..."werde ich in den nächsten zwei, drei Tagen nur sporadisch online sein... "
Dito!
..."werde ich in den nächsten zwei, drei Tagen nur sporadisch online sein... "
Dito!
Schon seit einigen Tagen hingen in den Straßen Roms diverse Plakate aus, die eine neue Inszenierung eines gewissen Volscius Cerretanus ankündigten. Man musste blind sein, um diese Plakate nicht zu entdecken. In bunten Farben beschrieben sprangen sie den Passanten förmlich in die Augen.
So auch der junge Aurelia Narcissa, welche die Werbung auf einem Bummel auf dem Markt entdeckt und sogleich ihre Schwester Flora darauf aufmerksam gemacht hatte. Klar, dass sie dorthin gehen würden. Wer Bücher förmlich verschlang, der musste zwangsläufig auch ein glühender Anhänger des Theaters sein.
„Wir kommen dann nach domina“, hatte Lysandra noch an der Tür gesagt, bevor die junge Aurelia die Sänfte bestieg, die eigentlich nicht nur sie, sondern auch ihre Schwester zum Theater hatte bringen sollen. Aber Flora war spät dran und so hatten die Zwillinge beschlossen, dass sie schon einmal vorgehen sollte, um für sie beide Plätze zu organisieren. Zusammen mit einem der Haussklaven machte sie sich also allein auf zum Theater. Glücklicherweise waren die Straßen nicht so voll und so erreichen sie zeitnah das imposante Gebäude, das auf eine lange Theatergeschichte zurückblicken konnte. Schon in republikanischer Zeit hatte man zwar nicht im Marcellustheater aber dafür in hölzernen Behelfstheatern gespielt. Mit seinen Vorgängern hatte der Bau selbstverständlich nichts mehr gemeinsam. Beschützt durch den ältesten Apollotempel der Stadt ragte er eindrucksvoll in die Höhe. Die Sklaven, welche die Sänfte getragen hatten, ließen die Aurelia am Haupteingang aussteigen. Angesichts der Menschenmenge, die hier bereits auf Einlass wartete bereute sie es schon fast, nur einen Sklaven mitgenommen zu haben, der ihr Platz verschaffen konnte. Sie hatte das Interesse der Menschen offensichtlich eindeutig unterschätzt.
„Könntest du...“, wandte sie sich an den Sklaven und bedeutete ihm mit einem Nicken vorzugehen – natürlich um ihr einen Weg zu bahnen.
„Na dann man auf ins Getümmel...“, ergab sie sich mit einem Seufzen.
„Es war ein sehr fröhliches Fest...“, nickte Narcissa lächelnd. Auch sie war auf jener besagten Festivität gewesen. Dunkel erinnerte sie sich noch an ein Floss im balneum und an ihre Schwester, die neben ihr stand. Nicht nur eine fröhliche Feier war es gewesen, sondern auch eine weinträchtige. Nahezu die gesamte Familie hatte am nächsten Tag in den Seilen gehangen. Eine Vestalin war ihr unter den vielen Gästen jedoch nicht aufgefallen. Das war aber auch nicht sonderlich verwunderlich. „Es war kurz nachdem meine Schwester und ich hierher umgezogen sind...“ Als Landei konnte man da schon einmal den Überblick verlieren.
Dass die Claudia Septima kannte, verwunderte sie nicht sonderlich, da ihre angeheiratete Verwandte ein recht geselliges Gemüt hatte und rasch mit Menschen ins Gespräch kam. Zudem kannten sich die patrizischen Familien zumeist untereinander recht gut. „Es ist wirklich schade, dass sie zur Zeit in Mantua lebt. Die ganze Familie vermisst sie und Ursus.“
Der Aurelia stand nicht der Sinn danach verbalen Widerstand zu erheben. Viel zu verwirrt fühlte sie sich, hin und her gerissen, zwischen all den Strömungen die ihr Leben bildeten und jenen neuen Einflüssen, die auf sie zu schwemmten, ohne dass sie in der Lage gewesen wäre, sie zu filtern. Um handeln zu können, musste sie zunächst einen sicheren Stand finden. Und um sicheren Boden unter die Füße zu bekommen musste sie zunächst zu hören. Die junge Frau zeigte daher recht wenig Regung und konzentrierte sich darauf Claudias Worten zu lauschen und sie einzuordnen. Selbst jetzt war sie noch nicht in der Lage ein allerletztes Urteil zu fällen. Dazu mussten sich die Informationen erst einmal setzen, umgewälzt werden.
Dass sie aber als eine andere Person aus diesem Gespräch heraus ging als sie hinein gekommen war, das war eine Tatsache. Man hatte ihr eine Idee gegeben, eine andere Perspektive. Und die Erkenntnis, dass der Weg der Vestalin keine Sackgasse war, empfand die junge Frau als äußerst erleichternd. Bisher hatte sie nie ein allzu enges Verhältnis zu Religion empfunden. Natürlich glaubte sie an die Götter, wie es jeder gut erzogene Römer tat, (Selbst die Barbaren glaubten an irgendetwas) aber es war stets eher etwas von peripherer Natur gewesen. Die Götter, von denen sie als kleines Kind in Erzählungen gehört hatte, hatten für sie stets einen äußerst menschlichen Zug gehabt.
