Es war ein Tag wie jeder andere. Heiß war es draußen. Aus diesem Grund war Romana erst einmal gar nicht nach draußen gegangen, sondern hatte sich in ihrem Zimmer verschanzt. Sie saß am rande ihres Bettes und las irgendein Buch, an dessen Namen sie sich nicht erinnern konnte, unkonzentriert. Ihre Gedanken schweiften immer aber von der Handlung des Buches. Wann kommt er endlich? Wann kommt der Brief? Gewissheit wollte sie haben. Gewissheit, ob sie aufgenommen worden war oder nicht. Sie würde alle Nachrichten stoisch ertragen, schwor sie sich selber. Sie würde es akzeptieren, als Entscheidung des Kaisers in seiner göttlichen Natur...
Sie wurde aus ihren gedanken gerissen, als es klopfte. Jemand trat ein. Romana erkannte die Person, die eintrat, sofoert; es handelte sich um eine verna des Hauses namens Kallonike, eine Ionerin, die sich ihr Vater irgendwann einmal angeschafft hatte. „Herrin?“, fragte sie leise. „Ein Glas kaltes Wasser?“ Ein Lächeln wurde ihr entgegnet. „Ja, bitte, das ist sehr nett.“ Als die Griechin auf sie zuschritt, den Becher voller Wasser in ihrer Hand ausstreckend, bemerkte sie noch beläufig: „Ach ja. Ein Brief ist gekommen. Für dich.“ Sie hielt inne, streckte ihre linke Hand aus und hielt eine Schriftrolle unter Romanas Nase. „Was?“ „Ja, ich weiß nicht von wem, ich...“ „Gib her!“ Die Freundlichkeit, die noch vorher Romanas Stimme erhellt hatte, schwand einer gewissen Art von... Hast, vielleicht sogar Panik. Ihr Arm fuhr nach vorne und entriss der Griechin die Schriftrolle, welche sie in ihrer linken Hand hielt. Mit fast schon zittrigen Händen brach sie das Siegel mit etwas mehr Kraft als notwendig und rollte die Schriftrolle aus, gar nicht mehr auf das Wasser, welches Kallonike neben ihr hingestellt hatte, achtend.
„Pomponia Pia Virgo Vestalis Maxima Claudiae Romanae s.p.d.”, las sie selber sich laut vor, wie sie es des Öfteren tat. Ein Brief von den Vestalinnen! Nicht nur von irgendeiner Vestalin, nein, gleich von der Höchsten! Das musste der Brief sein, der sie über das Ja oder Nein des Kaisers unterrichtete. Fast kicherte sie, als sie das p sah. Die Leute im Cultus Deorum hatten es wohl mit mit ihren vielfältigen Grüßen. Doch sie war viel zu aufgeregt, um darüber zu sinnieren, sie musste weiterlesen!
„Der Pontifex Maximus et Imperator Caesar Augustus L Ulpius Aelianus Valerianus...“, der gute Kaiser! Er hatte ihren Brief bekommen! Was hatte er beschlossen? „...hat beschlossen,“, ja, was denn? Ihre Hände zitterten jetzt schon wirklich. Sie konnte die Lettern kaum noch ausmachen. Sie musste sich zusammenreißen! Sie stierte gebannt auf die Worte. „...dich für die Sacerdotes Vestales zu rauben und in seinem Patria Potestas zu überführen.“
Natürlich hatte Romana sich vorgenommen, die Nachricht mit dem notwenigen Maß an Gravitas und Stoizismus, der einer Patrizierin zustand, anzunehmen. Doch über diese Nachricht vergaß sie all ihre Vorsätze. Sie sprang auf und ließ den Brief zu Boden fallen. Aus ihrem Mund erklang ein lauter, etwas heiserer, aber komplett heiterer Freudenschrei. Ja, sie warf ihre Hände in die Höhe und fiel der armen Kallonike, die ob des Ansturms fast umgefallen wäre, um den Hals. „Herrin? Alles in Ordnung?“ „Jaaaaaaaa!“, heulte Romana. „Sie haben mich genommen!“ Tränen der Freude weinte sie in das Gewand der Griechin, die mit der Situation etwas überfordert war. „Herrin? Willst du dich nicht wieder setzen?“, fragte sie. Ein Nicken bekam sie als Antwort. „So.“ Sanft drückte die kleine Griechin die große Römerin wieder auf den Rand ihres Bettes. „Sie haben mich akzeptiert...“, schluchzte die glückselige junge Patrizierin. „Oh danke! Danke, Götter! Danke, Vesta! Danke Kaiser, oh Göttlicher, oh Großer, oh strahlender Schützer der Heimat, der sofort die Wahrheit erkannte! Danke Pomponia Pia, Hüterin des Feuers, große Obervestalin! Danke, Tiberius Durus, in ich froh, dass wir einen Pontifex wie dich haben, du bist einmalig, du bist spitze, du bist der Beste!“ Sie wischte sich mit ihrem rechten Ärmel über ihre Augen. „Lies weiter, bitte... ich kann nicht mehr!“ Kallonike nickte, ergriff das Papier und las für Romana weiter.
„Finde dich dazu PRIDIE ID IUL DCCCLIX A.U.C. (14.7.2009/106 n.Chr.)“ „Welch großter Tag, welch freudiger Tag! Ich werde da sein!“ „im Tempel der capitolinischen Trias“ „Hä? Wieso dort?“ „...des Municipium Misenum ein,“ „Was? WAS? Misenum?“ Romana starrte auf Kallonike, ihre Glückstränen waren weg. „Misenum? Du nimmst mich auf den Arm.“ „Nein, Herrin...“ „Gib her!“, verlangte sie abermals und las es sich durch. „Tatsächlich! Misenum! Au Backe.“, murmelte sie. Dann las sie selber weiter. „...nimm jedoch Abschied von den Deinen, denn danach wirst Du eine Amata Minor des Cultus Vestalis sein. Möge das Heil der Vesta mit Dir sein!“ Auf ihren Lippen bildete sich wieder ein Lächeln.
„Wenn es Misenum sein muss, wird es Misenum sein! Gib den Sklaven Anweisungen, zu packen! Trommel alle Familienmitglieder zusammen, ich werde mich nun von allen im Atrium verabschieden! Brechen wir schnell auf!“, wies sie Kallonike an. Während diese nickte und verschwand, aus ihrem Zimmer hinaus, blieb Romana dort noch eine Weile. Nachsinnend, mit einem vielleicht leicht debil aussehenden, aber komplett glücklichen Grinsen auf ihrem Gesicht. Doch lange verblieb sie nicht dort, sie stand schnell auf und entfernte sich ebenfalls. Es musste jetzt noch einiges getan werden!