Beiträge von Aurelia Narcissa

    Kaum hatten sich die beiden Mädchen gesetzt, kam sogleich einer der herumstehenden Sklaven heran.
    „Was kann ich den jungen Damen bringen?“, erkundigte er sich mit gesenkter Stimme. Mit einem Blick auf ihr Ebenbild war es Flora, die schließlich für sie beide Saft orderte. Auf leisen Sohlen entfernte sich der Mann, um ihrer Anweisung nachzukommen.
    Narcissa fühlte sich nicht wohl und sie glaubte dasselbe Unwohlsein auch auf Marcus´ Gesicht zu lesen. Offensichtlich dachten sie beide an das zurück liegende Gespräch. Erstmals kam ihr der Gedanke, dass diese Unterhaltung womöglich nicht nur für sie unangenehm gewesen war. Gut möglich, dass Orestes es vorhergesehen und deshalb den Aurelier vorgeschickt hatte, mit dem sie lediglich über einige Ecken verwandt war. Insgesamt wirkte er an diesem Abend etwas mitgenommen – weshalb auch immer. Celerina mochte es wohl wissen.


    Überraschenderweise zeigte sich der Hausherr nicht abgeneigt von ihrem Vorschlag einige Blumen aus dem Garten zu nehmen und seine Gattin fackelte nicht lange, ihn in die Tat umzusetzen und winkte einen Sklaven zu sich heran. Kaum war der Mann verschwunden, kehrte schon der zweite Leibeigene mit den Getränken für die Zwillinge zurück. Während die Flavia Antwort gab, ließ sich Narcissa etwas Saft in einen Becher einschenken und nahm einen kleinen Schluck zu sich. Wie sie nun feststellte, wusste sie so gut wie gar nichts über die Frau an Marcus Seite und konnte sich dementsprechend wenig unter den wenigen Worten vorstellen, die sie entgegnete. Was machte eine matrona wohl den ganzen lieben Tag lang. Vermutlich nicht viel anderes als unverheiratete Mädchen…außer womöglich den Sklaven des Öfteren die Leviten lesen. Zumindest das wusste Narcissa von Celerina: sie konnte äußerst resolut auftreten. Ihre Anspielung registrierte sie mühelos, konnte aber nicht einschätzen, ob sie im Guten, also liebevoll neckend, oder Schlechten, schadenfroh, gemeint war. Das Verhältnis der Eheleute war für die Aurelia ohnehin eher unddurchsichtig. Die meisten Mitglieder der Familie schienen es ohnehin vorzuziehen zwar im selben Haus, aber dennoch aneinander vorbei zu leben.


    Auch ihre Antwort strotzte nur so von Oberflächlichkeit. Wenn die Kopfschmerzen sein Denkvermögen nicht allzu sehr einschränkten, dann konnte sich zumindest Marcus vorstellen, wie ihr Tag wohl gewesen war. Da Narcissa diese Frage aber ohnehin als eher höfliches Geplänkel erfasst hatte, würde eine inhaltslose Antwort wohl niemandem weh tun. „Schön“, gab Narcissa recht einsilbig zurück und wurde durch ihre Schwester ergänzt: „Wir waren im Garten...“ Narcissas Blick huschte rasch hinüber zum Eingang in der Hoffnung, dort möge wohl ein weiterer Aurelier stehen, der sich zu ihnen gesellen wollte. Die Luft war geladen und irgendwie hatte sie den Eindruck, dass es nicht nur daran lag, dass das Verhältnis zwischen ihr und Marcus etwas gespannt war. Alle vier schienen sich unwohl zu fühlen.

    Voraussehbar war es gewesen, dass die Vestalin sie auf ihr Alter ansprach. Ganz offenkundig hatte Narcissa jenes Alter, in welchem es normalerweise üblich war, junge Mädchen durch die Captio in die Priesterschaft aufzunehmen, längst überschritten hatte. Vielleicht wäre genau das am Ende ihre Rettung. Womöglich hatte sie doch noch Glück und würde den Plänen ihrer Familien entgehen. Der Gedanke ließ eine Welle der wagen Hoffnung über sie hinweg schwappen. Nicht, dass es eine angenehme Empfindung war. Vielmehr gehörte es der Sorte „nagend“ an; Eine dünne, schlingernde Linie, die sich zwischen Erleichterung und Schrecken wand und jederzeit zur einen oder andere Seite kippen konnte. „17 Winter“, erwiderte sie der Priesterin und hoffte schon auf die erlösenden Worte, den Rat es gar nicht erst zu versuchen. „Mein Bruder und der Pontifex wollen es aber dennoch versuchen und beim Kaiser vorstellig werden.“


    Der Gedanke, womöglich einem Trend zu folgen, kam der Aurelia gar nicht. Aber genauso wenig wäre sie jemals auf die Idee gekommen, den Dienst als eine Vestalin für ihre Zukunft in Betracht zu ziehen. Dieses Zusammentreffen aber tauchte alles in ein anderes Licht. In Narcissa, die sich selbst nie zu den überreligiösen Menschen gezählt hatte, meldeten sich nun doch leise Zweifel an. Es gab Menschen, deren Weg war vorbestimmt; Durch die Geschichte, durch ihre Geburt, ihr Schicksal. Da konnten sie noch so sehr versuchen auf Selbstbestimmung zu beharren. Am Ende spuckte sie das Schicksal doch wieder an dem Ende aus, an dem sie eigentlich stehen sollten: zu Füßen der Vorsehung. Womöglich irrte sie sich, wenn sie Dienst als Vestalin so vehement abtat. Vielleicht hatte auch sie das Schicksal nun zu Füßen dieser Vestalin getragen. >Werde doch nicht albern!<, schalt eine innere Stimme; Es war jene, die fest daran glaubte, dass es den Göttern herzlich egal war, was die kleinen Würmchen unten auf der Erde trieben. Sollten sie sich doch gegenseitig an die Kehle gehen, wenn sie wollten!


