Beiträge von Aurelia Narcissa

    Also wirklich! Flora! Diese Viecher haen doch bestimmt Läuse und Krankheiten! Das ist absolut kein guter Umgang!” Lysandra stand breit beinig im Garten, die Hände in die Hüften gestämmt und schien mit etwas zu sprechen, das zu ihren Füßen hockte, aber noch von ein paar grünen Büschen versteckt wurde.
    Neugierig kam Narcissa um die Ecke herum. Sichtbar wurde Flora, wie sie mit ein paar Kätzchen spielend auf einem Kissen hockte und sichtlich wenig begeistert davon war, was die Sklavin ihr antrug.
    Und überhaupt! Flora, als Patrizierin gehört es sich nicht auf dem Boden zu sitzen…”Schmunzelnd kam Narcissa, eine Schriftrolle in der Hand näher.
    „Terrorisiert sie dich schon wieder?”, fragte sie ihre Schwester und ging neben ihr in die Hocke, um einem der Kätzchen über den Kopf zu streicheln. „Die sind ja süß!”

    Das Erstaunen, das für den Hauch eines Augenblicks über sein Gesicht flackerte entging ihr nicht. Was hatte er erwartet, vielleicht dass sie Ovids Abhandlungen zum Thema Schönheitspflege las? Die hatte sie zwar bereits einmal gelesen, allerdings schon früher, als sie noch in Terentum gelebt hatten. Narcissa fühlte sich unangenehm an das erste Gespräch mit dem Verwandten erinnert, bei dem er ihre Fragen nahezu meisterhaft uminterpretiert hatte. Schnell hatte sie verstanden, dass er nicht sehr davon hielt, wenn sich junge Mädchen mit Politik beschäftigten.
    "Ich finde, jeder sollte zumindest eine leise Ahnung davon haben, was um einen herum geschieht...Mir behagt der Gedanke nicht, nicht zu wissen, was vor sich geht...", antwortete sie ihrer Meinung nach dioplamtisch, ließ die Schriftrolle in ihren Schoß sinken und beobachtete dabei Marcus' Gesicht. Noch immer erfüllte sie ein gewisses Misstrauen, als erwarte sie, dass ein großer schwarzer Hund hinter seinen Worten hervorsprang.


    Dass es sich bei seiner Frage tatsächlich nur um höfliches Geplänkel gehandelt hatte, wurde bereits im nächsten Augenblick klar. >Also doch...Was will er?< Das, was er sagte, beruhigte sie nicht unbedingt. Bisher hatte sie Marcus eher als kühlen Kopf kennen gelernt, der seine Worte mit Bedacht wählte. Wenn er sagte, es ging um etwas Wichtiges, dann konnte sie also davon ausgehen, dass es auch so war. Rein äußerlich gelang es ihr, ihre innere Unruhe zu verbergen und auch dass es ihr ein wenig die Nase hoch ging, dass sich Manius nicht die Zeit nahm, persönlich mit ihr zu sprechen, wenn es doch um etwas Wichtiges ging. Bisher hatte sie von ihrem Bruder reichlich wenig gehabt. Fühlte er sich denn so unverantwortlich für seine eigenen Schwestern? Unauffällig rutschte Narcissa ein wenig in dem Weidenkorb hin und her.Ein bedeutungsschwangeres Schweigen folgte. Sie hatte nicht vor es Marcus aus der Nase zu ziehen und wartete geduldig darauf, bis er fortfahren würde.

    Narcissa genoß die frische Luft und die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Sie fühlte sich angenehm entspannt. Das schien auch die Stute zu spüren, die sich nach der anfänglichen Vorfreude auf die Bewegung inzwischen beruhigt hatte und gelöst neben der jungen Aurelia einherschritt. Vielleicht ware es besser, sie aus der Stadt zu bringen, ging es Narcissa durchd en Kopf. Es tat dem Pferd nicht sehr gut so lange zu stehen und nur hin und wieder am Strick geführt zu werden. Da war so viel Energie in ihr, die ausbrechen wollte.

    "Ach weißt du, als ich so klein war wie du, da hatte ich auch Angst vor diesen Geschöpfen. Sie sind so viel größer als man selbst und können einem mit ihren langen schlanken Beinen einen ganz schönenen Schrecken einjagen...", Sie schmunzelte, als sie unweigerlich an jeen Tag zurückdenen musste. Die kleine Narcissa hatte sich hinter ihrer Schwester versteckt, als könne der Germane sie dort nicht finden, wenn sie sich nur klein genug machte. Von den Überlegungen des Mädchens ahnte sie nichts. Aber auch sie hatte einst mit solchen Wünschen gespielt. Für sie als junge Patrizierin war das aber natürlich völlig undenkbar.
    "Ufff", machte die junge Frau: "Das weiß ich gar nicht so genau...Meine Schwester und ich haben sehr früh angefangen...da durften wir natürlich nicht alleine reiten...Aber ich meine mit acht schon allein auf einem Ponyrücken geseßen zu haben...Also vielleicht...", Sie dachte kurz nach: "Zwei Jahre?!" Sie warf einen kurzen Blick hinauf zu Marei. "Möchtest du es denn lernen? Eine Prüfung musste ich nicht ablegen...ich meine es kann jeder sehen, ob jemand reiten kann oder nicht..."

