Beiträge von Iullus Quintilius Sermo

    Sermo nickte nur und ließ Melina dann den Raum verlassen. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieß er schwerfällig die Luft aus den Lungen und stützte sich erschöpft auf den Schreibtisch. Erschüttert stand er da, diese unglückliche Zusammenkunft verarbeitend. Dann griff er zur Weinkaraffe, die auf dem Tisch stand. Er war in letzter Zeit nicht sonderlich oft wirklich nüchtern gewesen, der Wein war ein ständiger Begleiter. Ein starker Schluck rann seine Speiseröhre hinunter, löste den Kloß in seinem Hals. Er räusperte sich, stellte energisch das Glas zurück und drehte sich dann entschlossen um. Das Leben ging weiter und deshalb musste er sich jetzt endlich wieder fangen. Er musste sich um Melina kümmern, und das am besten nüchtern! Entschlossenen Schrittes verließ er das Officium und eilte in sein Zimmer, um sich saubere Kleidung überzuwerfen.

    "Wir können ihn ja nicht wieder lebendig machen, oder?" Die Wahrheit in Melinas Worten traf ihn härter, als er erwartet hatte. Sie war offensichtlich rational genug, um die Wahrheit direkt zu begreifen. "Nein, können wir nicht," meinte er niedergeschlagen. Seine Tunika war mittlerweile zum Lappen umfunktioniert worden, in dem sich Tränen und Schminke vermischten.
    "Ich dich auch," erwiderte Sermo die Liebesbekundung seiner Schwester aufrichtig. Er hielt sie in ihrer Umklammerung, während sie einen Augenblick schwiegen. Was sollten sie auch tun? Melina ergriff als erste wieder das Wort. Sie sprach von Ehre und Zusammenhalt. Ja, das war wohl das einzig Richtige. Sie mussten zusammenhalten, für einander einstehen in dieser schwierigen Zeit. "Ja, zusammen überstehen wir auch die schlimmste Zeit." Er drückte sie noch einmal kurz, dann räusperte er sich und erklärte feierlich: "Wir sollten uns an unsere Ahnen wenden. Valentinus muss die Sicherheit haben, unter ihnen aufgenommen zu werden." Er sah mit schiefem Grinsen an sich herab. "Geh doch schonmal ins Lararium und entzünde den Weihrauch, ich werde mir eine andere Tunika anziehen müssen, bevor ich zu unseren Ahnen spreche," forderte er sie auf und entließ sie aus seinen Armen.

    ~ LARARIUM ~
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    IM ATRIUM STEHT DER HAUSALTAR MIT DEN KLEINEN PLASTIKEN DER LAREN, DER QUINTILISCHEN AHNEN UND HAUSGÖTTER.
    HIER KANN IM STILLEN GEBETET UND GEOPFERT, ODER EINFACH NUR EINEN MOMENT LANG IN SICH GEGANGEN WERDEN

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    Das Atrium beherbergt wie in jedem römischen Haushalt einen kleinen Altar, den Laren geweiht. Er ist stets mit Blumengestecken geschmückt und hat die Form eines kleinen Tempels. Im Inneren des Tempels stehen Abbilder der Hausgötter oder Portraits von verstorbenen Familienmitgliedern, zu denen hier gebetet oder geopfert wird. Eine Opferschale steht bereit, daneben findet sich ein Gefäß mit Weihrauchkörnern. Einige Kerzen vervollkommnen das Gesamtbild und sorgen an düsteren Tagen für das nötige Licht. Bei Nacht steht selbstverständlich auch eine Öllampe bereit, den Laren die Sicht auf den Betenden zu ermöglichen.

