Aus diesem Blickwinkel war Rom einfach unglaublich. Flora war froh darüber auf Anhängsel verzichtet zu haben. Auf diese Weise konnte man das friedliche Rom noch mehr genießen.
Völlig unbefangen konnte sie sich mit Flaccus unterhalten, lernte ihn dadurch als einen guten Freund nicht nur besser kennen, sondern auch sehr zu schätzen. Die Aurelia und der Flavius mochten in einigen Dingen charakterliche Unterschiede aufweisen, doch sie entdeckten auch viele Gemeinsamkeiten. Sie scherzten miteinander, führten ein kurzes anregendes Streitgespräch und philosophierten über die Götter und die Welt. Als streng erzogener Nachwuchs patrizischer Familien hatten sie einen ähnlichen Blick auf ihre Umwelt, kannten aber beide das Gefühl ab und an aus der Rolle au brechen zu wollen, in die sie hineingedrückt wurden. Ständig es allen recht machen zu wollen, war nicht gerade einfach. Den Vorstellungen und Erwartungen gerecht werden zu wollen, kostete viel Anstrengung. Einfach einmal so zu sein, wie sie wollten, unbefangen und frei, waren sie selten. Darüber vergaßen sie einfach die Zeit.
Irgendwann hatte sie sich freundschaftlich bei Flaccus eingehackt, einfach weil sie seine Gesellschaft genoss. Gerade erzählte sie ihm eine witzige Geschichte aus ihrer Kindheit, als ein Mann, mit exotisch anmutendem Äußeren, sie höflich grüßte. Flora verstummte mitten in der Anekdote, wie sie und Narcissa versucht hatten in der Vorratskammer an ein paar Kekse heran zu kommen und dabei einen Honigtopf umstießen. Neugierig, aber nicht verärgert durch diese Unterbrechung musterte sie den Fremden. Es war überraschend so unvermittelt angesprochen zu werden, zumal dieser Mann nicht aufdringlich war, sondern eine zurückhaltende Würde ausstrahlte. „Salve“, grüßte sie höflich zurück kurz tauschte sie einen fragenden Blick mit ihrem Begleiter aus. Wie lange der Fremde wohl schon dort an dieser Stelle stand und sie beobachtet hatte? Bisher hatte sie ihn gar nicht bemerkt. Er sprach so, wie sie es gern hörte, er schmeichelte, war dabei aber nicht zu aufdringlich, er war aufmerksam, ohne sie zu belästigen. Dabei nutzte er aber die offensichtlichen Dinge für sich aus, wie zum Beispiel, dass sich Flora und Flaccus durch die fast menschenleere Stadt bewegten, anstatt bei den Gladiatorenspielen dabei zu sein.
Flora versuchte, noch während er sprach, zu ergründen, aus welchem Land er kam. Ein Römer war er nicht, das war offensichtlich, vielleicht ein Perser… Es war nicht leicht zu erraten, er wirkte Weltgewandt, exotisch und gebildet. Hinzu kam ein Hauch des Geheimnisvollen, den ihn zu umgeben schien. Es stellte sich heraus, dass er Ägypter war oder aber es vorgab. Cleonymus spielte seine Rolle perfekt.
Es war nicht nur die Art wie er mit ihnen sprach und sie behandelte, sondern wohl auch der Reiz des Unbekannten, der Flora dazu verleiten ließ mit dem Gedanken zu spielen, dieser charmanten Einladung Folge zu leisten. Ihr Blick wanderte von dem gepflegten Garten zu den umliegenden Häusern. Eine gute Gegend, mit den Häusern und auch Villen der Nobilität wie es den Anschein hatte. Die leisen Bedenken die sich bei ihr meldeten, wurde einfach fortgewischt, als sie einen weiteren fragenden Blick mit Flaccus tauschte. Wein, Musik und Tanz… ein kurzweiliger Abend wurde ihnen in Aussicht gestellt. „Gegen Wein und Musik ist nichts einzuwenden… auch wenn ich zum ersten Mal von dieser Lokalität höre“, sprach sie ihren Gedanken aus. „Wir könne uns Kleopatras Palast einmal ansehen, wenn es uns nicht gefällt, gehen wir wieder“, schlug sie vor. Anscheinend hatte Cleonymus genau darauf gehofft. Er verneigte sich tief und machte eine einladende Geste in den Garten hinein.
Ein Weg aus weißen Kieseln führte zwischen sorgfältig gepflegten Beeten vorbei. Hibiskus, Flammenblume, Rosen, Lavendel und Malven verströmten ihren sinnlichen Duft. Vorbei an einem leise plätschernden Brunnen, Statuen von Venus, Armor, Bacchus, Nymphen und Satyren. Alle steinernen Abbilder waren scheinbar wahllos aber dezent platziert. Ein Meister seines Handwerkes hatte sich verewigt. Selbst eine Statue der Flora, ihrer Namengeberin, war aufgestellt worden. Das einzig seltsame an diesem Garten war, das er nicht zum Verweilen einlud. Keine Sitzgelegenheiten, sondern nur geschwungen angelegte Wege, die direkt zum Haus führten.
Kaum das sie sich der porta näherten, schwang sie von Geisterhand auf. Kaum das sie das kühle atrium betraten, trat eine Sklavin aus dem Schatten der Säulen und führte sie tiefer ins Haus. Kurz konnte man den Blick auf zwei kräftige nubische Sklaven erhaschen, welche hinter der porta ihren Dienst taten und lautlos diese wieder schlossen.
Flora wusste nicht recht, wo sie zuerst hin schauen sollte. Dieses Haus mochte nach römischen Stil erbaut worden sein, doch kaum dass man es betrat wurde man in eine fremde unbekannte Welt geführt. Filigrane Holzarbeiten zierten Türen und Fenster, kräftige Farben bedeckten die Wände.
Zarte Klänge einer Flöte schwebten durch das Haus, untermalt vom Klang einer Zither. Über die Melodie legte sich die warme Stimme einer Frau. Tief und rauchig. Die Worte die sie sang, klangen fremd und seltsam.
Man führte sie in einen im warmen Gelbton gehaltenen Raum, Öllampen warfen flackerndes Licht an die Wände und ließen die Schatten tanzen. Tiefblaue Tücher und Vorhänge setzten sich ab und bildeten einen geschmackvollen Kontrast.
In kleinen Nischen saßen oder lagen auf niedrigen Diwanen Gäste. Die Aufmerksamkeit lag auf den Musikerinnen in der Mitte des Raumes. Sie waren in weite Pluderhosen und seidene Brustbänder gehüllt. Aufreizend, aber nicht obszön. Ein leicht süßlicher Duft lag unter Rose, Ambra und Weihrauch verborgen.
Die Sklavin bedeutete ihnen es sich gemütlich zu machen. Unzählige Kissen waren auf einem solchem Diwan drapiert. Auf einem niedrigen Tisch stand gekühlter Wein in einer gläsernen Karaffe bereit. Etwas scheu setzte sie sich. Die einzige Frau war sie nicht, stellte sie mit einiger Erleichterung fest. Sie hatte schon fast befürchtet, dass es sich bei diesem Haus um einen luxuriösen Lupaner handelte.