    Tatsächlich! Hatte Narcissa in ihrem ganzen Schrecken doch vergessen, sich vorzustellen. Wie unhöflich! „Selbstverständlich darfst du das“, entgegnete sie lächelnd. „Aurelia Narcissa“, Insgeheim fragte sich die junge Frau in welcher verwandtschaftlichen Beziehung sie wohl zu jenem Claudius Lepidus stand, den sie einst in den Straßen Roms getroffen hatte. Diese Begegnung schien ihr nun schon Ewigkeiten zurück zu legen. Romana war nun schon das dritte Mitglied der gens, welchem sie begegnete. Ganz dunkel gab es da auch noch Erinnerungen an einen gewissen Claudius Brutus.


    „Vielleicht…“, So gern hörte Narcissa es nicht, dass eine Stelle frei geworden war. „Ich hoffe…“, Sie zögerte einen Moment, unsicher ob es klug war sie der Claudia so zu offenbaren…“- verstehe mich nicht falsch – aber ich hoffe nicht.“ Andererseits weckte die Tatsache, dass eine Priesterin aus dem Dienst ausgeschieden war, aber auch ihre Neugierde. „Warum ist die Stelle denn frei geworden…?“, Bekanntlich konnte es dafür ja verschiedene Gründe geben.

    Nach nichts stand Narcissa im Moment weniger der Sinn, als eine Schar Verwandter. Das Gespräch hing ihr nach, schon den lieben langen Tag, hatte sie dazu veranlasst unruhig von ihrem cubiculum, in die bibliotheca, von dort in die exedra, hinaus in den Garten zu wandern und doch nirgends Ruhe zu finden. Noch nicht einmal ein Bad im balneum hatte sie beruhigen können. Dabei hatte sich Lysandra die größte Mühe gegeben, die Luft mit beruhigenden Duftmischungen zu schwängern. Langsam und zäh war der Tag verstrichen und Narcissa noch immer zu keinem Ergebnis gekommen. Es schien ihr fast, als seien ihre Gedanken gelähmt.


    Nein, Lust auf Gesellschaft verspürte sie absolut nicht. Und dennoch, schon allein aus Anstand heraus folgte sie, als man die Familie zur cena zusammenrief. Gemeinsam mit ihrer Schwester Flora betrat sie das triclinum an diesem Abend. Es versetzte der jungen Aurelia einen unangenehmen Schlag in die Magengegend, als sie Marcus auf einer der Liegen sah. Auch seine Celerina war zu gegen. Eine eigenartige Spannung lag über dem Raum, die sie aber nicht so recht fassen konnte – vermutlich weil Narcissa selbst angespannt war. „Salvete!“, grüßten die Zwillinge und die Aurelia brachte es über sich ein schmales Lächeln auf ihre Lippen zu zwingen, dessen Unaufrichtigkeit man allerdings schon aus zehn Metern Abstand erkennen konnte. Sie waren gerade noch rechtzeitig gekommen, um Celerinas Kommentar zu der Dekoration zu vernehmen. Narcissa beschloss sich lieber an die Flavia zu halten und tat es ihrem Beispiel gleich. Ein kurzer Blick über die Dekoration, während sie sich so setzte, dass sie Marcus möglichst nicht direkt ansehen musste. „Das ist wahr…der hortus blüht zur Zeit herrlich. Ein paar schöne Sträuße würden dem ganzen Haus nicht schaden…“, pflichtete sie der Flavia bei. Marcus war von der Idee seine Orchideen abzuschneiden bestimmt nicht begeistert.
    Wieder

    Was die Priesterin nicht ahnen konnte war, dass sie für Narcissa in diesem Augenblick tatsächlich der Inbegriff aller Gefahr war. Eine Gefahr für ihr Leben, das sie bald nicht mehr würde so frei leben können, wie sie es sich wünschte. Dagegen wirkte noch jeder Dieb, der es auf ihren Geldbeutel abgesehen hatte wie ein netter, leider verirrter Kerl. Nur sehr langsam löste sich der Schrecken von ihr, während ihre Gedanken nach wie vor darum kreisten, wie sie das unvermittelte Auftauchen – denn anders konnte man es wirklich nicht nennen – der Vestalin nach ihrem sehr unangenehmen Gespräch mit Marcus zu bewerten hatte.


    Allmählich wurde Narcissa klar, dass sie auf die Frau, die sie nach wie vor mit einer gewissen Verwirrung betrachtete, wie ein regelrechter begriffsstutziger Tölpel wirken musste, der nur unzusammenhängende Dinge von sich gab. Ein Wunder, dass sich die Priesterin nicht schon längst kopfschüttelnd abgewandt hatte. Ihr Liktor stand nur wenige Schritte hinter ihr und auch er schien sie mit einem Blick zu mustern, als habe sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das reumütige Lächeln auf seinen Lippen konnte sie nicht täuschen. Die Aurelia befand es zwar für keine gute Idee eine Wildfremde über ihr Gefühlsleben aufzuklären, aber immerhin handelte es sich bei ihrem Gegenüber um eine heilige Priesterin, die sich zudem nicht von ihrem Stuss abgeschreckt zeigte. „Ich bin verwirrt“, begann Narcissa, als sie sich etwas beruhigt hatte, „Weil mir gestern von einem meiner Verwandten eröffnet wurde, dass die Familie wünscht, den Kaiser zu bitten, mich in die Priesterschaft der Vesta aufzunehmen – und jetzt steht eine Vestalin vor mir….“ Zögernd fügte sie hinzu: „Ich weiß nicht, als was ich das nun deuten soll: Als Zeichen – oder Zufall…“

