Beiträge von Iullus Quintilius Sermo

    "Ich hoffe es doch sehr," setzte er noch einen obendrauf und winkte dann aber ab. "Na, wir werden jedenfalls sehen was die Zukunft bringen mag." Und damit war diese Sache für ihn abgehakt.


    "Mensch, Octavius Macer war doch auch bei den Ludi Romani dabei. Sicher kenn ich den!" meinte Sermo fröhlich. "Ich werde mich mit ihm diesbezüglich in Verbindung setzen. Und den Praefectus Vescularius werde ich dann wohl zu gegebener Zeit einmal aufsuchen. Hast du ihn einmal kennen gelernt?" Immerhin konnte es ja sein, dass er dem Praefectus Urbi in der Castra mal über den Weg gelaufen war.


    "Sofern meine Amtsgeschäfte - sollte ich denn gewählt werden - es erlauben, werde ich natürlich dann gerne zur sportlichen Ertüchtigung unter professioneller Aufsicht herkommen." er grinste. "Wann trefft ihr euch dann wieder? Ich würde gern direkt mitkommen, wenn Iulius Centho das recht ist."

    Sein Gelaber schien Vala nicht sonderlich zufrieden zu stellen, denn dieser kommentierte alles nur mit vier Worten. Sermo runzelte kurz verdrossen die Stirn, machte dann jedoch wieder gute Miene zum bösen Spiel. "Wie du siehst, neige ich zu überschwänglichen Erklärungen. Wie siehst du denn den Dienst der Liktoren?" fragte er geradeheraus und wollte sich damit einen Einblick in das Bild verschaffen, dass Vala bisher von Rom erhalten hatte.


    Sermo interessierte sich zwar nur mäßig für Scribatätigkeiten, dafür aber umso mehr für Gesetzgebung. Daher hakte er hier interessiert nach. "Gesetzgebung welcher Art, wenn ich fragen darf? In wessen Diensten stehst du demzufolge?" So sorgte er dafür, dass die Kreise nicht so schnell wieder geglättet wurden. Vielleicht war sein Patron ja an solchen Gesetzesänderungen interessiert, immerhin hatte er sich solche ja bereits bei seiner Praeturkandidatur auf die Fahne geschrieben.

    "Kann er wohl," kommentierte der Quintilius das Geschwätz der Iunia über Kompetenzen des Kaisers in seiner eigenen Provinz. Natürlich verstand die Kleine nicht einmal ansatzweise, worauf Sermo überhaupt hinauswollte. Und jetzt war er auch zu faul und genervt, um sich noch näher zu erklären. Also schnitt er das Thema mit einem knappen "Wir werden sehen" ab.


    Gut, dass Axilla nun sowieso anfing herumzuwitzeln und sich das Gesprächsthema wesentlich erquicklicher gestaltete. Gespielt bestürzt beeilte er sich, um Verzeihung zu bitten. "Entschuldige bitte vielmals, geschätzte Iunia! Wie konnte ich nur so ungehobelt sein und dir nicht einmal eine Stadtführung anbieten?! Freilich verrate ich dir gern, aus welchem Teil dieser wundervollen Stadt ich stamme...im Tausch gegen dein gut behütetes Geheimnis, versteht sich." Er zwinkerte ihr zu und grinste verschwörerisch. Dass sie keinen Wein mehr wollte, erinnerte Sermo daran, dass er noch nicht gegessen hatte. "Vielleicht sollten wir etwas essen, damit der Wein nicht gar so schnell sich auf unser Gemüt niederschlägt," schlug er vor und bot Axilla sogleich seinen Arm an, um sie zum Büffet zu führen. Und dann folgte auch schon die Beschreibung des iunischen Anwesens. Basileia, das schien ein Stadtteil zu sein. "Die Basilea also. Da gibt es Tore? Ist dieser Stadtteil umfriedet?" Er stellte sich eine große Trennmauer inmitten der Stadt vor, in der Mitte der Statthalterpalast gelegen; umgeben von prächtigen Parkanlagen. Doch das war nur Wunschvorstellung, vermutlich sah es dort ähnlich aus wie in manchen ärmlichen Drecksvierteln Roms...