    Achja, die Befreiung des Decimus Livianus. Ein sehr kontroverses Thema damals. Er nickte verstehend und erklärte dann: "Also ich werde definitiv dieses exotische Land besuchen, bevor mein Stand das verhindern kann. Ich habe schon so vieles darüber gelesen, so viele Geschichten gehört. Meine Neugierde auf Aegyptus ist schon seit Jugendtagen geweckt." Er dachte dabei an Felsartige Giganten mit Stoßzähnen, langhälsige gelb-braune Pferde und zottelige Minimenschen, exotische Frauen in fantastischen Palästen und an geheimnisvolle Gottheiten, die in gigantischen Tempeln verehrt wurden. "Womit ich sagen will, dass ich noch nicht da war, nein." Er lächelte breit und nahm einen weiteren Schluck von seinem Wein. "Sei doch so gut und erzähl mir etwas über dieses sagenumwobene Land."
    Sie blieben in der nähe der Topfpflanze stehen, als Axilla irgendwo hin deutete und ihn auf das Brautpaar aufmerksam machte. Sermo drehte sich reflexartig um und ließ seinen Blick suchend über die Menge schweifen, doch er konnte das Paar nicht entdecken. Relativ gleichgültig wandte er sich wieder der Iunia zu. "Hm. Wie dem auch sei..." Er hatte ohnehin das Interesse an dem Brautpaar verloren. Axilla war da eine wesentlich vielfältigere Unterhaltung als ein verliebtes Brautpaar, das mit seiner ekelhaften Romantik die Gäste nervte. Mal ehrlich, wenn es hier schon nach Rosen roch, wie mochten die beiden heute wohl drauf sein?! "Mein Studium absolvierte ich in Achaia. Genauer gesagt habe ich hauptsächlich in Athen gelebt. Jedoch habe ich mir auch die Zeit genommen, andere Städte anzusehen. Die Überreste von Corinthus und Sparta zum Beispiel. Und ich habe das Orakel zu Delphi besucht. Einen Abstecher nach Olympia habe ich mir selbstverständlich auch nicht nehmen lassen." Eine Augenbraue hob sich argwöhnisch, als er Axilla Glas betrachtete. Bei Bacchus draller Wampe! Die hatte ja einen Zug drauf! Unauffällig nahm er selbst einen tiefen Zug aus seinem Glas. Er wollte ja mit einer Frau mithalten können. "Studiert habe ich vieles. Philosophie war eins der vielen Fächer. Daneben habe ich mich freilich auch der Rhetorik, Grammatik und Dialektik gewidmet, ebenso dem Rechtswesen. Von der Staatenlehre, dem Finanzwesen und den kaufmännischen Fertigkeiten habe ich auch gelernt. Und das Attische beherrsche ich mittlerweile fließend." Mit einem Schulterzucken bemerkte er: "Mein Paedagogus war sehr gebildet und hat mir vieles erfolgreich vermitteln können." Kurz überlegte er, wie viele Jahre seines Lebens er in Griechenland tatsächlich verbracht hatte. Es mussten einige gewesen sein.

    Macers so treffende Worte ließen Sermo verhalten lachen. "Der alte Adel ist eben auch nicht mehr das, was er einmal war," witzelte er. Beschwichtigend, aber dennoch breit grinsend fügte er allerdings noch hastig hinzu: "Deine werte Frau freilich ausgenommen." Da sein Patron die Sprache auf die Germanici und ihre Umtriebigkeiten brachte, nutzte er die Chance und ging auch näher darauf ein. "Du sprichst von Avarus als großen Wortführer. Was hälst du denn von ihm? Ich meine, du hast dich aus politischen Lagern und deren Streitigkeiten untereinander ja recht gut heraushalten können bisher." Er spielte eindeutig auf die ständigen Konflikte zwischen Tiberius Durus und Germanicus Avarus an, die ihre Wellen beizeiten auch bis in die Reihen ihrer Anhänger schlugen.


    Es konnte wahrlich nur gut für ihn sein, wenn andere auf der Strecke blieben, wo er weiter wollte. Weniger Konkurrenz bedeutete eben doch einfachereres Fortkommen. "Es spielt eben nicht nur objektive Betrachtung von jemandes Leistungen eine Rolle, sondern eben auch der bekannte 'Nasenfaktor'. Es ist einfach unglücklich, dass Vescularius Salinator eine solche Abneigung gegen Patrizier hat. Dennoch wünsche ich Piso auf seinem jetzigen Pfad viel Erfolg." So langsam könnten sie wohl das Becken wechseln, fand zumindest Sermo. Deshalb fragte er beiläufig: "So. Wollen wir langsam mal...?" Ohne den Satz zu Ende zu bringen machte er stattdessen eine Bewegung mit den Fingern in Richtung des Ausgangs, die mit genügend Fantasie eine laufende Person darstellen konnte.

    "Ich halte besonders den Aufenthalt in Aegyptus für beeindruckend," widersprach Sermo seiner Begleitung. "Und du wurdest von Senator Decimus persönlich eingeladen? Du Glückliche, scheinst ja von einem rauschenden Fest ins nächste zu rutschen." Und ein Mitglied der Kaiserfamilie kannte sie auch noch! Interessant, wirklich. Er schürzte anerkennend die Lippen und lächelte weiterhin breit.


