"Den da?", fragte Vala, dem der stete Regen die Haare nass an den Kopf heftete, und deutete auf eine nahebeistehende Garbräterin der unter einem Vordach lustlos einen Salatkopf zerrupfte.
http://www.kulueke.net/pics/ir…pezielle/valahelfer02.png "Genau der..." , murrte Linus, ebenso nassgeregnet wie sein Schützling und nahm die letzten paar Schritte Kurz auf den Unterstand, auf welchem die Regentropfen zerplatzten und die Luft mit dem stumpfen Sonor ihres Ablebens erfüllten. Die Eingeweide dieser Regentropfen vermengten sich zu unblutigen Sturzbächen und verpassten all jenen, die unter das Abdach schlüpften noch eine letzte Ladung geballten Wassers. Die Hitze, die der kleine Ofen ausstrahlte reichte aus um den durchweichten Figuren sofort einen frostigen Schauer über den Rücken zu jagen, und schon fast automatisch rückten sie näher an die verruste Feuerstelle. Die Bude war wenig mehr als ein Bretterverhau in der Subura zwischen zwei Insulae, und bot mit der Einrichtung nicht einmal den Ansatz eines rustikalen Charmes. Weniger noch, sie glich dem Inbegriff an Funktionalität, nichts war hier ohne dass es einen bestimmten sofort greifbaren Nutzen erwies. Vala konnte sich kaum vorstellen, dass diese kleine unscheinbare Bude den aktuell umhergehenden Geheimtip ihres Genres darstellte. Und doch waren da die Zeichen, die das Äußere Lügen straften und auf das schließen ließen, was sie letztlich - nebst dem Regen - hergetrieben hatte. Der Regen hatte den Gestank der Stadt aus der Luft gewaschen und diese mit einem der typischen frühherbstlichen Nebel gefüllt, und die Gerüche der Garküche drängten umso stärker auf die Nasen der Schutzsuchenden ein. Vala roch Zimt, was er in einer solchen Bude im Leben nicht erwartet hätte, und einen Hauch von Safran, was ebenso unwahrscheinlich erschien.
Die gedrückte Stimmung konnten diese überraschenden Sinneseindrücke allerdings nicht überdecken, auf den Gesichtern der Köchin und der beiden außer Linus und seinem Schüler noch anwesenden Kunden war wenig mehr als die verdrießliche Alltagsstimmung der Gedankenlosigkeit zu erkennen.
"Der nächste...", quäkte die Köchin, die mit ihrer Leibesfülle einen Großteil der Küche ausfüllte und zwischen den Anrichten weniger wandeln als sich einfach nur drehen konnte, und hackte dabei ein Salatblatt mit durch ihre Gestalt lügen strafende schlafwandlerischer Grazie in Stücke, welche sie mit einem plump wirkenden, aber doch effektiven Wisch von der Platte kehrte um sie in ein mit allerlei Dingen gefülltes Brot zu geben.
"Ich glaube das wären wir..." , seufzte Linus, dem das restliche Wasser des Regens noch vom Kinn herabtropfte und den Dreck am Boden in Bewegung hielt, "...ich hätte gerne eine Fleischtasche, bitte."
"Mit Lamm oder Hähnchen?", quäkte die Frau zurück, die das fertige Gericht einem der beiden verbliebenen Kunden in die Hand drückte und sich sogleich daran machte mit ihren fettigen Fingern nach einem stumpf und verbraucht wirkenden Messer zu greifen.
"Mit Lamm, bitte." , antwortete Linus und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht, das in diesem Moment mit keinem Funken philosophischer Komplexität, sondern mit beiläufigem Gleichmut auf den Laib Brot blickte welchen die Köchin vom verkohlten Rand der Ofenöffnung nahm und diesen mit dem stumpfen Messer ohne große Mühe öffnete. Der Duft des frischen Brotes mischte sich unter die anderen, welche in der Garküche auf einen warteten und sich vehement gegen das stemmten was draußen auf einen wartete.
"Scharf?", fragte die Köchin ohne Linus anzublicken, war sie doch gerade dabei irgendwas in das noch dampfende Brot zu streichen, das Vala nicht genau identifizieren konnte, nachdem sie eine der beiden nahe der Ofenöffnung weilenden Pfannen auf erste gestellt hatte. Das Zeug in der Pfanne konnte Vala nicht genau ausmachen, aber es duftete ziemlich stark nach den teureren Gewürzen des Reichs.