    "Gut, dann verrate ich dir mein Geheimnis," zwinkerte er noch einmal. "Die Casa Quintilia ist ein bescheidenes Atriumhaus auf dem Viminal, gelegen am Vicus Longus. Wenn du möchtest, biete ich dir selbstverständlich gern eine kleine Stadtführung an, sofern dies nicht schon hinfällig ist. Seit wann bist du hier, sagtest du? Da hast du gewiss schon einiges gesehen. Den Viminal auch?" Fragend blickte er seine Begleiterin an und wäre beinahe mit einem anderen Gast zusammengestoßen, der plötzlich in seinem Weg stand. "'Tschuldigung," nuschelte er nur und sah dann wieder Axilla an, da erreichten sie auch schon das Büffet.

    Ein Ritter? Wer? Wo? Sermo wollte sich schon verwundert umschauen, als ihm bewusst wurde, dass wohl er selbst gemeint war. "Nicht doch, kein Ritter! Ich gehöre nur dem Ordo Equester an, doch den Rang eines Eques habe ich mir bei weitem noch nicht verdient." Er ließ dieses kleine Misverständnis links liegen und ging vielmehr auf die Worte nach seiner Gratulation ein. "Großartig, das glaub' ich gern!" grinste er und folgte dann Pisos Fingerzeig zu ihrem Patron hinüber. Zur Bestätigung nickte er und erwiderte bekräftigend: "Ja gern." Da das Atrium noch immer voll von Klienten und deren Klienten und Sklaven und dem morgendlichen Imbiss und noch mehr Klienten und noch mehr Sklaven...; also da es auf jeden Fall gut gefüllt war, ging Sermo behäbig richtung Porta vor. "Du wirst dich gewiss gleich auf den Weg zur Basilica Ulpia machen wollen, gehe ich da richtig? Wenn du möchtest, begleite ich dich ein Stück des Weges." Ein schelmisches Grinsen grinsend sagte er dann noch: "Ich habe heute ohnehin einen freien Tag, da richte ich mich gern nach dir." Mittlerweile hatten sie die Porta erreicht, wo der Ianitor sie bereits erwartgungsvoll musterte, ob er wohl ihre Umhänge bereithalten sollte, oder ob die beiden Herren wohl doch nur abseits der Menge diskutieren wollten.

    "Praefectus Aegypti?" hakte Sermo kritisch nach. "Das ist mir nicht möglich, sollte ich je Senator sein. Senatoren ist das Betreten der Provinz verwehrt, das ist doch allgemein bekannt. Nur ein Ritter kann diesen Posten ausfüllen." Insgeheim fragte der Quintilier sich, ob Iunia Axilla ihn gerade an der Nase herumführte. Die Frau schien weniger Ahnung zu haben, als sie vorgab. Womöglich war sie ja noch niemals in Alexandria gewesen! Die Alternative, die sie dann jedoch anfügte, gefiel ihm schon besser. Besonders der Aspekt, dass die Kleine dann als seine Begleiterin fungieren könnte. Er spielte den angenehm Überraschten und deutete eine leichte Verbeugung an. "Das ist eine hervorragende Idee. Ich danke sehr für dein Angebot. Wenn die Zeit reif ist, werde ich gerne darauf zurückkommen!" Auch wenn er andere Hintergründe für seine Entscheidung hatte, so meinte er seine Worte doch ernst und schenkte der jungen Iunia ein ebenso charmantes Lächeln wie sie ihm eines entgegenbrachte. Bemerkenswert wie offen diese junge Frau gegenüber beinah Unbekannten war. Und dann gleich einen solchen Vorschlag zu machen, den andere wohl glatt als forsch oder gar ungehörig empfinden würden, die allerlei böse Hintergedanken vermuten könnten. Vielleicht täuschte Sermo sich ja auch glatt und hinter Axillas unschuldiger Maske verbarg sich eine ausgefuchste Schlange, die Männer vernaschte, ausraubte und dann von der Bildfläche verschwand! Hm, nein. Das war wohl eher unwahrscheinlich. Dazu war die hier vermutlich viel zu naiv. "Besitzt deine Familie in Alexandria denn ein Anwesen, an dessen Andresse ich mich wenden kann, sollte ich dann wirklich jene Reise unternehmen?" Derweil leerte Sermo sein Weinglas, stellte es einem vorbeieilenden Sklaven auf das Tablett und nahm ein neues herbei. "Noch etwas Wein?" fragte er beiläufig, aus reiner Höflichkeit.