    Auf seine Komplimente folgte dann auch ein solches seitens der Iunia, was er allerdings lediglich mit dem Fortbestehen seines Lächelns quittierte. Sie spazierten gemächlich durch den Raum, wobei Sermo nicht so recht bemerkte, dass sie sich einer Pflanze im Terracottagefäß näherten, das Axilla gerne mit Wein gießen wollte. Auf ihren Wunsch, über ihn zu sprechen, reagierte Sermo gespielt überrascht, als wäre er es nicht wert Gesprächsthema zu sein. "Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ja. Studiert habe ich jedoch übersee."

    Sermo lachte laut auf, als Vala eine so plumpe Dienstbeschreibung des Liktorats abgab. Amüsiert schüttelte er den Kopf. "Nicht ganz. Ich bin zwar unter anderem auch für die...'Sicherheit' des Praetors zuständig, doch da gehört mehr dazu. Die Liktoren der Magistrate erledigen auch wesentlich subtilere Aufgaben. Es kommt ganz darauf an, wessen Liktor man ist. Für den Praetor bin ich zum Beispiel des öfteren in der Castra Praetoria bei den Cohortes Urbanae gewesen, um Verhandlungstermine bekanntzugeben, mich nach Gefangenen zu erkundigen, et cetera. Es ist eine große Ehre, Liktor eines hohen Magistrats dieser Stadt sein zu dürfen." Mit einem breiten Grinsen fügte er dann jedoch noch hinzu: "Allerdings hast du schon recht, man macht hauptsächlich die Drecksarbeit. Nicht so schlimm wie ein Scriba, aber man hat schon gut zu rödeln. Und dann ist da auch noch die Wartezeit, die wir während der Senatssitzungen zu überstehen haben. Eine gute Gelegenheit übrigens, die verschiedenen Senatoren kennen zu lernen und etwas mehr von ihnen zu sehen, als nur den Vorhang einer Sänfte."


    Mit Stolz erfüllte ihn auch Valas Meinung über seinen Patron. "Wahrlich, das Ergebnis kann sich sehen lassen! Unglaublich, wie beliebt er sein muss. Eine Erlärung ist unter anderem, dass Senator Purgitius abseits jeglicher politischer Lager steht. Er ist respektiert, angesehen und hat mit niemandem private Differenzen, soweit ich das erkennen konnte." Zur Unterstreichung seiner Aussage machte er eine Pause, um sich an der Entenbrust zuschaffen zu machen.


    Kauend hörte er den Ausführungen über Vinicius Hungaricus' Nutzen zu. Er nickte allerdings nur zur Antwort, konnte er sich doch gut vorstellen, wie es ohne Patron in direkter Nähe wäre. "Und was hat sich bei dir getan seit unserer letzten Begegnung?" fragte er daraufhin, um Vala weiter am Reden zu halten und so selbst mehr Ente essen zu können. Sein Magen schrie nach Essen und dieses wunderbare Fleisch wollte Sermo nicht unangetastet lassen.

    Entsetzt verfolgte der große Bruder die Veränderungen in Melinas Gesichtsausdruck. Er gab sich gefasst, wollte ein Vorbild sein. Ihre Frage wurde nur mit einem stummen Nicken beantwortet. Valentinus war wirklich tot. Dann kamen die unvermeidlichen Tränen. Von einem Moment auf den anderen war die lebensfrohe junge Frau zu einem heulenden kleinen Mädchen geworden, für das Sermo sich verantwortlich fühlte. Er musste ihr ein Vater an ihres Vaters Stelle sein, so gut es ging. Tröstend nahm er Melina in die Arme, hielt sie fest. "Ich weiß es nicht," erklärte er mit belegter Stimme. Er hatte noch nicht mit Faustus Octavius zu sprechen gewagt, hatte nicht nach dem Grund für Valentinus' Tod fragen können. "Ich weiß nicht, was ihm passiert ist. Es tut mir so leid." Er versuchte so beruhigend wie möglich zu klingen, doch seine Stimme zitterte, während Melina sich vor Trauer krümmte und ihre Schminke auf seiner Tunika verschmierte.

