Ganz leise seufzte sie, es schien ganz so, als wollte Ahala sich selbst mit seinen Worten überzeugen. An die bloße Hoffnung klammern, dass es gar nicht anders sein konnte, als das Durus sich ebenfalls auf der Flucht befand, in Sicherheit und nicht in den Fängen der Prätorianer. Doch so einfach ließ sich das Gefühl dunkler Vorahnungen nicht abschütteln. Langsam richtete sie ihren Blick wieder nach vorn auf die Straße, die Soldaten an den Toren waren nicht mehr zu erkennen.
Kurz klappte sie den Mund auf, setzte zu einem wütendem Protest ein, doch dann zog sie einfach eine Schnute und schmollte. Wie alle Männer verlangte er Gehorsam von ihr und war nicht gewillt ausführliche Erklärungen von sich zu geben. Wütend funkelte Flora ihn an. Mund halten und einfach ihm blind ins Verderben folgen. Von ihren aufgewühlten Gefühlen wollte er nichts wissen, ihre Ängste und Sorgen nicht zerstreuen. Stattdessen ließ er sie lieber im Ungewissen. Da konnte er noch so ruhig und geduldig mit ihr reden. Wieder einmal kam sie sich vor wie ein Kind, dem man die Dinge nicht zu erklären brauchte. Sie sollte einfach nur gehorchen.
Ein kleiner Trost war, dass sie nun wusste, wohin ihre Reise gehen sollte, nach Mantua zu Titus und Septima. Doch bevor sie in Sicherheit sein würden, lagen vor ihnen noch hunderte Meilen. Ein langer Weg auf dem ihnen viel widerfahren konnte. Wieder einmal verspürte sie einen Schauer, wenn sie an die Gefahren dachte, die da auf sie lauerten: Banditen, hungrige Wölfe und dann auch die Gefahr durch Entdeckung.
Konnte Ahala eigentlich mit dem Schwert umgehen? Kurz warf sie ihm einen Blick zu, fragte aber nicht, er wollte ja nicht hören, was sie zu sagen hatte. Stattdessen betete sie stumm zu den Göttern.
Ganz gemächlich verschmolz Misenum mit dem Horizont. Ebenso gemächlich zuckelten sie über die holprigen Straßen, wurden dabei ordentlich durchgeschüttelt und bequem war es auch nicht. Aus Angst, dass sie auffallen könnten, verbrachten sie die Nächte unter freiem Himmel. Bereits ihre erste Rast stellte sie vor Probleme. Sie waren zu überstürzt aufgebrochen. Es mangelte an einigen wichtigen Dingen. Zwar hatte man ihnen einen kleinen Kupferkessel eingepackt, aber es fehlte ein Messer und etwas mit dem man ein Feuer entfachen konnte. Und wie man ein Zelt errichtete wussten sie auch nicht. Konnten sie auch gar nicht, denn ihnen fehlten Seile.
Die erste Nacht war grauenvoll, ohne Feuer war es bitterkalt und auch wenn sie unter ihrem Gefährt Schutz vor dem Regen fanden, zur Ruhe kamen sie nicht wirklich. Jedes Geräusch ließ sie aufschrecken und angespannt in die Dunkelheit starren. Als die Morgendämmerung anbrach hatten sie kein Auge zu getan und waren fast erleichtert, als sie aufbrachen. Müde, zerschunden und auch angeschlagen setzten sie ihre Reise fort. In der ersten kleinen Ortschaft besorgten sie die Dinge die ihnen fehlten. In aller Eile, denn sie wollten sich nicht lange irgendwo aufhalten.
Für wehleidig hatte sie sich bisher nicht gehalten, aber die Flucht von Misenum von Mantua führte ihr deutlich vor Augen, wie verwöhnt sie eigentlich war und das sie bisher in ihrem Leben auf nichts hatte verzichten müssen. Auf Schmuck und Seidenkleider zu verzichten fiel ihr noch leicht, auch wenn sie mit großem Bedauern ihre Lieblingsstücke zurück gelassen hatte. Was ihr zusetzte, war das schlechte Wetter, der beständige Regen, das unbequeme Lager welches sie allabendlich irgendwo am Wegesrand errichteten und dann auch die ständige Übelkeit. Jedes Mal wenn ihr der Geruch von Essen in die Nase stieg, wurde es schlimmer. An sich kochte Veleda nicht schlecht (auch wenn ihre Mahlzeiten karg und fade waren), aber schon nach wenigen Bissen war ihr die Kehle meist wie zugeschnürt. Veleda konnte ihr dann noch so gut zureden wie sie wollte, Flora schob ihre Schale mit der kargen Kost meist recht bald von sich und blickte dann bedrückt ins Feuer.
