Beiträge von Claudia Romana

    Kaum war die Claudierin, der Einladung aus dem Hause Tiberia folgend, bei der betreffenden Villa angekommen, öffnete auch schon ein Sklave ihr die Türe. Es ging bemerkenswert schnell und unkompliziert, was Romana sehr imponierte. Sie dachte kurz daran, was für einen Krampf etwaige Besucher der Villa Claudia mit Sharif erlebt hätten.


    Sie konnte sich noch gut an die Villa Tiberia erinnern, auch wenn es schon einige Zeit her war, dass sie hier gewesen war. Damals hatte sie den jetzigen Consul gebeten, sich für ihren Eintritt bei den Vestalinnen stark zu machen. Was war sie für ein Nervenbündel gewesen. Mittlerweile jedoch hatte sich dies geändert. Romana war nun nicht mehr das schlaksige, tollpatschige Mädchen mit verworrenen Haaren und einer irgendwie zu großen Nase, welches mit nervöser Stimme Durus erzählt hatte von ihrer Begegnung mit Vesta. Nein, sie war nun eine selbstbewusste junge Frau, die ihre Bewegungskoordinationen nun bei Weitem besser unter Kontrolle hatte und ihr Haar jeden Morgen zu sorgfältigen Locken drehte.


    Sie lächelte, als sie Septima sah. Diese überschäumende Gastfreundschaft fand sie so überwältigend, dass siegar nicht recht wusste, was sie erwidern sollte. „Salve, Septima! Es freut mich ebenfalls, danke, vielen Dank für deine Einladung!“ Romana war keine Freundin von diesen ganzen neumodischen Küsschen, die sicher von irgendwelchen Griechen oder Barbaren importiert worden war. Trotzdem, sie war vertraut damit, und beugte sich zu Septima herunter, um zwei hastige Küsschen auf ihre Backen zu platzieren, somit auch ihrer Freundin erlaubend, zwei Bussi auf ihre Wangen zu platzieren.


    „Vielen Dank.“, wiederholte sie sich selber, als ihr ein Platz angeboten wurde. Sie ließ sich elegant auf der Kline nieder und ließ ihre Füße gezwungenermaßen über den Rand hinausbaumeln. Dies hatte sie schon so oft tun müssen, sodass sie es gewohnt war und auch wusste, es halbwegs lässig aussehen zu lassen.


    „Der Consul kommt vielleicht?“, fragte Romana nach. Natürlich würde es sie sehr freuen, wenn Durus, auf den sie große Stücke hielt, auch hierher kommen würde, doch wenn es seine Zeit nicht erlaubte, verstand sie das selbstredend. Schließlich hatte man als Consul ohne Zweifel Wichtigeres zu tun, als mit Vestalinnenschülerinnen Smalltalk zu betreiben. „Nun, sicher.“, brachte sie ihr Verständnis für diese Angelegenheit zum Ausdruck.


    „Mulsum wäre schön.“, beantwortete sie Septimas Frage mit einem dankbaren Lächeln. Sie mochte das Getränk, und fühlte sich jetzt auch alt genug, dem Alkohol ohne Scham zu frönen. „Sag, liebe Septima, wie ist es dir ergangen in der Zwischenzeit?“

    „Oh, salve, Calvena. Nicht, dass ich gehen will, die anderen wollen, wie es aussieht, aufbrechen.“ Sie zuckte die Achseln und wandte sich dann - die Caecilierin nahm sie gar nicht richtig zur Notiz - Septima zu. Was sollte denn das?