    Sie wollte nachdenken. Na toll. Und er hatte ernsthaft geglaubt, sie wolle sich umbringen. "Achso," meinte er also nur und erwiderte ihr Schmunzeln. Und dann tat sie etwas, das Frauen immer taten. Und jedes Mal war Sermo hin und weg von dieser Bewegung: Sie strich sich die Haare hinters Ohr! Sein Blick blieb kurz an jenem Ohr hängen, während er ihr zuhörte. "Kühl ist gar kein Ausruck." Es war arschkalt! "Es sind doch nur ein paar Minuten zurück zur Stadt," sagte er, als die Fremde ohne Vorwarnung einen Satz machte. Reflexartig machte Sermo einen Schritt rückwärts und hob abwehrend die Hände. Da aber keine Attacke folgte und er erkannte, dass es schlicht der Kälteschock gewesen war, der sie hatte hüpfen lassen, entspannte er sich und grinste sogar schief. Irgendwie niedlich wie sie gequietscht hatte. Er folgte ihrem Blick, der auf den nackten Füßen verharrte und hatte plötzlich einen Geistesblitz. "Ich hätte da eine Idee, wie wir dich trockenen und warmen Fußes nach Ostia bekämen." Während er geredet hatte, entfernte er sich langsam vom Wasser, damit die Frau nicht noch einmal kalte Füße bekam. Dann allerdings kniete er sich hin und schnürte sich den rechten Schuh auf, zog ihn vom Fuß und richtete sich dann wieder auf. "Wenn du es erlaubst, leihe ich dir meine Schuhe und begleite dich nach Hause. Oder zum nächsten Gasthaus, wenn du etwas weiter weg wohnst. Auf jedenfall irgendwohin ins Warme." Auffordernd hielt der Quintilier der Blondine den trockenen Schuh hin. Ein freundliches Lächeln zeigte sich dabei auf seinem Gesicht.

    Die Begrüßung verlief etwas steif. Irgendwie schien Calvena sich nicht recht wohl zu fühlen und Sermo ging es nicht wesentlich anders. Er zwang sich jedoch dazu sein Lächeln beizubehalten und konzentrierte sich dann auf den Smalltalk, der nun begann. Scheinbar erwischte er Calvena mit seiner offenen Begrüßung ein bisschen auf dem falschen Fuß, denn sie ging nicht sonderlich umfangreich auf die Verlobung und das drumherum ein. Nun gut, es war ja auch noch keine offizielle Verkündung vorgenommen worden und so überraschte es Sermo nicht, dass Calvena sich noch sehr zurückhielt diesbezüglich. Gut, dass man über das Wetter quatschen konnte. "Es ist eben noch Winter. Hoffen wir auf den baldigen Frühlingsanfang. Ich kann es nicht erwarten, dass es wieder wärmer wird." Die Fragen nach seiner Karriere wunderte ihn zunächst, doch ging er darauf ebenso bereitwillig ein wie auf die Wetterlage. "Von Karriere kann man da eigentlich noch nicht sprechen. Ich habe nun lediglich meine Amtszeit als Liktor hinter mich gebracht. Eine schöne Erfahrung und sehr lehrreich was das politische Leben angeht. Aber das reicht natürlich nicht. Als nächstes steht ein Posten in der Stadtverwaltung an. Höchstwahrscheinlich in Ostia." Er offenbarte ein schmales Lächeln und erhob dann verhalten seinen Glühwein zum Prost. Grad, als er von dem Getränk nippen wollte, klirrte es fürchterlich. Sermo erschreckte sich und hätte beinahe den Wein verschüttet, denn der Lärm kam von direkt hinter der Tür. "Was zum?!" Er wandte sich zur Tür um, die jedoch nicht aufgerissen wurde oder zerborsten war, wie man hätte annehmen können. Stirnrunzelnd erhob er sich, zuckte entschuldigend in Calvenas Richtung die Schultern und schlich auf leisen Sohlen zur Tür des Tricliniums. Diese riss er dann mit Wucht auf und trat energisch hinaus auf den Flur. "Melina! Was hat das schon wieder zu bedeuten?" Er sah die Scherben am Boden und zügelte mit Mühe seinen Ärger über die schusselige Schwester. Diomedes lugte vorsichtig um die Ecke und entdeckte das Chaos, woraufhin er sich gleich ans Putzen machte. Sermo hingegen machte eine einladende Geste richtung Triclinium. "Melina, gesell dich doch bitte zu uns. Das ist Germanica Calvena, Valerians Verlobte. Calvena, meine Schwester Quintilia Melina." Er schob die Pechprinzessin förmlich in den Raum hinein und schloss die Tür wieder hinter ihnen. Jetzt konnte sie mal beweisen, wie gut ihre Manieren in der Zwischenzeit geworden waren.

