Mit einem leisen Fluch auf den Lippen machte Alrik sich sofort kampfbereit, um zu verteidigen was seiner Meinung nach ihm gehörte. Dieser komische weiße Hüne, verletzt wie er war, wäre trotzdem noch eine harte Nuss gewesen, aber Alrik vertraute da voll und ganz auf seinen Willen zu überleben. Und zu kämpfen.
Und doch war alles mit einer kurzen Handbewegung und einem Wort der alten Frau vorbei.
Alrik entspannte sich erst dann wieder, als Lando den Mann zur Mäßigung befahl, und musste feststellen, dass der Gehorsam, den diese Leute ihrem Anführer entgegenbrachten, ihm wahrscheinlich vollkommen abgehen würde. Auch wenn der Zorn noch in ihm loderte, wahrscheinlich hatte er es sich wirklich zu einfach vorgestellt. Die Zeit der ersten Anführer der Stämme waren nicht einmal eine Menschenzeit her, und in manchen Stämmen waren die Machtkämpfe zwischen den Sippen so groß, dass andere Stämme, die in dieser Sache weiter waren, ein leichtes hatten, diese Stämme anzugreifen und zu übernehmen. Genau wie es mit den Amsivariern geschehen war.
Er ließ sich mit den anderen nieder, nahm eine Schüssel von der Suppe entgegen, und ließ die Schelte der alten Seherin wortlos über sich ergehen. Ja, er wusste, dass das Leben im Reich nicht mit dem hier zu vergleichen war, und ja, er wusste auch, dass für seine Sippe mehr nötig war als die Bewährung im Kriege. Aber er hatte so lange gewartet. So oft hatte er neben seinem Vater in der Schlacht gestanden, so oft hatte er von den Leuten Wolfriks gehört, und warum es wichtig war, dass sie ihr Werk abseits der Sippe erfüllten. Und seine Mutter, wie sorgfältig hatte sie ihn das römische Wort gelehrt, die Sprache, die Kultur, die Erzählungen, alles was sie wusste? Sicherlich nicht, damit er den Rest seines Lebens damit verbrachte, sich zwischen die streitenden Stämme mit ihren ewig wiederkehrenden Machtansprüchen zu stellen, um letztendlich aufgerieben zu werden.
Jetzt begriff er, dass das, was sein Vater und seine Mutter hier geleistet haben, nur das Vorwerk war, um ihn auf das vorzubereiten, was da kommen würde: ein Leben im römischen Reich.
Sein Vater war es gewesen, der ihn von jung an darauf getrimmt hatte, und er war mit seinen Fragen, wann es denn so weit sein würde, immer wieder auf die gleiche Antwort gestoßen: wenn die Zeit reif wäre.
Dass sein Vater damit Modoroks Tod meinte, war Alrik immer klar gewesen, aber, dass er damit auch seinen eigenen meinen würde hingegen nicht.
Nun war Alrik zwar Waise, aber um kein Stück weiser, was seine Zukunft anging. Aber er verstand, dass der Grundstein für diese Zukunft gerade in den Händen des rothaarigen Cheruskers lag, und er keine andere Wahl hatte, als sich die nächste Zeit unterzuordnen, wenn er das erreichen wollte, was sein Vater ihm im vorletzten Atemzug (der letzte beinhaltete eine Ohrfeige) hatte schwören lassen.
"Ich werde meine Sippe nicht enttäuschen. Ich habe es meinem Vater gegenüber geschworen, und den Schwur werde ich dir gegenüber gerne wiederholen.", dazu erhob er sich, und blickte abwechselnd allen Anwesenden in die Augen, "Ich werde alles tun, um das zu erreichen, was unserer Sippe und dem Imperium zum Wohle gereicht. Feinde bekämpfen, Freunde schützen, die Sitten und Traditionen bewahren. Das Schicksal unserer Gens möge sich zum Guten wenden, gottgefällig und standhaft bis zum Tage der Gotterdammerung. Dies möge ich erfüllen. Im Streben wie im Sterben.", wiederholte er somit dies, was er seinem Vater schon geschworen hatte, und meinte es aufrichtig ernst. Sein Geist war beseelt von dem Verlangen, seinen Schwur zu erfüllen, möge dort kommen was möge.