    Sie blickte an sich runter. „Was? Du denkst, ich stinke?“, fragte sie zurück, senkte ihren Kopf und roch an sich selbst. „Hmm...“, machte sie. Da war wirklich etwas. Jetzt, wo Septima es sagte... da war etwas. „Bona dea...“, flüsterte sie und bekam einen roten Kopf. „Das... das tu... tut mir sehr Leid...“, stotterte sie und trat ebenfalls einen Schritt zurück. „Dann werde ich jetzt auch gehen, und zwar so schnell wie möglich, aber zuerst...“ Sie blickte sich um und stieß einen ganz leisen Fluch auf etruskisch aus. „Wo bleibt denn Ofella... hat jemand meine Stiefmutter gesehen? Na ja, egal, sie findet sicher ihren Weg heim.“ Wenn sie mich so wie ich bin riecht, bin ich geliefert, dachte sie sich und patschte sich verzweifelt mit ihrer linken Hand an ihr sorgenumwölktes Gesicht. Je länger sie hier verbleiben würde, um so mehr würde sie sich blamieren. Aber war der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ja ganz ungeniert, wie das Sprichwort sagte, und somit nahm sie ihre Hand vom Gesicht und blickte sie Septima an und erwiderte auf ihre Frage, wo sie gewesen sei, ganz ruhig: „Es war der Ruf der Natur. Verzeihung...“ Ihre rechte Hand war es, die sie erhob, um sich ratlos über die Haare zu fahren. „Ja... hmm...“, brillierte sie, was Eloquenz anging, „ich werde ebenfalls gehen.“ Und zwar schnell. „Valete miteinander. Bitte richtet Ofella aus, ich bin schon gegangen... also... valete.“ Sie zwängte sich zwischen Calvena und Serrana durch, woraufhin beide einen wundervoll reichhaltigen Wusch an garstigem Odeur abbekamen, und eilte gen Ausgang zu.


    Nichts wie weg von hier, dachte sie sich, als sie dem Feste unzeremoniell entschwand. Gut, dass sie sich im Atrium Vestae baden können würde.

    Minucia Milicha


    Die Alte schaute zunächst Calvena einigermaßen befremdet an – bevor sie loslachte. „Du bist ja ein lustiger Knopf. Deine Aufwartung machen. Lernen. Sag doch einfach, du bist ein Gast hier. Wartet hier. Ich werde Claudia fragen, ob das stimmt, was ihr da sagt.“ Mit einem Rums, ohne ein Wort des Abschieds, ja nicht einmal die geringste Vorwarnung oder auch nur Vorhersehbarkeit, schmiss Milicha die Türe zu, dass es nur so krachte. Wie das alte Holz dies bloß aushielt?


    Es verstrich ein wenig Zeit, in der gar nichts passierte, außer dass zwei alte, in Ehren ergraute Herren vorbeischritten, sich lebhaft über die bevorstehende Wahl unterhaltend. Und wieder verschwanden, so würdevoll schreitend, wie sie aufgetaucht waren.


    Doch von der einen Sekunde auf die andere wurde, genauso unvermittelt wie sie zugeknallt worden war, die Türe aufgerissen, und zwar von niemandem anderen als einer freudestrahlenden Romana, deren Grinsen sich vom einen zum anderen Ohr zog. „Calvena! Sabina!“, rief sie und winkte die beiden rein. „Immer nur rein in die gute Stube!“ Sie umarmte Calvena locker - das letzte Mal hatte sie sie wohl halb zerquetscht - und beugte sich zu Sabina hinunter.


    „Salve, Sabina!“, begrüßte sie die Kleine, strich ihr liebevoll über die linke Backe und legte anschließend ihre Hände auf die Schultern des Mädchens. „Was für ein grauenhaftes Wetter, nicht wahr?“, meinte sie wieder an beide gewandt. „Ich hoffe, ihr seid nicht nass geworden?“ Sie ließ von Sabina ab und schloss die Türe hinter ihren beiden Gästen zu. Genau in diesem Moment sah man Milicha hinter einer Säule erscheinen, wieder langsam auf ihren Schemel zugehend. Unzweifelhaft war diese von Romanas Zimmer aus normal gegangen, während Romana selber gerannt haben musste, was das Zeug hielt. Milicha warf Romana einen verwunderten Blick zu. Dieses Mädchen steckte voller Leidenschaft und Kraft. Das bekam einer Vestalin nicht gut, dachte sie sich. Obwohl sie nicht behaupten könnte, dass sie Romana jemals dabei gesehen zu haben, ihre Energie in etwas anderes zu stecken als die inbrünstige Verehrung ihrer Göttin. Die Alte setzte sich wieder hin und blickte stumpf vor sich hin.


