Beiträge von Artomaglos

    Semmelriss sah nicht so aus, als ob sie auch nur irgendetwas mitbekam, was ihr Artomaglos mit größter Mühe verständlich machen wollte. Dabei machte sich der Alpländer so viel Mühe, sich verständlich zu machen.
    Doch irgendwann schnallte es. Er musste sich jetzt wohl wirklich darauf verlegen, mit der Semmel (so war es kürzer) zu reden wie ein Kleinkind. Na gut, machte er das eben. Er war halt ein Kavalier.
    Er seufzte, als sie ihn nachäffte. Das war wieder nötig! Streng blickte er sie an, doch er erwiederte nichts. Artomaglos war einfach nur glücklich, dass Semmel ihn verstanden. Jessas, endlich schnoit’s da, Blitzkneisserin! Homma a Hirnverstopfung ghobt, oda wous? Offenbar war dies der Fall.
    Artomaglos nickte also nur zur Bestätigung. „Bis muargn.“, brachte er hervor und betrachtete sie, wie sie hinwegschritt. Im Gegensatz zu ihr hatte der Noriker ganz und gar nichts dagegen, die Syrerin länger als nötig anzuschauen. Schlechta hätt i’s aa dawisch’n kennen. Waunn der Remer mi mit aner schiachen Rotzn gschickt hätt. Oba, bei Epona, des is scho a fesche Kotz!
    Er lächelte befriedigt und drehte sich um. Auch er brauchte jetzt eine Mütze Schlaf.

    Artomaglos sah die junge Frau vor ihm verwundert an. Semmelramsch hieß sie doch, oder? Nein, Semmelriss. Genau, jetzt erinnerte er sich wieder. Na göh, da schauts! Allerdings schien sie kein heller Kopf zu sein, sein perfekt ausgesprochenes Latein verstand sie gar nicht. Er starrte verwundert zurück, als sie ihn anstarrte.
    „Sog amoi! I red so, wie i red. Und des is guat so!”, rief er entrüsted aus, bevor er die Augen verrollte und begann, ganz langsam zu sprechen, wie man zu einem begriffstutzigen Kind redet.
    „Mor-gen... fah-ren. Sonnenauf-gaaang. Kutsch-ä. Hinter-hooof.“, formulierte er langsam und bedächtig. „Nach Germaaaaanien.“, setzte er hinzu. Damit war das Wichtigste mitgeteilt. „Eh kloa, oda?“ Fragend blickte er sie an, aber innerlich war er eigentlich ganz happy. Die Alpen wieder sehen! Wie schön! Den Flug des Adlers betrachten, die Bergpässe erklimmen... nur waren dies die rätischen Alpen, durch die sie gehen würden, nicht die norischen, was dumm war. Doch Artomaglos würde nicht zurückwollen in seine Heimat. Er war dort ein Mörder, und sie würden ihn sofort wieder nach Rom schicken. Oder ihm gleich die Rübe abhauen.
    Ach ja, da war noch etwas. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, aber er wollte es trotzdem erwähnen. „Ach, jou. Pac-ken. Dei-ne Sa-chen. Pac-ken. Bis mor-gen. Waaaaarm anziehääään. Hoit woam aunziang!“, schloss er auf gut Norisch und blickte zufrieden daher, dass er soviel auf römischen Latein hergebracht hatte. Kein Zweifel überkam ihn, dass Semmelriss ihn verstanden hatte.
    „Dann gemma... ge-hen wir... glei-ch am Moaaa... Mor-gen.“ Wie er das Wort hasste, er könnte es würgen und verdreschen. Immerhin, er hatte nun gesagt, was er zu sagen hatte, den Rest würde er ihr schon auf der langen Fahrt verständlich machen. Zumindest hoffte er, es würde ihm gelingen. Jo, Herrschaftszeiten, die musste ihn doch irgendwann einmal verstehen!

    Artomaglos war nicht so blöd, wie er ausschaute. Er hatte gelernt, wenn die Römer eines nicht verknusen können, die Nudelaugen, dann ist es, ihnen nicht zuzuhören. Und so hatte er hingehört. Germanien. Pah. Er hasste Germanen. Wieso, könnte er selber nicht erklären. Es war eine Sache, die tief in ihm eingepflanzt war. Von seinem Vater her. Von seinem Großvater. Er hasste diese Germanen.
    Und musste er zu denen! Es war ganz unsäglich. Er bemühte sich darum, keine Hackfresse zu ziehen, als ihm der dämliche Flavier eröffnete, was er Semiramis und Artomaglos zugedacht hatte. Erst, als er durch die Tür schritt und jene, nachdem Semiramis das Zimmer verlassen hatte, war es sicher für ihn, seine Gefühle herauszulassen. Doch bevor er mit seiner Faust frustriert an die Wand boxen konnte (was vermutlich einen Mordsschmutter hinterlassen hätte) wurde er von Semiramis angesprochen.
    Er holte tief Luft, als wollte er sie umblasen, dann begann ein Wortschwall in unverkennbar norischen Akzent auf die Arme niederzupurzeln. „Jo, hom’s den ins Hirn g’schissen? Echt, na, des gibt’s jo net! Noch Germaunien... Germaunien! Wos fiar a Oaschkappelmuster!“, fluchte er vor sich hin. „Oiso, des Mogontidingsbums is in Germaunien, irgendwo dou oum in da Kötn! Und a Sägewerk sui ma’n kaufen! Jo, bei Epona, is des zum Glaum?“ Sein Blick strahlte Grimmigkeit aus. „So a Schaß! Jetza kemma uns die Hintern obfriern, nur weil der... i glaub’s net.“ Artomaglos echauffierte sich ganz gewaltig über den Flavier. „Oiso. Er wü, doss ma noch Germaunien foarn. Du und i. Und iam a so a bleds Huizdings kaufn. Und daunn wieder zruckkummen. Kloa?“, fragte er zum Abschluss, nicht ernsthaft denkend, dass jetzt noch irgendwas nicht klar sein könnte.
    Er blickte Semiramis noch ein paar Sekunden an, dann ließ er seine Schultern sacken. „Ah geh. Hot eh kan Wert. Pock deine Sochn. Murng pock‘ ma’s.“, verkündete er, mit einer gewissen Düsterkeit in seiner Stimme. „I wer daunn no a Göd vom Antiochos huin. Und die Kutsch’n herricht’n. Muarng am Sonnenaufgong treff’ ma uns im Hinterhof. Eh kloa, oda?“

