Beiträge von Iulia Cara

    >Die Leute in Roma scheinen ihm ja in der Tat nicht sehr wohl gesonnen zu sein...<, ging es ihr durch den Kopf. Und Caras Vermutung wurde ein weiteres Mal bestätigt, als er in seiner Antwort fortfuhr. Das Consulat war ihm verwehrt worden. Etwas, das ihn sichtlich in seiner Ehre gekränkt hatte. Mit einem Blick war das Brodeln unter seiner Oberfläche zu sehen.
    „Ich möchte nicht taktlos erscheinen“, setzte Cara an, obschon die junge Iulia eigentlich wenig Sinn für Politik hatte. Sie als Frau konnte ohnehin kaum Einfluss nehmen. Dennoch: „Aber jene Machtverhältnisse scheinen dir nicht sonderlich gewogen zu sein. So schön Germania auch sein kann – für jemanden mit langer politischer Karriere, der noch nach Großem strebt, muss dieses Amt wie ein Exil vorkommen. Mit was hast du ihren Unmut erregt?“


    Ihre Augen leuchteten bei dem Wort `Essen´ auf. Dass der Hausherr nicht immer anwesend würde sein können, damit hatte Cara bereits gerechnet, aber es erschien ihr auch nicht notwendig. Immerhin war sie mit dem Mann ja nicht verheiratet, sondern lediglich ein Gast, der für ein paar Wochen unter seinem Dach unterkam. „Die Entschuldigung ist angenommen“, erwiderte sie und fügte verlegen hinzu: „ Ich muss gestehen, dass ich allmählich etwas zum Essen gebrauchen könnte“ Auch Corona wäre wohl nicht abgeneigt, da war sich die Iulia sicher.

    „Schon gut...“, winkte Cara mit einer gelassenen Handbewegung ab, als sich die Frau, so höflich wie ihr die meisten Sklavinnen begegneten, bei ihr entschuldigte. Für gewöhnlich schätzte es die junge Iulia nicht, wenn Sklaven dazu neigten, freiwillig auf den Knien vor ihren Herren herum rutschten, sich gar selbst erniedrigten. Der Geruch der Angst haftete ihnen meilenweit an. Mit Sophie war das nie so gewesen. >Sophie< .Natürlich war sich die junge Griechin ihrer Stellung bewusst gewesen, aber sie hatte dennoch ihren eigenen Kopf gehabt. Der sie wiederum dazu verleitet hatte ihre Beine in die Hand zu nehmen und zu türmen. Cara konnte ihr nicht böse sein. Gerade aus dem Grund, da sie Sklaven eigenes Denken zugestand, es eigentlich auch forderte (wer mochte sich schon mit Toten umgeben). Die Enttäuschung über missbrauchtes Vertrauen blieb dennoch. Sie würde vorsichtiger sein. Das hielt die junge Iulia jedoch nicht davon ab, sich neugierig zu fragen >Was sich wohl hinter ihrer Maske der Höflichkeit verbirgt?<


    „Eine Nymphe“, bemerkte Cara lächelnd. „Das heißt du beschützt Gestrandete...tust du das denn?“ Es mutete wie reine Spielerei an, war aber auf einer anderen Ebene ernst gemeint. Eine Frage nach dem Holz, aus welchem sie geschnitzt war. Kannte sie Mut und Verantwortung? Da sie davon ausging, dass Amatheia eher die Spielerei aufnehmen würde, wandte sie ihr mit „Würdest du mir die Klammern aus dem Haar machen?“, den Rücken zu. Im Grunde war es doch unerheblich was für ein Mensch sie war. Sie war eine Sklavin. Alle Sklaven wollten frei sein. Auch sie würde gewiss die erste Gelegenheit ergreifen. Was nutzte es da, eine engere Beziehung zu ihr aufzubauen....

    Wieder war sie hier, durchschritt den schweißgetränkten Staub, hörte die Rufe der Männer um sich herum, die unter dem nur allzu oft mit Wolken bedeckten Himmel Germanias ihre Pflichten taten.