    „Sollen wir erst einmal in mein Zimmer hier hineingehen?“, fragte Romana, als es klar war, dass sie im Vestibulum nicht mehr allein sein würden.

    Es war ein einfaches Nicken, mit dem Calpetana Romanas Antwort bestätigte. Calpetanas ganz eigener Unterrichtsstil machte sich nun aber bemerkbar, als sie Romana eine Hausaufgabe gab. Occia hatte das nie verlangt. Romana nickte, schrieb sich aber nichts nieder. Sie würde es sich merken. „Gut, das mache ich. Iuppiter, Mars, Quirinus, Iuno und Minerva. Und dann noch 5.“, wiederholte sie. Was für 5 andere? Vesta kannte sie ja schon. Vielleicht Apollo, Vulcanus, Diana, Neptun und Pluto. Oder auch nicht. Wie schön, wenn man eine freie Wahl hatte.


    Die Claudierin blickte Calpetana an. Was würde nun kommen?

    Ah, die Hortensierin begann aufzutauen. Sie schien schon ein wenig freundlicher als noch vor Kurzem. Man musste wohl einfach richtig antworten.


    „Das üblichste Opfer an unsere Göttin? Also, wenn es unblutige Opfer sind, wären das Weihrauch, Blumen, Münzen, Mola Salsa, Brot und Wein.“, reiterierte sie, was sie schon von Occia gelernt hatte. „Die beliebtesten blutigen Opfer wären wohl weibliche Schafe.“ Sie hatte gedacht, die Opfer wären durch? Vermutlich war dies eine Wiederholung ihres bereits bestehenden Wissens.


    Sie nickte und lächelte dankbar. „Das würde mich sehr freuen.“ Sie wusste zwar eh schon, wie Vesta aussah (schließlich hatte sie sich ihr in Clusium offenbart!) aber den palatinischen Tempel anzusehen wäre sicherlich sehr nett. Die nächste Frage ließ sie ins Grübeln geraten. „Es tut mir zwar weh, aber Vesta ist wohl nicht darunter. Ohne Zweifel ist Iuppiter, der Göttervater, darunter. Die kapitolinische Trias besteht aus Iuppiter, Iuno und Minerva, was durchaus eine Antwort auf deine Frage sein könnte, doch man sollte die ältere, klassischere Trias nicht vergessen, die aus Iuppiter, Mars und Quirinus besteht. Für unsere Zeit ist aber, so denke ich, die kapitolinische Trias relevanter. Also Iuppiter, Iuno und Minerva. Obwohl ich auch Mars eine sehr große Wichtigkeit zuschreiben würde.“

    Sim-Off:

    Verzeihung, bin gestern Abend nicht mehr dazu gekommen.


    Minucia Milicha


    Denkbar schlechter Laune war die alte Vestalin mit den Runzeln auf ihrer Stirn und der Warze auf ihrer Nase, die sie fast aussehen ließ wie eine alte Hexe. Früher, vor Äonen, war sie eine außergewöhnlich hübsche junge Frau gewesen, die alle hätte haben können, aber dies nicht konnte, weil sie durch das Los gezwungen worden war, Vestalin zu werden. Die daher stammende sexuelle Frustration hatte sie dazu veranlasst, verstockt und bitter werden zu lassen (obwohl jede Vestalin wusste, dass sich unter der harten Schale doch noch ein weicher Kern befand).


    Sie war heute zur Torwache eingeteilt und schlummerte gemütlich vor sich hin. Das Tor war, wie immer, zu, und Milicha würde sicher nicht aufmachen, ohne dass angeklopft werden würde. Zumindest, für gewöhnlich. Doch heute war es so, dass sie von ihrem Traum aufschreckte. Sie hatte geträumt, sie wäre wieder ein junges Mädchen gewesen, die Hochzeit feierte mit einem Mann aus gutem Hause, den sie liebte und mit dem sie viele Kinder bekommen würde.