    "Na hör mal!" ereiferte Sermo sich über die respektlose Art dieser Rotzgöre. "Pass mal auf du schmierige Eiterbeule!" Wut kochte augenblicklich in ihm hoch. Wer war diese Tussi eigentlich, dass sie ihn so behandelte? Ihn, Iullus Quintilius Sermo, Sohn eines Tribunus Angusticlavius der Legio II Germanica! Gewesener Liktor des Praetors Purgitius Macer! Aufstrebender Politiker und Edelmann aus Überzeugung! Ja, was man im Suffkopf nicht alles von sich hielt, wenn man doch in Wahrheit praktisch...nichts war....
    "Ich dreh dir gleich deinen dürren Hals um, dann kannst du drüben im Elysium meinen Bruder fragen, was ich doch für ein Penner bin!" Erst war da nur Zorn, doch dann wurde ihm schlagartig bewusst, was er überhaupt gesagt hatte. Er blieb an Ort und Stelle stehen, die Drohung hing jedoch weiterhin im Raum. Hätte er gewusst, dass seine Gegenüber ebenfalls den Bruder verloren hatte, seine Wortwahl wäre womöglich anders gewesen. Oder hätte er gerade deshalb besonders jene Worte gewählt, die seinen toten Bruder mit einbezogen? Aber das war ja auch egal, denn er wusste ja sowieso nicht, dass Caelyn ebenfalls Familie verloren hatte. Also stand er nur da, die Stirn zornig gerunzelt und den Zeigefinger drohend erhoben.
    Und während er so stand, wurde ihm erst bewusst, was die Kleine ihm überhaupt an den Kopf geworfen hatte. Seife? Ach, dieses germanische Zeug, das man zum Waschen benutzt. Verwundert sah er an sich herunter. War er etwa so dreckig? Ah, es musste seine Weinfahne sein! Ja, die Weinfahne. Stolz grinste er, doch das Grinsen verschwand schnell wieder, als ihm seine vorherigen Worte wieder einfielen. Achja, Valentinus. Hals umdrehen. Konzentier dich gefälligst! Wütend starrte er wieder die Blondine an, auf jede bissige Antwort gefasst...

    Es war eine schlimme Nacht. Drei Tage zuvor hatte Sermo vom Tod seines Bruders erfahren. Seit dieser Nacht war er jeden Abend nach der Arbeit losgezogen und hatte Trost gesucht im Wein. Die Folge war, dass er immer spät nachts sturztrunken nach hause gekommen war und früh morgends völlig verkatert zur Salutatio erschienen war. Auch heute abend torkelte er von einer Schänke zur nächsten. Dass nur wenige Straßenecken entfernt eben erst ein Hochzeitszug - auch noch der eines Aureliers - vorbeigezogen war, konnte er nicht ahnen. Auch konnte er nicht ahnen, dass dort eine Sklavin sich gerade ihres Mageninhaltes entledigt hatte. Und so latschte er, vom Wein bereits mit einem gewissen Schweregefühl gezeichnet, durch die Gassen und hielt nach der nächsten Weinsteige ausschau. Er hatte lediglich eine dunkelgrüne Tunika an - die selbe, die er schon seit drei Tagen trug - stank aus dem Maul nach allerlei verschiedenen Weinsorten, und trug stolz einen Dreitagebart zur Schau. Wirklich stolz auf sich selbst war er dabei jedoch nicht. Er hasste sich, hasste das Schicksal. Hasste die Parzen, die sein Schicksal und das seines Bruders bestimmten - oder vielmehr bestimmt hatten. Und er hasste, wie er sich gehen ließ. Doch er konnte nichts tun. Er hatte versucht, sich zu fangen. Hatte versucht wie jeden Morgen in den Alltag einzusteigen. Doch immer kamen diese trüben Gedanken auf, die nach dem Sinn fragten. Nach dem Sinn von Valentinus' Tod. Nach dem Sinn seiner Bemühungen. Nach dem Sinn des Ganzen. War nicht alles völlig sinnlos? Oh, wie endlos waren die Diskussionen bereits gewesen mit den anderen Trunkenbolden an der Theke! Über Vergänglichkeit hatten sie geschwafelt, als wären sie die größten Philosophen Roms! Und doch hatte Sermo am nächsten Morgen das meiste sowieso komplett vergessen gehabt. Vermaledeiter Wein! Der Quintilier bog um eine Ecke und plötzlich stand er vor der jungen Frau, die gerade etwas ratlos die Straße entlangschaute, offenbar auf der Suche nach etwas. Einen Augenblick brauchte er, um zu schalten. Sermo stand da, die Arme schlaff zu Boden hängend, die Stirn im Grübeln gerunzelt, mit fragendem Blick. "Salve?!" meinte er, sichtlich überrascht hier eine Menschenseele anzutreffen. Überrumpelt war er, dass jemand es wagte, durch seine schiere Präsenz an dieser Straßenecke ihn in seiner Betrübtheit zu stören. Unmöglich, diese Bälger heutzutage!
    "Einen schön'n guten Abend!" setzte er dann allerdings mit etwas Nachdruck hinzu, denn die junge Frau würde ihn vermutlich nicht sogleich entdeckt haben, er kam immerhin aus einer dunklen Seitengasse angeschlurft. Gemächlich trat er ins Mondlicht und zeigte ein schmales Lächeln. Er hob scheu die Hand zum Gruß und hob unbewusst die Augenbrauen, als er die junge Frau nun näher betrachten konnte. Sie war recht hübsch gekleidet, offenbar kam sie von einer Art Feier? Allerdings schien sie nicht sonderlich wohlhabend zu sein, oder gab sich zumindest nicht so.

