall eines Eichenblatts im Herbst, und jede Versuche, das zu ändern hatten eigentlich nur das Gegenteil bewirkt.
    "Wie dem auch sei...", schloss er das schwere Thema ab, "Ich denke, wir werden im Sinne beider Fraktionen weiterführen können, was unsere Väter begonnen haben. Die beiden Welten sind nicht so unvereinbar, wie man denkt. Aber genug davon... wie lebt es sich in einem römischen Haushalt? Callista hat sich bei uns wacker geschlagen, wie sieht es mit der Contraspektive aus? Als mir die Tür geöffnet wurde, wurde ich wenig freundlich empfangen, und das offensichtlich wegen meiner Herkunft. Ich hatte irgendwie anderes erwartet."

    Symbolisch mit einer weißen Flagge bewaffnet (beim letzten Mal hatten ihn die Frauen der Handwerker mit altem Gemüse und Obst beworfen, und Vala hatte die Flucht antreten müssen) näherte Vala sich einige Tage nach der Besetzung der Insula, die mal die Casa Duccia gewesen war. Er spürte die mürrischen Blicke der Besetzer auf sich, und fühlte ihren gerechten Zorn.


    Der Vorarbeiter, der sich zum Oberhaupt des besetzten Hauses ernannt hatte, kam heraus, und stellte sich selbstbewusst vor Vala auf. Er war ebenso breit wie er, aber einen guten Kopf kleiner, und Vala schaute mit einer Mischung aus Scham und Trotz auf den sehr viel älteren Mann herab.
    Es brauchte keine Worte, nur das Hervorzücken eines Beutels und das Abzählen von genau 20 goldenen Münzen um dem Vorarbeiter ein dreckiges Grinsen zu entlocken. Viele Worte mussten nicht gewechselt werden, der ältere Mann nickte zufrieden, machte kehrt und schrie beim Eintreten irgendwas in das Haus, das Vala nicht verstand, oder wegen dem "Barbarenbubi" nicht verstehen wollte.


    Vala entschied, dass es überflüssig war zu erwähnen, dass er das Haus am nächsten Tag verlassen vorfinden wollte, die Handwerker waren schließlich keine Verbrecher, sondern sich nur ihrer Rechte überaus bewusst. Waren sie eigentlich römische Bürger? Er wusste es nicht... er hatte sich für diese Leute nicht interessiert, solange sie ihre Arbeit gut gemacht hatten. Jetzt, wo sein Interesse für das Funktionieren des römischen Staates wuchs, fragte er sich, wie eigentlich die peregrine Bevölkerung, aus der auch seine Familie stammte, verwaltet und legalisiert wurde. Er würde sich darüber später noch Gedanken machen müssen.


    Dass das Haus am nächsten Tag auf allen Ebenen als quasi-Rache total verdreckt war, mit dem schlimmsten was Menschen sich so an Unrat einfallen lassen konnte, hatte er irgendwie schon erwartet, und dafür ein paar Sesterzen mehr investieren müssen, um das Haus vorzeigbar reinigen zu lassen. Am nächsten Tag würde es darum gehen, Mieter zu werben...

    Vala gab sich ob seiner dreisten Art absolut arglos. Was sollte der Mann auch mit den Armen voll mit Schriftrollen in dieser Runde gewollt haben? Die Reaktionen fielen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Von unterdrücktem Kichern über fassungslosem Staunen zu dezenter Anerkennung. Einen Reim konnte Vala sich auf keine machen, war aber leicht überrascht, als die ältere der beiden Frauen ihm erklärte, dass er soeben einen der geladenen Gäste ausgesperrt hatte.


    "Ach was?", zog er kritisch eine Augenbraue hoch, "Dieser Mann war geladen? Er sah nicht so aus, als wäre er gerade auf dem Weg zu einem gemütlichen Beisammensein, außer natürlich, er plante uns von den Steueraufkommen der Städte zu erzählen. Vielleicht wollte er sich ja nur wegen einer Unpässlichkeit entschuldigen."