Als die Claudia für den Bruchteil einer Sekunde zu lange über die Antwort auf ihre Frage nachdachte, offenbarte sie damit einen kurzen Einblick hinter die Fassade ihrer leidenschaftlichen Worte, die sie zuvor mit solcher Inbrunst vorgetragen hatte. Es war nicht alles Friede-Freude- Eierkuchen, aber Narcissa war auch nicht zu naiv, zu glauben, dass es nicht manchmal auch Momente der Versuchung gab. Selbst für eine Frau wie Romana. Ihre letztendliche Antwort radierte jeglichen Zweifel, der durch ihr Zögern entstanden war, aus. Sie bereute es nicht. Allerdings ahnte Narcissa auch nichts von ihrer ungleichnamigen Art, Positives in Negativem zu sehen. „Ich werde mir über all das noch ein paar Gedanken machen müssen, aber ich danke dir für dieses Gespräch, Claudia…“, Narcissa lächelte gelöst und fasste die Frau, die nicht sehr viel älter als sie selbst, aber im Gegensatz zu ihr bereits schon wusste, wo sie hin gehörte in einem Anflug des Vertrauens bei den Händen. Dann erhob sie sich. „Ich bin mir sicher, dass wir uns auf die eine oder andere Art und Weise wieder begegnen werden.“
Sie hielt es für unmöglich. Ihre Gegenfrage war mehr Antwort und rhetorisch als eine echte Frage. Es machte Narcissa etwas unsicher, denn im Grunde waren ihre Gedanken nur feines Gespinnst, in das zum Teil auch ihre eigenen Träume eingewoben waren, die, wie ihr jetzt bewusst wurde, extrem durch den Wunsch nach Entscheidungsfreiheit geprägt waren. Es war nicht das Problem, dass sie heiraten, Kinder haben, einen Haushalt führen würde – sondern dass sie es sollte. Im Grunde kreisten ihrer beider Probleme somit um ein ähnliches Thema: Heiraten müssen, um den äußeren Erwartungen gerecht zu werden.
„Eine Einzelne in unserer Gegenwart dürfte scheitern“, erwiderte die junge Aurelia mit Bedacht, nachdem sie einige Augenblicke geschwiegen hatte. „Aber ich glaube auf lange Sicht gesehen, könnte es die eine oder andere Veränderung geben. Nicht sofort, nicht schlagartig…wohl schleichend. Aber alle großen Entwicklungen haben noch mit einer Idee angefangen. Wenn genug Menschen sie in die Welt hinaus tragen, werden sie irgendwann ihr Potential entfalten…“ Das bedeutete aber auch, dass zumindest für sie selbst keinerlei Hoffnung darauf bestand, selbstbestimmt zu leben. Oder es gab noch andere Wege, die sie bisher nur noch nicht in Betracht gezogen hatte.
„Ist es wirklich die Ordnung der Götter – oder doch eher nur die Deutung, die….“ Sie hielt inne. Das was ihr da so unbedacht über die Lippen kommen wollte, war zu viel. Viel zu gefährlich, blasphemisch. Es ging eindeutig über das hinaus was rechtens war. „Es ist die Ordnung der Götter“, widersetzte sich Narcissa selbst nüchtern, aber mit einem viel zu halbherzigen Ausdruck im Gesicht. Sie hielt inne, um ihre Gedanken zu ordnen.
„Vielleicht setzen wir uns selbst zu sehr unter Druck. Vielleicht ist es ganz und gar anders herum. Dass wir es eigentlich nicht, die zu viel von uns fordern, die Dinge zu eng sehen und nicht die Gesellschaft….“ Vielleicht machte das ihre ungeheure, wenn auch nicht vollständig ausgesprochene Aussage vergessen. Und war das nicht viel einfacher? Akzeptieren und los lassen. Im Strom schwimmen. Das musste nicht zwangsläufig bedeuten, dass es ein schlechteres Leben war.
Jene Gesprächswendung, der plötzliche, allzu schlagartige Rückzug der Aurelia wirkte sich auch auf den Fortlauf des Gesprächs aus. Sie wich der Decima aus. „Ich würde mich schon besser fühlen, würde ich nicht Opfer irgendeiner politischen Heirat werden…“ Dabei wollte sie doch das: Nicht in Bedeutungslosigkeit versinken, etwas bewegen. In der Politik vielleicht. Aber das war ganz und gar undenkbar. Denn die Politik und das Militär waren für Frauen das Tabu non plus ultra. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe es zu sehr auf die Spitze getrieben…“ Eine Entschuldigung. Sie wagte nicht die Gegenfrage zu stellen. Nämlich was Erfüllung für die Frau ihr gegenüber bedeutete. Stattdessen: „Vielleicht sollte ich jetzt gehen...“, Es klang aufgeräumter als sie sich fühlte.
"Salvete ihr beiden!", grüßten die Zwillinge fast synchron, froh darüber, dass sich noch weitere Familienmitglieder zu ihnen gesellten, um das Gespräch zu bereichern, das sich zuvor eher dahinsichend voran geschleppt hatte. Kein Wunder, hatten doch zumindest drei der Anwesenden ein etws gespanntes Verhältnis. Imbrex hatten sie das letzte Mal auf dem Sklavenmarkt getroffen. Seitdem waren wieder einiger Monate ins Land gegangen. Narcissa nahm sich vor den Verwandten später danach zu fragen, wie es ihm ergangen war. Auch Prisca gesellte sich zu ihnen, als Marcus auch schon eine Schriftrolle zur Hand nahm. Wie es sich herausstellte, ein Brief von Septima aus Mantua.
Aufmerksam verfolgte sie Marcus´ Stimme, welche die geschriebenen Worte intonierte. Ein freudiges Lächeln erhellte ihr zuvor eher als düster zu bezeichnendes Gesicht. Es war schön von Septima zu hören, schien ihre Abreise doch schon Ewigkeiten zurück zu liegen. Und dann auch noch so freudige Nachrichten!
Als die Flavia in einen Hustenausfall ausbrach wandten sich ihre alle Gesichter zu. Narcissa wollte schon aufstehen, als Marcus ihr bereits zur Hilfe kam und ihr den Rücken klopfte. Bildete sie sich das nur ein, oder ging der Aurelier tatsächlich äußerst unzimperlich mit seiner Frau zu Werke? Ihre rote Gesichtsfarbe blieb, mit etwas Wasser schien sie sich aber wieder zu fangen.