    Ursus reagierte so, wie Narcissa es von ihm erwartet hatte. Sie registrierte wie gut der Aurelia verstand mit dem Mädchen umzugehen. Auch der fragende Blick des Verwandten war ihr nicht entgangen. In der Tat musste es eigenartig für ihn aussehen, dass sie Marei begleitet hatte, obschon sie mit der eigentlichen Sache ja reichliche wenig zu tun hatte.
    „Das hatte ich auch ehrlich gesagt nicht angenommen...“, lächelte sie. „Betrachte mich einfach nur als moralische Unterstützung....“ Dennoch hatte Narcissa den Eindruck, dass das Mädchen nun wesentlich ruhiger als zuvor im Garten war. Das mochte auch daran liegen, wie sich Titus ihr gegenüber verhielt. Er wird bestimmt ein guter Vater werden, ging es ihr durch den Kopf und wunderte sich einen Moment selbst über den Gedanken. Wenn sie ihn so vor sich sah, so jung wie er noch war, dann kam es ihr sehr abwegig vor; Er mit einem kleinen Bündel im Arm. Dabei war es gar nicht so unwahrscheinlich. Schließlich war er verheiratet. Da war es nur noch eine Frage der Zeit.
    Die junge Frau spürte, wie Marei nach ihrer Hand tastete und um griff die kleinen Fingerchen mit einem sanften Druck. Sie brauchte offensichtlich diese körperliche Zuwendung.
    „Das machst du aber ziemlich gut, das mit dem Lernen....“, erwiderte sie aufmunternd und sah zu Titus auf: „Habe ich nicht Recht?“ . Für ein kleines Kind, das lieber spielte, konnte Lernen mitunter sehr mühsam sein. Doch Marei war glücklicherweise von Natur aus mit Neugierde gesegnet worden. Manchmal kam sie der Aurelia wie ein kleiner Schwamm vor, der alles in sich aufsaugte, alles wissen wollte.
    Das Thema Lernen brachte sie aber noch auf einen anderen Gedanken. Das erste Mal, als sie sich in der exedra begegnet waren, da hatte sich Narcissa vorgenommen, dem Mädchen zumindest in Grundzügen das Lesen und Schreiben beizubringen. Sie sollte zumindest fragen, ob das in Ordnung war, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, dass Titus oder Septima etwas dagegen hatten.
    „Sag Mal Titus, wärest du damit einverstanden, wenn ich ihr ein wenig das Schreiben und Lesen beibringe? Ich meine, sie sollte zumindest einmal in der Lage sein, ihren Namen schreiben zu können....“

    Narcissa nickte verstehend und ließ ihren Blick für den Bruchteil eines Atemzugs über die teilweise noch leeren Regale schweifen. Sie konnte es sich schon regelrecht vorstellen, wie es hier später wohl aussehen würde. Die Zeit und Anstrengung, welche die Decima in diesen Laden investierte, würde sich zweifelsohne lohnen. Es war bestimmt nicht das sprichwörtliche erste und letzte Mal, dass sie über die Türschwelle herein getreten war.
    Sie selbst hatte sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wo sie den Sommer wohl verbringen würde. Aber das war auch nicht nur ihre Entscheidung. Flora und ein bisschen auch Lysandra, die Leibsklavin der Zwillinge, hatten da ein Wörtchen mitzureden. Vielleicht würde es nach Mantua gehen. Immerhin hatte Titus dort ein Tribunat übernommen und es wäre eine gute Gelegenheit Septima zu besuchen. Eigenartig war es schon, bereits jetzt wieder darüber nachzudenken, Rom zu verlassen – wenn es auch nur für kurze Zeit war – wo sie doch gerade erst, so kam es ihr jedenfalls vor, in die Villa Aurelia in der Ewigen Stadt eingezogen war. Fort zog es sie nicht.


    Alles das Narcissa bisher über die Griechin wusste, hatte sie aus ihrer Lektüre der Götterhymnen oder bei anderen Schriftstellern gelesen. Das Bild das sich vor ihr auftat war sehr bipolar. Während die einen ihr ein unlauteres Leben zu Lasten legten, lobten die anderen ihr Werk. Es waren zwei unterschiedliche Maßstäbe, wie ihr jetzt bewusst wurde. Ein Mensch konnte ein noch so unehrenhaftes, moralisch zweifelhaftes Leben führen und dabei die wundervollste Lyrik und Prosa erschaffen. Womöglich verhielt es sich sogar so, dass es insbesondere jenen Menschen vergönnt war, weil sie aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen konnten. Künstler, und auch Schreiben empfand die junge Aurelia als Kunst, muteten ihr wie ein Schlag von Menschen an, der auf extravagante Weise in anderen Gefilden außerhalb der Gesellschaft zu leben schien. Dort galten ganz andere Spielregeln.
    Wenn man also einmal von dem Menschen hinter dem Werk absah und nur die Kunst betrachtete, dann gab es keine Schrift, die moralisch verwerflich war. Im Grunde. Allerdings transportierte das Werk auch immer die Meinung des Autors...Und dann? Dann konnte man die Kunst trotzdem nicht gesondert betrachten. Narcissa schwirrte der Kopf. Sie hatte den Eindruck im Kreis zu laufen. Gerade so wie ein Hund, der sich ständig in den eigenen Schwanz biss.
    Dabei war es für sie selbst doch zweitrangig, ob diese Sappho nun ein lasterhaftes Leben geführt hatte oder. Das machte die Frau nur noch interessanter. Narcissa stand der längst dahin geschiedenen Griechin mit der Neugierde der Jugend gegenüber.