    Seine Tante wollte der jüngeren Iunia... wie war sie noch genannt? Serrana... von ihrer Heimat erzählen. Vala fragte sich unweigerlich, ob sie damit das freie Germanien meinte, das römische, oder gar Britannien. Immerhin hatten sich seine Großtante und sein Großonkel nicht mit der Flucht ins Reich zufrieden gegeben, sondern sich so weit von der Grenze entfernt wie es ihnen möglich gewesen war. Dass ihr Leben dadurch nicht sicherer geworden war, hatten sie nicht lange darauf feststellen dürfen.


    "Und ist mit Livianus Decimus Livianus gemeint?", zog Vala seine Aufmerksamkeit zurück ins Jetzt-und-Gleich, "Ich habe vor einigen Tagen auf dem Forum eine öffentlich inszenierte Versöhnung zwischen ihm und einem Menschen namens... Germanicus Sedulus.. so hieß er... zwischen ihm und diesem Senator Germanicus Sedulus mitbekommen. Ich konnte leider nicht in Erfahrung bringen, warum die Versöhnung überhaupt angebracht war, vielleicht könnt ihr mir da weiterhelfen?"


    Währenddessen wurde das Essen aufgetischt, und als Vala erkannte, dass quasi NUR Gemüse und Brot aufgetischt wurden, kam er nicht umhin seiner Tante einen fragenden Blick zuzuwerfen. War das normal?
    Er musste sich eingestehen, sich noch garnicht mit den römischen Tischsitten beschäftigt zu haben.. ein Fauxpax, der sich dummerweise erst jetzt offenbahrte. Er entsann sich daran, wie hilflos seine komplette Sippe auf die römischen Gerichte auf der Hochzeit der Nichte seines Oheims mit seinem Vetter Witjon reagiert hatte. Er wartete einfach darauf, bis die anderen sich daran bedient hatten, und tat es ihnen nach. Wobei er sich vornehmlich an die Oliven hielt... sicher war sicher.

    Warmes, klares Wasser.
    Das Gefühl, dass sich in ihm ausbreitete als er dem Claudius in das Becken folgte, war unbeschreiblich, und für Vala vollkommen unbekannt. Zeit seines Lebens hatte das Wasser, in dem oder mit dem er gebadet hatte nie wärmer als gefühlte -30° gewesen, dementsprechend fühlte sich das hier jetzt an wie 200°. Er zog hörbar die Luft ein, und ging die Schritte in das Wasser sehr viel langsamer als seine beiden römischen Begleiter.


    "Bei Tyrs glühendem Stahl, ist das heiß!", fluchte er unweigerlich, und es dauerte gut zehn Minuten bis Vala sich insoweit akklimatisiert hatte. In den ersten Momenten rührte er sich garnicht, tauchte einmal unter und wartete, bis sich die brüllende Hitze um ihn herum in etwas erträglicheres verwandelte.
    "Angenehm?", fragte Vala prustend, als er wieder auftauchte, "Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl gekocht zu werden."


    Der Quintilier erkundigte sich daraufhin durch die Blume nach Valas barbarischem Aussehen, und er selbst musste beim Mustern seiner Begleiter feststellen, dass es da doch wirklich eklatante Unterschiede gab. Die Pax Romana, die Abwesenheit des Krieges im römischen Kernland schien seine Spuren zu hinterlassen. Wo Valas Körper eindeutig Zeugnis von den oft kriegerisch aufgeladenen Wirren des freien Germaniens trug, waren sowohl der Claudier als auch der Quintilier körperliche Zeugnisse der langen Friedenszeit, in der sich große Reichsteile befanden.
    Was Vala kurzum in Erklärungsnöte brachte. Bei sich zuhause wäre das wohl nicht aufgefallen, selbst Hänflinge wie Phelan und der friedfertige Witjon trugen Spuren des alles andere als stabilen Lebens eines Menschen in der Zwischenwelt.