"Darf ich den Brief mal sehen?", erkundigte sich Narcissa. So ganz konnte sie es immer noch nicht glauben, was sie da gehört hatte.
"Das sind wirklich großartige Neuigkeiten - wir sollten darauf trinken!", ertönte Floras Stimme neben ihr.
Ein Bote gab diesen Brief am Kastell ab...
AD
Tiberia Septima
Castra Legionis I Traianae Piae Fidelis
Praetorium
Mantua, Italia
Liebe Septima,
Ich fürchte den Blümchen-Spitznamen werden wir wohl nie los bekommen. Ganz ehrlich – ich frage mich immer wieder was sich unsere Mutter dabei gedacht hat, uns nach Blumen zu benennen. Du wirst dafür bestimmt mehr Gespür haben. Als Marcus den Brief bei der letzten cena vor las, konnte ich es gar nicht glauben, ich musste es noch einmal mit eigenen Worten lesen. Das ist ja wunderbar! Ich freue mich so für euch beide! Ihr werdet gewiss ganz tolle Eltern! Wenn du uns schon nicht besuchen kommen kannst, dann müssen wir dich eben besuchen können!
Allerdings sollten wir das bald tun, denn es hat sich einiges getan. Vermutlich werde zumindest ich bald nicht mehr die Möglichkeit haben hin zu reißen, wie es mir beliebt. Marcus hat mir Orests Pläne bezüglich meiner Zukunft offenbart. Sie wollen mich zu den Vestalinnen schicken. Ganz ehrlich, ich war geschockt. Und selbst jetzt weiß ich noch nicht, was ich darüber denken soll. Auf den Nonae Captrionae begegnete ich Claudia Romana. Ich weiß nicht, ob du sie kennst. Bestimmt, falls nicht, sie ist eine Vestalin. Ich traf sie einen Tag nach dem Gespräch mit Marcus. Was soll ich davon halten? War es ein Wink der Götter? Reiner Zufall? Aber nichts ist doch Zufall. Jedenfalls unterhielten wir uns recht lang. Das, was sie sagte, war beeindruckend. Wie sie es sagte noch beeindruckender. Ich habe den Eindruck, dass sie ganz und gar in ihrem Dienst aufgeht.
Ich werde wohl noch eine Weile über das alles brüten müssen. Einmal davon abgesehen, ergeht es uns recht gut! Ich bin mir sicher, dass auch Flora dir bald etwas schreiben wird. Sie ist ja die wesentlich umtriebigere von uns beiden. Ich werde dir bald wieder schreiben, sollten wir dich nicht in nächster Zeit besuchen kommen – was ich doch sehr hoffe. Ganz ehrlich: Ein wenig Abstand zur Stadt könnte ich nun gut gebrauchen. Wie kommst du denn mit dem Einrichten voran?
Liebe Grüße,
Narcissa
PS: Richte Ursus bitte ganz viele liebe Grüße aus!
Der Claudia gelang es meisterlich ihre Gedanken zu verbergen, ein Grad der Perfektion, wie ihn nur Mädchen aus patrizischen Hause ihn durch zu exerzieren vermochten. Sie schien ihre Verteidigung jedenfalls zu billigen. „Sie wäre dann die zweite Tiberia in unserem Haus...“, meinte Narcissa , um von ihrem Bruder ab – und zu erfreulicheren Dingen hin zu lenken. Nun ja, vielleicht wäre es die beste Verteidigung gewesen, einfach zu zu geben, dass der Aurelier fernab von Roma mit einem Fieber kämpfte. Aber Fieber machte sich nun mal nicht so gut. Von der drohenden Auflösung der Verlobung ahnte sie noch nichts. Kurz fragte sie sich wie es Septima wohl in diesem Soldatenlager in Mantua erging, so weit weg von der Familie. Sie vermisste sie ehrlich und nahm sich vor so bald wie möglich einen Brief an die angeheiratete Verwandte aufzusetzen. „Tiberia Septima ist mit meinem Cousin Aurelius Ursus verheiratet...“, fügte sie vorsichtshalber hinzu, hatte sie schließlich keine Ahnung ob ihr der Name ein Begriff war.
Vom wilden Herumfuchteln ging Romana im Laufe ihrer Antwort erst auf ein feines Lächeln und dann in ein lautes Lachen über, sodass sich sogar ihre beiden Bewacher zu den Frauen umdrehten und sie mit gehobenen Augenbrauen musterten. >Macht sie sich über mich lustig?<, war der erste Gedanke, der unmittelbar hinter der aurelischen Stirn aufflammte. Dann >Nein, doch nicht...< Ihre empörte Verwirrung wich leiser Verlegenheit. Eine >ausgezeichnete Menschenkennerin<. Eigentlich hatte nicht sehr viel dazu gehört, im Gesicht der Claudia zu lesen, zumindest was ihren Dienst bei den Vestalinnen betraf. Ein Paar brauner Augen traf die ihren, als wollte die Claudia sie beschwören.
Und dann war es sie, die sich zusammenreißen musste, um nicht ihre Gedanken zu verraten.
Religion war ja schön und gut, aber das, wovon die Vestalin sprach, prallte krachend gegen ihren rationalen Verstand, in dem es keinen Platz für Visionen und Aufträge von Göttern gab. Einen Moment lang glaubte sie, Romana mache Scherze oder vielleicht hatte die junge Frau auch einfach irgendeine Droge zu sich genommen. Als sie aber den Fanatismus in Romanas Augen aufflammen sah, war sie davon überzeugt, dass es gar keine andere Möglichkeit gab, als dass es wahr war. Zumindest musste die Claudia einen solchen Traum gehabt haben und felsenfest daran glauben, andernfalls wäre sie in letzter Konsequenz niemals Vestalin geworden. Sie betrachtete die Priesterschaft als das römischste, das es gab, als Bewahrer der Tradition. Einer Tradition in welcher Frauen „an irgendeinen besitzergreifenden Mann“ verheiratet wurden, „der aufpasst, dass seine Frau ja auch nichts tut, um seine Ehre zu beflecken, der dich zu Geschlechtsverkehr zwingt, der dich unterjocht.“, wie sie selbst gesagt hatte.