    Subtil registrierte sie den überraschten Ausdruck, der für einen Moment über das Gesicht der Decima huschte. Hatte sie vielleicht doch etwas falsches gesagt? In der Stimmung, welche dieser Raum schuf, obschon er noch nicht perfekt war, war das ihrer Meinung nach eigentlich gar nicht möglich...aber wer wusste schon? Es konnte gut sein, dass nur sie dem Einfluss der Räumlichkeit unterlag. Fast schon rechnete die junge Aurelia keine Antwort von Seiana zu erhalten. Doch dann begann sie tatsächlich, wenn auch zögernd, etwas zu erwidern.
    Während sie der Decima lauschte, huschten ihr ganz verschiedene Gesichter durch den Kopf. Allen voran Lucilla, die Mutter der Zwillinge, die stets darauf drang, dass ihre Töchter ja dem Bild wohlerzogener Patrizierinnen entsprachen; Dann Antonia und Paulina, Freundinnen aus Terentum, die sich beide ziemlich wohl in ihrer Rolle fühlten und nie verstanden hatten, wenn die beiden Zwillinge einmal Einwände erhoben hatten: „Na, aber ihr habt doch alles!“, hatten sie immer mit einem Blick auf die Reichtumsstrotzende Einrichtung der Landvilla entgegen gehalten. Ja sie hatten alles. Und dann gab es noch jene Frauen, die irgendwie nicht in das System passen wollten. Die sich schwer taten, haderten. Narcissa erfasste das traurige, kaum merkliche Lächeln Seianas. Sie spürte instinktiv, dass die ältere normalerweise nicht solche Einblicke gab. Ohne es zu bemerken erwiderte sie ihr Lächeln.
    „Glaubst du, es sind die Frauen, die nicht in die Zeit passen – oder die Zeit, die einfach noch nicht so weit ist?“, erkundigte sie sich und ertappte sich dabei, wie sie den Becher wieder ergriffen hatte und jetzt damit gedankenverloren in den Händen spielte.

    Die Eröffnung Floras Geheimnisses im balneum lag nun schon einige Tage zurück und noch immer empfand die junge Aurelia eine gewisse Erschütterung und auch Befangenheit angesichts ihrer Schwester, die sich nur allmählich legte. Das aber war nicht der Grund, weshalb sich die junge Frau in den letzten Tagen mehr als gewöhnlich zurückgezogen hatte. Das Ereignis war nur der Stein des Anstoßes gewesen. Es brachte Narcissa dazu wieder vermehrt über ihr eigenes Leben nachzudenken. Das was es war und darüber, was sie mit ihm anfangen wollte. Zweifelsohne hatte man da in ihrer Familie ganz eigene Vorstellungen – Vorstellungen, die ihr aber im Moment als zweitrangig erschienen. Bewusst ignorierte sie, dass sie reichlich eingegrenzte Möglichkeiten hatte und gab sich stattdessen der Illusion hin, selbst bestimmt zu können. Das Gespräch mit der Decima hatte sie auf ungewisse Art und Weise beflügelt und dann war da auch noch die Begegnung mit dem Claudier gewesen. Ihr Herzschlag begann zu flattern, als sie an den Mann dachte...


    So kam es, dass Narcissa unsanft aus ihren Gedanken gerissen wurde, als sie ihren Namen vernahm und ruckartig von den schwarzen Buchstaben aufsah, die sie die ganze Zeit über nur angestarrt hatte. Marcus setzte sich zu ihr.
    „Salve...“, erwiderte sie sichtlich irritiert seine Begrüßung. Nicht weil er sie mit dem korrekten Namen ansprach – inzwischen hatten die Familienmitglieder es einigermaßen gelernt die Zwillinge auseinander zu halten, sondern weil sie ohne einen richtigen Grund benennen zu können, den Eindruck hatte, dass er sie gesucht hatte.
    Dabei konnte sie sich nicht einmal recht daran erinnern, wann sie sich zuletzt unterhalten hatten. Der Aedil hatte stets zu den eher unnahbaren Verwandten gehört. Er war zwar da, aber nicht greifbar.
    „Cornelius Tacitus´ Biographie über Gnaeus Iulius Agricola...“, antwortete sie. Immerhin hatte sie noch die ersten zwei Sätze lesen können, bevor sie in ihre eigene Gedankenwelt abgesunken war. Hoffentlich fragte er nicht danach, was sie von ihm hielt...aber dann konnte sie immer noch sagen, sie hatte erst gerade damit angefangen. Stimmte ja auch – irgendwie.
    Unauffällig neigte sie den Kopf etwas zur Seite und betrachtete den Aurelier. Noch war sie sich nicht sicher, ob sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatte oder Marcus einfach durch Zufall hier herein gekommen war.
    „Wie laufen die Geschäfte? Du hast bestimmt viel zu tun?“, verlegte sie sich erst einmal auf eine unverfängliche Frage.

    Die Aurelia nahm ein weiteres Schlückchen und stellte den Becher dann zurück auf den kleinen Tisch zu den zwei Kannen. „Der Sommer steht zweifelsohne vor der Tür“, stimmte sie zu und konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Anders als viele Stadtrömer, mochte sie die Hitze oder besser gesagt das, was mit der Hitze einherging: Im hortus im schützenden Schatten eines Baumes oder einer Arkade zu sitzen, kühles Wasser zu trinken und sich an dem Grün um sie herum zu erfreuen. Aber natürlich war klar, dass auch sie und ihre Schwester die Ewige Stadt zur Sommerhitze verlassen würde. Das schrieb schon allein der Anstand vor. Kein Römer, der es sich leisten konnte, blieb in der Stadt – zumindest nicht wenn er oder sie gezwungen war, wie etwa die Vestallinnen. Es musste wirklich ein fürchterliches Gefühl sein, sich nicht dorthin bewegen zu können, wo man hin wollte. Für sie kam so etwas absolut nicht in Frage. Schon allein deshalb, weil es bedeutete sich von Flora trennen zu müssen.
    „Wirst du den Sommer über hier in Rom bleiben?“, Sie zwang sich fast dazu diese Frage zu stellen, um ihre Gedanken zu zerstreuen und sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Überhaupt, was machte sie sich schon wieder um Dinge Gedanken, die gar nicht zur Debatte standen?!