    "Das Orakel?" Achja. Da war ja was gewesen. Ungern erinnerte er sich zurück. "Ja, das Orakel habe ich befragt. Allerdings war mir sein Spruch völlig unverständlich. Über die Zeit habe ich ihn vergessen, die Wachstafeln sind in meinem Haus in Athen irgendwo verschütt gegangen fürchte ich." Er log geradeheraus, ohne auch nur ein ansatzweise schlechtes Gewissen zu bekommen. In Delphi hatte er jene Weissagung erhalten, die ihm schlimmes vorhergesagt hatte. Oder wundervolles, je nach Sichtweise. Das hatte ihn damals so verwirrt, dass er tagelang völlig antriebslos gewesen war und letzten Endes die Vorhersage aus seinen Plänen ausgenommen und für sinnlos erklärt hatte, um der Verzweiflung zu entgehen.
    Axilla kommentierte Sermos Wissen und ihre eigenen Lernversuche, die er mit einem gönnerhaften Lächeln abtat. "Dein Lehrer wollte dich zu einer recht eigenständigen Dame heranziehen, scheint's." Ob er dies nun für unangebracht hielt, oder solch selbstbewusste und unabhängige schätzte, konnte man nicht erkennen.
    Und dann berichtete die Iunia von Ägypten. Wie ein Traum erschien ihm dieses Land. Er hörte fasziniert zu und stellte sich während ihrer Erzählungen die Gegebenheiten bildhaft vor. "Ich schätze die Griechen, wenn ich das so sagen darf. Sie sind klug, handelsfreudig und politische Genies, auch wenn ihr Verständnis von den Tugenden gewiss nicht immer ganz dem unseren entspricht. Die Kulte der Einheimischen Südländer sind mir jedoch ein Rätsel. Sie scheinen Überbleibsel schon längst vergangener Reiche und Kulturen zu sein. Erstaunlich, dass sie so lange überdauern konnten." Für Axillas letzten Einwurf erntete sie einen tadelnden Blick. "Meine hochverehrte Iunia. Deine Worte sind keinesfalls albern. Ganz im Gegenteil, sie klingen wahrhaftig nach einem Zauber. Einem fremdländischen, nebulösen Zauber, der meinen Geist anregt von diesem fernen Land zu träumen. Deine Worte wecken in mir den Wunsch, Aegyptus einmal selbst zu bereisen." Ermutigend sprach er ihr zu. Sie sollte wissen, dass er sie - oder zumindest ihre Erfahrungen in diesem Land - wertschätzte. Mit sehnsüchtiger Miene erklärte er dann jedoch. "Aber da ich eines Tages dem Senat anzugehören gedenke, ist es zweifelhaft, ob ich diesen wundervollen Traum jemals zu Gesicht bekommen werde!"