Jeder andere hätte die Claudia jetzt wohl für übergeschnappt gehalten, als sie dazu überging die Priesterschaft als Bewahrer Roms zu erheben, Narcissa jedoch nicht. Sie lauschte aufmerksam ihren Worten, beschworen durch die Augen, die sie festhielten und innen ein fanatisches Feuer loderte. Es war nicht das, was Romana sagte – zumindest nicht in erster Linie – sondern wie sie es mit tief empfundener, inbrünstiger Überzeugung vortrug.
„Es ist beeindruckend, was du da sagst“, erwiderte Narcissa auf ihren neugierigen Blick. „Wirklich beeindruckend.“ Sie schwieg einen Moment, kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Du hast eine Aufgabe gefunden – und du wusstest, welchen Preis du dafür zu zahlen hast. Das ist selbstlos...“, Für sich selbst konnte die Claudia wohl kaum etwas heraus ziehen. „Bereust du es manchmal?“ Eigentlich ergab sich die Antwort schon aus der Art und Weise, wie Romana über ihren Dienst sprach, dennoch wollte sie es aus deren eigenem Mund hören.
Ein Handdruck.
„Ich weiß“, erwiderte Narcissa trocken. Flora war impulsiv und manchmal schoss sie über das Ziel hinaus. Das Zurückrudern fiel ihr zuweilen schwer. Sie hatte einen nicht zu unterschätzenden Stolz. Andererseits hatte sich aber auch Lysandra eindeutig zu weit aus dem Fenster gelehnt und damit die Überreaktion Floras provoziert. Da war er wieder. Der Stand. Das entwaffnende Argument für und gegen alles. Wie konnten sie sich selbst beschweren, wenn sie selbst alles in Stand und Schubladen einteilte.
Vielleicht hätte Flora Lysandra nachgehen sollen, beide brauchten im ersten Moment wohl aber vielmehr Abstand, um die Klarheit ihres Verstandes zurück zu gewinnen.
„Lass uns an den Tiber runter gehen...Ein wenig Zerstreuung wird dir gut tun...“, schlug Narcissa ihrer Schwester vor und meinte dabei eigentlich ganz und gar sich selbst....
Der Nachmittag empfing die beiden Aurelier mit all der Hitze, die sich über den Tag in den Gassen und Straßen Roms gesammelt hatte. Natürlich hätten die beiden auch eine Sänfte benutzen können, was ihnen als Angehörige des Adels zugestanden hätte. Doch Narcissa zog es vor zu Fuß zu gehen und hatte sich gegenüber Avianus durchgesetzt. Nebeneinander schritten sie die Straße in Richtung des Forum Romanum, das sie über das Forum Traiani betraten. Je näher sie dem Stadtzentrum kamen, desto mehr wimmelte es von Menschen, die scheinbar alle zur selben Zeit auf ein und dasselbe Ziel zustrebten. Zumindest ihr Ziel war das Theatrum Marcelli, im Südwesten des Forums gelegen.
Sie lächelte ihren Verwandten an und streckte ihr Gesicht dann der Sonne zu. Nach dem Dunkel im Atrium war das Licht und die Wärme wohltuend und auch Avianus, machte zumindest äußerlich, einen besseren Eindruck, als im Zwielicht. Ein wenig Sonne und die Sorgen waren vergessen. So einfach war es für sie.
„Weißt du denn, was sie zur Zeit im Theater spielen?“, erkundigte sie sich. Narcissa hatte keine Ahnung was derzeit auf dem Spielplan stand, aber falls sie nichts ansprechendes fanden, so konnten sie immer noch weiter in einen der zahllosen Gärten der Stadt, die zu dieser Jahreszeit besonders schön sein sollten.
reserviert
Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte Narcissa eine solche Fassungslosigkeit auf Lysandras Gesicht gesehen. Geradezu geschockt starrte die alte Sklavin Flora an, von einem auf den anderen Augenblick schlotweiß, bis auf den Handabdruck auf ihrer Wange, der sich klar und deutlich von ihrer Haut abhob. Ihr Unterlippe zitterte.
Flora vor ihr bebte vor Wut.
„Schwester....“, Narcissa war neben ihrem Zwilling aufgetaucht, „Lysandra...“, und nahm beider Hände. Die Sklavin fühlte sich schlaff an, als sei jedweder Wille aus ihr gewichen.
Stille.
Narcissa wusste nicht, was sie sagen sollte. Erschüttert stand sie zwischen den beiden Frauen. Freilich, was Lysandra gesagt hatte, hatte ihr nicht gefallen. Im Grunde missfiel es ihr meistens. Doch noch nie war es vorgekommen, dass eine dreien gegen die andere die Hand erhoben hatte. Es veränderte alles.
„Wir sollten...“ In Lysandra regte sich wieder das Leben. Sie löste sich von Narcissas Hand, wandte sich herum und verließ den hortus ohne ein weiteres Wort zu sagen. Die Schwestern blieben zurück.