    Narcissa beobachtete ihre Schwester von der Seite, wie sie einen Moment lang noch ihren Gedanken nachhing. Nicht ewig würde sie die Gelegenheit haben dies zu tun. Irgendwann, das war klar, würden die beiden ihren eigenen Weg gehen. Gehen müssen. Nur, dass solche Veränderungen schon so bald ins Haus stehen würden, damit hatte die junge Frau nicht gerechnet. Das Gespräch mit Marcus ließ daran keine Zweifel. Auch wenn sie sich nach wie vor gegen die Pläne ihrer Verwandten sträubte, innerlich flüsterte eine leise Stimme, dass sie keine andere Wahl hatte, als sich mit dem Gedanken abzufinden. Das Credo und die Erziehung Lucillas. Unwillkürlich rückte Narcissa näher an Flora heran. Schon einige Wochen war es her, dass sie so nahe beieinander waren. Nicht, weil sich die zwei Schwestern gemieden hatten – das hatte sich nach Floras Eröffnung im balneum rasch wieder gelegt – sondern weil sie einfach mit ganz anderen Dingen, mit sich selbst beschäftigt gewesen waren. Jetzt genoss es Narcissa neben Flora zu sitzen. Ihre Nähe hatte ihr immer eine gewisse Geborgenheit und Schutz vermittelt, in welcher sie ruhen konnte.


    Auch wenn Flora scheinbar gelassen mit den Schultern zuckte, so war Narcissa klar, dass jene Sache ihre Schwester nach wie vor beschäftigte. Kein Wunder! Sie beinhaltete eine Menge Sprengstoff. Sie gewann aber auch den Eindruck, dass Flora im Moment nicht darüber sprechen wollte. So begnügte sie sich damit ihre Schwester beiläufig am Arm zu berühren, um ihr Solidarität zu signalisieren. Rhea räkelte sich zu ihren Knien und miaute leise. Das Kätzchen wollte gekrault werden. Nur zu gern kam die Aurelia diesem Katzenwunsch nach, während sie darüber nachdachte, wie sie am besten auf Floras Frage antwortete. Sie wusste, dass ihr Ebenbild sehr impulsiv - und explosiv sein konnte. Für sie war es schon schwer einen klaren Gedanken auf die Pläne ihres Bruders zu fassen! Da wollte sie nicht auch noch Flora beunruhigen. Aber einen schonenden Weg auszusprechen, was sie bewegte, gab es eigentlich nicht. An der Tatsache ließ sich nichts rütteln.
    „Orestes möchte, dass ich Priesterin der Vesta werde“ – das Wort Vestalin wollte sie nicht in den Mund nehmen – „Marcus und Mutter befürworten diesen Plan. Marcus hat ihn mir angetragen….“, sagte sie schließlich ernst

    Wäre es einem Außenstehenden möglich gewesen, die Gedanken der beiden Aurelier zu lesen, so hätte er festgestellt, dass ihre Standpunkte nicht konträrer hätten sein können. Für Narcissa überwogen klar die Nachteile. Alle Privilegien konnten nicht aufwiegen, dass sie von ihrer Schwester getrennt und ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt würde – letzteres hatte sie eigentlich nie wirklich besessen, sondern eher eine Illusion, ihr eigenes Leben nach ihren Vorstellungen gestalten zu können. Das Gespräch hatte grundlegend ihre Haltung geändert. Hauptsächlich gegenüber Orestes, der ihr diese Botschaft durch einen dritten hatte überbringen lassen. Für sie war klar, dass Marcus, der sich nun seinerseits erhob, um sie allein zu lassen, nichts weiter gewesen war als der Laufbursche. Er mochte dieser fixen Idee zwar zustimmen, aber der Aurelier war es nicht gewesen, der sie ins Spiel gebracht hatte. Sonderlich unwohl schien er sich dennoch nicht zu fühlen. Pflichtschuldig nickte Narcissa auf seine Bitte hin, die eigentlich keine war. Vielmehr wollte er ihr Zeit geben, sich damit abzufinden und nicht darüber nachzusinnen und dann zuzustimmen. Sein Lächeln, mochte es auch aufmunternd sein, berührte die junge Frau nicht im Geringsten und sie brachte es auch nicht über sich, sich zu einer Erwiderung zu zwingen. Vielmehr stand Narcissa da und sah Marcus nach, wie er die exedra verließ. Erst dann, als sie allein war, ließ sie sich ermattet in den Weidenkorb sinken. Ihr Blick glitt blind zu der Schriftrolle in ihrer Hand. Zum Lesen hatte sie nun keinen Sinn mehr.


    -fine-

    Er versteht es nicht. Marcus bedachte sie mit einem Blick, der absolutes, vollkommenes Unverständnis ausdrückte. Mehr noch, er machte einen ärgerlichen Eindruck auf sie. Narcissa konnte die Gedanken hinter seiner gerunzelten Stirn förmlich hören: Dummes Mädchen; Wir haben dich dazu auserwählt dir eine solche Ehre zuteil werden zu lassen!
    Natürlich war Narcissa das, was er ihr vortrug nicht unbekannt. Es überraschte sie auch nicht, dass er all jene Dinge aufzählte, die eine Vestalin privilegierte, während all jenes, was einer Priesterin verboten war, im Dunkeln dahin dämmerte. Aber eigentlich war es auch nicht das erklärte Ziel der jungen Aurelia gewesen, etwas über das Amt einer Vestalin zu hören, sondern ihn zum Denken zu zwingen und für sich Zeit zu herauszuschlagen, um sich zu ordnen. Die Schattenseite ignorierte er geflissentlich. Vermutlich existierte sie für den Pontifex schlichtweg nicht.