    Sermo schien bei seinem Gegenüber den richtigen Nerv getroffen zu haben, denn dieser sprang auf die fahrende Kutsche auf. Immerhin war der Flavius auch gerade erst in die Ämterlaufbahn eingestiegen und schien sich für die nachkommenden Politikergenerationen hinreichend zu interessieren, insbesondere wenn sie Klienten seines Patrons waren. "Ein wahrhaft ehrenwertes Ziel, da stimme ich dir zu," stimmte Sermo zu. "Mein Vater war Legionstribun und leider kein begabter Politiker. Generell sind die jüngeren Generationen der Quintilier, insbesondere meines Familienzweiges, eher militärisch geprägt." Gewisse Ereignisse zu Augustus' Zeiten hatten da wohl eine gewisse Rolle gespielt, die Quintilier aus der Politik für längere Zeit zu verdrängen. Wohlweislich ging Sermo auf diesen Umstand jedoch nicht ein. "Ich darf also behaupten, der erste der meinen zu sein, der den hochrühmlichen Weg der Politik einschlägt." Er lächelte fein und reichte dann - so tuend als wäre ihm gerade erst jener Wahlerfolg des Falvius in den Sinn gekommen - die Hand. "Ach, meine Gratulation zur erfolgreichen Wahl übrigens. Die Amtsübergabe hat gewiss schon stattgefunden? Wie fühlt es sich an, nun da du Magistrat der bedeutensten Stadt des Erdkreises dich nennen darfst?"

    Nach der Andacht für ihren verstorbenen Bruder Valentinus hatten sich Sermo und seine Schwester Melina auf der Steinbank im Garten niedergelassen. Diomedes brachte zwei schmiegsame Wolldecken, die sie vor dem kalten Lüftchen schützte, das sich hier durch die Zweige der Sträucher und Bäumchen kräuselte. Um einen unbekümmerten Ton bemüht, wandte Sermo sich an seine Schwester. "Ich bin froh, dass du wieder bei mir bist, Melina. Umso bedauerlicher ist, dass ich bald gen Ostia aufbrechen werde, um dort den Weg in die Stadtverwaltung einzuschlagen." Er wollte nicht direkt wieder zu herrisch klingen, deshalb drückte er seinen nächsten Wunsch vorsichtig und sehr gewählt aus: "Ich würde es begrüßen, wenn du in nächster Zeit den Einstieg in die römische Gesellschaft meistern würdest." In einem Moment der Beklemmung musste er abrupt an die letzte Gelegenheit zurückdenken, als sie hier so gesessen hatten. Melina und er hatten sich damals ganz ordentlich in die Haare gekriegt, weshalb war ihm entfallen. Vermutlich war es dabei um ihr furchtbares Benehmen gegangen.

    Die Zeit verstrich zäh wie ein schleimiger Bach, sich schwerfällig dahinschlängelnd. Irgendwann erwachte Sermo aus seiner Starre, die ihm Zeit für stilles Gebet gewesen war. Er warf Melina einen undeutbaren Blick zu und erhob sich dann gleichförmig, seine Schwester mit auf die Füße ziehend. "Nun, da der Ehre der Ahnen Genüge getan ist, wollen wir uns zusammensetzen und über die Zukunft sprechen. Es sind Dinge zu bereden, die sowohl dich, als auch meine Person betreffen und die wegweisend sind." Er erklärte dies alles ganz behutsam, während er - seine Schwester noch immer an der Hand haltend - diese gemessenen Schrittes aus dem Atrium heraus vom Hausaltar weg führte. "Komm, setzen wir uns doch in den Garten. Auch wenn es noch kühl ist zu dieser Jahreszeit, Decken und ein dampfender Glühwein werden uns wärmen." Die Trauer war gewichen - so wollte es dem Beobachter scheinen - und dem Tatendrang gewichen. Sermo hatte seine Gefühle nun voll und ganz seinem Verstand untergeordnet. Der Ratio, der Vernunft, wie die Lehre der Stoa besagte. Er gab Diomedes Anweisungen, Decken und Glühwein zu bringen und wies Melina dann gewissenhaft den Weg hinaus in den Hortus.