    Antiochos trat unsicheren Schrittes zu Artomaglos hin. Seine Fesseln waren noch immer nicht gelöst worden. Er hatte ncihts anderes erwartet. Es war ihm immer so ergangen bei Sklavenkäufen. Dies hier war nichts anderes, er hatte sich nicht geweigert.
    Ein paar Schritte gingen er und Artomaglos schweigend. Dann wagte es Antiochos, sich an den Muskelberg neben sich zu wenden.
    Aus Noricum bist du?“, fragte er auf keltisch.
    Erstaunt blickte Artomaglos zurück. Du kannst also wirklich keltisch?“, fragte er erstaunt. Das gibt es doch nicht!“
    Doch. Ich lernte es von einem Mitsklaven. Ein Vindeliker.
    Ah, ein Vindeliker.“ Artomaglos lächelte ganz kurz, niemals hätte man vermutet, dass der zumeist mies gelaunte Mann das könnte. Ich kenne auch jemanden von denen. Aus Castra Regina.
    Ah, mein Bekannter ist aus Augusta Vindelicorum. Er hieß Llwyd.“
    Wirklich? Ein Vetter von mir heißt so!“, entfuhr es Artomaglos.
    Möge er sich bester Gesundheit erfreuen, bei Apoll! Ist er Sklave?“
    Nein, er ist frei. Ich bin frei geboren.“
    Echt? Wie denn das? Freiheit, meine ich?“
    Antiochos und Artomaglos vertieften sich immer mehr in ihr keltisches Gespräch. Antiochos konnte echt gut keltisch, wie es Artomaglos feststellen musste. Sie begannen, über ihre Heimat zu reden. Obwohl Antiochos noch nie in Kreta gewesen war, konnte er seine Insel dem Kelten so gut beschreiben, dass es dem muskulösen Noriker so vorkam, als ob er selber dort schon gewesen war. Er bemühte sich um eine ebenso schöne Beschreibung seiner Heimat, was ihm auch gelang, zumindest glänzten Antiochos‘ Augen auf, und er versicherte ihm, dass er das unbeidngt einmal anschauen wolle, wenn er einmal frei wäre.
    Bist du eigentlich schon lange Sklave beim Spinner?“
    Artomaglos grinste. Nein. Erst seit ein paar Monaten.“
    Na ja, lange genug, um verrückt zu werden.“
    Sicher, deshalb bin ich auch so.“, meinte Artomaglos und blickte Antiochos mit einem Mal mit wutentbrannten Augen an. Antiochos zuckte entsetzte zurück. Daraufhin wandelte sich Artomaglos‘ Blick, und er begann laut zu lachen. Antiochos begann auch zuerst mit einem schüchternen Lächeln, bevor er dann auch begann, mit ihm übereinzustimmen.
    Sie redeten noch eine Weile über Piso und die Flavier an sich, bevor sie in der Villa ankamen.
    Dort zeigte Artomaglos Antiochos herum. Der dürre Grieche würde auf der Pritsche neben dem massigen Kelten schlafen. Das Bad wurde besucht, wo Antiochos fast einen Herzkoller bekam, weil das Wasser so kalt war, was er dann aber ertrug wie ein Mann, was Artomaglos durchaus imponierte.
    Und vor allem – zu keinen Zeitpunkt behandelte Antiochos Artomaglos wie einen Dummkopf, und nie ließ Artomaglos sich anmerken, dass er Antiochos für einen Schwächling halten würde. Mit einem warmen, männlichen Händedruck wünschten sich die beiden am Ende des Tages eine gute Nacht und gingen zu Bett. Zu einer vernünftigen Tageszeit, während der ihr Herr noch beschäftigt war damit, sich im Zimmer vollzugießen. Um dann, irgendwann um 2 Uhr, zu alles auszureihern. Und im Bett eher das Bewusstsein zu verlieren, als einzuschlafen.

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    Der Kerl war wohl wieder einmal nur darauf aus, ihn runterzuziehen. Antiochos, gewitztigt durch Erfahrung, wusste, dass in solchen Fällen Widerstand sinnlos war. Er beließ es deshalb nur bei gesten – dann und wann schüttelte er den Kopf, und hie und da nickte er. Er war natürlich kein Adeliger. Das konnte man sehen, sogar gut. Er war noch niemals auf Kreta gewesen, geboren worden war er in Patavium. Seine Eltern waren aber von dort, und sie hatten ihm soviel von der alten Heimat erzählt, dass er fast meinen möchte, da gewesen zu sein. Irgendwann... Er betrachtete es als seine Heimat, in seinem Kopf nahm Kreta die Position des Paradieses auf Erden ein.
    Er verkniff sich also Kommentare. Als der Flavier mit seiner Abstammung prahlte, nickte Antiochos nur, als ob gerade eine Vermutung von ihm bestätigt worden war. „Ja, Herr. Danke, Herr.“, meinte er auf die pisonischen Bemerkungen, die seine Hirnkapazität angingen. Obwohl, die Bezeichnung Bürschchen mochte er nciht. Er konnte ja fast schon der Vater des Römers vor ihm sein! Er räusperte sich deswegen nur.
    „Herr, ich habe das Glück, dass niemand mir dies nachsagt.“, meinte Antiochos bescheiden, als der Flavier sagte, er wäre nicht dumm. „Nein, ich bin kein Mann der Muskeln, wie du es richtig erkannt hast. Ich bin Schreiber. Sekretär. Etwas für den Schreibtisch. Ein Bürohengst.“, gab er freimütig zu. „Krankheiten habe ich keine, allerdings habe ich... keine sehr guten Knochen. Ich habe oft Rückenschmerzen. Aber das heißt nicht, dass ich nutzlos wäre, ich kann einfach keine großen Lasten schleppen!“, beeilte er sich zu sagen, denn wer wusste schon, was der Römer mit Sklaven machen würde, die er als unnütz betrachtet.
    Er erwiderte auf Pisos leicht seltsame Ansage, was das Gedächntnis anging, nur: „Ja, Herr, verstehe.“ Er verstand eigentlich nciht ganz recht. Aber er hatte so das Gefühl, er würde verstehen, wenn er diesen Römer erst einmal richtig kennen gelernt hatte.

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    Als der Römer den Grobianen das Geld aushändigte, verschwanden die beiden komplett und ließen Antiochos, noch immer mit den Handfesseln, bei seinem neuen Herrn zurück. Vorsichtig taxierte der Grieche Piso. Es war ein Mann mit durchaus aristokratischen Zügen, hoch gewachsen, mit dunklen Haaren, wie man sich eben einen Patrizier vorstellt. Antiochos fühlte sich gemustert. Und dann wurde er gefragt.
    Die Fragenreihe, die aus dem Mund des Flaviers kam, war so schnell, dass er gar nicht damit nachkam, sie alle zu beantworten. Deshalb schwieg er wärend der Tirade und wartete einfach nur darauf, dass er einmal zu Wort kommen würde.
    Bald war es soweit. Antiochos blickte auf, wagte es jedoch nicht, dem Römer direkt in die Augen zu blicken. „Ja, Herr.“, sagte er kleinlaut. Seine Stimme klang leicht heiser. Man hätte vermuten können, dass er einen Husten hätte, doch hatte sie schon immer so geklungen. Es war einfach seine Stimme.
    „Mein Name ist Antiochos von Knossos, Herr.“, bestätigte er. Er wagte es nicht, provokativ zu wagen, was, wenn nicht. Dazu hatte er zu wenig Mumm, der arme alte Antiochos.
    „Ich kann Sprachen, das stimmt. Ich beherrsche Latein, wie du siehst, und Griechisch. Sowohl das dorische wie auch das attische, und selbstverständlich Koine-Griechisch. Außerdem kann ich etwas Thrakisch, Keltisch, Ägyptisch, Punisch und Phrygisch. Etwas vom Parthischen außerdem. Schreiben kann ich in all diesen Sprachen.“ Die Brocken der anderen Sprachen, die er konnte, erwähnte er gar nicht. Er fand es dies nicht wert. „Und ich kann rechnen, ja. Und man sagt mir allgemein nach, dass ich ein gutes Gedächntnis habe... ich habe mir viel gemerkt in meinem Leben, Herr.“, sagte er demütig, denn nur so konnte man Leuten wie Piso beikommen.