    Als Marcus die Gegenfrage stellte, kamen Narcissa spontan eine Reihe von Antworten in den Sinn: Sie wollte nicht. Sie wollte Flora nicht verlassen und sie wollte ihr Leben nicht an eine Göttin opfern, die ihr nichts als kaltem Stein entgegen brachte. Als Vestalin konnte sie noch weniger tun, denn als Ehefrau und Mutter. Nämlich gar nichts. Das Gespräch mit der Decima trat aus ihrer Erinnerung hervor. Würde es dich ausfüllen? Was sich die junge Aurelia ersehnte war ein selbst bestimmtes Leben. Das sah konnte sie im Gottesdienst nicht sehen. Narcissa war jedoch weise genug ihre Gedanken für sich zu behalten.
    „Ich glaube, ich sollte jetzt gehen...“, sagte sie unvermittelt und ihre Stimme durchdrang die exedra ohne jegliches Zittern. Zugegebenermaßen etwas steif erhob sie sich, die Schriftrolle fest in der Hand.

    Jetzt hatte Narcissa es doch tatsächlich auch noch geschafft jene Verwirrung, die sie mit eisernem Griff festhielt auch auf das Gesicht der großen Vestalin zu spiegeln. Beinnahe riesenhaft war die Frau, die kaum älter war, als sie selbst und die das weiße Gewand der Vesta Priesterinnen trug. >Ob sie sich eingesperrt vorkommt?< der Gedanke tauchte unvermittelt über den Spiegel ihres Empfindungswirrwarrs empor und hielt sich den Zehntel eines Atemzugs dort, ehe er wieder hinab sank in die aufgewühlte Gefühlswelt. >Ist sie unglücklich?< Die junge Frau machte eigentlich, obschon ihrer offenkundigen Verwirrung einen recht munteren Eindruck. Aber natürlich war es schwierig auf den ersten Blick hin ein Urteil über die Zufriedenheit eines anderen Menschen zu fällen. Etwas schien sich jedenfalls hinter ihrer Stirn, die von braunen lockigen Haaren umrahmt wurde, zu tun.


    >Ihre Schuld?< Ihre Irritation nahm einen Moment sogar noch zu. Wessen Schuld war es, dass sich ihre Wege gekreuzt hatten. Doch der Zufall – oder hatte etwa Aurelius Corvinus seine Finger im Spiel gehabt und ihr diese Vestalin über den Weg geschickt, um sie zu überzeugen? Sie mochte ihm ja vieles zu trauen, aber nicht das. Warum sollte er es auch nötig haben. Er, der ihren Bruder und auch ihre Mutter auf seiner Seite hatte. Dann doch Zufall. Schicksal. >Die Göttin?< Noch nie war Narcissa besonders gläubig gewesen. Natürlich hatte sie den Göttern ihren Dienst erwiesen, hatte sie jedoch stets als etwas ganz fernes empfunden. Doch jetzt in eben diesem Moment, spürte die junge Aurelia wie diese Grundfeste leise in ihrem Inneren erzitterte. >Schicksal< So etwas gab es. Es war ein Gewirr aus feinen Fäden, das sie nicht zu durchdringen vermochte.
    „Es geht wirklich wieder...mach dir keine Sorgen...ich bin nicht...“, Ihr Blick glitt rasch zu dem blutjungen Liktor hinüber, „böse...Nur verwirrt“, Narcissa sah sie Priesterin wieder an. „Ich habe nicht damit gerechnet jetzt auf eine Vestalin zu treffen...“, gestand sie.

    Vertrauen war in diesen Tagen selten geworden. Natürlich vertraute man seinen engen Freunden und Verwandten, aber es gab stets jene Grauzonen, die man nicht wagte anzusprechen. Unaussprechbare Gedanken. Narcissa war sich der Brisanz ihrer Unterhaltung bewusst. Eine ganze Reihe von Frauen vor ihnen hatte für solche Äußerungen ein Leben in Verbannung auf sich genommen oder noch schlimmeres. Und nicht wenige Schriftsteller hatten zusehen müssen, wie ihre Werke lichterloh in Flammen aufgingen, weil sie „aufrührerisches Gedankengut“ enthielten. Umso erstaunlicher war es, dass sich hier nun zwei Fremde begegnet waren, die sich nicht scheuten, ihre Gedanken voreinander auszusprechen, mochten sie auch theoretischer Natur sein.