    Sermo musste schmunzeln, als sein Patron so von sich sprach. Natürlich war er kein anstrengender Dienstherr gewesen. Im Gegenteil, der Quintilier hatte sich sehr wohl gefühlt unter der Fuchtel des Purgitiers. Klar, es gab immer mal lästige Botengänge oder langweilige Stunden in der Basilica, während vorne etliche ähnliche Fälle nach dem selben Muster verhandelt wurden. Aber das war halb so wild. Letztendlich war er sehr stolz darauf, Macers Klient sein zu dürfen. "Danke für dein Vertrauen, es war uns eine Ehre dir Liktoren sein zu dürfen," bedankte Sermo sich auch im Namen der anderen Männer. Über die Geschenke freuten sie sich natürlich. Geschickt, wie Macer direkt Pluspunkte durch Großzügigkeit unter seinen Leuten sammelte.
    Und auch die Zustimmung des Patrons bezüglich Sermos Briefbedenken wurde glücklich aufgenommen. "Fabelhaft." Er bedankte sich für die guten Wünsche mit einem leichten Verneigung und erwiderte eben solche. "Vielen Dank. Auch dir eine gute Zeit bis zur nächsten Wahl. Viel Erfolg in der Inquisitio. Keine Sorge, ich werde ein Auge auf Ostia haben, als wär's meine Geldbörse." Er musste grinsen, als der Flavius herantrat. Der Mann war zum Vigintivir gewählt worden - mit über 73% der Stimmen, was ein gutes Ergebnis war - und brachte nun ebenfalls seine Glückwünsche vor. "Salve," erwiderte Sermo den knappen, an die Runde der Klienten gerichteten Gruß des Patriziers und verfolgte dann interessiert den Wortwechsel zwischen Klient und Patron.

    Purgitius Macers ehemalige Liktorenschar - natürlich auch allesamt seine Klienten - hatte sich selbstredend auch auf dem Forum eingefunden, um den Tatbericht über Macers Praetur zu hören. An vielen Stellen nickten die Männer, denn sie wussten ziemlich genau wovon der Redner droben auf der Rostra sprach. Sie hatten ja alles aus nächster Nähe miterlebt. Zum Schluss applaudierten und johlten die Klienten und auch andere Zuhörer ausgelassen. Sermo hatte selbst leider noch keinerlei Klienten, doch er reihte sich gern in die Formation der Jubelnden ein. Hier und da erkannte er auch andere Senatoren unter den Umstehenden wieder, manche von ihnen auch Klienten von Macer. Sehnsüchtig blickte Sermo zur Rostra auf. Dort wollte er hin. Ein Redner sein. Ein Magistrat Roms werden. Ein Schulterklopfer von seinem Freund Mettius Serranus riss ihn aus seinen Gedanken. "Mensch, Sermo. Bald geht's nach Ostia. Bis wir da oben stehen, haben wir noch einiges vor uns." Der Quintilius nickte, zeigte ein schmales Lächeln. "So die Götter wollen, wird uns unser Weg dorthin führen, ja." Im Augenwinkel entdeckte er einen dunklen Lockenkopf, den er ebenfalls wiedererkannte. "Flavius!" rief er, zog die Augenbrauen hoch und hob die Hand zum Gruß.

    Es war der Tag nach der Vereidigung der neugewählten Magistrate. Und es war früh. Sermo gähnte herzhaft, während er vom Ianitor wie beinahe jeden Morgen eingelassen wurde und sich zur Salutatio zu den anderen Klienten gesellte. Mettius Serranus war natürlich auch da, ebenso die anderen Liktoren des nun ehemaligen Praetors. Sie begrüßten ihren Patron der Reihe nach. Als Sermo vortrat, nickte er knapp und blinzelte mit den mittlerweile nicht mehr ganz so verschlafenen Augen. "Guten Morgen Purgitius. Ich möchte dich zu deiner gelungenen Amtszeit beglückwünschen. Mir hat es viel Freude bereitet, während dieser Zeit als Liktor in deinen Diensten stehen zu dürfen." Er lächelte offen, in seinen Worten lag Ehrlichkeit. "Und ich möchte mich verabschieden. Wie besprochen möchte ich nun eine Zeit lang in Ostia mein Glück versuchen. Sag, reicht dir ein regelmäßger Briefwechsel, da ich die Salutatio somit nicht wahrnehmen kann?" Im Augenwinkel bemerkte er derweil Flavius Piso. Den würde er gleich auch noch ansprechen. Vielleicht konnte er ihn sogar auf einen Wein einladen. Immerhin munkelte man, dass der Flavius ein besonderer Liebhaber des Rebsaftes sei.