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    Antiochos von Knossos sah Gesichter. Es war nicht das erste Mal, dass er so viele Gesichter vor sich sah. Er hatte schon einige Versteigerungen hinter sich. Seine erste Erinnerung, aus seinem vierten Lebensjahr, war eine Versteigerung. Es war jene, bei der er von seinem Vater getrennt wurde. Ein Kreter aus der Nähe von Knossos, die Stadt, welche Antiochos, trotz seines Sklaventums, gerne im Namen führte. Sein Vater war nach Carthago gekommen, er zusammen mit seiner Mutter nach Mediolanum. Nächtelang hatte er geweint um den Verlust seines Vaters. Er erholte sich jedoch, und begann eine gründliche Ausbildung von griechischen Mitsklaven. Jedoch ging sein Herr in Mediolanum bankrott, und er wurde abermals verkauft. Dieses Mal war er 12, und wurde von siener Mutter getrennt. Er kam nach Misenum, sie nach Gallien. Abermals flossen viele Tränen sein kretisches Gesicht hinunter, als er nach Süditalien transportiert wurde.
    Jahre später hatte er erfahren, dass sein Vater in einem Bergwerk ums Leben gekommen war, und seine Mutter der Ruhr erlegen war. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte Antiochos viel zu viel geweint, um noch weitere Tränen aus sich herausdrücken zu können.
    Er wurde von Misenum nach Rom verkauft. Und nun, nach dem Tod seiner Herrin, einer alten Plebejerin, wurde ervon ihren Erben veräußert. Er war nicht mehr der junge Mann, der er einst gewesen war. Aber seine Augen waren noch scharf wie eh und je, und er konnte Lesen, Schrieben und Rechnen wie nur wenige andere, die er kannte.
    Und genau diese Attribute warb auch der Sklavenhändler an, als er Antiochos versteigerte. Ahenobarbus beschrieb mit einem schmierigen Grinsen seine Intelligenz und sein Wissen, er wäre wie eine Mischung zwischen wandelndem Lexikon und Abakus. Antiochos hielt nciht viel drauf. Solange man ihn nie wieder versteigern würde.
    Festen Blickes sah er in die menschenmenge und hörte, wie die Preise in die Höhe schnellten. 300 war das Startgebot. Es ging aber aufwärts. 400. 600. 850. 1000. 1500. 1800. 1950. 2050.
    Die Angebote wurden weniger und kamen langsamer. Viele hatten nun schon eine Schmerzgrenze erreicht. Fast hätte der alte Sack, der 2050 geboten hätte, Antiochos bekommen. Fast. Denn ein junger Patrizier hob die Hand. „2141!“, rief er. So krumm wie die Zahl war, musste das alles sein, was er in der Geldtasche hatte. Der Fettsack grinste. „2150!“, Jetzt müsste er Antiochos haben. Doch der patrizier ließ sich nicht beirren. „2216!“, rief er. Der Alte drehte sich um, starrte den jungen Römer fassungslos an, schüttelte den Kopf und ließ es dabei bewenden.
    „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten! Verkauft an den jungen Herren in der blauen Tunika!“ Antiochos fühlte sich gepackt und heruntergezerrt von der Tribüne. Die beiden Grobiane, die dafür verantwortlich waren, schleiften den Griechen zum Patrizier hin. Dort stellten sie sich vor ihm auf. Einer streckte gierig die Hand in die Richtung des jungen Mannes aus.

    Sim-Off:

    PS: Noubel da Wöt = Nabel der Welt ;)
    Ich entschuldige mich für die Verspätung, ich habe den Thread komplett verschwitzt. :(


    Der Knabe schien leicht eingeschüchtert zu sein, als Artomaglos mit einer gewissen Wut im Bauch sich ihm näherte. Doch nach außen hin zeigte er sie nicht. Artomaglos wusste sehr gut, dass Mica hier geblieben war zum Helfen, doch Artomaglos war sich auch des Umstandes bewusst, dass er nicht hier geblieben wäre, wenn er nicht Artomaglos Muskeln gesehen hätte. Vor einem starken kerl hatte man immer Respekt, selbst wenn dieser Stroh im Hirn hatte.
    Erstaunlicherweise jedoch schien Mica das meiste, was der Noriker sagt, zu verstehen. Artomaglos sah darum um so weniger einen Grund, sich darum zu bemühen, verständlich zu reden. Als ob er sich jemals Mühe machen würde, könnte ein informierter Zuseher einwerfen. Nun gut, dann soll dieser Satz korrigiert werden. Artomaglos gab sich noch viel weniger Mühe als sonst, verständlich zu sein.
    „Douch! Des sougt olles!“, sagte Artomaglos nur. „Egoi, ob du da deppertste Födoabeiter bist, oder der gscheiteste Medicus, waunns’d a Sklov bist, kaunnst jederzeit zu Toud peitscht wern! Dou gibt’s nix, des mouchn’s zack-zack, waunns’d wous foisch mouchst!“, knödelte er in seinem heimatlichen Dialekt den glücklosen Mica an. Und, wie schon sehr richtig vom Knaben beobachtet, vertraute Artomaglos in solchen Streitgesprächen immer sehr auf seine physikalische Ausstrahlung, um einen Menschen zur Räson, id est, zu seinem Standpunkt zu bringen.
    „Schrubb!“, befahl Artomaglos also rüber und ging zu seinem Mopp, um weiter sauber zu machen.
    Kraftvoll auf und ab ließ er ihn gleiten. Das war ein Gefühl! Der Geruch der Katzenpisse schwand langsam. Artomaglos war leicht ins Schwitzen gekommen, aber er machte Fortschritte. Fast schon wäre hätte seine Laune sich wieder gebessert, da machte Mica wieder eine von seinen Bemerkungen. Sauer blickte er auf. „Oiso! Bua!“, grantelte er rüber. „I bin dou da Erwochsene! Und wous i soug, des gült dou im Goaten! Und i soug: Du gehst nit!“ Bei seinen drei letzten Worten wäre er fast schon ins Kieksen geraten, so ungehalten war er. Er ließ sich wieder hinsacken, warf einen Blick auf den, wie er fand, arbeitsscheuen Burschen, und schrubbte weiter.
    Nach einer Weile blickte er wieder auf. „Kummst voraun?“, fragte er laut.