    Das Castellum. Allein das Wort hinter ihrer Stirn zu formen, stürzte sie hinein in einen Sturm aus Gefühlen, Cretica hasste es; hasste es mit der Inbrunst eines zutiefst verwundeten Herzens, das keine Vernunft mehr kannte. Und sie hasste dieses Land mit seinen grünen Wäldern, den saftigen Wiesen, den Hügeln. Das Castell dafür, dass es ihren Ehemann hierher gelockt und das Land dafür, dass es ihn ihr genommen hatte.


    Doch das war nur die halbe Wahrheit. Denn so sehr sie Ort und Land auch hasste, so sehr liebte die alte Frau es auch. Zumindest verhielt es sich so mit der Provinz. Hier hatte sie einen Großteil ihres Lebens verbracht, hatte hier geheiratet, ihren Kindern das Leben geschenkt, hatte geweint und gelacht, gekämpft, gelitten, genossen, geliebt und gehasst, hatte bedauert und Zufriedenheit erfahren; Hier hatte sie gelebt.
    „Hatte“ – Noch war es nicht soweit, doch die ältliche Aquilia ahnte, dass das Plusquamperfekt schon, wenn auch noch undeutlich, über ihrem Kopf schwebte. Sie spürte es in ihren Knochen, die mit jedem Winter, der verstrichen war, schwerer geworden waren. Aber das machte nichts. Es war der Lauf der Welt. Das Alte musste vergehen, um dem Neuen Platz zu machen. Niemals ging das Alte dabei ganz verloren. Es bestand weiter im Neuen, bildete dessen Grundfeste. Ja, sie würde due Zeit schon überdauern. Zumindest irgendetwas von ihr. In ihrem Sohn, in ihrer Tochter, zu der sie gerade unterwegs war. Die stattliche Villa war schon in Sicht


    Cara. Das Mädchen war nie die Tochter gewesen, die sie sich gewünscht hatte. Irgendwie hatten sie nie zueinander gefunden. Doch machte Cretica dafür nicht ihr Kind verantwortlich. Nein, sie allein – Aquilia Cretica – trug die Schuld. Es war ihr Fehler und sie musste alles in ihrer Macht stehende tun, um das Mädchen auf die richtige Bahn zu bringen. Mochte es auch gegen Caras Willen gehen, so wäre es doch zu ihrem Besten. Das würde Iulia schon einsehen. Irgendwann. Und es ihr dann danken. Sie jedenfalls war nicht bereit von dieser Welt Abschied zu nehmen, bevor sie ihre Tochter nicht an der Hand eines ehrenwerten, ruhm- und einflussreichen Mannes wusste. Wer konnte ihr sonst garantieren, dass das Mädchen auf den rechten Weg fand.


    Der Sklave, der sie begleitet hatte, trat vor, um am Tor des Praetoriums anzuklopfen. Das Warten auf den Türsteher gab ihr Zeit sich zu ordnen und ihre Gedanken unter ihre Kontrolle zurück zu zwingen. Abwesend strich sie sich einige braune Strähnen unter ihrer cremefarbenen Stola zurecht. Ein Kopf erschien in dem Türspalt, der jetzt geöffnet wurde. Ein Glatzkopf, wie sie mit leisem Erstaunen bemerkte; Das war sehr ungewöhnlich für diese Region, in welcher die römische civitas vorwiegend auf gallische oder römische Sklaven zurück griff. Wie sollte es auch anders sein?Schon wurden sie ins Innere des Gebäudes geführt.