    Oh. Die Dame wollte offenbar doch nicht sterben. Sie schien sogar quicklebendig, als sie so auf ihn zugeilt kam. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass sie ihn erstmal für einen Dieb halten musste. Skeptisch schaute er nochmal auf das klägliche Zeug zu seinen Füßen herab. Nein, so einen Kram würde er schon nicht mitgehen lassen. Als die Fremde näher kam, konnte er einen genaueren Blick auf sie werfen. Unglaublich wie mager sie wirklich war! Im Ernst, Sermo war ja schon nicht der kräftigste. Er war schmal, aber drahtig und zäh. Aber dieses Persönchen war ein wahrer Strich in der Landschaft. So verblüfft er über die Figur der Dame war, so sehr musste er sich jedoch ihre Schönheit eingestehen. Venus sei mir gnädig, die kann einiges!
    Als sie nah genug herangekommen war, stellte sie die plausible Frage nach dem Grund, weshalb er sie mit seinen Rufen adressierte. Bedröppelt griff er sich eine der pitschnassen Sandalen und hielt sie seitlich in die Höhe, wo sie im Wind vor sich hin tropfte.
    "Entschuldige werte Dame, aber...nun..." Die Antwort war zu eindeutig, dass es fast lächerlich war sie überhaupt auszusprechen. So deutete er mit einem Nicken nur auf das triefende Lederding in seiner Hand und schürzte die Lippen. "Ich fragte mich lediglich, was du bei dieser Witterung hier draußen barfuß im kalten Wasser tust. Und auch fragte ich mich, wie du nach Hause kommen willst in deinem nassen Schuhwerk, ohne bald an einer Lungenentzündung zu verenden." Er lächelte verzagt, denn die Situation war teils komisch - im humorvollen Sinne - teils bitterer Ernst. Sie konnte sich wirklich schnell erkälten und so eine Statur bot für gewöhnlich nicht die besten Voraussetzungen eine schlimme Krankheit unbeschadet zu überstehen. Oder sie überhaupt zu überstehen.

    "Ich bin beeindruckt. Dann bist du wahrlich schon weit gereist." Er schmunzelte, weil Axilla verlegen wirkte, was er sich nicht recht erklären konnte. Doch er überging das einfach und wurde vielmehr aufmerksam, als sich kurzzeitig ein Schatten über ihr Gesicht legte. Offenbar war irgendetwas vorgefallen, das ihr Sorgen oder Trauer bereitete. Darauf würde er selbstverständlich nicht eingehen. Ganz im Gegenteil, er hörte weiter zu, während sie das Thema wechselte und ihm gleich ein Kompliment machte. Ein Grinsen huschte über seine Züge, als er nicht minder flott entgegnete: "Ai, ich kann auch nicht klagen. Insbesondere die Gens Iunia besticht mit ihren grazilen junge Damen." Da hatte er sich ja eine durchaus selbstsichere und mutige Frau gefangen. Nicht schlecht, dafür dass er erst wenige Minuten hier war.


    Suchend ließ Sermo indes seinen Blick umherschweifen, während sie so daherschlenderten. "Verflixt, ich kann die Gastgeber immer noch nicht sehen. Dann müssen wir wohl erstmal etwas Zeit totschlagen, bis wir ihnen über den Weg laufen." Er stoppte einen Sklaven mit Tablett - diesmal mit gefüllten Gläsern! - im Vorübergehen und reichte erst Axilla eins davon, egal ob sie wollte oder nicht. Dann nehm er selbst ein solches an sich und prostete der Iunia zu. "Auf einen schönen Abend. Und auf die reizenden iunischen Damen!" Er lächelte breit und nippte daraufhin an seinem Glas.

    Es war der erste Tag nach Sermos Ankunft in Ostia. Er hatte sich am Tag zuvor hierher aufgemacht, denn sein Patron war nun nicht mehr länger Praetor und er hatte demzufolge auch kein Interesse mehr daran, das Amt des Liktors inne zu haben. Statt dessen wollte er seine Kandidatur zum Magistratus Ostiae vorbereiten. Und wie stellte man das am sinnvollsten an? Richtig, man machte sich direkt vor Ort kundig über seine Möglichkeiten. Immerhin hatte er noch fast eine komplette Amtszeit zur Verfügung, denn zu deren Ende hin würden erst wieder Wahlen abgehalten werden.