    Artomaglos hatte alles, was er jemals gelernt hatte, vor seinem 10. Lebensjahr absorbiert. Wie man Getreide drosch, wie man das feld bestellte, wie man einen Boden abschrubbte. Das harte Leben am Bauernhof jedoch hatte jeglichen Wissensdurst aus ihm herausgequetscht. Nie hatte man ihm angeboten, lesen zu lernen, nie hatte es ihm danach verlangt. Er hielt sich selber für unzulänglich, und so unrecht hatte er damit gar nicht. Er fand, Lesen und Schreiben sei etwas für die „G’scherten“ aus der Stadt, für einen Bauern ganz und gar zweckundienlich. Die Zeit, die aufgebracht werden musste, um zu lernen, Zeilen zu entziffern, konnten besser damit verbracht werden, Geräte wie Pflüge oder Dreschflegel zu warten, oder über die Getreidefelder zu gehen, um sie nach Mutterkorn und sonstigem Unkraut zu durchforsten. Als Sklave wurde er ständig herumgescheucht, er hatte auch hier kaum je Freizeit. Er missgönnte dem kleinen Pimpf hier die Mussezeit, welche er anscheinend in Hülle und Fülle hatte. Man sehe nur auf den jungen Phoebus, den Artomaglos irgendwie ins Herz geschlossen hatte. Er verbrachte Jahr und Tag damit, vorm Tor zu stehen und Gäste herumzugeleiten, anfällig auch schweres Gepäck zu schleppen.


    Und was tat der junge Sklave der Agrippina? Den Herrn spielen. Er kam sich, nach ein bisschen sehr, sehr ineffektiven Schrubbens, wohl schon zu gut dafür vor, noch in irgendeiner Form Arbeit zu erledigen.
    Ein defianter Ausdruck widerspeigelte sich in seinen Augen. Er hatte verstanden, was Artomaglos sagte, auch wenn es ihm schwer gefallen war. Die Worte hatte er richtig interpretiert, und darob war er sichtlich aufgebracht. Fast konnte man meinen, Mica würde seinen Mundgeruch riechen. Trotz des Gestankes, der sie umgab. Und das war auch gut so. Es war der Geruch eines mannes, der nur noch mehr Pampe aß. Es war der Geruch eines Kerls, der von Früh bis Spät hackelte. Einer, der nie und nimmer ein Faulpelz sein konnte.
    Vom Geruch ließ der Kleine sich aber nicht einschüchtern, und er fuhr Artomaglos an. Mit erstauntem Blick sah Artomaglos auf den Knaben herunter, welcher dachte, er könne ihn herunterputzen. Artomaglos kniff seine Augen zusammen, als Mica nun seinerseits Artomaglos jegliches Können absprach, und als Krönung seine Aktivitäten, und dann auch noch ihn selbst, als dumm bezeichnete. Artomaglos Mund öffnete sich langsam, als ob er etwas sagen wollte, jedoch entfloh seiner Kehle kein Laut. Auf seinem Gesicht widerspiegelte sich zuerst Entsetzen, dann vielmehr Säuerlichkeit. Er war beleidigt worden, und dies würde der stolze bauerssohn sicher nicht auf sich sitzen lassen.
    Er setzte sich geschwind auf, ein Schritt war schnell auf Mica hingemacht, welcher in irgendeine Richtung hinstarrte. „He.“, so startete Artomaglos, sicher nicht eloquent, aber aufgrund von donnernder Stimme relativ effektiv. „Du... kloaner, arroganter Säckel.“ Er schüttelte den Kopf. „Glaubst, du bist wous besseres, ha? I bin dumm, sougst. Moug sein, dass i dumm bin. Ouba du? Wous kaunnst? Lesen kaunn er. Schreiben kaunn er.“ Er lachte heiser.


    „I soug da wous. Huarch zua.“ Er beugte sich zu ihm herunter. „I soug da ans. Oub aner schreim ouder lesen kaunn, sougt goa nix aus. Woschen, putzen, des kaunnst net ausstehen. Ouba die wichtigen, lebenswichtigen Dinge, die kaunnst net. Koumplett unsöbstständig. Soug, kaunnst eigentlich scheißen oune Hüfe?“ Direkt und forsch drückte er sich aus, er war es gewohnt, so zu reden. „Du vagroubst di do in deinen Biachern. Du losst niemaunden aun di zubi. Du versumperst in deiner eigenen kloanen Wöt. Und waunn jemaund versuacht, mit dir zu...“ Er rang nach dem komplizierten Fremdwort, „interagieren, nennst ihn dumm. Und wertlos. Und unnitz. Glaubst, du bist da Noubel von da Wöt? Na, Persch, sicha net.“ Zorn umwölkte seine Stirn. „Du kospelst di ein, du denkst, du bist sou iba ollem aunderen erhoben!“ Er schnaubte aus. „Egol wous du glaubst, i soug da, DU bist dumm, wenn du sou denkst. Du bist a Sklov, so wia mir olle.“