„Rom ist Gift...“, Narcissas Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren fremd. „Vielleicht sollten wir für ein paar Tage aus der Stadt, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.“
Septimas Reaktion fiel äußerst forsch aus. So forsch und keinen Widerspruch duldend, dass Narcissa gar nichts anderes übrig blieb, als klein bei zu geben und ihre angeheiratete Verwandte anzulächeln. Innerlich noch nicht ganz überzeugt, zog sie es vor diese Zweifel lieber für sich zu behalten. Sie wollte Septima nicht verärgern und verlegte sich somit auf ein Kopfnicken, als die Tiberia fortfuhr. An Tagen wie diesen konnte man wahrlich nichts anderes tun, als zu trinken. Dabei war die Temperatur hoch über der Stadt viel angenehmer, als in den engen Gassen, die als ein Gewirr aus Spinnenfäden unter ihnen lagen. Sehen konnte Narcissa sie von ihrer Bank aus zwar nicht, aber sie waren natürlich da.
Spetimas Gedanken schien zumindest ähnliche Bahnen zu nehmen. Die Tempel erhoben sich majestätisch über dem Smog der Stadt. Der Dreck blieb unten. Die Aussicht an diesem Tag zumindest noch die Tempel zu sehen, gab der jungen Aurelia einen kleinen Schub. Wo blieb denn der Germanicer? Sie wollte weiter! Das Getränk war schon ganz vergessen. „Sehr gern – es geht mir auch schon wieder gut!“, sagte sie begeistert. Lysandra hob die Brauen.
„Ich weiß nicht domina…du magst dich besser fühlen, aber ich weiß nicht ob es ratsam wäre jetzt noch zu den Tempeln zu gehen“, wandte sie an Narcissa gewandt ein, deren Unmut ihr schon von der Nasenspitze abzulesen war.
Der misstrauische Unterton in Septimas Stimme war nicht zu überhören. Eigentümlich ertappt sah Narcissa die Tiberia an und realisierte erst jetzt, dass man ihre Aussage auch sehr leicht falsch verstehen konnte. Sie hatte nichts zu verbergen – anders vielleicht als Septima selbst. „Er hat meine Schwester und mich vor einiger Zeit in der Villa besucht und hat dort mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten…“, antwortete sie. Die Begegnung war ihr noch lebendig in Erinnerung. Die kleine Marei war unteranderem Gegenstand der Diskussion gewesen und es war fast zum Eklat gekommen. Sie betrachtete aufmerksam Septimas Gesicht auf der Suche nach einer Reaktion. Vielleicht zeigte sie sich so misstrauisch, weil sie dem Germanicer womöglich näher stand, als sie es selbst zugeben wollte?
Hätte Lysandra nicht direkt ihre Schwester angesprochen, Narcissa hätte geglaubt dass es tatsächlich ihr Gewissen war, das sich in einer Art Halluzination als Lysandra getarnt vor ihr aufbaute und ihr eine Moralpredigt hielt. Nur das Lysandra eben keine Sinnestäuschung war. Mit einem Knall stellte sie das Tablett ab. Unwillkürlich tastete Narcissa nach Floras Hand.
So schlimm wie erwartet fiel die Standpauke dann doch nicht aus. Immerhin verzichtete Lysandra darauf den Stand der Zwillinge als Argument auszupacken. Mittlerweile konnte sie es nicht mehr hören. Stand hier, Stand da. „Dankbar?...“, fragte sie irritiert zurück und runzelte die Stirn. „Ich kann nicht sehen, wie ich dafür dankbar sein soll, dass sie mich von Flora trennen und mich in den Götterdienst schicken wollen…“, erwiderte sie trotzig, wohl wissend, dass es nicht so ganz das war, worauf Lysandra eigentlich hatte hinaus wollen.
Die Claudia musste die Verlobte ihres Bruders zweifelsohne näher kennen. Dass sie gut über die Tiberia sprach war beruhigend. Zu ihrem eigenen Missfallen war sie Orestes nicht näher gekommen und kannte ihren Bruder daher echt wenig. Seine Frauenwahl ließ weitere Rückschlüsse auf ihn zu. Auch wenn es ihr anders viel lieber gewesen wäre – manches…vieles konnte man sich leider nicht aussuchen. Vor allem nicht als Frau. „Ich würde sie gern kennen lernen. Vielleicht hat sie sich über den Sommer aufs Land zurück gezogen…“, vermutete Narcissa. Das taten ja immerhin die meisten Patrizier.
Ihr Bericht über Orestes schien der Vestalin indessen nicht sehr zu zusagen. Sie sah es an der Art, wie Romana die Stirn in Runzeln legte und sich eine scharfe Falte zwischen ihren schmalen Brauen bildete. Angesichts ihrer offenkundigen Missbilligung tat es ihr fast schon Leid, dass sie so hart mit ihm ins Gericht gegangen war. Denn so ganz und gar ließ er seine Familie ja doch nicht im Stich. Er engagierte sich öffentlich und versuchte seiner Familie Ehre zu machen. Wenn man es außerdem genau nahm, dann hatte man ihm die Zwillinge ohne ihn zuvor zu fragen einfach aufs Auge gedrückt. Vielleicht hatten sie gar nicht in seine Lebenssituation gebracht. Dass er sie beide gar nicht hatte aufnehmen wollen, wurde umso logischer, als sie daran dachte, wie schnell er sich darum gekümmert hatte, dass er sie wieder los wurde. Dennoch verspürte Narcissa den Drang ihn gegenüber der Claudia in Schutz zu nehmen: „Ich bin mir sicher, dass es ihm sehr unrecht ist seinem Amt als Augur nicht nachkommen zu können….“ – Leicht zu durchschauende Spekulation. „Bestimmt wird er wieder öfter da sein, wenn er die Dinge für sich geordnet hat.“
Mit einem Stirnrunzeln quittierte Narcissa Claudias Handbewegung. Sie überdachte noch einmal rasch ihre letzten Aussagen, um den Ursprung ihres Unmuts zu erkunden. Entweder es war nach wie vor Orest, oder es war etwas, dass sie selbst von sich gegeben hatte. Vielleicht war es ihre allzu freigiebige Art mit Informationen. Es war recht unklug gewesen, der Vestalin Einblick in das Familienleben gegeben zu haben. Dafür kannten sie sich weiß Gott noch nicht gut genug. Dabei war sie eigentlich immer äußerst Bedacht auf ihre Worte. Selten kam ihr etwas über die Lippen, das unangebracht war, hatte sie es sich doch unlängst zur Gewohnheit gemacht, erst zu zuhören, Informationen zu sammeln, dann darüber nachzudenken und Schlüsse zu ziehen, zu sondieren und zum Schluss erst Antwort zu geben. Es war etwas, dass sie von ihrem Zwilling unterschied. Flora lag das Herz zuweilen auf der Zunge. Doch blieb nicht genug Zeit sich darüber weiter Gedanken zu machen. Überrumpelung machte sich auf Claudias Zügen breit. Sie deutete auf eine Bank, die neben einem Hauseingang an der Wohnhauswand stand. Es war eine typische Insula, wie man sie zu Hauf in der Innenstadt vorfand. „Verzeih – ich wollte dir nicht zu Nahe treten!“, beeilte sie sich zu entschuldigen, als sie sich auf der Bank niederließen, während sich die Leibwächter aufstellten. Jetzt war es Narcissa, die erstaunt war.