    Ach das war schon etwas Schönes gewesen, dieser Traum. Sie hätte ihn ewig träumen können. Zu blöd nur, dass gerade jetzt eine Sklavin vorbeischritt mit schepperndem Geschirr, was sie aus ihrem Schlaf riss. Wen also sollte es wundern, dass sie heute überhaupt keine gute Laune hatte? Sie fuhr aus ihrem Stuhl heraus und keifte die arme Sklavin an. „He, du! Hast du keinen Respekt vor einer Vestalin? Was bildest du dir ein, so einen Wirbel zu machen?“ Die Sklavin wirkte ziemlich erschrocken und verzog sich hastig aus dem Vestibulum, unter mannigfachen Verbeugungen, Entschuldigungen murmelnd.


    Die alte Minucierin grummelte ein paar etruskische Verwünschungen, die sie als eine aus Piacentia in Nordetrurien auf Lager hatte, und wollte sich wieder auf ihren Korbsessel setzen, um weiter zu napsen, da hörte sie eine Stimme vor der Porta. Es klopfte zwar niemand, und deshalb bestand auch kein Grund für Milicha, aufzumachen – doch sie brauchte jetzt jemanden, an den sie ihren Frust über den abgebrochenen schönen Traum abreagieren konnte.


    Sie riss die Türe auf und sah draußen zwei Mädchen stehen – eine von dem Alter, in dem man begann, Vestalinnen einzuberufen, und eine ältere, die sogar noch kleiner war als die zusammengehutzelte Minucierin. „Was soll denn das für ein Auflauf sein!“, begann sie zu schimpfen. „Das hier ist der Tempelgrund der Vesta, ein heiliges Gebiet! Was wollt ihr hier, betteln? Wieso seid ihr hier? Wer seid ihr denn überhaupt, hä? Was habt ihr hier zu suchen?“

    Sie nickte als Antwort auf seine Frage. „Wir sind miteinander aufgewachsen, hier in der Villa in Roma. Leider haben sich unsere Wege getrennt. Ich bin nach Clusium, er ist nach Griechenland.“ Sie fuhr mit ihrem rechten Fuß am Boden herum, als ob sie irgendetwas hineinschreiben wollte, und blickte kurz gen Boden, bevor ihr Blick wieder zu Nero wanderte und sie sich dem Wein zuwandte.


    „Ein sehr guter Trunkspruch, auf unsere Vorfahren!“, pflichtete sie ihm bei und trank ein wenig. „Nun ja, ich habe eigentlich gemeint, wie gefällt es dir in Rom jetzt wieder, nachdem du so lange weg gewesen bist.“, korrigierte sie, was vielleicht nicht allzu deutlich vorher gewesen war. „Aber ich sehe, du fühlst dich wohl hier. Wie ist Athen eigentlich? Wie Rom? Oder anders?“, wollte sie wissen. Ja, sie war neugierig, und sie war es schon immer gewesen.


    „Wer sonst noch?“, fragte sie sich. „Außer Sklaven? Mein Vater, seine Ehefrau Claudia Ofella, Quintus Lepidus, ich zeitweise, und...“ Sie hörte ihm zu, als er wohl ihre Gedanken antizipierte. „Jawohl, er lebt noch hier. Lucius Claudius Brutus.“ Ihr Gesicht verdunkelte sich leicht. Dieser Nichtsnutz, wenn sie nur daran dachte. „Mein Halbbruder. Nicht vom Blute der Manlier wie ich, sondern ein halber Lucretier. Sohn der Claudia Ofella.“ Was im Grunde schon alles sagte. Pikiert nahm sie einen weiteren Schluck vom Becher.

    Zitat

    Original von Tiberia Septima


    Der Sklave wusste auch Romanas Namen, zumindest ihren Gentilnamen. Nur, Romana konnte sich nicht mehr an den seinen erinnern. Irgendetwas mit Bal. Hasdrubal? Nein, das Bal war vorne. Balthasar? Genau, so etwas in der Art.


    Sein Name war woh nicht von Belang, viel eher das Schreiben, das er ihr überbrachte. „Danke.“, meinte Romana und rollte es aus. Als sie es las, breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht aus. Wundervoll. Sie hob ihren Blick vom Pergament wieder zum Sklaven hin.


