Da war noch viel mehr, als er ihr gegenüber sagen wollte. Sie merkte es an seiner Haltung und dem Ausdruck in seinem Gesicht. Doch er würde wohl nicht mit ihr darüber reden. Obwohl reden half, meistens. Flora würde ihn aber nicht bedrängen. Entweder er sprach mit ihr oder er ließ es sein. Schweigen senkte sich zwischen sie, nicht wirklich unangenehme Stille, aber es war auch kein vertrautes Schweigen, so wie sie es mit ihrer Schwester. Noch ehe sie ein neues Thema anschneiden konnte, klopfte es, sie wollte schon den Mund öffnen um den nächtlichen Besuch hinein zu bitten, aber Marcus war schneller. Verblüfft sah sie ihn an und zuckte dann leicht zusammen, als ein Sklave in ihr Zimmer stürmte und verkündete, dass das Kind da war. Der war ja vollkommen aus dem Häuschen. Verdutzt sah sie von Marcus zu dem Sklaven und wieder zurück. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Plötzlich kam sie sich Fehl am Platz vor, obwohl das ja ihr Zimmer war. Sie kannte die Frau nicht, die soeben einen Jungen zur Welt gebracht hatte. Ihr fiel auf, dass sich die Anspannung bei ihrem Verwandten löste. Nur konnte sie leider nicht in seinem Gesicht lesen, was in ihm vorging. Er hatte sich von ihr abgewandt und mehr als seinen Hinterkopf konnte sie nicht betrachten, es sei denn sie wechselte ihre Position.
Er war doch nicht der Vater, oder? Nein, schob sie den Gedanken vehement weg. Das konnte nicht sein. Dass sie aber den Kern der Sache erraten hatte. Würde sie wohl vielleicht nie erfahren.
Mehr oder weniger verfolgte sie das kurze Gespräch der Männer. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Der Sklave strahlte zwar wie ein Honigkuchenpferd aber sie glaubte zu wissen, dass auch er nicht der Vater des Kindes war. Es war schon eigenartig. Diese Nacht schien jede Menge Rätsel zu verbergen.
Als sich Marcus dann an sie wandte, wirkte er regelrecht gut gelaunt und vollkommen gelöst. Wenn sie nicht dabei gewesen wäre, hätte sie den Eindruck gehabt, dass er wohl an einer Opiumpfeife gezogen hatte. Seine verborgenen Tränen sah sie nicht, dazu war das Licht zu unstet. Leicht runzelte sie die Stirn, als er ihr durch das Haar strich. Diese Geste hatte seit vier Jahren keiner mehr gewagt. Sie war ja schließlich kein Kind mehr. „Gute Nacht“, sagte sie leicht verwirrt und starrte dann einen ganzen langen Augenblick auf die geschlossene Tür. Sie war wieder allein... Ihr Blick wanderte zu der Verbindungstür. Sollte sie zu Narcissa rüber gehen und sich in deren Bett kuscheln? Flora wollte ihre Schwester aber nicht wecken. Nach einer ganzen Weile in halbdunklen Zimmer, löschte sie schließlich die Öllampen und kuschelte sich wieder ins Bett. Schon bald hatte der Schlaf sie wieder erobert und sie wandelte auf Traumpfaden.