Ohnehin verspürte sie keinen Appetit. Flora befand sich irgendwo zwischen Panik, Verzweiflung, Wut, Fassungslosigkeit und Resignation. Sie war ein kessel voller Emotionen, der ständig überkochen zu drohte.
Panik weil sie jedes Geräusch am Wegesrand zusammen zucken ließ. Jeden Augenblick, so fürchtete sie, konnten ihnen Soldaten begegnen und ihnen auf die Schliche kommen. Verzweiflung darüber weil sie dem Schicksal im Grunde Hilflos ausgeliefert war. Fassungslosigkeit weil sie nicht mitbekommen hatte welche wichtigen Ereignisse da geplant worden waren. Direkt vor ihrer Nase. Und sie war so furchtbar blind gewesen. Wut, weil man sie nicht eingeweiht hatte und dann vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Warum hatte man sie in Unwissenheit gelassen? Hatte man ihr nicht vertraut oder hatte man sie einfach nicht ernst genommen. Zu ihrem eigenen Schutz, so lautete Ahalas Erklärung, aber dennoch saß sie nun neben ihm auf dem holprigen Karren und befand sich auf dem Weg nach Mantua, weil Durus gescheitert war. Ob sie sich besser gefühlt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass ihr Gatte den Mord an der kaiserlichen Familie, konnte sie nicht sagen. Sie würde sich aber wohl nicht ganz so hilflos fühlen und hätte wenigstens gewusst, was ihr bevorstand, anstatt plötzlich sich auf einer wilden Flucht zu befinden. Sie hätte Vorbereitungen treffen können. Doch man hatte sie nicht wie die Frau eines Senators behandelt, sondern wie ein verzogenes Kind. Ohne Erklärungen aus Rom fortgeschickt. Resignation, weil sie rein gar nichts ändern konnte. Andere hatten für sie die Entscheidungen getroffen und im Grunde konnte sie sich nur fügen. Bockig zu stellen und sich zu weigern, wäre einem Todesurteil gleich gekommen.
Flora gab sich gar keinen Illusionen hin, als Ehefrau eines Verschwörers würde man ihr wohl kein Wort glauben, wenn sie beteuerte nichts gewusst zu haben. Man würde keine Gnade mit ihr kennen. Es blieb nur die Flucht.
Das Durus aus gutem Grund so gehandelt hatte, das stellte sie nicht in Frage. Sie hatte ihn als einen sehr weitsichtigen und auch besonnenen Mann kennen gelernt. Ihm lag das Wohl Roms am Herzen und er hatte das einzig richtige tun wollen. Er hatte Rom von einem Tyrannen befreien wollen. Doch irgendetwas war furchtbar schief gelaufen. Was es war, konnte selbst Ahala ihr nicht erklären.
Seit einigen Tagen waren sie nun unterwegs, da man kaum Rücksicht auf irgendwelche Empfindlichkeiten nehmen konnte, hatten sie die Aufgaben aufgeteilt. Lager aufschlagen, Feuer entzünden, Holz sammeln, kochen, den Ochsen irgendwo festbinden … meist im bedrückendem Schweigen bereiteten sie sich auf die Nacht vor, damit es am nächsten Morgen weiterging. Doch als sie nach einer unruhigen Nacht erwachten, konnten sie ihre Reise diesmal nicht so einfach fortsetzen. Der Regen hatte den Boden furchtbar aufgeweicht und über Nacht war ihr Karren im Schlamm versunken. Völlig fassungslos, den Tränen nahe starrte Flora das Gefährt an. Das war ein bisschen zuviel für sie. Unfein schniefte sie. Flora fror erbärmlich und fühlte sich hundeelend. Es war nicht nur das nass kalte Wetter, es war der klapprige Wagen, er stinkende Ochse und die Übelkeit die sie so gar nicht mehr los lassen wollte. Bisher hatte sie Ahala verschwiegen, dass sie schwanger war. Auch weil sie sich nicht unnötig aufhalten wollte.
„Und was machen wir jetzt?“ sie klang ein wenig gereizt. Dabei versuchte sie mühsam ihre Gefühle im Zaum zu halten.