    „Du kannst deiner Herrin ausrichten, ich komme sehr gerne. Ich werde morgen am späten Nachmittag erscheinen.“ Sie hatte der Obervestalin gesagt, sie habe eine Besprechung in der Villa Tiberia, was sofort durchgewinkt worden war, war ja die gens Tiberia eine, die mit Durus einen Pontifex hatte.

    „Deinen Vater? Nein, ich hatte niemals die Ehre.“ Aber ihr Vater hatte von ihm erzählt, und zwar nichts Gutes. Er hatte ihm wohl einmal beim Kaiser selber den ordo senatorius verschafft, und Verus hatte aber nie etwas für seine Karriere getan. Nun, bei Nero mochte das vielleicht anders sein.


    Nun aber schien sich der Neuankömmling nicht sehr sicher zu sein mit den Praenomen. Wohl gut, dass sie sich als Frau nicht damit herumschlagen musste. „Ja.“, bestätigte Romana aber vorsichtshalber. „Quintus Claudius Lepidus. Ein sehr schlauer Kerl. Und sehr gutherzig.“ Wobei, sie war wahrscheinlich in dieser Meinung eindeutig in der Minderheit.


    „Es freut mich ebenfalls sehr. Es ist doch erstaunlich, wie wenig man seine eigene Familie kennst. Ts.“, merkte die junge Claudierin an und setzte sich neben Nero hin. Es standen noch ein paar Becher auf dem Tisch vor Nero, und so ergriff sich Romana einen. „Es macht dir doch nichts aus?“, fragte sie, als sie sich etwas vom Wein einschenkte und zu ihm hinprostete. „Zum Wohl. In Griechenland also? Schön! Ich wollte immer dort hin. Aber...“ Sie zuckte die Schultern. „...das wird wohl nichts mehr. Wie gefällt es dir hier in Rom?“, fragte sie und trank ein wenig von ihrem Wein.

    "Demetrios. Meistertänzer Demetrios von Messene.“, wiederholte sie seinen Namen mit einem freundlichen Lächeln auf ihrem Lippen. Messene sagte ihr nichts, aber sie würde sich erkundigen, wo das denn war. "Es freut mich sehr.“ Sie hatte keinen blassen Schimmer von dem Schmerz, den sie ihm gerade zugefügt hatte. Sie spürte, wie er ihr, als sie seine Hand losließ, über genau diese strich. Einen kurzen Moment dachte sie nach, ob dies etwas war, was sie tadeln sollte, doch sie ließ es sein. Erstens, es war sicher nicht absichtlich gewesen. Zum Zweiten... es war ihr nicht unangenehm gewesen. Sie wusste, schicklich war es für sie nicht, das zu empfinden. Aber sie konnte nicht anders.


    „Mein Name ist Claudia Romana.“, stellte sie sich vor, als er sie danach fragte. „Und deine Retterin?“ Sie musste lachen. „Ich...?“ Romana strich sich ungeschickt eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich irgendwie dorthin verirrt hatte, und kicherte leicht. Zum Henker, was war mit ihr los? Sie holte tief Luft und räusperte sich. „Nun, es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, dich zu retten.“ Bona dea, der Mann war ja klein... und charmant. „Vielleicht bekommst du ja bald die Möglichkeit, dich bei mir zu revanchieren.“ Den Göttern sei Dank, dass die Obervestalin das nicht hörte.


    Serrana , Sedulus und Septima waren derweil am Nebentisch noch immer damit beschäftigt, sich untereinander auszuschlichten. Sollte ihr recht sein, Hauptsache, der Abend endete nicht mit einem Streit. Sie würde garantiert nicht der Auslöser sein.

    Trauben aß er. Das wäre jetzt auch noch eine gute Sache, dachte sich Romana, als er sich vorstellte. Ein wenig verblüfft aber blickte sie drein, als sie erfuhr, dass er erstens ein Teil der gens, und zweitens der Sohn ihres verstorbenen Onkels war.