    Große Begeisterung hatte Artomaglos nie mit seinen Putzutensilien auszulösen erwartet. Und, um es ehrlich und brutal auszudrücken, es bekümmerte ihn nicht ein kleines bisschen, dass seine Präsenz dem Kleinen Respekt einflösste. Auf seine Aussage, das es sich dabei gar nicht um seine Katzen handelte, lächelte er nur. „Waaßt, wos mir des is?“, fragte er mit freundlicher Stimme. „Blunzen.“, wurde jedoch deplorablerweise ungnädig hinzugefügt. Er blickte auf Mica mit einer gewissen Strenge, die fast schon väterlich anmutete. „I muass hier allanig putzen. Du muasst nix tuan. Oiso.“ Nicht sehr detailliert war seine Ausführung.
    In Artomaglos‘ Kopf war nämlich nur eine Sache, und zwar der Wunsch, den Katzenpissengeruch so schnell wie möglich zu bereinigen. Er war kein intellektueller im echten Sinne. Er hatte noch nie von Hippokrates gehört, und er kannte Aristoteles nur als mythischen Helden (hatte ihm doch einmal ein Händler eine schreckenserregend falsche Version der Illias erzählt, in der die Namen Achilles, Agamemmnon und Odysseus zu Aristoteles, Augustus und Ödipus verkommen waren). Davon abgesehen, konnte Artomaglos auch nicht lesen. Und er atte es, verflucht nochmal, auch nicht vor, dies jemals zu lernen. Lernen war eine Drecksarbeit. Er fühlte sich wohl dabei, althergebrachte Formen des Schaffens beizubehalten. In seiner Heimat waren seine Vorfahren vor der römsichen Version ohne Schreiben ausgekommen. Um ehrlich zu sein, auch nachher. Der einzige in seiner Familie, der Lesen und Schreiben konnte, war einer seiner Vetter, welchem es auch oblag, hie und da nach Flavia Solva zu fahren, um dort die Angelegenheiten von Artomaglos‘ Sippe zu regeln.
    Also stand Artomaglos intellektuellen Bestrebungen nicht sehr aufgeschlossen gegenüber. Er dachte, dass etwas gut genug für ihn war, wenn es gut genug für seine Vorfahren gewesen war. Seine Vorfahren hatten keinen Vergil gebraucht, sie waren gut mit der Fähigkeit, Feuer zu amchen, über die Runden gekommen. Seine Vorfahren waren ohne Kenntnis von Namen wie Aenaeas, Dido, Romulus und Remus glücklich geworden. Seine Vorfahren hatten die Römer nicht gebraucht. Und aus diesem Grund brauchte auch Artomaglos das nicht.
    Er verzog also nur seine Lippen, als der Knabe einwendete, dass er lernen müsste. „Jo, auf jeden Foi. Lernen zum Putzen muasst. Oiso.“, meinte er und grinste froh, als Mica schließlich seine Hilfe anbot und dann auch den Wischmopp nahm. Der Versuch des Jungen, irgendwohin zu zeigen, war Artomaglos entgangen, sodass das Geheimnis von Micas geheimen Plätzchen nicht gelüftet wurde. Befriedigt blickte Artomaglos auf den Kleinen mit dem Mopp in der Hand. Ein bisschen hilflos stellte er sich an, als ob er noch niemals etwas geputzt hätte. Seine Augen folgten ihm, als Mica sich in die Richtung des Wassereimers in Bewegung setzte. Konnte man sich ungeschickt dabei anstellen, einem Wischmopp in einen Eimer hineinzutauchen? Mica schaffte dies auf jeden Fall. Der verwirrte Blick, den er nachher Artomaglos zuwarf, trug zu seiner inneren Belustigung bei. Doch er nickte ihm nur zu und deutete auf den boden. Woraufhin der Kleine auf in die Knie ging und zu putzen anfing. Ganz bedächtig, sachte, als ob er den Urin studieren wollte, statt ihn wegzuwischen, begann er zu bürsten.
    Auch Artomaglos setzte sich auf einen schon geschrubbten Platz und begann zu putzen. Rund um sich. Der Gestank war umhauend, doch Artomaglos war von seinen heimatlichen Jauchengruben nichts anderes gewohnt. Es amchte ihm nichts aus.
    Anders Mica. Artomaglos erstaunte es nicht, den Knaben schon nach einer Weile einknicken zu sehen. Er war sich wohl zu gut, um normale Sklavenaktivitäten durchzuführen.
    Mica gab etwas von sich, was Artomaglos nicht behagen wollte. Er runzelte die Augenbrauen und schüttelte dann abweisend den Kopf. „Lernen. Wozua braucht ma des? Lernen. Is doch fad.“ Er setzte sich auf und ging langsam auf Mica zu. „Sog, wous lernst’n du? Sicha an Kas. Lesen, schreiben, so a Schwochsinn.“ Er machte eine Grimasse. „Wozu braucht des jemaund? I sog da, i brauch des olles net. Und du a net. Weil du nur a Sklave bist. De Remer brauchen des zum Politik mouchn. Oba fiar mi is jo no a Schaß interessaunter!“ Derbe rumpelten die Worte aus seinem ungeschlachten Mund. Der übrigens nach Knoblauch roch.

    Für die cholerische Natur des Norikers sprach zwar einerseits seine innere Instabilität, die ihn oft von einem Extrem ins andere schmiss und die ihn standing auf einem schmalen Grad zwischen innerer Ruhe und schierem Wahnsinn, zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt tanzen ließ. Andererseits jedoch neigten Choleriker zur Extrovertiertheit, was ganz und gar nicht der Fall bei Artomaglos war. Dies war an und für sich eine Tatsache, welche ein Indiz dafür war, dass Artomaglos nicht von seiner Galle kontrolliert wurde. Vielmehr deuteten seine charakterlichen Merkmale auf den Typus des Melancholikers. Melancholiker können lange mit sich selbst beschäftigt sein, und dabei leiden. Und es genießen. Ja, Artomaglos litt gerne von Zeit zu Zeit, hie und da fand er ein Ventil für allfälligen Verdruss darin, faule Äpfel herumzuwerfen, oder aber, wie nun, sinnlose Akte der gewalt, die aber niemanden schadeten und vor allem, nichts an seiner Situation änderten. Außer dass ein paar Blätter vom Busch auf seine Füße hinunterflatterten in unsteten Bewegungen, passierte nichts. Er bewegte seinen rechten Fuß leicht hinauf, wo jener kurz verharrte, und dann ließ er ihn auf ein paar Blätter, die durch seine Aktivität an den Boden gepurzelt waren, hinuntersausen. Es knusperte leise, als er den Fuß, sobald jener am Boden wieder angelangt war, am Boden in kleinen Kriesen zirkulieren ließ und somit ein paar Blätter zermalmte.
    So, als ob ihm nun plötzlich die sinnlose Natur seiner Beschäftigung sich ihm erschlossen hätte, ließ er von den Blättern ab und trat ein paar Schritte zurück. Er blickte stuf gen Boden und scharrte abermals mit seinen Füßen ebendort herum. Doch genau in jener Sekunde kroch der Gedanke in sein Hirn, dass er genau dort stand, wo sich die Katzen erleichtert hatten, auf den Platten.
    Artomaglos schnaufte leicht angeekelt und bewegte sich wieder gen Wischmopp, als er wen bemerkte.
    Er verharrte mitten in seiner Bewegung und blickte auf. Sein Blick wanderte ganz langsam vom Boden in die Höhe, und dann nach rechts. Dort stand er auch, der Knabe, welche die Bewegung gemacht hatte, die ihn ursprünglich dazu veranlasst hatte, innezuhalten in seinen Schritten.
    Sein Blick strahlte ein gewisses Maß an Grant aus. Na, di hamma grod no braucht, dachte er sich und ließ seinen massiven, breiten, muskelstarrenden Körper sich zu Mica – so hieß der Kerl – hinwenden. Ein kurzer, taxierender Blick. Er hatte den Jungen schon einmal gesehen, ihn nicht allzu sehr registriert. Gehörte der nicht Aristides‘ Mutter?