    „Das was ich bisher von ihr gelesen habe, hat mir gut gefallen – ja...“, antwortete Narcissa diplomatisch. Bisher kannte sie nur einen kleinen Teil des Werkes, aber der hatte sie durch seine ausdrucksvolle, klare Sprache eingenommen. „Viele römische Dichter hatten sie zum Vorbild...Catull, Horaz...“ Wenn solch große Männer nichts an ihrer Kunst anstößig fand, warum sollte sie es dann tun. Aber sie konnte nachvollziehen, weshalb die Griechin einer gewissen Kritik gegenüber stand. Sie hatte nur von jenen Texten gehört, die keine anständige Frau auch nur aus drei Schritt Entfernung ansah. Dennoch hatte ihr Werk eine gewisse Anziehungskraft auf die Aurelia. Sie war neugierig. Die Frau, die durch ihre Zeilen mit ihr sprach, war frei gewesen. Ganz unbewusst begab sich Narcissa auf genau diesselben genanklichen Wege, die auch ihr Gegenüber so eben beschritt. Eine andere Zeit...
    „Sehr gern...“, erwiderte sie lächelnd und sprach dann, wenn auch zögernd den Gedanken aus, den die Decima soeben versucht hatte zu verscheuchen: „Glaubst du, es wäre leichter gewesen als Frau in einer anderen Zeit geboren zu sein?“...Sie war sich der Inimität dieses Gedanken vollauf bewusst. Hier jedoch zwischen all den Regalen und Kisten mit Büchern fühlte sie sich eigenartig geborgen. Zudem hing Narcissa dem Glauben an, jemandem gegenüber zu sitzen, der diese Frage gut tragen konnte.

    Entgegen den Vermutungen des Germanicera war Narcissas Interesse für diesen Ausflug ungebrochen. Wann hatte man denn schon die Gelegenheit und die Motivation hier herauf zu klettern. Allerdings hatte sie im Moment tatsächlich mit etwas anderem zu Kämpfen, etwas, dass ihre offenkundige Abwesenheit hervorrief. Dieses etwas war ein Gemisch aus Hitze-, keine Kondition und die Erdbeertage haben. Ihr wurde es etwas schwummrig vor Augen, während sie dem Zeig Septimas folgte und versuchte sich ihre Schwäche nicht anmerken zu lassen. Sie verwendete so viel Konzentration darauf, dass ihr das Gespräch zwischen den beiden Kommilitonen vollkommen entging. Leider blieb denen nicht verborgen, dass Narcissa nach diesem Aufstieg etwas wackelig auf den Beinen war. Septima trat näher zu ihr und bot ihr an, einen Moment zurück zu bleiben und sich auf eine Bank zu setzen, um sich dort auszuruhen. Ein sorgenvoller Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Ein Ausdruck, der die Sympathie, die sie für die Tiberia hegte, noch einmal beflügelte. Für diese Initiative war sie ihrer Verwandten sehr dankbar. So nickte sie mit einem leisen Lächeln. „Vielen Dank...“, flüsterte sie zurück und fügte lauter hinzu, sodass es auch der Germanica hören konnte: „Treffen wir uns wieder hier...“,


    Da saß sie und beobachtete, wie die beiden aus ihrem Blickfeld verschwanden. Ein wenig ärgerte sie natürlich. Das hier untermauerte genau jene Vorurteile, die man gegenüber Zwillingen hegte. Nämlich, dass sie unglaublich anfällig für Krankheit waren. Das stimmte bei ihnen eben gerade nicht. Das letzte Mal richtig krank war sie mit 14 gewesen.
    „domina, geht es dir gut?“ In Lysandras Stimme vibrierte der typische Subton einer unterschwelligen Hysterie.
    „Ja...es geht schon besser...“
    „Bist du dir sicher?!“ Vorsichtig legte sie ihre Hand auf die Stirn der Aurelia, welche sie unwirsch zur Seite schob.
    „Ich habe „JA“ gesagt...“, brummte sie. „Mir war nur etwas schwindlig...“ Das beruhigte Lysandra nicht unbedingt. „Ich habe doch gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist...“, beschwerte sie sich. „Vielleicht sollten wir jetzt lieber....“
    „Es ist angekommen, Lysandra. Gib mir nur ein paar Augenblicke...“ Die Sklavin schnaubte und Narcissa konnte die Gedanken, die hinter ihrer Stirn gingen förmlich lesen: Immer so unvernünftig! Der Aurelia konnte das egal sein. Ihre Gedanken drehten sich unlängst um etwas ganz anderes. Septima und Aculeo. Was ging da vor sich?

    „Ob es mich interessiert? Machst du Scherze?“, Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Natürlich interessiert es mich!“, Für ihn mochte es nichts ungewöhnliches sein, sein Studium weit ab der Heimat zu verbringen, für sie, eine junge Frau, war das ganz und gar undenkbar, wie so vieles andere auch, das der Claudier als selbstverständlich erachtete. Manchmal konnte die junge Aurelia darüber fast verzweifeln an all den Einschränkungen, denen sie unterworfen war.
    Da musste sie eben sehen, wie sie auf andere Art und Weise etwas aufhaschte, damit die große weite Welt da draußen nicht vollkommen an ihr vorbei ging. Außerdem war es ein überaus guter Vorwand, um den Claudier wieder zu treffen, der jetzt scheinbar ganz gelassen an einer der Streben lehnte. Narcissa spürte den Blick seiner dunklen Augen auf sich ruhen und sie versuchte sich noch etwas mehr auf die Auslage zu konzentrieren, scheinbar vollkommen fasziniert von den Schmuckstücken. Die Broschen, Ringe, Kettchen verschwammen vor ihren Augen zu einer einzigen Masse.
    Dann sah Narcissa doch auf und begegnete seinem Blick, als Lepidus sich scheinbar ganz beiläufig nach ihren Zukunftsplänen erkundigte. Heiraten. Das Wort löste ein unruhiges, unangenehmes Flattern in ihrer Magengegend aus. Mit dem Gedanken hatte sich Narcissa noch kaum befasst, weil sie sich damit nicht auseinandersetzen wollte. Er stand für Veränderung, für das Ende ihres bisherigen Lebens an der Seite ihrer Schwester. Er bedeutete, dass sie von heute auf morgen erwachsen sein würde. Sie fühlte sich nicht wie eine Frau. Sie war nicht wie Septima oder Celerina. Frauen.
    „Nun, ich nehme an, dass das die Pläne meiner Familie sind...“, erwiderte Narcissa diplomatisch und ließ nichts von ihrer inneren Empfindung hindurchblicken. „Offiziell ist mein Bruder Aurelius Orestes damit betraut. Aber er ist im Moment sehr beschäftigt...“ Tatsächlich hatte sie Manius schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und auch das letzte Gespräch mit Marcus lag bereits einige Zeit zurück. Wenn die beiden irgendetwas die Zukunft der Zwillinge betreffend ausgetüftelt hatten, dann hatte es die Mädchen zumindest noch nicht erreicht. So konnte sich Narcissa zumindest im Moment in seliger Verdrängung wiegen. Was anderes sollte es aber sein, als sie anständig zu verheiraten. Eines Tages würde das unweigerlich geschehen. Das war ihr bewusst und dann konnte sie nur darauf hoffen, dass es jemand war, den sie gern haben konnte. Ihr Blick hing immer noch an dem Claudier.
    „Was sind deine Pläne?“, erkundigte sie sich schnell, um möglichst rasch von sich abzulenken. „Oder bist du schon längst verheiratet?“ So attraktiv wie der junge Mann war, war es gar nicht abwegig das anzunehmen. Bestimmt gab es zahlreiche junge Frauen, die ihn zu bezirzen suchten. Wenn sie so in sich forschte - eine positive Anwort wäre ihr unrecht gewesen...