"Ja, bitte." , antwortete Linus und warf seinem Schüler einen dieser Blicke zu die nur in einer wartenden Langeweile entstehen konnten. Da war kein tieferer Funken, keine Augenzwinkern... es war einfach nur der schlichte Blick den man austauschte wenn man gerade eben keine Gedanken zu kommunizieren hatte. Der bereits bediente Gast hatte sich von dannen gemacht, der einzige noch verbliebene schien in nichts bestellt zu haben. Er hielt sich an einem Becher fest und betrachtete Vala und Linus an den Tresen gelehnt mit beiläufigem und offensichtlich nicht ganz nüchternem Interesse. Seine blau-grau gestreifte Tunika hatte offensichtlich schon lange keine guten Tage mehr gesehen und wies zahlreiche Flecken auf, was die Gesamtoptik des Mannes, der aus leicht tranigen und stets müde wirkenden Augen in die Welt schaute, nur komplettierte. Erst nach längerem Blickkontakt wandte der Mann sich von Vala ab um fortan in die durch die vom Vordach stets abgehenden Sturzbäche durchzublicken.
"Der nächste...", quäkte die Frau wieder mit einer Stimme, die Widerspruch offensichtlich genauso wenig gewohnt war wie eloquente Variation, nachdem sie Linus seinen Schawarma in die Hand gedrückt hatte und einen Laib aus Teig plattklopfte um ihn wieder an den Herd zu legen.
"Eh... was gibt es denn?", fragte Vala, der sich die Frage nach einem Blick in das Zutatenaufkommen der Küche auch selbst hätte beantworten können.
"Fleischtaschen.", antwortete die Köchin ohne einen einzigen Blick auf ihren Kunden, packte sich eine Gurke schnitt diese mit einem nicht ganz so alt wirkenden Messer in atemberaubend schneller Geschwindigkeit in kleine Stücke.
"....und?", fragte Vala, der dennoch nicht glauben konnte, dass der Geheimtip der römischen Haute Cuisine nur ein einziges Gericht anbot.
"Mit Lamm oder Hähnchen. Und Scharf, wenn du willst.", nölte die Köchin weiterhin unbeeindruckt und schob die Gurkenstückchen in eine Schale mit anderen Gemüseteilen.
"Was ist Scharf?", fragte Vala ahnungs- und arglos.
"Scharf.", antwortete die Köchin ohne mit der Wimper zu zucken, wendete den flachen Laib Brot einmal und griff sich dann ein Stück Hühnchenfleisch um es ebenso fachgerecht, aber mit anderem Messer zu zerkleinern wie zuvor schon die Gurke.
"Oh... ahso... dann hätte ich gerne eine Fleischtasche.", üssierte Vala mit Blick auf den Becher des Mannes, "...und ich hätte gerne etwas zu trinken."
"Mit Lamm oder Huhn?", fragte die Frau, griff unter die Theke und stellte Vala einen Becher auf den Tresen, der sich nach dem ersten Schluck als mit Bier gefüllt herausstellte.
"Uh... ja.", antwortete Vala, und realisierte erst nach einem kurzen Räuspern seines Lehrers, dass die Köchin ihn verständnislos anstierte wie einen bockigen Jungen, "...öh... was war die Frage? Oh, ja... Lamm, bitte."
"Scharf?", fragte die Köchin während sie die Pfanne wieder auf den Ofen schob und das Brot öffnete.
"Öhm... nein... ja... doch... ja, bitte.", antwortete Vala einen Moment lang unsicher, da er nicht die geringste Ahnung hatte was damit nun eigentlich gemeint war, noch das Interieur der Garküche auch nur ansatzweise darauf schließen ließ, was einem hier geboten wurde. Es dauerte eine Weile bis auch ihm seine Mahlzeit kredenzt war, und als er zum ersten Mal in die mit allerlei komischen Sachen gefüllte Brottasche biss, toppte das die edlen Gerüche doch umso mehr. Es schmeckte verdammt gut, das musste Vala der Köchin lassen, doch als nach dem vierten Bissen das Scharf folgte, war ihm auch klar warum das Zeug so hieß... er, der er sowas nicht gewohnt war, hustete und prustete als sich sein Mund und sein Hals mit den Flammen des Geschmacks füllten, und verzweifelt kippte er das Bier in sich hinein.
"Hast du dich verschluckt, Junge?" , fragte Linus, ohne allzu beteiligt zu wirken, und vertilgte den letzten Rest seines Mahls.
"Neeee, der ist doch noch da.", gab sich zum ersten Mal der blau-grau-gestreifte Schweiger zu verstehen, wandte sich dann aber gleich wieder dem zu, was außerhalb der Garküche vor sich ging.
"Uff... das ist.... scharf...", fluchte Vala leise vor sich hin, deutete auf den Becher und ließ sich einen neu gefüllten hinstellen, "...verdammt scharf."