    Der Kleine begann zu sprechen, und Artomaglos enspannte seine Oberarme.
    „Du wuitest net stern, ha? Houst ouba scho gmoucht.“, knödelte er in seinem heimatlichen Akzent daher, den kaum jemand richtig verstand, war er doch so breit und ausgeprägt. Resigniert seufzte er und deutete auf seine Putzsachen. „A Schererei houb i wengad de Kotzen.“, erklärte er den Grund seines Missmuts, das Katzenurin. Sein Blick wanderte über das Gesicht des Jungen, sein unbeholfenes Grinsen, seine jugendlichen Gesichtszüge. Er hatte noch nicht einmal einen Flaum. Wozu so ein Sklave zu irgendetwas gut sein sollte? Vermutlich war es eher eine Art Schosshündchen als jemand, der sinnvolle Arbeit leisten konnte. Dass er zu letzterem vollends imstande war, das wusste der muskulöse Bauernbursche aus den Alpen. Wenigstens Platten putzen konnte er. Was konnte der kleine Bursche? Den ganzen tag sah man ihn nur herumsitzen mit irgendwelchen... Katzen. Sein Blick versteifte sich.
    „Waaßt, wous i do tua?“, fragte er Mica und verzog abschätzig den Mund. „De Pisse vu deine Kotzen wegputzen! Vu deine Kotzen!“, betonte er und blickte streng drein.


    In ihm keimte ein Entschluss. Es wäre nur zu gerecht, wenn das so ablaufen würde. Artomaglos beugte sich und griff zu einem der beiden Wischmopps – er hatte einen Reservewischmopp mitbekommen. Diesen nahm er auf und hielt ihn Mica entgegen. „Waunnst du Kotzen mougst, dann muasst di aun de net so schenen A... As... Aspekte vu ihnan gwehnen.“ Er war stolz auf sich selber, ein so kompliziertes Fremdwort aus seinem Munde gebracht zu haben. Einen Schritt trat er dem Knaben näher und beschrieb einen kleinen Kreis mit dem Mopp vor Micas Gesicht. „Du hüfst ma.“, stellte er fest und deutete auf die Platten. Selbst wenn man Artomaglos nicht verstand, war es doch eindeutig, dass er gerade Mica angewiesen hatte, ihm mit den Platten zu helfen. Mica sollte gefälligst auch Katzenurin wegputzen, wenn er solch ein Katzenliebhaber war.

    Katzenpisse.
    Wie sehr er es hasste. Es konnte kaum noch etwas geben, was er noch mehr verachten würde als Katzenpisse. Nun, vielleicht das Grinsen, welches sein Herr hie und da auf den Lippen hatte. Oder den Rest von seiner ganzen Sippe. Unerträglich wäre es schon ohne Katzen, doch dies setzte der Schwere seines Daseins noch die Krone auf.
    Er murrte und schrubbte weiter.


    Heute am Morgen hatte er von einem mürrischen Sklavenaufseher einen Auftrag erhalten. Er sollte Steinplatten im Garten der Villa gründlich durchschrubben, da sie stanken. Zwei Kübel voll mit sich schäumenden Wasser hatte man ihm mitgeben, ebenso wie einen Wischmopp und einen Schwamm. Eingeschärft war ihm worden, das er nicht inne halten sollte, bevor man nichts mehr roch.
    Als er sich den Steinplatten näherte, wurde ihm klar, dass der Sklavenaufseher nicht gelogen hatte. Der Platz stank außerordentlich. Es war absolut entsetzlich. Dies war der Ort, an dem Katzen ihr Geschäft gemacht hatten, abermals und abermals. Nicht nur, dass es nach Katzenpisse stank, nein, der Platz war auch voll mit verblichenen brauenen Abdrücken, die zweifelsohne Katzenkacke waren. Er hatte Katzen noch nie gemocht, und seine Liebe zu diesen Viechern intensivierte sich kaum, als er sich hinhockte und den Wischmopp zur Hand nahm.
    Die Steinplatten waren in einem eher versteckten Part des Gartens, sodass die anderen Sklaven wenigstens nicht sehen konnten, zu welch niedriger Arbeit man ihn verdonnert hatte.


    Wäre er doch damals mit dem Pannonier etwas sanfter umgegangen! Er hatte ja nicht gewusst, dass er so leicht, so einfach, sterben würde! Es war schon kurios. Sein Preis für den Totschlag war die Sklaverei gewesen. Könnte er doch nur die Zeit zurückdrehen. Dann wäre er nicht der Sklave, der niedrige Arbeiten verrichten musste, sondern wieder ein gestandener Bauernsohn, der vielleicht einmal den Hof erben würde, oder einen Teil davon. Der früh am Morgen aufstand, das Feld pflügte – es nicht von Ochsen oder Pferden pflügen ließ, sondern sich den Pflug selber umspannte - und dann säte. Es war kein leichtes leben, aber ein einfaches. Ein unkompliziertes. Hier in Rom musste man soviel beachten. Zuhause in Noricum konnte man tun und lassen, was man wollte, wenn man nicht arbeitete. Man konnte sich ansaufen. Man konnte mitten auf der Straße stehen und pinkeln, und kein Schwein würde sich scheren. Man konnte Unzucht treiben und mit wüster Stimme Lieder hören.


    Die gute alte Zeit. Damals hatte man noch leben können. Oder das tun können, was man allgemein unter „Leben“ versteht. Und nun das hier.
    War das ein Käse.


    Er schrubbte, lange und sorgfältig. Der Mief schwand ein bisschen. Doch es würde noch viel Arbeit sein.
    Er ließ den Mopp einmal kurz Mopp sein und lehnte sich an einen Baum. „Achhhhh!“, machte er, dass es nur so donnerte. „Blede Kotzen! Verfluachte Sauvieher!“, schimpfte er laut darauf los. „Ois vuipissen, des kennan’s, ha?“ Er kickte, vor lauter Verdruss und Ärger, mit dem Fuß sauer in einen großen Busch hinein, der direkt neben ihm stand, dass dessen Blätter nur so wackelten.


    Sim-Off:

    Reserviert ;)