    „Aber wer sagt, dass es zum Scheitern verurteilt ist?“, Mochte ihre Jugend mit ihr in diesem Moment durchgehen. Sie spürte wie die Leidenschaft ihre Fingerkuppen nach ihr ausstreckte und wusste dass es für sie zu Weilen gefährlich war in einer solchen Stimmung zu diskutieren. Zu oft kamen ihr dabei unbedacht Dinge über die Lippen, die sie besser für sich behalten hätte. So entging Narcissa auch um ein Haar der zynische Zug, der sich um die Mundwinkel Decimas gelegt hatte und der sie sogleich vorsichtig werden ließ. Mit Bedacht nahm sie sich zurück. „Es sind nicht unsere Regeln. Zumindest waren sie das nicht immer. Keine Frau würde sich freiwillig solche Ketten anlegen. Und dennoch, stimmen wir ihnen zu, geben ihnen Legitimation und Gültigkeit...“, erklärte die junge Aurelia ruhig.
    Seianas Frage traf sie dann ganz unvermittelt. Einen Augenblick lang war sie ob dessen so überrumpelt, dass es ihre Gedanken ganz aus der Reihe brachte. Schweigsam zwang Narcissa sie wieder unter ihre Kontrolle. Ehe, Kinder, Haushalt. Die Trinität, die man von ihr verlangen würde, eines Tages. Als Tochter aus patrizischem Hause war die Auswahl der potentiellen Ehegatten nur sehr begrenzt – denn natürlich würde man sie lediglich an einen Mann ihres Standes verheiraten. Dass man dabei eher auf Nutzen und Zweck der Verbindung als auf irgendwelche Gefühle achten würde, das stand außer Frage. Sie dachte an andere Frauen, die sie kannte und die bereits verheiratet waren. Tiberia Septima etwa, die mit ihrem Verwandten verheiratet war oder Flavia Celerina und fragte sich, wie diese beiden Frauen es schafften zufrieden zu sein? Oder waren sie es womöglich gar nicht? Narcissa spürte, wie sich ihre Gedanken langsam vom Ursprung der Frage weg bewegten. Schon jetzt war sie nicht vollständig zufrieden, fühlte sich nur halb angesichts all der Möglichkeiten, die ihr verwehrt waren.
    „Nein...“, das Wort durchschnitt die Stille. Mit ehrlichen grünen Augen sah sie zu der Älteren hinüber. „Nein, ich glaube nicht...“

    „Saft...in Ordnung...“, murmelte Lysandra vor sich hin. „Narcissa? Was ist mit dir?“
    Die junge Aurelia sah gedankenverloren von der kleinen Rhea auf, die sich neben ihr auf dem Boden reckte und mit den Tatzen nach ihrer Hand fischte.
    „Für mich auch – danke...“ Die Hände in die Hüfte gestemmt schritt die Leibsklavin etwas steif anmutenden in Richtung des Gebäudes zurück und ließ die Schwestern allein zurück. Narcissa bekam nicht einmal mehr mit, wie sie zwischen den Büschen auf dem Hauptweg verschwand. Ihre Gedanken waren unlängst wieder abgedriftet, hatten sich ihrem Inneren zugewandt, während sie das Kätzchen weiter sanft liebkoste. Eine ganze Weile lang herrschte Schweigen, ehe sich Narcissa unvermittelt ihrem Ebenbild zuwandte.
    Wie geht es dir, Flora?“, erkundigte sie sich und spielte damit auf eine ganz bestimmte Sache an. Lieber beschäftigte sie sich damit, ihrer Schwester ein Ohr zu leihen, als sich mit ihrem eigenen Kummer zu beschäftigen...

    Die junge Aurelia achtete gar nicht auf das Gespräch, das direkt hinter ihr stattfand. Zweifelsohne wäre es in dem allgemein brandenden Lärm ohnehin zu Wortfetzen verkommen. Stattdessen war Narcissa damit beschäftigt die schmerzende Stelle zu reiben und hatte sich diesbezüglich auch etwas weiter an den Rand der fortwährend vorwärts drängenden Masse gedrängt. „Ihr solltet wirklich-“, wandte sie sich schon grollend an ihre beiden custodes – schöne Wächter waren das! – als sie direkt angesprochen wurde. Überrascht sah Narcissa auf, stutzte ob des weißen Gewandes, das keine Frau bei einem solchen Fest freiwillig tragen würde, ehe sie erkannte, wer da vor ihr stand: Eine Vestalin.


    Eine waschechte, blütenweiße Priesterin, deren Wangen eine leise Röte zierte, als empfände sie Scham. >Ist es Zufall – kann es das überhaupt sein? – vielleicht ein Zeichen?< Narcissas Gedanken und Empfindungen überschlugen sich. >So ein Quatsch-du bist überempfindlich-aber!....eine Vestalin!<
    „Das muss ein böser Scherz sein…“, kam es ihr unbedacht angesichts ihres Schreckens über die Lippen, ehe die Aurelia im nächsten Moment begriff, dass sie ihren Gedanken tatsächlich in lautes Wort gefasst hatte. „Verzeih…es geht schon…Ich glaube, das ist nur die Hitze…“, versuchte sie sich an einem Lächeln, das kläglich scheiterte und zu einem bedrückten Mundwinkel Verziehen verkam, während sich deutliche Verwirrung und Schrecken auf ihrem Gesicht abzeichneten.

    Eher durch Zufall war die junge Aurelia in das Durcheinander der Feiernden Massen geraten. Ursprünglich nach Zerstreuung suchend, hatte sie sich, begleitet von zwei custodes auf dem Weg zum Markt gemacht – kam dort aber nie an. Eine Gruppe von Frauen kam ihr entgegen, die ihren beiden Beschützern erst einmal Feigenzweige um die Ohren schlugen und der jungen Frau schließlich selbst ein paar Zweige in die Hand drückten, noch ehe die zwei Sklaven zur Besinnung gekommen waren und ihre Herrin hatten schützen können. Zunächst noch verwirrt auf die Zweige starrend hatte es ihr dann gedämmert, was dieser Unfug sollte. Die Nonae Caprotinae…hatte sie den Gedenktag doch tatsächlich vergessen. Verwunderlich war es nicht, denn in letzter Zeit gab es vieles, das einfach so an der jungen Frau vorüber zog, ohne dass sie davon Kenntnis nahm. Viel zu sehr war sie seit dem Gespräch mit Marcus mit sich selbst beschäftigt. Mit sich selbst und dem Weg, den der Aurelier ihr eröffnet hatte.