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    Schmetterlinge schwirrten zwischen den Rosenumwachsenen Säulen umher, als der Sklave zu ihr kam.
    „domina – deine Mutter wartet im atrium auch dich…“, informierte der glatzköpfige Mann. Seine Nase trat scharf aus seinem Gesicht hervor. Caras Brauen hoben sich in Überraschung. Beiläufig legte die junge Iulia die Schriftrolle beiseite, in welcher sie soeben gelesen hatte. „Meine Mutter?“
    Der Mann nickte. „Kann ich euch eine Erfrischung bringen?“, Einen Moment lang war Cara versucht abzulehnen, während sie sich von der Bank erhob, auf der sie gesessen hatte. Wenn Cretica es sich nicht gemütlich machen konnte, würde sie vielleicht schneller wieder gehen. Andererseits konnte sie eine ältere Frau schon nicht aus Respektgründen auf dem Trockenen sitzen lassen – auch wenn es sich bei jener um ihre Mutter handelte. „Saft wäre nicht schlecht…“, erwiderte sie und war schon auf dem Weg ins Atrium, um Cretica gegenüber zu treten.
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    Sie stand inmitten des Atriums und besah sich der Totenmasken der Decima, die an den Wänden hing und ihre Geschichten, ihre ausgehauchten Leben, leise in den Raum wisperten. Sie. Ihre Mutter. Aquilia Cretica. Sie trug ein flachsfarbenes Kleid mit braunem, breiten Ledergürtel um die Hüfte; eine Stola bedeckte, die wirren braunen Locken. Unverkennbar hatte die junge Iulia ihren Geschmack für Mode von der Mutter geerbt. Eine der wenige Gemeinsamkeiten, die sich Mutter und Tochter teilten. In dunkelhaariger Mann ragte wie ein zweiter Schatten hinter der Aquilia auf. Als sie Cara das Atrium betreten hörte, sah Cretica auf.
    „Mutter. Was machst du hier? Solltest du dich nicht ausruhen?“, Caras nüchterner Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass ihr junges Herz nicht gerade Sprünge machte, ihre Mutter zu sehen. Nicht nur, weil sie es als recht unvernünftig empfand, dass die ältere Dame trotz ihres angeblich schlechten gesundheitlichen Zustandes den Weg auf sich genommen hatte, sondern vor allem, weil sich Cara von ihr beobachtet und kontrolliert vorkam, sobald ihre Mutter in der Nähe war.
    „Aber, aber“, Ein schräges Lächeln verzog Creticas Mundwinkel, „Was ist denn das für eine Begrüßung, Cara? Ich meine dir doch etwas anderes beigebracht zu haben.“ Sie zwang ihre Tochter in eine Umarmung und spürte, wie sich Cara unter dieser Berührung versteifte. Widerspenstig wie eh und je. „Darf eine Mutter nicht nach dem Rechten sehen?“, entgegnete sie, entließ die Iulia aus ihren Armen und reckte sich dann, als suche sie etwas.
    „Wo ist Corona? Ist deine Cousine nicht da?“
    „Doch...Ich habe sie vorhin kurz gesehen; Da war sie auf dem Weg zu Bibliotheca. Ich nehme an, sie liest."
    „Und Phocylides?“ Es gefiel der Aquilia nichtm dass sich Lucius´ maior domus nicht in der Nähe der beiden Mädchen aufhielt, um über ihre Ehre und nicht zu letzt Caras ausgeprägten Sinn Dummheiten anzustellen, zu wachen. Der Legat war zweifelsohne ein rechtschaffener Mann – auch wenn man neuerdings von Verhandlungen gegen ihn aus Roma hörte -, aber Kontrolle war bekanntlich besser als Vertrauen. Ihrer Tochter traute sie nahezu jede Leichtsinnigkeit dieser Welt zu.
    Die Iulia hob kritisch eine Braue. „Soll das ein Verhör werden oder was?“, gab sie verstimmt zurück. „Wo soll ich wissen, wo er sich herum treibt?!“
    „Nein...Neeeeein....“, beeilte sich Cretica abzuwinken, als sie Argwohn auf Caras Zügen aufflammen sah. „Es hat mich nur interessiert...“ Aber etwas in Caras Augen sagte ihr, dass ihre Tochter in einem alarmierten- misstrauischen Zustand verharrte. Warum konnte sie nicht einfach so ein kopfloses Ding sein, anstatt hinter jeder ihrer Aussagen eine Finte zu vermuten? „Na, möchtest du deiner alten Mutter nicht zeigen, wo ihr Mädchen für die Dauer eures Aufenthaltes wohnt? Ich war hier noch nie“, versuchte Cretica das Gespräch daher in eine andere Richtung zu lenken. Und tatsächlich, nach kurzem Zögern, ging Cara darauf ein. „Wenn du es möchtest, warum nicht“, antwortete sie, indem sie sich bei ihrer Mutter unterhakte. „Hier entlang.“



    Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, zog das stattliche Anwesen die alte Aquilia in seinen Bann, war es doch mehr als doppelt so groß wie die heimische Casa Iulia und deutlich prachtvoller gestaltet. Gründlich aber zügig, schließlich wollte sie ihrer Mutter nicht länger als nötig die Anstrengung des Gehens zu muten – oder besser gesagt, wollte sie vermeiden, dass Cretica in einem der Räume Wurzeln schlug und sie noch bis zum Morgengrauen herumständen, während Cretica mit in den Nacken gelegten Kopf selbst die kleinsten Ritzen in der Decke inspizierte -, Gründlich aber zügig führte die Iulia ihre Mutter also durch das Gebäude und beantwortete geduldig Fragen, zumindest so weit ihr eigener Wissensstand reichte. Eine gute später, Cretica hatte sich um geschätzte hundert „Ooooh“s und „Aaaaaah“s erleichtert, kamen sie dorthin zurück, wo sie ihren Rundgang begonnen hatten.


    „Hach, so ein schönes Anwesen...“, schwärmte die Aquilia „Du kannst wirklich den Göttern danken, dass euch der Legat hier aufgenommen hat – ich hätte euch ja lieber bei mir gehabt“, Die Iulia nickte lächelnd, obwohl sie eigentlich genau das Gegenteil dachte >ich danke den Göttern dafür, dass sie es verhindert haben...< Das wäre ja noch schöner gewesen! Sie versuchte etwas ihre Gesichtsmuskeln zu entspannen, die ob des steifen halblebendigen Lächelns, das sie sich extra für ihre Mutter aufgezwungen hatte, doch allmählich weh taten. Ein untrügliches Zeichen, dass es nun Zeit war, dass sich Cretica dazu entschloss den Weg nach Hause anzutreten.
    „Decimus Livianus ist nicht zu gegen, wie?“ >Hat sie etwa immer noch nicht genug? Bona dea!<
    „Nein...“, entgegnete Cara gedehnt, bemüht darum ihre innere Ungeduld zu überspielen. Würde Cretica spüren, dass sie sie abwimmeln wollte, dann würde sie bestimmt noch länger bleiben – allein des Trotzes wegen. „Er arbeitet sehr viel. Bestimmt sitzt er noch in seinem officium. Meistens verpasst er sogar die cena, so beschäftigt ist er....“, schob Cara vorsichtshalber diese kleine Unwahrheit nach, um zu verhindern, dass die Aquilia auf die Idee kam auf ihn zu warten. Diese Information hatte gesessen. Das Gesicht ihrer Mutter verfinsterte sich ein wenig, die Furchen ihres Lebens wurden ein wenig tiefer. Cara widerstand dem Impuls sie zu fragen, ob sie nicht müde sei und nicht doch lieber nach Hause wollte. Vermutlich hätte das die ältere Dame nur argwöhnisch gemacht und ihr Boden gegeben, ihr vorzuwerfen, sie wolle sie los werden – was ja offenkundig auch stimmte.
    „Zu Schade...“, seufzte Cretica und zuckte bedauernd die Schultern. „Aber vielleicht dann das nächste mal...“ Zu gern hätte sie sich noch mit dem Mann unterhalten, zwar wohl wissend, dass es für eine Entscheidung seinerseits noch zu früh war. Aber einen ersten Eindruck musste er inzwischen bereits von ihrer Tochter gewonnen haben. Und wer konnte schon wissen, ob ein wenig Zureden ihrerseits die Dinge nicht etwas beschleunigte.
    „Ja...wirklich...“, imitierte die Tochter ihren Tonfall. „Ich werde ihm ausrichten, dass du da warst...“, Die Aquilia nestelte ihr Kleid zurück und schien tatsächlich Anstalten zu machen, zu gehen. „Oh, du willst schon gehen?“, Jetzt war es Cara, die einen bedauernden Ausdruck auflegte.
    „Ja, ich wollte nur ganz kurz herein schauen“, erklärte ihre Mutter und verzog das Gesicht. >Ha, den richtigen Ton und die richtige Mimik erwischt!<, ging es der Iulia triumphierend durch den Kopf, als sie am Mienenspiel der Älteren erkannte, dass ihre kleine Manipulation fruchtete und ihren Abgang beschleunigte. „Du kannst mich ruhig auch einmal besuchen kommen, Tochter. Zusammen mit Corona...“ Cara nickte und fasste sie beim Arm, um sie mit sanftem Druck hinüber zur Tür zu geleiten. >Nur nicht zu schnell....<

    Das Triclinum war ein großer heller Raum, der sich unmittelbar dem Atrium anschloss. Um einen niedrigen Tisch standen einige clinen gruppiert; Schlanke Terrakotta Amphoren dienten zur schlichten Dekoration. Auch hier, wie im ganzen Haus, zog sich der Faden der militärischen Geradlinigkeit.