    „Ein Vigintvir...“, entgegnete Narcissa anerkennend.
    „Ich gratuliere zu deiner Wahl!“, Natürlich kannte sie die Stationen des Cursus Honorum, die man bis zum Consul durchlief. Ein wenig ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie es immer noch nicht fertig gebracht hatte, sich über den aktuellen Stand der Politik zu erkundigen. Etwas, wofür sie sich in Terentum stets brennend interessiert hatte. Von ihrem Verwandten Aurelius Avianus wusste Narcissa, dass die Strafen unter Consul Tiberius Drusus verschärft worden waren und dass im Moment eine Debatte bezüglich der Steuerbefreiung von Senatoren lief. Aber das war schon herzlich alles.
    Falsche Bescheidenheit kannte Lepidus offensichtlich nicht, wie sie mit einem Lächeln feststellte – oder er wollte sie beeindrucken.
    „Dann musst du in der Tat ein viel beschäftigter Mann sein, wenn du unter den Fittichen des....stehst.“ Als sie sein ernstes Gesicht betrachtete, glaubte sie aber nicht daran, dass er übertrieb, wenn er das Wort „Traumergebnis“ verwendete. „Es hört sich ganz danach an, als könnten wir noch einiges von dir erwarten, junger Claudier...“


    Erneut begegneten sich ihre Blicke, als Narcissa das Schmuckstück auf das Tischchen zurückgelegt hatte und sich umwandte, um auf die Straße zurückzugelangen. Auch Lepidus hatte seine lehnende Position verlassen und neigte nun leicht den Kopf zur Seite, offensichtlich neugierig auf ihre Antwort. „Von netten Patriziern begleitet“ – Offensichtlich schien er von plebejischen Freunden nicht viel zu halten. Aber Narcissa war im Moment viel zu sehr von ihm eingenommen, als dass sie dem allzu viel Aufmerksamkeit schenkte. Er stand ihr nahe. Sie bildete sich ein die Wärme seines Körpers zu spüren. Aber nur einen Atemzug lang. Narcissa verließ den Schutz des Standes und trat zurück auf die Straße, um auch zu der Hand voll anderer Marktstände hinüberzuschlendern.
    „Natürlich was alle patrizischen jungen Frauen den lieben ganzen Tag treiben – weben, nähen...“, erwiderte sie in spielerischem Tonfall und einem Lächeln auf den Lippen. Selbst für ihn musste es damit offensichtlich sein, dass Handarbeit nicht unbedingt zu ihrer Lieblingsbeschäftigung zählte. „Um ehrlich zu sein, lese ich recht viel und bin eigentlich ständig auf der Suche nach neuen Schriften...“ – zu Lysandras Leid. Dass sie auch selbst schrieb, das verschwieg sie ihm lieber, auch, dass sie eine gewisse Leidenschaft für Pferde hegte und eine eigene Stute im equile der Aurelia stehen hatte. „Und ich mag Theater ganz gern...Hast du überhaupt Zeit etwas zu tun, das nicht mit deinen Pflichten zusammenhängt?“, neckte sie ihn sanft.


    Von den Vermutungen des Claudiers ahnte Narcissa nichts, auch nicht davon, was ihm bezüglich seiner eigenen Vergangenheit durch den Kopf ging. Sie jedenfalls wollte lieber keinem Mann unterstellen ein Heiliger zu sein. Dafür gab es allzu viele Versuchungen, denen man dann und wann erliegen konnte. Sei es eine ausgelassene Nacht in einer Taberna, ein Zornesausbruch oder andere Arten von Vergnügungen, die in dunklen Gassen auf Männer warteten. Nur sprach man darüber nicht und verwechselte nicht die Stände. Wenn man Claudius Brutus unmoralische Absichten unterstellen mochte, dann hatte er die aurelischen Zwillinge mit seiner unschicklichen Annäherung eigentlich beleidigt. Dennoch beließ es Narcissa dabei. Schließlich wollte sie die Zeit mit Lepidus positiv nutzen und sein Verwandter schwebte wie ein dunkler, unwillkommener Schatten zwischen ihnen.


    Wenn es um die Sicherheit ihrer domina ging, war Atmen absolut überflüssig. Lysandra sah das Grinsen des Sklaven. Also war er auch der Meinung. Tatsächlich. Der Mann konnte ja nicht ahnen, was für eine Information er ihr gerade präsentiert hatte. Offensichtlich hatte sie ihm gegenüber den richtigen Nerv getroffen. Ein Vigintvir also. Das bedeutete, dass er unter den hohen Persönlichkeiten einen gewissen Ruf genoss und auch nichts tun konnte, was diesen Ruf unterminiert hätte. Das war schon einmal beruhigend. Er würde es nicht wagen, eine Patrizierin vorzuführen. Ein Lächeln teilte Lysandras schmale Lippen. „Nur“...das war ein Wort! „Ich kenne meine Herrin, seitdem sie vor 17 Wintern das Licht der Welt erblickte...Deshalb weiß ich es.“ Das Mädchen vergaß sogar nach Buchständen Ausschau zu halten.