    Wie hätte er es auch anders erwarten sollen? Melina hatte kein bisschen Selbstsicherheit auf dem Gebiet der Zwischenmenschlichen Umgangsformen. Ja, man könnte sogar sagen sie sei völlig unerfahren in der niveauvollen Art der Konversation, verhielte sich wie ein Kind. Und scheu war sie zudem auch noch. Immerhin führte sie sich nicht wieder auf wie ein tollwütiger Köter. Nein, Sermo war sogar stolz auf seine Schwester, dass sie sich bisher taktvoll, zurückhaltend und höflich gegeben hatte. Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und war unglaublich erleichtert, dass Calvena Melinas Unsicherheiten und Fehltritte elegant überging und so tat als wären sie ein eingespieltes Plauderteam.
    Die beiden Frauen begrüßten sich und Melina machte es sich hektisch bequem. Oder anders gesagt: Sie setzte sich schnell gemütlich hin. Oder sie ließ sich gemächlich auf die Cline fallen. Wie dem auch war, sie hatte ihr Hinterteil in sitzende Position gebracht. Sermo ließ sich ebenfalls wieder nieder und überging den allerdings äußerst schlechten Scherz mit einem milden Lächeln. Die Arme, war völlig verunsichert. Völlig souverän baute sich Sermo daher wieder ins Gespräch ein.
    "Du wagst zu übertreiben. Ständig demolieren wir unsere Einrichtung gewiss nicht, sonst wären wir bald ein ziemlich armer Haushalt." Der Quintilius grinste ungezwungen und zwinkerte Melina fröhlich zu. Er war gut gelaunt, seine Schwester hier zu haben und zuzusehen wie sie ihre ersten Schritte in die römische Gesellschaft tat. "Ich kenne Octavius Macer übrigens flüchtig. Du erinnerst dich gewiss an die Ludi Romani? Die Sache mit dem Bären?" Als er ein wissendes Leuchten in Calvenas Augen erfasste, fuhr er grinsend fort. "Richtig, er war ja auch da und hat dieses Vieh abgewehrt. Allerdings habe ich ihn auf der Feier in der Casa Iunia später vermisst. Hast du ihn dort gesehen?" Vielsagend suchte Sermo den Blick seiner Schwester und erklärte nebenbei kurz die Sachlage. "Weißt du, da war dieser ausgerissene Tanzbär bei den Ludi Romani auf den Straßen unterwegs und wir waren zufällig mit einer größeren Gruppe am Forum. Konnten das Zotteltier mit vereinten Kräften unschädlich machen und sind später alle zusammen von diesen beiden iunischen Cousinen eingeladen worden."

    Der Vigintivir brachte einige Fragen vor seinen Patron, die Sermo ebenfalls interessierten, die er nur noch nicht hatte stellen können. Gut, so erfuhr er gleich einige Dinge über die Pläne des Purgitiers und musste selbst keinen Finger dafür krümmen. Macers Argument, dass seine Frau wohl ein Wörtchen mitzureden hätte, wenn es um die Legion ginge, ließ Sermo ebenfalls schmunzeln - wie auch einige andere umstehende Klienten des Senators.


    Ha, Glück gehabt! Der Flavius sprach ihn sogar ganz ohne Sermos Zutun an. Der gewesene Liktor nickte knapp und setzte ein schmales Lächeln auf. "Das ist korrekt, werter Flavius," erklärte er knapp. "Ich werde die Ämterlaufbahn der Stadtverwaltung beschreiten," erläuterte Sermo weiterhin und meinte lapidar: "Als Vorbereitung auf den Cursus Honorum, quasi."

    Die Worte seines Patrons klangen scherzhaft, auch wenn sie wohl durchaus ernst gemeint gewesen waren. Zumindest was Senator Germanicus anging, brachte sein Patron Sermo zum schmunzeln. Schnell wurde er jedoch wieder ernst, denn Macer ging näher auf die Konstellation des Senats ein. Interessiert hörte Sermo weiter zu. Er nickte beipflichtend, als der Purgitier auf Flavius Furianus zu sprechen kam. "Diese Wortgefechte führen ja sogar bis in die Hallen der Basilica Ulpia, wie eben jene Senatoren erst letztes Jahr beschämenderweise demonstrierten."