    An Decimus Arm betrat Cara das Speisezimmer. Hatten sie zwar das Atrium hinter sich gelassen, die Gedanken hafteten der jungen Frau nach wie vor an. Dagegen konnte auch nicht ihr Magen ankommen, der sich mit flauem Gefühl zurück meldete. Sie würde sich wehren, ja. Auch gegen diese Reise hatte sie sich gewehrt – und dennoch, hatte sie letztendlich einsehen müssen, dass sie dabei den Kürzeren zog. In wie weit war ihre Familie bereit nachzugeben, wenn es hart auf hart kam. Und was war Cara bereit zu tun, falls sie sich jemals in einer solchen Situation befand? Ihre Antwort schien Livianus für einen Moment überrascht zu haben. Cara hingegen nahm seine Reaktion gelassen hin. Immerhin hatte er ihre Antwort heraus gefordert – Wer auf die Jagd nach Wild ging, musste auch davon ausgehen eines Tages vor einem großen Wildtier zu stehen. Nach ihrer Zukunft hatte er gefragt…aber wie stand es mit ihm?
    „Weißt du, wie lange du noch hier in Mogontiacum sein wirst? Was wirst du tun, wenn dein Amt hier ausläuft? Als Senator hast du schließlich schon fast alle Ehren erreicht, die ein Mann anstreben kann…“

    „Es tut mir wirklich Leid“, In den blauen Augen stand ehrliches Mitgefühl und sie ließ sich sogar dazu hinreißen, ihn rasch am Arm zu berühren, als wollte sie ihm damit Solidarität bezeugen. Dass er seine Frau verloren hatte, dass hatte er ihr ja bereits ausgeführt, dass sie aber ihr Leben für seine Kinder gegeben hatte, die wiederum nicht viel auf ihren Vater zu geben schienen, das war neu und machte die Situation für ihn in ihren Augen nur noch bitterer. Ihre innere Stimme, ihre Intuition sagte ihr, dass er kein schlechter Mensch war und solche Menschen hatten es nicht verdient, von den Göttern so abgestraft zu werden. Kein Wunder, dass er seinen Glauben verloren hatte.
    Entgegen seiner Sorge, bewirkte er mit jenem Altersvergleich nicht, dass er ihr noch älter vorkam. Ihre Gedanken nahm andere Wege. >Jung war er, hat er gesagt...wenn seine Tochter dann in meinem Alter ist...dürfte er etwa doppelt so alt sein wie ich...Himmel! 20 Jahre war er dann ohne Frau!< Als sie ihn jetzt ansah, sah sie keinen alten, sondern vielmehr einen einsamen Mann, der sich in seine Arbeit und seinen Dienst vergraben hatte. >Er muss sie wirklich geliebt haben...Was für eine treue Seele...< Ihr Blick glitt hinüber zu der Statue der Didia und dann zurück zu ihm.
    Eigentlich hatte Cara ihn noch fragen wollen, ob er jemals den Versuch unternommen hatte, Kontakt zu seinen Kindern aufzunehmen, doch offensichtlich wollte er lieber das Thema wechseln. Es war durchaus verständlich, konnte es doch unmöglich zu seinen Lieblingsthemen gehören. Überraschend offen war er ihr gegenüber zudem gewesen. Eine Offenheit, die sie von ihm nicht erwartet hatte, deshalb umso mehr honorierte und die ihn ihr sympathisch machte. Sie mochte es, wenn Menschen nicht um Dinge herumschwatzten – auch wenn sie das manchmal auch selbst tat.