    „Wie? Verus hatte einen Sohn?“, fragte sie erstaunt. Das hatte sie gar nicht gewusst – nicht verwunderlich, wusste sie doch so gut wie nichts über ihren Onkel. „Nun, dann bist du mein Vetter zweiten Grades. Ich bin Claudia Romana, Tochter des Herius Claudius Menecrates.“ Eine der vielen Töchter, ihr Vater war ziemlich kinderreich gewesen. Nun, da sie wusste, dass es ein Verwandter war, nicht etwa einer dieser Maden, mit denen ihr Bruder Gesellschaft pflegte, entspannte sie sich ein wenig und blickte ihn mit einem Blick an, der ihre ihr eigene spröde Wärme durchscheinen ließ.


    „Du wartest auf Quintus?“, fragte sie nach, als ob es ihr nicht schon klar wäre. Ihren Lieblingsvetter nannte sie natürlich beim Praenomen. Den Nero ihr gar nicht genannt hatte, wie es Romana auffiel. Somit fiel sie wenigstens nicht in die Verlegenheit, nachzudenken, ob Cognomen oder Praenomen angemessener wären.


    „Nun, Nero, lebst du jetzt hier? Oder bist du nur auf Besuch?“, wollte sie wissen. Sie war ja schon einige Zeit nicht mehr hier gewesen, Zeit genug für diverse Verwandtschaft, sich hinter ihren Rücken einzunisten.

    Doch es war nicht Lepidus, der Nero über den Weg laufen würde. Zunächst, auf jeden Fall.


    Als Amata Prior hatte Romana nun deutlich mehr Anspruch auf Ausgang als bisher. Und sie wäre nicht Romana gewesen, wenn sie diese Freiheit nicht dazu genutzt hätte, um in der Villa Claudia hie und da nach dem Rechten zu schauen. So war es auch heute.


    Sharif hatte sie, als Tochter des Hauses, anstandslos durchgewunken, wenn auch mit verbitterter Miene. Ihre Leibsklavin hatte Romana erst einmal im Atrium Vestae gelassen, denn sie wollte sie noch nicht sofort in ihre heimatliche Villa mitnehmen.


    Langsam, sich sorgsam umschauend, betrat Romana, in ihr blütenweißes Vestalinnenkostüm gewandet, das Atrium. Das Erste, was ihr auffiel, war, dass dort jemand drinnen hockte, auf einer Kline, und genussvoll Wein konsumierte. Das war nicht ungewöhnlich, denn immer wieder kamen Bittsteller zu ihrem Vater, besonders jetzt, da es ans Wählen ging. Vor allem die Klienten ihres Vaters traf man immer wieder im Atrium an – nur, diesen einen hatte sie noch nie gesehen. Konnte dies einer der Würmer sein, mit denen sich ihr Bruder umgab? Nein, er schien keiner von denen zu sein, Romana hätte auch dies erkannt. Womöglich war es gar ein neu angekommenes Familienmitglied, pflegten diese doch mit verblüffender Regelmägkeit wie die Pilze aus dem Boden zu schießen?


    „Salve.“, begrüßte sie den jungen Mann mit einem herzlichen Lächeln. „Du wartest auf jemanden?“ Nichts anderes erwartete sie.

    [Blockierte Grafik: http://img514.imageshack.us/img514/7834/par1.png]


    Diesen Brief abzuliefern war die erste richtige Aufgabe von Parthenope. Ihre neue Herrin, die Vestalin Claudia Romana, hatte ihr diesen Brief gegeben, zusammen mit Instruktionen, wie man zur Casa Germanica kam. Nach einiger Zeit, in der die verträumte Parthenope sich immer wieder im zugegebenermaßen unüberschaubaren gewühl von Rom verlor, kam sie endlich am relevanten Haus an und warf den Brief ein.
    So, das war jetzt getan. Jetzt verblieb nur noch die Frage, wie sie zurück nach Hause kommen würde. Es würde kein leichter Weg werden...


    Ad
    Germanica Calvena et Germanica Sabina
    Casa Germanica
    Roma
    Italia


    Claudia Romana Germanicae Calvenae Sabinaeque s. p. d.