    So hatte der Quintilius schon früh morgends sein Zimmer im Gasthaus verlassen und sich über die wichtigen Dinge informiert, die er wissen wollte: Wer waren die aktuellen Magistrate und Duumviri? Wer saß alles im Ordo Decurionum? Welche Stadtpatrone gab es? Wie stand es um Stadt- und Hafenordnung? Gab es größere Problemfelder? Und wie sah die Stadt überhaupt aus, wenn man mal die Hauptverbindung zwischen Rom und dem Portus Ostiae verließ und einen Umweg über Seitengassen einschlug?


    Nun, Sermo hatte sich ein umfangreiches Bild machen können. Und er konnte mit Fug und Recht sagen: Er war zufrieden mit dem, was er gesehen hatte. Hier würde er arbeiten können, hier wusste er was er machen könnte und wollte. Und so hatte er sich am frühen Nachmittag bereits einen Aufenthalt in den Thermen genehmigt - was natürlich nicht mit Rom vergleichbar war, aber dennoch entspannte. Weiterhin hatte er sich eine ausgiebige Mahlzeit im Gasthaus gegönnt und nun brauchte er einfach einen Verdauungsspaziergang.


    Der Wind pfiff ihm kalt um die Ohren, aber Sermo war gut vorbereitet. Es war immerhin noch Februar und so trug er gefütterte Carbatinae und seine Tunika mit dem angustus clavus wurde von einem dicken Umhang umschlungen. So vor dem kalten Wetter dieser Jahreszeit geschützt flanierte er zunächst entlang der Hafenpromenade und betrachtete die Schiffe, die hier vor Anker lagen. Irgendwann erreichte er das Ende der Kaimauer. Seine Füße trugen ihn jedoch über den Steinboden hinaus, auf den Dünensand. Gedankenverloren spazierte er voran, als ihm eine Person ins Blickfeld fiel.
    Und was für eine Person das war. Eine Frau, dürr wie eine Bohnenstange. Und bei diesem eisigen Wetter stand sie mit den nackten Füßen im Meer! Allein bei dem Gedanken schlotterte der Quintilius schon fürchterlich. Was machte die denn da? Wollte sie etwa ins Wasser hinauswaten? Da vorn lag eine Wachstafel. War das wohl der Abschiedsbrief? Kurzentschlossen eilte er auf die Gestalt zu und versuchte sich mit kräftigem Ruf gegen das Brausen des Windes und das Rauschen der Wellen durchzusetzen. "HE DA! HE!" Er gelangte zu den Utensilien im Sand - oder vielmehr im Matsch, denn das Wasser hatte die Sachen bereits erreicht. Die Schuhe waren schon durchnässt, ebenso die Wachstafel, auf der ... oh! Da stand ja gar nichts. Verwirrt sah er von der Tafel zu der Frau und wieder zurück. Vielleicht wollte die sich ja gar nicht direkt umbringen, sondern sich nur eine schlimme Krankheit einfangen, aber der sie krepierte. Bona dea, es gab schon kaputte Leute!

    Hätte er die Gedanken des Duccius lesen können, er hätte vermutlich laut aufgelacht. Für ihn war der Umstand, nur einen Haussklaven für alle Arbeiten zu besitzen, eher seinem Stand unangemessen. Sermo wünschte sich mindestens einen weiteren Sklaven, der Arbeiten außerhalb der Küche erledigen konnte, so dass Diomedes nicht ständig zur Porta rennen musste und generell etwas entlastet wurde. Doch er war viel zu stolz Valerian nach Geld für einen Sklaven zu fragen, selbst konnte er sich nämlich noch keinen eigenen leisten.


    Valas Bemerkung nahm Sermo derweil mit einem Knochenknacken des Taubenflügels und einem Grinsen auf. Der Germane schien beeindruckt vom Mahl, das Diomedes gezaubert hatte. Schnell kam er jedoch auf ein ganz anderes Thema. Nachdem er das zarte Fleisch heruntergeschluckt hatte, konnte er wieder zum Gespräch beitragen und nickte knapp. "Es geht vorwärts, danke. Meine Wahl fiel auf den Senator Purgitius Macer, dessen Liktor ich nun bin. Ich bin sehr zufrieden darf ich wohl behaupten, wirklich sehr zufrieden." Dazu nickte er nochmal bestätigend und spülte mit einem Schluck nach. "Und wie stehen die Dinge bei dir? Hat sich deine Verbindung zu Vinicius Hungaricus bereits als nützlich erwiesen?"

