Im Garten musste etwas getan werden. In diesem Garten musste sogar unbedingt etwas getan werden. Als ich ihn zuletzt sah, war er schon in einem schlechten Zustand, aber das hier, war etwas, über das man besser nicht sprach, sondern einfach nur erwähnen sollte, dass im Garten etwas getan werden muss. Ein kurzer Blick reichte jedenfalls aus, um eine wichtige Feststellung zu machen: Abreißen, neu aufbauen! Das wäre wesentlich effektiver gewesen. Allerdings hallte mir eine Stimme im Ohr die davon sprach, nie eine Pflanze verloren zu geben. Ich seufzte, ‚gut‘, dachte ich, ‚also nicht verloren geben, sondern aufpäppeln und gesunden lassen.‘ Ob ich das allerdings durch meine eigenen Hände schaffen würde oder nur durch ein Wunder, ließ ich gedanklich bei Seite.
Mir ging es vorerst nur darum, mich umzusehen und mir Gedanken darüber zu machen, wie ich in diesem Garten vorgehen könnte. Viele der Pflanzen waren übergossen, das war leicht zu sehen; andere hingegen schienen schon zu lang kein Wasser mehr gefühlt zu haben, auch das war zu sehen. Das deutlichste Zeichen für einen Pflegemangel war das viele Unkraut, das sich überall verteilt hatte. Eine der ersten Aufgaben sollte also darin liegen, es zu zupfen, dann wäre es auch sicherlich leichter, ein Gesamtbild der Lage zu bekommen, weil das Unkraut einfach zu sehr ablenkt und den Blick bannt. Dann musste noch geprüft werden, welche Pflanze, bei der kommenden Kälte, überhaupt geeignet war, draußen zu stehen und ob es in diesem Zusammenhang sinnvoll gewesen wäre, sie an einem wärmeren Ort überwintern zu lassen. Daran anschließend musste geprüft werden, ob die jeweiligen Pflanzen überhaupt an einem geeigneten Ort standen. Manche von ihnen waren Lichtfresser, andere zogen den Schatten oder Orte mit wenig Licht vor. Dazu müsste mir allerdings jemand helfen, der weiß, wo die Pflanzen am besten stehen sollten, da ich viele dieser Arten nicht kannte, weil sie aus anderen Regionen kamen als ich.
Vielleicht wüsste mein Freund Sharif etwas darüber oder zumindest jemanden, den ich hätte fragen können. Sharif war ein guter Kerl, ich mochte ihn. Er hatte eine herzlich grimmige Art an sich. Das machte ihn mir sehr sympathisch. Ich konnte mir schon gut vorstellen, mit welchen abweisenden Worten er auf meine Frage reagieren würde.
Heute früh war eine der Sklavinnen an mir vorbeigehuscht, die ich sicherlich fragen könnte. Allerdings müsste ich sie dafür erst einmal zu fassen kriegen. Sie ist die ganze Zeit unterwegs und hat scheinbar überhaupt keine Ruhe für irgend etwas, weil ihr Alltag sie hin und her hetzt. Das sie kaum an das Sonnenlicht kam, sah man ihr an. Direkte Sonneneinstrahlung läßt die Haut schließlich schnell altern. Bei ihr war davon jedoch nichts zu sehen. Sie gehörte zu den Frauen, bei denen ich aufpassen musste, nicht auf meine Zunge zu treten, wenn ich sie sah. Entsprechend schwierig ist es für mich, die richtigen Worte, oder überhaupt Worte, zu finden, wenn ich ihr gegenüberstehe. Einige dieser Situationen kamen mir in diesem Moment wieder vor die Augen und ich schüttelte den Kopf, weil ich mich so tölpelhaft benommen hatte. Nun ja, so war das jetzt.
Jedenfalls verstand ich nicht, wieso sie sich ständig von einem Ort an den nächsten scheuchen ließ. Musste sie wirklich diese vielen Aufgaben bewältigen oder nahm sie einfach nur zu viele Aufgaben an, die sie letztlich gar nicht machen musste. Natürlich konnten wir Sklaven nicht einfach nichts tun oder frei über unsere Arbeit verfügen, sondern hatten feste Aufgaben, die es zu erfüllen galt. Wir alle hatten unsere Arbeit, der wir nachkommen mussten. Sie bestimmten allerdings nicht jeden Augenblick unseres Lebens. Es gab auch Moment der Ruhe, Momente um durchzuatmen, selbst wenn sie manchmal nur klein waren. Bei ihr schien das nicht so zu sein, diese Momente gab es bei ihr nicht. – Die Sonne läßt die Haut altern – was ist eigentlich mit der ganzen Arbeit? Läßt sie die Haut vielleicht nur bei zusätzlich ungesunder Ernährung altern? Auf jeden Fall dürfte sie die Seele altern lassen. Und wenn dieser Punkt erreicht ist, dauert es nicht mehr lang und das Altern befällt auch den Körper. Das kann nur zu Magengeschwüren führen.
Es erinnert ein wenig an diesen Garten. Blumen, die zu viel Wasser haben, gehen ein. Das Wasser, das sie zu viel bekommen, kann noch eine Weile kompensiert werden, auf Dauer läßt es aber ihre Blüten welken. Letztlich ersaufen sie an dem, was zu viel ist und gehen daran kaputt. – Manchmal möchte ich sie zu gerne packen und ihr in den Hals schreien. Aber, wenn das Sprechen schon nicht funktioniert...
Na ja, sie ist ein Sklavin, möglicherweise wollte sie es den Herrschaften auch einfach nur Recht machen. Vielleicht ist sie aber auch die Sklavin ihrer vielen Aufgaben geworden.
Sie konnte ich also nicht fragen. Mir fiele schon etwas anderes ein. Wie heißt es doch, man wächst an seinen Aufgaben. Und Blumen sind immer eine Herausforderung.