Ja, warum eigentlich nahm sie an, dass die Claudia freiwillig Vestalin geworden war. Die junge Aurelia hielt kurz inne und antwortete dann ihrer Intuition folgend, in dem sie Romana ins Gesicht sah. „Nun…ich glaube es ist die Art und Weise, wie du über das Amt sprichst.“ Die Leidenschaft in ihren Augen war nur bei Menschen zu finden, die sich ganz und gar einer Sache verschrieben hatten und davon überzeugt waren das richtige zu tun. „Du musst dich freiwillig gemeldet haben…“
"Nein, es geht schon...", erwiderte Narcissa mit einem Lächeln auf ihre Geste. Es war nicht das erste Mal, dass Blutverlust und Hitze sie schwindelig machten und bisher hatte sie immer davon abgesehen sich zu verkriechen. Wäre ja noch schöner, wenn man wegen einer solchen Lappalie alles verpasste. Zudem waren sie ja erst hier nach oben gekommen und der Aufstieg war viel zu anstrengend gewesen, um sogleich wieder den Abstieg anzustreten.
>Oder aber der Germanicer hatte es wieder eilig<, Allein das Schmunzeln ihrer Lippen verriet ihre Gedanken. "Das war sehr freundlich von euch...ich wollte wirklich zu keinem Klotz werden...", erwiderte sie stattdessen entschuldigend. Ein kurzes Schweigen legte sich zwischen die beiden Frauen, in welchem Narcissa den Blick nach vorne zur Stadt hin wandte und den Ausblick für ein zwei Atemzüge genoss. "Er ist manchmal schon recht stürmisch....", brach die Aurelia in das Schweigen und dachte dabei an das Tempo mit dem der junge Mann vorgesprintet war oder an jenes denkwürdige Treffen in der Villa Aurelia. Es war ihr nach wie vor noch nicht so ganz aufgegangen, was die Tiberia mit dem Germanicer zu tun hatte.
Bin von heute bis etwa 23.08 Sonnenanbeterin spielen=)
Allen einen schönen - hoffentlich weniger regenreichen - Sommer!
Entgeistert sah Narcissa ihre Schwester an. Es war schon immer so gewesen, dass Flora die impulsivere der beiden Schwestern gewesen war. „Weglaufen?“, wiederholte sie leise und spürte inneren Widerstand. Es war ihre Vernunft, die sofort alle Geschütze auffuhr und sie mit einem Schwall an Argumenten beschoss, die nur einen einzigen Schluss zu ließ: Es ist sinnlos. Was brachte es, wenn sie fortliefen? Selbst wenn sie all ihren Schmuck verkauften, würde der Erlös nicht ausreichen, um ein Leben zu bestreiten. Da draußen waren sie allein. Ohne Namen, Schutz…aber immerhin fähig Herrinnen über ihr eigenes Leben zu sein. Das und Flora an ihrer Seite. Sie biss sich auf die Unterlippe. Die Furcht kochte in ihr hoch, die Zweifel, doch bevor beides überkochen konnte, sagte Narcissa schnell: „Gut, gehen wir weg...“
„Weg gehen?“, Narcissa sah auf. Lysandra stand nur ein paar Schritte von den Schwestern entfernt, ein Tablett mit einer Karaffe und zwei Bechern in den Händen, und starrte die Zwillinge an, als stehe sie vor zwei Geistern.
Ein Lächeln huschte über Narcissas Gesicht. Das erste Mal, seitdem sie sich begegnet waren. „Lass nur“, entgegnete sie. „Aber vielleicht sollten wir hier tatsächlich weg und uns dorthin setzen, wo es etwas ruhiger ist“, Das Thema ihrer Unterhaltung war ihr zwar kein angenehmes und diese junge Frau schien auch bei weitem nicht zu jener Sorte zu gehören, die ein Blatt vor den Mund nahm und auch unangenehmes aussprach, aber sie würde ihr keinesfalls ausweichen. Dennoch, das musste man schon sagen, hatten sich die beiden Frauen nicht unbedingt den sichersten Platz ausgesucht, um die Köpfe zusammen zu stecken. Um sie herum bewegte sich nach wie vor eine grölende, Steine werfende, feiernde Menge und ihre beiden custodes zuckten ein ums andere Mal zusammen, als ein graues Etwas über die Köpfe ihrer Herrinnen hinweg flog.