"Man gewöhnt sich dran.", meinte Linus beiläufig und leckte sich die fettigen Finger ab, bevor er sich einen neuen bestellte und Recht behielt: Vala gewöhnte sich dran, auch wenn er langsam und bedächtig aß und ganze vier Becher Bier für die Mahlzeit brauchte. Auch so ging das Zusammensein unter dem weiterhin vom Regen beharkten Abdach recht schweigend vor sich. Vala aß, Linus starrte nach draußen, ebenso wie der schweigsame Gast, und die Köchin wandte sich ihren eigenen Dingen zu.
"Diese Graffiti..." , meinte Vala plötzlich und deutete durch die Sturzbäche an die gegenüberliegende Wand einer Insula, an welcher ein großes und offensichtlich hastig gemaltes Graffiti befand, "...sind auch schonmal besser gewesen. Man könnte meinen, nach Dekaden hätten die römischen Graffitikünstler endlich mal dazugelernt."
"Warum sollten sie?", meinte der Grieche, der das Graffiti nur einen Moment lang betrachtet hatte, "Es gibt doch immer wieder neue. Es bleiben ja nicht diesselben."
"Die Künstler, oder die Graffiti?", meinte Vala.
"Fie Künftler..", meinte Linus inmitten eines Bissens.
"Aber es wird doch öde, irgendwann." , murrte der Germane und deutete mit dem Becher in Richtung der Wand, "Hier, die Linienführung, das Motiv alleine... immer das gleiche, ich habe das schon tausendmal gesehen. Und schon hunderte Male besser... viel besser."
"Das mag sein...", zuckte Linus mit den Schultern, "..aber was erwartest du? Dass jeder neue Graffitikünstler besser ist als der davor? Und seit wann bist du Kunstkritiker?"
"Könnte man das nicht? Ich meine, was ist der Sinn darin das zu malen was schon tausendemale davor gemalt wurde? Und schon besser gemalt wurde?" , widersprach Vala.
"Wahrscheinlich würde es den Menschen nicht gerecht...", paraphrasierte Linus altherrengleich.
"Du meinst sie können es nicht?" , wandte Vala abfällig ein.
"Oder wollen es nicht. Beides kommt auf's gleiche hinaus... für diesen Graffitikünstler war dies Bildnis dort unter den Umständen unter welchen er es gemalt hat entweder das Beste oder Möglichste. Das Ergebnis ist für uns doch das gleiche...", sprach Linus nachdem er den Rest seiner Mahlzeit vertilgt hatte und sich ebenfalls die Finger vom Fett befreite.
"Das sind düstere Aussichten für die Zukunft!" , prophezeite Vala und stellte den Becher ab.
"Naja, es gibt schon immer wieder solche, die es besser machen... oder besser können... oder besser wollen. Straft das den Rest nichtig?", erwiderte Linus und horchte in Richtung des über ihnen liegenden Holzdachs: "Hör zu... der Regen schwindet."
"Doch, ja... nein, nicht... und doch..." , zeigte Vala sich zweifelnd, "...das bedeutet, ich muss ein Heer an mittelmäßiger Kunst erleiden um mich an den wenigen guten Werken zu erfreuen?"
"Neee... das bedeutet, ob es sowas wie schlechte und gute Kunst überhaupt gibt.", wandte Linus ab, leerte seinen Becher und zahlte bei einer Köchin, die der Diskussion kein Ohr zu schenken schien.
"Natürlich gibt es das... und die Masse der schlechten macht einem nicht gerade Mut..." , ächzte Linus und warf einen Blick auf das hinter dem schwindenden Sturzbach vom Dach nun klarer erscheinende Bildnis, das offensichtlich einen schlecht gezweichneten Mann mit Eselskopf und winzigem Gemächt zeigte.
"Weil du dich dadurch entmutigen lässt, junger Padawan." , zeigte sich der Grieche philosophisch, "Und in all dem schlechten, das du siehst, schlummert doch Gold... hättest du eine derart gute Mahlzeit in so einer Bude vermutet?"
"Wenn du das meinst.", murrte Vala und schritt voraus, hielt kurz darauf einen Moment inne und fluchte mit Blick auf seine Schuhsohle lauthals auf: "So eine gottverdammte... ich bin in Scheisse getreten!"
Wieder zeigte Linus sich unbeeindruckt und schritt voran: "Auch die, Junge, wird sich ablaufen."
...
Eine Weile lang blickte der stumme Gast den beiden anderen hinterher, mit den immernoch halbverschlafenen Augen und abwesenden Blick, das Bier immernoch in der Hand haltend, bis er schließlich vor sich hinmurmelte: "Das war nun etwas arg plakativ."
"Kann ja nicht jeder so sein wie du...", murrte die Köchin ohne von ihrer Arbeit aufzusehen und klopfte einen Brotteig flach als sie einen neuen Kunden kommen sah.