    „domina…ich glaube dort sollten wir nicht entlang…“, erklärte einer der custodes. Die Frauen hatten es wohl besonders übel mit ihm gemeint. Ein roter Striemen zog sich über seine Wangen. Nun, dass er ein Gallier war, war weithin an seinen rotleuchtenden Haaren zu erkennen. Ein Ziel mit Präferenz jedenfalls. Narcissa folgte seiner Geste, mit welcher er nach rechts wies. Tatsächlich drang aus dieser Straße mächtiger Lärm und ein atonaler Chor verschiedenartiger Stimmen. Da war eindeutig was los. Einen Moment lang war Narcissa versucht seinem Einwand stattzugeben, doch dann übermannte sie ein Gefühl des Trotzes, das sie selbst nicht so ganz verstand. „Ist schon gut….ich möchte es mir nur ansehen…“, erklärte sie und schritt entschlossen in jene Richtung.
    „domina!“ Auf die Warnung des Galliers hörte sie nicht mehr.


    Je mehr sie sich der Straßenmündung näherten, desto mehr Menschen kamen auf sie zu. In den Straßenecken spielten Instrumente und es gab allerlei andere Dinge zu sehen, zu bestaunen. Kaufleute hatten sich aufgestellt und boten ihre Ware feil. Narcissa ließ sich auf das Treiben ein, beobachtete und fühlte wie sich ihre Gedanken allmählich zerstreuten und sich ihr Gemüt erhellte. Je weiter sie kam, desto stärker wurde das Gedränge, um sie herum und die custodes hatten einige Mühe ihrer Herrin ein wenig Raum zu verschaffen. „Mensch…hier bekommt man ja fast keine Luft mehr…“, beschwerte sich Narcissa dann doch etwas kleinlaut, als ein Ellenbogen sie unvorbereitet traf in die Seit traf…

    Eine Ehre…natürlich. Narcissa sah das Unverständnis auf Marcus´ Gesicht und ihr wurde klar, dass er das, was er sagte auch so meinte. Dass er daran glaubte. Er kam erst gar nicht auf die Idee, dass es auch die Möglichkeit gab, dass einen die Vorstellung, für immer weggesperrt zu werden, mit blankem Entsetzen erfüllen konnte. Denn das war es, was die junge Frau im Dienst an der Göttin Vesta sah, auch wenn sie wusste, dass auch diese Priesterinnen die Erlaubnis hatten, den Tempel dann und wann zu verlassen. Konnte dieser Mann nicht verstehen, was er da sagte? Ein Leben als Priesterin - damit waren alle anderen Wendungen und Drehungen des Lebens, die dort draußen auf sie warteten ausgeschlossen, passé. In jenem Moment waren alle Gedanken an ihren Bruder wie weggewischt. Es spielte keine Rolle mehr, dass nicht er es war, der ihr diese Nachricht überbrachte.


    Ihr Name drang an ihr Ohr und sie zwang ihre Aufmerksamkeit zurück in die Gegenwart. Jetzt versuchte Marcus es mit Logik. Er konnte nicht ahnen, dass er damit nur mühsam beherrschten Zynismus in ihr ansprach. Er konnte nicht wissen, dass es ihr herzlich egal war. Flora…das würde auch bedeuten, dass sie sich von ihrer Schwester trennen musste. Dieser Gedanke kam ihr noch gar nicht. „Welche Türen?“, sie stellte die Gegenfrage eigentlich nur, um ihn zu ärgern, ihn zu fordern, ihn zum Denken und konkretisieren zu zwingen. Dass nur in der lächerlichen Hoffnung, er möge erkennen, dass dieser Weg doch nicht so großartig war, wie er versuchte ihn ihr zu verkaufen. Denn das tat er gerade. Narcissa war selbst überrascht, wie welch kühlen Ton ihre Stimme dabei annahm.
    „Ich weiß nicht was euch beide auf die Idee gebracht hat, ich wäre für dieses Priesteramt geeignet…“,

    Konzentriert lauschte Narcissa den Worten der Decima und schwieg dann eine Weile, um über die Entgegnung der Älteren nachzudenken. Die Stille hing zwischen den verwaisten Bücherregalen, aber sie war nicht unangenehm. Durchbrochen wurde sie hin und wieder lediglich durch den Sklaven, der im Hintergrund weiterhin Kisten ausräumte, ihren Inhalt ordnete und dann am Platz ihrer Bestimmung verstaute. Die junge Aurelia wandte den Kopf und sah ihm eine Weile dabei zu, um ihre eigenen Gedanken zu ordnen. Vorsichtig umgriffen die Hände des Mannes ein Schriftrolle nach der anderen. Mit den Augen studierte er den Titel – er musste zumindest in Grundzügen gebildet sein.
    „Es mag nur ein anderer Blickwinkel sein und mag das Ergebnis auf den ersten Blick nicht verändern...“, begann sie langsam, ihre Gedanken in Sprache zu übersetzen: „Aber auf lange Sicht könnte sich daraus ein Unterschied entwickeln. Die andere Perspektive ist auf eine andere Grundeinstellung zurückzuführen“, Abermals hielt sie inne und sah wieder hinüber zu Seiana. „Eine Frau, die das Gefühl hat, dass sie nicht in die Zeit passt, wird eher ein negatives Grundgefühl haben. Nicht die Zeit ist der Fehler, sondern sie, weil sie nicht in die alten Konventionen der Gesellschaft passt. Sie wird eher versuchen, sich zu verbiegen, um in die Zeit zu passen. Wohingegen die zweite den Fehler nicht bei sich, sondern bei der Zeit sieht, woraus sich eine positive Grundeinstellung ergibt und vielleicht wird sie daraus die Kraft ziehen, Veränderungen der Zeit herbeizuführen...“ Eine Frage blieb dann aber dennoch...“Aber werden diese Veränderungen überhaupt erwünscht?“
    Sie empfand es angenehm mit der Decima zu sprechen. Hatte die Frau zu Beginn ihrer Unterhaltung noch fast unnahbar gewirkt, so hatte Narcissa mittlerweile den Eindruck, dass sie gelassener geworden war, ohne die Kontrolle über sich zu verlieren. Es musste sie unglaublich viel Energie kosten diese Fassade zu wahren. Sie musste schon einiges hinter sich gebracht haben. „Andererseits...warum sollte man sich mit einer Ehe, mit Kindern und Haushalt zufrieden geben, wenn man doch genau weiß, dass das einen selbst nicht ausfüllen würde....“