    Auf Melinas Worte bezüglich der langweiligen Tante nickte Sermo nur. Er konnte sich vorstellen, wie es dort gewesen war. Trostlos. Öde. Kein Ort für eine junge Frau, die so viel Unfug im Kopf hatte wie seine Schwester. Während er sie so betrachtete, viel ihm urplötzlich auf wie ansehnlich sie doch ausschaute. Richtig damenhaft geradezu! Nicht so zerzaust, gut gekleidet, und war da etwa sogar Schminke zu erkennen?
    Die schlimmen Neuigkeiten hinten anstellen? Wie gerne würde er das nur tun! Aber er konnte nicht. Er musste es ihr sofort sagen. "Melina..." Und er würde keine Träne vergießen. Nicht vor seiner Schwester, nicht vor sonst irgendwem. Er war ein Mann und er war stark. Und jetzt musste er ein starker Halt für seine Schwester sein. Und jetzt lächelte sie auch noch! Ihr Götter, macht es mir doch nicht so schwer! Wie sollte er dieses Lächeln jetzt bloß zu einer traurigen Grimasse verwandeln? Verdammt seien die Parzen, die so unbarmherzig die Fäden webten und zerschnitten, wie sie lustig waren! "Valentinus ist tot." Da hatte er es gesagt. Mit versteinerter Miene sah er Melina direkt an, erwartete eine Reaktion. Irgendeine Reaktion.

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    Diomedes


    "Sehr wohl," bestätigte Diomedes nur und ging davon aus, dass er Simplex wohl auch etwas bringen durfte, denn wirklich konkret war die Aussage der Germanica nun nicht gewesen. Er drehte sich also auf dem Absatz um und verschwand zunächst in Richtung Obergeschoss, wo er nach den Hausbewohnern suchte.


    Wenig später erschien Quintilius Sermo im Türrahmen des Tricliniums und ging mit einem breiten Lächeln auf die Besucher zu. "Germanica Calvena" - er war sich nicht recht sicher, ob er sie schon so persönlich mit dem Cognomen anreden sollte - "herzlich willkommen in der Casa Quintilia. Verzeih, ich hatte noch gar keine Möglichkeit, dir zur Verlobung zu gratulieren." Dezent umarmte er die junge Frau, als diese sich erhob. "Ich wage zu sagen: Willkommen in der Familie." Daraufhin wies er auf die Clinen, wo er sich dann auch niederließ. Diomedes kam und brachte den Glühwein, den er reihum in Gläser verteilte. Sermo bedankte sich und wandte sich bereits an Calvena, als der Sklave hinausging und die Tür hinter sich schloss. "Wie geht es dir? Ich hoffe das Wetter hat dich nicht zu sehr beeinträchtigt?"

    "Was du nicht sagst," witzelte Sermo. "Ich werde mich gewiss nicht vor die Männer stellen wollen, wenn ich nicht wüsste wie man einen Haufen Soldaten angehen muss." Und mit einem gewinnenden Lächeln erinnerte er Valerian: "Mein Vater war immerhin Tribun, ich habe da schon etwas von ihm abbekommen."


    Natürlich wusste Sermo die Dinge schon selbst, die sein Vetter da nun aufzählte. Er war ja nicht auf den Kopf gefallen. "Keine Bange, ich bin auf dem besten Weg in die Freundeskreise der Nobilitas," brummte er daher und zog kritisch eine Augenbraue hoch. "Es wird noch Gelegenheit geben, ausreichend Kontakte zu knüpfen. Bis dahin vergeht noch einige Zeit."
    Ob das wohl ein guter Zeitpunkt war, Valerian über seine Zukunftspläne aufzuklären? Nun, warum nicht. Oder hatte er ihm schon davon erzählt? Na, doppelt hält im Zweifelsfall besser. "Ich werde nämlich zunächst einmal in Ostia in die Stadtverwaltung gehen. Das bedeutet zwar, dass ich hier mindestens zwei Jahre nicht so regelmäßig aufkreuzen kann, aber es ist eine gute Vorbereitung auf die Aufgaben im Cursus Honorum."


    "Ah, das hätte ich mir auch denken können. Aber ja, gern würde ich daran teilnehmen. Warum auch nicht? Wie regelmäßig trainiert ihr denn? Gar täglich?"