    Artomaglos wühlte, und zwar buchstäblich. Sich nämlich durch die Büsche durch. Dicht standen sie nebeneinander. Und tatsächlich entdeckte Artomaglos nicht nur einen Ball, sondern gleich drei nebeneinander. Kinder hatten sie in der vergangenheit drübergeschossen. Er suchte gar nciht mehr weiter, sondern überprüfte sie nur. Alle hatten sie eine sehr gute Qualität, sie waren aus Leder und löcherfrei. Keine der Wolllumpen, die hie und da geflogen kamen. Und für die kein Kind sich jemals zur Tür der Villa begeben hatte.
    Er richtete sich auf und balanzierte die Bälle in der Hand. Zwei waren braun, einer war schwarz, und was Artomaglos anging, konnte der Kleine alle drei haben, soviel Mut, bei der Villa Flavia anzuklopfen, sollte belohnt werden, dachte er sich.
    Der massive Noriker stand also auf, grunzte unwillig, als er Erdkrümel von seinem gewand abputzte, und blickte nach vorne.
    Eine Statue, eine Blume, eine Bank, ein paar Bäume, ein paar Büsche... kein Junge. Artomaglos blickte um sich und fluchte leise. Der war wohl irgendeinem Schmetterling nachgelaufen oder so. Er seufzte und schritt nach vorne. „Diarmuid!“, kam es aus seinem Mund. „Ich habe da drei Bälle gefunden! Einer von denen ist sicher deiner!“ Nichts. „Wenn du jetzt sofort kommst, kannst du alle drei haben!“ Wieder nichts.
    Und Artomaglos bekam die Panik.
    Immer, wenn Leute etwas suchen, scheint es so, dass sie etwas wichtiges vergaßen – nach oben zu schauen. Und Artomaglos unterließ dies. Stattdessen blickte er wild um sich. „Junge! Komm sofort zu mir! Ich komme in Schwierigkeiten, wenn du verschwindest!“ Das war durchaus so. Es wäre nicht abzusehen, was passieren würde, wenn der Kleine von irgendeinem Flavier gefunden würde... er würde ins Loch kommen! Sch...eibenkleister! Er rannte hilflos im Kries herum. „Diarmuid!“ Doch es regte sich nichts. Der Kleine musste dien einen Weg da entlanggelaufen sein.
    Den schlug Diarmuid ein, dabei vom Baum wegrennend. Und er schwor sich dabei, dass ihm das nie wieder passieren sollte, dass er in Zukunft nein sagen würde, dass er das wirklich lernen sollte...
    Der arme, gutherzige Hüne verschwand, von Diarmuids Position aus gesehen, um eine Ecke, mit einem panischen Gesichtsausdruck.

    Vielleicht wären die Sprüche des Kleinen Artomaglos ein bisschen seltsam vorgekommen, wenn nicht, ja, wenn Diarmuid nicht einen geradezu genialen Schachzug getätigt hätte – er behauptete, Artomaglos täte ihm weh, was vermutlich auch stimmte, den der Druck von der Hand des Norikers war nicht ganz ohne.
    Er ließ also los, blitzschnell, und blickte schuldbewusste drein. „Esgusodwch fi“, entschuldigte er sich betreten und schimpfte sich innerlich einen Unmenschen. Wieviel Unheil hatte er schon angerichtet! Nun musste er dies nicht noch mit seiner unkontrollierbaren Kraft verstärken.
    Es war nur aus diesem Grund, wegen seines Schuldbewusstseins, dass er nickte. „Gut.“, meinte er also nur, nach einem kurzen, hilflosen Blick nach oben, wo er Isis Noreia* vermutete. Liab’s Mutterl, vazeih ma, i houb’s net wuin!, betete er innerlich zu ihr. Er war doch kein brutaler Kerl... oder doch? Er musste sich an den Gesichtsausdruck des Pannoniers erinnern, den er damals zu Tode geohrfeigt hatte. Die Nagst und der Schrecken war dem Toten ins Gesicht geschrieben. Jawohl, alleine dafür hatte er die Sklaverei verdient.
    „Mach nur...“, murmelte er und drehte sich zu einer anderen Stelle von Zaun hin. „Und du, bleib schön dort!“, meinte er, dann begann er zu rennen und blieb bei der Mauer stehen. Einiges an Gestrüpp war hier, da konnte man sicher lange suchen. Er beugte sich also herunter und begann in den Gebüschen herumzuwühlen. Hier irgendwo musste doch was sein. Hier landeten die meisten Bälle, die den Kindern hinunterflogen.
    Er ging auf die Knie und begann mit seinen Armen sich durch die Pflanzen vorzuarbeiten. Auf etwas vergaß er dabei komplett. Nämlich darauf, dass er auf den Kleinen schauen sollte.


    Sim-Off:

    *In etwa das Äquivalent zur irischen Áine.

    Sim-Off:

    Wenn ich schon dabei bin... :D



    Acanthus saß dieses Mal nicht vor der Türe. Er stand. Was sich gut traf, denn es klopfte. Seltsam, gerade hatte Acanthus darüber nachgedacht, wie wahrscheinlich es doch jetzt wäre, dass es jetzt klopfen würde. Zufrieden mit sich selbst, da er gerade sich selber sein Genie im Abschätzen von Wahrscheinlichkeiten bewiesen hatte (wiewohl es ständig klopfte und man wahrlich nicht genial sein musste, um ein Klopfen akkurat vorherzusagen), öffnete er die Türe. Draußen stand ein Mann. „Salve Dominus. Willkommen in der Villa Flavia. Wie kann...“ Er unterbrach seinen monotonen Redefluss, als er den Mann erkannte. „Herr Furianus?“, fragte er erstaunt. Er hatte gar nicht gehört, dass dieser schon wieder zurück war. Doch geändert hatte sich der gute Mann kaum. „Aber... willkommen in der Villa! Wir haben dich gar nicht erwartet, Herr!“ Er hielt die Tür offen und trat respektvoll zurück.

    Das Kies auf den Wegen, welche im garten herumführten, vibrierte leicht, als Artomaglos kräftig auf den Boden auftrat, dem Kleinen hatte er im Schlepptau, die Augen hatte er auf die Mauer geheftet, die den garten umgab. „Also...“, meinte er zum Kleinen und wandte sich zu ihm hin. Es war selbstredend, dass er seine Hand nicht von ihm losgelassen hatte. Er wollte unter Garantie keinen Ärger kriegen.
    „War es dort drüben?“, meinte er und deutete auf einen Abschnitt von der Mauer. Er wusste, dass hinter jenem Abschnitt eine Mauer war, und dass regelmäßig Spielzeug rüberflog. Hie und da schmissen es die Sklaven wieder über die mauer zurück. Und bisher hatte allerdings keiner den Chuzpe gehabt, direkt an der Porta zur Villa anzuklopfen. Eigentlich konnte sich Artomaglos nur dazu beglückwünschen, dass keiner sie gesehen hatte. War des a Scherarei gwesn, waunn ma uns dawischt het! Na, des war nimma lustig gwesn, bei ollen Gettern wou’s gibt! Unwillkürlich drückte er die Hand des Kleinen fester, ließ aber sofort wieder los, als ihm einfiel, dass dies Diarmuid höllisch wehtun könnte.