    Sie stiegen gemächlich aus dem Becken, streiften die Holzsandalen zum Schutz gegen die beheizten Fußbodenplatten über die Füße und schlenderten dann in den nächsten Badesaal, dessen Becken noch um einiges heißer war. Ganz ungezwungen und mit einem wohligen Seufzen ließ Sermo sich auch in diesem Becken nieder und lehnte sich genießerisch am Beckenrand an. Wenig später kam er auf das angefangene Thema zurück. "Sag, wäre es nicht die Aufgabe der Consuln, eine Debatte zu moderieren? Sie in den richtigen Bahnen zu halten und nicht in sinnlose Gefilde abschweifen zu lassen? Ich meine, wären die Debatten im Senat unter strafferer Kontrolle, könnte man nicht eine enorme Zeitersparnis erzielen?" Mit unschuldiger Miene suchte er den Blick seines Patrons, bevor er beteuerte: "Wobei ich den amtierenden Consuln gewiss nicht Kritik an ihrer Tätigkeit äußern will, da ich selbst ja freilich nie persönlich an den Sitzungen teilnehmen kann."

    Nur kurze Zeit später erschien der große Bruder auch schon im Atrium. Er hatte sich eine frische Tunika übergezogen und neben einem Taschentuch für Melina auch etwas Brot, Trauben und einen Becher Wein mitgebracht. Während sie sich die Tränen trocknete, warf Sermo einen Blick auf den Hausaltar und befand diesen für angemessen hergerichtet. Der Weihrauch waberte unbeirrt gen Himmel, brannte ein bisschen in seinen Augen, bis er sich daran gewöhnt hatte. Tief atmete Sermo ein, genoss den Duft der exotischen Körner, die von weit her aus Syrien, Aegyten oder gar Arabia importiert wurden. Als Melina so weit war, kniete er sich vor den Altar und legte die Hände in den Schoß, um Ruhe einkehren zu lassen und die Sinne voll und ganz auf das Gebet zu fixieren. Die Opfergaben stellte er vor sich auf den Boden, dann bedeutete er mit einem Seitenblick seiner Schwester, es ihm gleich zu tun.
    So hockten sie einige Augenblicke schweigend da. Lediglich das Säuseln des Windes und gelegentliches Vogelzwitschern durchbrach die Stille. Der Weihrauch kräuselte sich noch immer unbeirrt aufwärts, als Sermo seinen Blick hob und die Ahnen adressierte.
    "Ihr Ahnen, ihr Väter und Vorväter,
    ihr Mütter und Vormütter.
    Ich ehre euch im Gedenken an eure Taten und euer Wirken
    und im Bewusstsein eures Vermächtnisses."

    Er warf noch eine Handvoll Weihrauch auf die Kohle, dass es knisterte und eine besonders pralle Wolke hochstieg.
    "Ihr ehrwürdigen Vorfahren, schaut mich an!
    Ich rufe euch im Vertrauen auf euren Beistand und eure Fürsorge.
    Ich rufe besonders Marcus Quintilius Drusus und Lavinia Callista,
    euch teure Eltern.
    Euch will ich, im Namen der Familie,
    im Beisein meiner liebsten Schwester,
    diese Gaben darbringen.
    Frisches Brot habe ich hier, pralle Trauben und süßen Wein,
    es soll alles zu eurer Freude sein."

    Er nahm das Brot und die Trauben und legte die Gaben ehrfürchtig auf den flachen Opferteller zu Füßen der Figuren, den Wein stellte er daneben.
    "Ihr Ahnen, ich beschwöre euch,
    auf dass ihr unseren Bruder - Marcus Quintilius Valentinus -
    aufnehmt in euren Reihen, und er seinen Platz bei euch findet."

    Jetzt nahm Sermo die Hand seiner Schwester und drückte sie leicht.
    "Wir bitten für unseren geliebten Bruder,
    lasst ihn nicht ruhelos wandeln im Diesseits.
    Helft ihm einzukehren ins Elysium, wo wir ihn wiedersehen,
    wenn die Zeit dazu gekommen ist.
    Darum bitten wir euch, so wahr wir hier vor euch knien.
    Erhört unsere Bitte zum Wohle der Familia,
    deren Ehre wir immer hoch halten wollen,
    wie es sich geziemt."

    Er legte noch etwas Weihrauch nach und verharrte dann in Stille, die nur vom leisen Knistern in der Weihrauchschale geschmälert wurde.