    Meine Lieben, wie versprochen, spreche ich euch beiden meine herzliche Einladung ins Atrium Vestae aus. Am Besten kommt ihr morgen vorbei, da ist den ganzen Tag nichts los. Ich hoffe, ihr könnt es einrichten, zu kommen und freue mich schon auf euren Besuch.



    Romana, in ihre strahlend weiße Vestalinnentracht gehüllt, hatte Ausgang aus dem Atrium Vestae, den sie benutzte, um übers Forum Romanum zu spazieren. Im Gegensatz zum aelischen Ritter, der gerade vorbeigegangen war, ging sie jedoch nicht einfach am Bettler vorbei, sondern blieb vor ihm stehen und blickte ihn tatsächlich an. Jedoch nicht mitleidig, wie sich der Furier es vielleicht einbildete, sondern vielmehr erbost und genervt. Jetzt weinte der Waschlappen auch noch. Die groß gewachsene Vestalin verschränkte ihre Arme und schüttelte den Kopf. Mit einem trockenen „Traurig.“ quittierte sie dieses himmeltraurige Spektakel.


    Sie seufzte und holte etwas Geld aus ihrem Säckchen, welches sie bei sich trug, und schmiss dem Bettler etwas hin. „Hier. 50 Sesterzen. Aber hör zum Weinen auf! Das ist ja erbärmlich. Was bist du denn, ein Mann oder eine Memme?“ Der Kerl würde es wahrscheinlich sowieso nur versaufen oder verhuren, aber ihre moralische Verpflichtung als Vestalin war dergestalt, dass sie wirklich etwas spenden sollte. Wenn auch nur widerwillig.


    Sim-Off:

    Wisim

    War es eine göttliche Gegebenheit, dass zu dieser Stunde es gerade Romana war, die an der Türe Dienst schob? Wohl nicht, eher nur reiner Zufall. Auch wenn die Claudierin darin wohl zweifelsohne eine Manifestation der göttlichen Zuwendung, einer übernatürlichen Aufmerksamkeit, sehen würde.


    Wie dem auch sei, sie erhob sich vom Schemel, worauf sie gesessen war, und öffnete die Türe. Draußen erblickte sie, im leichten, sanften italischen Winterregen, einen Sklaven. „Salve. Kann ich helfen?“, fragte sie, verwundert, solch einen Bären hier vor der Türe stehen zu sehen. War dies ein neuer Liktor? Oder... halt, den Kerl hatte sie doch schon gesehen! Es war ein Sklave von Tiberia Septima. Sie hatte das Gesicht noch vor sich, er hatte bei seiner Herrin gestanden, als diese damals todesmutig den Bären mit Gebäck geworfen hatte. Was extrem unvernünftig gewesen war, aber auch extrem tapfer.


    „Kommst du von Tiberia Septima?“, fragte sie den Sklaven mit großen Augen.

    Sim-Off:

    Ich erlaube mir ganz frech, dies hier zu Ende zu führen. ;)


    Jetzt, wo Romana es sagte, konnte sich Occia wieder daran erinnern. Es war durchaus ungewöhnlich, aber bei Romana war dies wohl in der Familie begründet, entstammten doch nicht nur ihre Großeltern den Etruskern, sondern auch das ganze Geschlecht der Claudier, welche, trotz ihrer sabinischen Wurzeln, ihre Verwandtschaft auf die Etrusker zurückführen konnten.


    Dass sie eine neue Sklavin kaufen würde, stand für sie schon fest. Tatsächlich würde eine griechische Sklavin, und zwar die sanftmütige, verträumte Epirerin Parthenope, schon bald mit ihrer Anwesenheit das Atrium Vestae erfreuen.


    Die beiden Vestalinnen waren bald mit ihrem Schweinsbraten fertig. Romana aß nicht nur alles ratzebutz auf, sondern löffelte auch noch die Soße aus ihrem Teller hervor. Sie war einfach unwiderstehlich.


    Romana und Occia unterhielten sich nach dem Essen noch, bis der Nachtisch kam – eine Obstschale, aus der die beiden Vestalinnen gemeinschaftlich ihre Früchte herauspickten. Ein Beobachter hätte durchaus sehen können, dass Romana doch ein wenig mehr abbekam als nur die Hälfte – Occia hielt sich aus Mitleid vor dem schier unersättlichen Appetit Romanas ein wenig zurück.