    "Ein Hüne von einem Mann? Ich weiß nicht... falle ich so stark auf? Ich bin nicht viel größer als unser Claudius hier.", er deutete auf Lepidus, den Vala nicht einmal um einen halben Kopf überragte, "Wenn du auf die Haare anspielst: nicht alle bei uns sind strohblond und blauäugig. Und für einen Mann mit meinen Wurzeln sind meine Haare schon kurz gehalten, wenn du verstehst was ich meine. Aber lass es mich kurzum erklären: ja, meine Familie ist nicht die klassische römische Gens. Mein Großvater war der erste, der sich im römischen Reich niederließ, und sich das Bürgerrecht verdiente. Es folgten andere aus meiner Sippe, und mittlerweile sind fast alle in und um Mogontiacum sesshaft geworden."


    Vala sah den Mann mit arglosem Blick an, achtete aber sehr kritisch auf jede Regung. Wieso hatte er das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen? Lando hatte ihm davon erzählt, dass besonders alteingesessene Römer ein Problem mit Aufsteigern wie ihnen hatten, was teilweise bis zur militanten Ablehnung ging. Auch die Reaktionen im Haus der Decimi, die eigentlich durch Venusia schon an die Anwesenheit einer geborenen Germanin gewohnt sein sollten, waren alles andere als erbaulich. Er fragte sich, mit wieviel Widerstand er alleine seiner Herkunft wegen zu rechnen hatte...

    "Hmhmhm...", brummte Vala, als der Prudentier ihm nichts zu den Namen sagen konnte. Wie denn auch? Seine beiden Begleiter waren nach öffentlichen Maßstäben genauso wie er absolut unbedeutend, und es durften wohl genug Claudii wie Quintilii herumlaufen, die selbst nichts miteinander zu tun hatten. Daher hakte Vala das Thema ab, und sprang gleich auf ein neues an: "Sag... wenn du dich in Rom noch nicht wirklich gut auskennst, aber schon einiges gelernt hast, und dich daran versuchen willst, erste Schritte zu tun. Wo würdest du das tun?"

    "Die Freude ist ganz auf meiner Seite..", antwortete Vala mit einem ungewollt wölfischem Lächeln. Er musste sich zusammenreissen, wollte nicht den wilden Barbaren geben, den die Römer so gerne in Menschen seiner Herkunft sehen wollten, und doch war er nur ein Mann, der beim Anblick einer schönen Frau unterbewusst ebenso wie sehr bewusst typisch männlichen Jagdinstinkt entwickelte. Und doch gelang es ihm, den neutral-freundlichen Gesichtsausdruck zurück zu erobern.


    "Dann muss mein Dank also dir gelten, Iunia Narcissa, für die Einladung zu dieser Runde?", sprach er, als er sich setzen wollte, doch wurde bald unterbrochen, als ein Mann beladen mit einem Haufen Schriftstücken hinter der Tür stand. Ihm war wohl eine Schriftrolle runtergefallen, just genau vor dem Raum, in dem sie alle saßen.


    "Was für ein Zufall...", murmelte Vala, der sich sofort zur Tür begab, die Schriftrolle aufhob und sie dem Mann in die Arme legte, "Da habe ich wohl vergessen die Tür richtig zu schließen."
    Dass der Römer ihn einige Tage zuvor an der Porta der Casa wenig freundlich begrüßte, hatte Vala nicht vergessen. Allerdings war er nicht rachsüchtig, wenn auch alles andere als nicht nachtragend.
    "Frohes Schaffen noch.", verabschiedete er den Mann und schloss die Tür, ohne auf eine Antwort zu warten.


    "So, wo waren wir? Achja... danke für die Einladung, Iunia.", wiederholte er das vor der Störung gesagte, und ließ sich auf einer Kline nieder. Allerdings ohne sich wirklich hinzulegen, sondern benutzte sie eher als Bank. Eine der vielen Unpässlichkeiten, die die Heimat mit sich brachte.