    Aufmerksam lauschte Narcissa Avianus´ Worten und beobachtete seine Körperhaltung. Sichtlich bemühte er sich um Erdung und Haltung. Beides würde er auch brauchen. Das und jede Menge Durchhaltevermögen und Courage, denn seine Suche würde auch dazu führen, in der eigenen Wunde zu graben.


    Sie spürte seine Unruhe, als er mit scheinbar überzeugter Stimme versicherte, einen Weg zu finden. Insgeheim bewunderte die junge Aurelia ihn für die Sicherheit, die er vermochte in seine Worte zu legen – vielleicht auch in dem Versuch sich selbst davon zu überzeugen. Sicherlich machte sich der Aurelier keine Illusionen darüber, dass es nicht einfach werden würde. Oft standen sich die Menschen selbst im Weg. Aber Narcissa hatte den Eindruck, dass er zumindest auf der richtigen Spur war. Schließlich hatte er schon damit Stärke bewiesen, indem er eingesehen hatte, dass er nicht immer würde fortlaufen können.


    „Verstehe“, antwortete sie in einer für untypisch knappen Antwort. Immer waren es die Pflichten. Männer hatten immer überall Pflichten. Dabei war es nur eine Frage der Priorität. Sein momentaner Zustand beeinflusste auch die Ausführung seiner Pflicht – war ihm das nicht bewusst? Aber die junge Aurelia sprach diesen Gedanken nicht aus, stattdessen ging sie auf seine sichtliche Unruhe ein.
    „Hast du jetzt noch etwas vor? Wie wäre es, wenn wir etwas unternehmen würden? Ein Spaziergang? Theater?..“ Hauptsache, es würde ihm ein wenig Luft verschaffen und in auf andere Gedanken bringen. Das Atrium erschien ihr jetzt unangenehm düster. Das Licht, dass durch verschiedene Öffnungen, Fenster…eindrangen schlug helle Schneisen in die Schatten.

    Die Ruhepause tat Narcissa gut. In dem Arkadengang in dem sie saß, war es schön schattig und sie hatte die Möglickeit zumindest noch einen Teil Roms zu sehen, dass ihr zu Füßen lag, wenn sie sich etwas streckte und reckte. Gar nicht auszudenken, wie es hier in Rom werden würde, wenn erst einmal der wahre Sommer Einzug in die Ewige Stadt hielt.
    Von den beiden Kurskameraden war nichts mehr zu sehen, seitdem sie um die nächste Ecke gebogen waren. Eigenartig war es ja schon...Nicht, weil Septima mit diesem jungen Kerl spazieren ging, sondern weil sie das Gefühl hatte, dass es der Tiberia gar nicht Recht gewesen war, dass sie aufeinander gestoßen waren. An einer persönlichen Abneigung ihr gegenüber konnte es nicht liegen, ihr Eindruck war seither immer gewesen, dass sie einander zumindest sympathisch fanden.
    "Worüber denkst du nach, domina?", erkundigte sich Lysandra, die, nachdem Narcissa sie bissig zurecht gewiesen hatte, doch auffällig ruhig geworden war. Der Sklavin war es selbst hier im Schatten einfach zu warm. Und das, obwohl sie aus Griechenland stammte.
    "Ich glaube, ich wollte Flora vorschlagen, den Sommer über außerhalb Roms zu verbringen...", erwiderte die junge Aurelia. Das entsprach freilich nicht der ganzen Wahrheit. Aber die Frau musste schließlich auch nicht alles wissen. >Du überinterpretierst schon wieder<, würde sie ihr sicherlich vorwerfen.
    "Das ist eine gute Idee...an welche Stadt hast du gedacht?"
    "Eine Küstenstadt wäre nicht schlecht. Ich würde gern einmal wieder das Meer sehen...",
    Ihr Blick glitt in die Richtung, in welcher die Tiberia mit dem Germanica verschwunden war. Vielleicht sollte sie doch einmal nachsehen? Kräftig genug fühlte sie sich ja schon wieder.