„Ja…ich meine so war der Name seiner Verlobten…“, bestätigte Narcissa mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln. „Meiner Schwester und mir war es bisher leider noch nicht vergönnt, sie persönlich kennen zu lernen.“ Das bezog sich nicht nur auf seine zukünftige Frau, sondern auch auf Orestes selbst, den sie bisher nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatten. Anfänglich hatte er ihr noch gefehlt, mittlerweile war er in eine Art Nebel eingegangen. Sie wusste, dass er da war, dass sie ihn nicht sehen konnte, aber es tangierte die junge Aurelia nicht mehr. Zumindest hatte es das, bis er Corvinus vorgeschickt hatte, um ihr seine Pläne darzulegen. Narissa sah Sorge in Romanas Zügen aufflackern. „Nein, keine Sorge…Es geht ihm gut. Er ist nur…hm…ich würde sagen er ist verschollen zwischen Schreibkram und Arbeit und ist so beschäftigt, dass er im Moment seiner Aufgabe als Augur eher weniger nachkommen kann“, antwortete sie nüchtern. „Nicht einmal seiner Pflicht als Bruder kommt er nach…“, Das klang schon eher nach Enttäuschung. Zuvor hatte sie immerhin noch Flora gehabt, der Zwilling, der einfach immer da war. Mit Eintritt in die Priesterschaft als discipula würde auch ihr Ebenbild in die Ferne rücken, wortwörtlich ausgeschlossen werden.
Lucretia Lucilla, Mutter der aurelischen Zwillinge war stets der Ansicht gewesen, dass es keine größere Ehre gab, als der Familie zu dienen. Über Jahre hinweg hatte sie ihren Töchtern deshalb eingebläut sich stets den Wünschen ebendieser zu beugen. Ohne jede Rücksicht.
Der Aurelia waren aber auch gegenteilige Äußerungen nicht unbekannt. Man traf nicht auf viele Frauen, die sich laut ein selbstbestimmtes Leben wünschten, die Ehe verteufelten und dann den bewaffneten Widerstand ausriefen. Ohne jede Rücksicht. Man traf sie nicht oft, aber man konnte sie finden. Und diese Priesterin? War das Bitterkeit, die aus ihr sprach? War das ihre ureigene Meinung oder nur etwas, das sie sich zurecht gelegt hatte, um den Dienst als Priesterin zu ertragen? Es mutete ihr kaltherzig an, der Vortrag der jungen Claudia. Mochte sie in den Augen der anderer naiv erscheinen – sie gab es selbst zu - , im Grunde war es eher das Hoffen auf das Eintreten des bestmöglichen Falles. So ganz konnte sich Narcissa den Ausführungen Romanas nicht verwehren, die in so etwas wie einer Lösung gipfelten. Immerhin war auch sie ein eher rational als emotional geprägter Mensch. In Normalfällen.
Das Licht wurde ein Stück verrückt und sie nahm die junge Frau anders wahr als zuvor. Womöglich war auch sie auf der Suche nach einem gewissen Grad von Selbstbestimmtheit, Freiheit gewesen – und hatte für sich auch, wenn auch nicht weniger radikale, Antwort gefunden. Aufmerksam lauschte Narcissa Romanas Worten, nahm sie für sich auf, ließ aber noch nicht erkennen, was sie tatsächlich davon hielt. Es klang verlockend, war weniger schreckenserregend als das, was sie sich vorgestellt hatte. Und dennoch – das was ihr Romana servierte war nur eine Seite der Medaille.
„Warum bist du Vestalin geworden?“ Die beiden Frauen hatten sich inzwischen aus der Menge heraus bewegt und steuerten nun eine ruhigere Seitenstraße an. In der war immer noch genug los. Desto weiter sie sich jedoch vom Zentrum der Feierlichkeiten entfernten, desto menschenleerer wurde es um sie herum.
Unglaube, Wut, dann Hilflosigkeit flackerten innerhalb weniger Atemzüge über Floras Gesicht und manifestierten sich schließlich in feucht glänzenden grünen Augen. Narcissa sah es mit einem eigenartigen Gefühl der Distanz, das nüchtern registrierte und ihr schließlich einflüsterte, das sie es eigentlich sein sollte, die sich hier voll und ganz ihrer Schwester öffnen sollte, um ihren Schrecken und ihre Wut angesichts ihrer Ohnmacht in die Welt hinaus zu schreien. Warum tat sie es nicht? Wegen Flora.
„He…du brauchst nicht zu weinen…“, sagte Narcissa sanft, als sie die nahenden Tränen sah und zog den Zwilling in ihre Arme. „Noch ist es nicht entschieden!“, Flora zu trösten war für sie die einzige Möglichkeit ihrer eigenen Gedanken, Ängste, Gefühle wieder Herrin zu werden. „Vielleicht wollen sie mich ja gar nicht“, Sie lockerte ihre Umarmung und sah Flora ins Gesicht. „Mit meinen 17 bin ich schon weit über das Alter hinaus, in welchem sie Mädchen in den Dienst aufnehmen…“, argumentierte die Aurelia im vernünftigen beschwichtigenden Tonfall. Wohl auch, um sich selbst davon zu überzeugen, dass es so war.
Sie wussten ja beide, dass es wenig Sinn machte sich in einem Brief an ihrer beider Mutter oder bei Orestes zu beschweren. Schließlich war es ja nie wirklich so gewesen, dass sie eine Wahl gehabt hatten. Und dennoch, schon allein aus dem Gedanken heraus, dass es immer noch besser war irgendetwas zu versuchen, als sich stillschweigend mit den Gegebenheiten abzufinden – eigentlich musste sie diesen Brief schreiben.
