Als die Nachricht ihn ereilte, dass die Ekklesia einberufen werden sollte, hatte Sermo sich sofort dafür entschieden, dort zu erscheinen. Er hatte erst vor kurzem die Proxenie verliehen bekommen und war beinahe euphorisch, endlich davon Gebrauch machen zu können. Und er hatte sich vorweg ausgiebig Gedanken gemacht und informiert, wie er im Theatron erscheinen wollte. Denn bekannterweise war das Verhältnis zwischen Griechen und Römern durchaus als gespannt zu bezeichnen und Sermo rechnete nicht damit, dass ausgerechnet der Tod des Basileus etwas daran ändern sollte.
Sermo war also mit seinem Sklaven Cleon nach Alexandria geritten. Das ging nicht, wenn man eine Chlamys - Römer nannten sie auch Sagum - trug, weshalb er in seiner Soldatentunika in Alexandria einritt. In einem Wirtshaus kleidete er sich dann mit Cleons Hilfe um und erschien in einer scharlachroten Chlamys im Theatron. Cleon trug die dorische Form des Chitons, die Exomis, wobei die rechte Brust entblößt lag, um seinen Status als Unfreien zu verdeutlichen. Natürlich - das konnte man bei den Temperaturen im Februar wohl erwarten - trugen sowohl Herr als auch Sklave einen wärmenden Umhang um die Schultern. Sermo gab sich also bewusst hellenisch. Er hatte lange genug in Griechenland gelebt, um die Kleidung, Sprache und vor allem eine gewisse den Griechen eigene Arroganz über alle anderen Barbarenvölker nachvollziehen und auch selbst vorzeigen zu können.
Es war ein Höllenlärm im Theatron. Seinen Sitzplatz wählte Sermo bewusst abseits des winzigen römischen Blocks. Vielmehr mischte er sich einfach unter die griechischen Männer, die aussahen als hätten sie sowohl etwas zu sagen als auch genügend finanzielle Kraft, um ihre Meinung notfalls so durchzusetzen. Cleon war direkt bei ihm. Zwar merkte er sofort, wie sich die Blicke der Anwesenden auf ihn richteten und es wurde wohl schon geredet, wer das sei, aber er ignorierte das komplett. Gerade machte einer der Umsitzenden Anstalten ihn anzusprechen, da brüllte ein Nubier nach Ruhe und die Menge verstummte.
Der Eponmitanographos hielt eine kurze Ansprache zur Lage der Polis, daraufhin meldete sich der Gymnasiarchos zu Wort. Bis dahin war Sermo nicht unbedingt beeindruckt oder gar überrascht gewesen. Der Eponmitanographos hatte nichts neues verkündet und der Gymnasiarchos schwafelte pseudoberuhigendes Zeug, das hier hoffentlich niemand glaubte, der noch ganz bei Verstand war. Und dann, ohne Vorwarnung, passierte etwas für den Quintilius völlig unerwartetes. Da stand ein junger Kerl auf und machte Krawall, wie er es nicht erwartet hätte. Sermo musste zweimal hinhören, blinzelte ungläubig, wechselte einen irritierten Blick mit Cleon, der ebenso verwirrt schien. Was redete der denn da? War der noch ganz bei Trost? Dieser Bursche wollte ernsthaft, dass die Getreidelieferungen und Steuerzahlungen an Rom gestoppt wurden?
Sermo saß da wie erstarrt, was darauf zurückzuführen war, dass sämtliche Körperfunktionen in diesem Moment zugunsten seines Hirn eingeschränkt waren. In seinem Kopf arbeitete es wie in einem Ameisenhügel. Er musste abwägen. Vorteile, Nachteile, Konsequenzen. Er rang mit sich, aufstehen, sitzen bleiben? Etwas sagen? Etwas schreien? Das könnte seine Chance sein. Das könnte auch sein Ende sein. Ein Seitenblick zum Römerblock, wo man entsetzt dreinschaute. Nein, er musste abwarten. Erst einmal die Reaktionen beobachten. Wer positionierte sich wo? Wer schloss sich dem Krawallmacher an, wer war dagegen? Wer sagte noch gar nichts? Wer war bloßer Mitläufer und erhob selbst seine Stimme? Sermo kannte ja nicht einmal den Eponmitanographos. Und die hier Versammelten kannte wiederum ihn nicht. Warum also gleich etwas sagen und sich hier selbst auf die politische Schlachtbank führen, bevor er überhaupt in die Nähe des Mastfutters gekommen war? Nein, Sermo wartete ab...