    Aufmerksam lauschte Narcissa Tiberius´ Worten. Kurz huschte ein Schatten über ihr Antlitz, als er seine Erlebnisse während seines Tribunats andeutete. Wo war es noch gewesen? Richtig...Germanien. Sie sah ihn zwischen dunklen Zweigen stehen unter einem schweren, grauen, Wolken geschwängerten Himmel. Regentropfen auf dem Gesicht. Er hatte Recht, das hier war etwas anderes. Es brachte ihn mehr als alles andere aus dem Gleichgewicht.
    Einige Atemzüge lang lag Stille zwischen ihnen beiden. Die Worte hingen noch einen Augenblick mit all ihrem Schrecken in der Luft, ehe Tiberius fortfuhr.
    Das was sie hörte beruhigte sie einerseits, andererseits erfüllte es sie aber auch mit Sorge um ihren Verwandten. Es klang nicht danach, als wäre ein Ende seines Schwankens in Sicht. Sie suchte seinen Blick und fand ihn nachdenklich, das Gesicht ernst. Manchmal musste man sich einfach von seinem Gefühl leiten lassen. Dass er das nicht konnte war klar. Da gab es zu vieles, dass er bedenken und noch mehr, dass er zu verlieren hatte.
    „Ich bin mir sicher, dass du einen Weg finden wirst...“, erwiderte sie ruhig. >Ich hoffe es...<
    „Und ich wünsche dir, dass du bald fühlst, welcher der richtige für dich ist...Kein Mensch sollte so lange mit Ungewissheit und Zweifel gestraft sein...Hast du“, Sie zögerte einen Moment, „Hast du schon einmal über eine Auszeit nachgedacht, um dir über die Dinge richtig klar zu werden? Vielleicht würde es dir gut tun, einmal eine Weile von dem ganzen Trubel hier wegzukommen...“ Aus dem Augenwinkel heraus nahm Narcissa wahr, wie die beiden Sklaven das Atrium verließen...

    Die Erinnerung daran, wie sie das letzte Mal zusammen mit ihrer Schwester Flora, ein Kästchen mit einem ominösen Inhalt in der Hand, vor dieser Tür gestanden hatte, war noch so lebendig als wäre es erst gestern gewesen. Damals hatten sie geklopft, weil sie ihrem Vetter zeigen wollten, was sie in Floras Zimmer gefunden hatten. Nur war er da „verhindert“ gewesen. Mit seiner Frau Septima. Allein daran zu denken, überzog ihre Wangen mit einer zarten Röte.
    Jetzt stand sie wieder vor der Tür. Dieses Mal mit Marei – und hoffte darauf, dass ihr Cousin nicht wieder „verhindert“ war. Eine gewisse Erleichterung überkam sie, als aus dem Inneren seine Stimme erklang und sie hereinbat. „Salve Titus“, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln.
    Was sagte man in einer solche Situation? Es musste in seinen Augen reichlich merkwürdig aussehen, dass sie das Mädchen begleitet hatte.
    „Marei war so aufgeregt – da dachte ich, ich begleite sie...“, fügte sie fast schon entschuldigend den Ausführungen des Mädchens hinzu....



    Sim-Off:

    edit:link eingefügt

    Erfreut stellte Narcissa fest, dass sie die kleine Marei richtig eingeschätzt hatte. Anfangs noch ängstlich war sie mutig genug gewesen, sich ihrer Furcht zustellen und saß nun hoch oben auf Epicharis Rücken. >Ein mutiges Kind< Wohl trug auch ihr natürliche Neugieride dazu bei, die Schatten zu ihren Füßen tapfer zu überspringen. Sie lächelte über Mareis Kommentar. „Sehr breit und sehr gemütlich...“, bestätigte sie. Zumindest wenn man als Anfänger nicht allzu große Strecken auf dem Pferderücken zurück legte. Die junge Aurelia konnte sich noch sehr gut an ihrern ersten Tagesritt erinnern. Als sie abends zurück in Terentum aus dem Sattel gerutscht war, hatte sie nicht mehr sitzen können. Gehen war noch schrecklicher gewesen. Lediglich das auf dem Bauch liegen hatte ihr einige Entspannung gebracht. Aber das lag schon eine ganze Weile zurück. Heute hatte sie keine Probleme mehr damit auch länger auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen.


    „Ja, wir drehen jetzt ein paar Runden“, Und wie als hatte Marei ihre Gedanken erraten, fragte das Mädchen sie nach ihren ersten Erfahrungen. Während sie bgeann die Stute langsam im Kreis zu führen, suchte sie in ihrer Erinnerung. Da sie auf dem Land groß geworden war, war sie sehr früh mit diesen Tieren in Kontakt gekommen. Mit drei hatte sie das erste Mal gesehen, wie eine Gruppe von Gästen im scharfen Galopp auf den Hof geprescht waren, wahrend sie zusammen mit Flora in der Obhut Lysandras in der Sonne gespielt hatten. Mit fünf schließlich hatten sich die Zwillinge stundenlang im Heu verkrochen und mit acht besaßen sie so viel Selbstbewusstsein und Willensstärke, dass sie den alten Ragnar so lange bearbeitet, bis der Germane sie auf den Rücken einer alten, etwas klapprigen Stute gehoben und sie einige Runden geführt hatte. Von da an war es um die Mädchen geschehen gewesen.