„Eine Küstenstadt…ja, das hätte etwas…“, erwiderte Lysandra und sah schon, wie sich seichte Wellen auf feinem weißem Strand brachen…“Ostia wäre nicht schlecht. Oder Misenum. Beides sollen sehr schöne Städte sein….“
„Oder Ravenna…“, warf Narcissa ein und sah zu der älteren Dame auf. Die lächelte ihr zwar zu, aber die Aurelia konnte in ihren Augen Zweifel lesen. Womöglich war Ravenna doch zu weit für die in die Jahre gekommene Leibsklavin. Das hätte Lysandra natürlich nie selbst zugegeben. „Wobei, du hast Recht…Wir würden bestimmt ein oder zwei Wochen nach Ravenna brauchen. In der Sommerhitze wäre das ziemlich unangenehm…“, Lysandras Züge entspannten sich und ein schmunzeln trat in die grauen Augen, als wüsste sie, dass Narcissa ihre Meinung nur aufgrund der Sorge um ihr Wohl geändert hatte.
„Schau, da drüben…domina Septima und der Germanicer kommen zurück…“, Die junge Aurelia folgte Lysandras Geste. Und tatsächlich, die beiden Schola-Kameraden bogen Seite an Seite um die Ecke. Septima lächelte erst ihr zu, dann glitt ihr Blick fragend zu der Sklavin.
„Es geht ganz gut…“, antwortete sie der Tiberia.
„Die Pause war eine gut Entscheidung“, fügte Lysandra der Erwiderung ihrer Herrin zu.
Sie sah dem Germanicer noch einen Moment nach, wie er sich entfernte, um den beiden etwas zu Trinken zu holen. Hatte sie sich den etwas grimmigen Ausdruck auf seinem Gesicht nur eingebildet? Was hatten die beiden gesprochen? Ihr war nicht entgangen, dass er sie mit ihrem Cognamen angesprochen hatte.
„Zu Schade, dass ich euch nicht begleiten konnte…das monatliche Übel schafft mich…“, vertraute sie Septima mit einem schiefen Lächeln an. Als Frau würde die Tiberia das zweifelsohne verstehen.
„Ihr ward recht schnell zurück. Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich dann.
Etwas unangenehm war es schon, wie die Claudia sie eingehend untersuchte. Unter dem Blick der aufmerksamen braunen Augen kam sich Narcissa ungewöhnlich klein vor. Verglichen mit dieser Riesin war sie das ja auch. Wie um dem inneren Gefühl der Winzigkeit entgegen zu treten, reckte sich die Aurelia etwas und spielte unruhig mit dem kleinen Namenssilberkettchen an ihrem Handgelenk. Das was die Priesterin dann sagte, war nicht unbedingt das, was sie hören wollte. Lieber wäre es ihr gewesen, hätte die Vestalin jegliche Möglichkeit einer Aufnahme aus Gründen ihres doch für eine Priesteramtsanwärterin fortgeschrittenen Alters ausgeräumt. Aber das tat sie nicht. Ganz im Gegenteil. >Das heißt noch gar nichts...< versuchte sich Narcissa selbst zu beruhigen. >Vielleicht hat der Kaiser einen schlechten Tag<...und wusste selbst, wie schrecklich naiv ihre Gedankengänge doch waren. Der Kaiser und einen schlechten Tag! Die hatte er dann wohl schon seit Jahren! Und nach allem was die Claudia gesagt hatte, hatten die Pontificies einiges an Macht dazu gewonnen. Marcus, das war klar, würde sie durchboxen.
Nett. Sie selbst hatte wohl kaum mehr Erfahrung mit dem Aurelier als Romana. Bisher hatte sie ihn nur als hauptsächlich unsichtbare graue Eminenz der Villa kennen gelernt, die man irgendwie nie sah, es sei denn zu offiziellen Anlässen, die aber trotzdem in jedem Winkel des Hauses präsent war. Eine zweite Seite seiner selbst hatte sich Narcissa erst vor kurzem offenbart. Nämlich als schwarzer Rabe unangenehmer Nachrichten. Er machte seinem Cognamen alle Ehre. Ein neuer Gedanke kam ihr in den Sinn. Hatte ihm vielleicht die Prüfung dieser Vestalin die Idee eingeimpft, eine Aurelia ebenfalls zur Priesterin zu machen? Oder war Orestes da unlängst an ihn heran getreten?
„Aurelius Orestes ist mein Bruder...“, gab sie Romana Antwort und schob vorsichtshalber noch „Er war Augur“, nach. Wo er im Moment steckte, war der jungen Aurelia jedoch ein Rätsel. Es lag schon eine ganze Weile zurück, dass sie ihren Bruder gesehen hatte. Zuletzt kurz nach Ankunft der Zwillingsschwestern in Rom. Seitdem hieß es, er wäre sehr mit seiner Karriere beschäftigt, weshalb es auch Marcus gewesen war, der ihr jene Zukunftspläne offenbart hatte. Er und nicht Orestes.
„Nein...ich....wie?...WAS?“, Vollkommen überrumpelt starrte sie Romana an. So etwas aus dem Mund einer Priesterin zu hören. Sie benötigte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen. „Das sind sehr drastische Worte...“, entgegnete sie deshalb, um ein wenig Zeit zu schinden. Wollte sie heiraten? Vielleicht. Die Liebe finden – sicher. Kinder? Unmerklich schüttelte sie den Kopf. Schon oft hatte sie darüber nachgedacht, geträumt, wie es wäre zu heiraten oder vielmehr was für ein Kerl es denn wäre, den ehelichen würde. Würde. Dieses Wort war im Begriff sich in Luft aufzulösen. Aber eigentlich, wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst. Mann und Kinder – das war nicht der Grund, weshalb sie strauchelte, weshalb ihr das Priesteramt so unmöglich erschien. „Nein, das ist nicht der Grund...“, begann sie besonnen. „Ich möchte mein Leben frei gestalten können. Ich möchte entscheiden, was wann wie und wo passiert. Als Vestalin wäre mein Leben für die nächsten dreißig Jahre zementiert..." Sie würde Rom nicht einmal einen einzigen Tag verlassen können.