“Ich will das aber nicht!“ „Du musst!“ „Warum?“ Kurz hatte Flora ihren Kopf gegen den Rand des Beckens gelegt, die Augen geschlossen. Sie erinnerte sich an ein Gespräch ihrer Mutter, bevor diese ihre beiden Töchter zum ersten mal mit möglichen Ehemännern bekannt gemacht hatten. Es waren Männer gewesen, die ihr Großvater hätte sein können. Dick und grau, mit Einfluss und Geld. Alte betagte Patrizier die noch keine Erben hatten und in die Zwillinge ihre Hoffnungen setzte. Ihre Mutter seufzte angespannt und betrachtete die Jüngere der Beiden im Spiegel, sie stand direkt hinter Flora und fing den durchdringenden Blick des Mädchens auf. „Weil es deine Pflicht ist!“ erklärte sie. Doch mit dieser Antwort wollte sie sich nicht zufrieden geben. „Das sagst du jedes Mal. Es ist meine Pflicht!“, sie klang verbittert und wütend und das mit gerade mal dreizehn Jahren. „Du willst doch gar nicht das wir glücklich werden!“ warf sie ihrer Mutter vor und fegte den Schminktisch frei. Kästchen, Tiegel und Schmuck landete auf dem Boden. „Flora, bitte!“ Lucilla versuchte es mit Geduld, doch ausgerechnet ihre Jüngste war ein Wildfang und wollte nicht eingesperrt werden. Ihre Mutter nahm ihre Hände in die ihren und zwang sie sanft in die Augen zu sehen. „Ich will nicht das du oder Narcissa unglücklich seid. Ihr seid mit wertvoll. Doch keine von uns hat eine Wahl. Wir sind geborene Patrizierinnen, wir haben alles was unser Herz begehrt: Geld und Einfluss, einen stolzen Namen, doch dafür haben wir keine Wahl!“ meinte sie ruhig und sah ihre Tochter traurig an. „Auch ich habe mir mein Leben anders vorgestellt, als ich in deinem Alter war. Doch, ebenso wie man in euch Erwartungen hat, so hatte man sie in mich gesetzt und tut es immer noch. Als Erstes kommt immer die Familie und das gilt auch für alles was du tust. Wenn du dir einen Fehler erlaubst, dann betrifft das nicht dich, sondern in erster Linie die Familie. Es ist schwer und du wirst es hassen, aber es gibt Fluchtmöglichkeiten!“ vertraute sie ihr an. Sie glaubte das Flora alt genug war zu verstehen. Beschämt hatte sie danach ihre Hände betrachtet und genickt. An diesem Tag hatte sie ihre Mutter nur zu gut verstanden und gewusst, dass diese nur das Beste für sie wollte. Am Ende hatte ihre Mutter sie ja nicht verheiratet, weil die Beiden doch wirklich zu alt waren für zwei junge hübsche Mädchen die sich wohl nur langweilen würden.
Kurz biss sie sich auf die Unterlippe. Zuerst kommt die Familie, sagte sie zu sich und spürte Tränen auf der Wange. Wie sehr sie diesen Leitspruch ihres Lebens hasste, denn jetzt fühlte sie sich nur noch schlechter, weil sie ihren Gefühlen nach gegeben hatte. Flora mochte auf die meisten naiv, oberflächlich und auch irgendwie kindisch wirken, aber es war eine Maske die sie sich aufgebaut hatte um nicht an den Erwartungen zu zerbrechen, die man an sie hatte. Ein Bollwerk gegen die Realität. Nun aber schien sie nicht mehr so recht zu wissen was richtig und falsch war. Es kam ihr so falsch vor, ihr ganzes Leben nur nach den Wünschen anderer auszurichten, aber was sollte sie machen, sie war in diese Welt hinein geboren und sie durfte nicht einfach alles woraus ihre Welt bestand mit Füßen treten, nur weil sie gesehen hatte, wie es sein konnte, wenn sie tat was sie wollte. Wenn sie einmal selbst entschied. Sie schluchzte kurz auf und rieb sich energisch übers Gesicht. Niemand außer ihr und Cimon wusste davon, dass sie im die Familienehre beschmutzt hatte. Aber das reichte aus, allein diese Tatsache ließ sie verzweifeln. Die war kein Klein-Mädchen-Streich über den man nachsichtig hin weg sehen würde, nur weil sie es nicht besser wusste. Sie war siebzehn und schon lange kein Kind mehr. Leicht raufte sie sich die Haare, was hatte sie nur gemacht? Irgendwie traute sie sich auch nicht mit Narcissa zu reden, hatte sie doch das Gefühl, dass ihre Schwester sie einmal nicht verstehen würde. Es wäre das schlimmste für sie ausgerechnet ihre Zwillingsschwester wegen so etwas zu verlieren. Sie hatte wirklich alles aufs Spiel gesetzt.
Es war kein bewusster Entschluss, sondern wohl ein Akt der Verzweiflung, als sie untertauchte. Einfach erst einmal um die Gedanken zu vertreiben und kurz in eine Welt unter zu tauchen, die ihre Probleme nicht kannte. Wasser konnte so herrlich alles abdämpfen und die Konturen verwischen lassen. Hätte sie geahnt, dass ausgerechnet Narcissa diesen Moment nutzte um ins Bad zu stürmen, wäre sie wohl am Beckenrand geblieben, so aber, befürchtete ihre Schwester sogleich das Schlimmste. Keine drei Herzschläge lang hatte sie die Luft angehalten, da wurde sie dann fast schon unsanft wieder aus dem Wasser gezogen, dabei verschluckte sie sich und prustete und hustete erst einmal, was Narcissas Panik nur verstärkte. „Mir.... geht’s.... gut“, versuchte sie zwischen ihren hustern zu erklären.