    „Jeder fängt einmal so an – also Gratulation zu deinem ersten Schritt auf der Suche nach dem Glück auf dem Pferderücken“, Narcissa lächelte sie an. "Es war Ragnar, der germanische Stallmeister in Terentum, der meine Schwester und mich das erste Mal auf einen Pferderücken gehoben hat – auch wenn es eher unfreiwillig war. Ich war ungefähr so alt wie du jetzt!“ Im gleichmäßigen Rhythmus schritt Epicharis dahin...

    Wieder das alte Poblem...sie sollte sich wirklich endlich einmal Zeit nehmen, dem Mädchen zumindest ein klein wenig Lesen und Schreiben beizubringen. Es war so wichtig.
    „Du hast zumindest irgendetwas getan...“, entgegnete Narcissa. Manch anderer wäre an Ort und Stell verharrt bis er grau würde, ständig geplagt von einem furchtsamen Gefühl.


    Die junge Aurelia nickte, als sich das Mädchen nach ihrer Ausführung erhob und den Hosenboden vom Staub abklopfte. Sie schien sich ein wenig davor zu fürchten, Titus unter die Augen zu treten. „Möchtest du, dass ich dich begleite?“, bot sie dem Mädchen an. Es warf kein gutes Licht auf die gens, wenn bekannt wurde, dass ihre Sklaven türnten. Welche
    Bewegunggründe diese Caelyn – es hörte sich sehr germanisch an – auch gehabt haben mochte, um wegzulaufen, es sollte nicht Marei sein, die dafür zu büßen hatte, dass sie sie nicht gefunden hatte und jetzt auch noch Cimon verschwunden war. Sie war sich zwar ziemlich sicher, dass der Nubier zurückkehren würde (schon alleine wegen Flora) und auch, dass Titus das Mädchen nicht bestrafen würde, aber vielleicht würde sich Marei in ihrer Anwesenheit beruhigter fühlen.

    Der Germanicer zeigte überraschend Eigeninitiative wie er so einfach mir nichts dir nichts einen Beschluss für sie alle fasste und davon schritt, als seien die beiden Patrizierinnen so etwas wie Hündchen, die brav ihrem Herrn folgten. Narcissa fing den Blick Septimas auf und musste Schmunzeln. Eigentlich hatte sie von dem jungen Aculeo nichts anderes erwartet. Er war in vielerlei Hinsicht anders als andere junge Männer. Vielleicht war es ja das, was die Tiberia anzog. Immerhin war er nicht unattraktiv. Allerdings war das Verhalten, das er nun an den Tag legte doch etwas unhöflich. Vor allem gegenüber zweier Damen von Stand.
    „Ich glaube, das nimmt er tatsächlich an“, erwiderte Narcissa und konnte sich nicht entscheiden, ob sie nun darüber lachen oder den Kopf schütteln sollte. Jedenfalls gaben sich die Patrizierinnen keinerlei Mühe den forschen Germanicer einzuholen und schritten gemächlich hinter ihm her.


    „Ufff!“, mit einem leisen Seufzen der Erleichterung erklomm Narcissa die letzte Stufe. Ein Blick über die Schulter und sie sah auf die ellenlange Treppe hinab, die sie zusammen mit ihrer Verwandten und dem Germanicer erklommen hatte. Das Herz schlug ganz schön heftig in ihrer Brust nach dieser Anstrengung und ihre Stirn fühlte sich unangenehm feucht an. Verstohlen blickte sie hinüber zu Septima, um zu überprüfen, ob es ihr auch so ging, konnte aber keinerlei Anzeichen von Mühe an ihr erkennen. >Vielleicht sollte ich wieder öfter spazieren gehen<, dachte sie zerknirscht, während sich ihr Puls allmählich auf Normalgeschwindigkeit regulierte...Erst jetzt konnte sich Narcissa auf ihre Umgebung konzentrieren und musste feststellen, dass sich die Anstrengung, hier nach oben zu klettern, wirklich mehr als gelohnt hatte. Die Tempel um sie herum waren einfach grandios und zu ihren Füßen breitete sich die Stadt groß und alt und ehrwürdig wie ein Teppich aus. Dunkel schlängelte sich der Tiber durch die Landschaft. „Großartig!“, sprang es Narcissa über die Lippen. „Hübsch“ war da noch eine glatte Untertreibung. „Kann man von hier aus auch die Villa Aurelia sehen?“,

    Im Leben der Zwillinge hatte es schon oft Situationen gegeben, in denen manchmal eine, zumeist aber beide ein Geständnis hatten ablegen müssen. Natürlich war das immer mit viel Spannung und großem Ärger verbunden gewesen. Sie hatten herumgedruckst, waren von einem Bein aufs andere getreten, die Augen herumirrend und ausweichend. Dennoch, Lysandra konnte sich an kein Geschehnis erinnern, das mit diesem hier vergleichbar gewesen wäre. Vielleicht war es die Schwüle des balneums, das romantische Zwielicht, das eigentlich Entspannung bringen sollte. Die Spannung in der Luft war greifbar, vibrierte regelrecht durch den Körper der Sklavin hindurch.