    Nur zu gern gesellte sich Narcissa zu ihrer Schwester. Es lag nun schon eine ganze Weile zurück, dass die beiden Zeit gefunden hatten, sich auszutauschen - und das letzte Mal in balneum zählte nicht unbedingt zu ihren liebsten Erinnerungen. Das Verhältnis zwischen den Zwillingen war danach noch eine ganze Weile angespannt gewesen, auch wenn man ihnen das rein äußerlich nicht angemerkt hatte. Höchstens vielleicht Lysandra. Aber die hatte -natürlich - geschwiegen.
    Jetzt setze sich Narcissa zu Flora aufs Sitzkitzen und betrachtete die beiden Kätzchen, die um ihrer beider Zuwendung buhlten als gäbe es nichts wichtigeres im Leben. Es erinnerte sie ein wenig an Marei. Das SKlavenmädchen war stets froh gewesen über ein wenig Zärtlichkeit. Sie vermisste das Kind, das mit Titus und Septima nach Mantua gegangen war. Wie es ihnen wohl ging?
    "Wie wäre es mit Diana und...hmm...Rhea? Erstere ist ein Zwilling und letztere immerhin Mutter von Zwillingen...", begründete sie ihre Wahl.
    Lysandra unterdessen seufzte Kopfschütteln. "Kann ich euch denn irgendetwas bringen? Oder kann ich mich zurückziehen?"

    Ihre Antwort schien ihn nicht zu besänftigen. Zumindest war das Narcissas Eindruck, als sie in Marcus´ ernstes Gesicht sah. Sie machte sich schon auf eine Moralpredigt über die Sitten und Normen der römischen Gesellschaft bereit, auch wenn es sie ein wenig irritierte, dass er so zögerte.


    „W-“, Narcissa glaubte noch, sich verhört zu haben; Blickte ihn mit großen grünen Augen an. Dann, mit dem nächsten Atemzug, als ihr Verstand erfasste, dass er soeben tatsächlich diese Worte ausgesprochen hatte, entglitt ihr für einen Herzschlag lang die Kontrolle über ihre Mimik und ein Ausdruck des Entsetzens trat auf ihre Züge.“WAS?!“ >Das muss ein Scherz sein…das kann er nicht ernst meinen…< Die junge Aurelia fing sich wieder, nervös, labil. Ein unruhiges Lächeln kräuselte ihre Lippen, während sie abermals ihr Gewicht im Sessel verlagert. Er sprach weiter. Unbeirrt. Ihre Gedanken wanden sich. >Er ist gar nicht befugt…Orest hat die Verantwortung...Haben sie miteinander geredet – er redet mit ihm, aber mit mir nicht!< „Das kann nicht euer Ernst sein!“, Sie schreckte zurück, als ihr ihre eigene Stimme in den Ohren nachklang und sie den Gedanken aussprach.

    Man spürte, dass Titus etwas an dem Mädchen lag. Als er versuchte Marei die Freude des Lernens zu vermitteln, lauschte sie und nickte bestätigend an den richtigen Stellen. Sie konnte verstehen, was er meinte. So anstrengend es manchmal war - es war die Faszination für Neues, das sie immer wieder antrieb zwischen "Buchdeckel" zu schnuppern. Was Bildung betraf, waren die beiden Aurelier einer Meinung.


    "Das mache ich sehr gern", entgegnete Narcissa und freute sich sichtlich, dass er ihren Vorschlag unterstützte. Auch Marei schien davon begeistert und brabbelte fröhlich darauf los, was sie schon alles konnte. Sanft drückte sie ihre Hand und bedachte das Mädchen mit einem Lächeln. Das erste Mal waren sie einander in der exedra begegnet und Narcissa hatte die Gelegenheit genutzt dem Mädchen eine Fabel vorzulesen.


    "Deine Zunge ist schneller als deine Gedanken, hm?", zwinkerte sie ihr zu. Das Mädchen zeigte eine große Bereitschaft und Motivation. Die galt es zu nutzen, allerdings galt es auch ihren Übermut zu bremsen. Nicht, dass sie enttäuscht wäre, wenn sie nicht schnell genug voran kam. "Na ja, wir haben sehr viele kurze Texte gelesen, die uns unsere Lehrer geschrieben haben. Das erste längere Buch waren tatsächlich Fabeln von Phaedrus....", antwortete sie. "Aber ich denke, wir werden auch erst mal im kleinen anfangen..."
    Noch etwas ganz anderes beschäftigte sie. "Was hat es eigentlich genau mit dieser Sklavin auf sich, Titus?", erkundigte sie sich mit gekräuselter Stirn.

    Narcissa beobachtete das Schauspiel zwischen Lysandra und ihrer Schwester mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen. Für gewöhnlich waren die Streitigkeiten zwischen den beiden etwas ausgewachsener, da vor allem Flora gegenüber der Sklavin partout auf stur schaltete. Über die Jahre hinweg, hatten die Zwillinge aber diverse Taktiken entwickelt, um größeren Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Eine davon wandte Flora so eben geschickt an.
    "Ooooh - die Armen!", verzog Narcissa das Gesicht und sah zu wie ine der beiden das Köpfchen in ihre Handfläche drückte, um ihr damit zu signalisieren, sie solle sie doch bitteschön streicheln...


    Verdutzt verlor sie dann beinnahe das Gleichgewicht, als Flora ihr eines der Tierchen in den Arm drückte. "Danke!" Ihre Stimme schlingerte ein wenig, während sie versuchte, Katze und Balance zu ordnen. Natürlich verstand Narcissa die Geste ihres Zwillings. Sie sicherte den Boden. Gegen sie beide kam Lysandra nicht an. Das sah wohl auch die Leibsklavin ein. Narcissa beobachtete aufmerksam ihr Gesicht, als sie das Kätzchen an ihre Wange drückte. Ihre Lippen wurden deutlich schmaler.
    "Ich muss wirklich protestieren...", verkündete sie.
    "Ach Lysandra...Sie sieh dir doch an!", widersetzte Narcissa und hielt ihr das Katzenkind entgegen. "Sie tun doch gar nichts böses...und sie stören auch niemanden..." Wie erwartet wich die Sklavin einen Schritt zurück.