    Sim-Off:

    Pssst, was kursiv ist, sind übrigens Gedankengänge. Nicht dran stören lassen. ;)

    Sim-Off:

    Doch, doch... das ist so eine alte Marotte von mir. Schwer, das loszukriegen. ;) You can get the boy out of Wales, but you can’t get Wales out of the boy. :D


    Im Nachhinein war es nun doch so, dass Artomaglos vielleicht doch ein bisschen zu schnell gesprochen hatte. Nun war es so, dass man ihn sicherlich ohne Probleme bis zur Donau hinauf verstanden hätte, aber womöglich nicht ganz so problemlos in allen anderen keltischen Gebieten, auch wenn die keltischen Sprachen wegen ihrer schnellen Ausbreitung noch relativ nahe beieinander lagen. Er spitzte also seine Ohren und hörte zu, was der Kleine zu sagen hatte.
    Er machte ein Wort, welches ganz ähnlich klang wie das, welches er gerade gesagt hatte. Celtaeg... oder, wie der Junge sagte, Ceilteach. Ja, gut, wenn man ein Kelte war, man konnte sich mit leuten aus halb Europa unterhalten.
    Der Junge fuhr fort. Er kam aus einem Land, von welchem Artomaglos noch nie gehört hatte. Hätte Diarmuid gesagt, er wäre ein gwyddel, dann hätte es vielleicht bei ihm ganz leicht geklingelt... ein Stamm aus dem Nordwesten. Doch so musste er einfach zur Kenntnis nehmen, dass er nicht herausfinden würde, woher Diarmuid kam.
    Artomaglos nickte und zuckte die Achseln. „Dann machen wir es kurz.“, meinte er ganz, ganz langsam, sodass der Kleine es auch mitbekam. Wir wollen deine Mutter ja nicht warten lassen. Wir finden den Ball und dann verschwindest du wieder, ja?“ Er zeigte mit seiner einen hand in die eine Richtung, mit der anderen umklammerte er noch immer ganz sanft die Hand des Jungen. „Dort lang geht geht es. Folge mir.“ Er bedeutete Diarmuid, in den Garten zu kommen.

    Sim-Off:

    Räusper... es gibt nur eine ordentliche keltische Sprache. :D


    Der Kleine schien etwas erschrocken zu sein, gerade in jenem Moment, als Artomaglos seinen Gedanken, dass er sicher so gut Latein sprach wie der Kaiser, abgeschlossen hatte. Hatte er jetzt am Ende leise seine Gedanken vor sich hingeredet? Ihm war wohl auch nicht mehr zu helfen! Schlimm, die gehirnerweichung setzte wohl schon in jungen Jahren ein. Obwohl Artomaglos nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass die Masse seiner Muskeln die seines Gehirnes wohl bei weitem überwog. Und nicht nur das. Nein, es kam noch viel besser.
    Kaum fing Artomaglos an, ein absolutes Kasperle aus sich selber zu machen und zu reden wie ein kompletter Hirnedi... da beginnt der Kleine plötzlich zu reden, in einer eigenartigen Sprache, die ihm vertraut vorkommt. In Ermangelung eines vernünftigen Satzes, den er herausbringen konnte, stammelte er erst mal, unbewusst, in seiner Sprache: „Dw i ddim yn deall...“ Seine Augen öffneten sich, als in genau jenem Moment, als er jenen Satz aussprach, seine Gehirnzellen zu arbeiten anfingen und er sich an diese seltsame Abart des Keltischen gewöhnte. :P Er hatte diesen Dialekt noch nie gehört, aber wenn man genau hinhorchte, verstand man ihn. Seine Augen waren so weit geöffnet, dass man Angst haben musste, seine Augenlider würden einreißen. Doch dann nahmen seine Augen wieder eine normale Form an, und er grinste ebenso frech zurück. „Wyt ti’n siarad Celtaeg? Artomaglos a dwy. Mae'n dda gen i gwrdd â ti neis cwrdd â ti, Diarmuid. Shw mae? O ble wyt ti’n dod?“, fragte er neugierig, erfreut darüber, ein Kommunikationsmittel gefunden zu haben.
    Er war, um genau zu sein, so erfreut, dass er komplett vergaß, dass dies, was die beiden taten, eigentlich, ganz streng gesehen, nicht ganz erlaubt war. Aber für so einen lieben Jungen, der dazu noch eine halbwegs vernünftige Sprache sprach, würde er das tun, weil unter der Masse aus Fleisch, Muskeln und Sehnen doch ein gutmütiges Herz schlug. „Deuwn yn a gardd?“, fragte er also nochmals nach.


    Sim-Off:

    Erster Satz: Ich verstehe nicht...
    Zweiter Satz: Du sprichst Keltisch! Ich bin Artomaglos. Freut mich, dich kennen zu lernen, Diarmuid. Wie geht es dir? Wo kommst du her?
    Dritter Satz: gehen wir in den Garten?


    Bonuspunkt, wenn du die Sprache erratest. ;)

    Sim-Off:

    Seltsame Sprache? Artomaglos‘ Muttersprache, norisch, eine ostkeltische Sprache, verstehst du vielleicht besser. Deine werte Frau Mutter versteht ja auch galatisch, und das wurde ja auch nur am A... der Welt gesprochen. :D


    Acanthus seufzte abermals – worauf ließ er sich da ein? Das war doch nicht mehr... erlaubt, oder? Aber die Augen des kleinen Jungen hatten ihn herumgekriegt. War das nicht ein entzückendes Kind? Vielleicht hätte sein Sohn auch so ausgesehen, wenn er jemals einen gehabt hatte. Er musste kurz an seine Liebste denken, welche auch hier Sklavin in der Villa war. Vielleicht sollte er doch einmal mit ihr ein Kind zeugen.
    Er schob weitere Überlegungen zur Seite und trat hinweg. Wenn er schon etwas Verbotenes tat, sollte das nicht länger als nötig sein. Er schloss die Türe wieder und überließ es Artomaglos, sich mit dem Kleinen herumzuschlagen.


    Artomaglos war etwas verblüfft, dass der Kleine nichts verstand. No soug amoi! I red feinstes, schenstes, bestes Latein! I red wia da Kaisa söbst!
    Hätte der Junge offen gesagt, Artomaglos sähe aus wie Fionn selbst, hätte Artomaglos keine Ahnung gehabt, wer damit gemeint sein könnte. Bei ihm zuhause nannte man den Kerl Vindos. Mit Vindos war er durchaus schon einmal verglichen worden, war er doch selber unter den Norikern ein gewaltiges Kalb von einem Mann. Obwohl so eine Bezeichnung eigentlich Blasphemie war.
    „Bei Grannus...“, meinte er zu sich selber auf Norisch. „Und bei Isis Noreia. Das glaubst du ja nicht. Echt nicht.“ Niemand verstand ihn! War das nicht zum aus der Haut fahren? Er blickte den Jungen von oben herab ernsthaft an. „Oiso...“, seufzte er, wieder auf latein. „I... Artomaglos. Du?“, radebrechte er für den Burschen, der wohl ein bisschen Schwierigkeiten mit seinem Akzent hatte. Demonstrativ machte er ausladende Handgesten zu sich und dem Kleinen. Als er seine Hände bewegte, konnte man seine massiven, fast schon unmöglich kräftig gebauten Muskeln sich bewegen sehen, welche man sicherlich 1900 Jahre später mit jenen von Schwarzenegger zu dessen Glanzzeiten verglichen hätte. Kein Wunder. Das musste wohl in den Genen der Bewohner des Murtales liegen. :D