    Auch Narcissa hätte keinen Grund benennen können, weshalb es anders war, als sonst. Es war beinnahe so, als hätte sie eine leise Vorahnung dessen, was kommen würde. Bisher hatte sie nur das Gefühl erfasst, während die Worte noch irgendwo in der Luft hingen und darauf warteten wie überreife Früchte gepflückt zu werden. Flora zögerte es hinaus. Was immer „es“ auch war. Langsam watete sie zu der Treppe hinüber und stieg die Stufen empor, um sich schließlich in ein Handtuch einzuwickeln, als wollte sie etwas verbergen. Natürlich folgte Narcissa ihr. Schritt für Schritt ließ sie das warme Wasser hinter sich. Schwer und sackartig hing die Pala an ihrem Körper. Obschon es warm im Bad war, begann sie leicht zu frösteln. Schützend verschränkte sie die Arme vor der Brust, um das letzte bisschen klägliche Wärme bei sich zu behalten und ließ Flora dabei keinen Atemzug aus den Augen. Die Anwesenheit der Leibsklavin schien Flora erheblich zu stören. Immer wieder warf sie Lysandra einen raschen Blick zu. Auch Narcissa empfand es störend, die Sklavin im Rücken zu wissen, die für ihre Impulsivität berüchtigt war.
    Ihre Zehen anstarrend flüsterte eine dünne Stimme schließlich: „Ich hab mit einem Mann geschlafen...“,Narcissa war sich im ersten Moment nicht ganz sicher, ob sie richtig verstanden hatte, was Flora da soeben von sich gegeben hatte, so leise hatte sie es gewispert. Doch als dann schon im nächsten Augenblick ein empörtes„WAAAAAAAS?“, ertönte und Lysandra wie eine noch nicht erfundene Dampfwalze herangestürmt kam, den Kopf putenrot, zerstreuten sich ihre Zweifel. „BIST DU VON ALLEN GUTEN GEISTERN VERLASSEN?!“ Lysandra hatte Narcissas Höhe erreicht und war drauf und dran an der Aurelia vorbei zu stürmen, doch der Zwilling hielt sie bestimmt am Arm zurück. „Warte...“, Ihr Blick rutschte zurück zu Flora, die wie ein Häufchen Elend da stand. >Das war noch nicht alles<, warnte sie eine innere Stimme, während sich ein anderer Teil still darüber wunderte, weshalb sie so ruhig blieb. Normalerweise wäre schon allein dieses Geständnis Grund genug gewesen Flora Unzurechnungsfähigkeit zu unterstellen, hatte sie doch bereits damit „Schande“ über die Familie gebracht. Eine Schande, die man vertuschen konnte.
    „Mit wem?“, Selbst in ihren eigenen Ohren klang es unnatürlich ruhig.

    Narcissa war privilegiert. Nicht nur von Geburt her, der Umstand, dass sie in eine patrizische Familie hineingeboren war, sondern auch deshalb, da ihr die Götter einen Zwilling an die Seite gestellt hatten. Jemandem, dem sie (fast) alles anvertrauen konnte, auf den sie sich verlassen konnte, der sie hielt, wenn sie schwach war. Flora. Die junge Aurelia konnte sich ein Leben ohne ihre geliebte Schwester nicht vorstellen. Wollte es nicht. Die Vorstellung, irgendwie nur halb zu sein, machte ihr Angst. Flora folgte ihr überall hin. Und überall dort, wo Narcissa war, war auch Flora. Selbst jetzt schienen sie auf merkwürdige Weise verbunden zu sein. Sollte Flora sie brauchen, dann, da war sich Narcissa absolut sicher, dann würde sie das instinktiv spüren. Schließlich hatten sie ihr Band bereits im Leib ihrer Mutter geknüpft, hatten dann entgegen aller Prognosen und Statistiken überlebt und waren gemeinsam zu jungen Frauen herangewachsen. Setzte man diesen Maßstab an, dann war sie überall zu Hause. Ihr größte Furcht war es also, eines Tages von ihrer Schwester getrennt zu werden. Und das das geschehen würde, das war unumgänglich. Schon jetzt hatte sie den Eindruck, Flora hatte sich ein kleines Stückchen von ihr entfernt, ohne wirklich benennen zu können, woher sie dieses Gefühl nahm.


    Die Decima lächelte zwar, aber ihre Augen blieben dabei kalt. Irritiert nahm es Narcissa wahr und versuchte zwischen den Zeilen zu lesen. Aber Kleingeschriebenes konnte sie nicht finden. Entweder versteckte Seiana die Worte zu gut, oder der leise Eindruck, der so ungesichert war, dass er ihren Händen immer wieder wie ein Stück Seife entglitt, hatte sie getäuscht. An letzteres wollte sie nicht so recht glauben und so hing ein großes, schweres, rotes Fragenzeichen über ihr in der Luft – dessen Existenzberechtigung allerdings bestätigt wurde, als die Frau einen Moment lang, offenbar in Gedanken vertieft, schwieg. Die Decima wirkte auf sie irritierend fern und nah zugleich.
    Aufmerksam beobachtete sie, wie sie die Schriftrolle mit einer Schutzhülle aus Stoff überzog und spürte das aufgeregte Flattern in ihrer Magengegend, das sie immer empfand, wenn sie ihrer Sammlung eine neue Schriftrolle hinzufügte. Die Frage Seianas überrumpelte sie dann fast schon und sie nickte hastig, ehe sie sich auf einem der angewiesenen Korbstühle nieder ließ. Der Sklave kehrte mit der Erfrischung zurück und sie nahm sich einen Becher, während sie Evander freundlich zunickte, er solle sich doch auch einen nehmen. Das wiederum schien den jungen Mann zu irritieren. Zögerlich trat er näher, streckte langsam die Hand aus, den Blick dabei auf seine Herrin gerichtet, die inzwischen einen tiefen, wohltuenden Schluck nahm, der ihre Kehle wieder befeuchtete, nahm rasch den Becher und brachte wieder einige Schritte gebührenden Abstand zwischen sich und der domina.
    „Vielen Dank! Jetzt erst merke ich, wie durstig ich war“, Lächelnd wandte sich Narcissa an die Ältere. Insgeheim fragte sie sich, ob die Frau alle ihre Kunden so behandelte und zu einem kleinen Plausch einlud.
    „Ich habe schon das eine oder andere von Sappho gelesen...“, antwortete sie. „Götterhymnen“, konkretisierte sie mit einem amüsierten Ausdruck in den grünen Augen. Selbst das war zu viel für die alte Cretica gewesen. Sappho war eine griechische Frau. Frauen konnten nicht schreiben. Schreibende Frauen las man nicht. „Es gibt Menschen, die mögen sie nicht sonderlich...“ Wieder vibrierte die Vorfreude durch ihren Körper, darüber, was die Zeilen ihr später wohl enthüllen mochten.