    "Aber darf ich mir die Frage erlauben, warum wir überhaupt hier zusammen sitzen? Meine Tante hat mir bisher nicht viel mehr verraten, als dass dieses Treffen überhaupt stattfindet, und ich auch eingeladen bin. Ihr müsst entschuldigen, ich bin neugierig.", fragend blickte er die Frauen mit dezentem Schalk im Blick an, während er sich eine Olive griff und diese in seinem Mund warf, "Und bin ich der einzige geladene meines Geschlechtes? Dann kann ich verstehen, warum Venusia nicht mehr erzählte, wenn sie mich einer Überzahl an schönen Frauen ausliefern wollte."

    Vala zuckte die Schultern, hatte er sich gegenüber seinem claudischen Begleiter doch schon genug herausgenommen, in dem er ihn und sich selbst dem Fremden gegenüber vorgestellt hatte. Daher überließ er es diesem, das zu entscheiden, waren sie doch auch erst gerade dabei, sich näher kennen zu lernen.


    Er selbst hatte nichts dagegen, und sah den Claudius deswegen arglos an.

    "Natürlich, Senator.", erwiderte Vala auf die Aussage, jetzt wohl nicht die Möglichkeit zum Gespräch zu bekommen. Auf jeden Fall war das wenigstens eine klare Ansage.


    "Nein, ich strebe zur Zeit kein Amt an. Ich sehe mich dazu im Moment noch nicht in der Lage, und möchte erst den Kosmos Rom kennenlernen, bevor ich erste Schritte in ihm wage. Was auch der Grund ist, warum ich nun vor dir stehe. Aber ich will dich nicht weiter aufhalten, Tiberius. Darf ich dich in den nächsten Tagen vielleicht zur Salutatio aufsuchen?"

    "Nein, eigentlich nicht. Zumindest nicht in einer konkreten Sache.", antwortete Vala wahrheitsgemäß, "Aber vielleicht doch, Senator. Zumindest, wenn du einen Augenblick erübrigen könntest, um mir etwas über dich, Rom und den Staat zu erzählen. Vinicius Hungaricus war der Meinung, ich könnte einiges von dir lernen."


    Vala lächelte entschuldigend. Schon beim Aurelier hatte er gelernt, dass es wohl eher selten vorkam, dass sich jemand ohne konkrete Bitte bei einem wichtigen Mann vorstellte. Sollte er jetzt stolz darauf sein, eine Ausnahme darzustellen, oder sich einen Tor schelten, weil er die Zeit wichtiger Männer verschwendete?

    Vala hielt, wie ihm geheißen, die vom Straßenstaub dreckigen Füße in das Wasser. Die Wärme des Wassers war ihm irgendwie unheimlich. Daheim in Mogontiacum hatten sie zwar ein Bad, und sogar eine Badewanne, allerdings wurde die eher selten benutzt, und dann meist nur von den Frauen, die dieser Bequemlichkeit anscheinend deutlich mehr abgewinnen konnten als die Männer.
    Als sie also so ihre Füße reinigten, gesellte sich ein Mann zu ihnen, der sie auch unverblümt von der Seite ansprach, was dem Claudius, der es in seiner patrizischen Art wohl nicht gewohnt war, ohne vorherige Aufforderung angesprochen zu werden, zu missfallen schien. Vala sah das schon einiges unkomplizierter, waren ihm höfische Sitten doch nicht eigen, wenn auch nicht fremd.
    Das war der Grund, warum Vala dem Mann mit schmalem Lächeln zunickte, und sich offener zeigte als es seine claudische Begleitung tat: "Salve cives, dieser verschlossene Geselle hier ist Quintus Claudius Lepidus, meine Wenigkeit wird Titus Duccius Vala genannt. Auch wenn mein Freund es hier nicht zeigt, es ist uns eine Freude."


    Der Name des Mannes, bis auf den Gentilnamen, sagte ihm mal rein garnichts. Was auch kein Wunder war, immerhin kannte Vala hier absolut niemanden, und bis auf die großen Namen der Res Publica, die immer wieder in der Acta und den Archiven auftauchten war sein Namensgedächtnis noch nicht herausgefordert worden. Und selbst wenn... er brauchte Informanten. Dieser hier schien zumindest noch nichts großes vollbracht zu haben, aber was nicht war, konnte ja noch werden.