    Schlussendlich waren sie zu Ende, verabschiedeten sich und gingen wieder in ihre jeweiligen Cubicula. Der Tag war lang gewesen, und so schlief die Claudierin auch gleich ein.

    Einmal schüttelte sie kurz ihren Kopf, bevor sie sich ihren Schleier wieder vollkommen auf den Kopf spannte und sich zögerlich wieder ins Atrium traute. Dabei vergaß sie aber eine sehr wichtige Tatsache. Zwei tatsachen. Zum Ersten sah sie nicht gerade mehr taufrisch aus. Ihre Augen waren rot unterlaufen, ihre Gesichtsfarbe insgesamt war ziemlich bleich, und ihre Wangen waren leicht angeschwollen, von der Plackerei auf der Latrine. Zum Zweiten stank sie, dass ein nasser Pudel dagegen gar nichts war. Ein solcher Gestank war nur selten anzutreffen außerhalb der Jauchgruben in hinterwäldlerischen Latifundien, und man hätte nie vermutet, dass eine junge Frau jemals so einen Geruch entwickeln würde. Ja, sie trug den fiesen Geruch, der Arvinia schon vorher schlecht aufgefallen war, auf das Atrium hin. Da sie schon auf der Latrine einige Zeit von diesem miserablen Geruch umschwefelt gewesen war, merkte sie es gar nicht mehr.


    So ging sie also, nichts schlechtes denken, auf Arvinia, Septima und Serrana zu. „Salvete. Aber was? Ihr geht schon?“, war ihre verdutzte Frage. Nun, das Fest war schon einige Zeit vor sich gegangen. Ofella war verschwunden, Romana hatte keine Ahnung, wohin, und es interessierte sie auch nicht allzu sehr. Vermutlich war sie schon dran, sich irgendwo in der Casa unglaublich zu vergnügen. War sie die Aufpasserin für ihre leicht peinliche Stiefmutter? Obwohl, peinlich, da redete die Richtige.


    „Wieso denn jetzt?“, fragte sie nach und machte mit ihrer rechten Hand eine fragende Geste, die richtig wundervoll den üblen Gestank auf ihre Umgebung ausfächelte.


    Wie gut nur, dass sie aus dem „Männersuche-Geschäft“ raus war. 8)

    Zitat

    Original von Iunia Serrana bzw. Antinoos


    Romana war doch mehr als nur erstaunt. Der Blick, den sie erhielt, war... merkwürdig. Sie, die ihr Leben lang keusch gewesen war und nicht mit Männer rumgemacht hatte, konnte ihn nicht richtig einordnen. Irgendwie er schien er ihr nicht ganz ziemlich. Das Lächeln aber, das sie bekam, wirkte sehr nett.
    „Es war eine perfekte Darbietung, bis zum Schluss.“, meinte sie. „Dass so etwas in der letzten Sekunde passieren muss, ist wieder typisch. Du Armer.“ Sie setzte sich auf ihrer Kline auf und langte nach vor, zur Hand der Darniederliegenden. „Sicherlich helfe ich dir.“ Sie ergriff die Hand des Tänzers mit einem Griff, der so hart und fest war, wie man es niemals geglaubt hätte. Den Arm des Griechen umpackt, zog sie ihn mit einem Ruck hoch. Nicht viel hätte gefehlt, und sie hätte ihm, wie schon früher am Tage dem armen Quintilius Sermo, den Arm ausgekegelt. Sowie sie ihn aufzog, erhob sie sich selber von ihrer Kline, sodass sie dem Griechen direkt nun gegenüberstand und auf ihn hinunterblickte. Was für ein kleines Männchen, dachte sie sich, richtiggehend putzig.
    „Besser?“, fragte sie ihn mit einem goldigen, fröhlichen Lächeln. „Sag, was ist dein Name, Meistertänzer?“ Sie dachte nicht, dass er wirklich Antinoos heißen würde. Dass ein Charakter und sein Schauspieler die selben Namen trugen, war viel zu ungewöhnlich.