    „Ich schulde dir noch eine Antwort“, meinte sie schließlich. Jetzt mehr als zu vor hatte Cara den Eindruck, dass sie ihm jene schuldete. Vertrauen war ein Tauschgeschäft und der Decimer hatte den Anfang gemacht. „Jeder Mensch hat zwei Gesichter. Das eine, das er in der Öffentlichkeit trägt, das andere, das für den inneren Kreis bestimmt ist. Nach außen hin gilt: Unterwirf dich dem Wohl deiner Familie, sie gibt den Weg vor“, führte sie aus, ehe ein plötzliches, fast spitzbübisches Lächeln ihr Gesicht erhellte: „Aber du kannst mir glauben. Nach innen würde ich mich wie eine Löwin zur Wehr setzen, würde meine Familie etwas von mir verlangen, dass im extremen Kontrast zu meinem Gewissen oder meinen eigenen Vorstellungen steht.“


    Unvermittelt hakte sich die Iulia bei dem Senator unter. „Du wolltest mir noch das triclinum zeigen...“, erinnerte sie ihn an ihren Rundgang. Als sie an der Statute vorbei schritten, warf sie der steinernen Frau noch einen letzten Blick zu. >Eine wirklich schöne Frau...<, ging es ihr durch den Kopf und fühlte in ihrer Brust so etwas wie Bedauern, dass sie längst vergangen war.

    Ein Schmunzeln kräuselten die Lippen der Iulia und sie hob erstaunt die schmalen Brauen, als der Mann auf einmal los donnerte und seine Kontenance in aufschäumender Wut und einem derben Fluch unterging wie ein Schiff in Seenot. Mit einer solch heftigen Reaktion hatte Cara dann doch nicht gerechnet und es kam ihr doch tatsächlich der unsinnigste Gedanke, der ihr angesichts dieser Situation hätte in den Sinn kommen können: >Ein attraktiver Mann<... Wer immer dafür verantwortlich gewesen war, Pax so zu vernachlässigen, der würde alsbald sein blaues Wunder erleben. Einen zornigen, 1.80 großen, austrainierten Stallmeister vor sich zu haben, war bestimmt kein Vergnügen. Erst Recht nicht einer, der so fluchen konnte. Offensichtlich war ihm der Kraftausdruck aus versehen heraus gerutscht, denn er versuchte sogleich abzumildern. Nicht, dass es ihr die Röte auf die Wangen getrieben hätte, da war sie dann doch schon einiges von ihrem älteren Bruder gewöhnt.


    Als er darum bat, den Ort des Geschehens selbst in Augenschein zu nehmen, da war Cara im ersten Moment versucht etwas empört dagegen zu halten, ob er denn ihren Worten nicht Glauben schenke. Aber die Iulia besann sich noch ehe sie den Gedanken aussprechen konnte. Es war nur allzu verständlich, dass er sich sein eigenes Bild machen wollte. Sie selbst hätte es nicht anders getan. Und so nickte sie und bedeutete dem Mann, ihr zu folgen: „Hier entlang Stallmeister...“


    Seite an Seite verließen sie das Quartier und machten sich auf den Weg hinüber zum ersten Stallflügel. Eher beiläufig betrachtete Cara das Profil des Mannes. Ein markantes Gesicht unter dunklen Haaren und einem Dreitagebart. Dann waren sie auch schon an der Box des großen Hengstes. Es tat ihr weh, das Tier so schlecht versorgt zu sehen. Das Fell hatte bereits einen Teil seines Schimmers eingebüßt. Schon viel eher hätte sie nach Pferd sehen müssen. „Siehst du, was ich meine Stallmeister?“, Von der Seite warf sie einen raschen Blick zu ihm hinauf und betrat schließlich ungeachtet des schönen, lavendelfarbenen Kleides, welches sie trug, in das verschmutzte Stroh, um Pax loszubinden und ihn aus der Box heraus auf die Stallgasse zu führen. Steif folgte der Hengst ihrer Bewegung. „Was gedenkst du zu tun?“, erkundigte sich die Iulia und strich Pax über das weiche Maul. Was sie tun würde, war klar. Diesen Stallknecht würde sie nicht mehr an ihr Pferd heran lassen – und wenn sie sich selbst um das Tier kümmern musste.

    >Ein Bad – genau das ist es, das ich jetzt brauche>, Iulia Cara schritt zielstrebig durchs Atrium. Erschöpft von dem langen Nachmittag in der Stadt, der zu einigen hübschen Errungenschaften geführt hatte, die sie nutzen wollte, um diesem Haus ein wenig Gemütlichkeit einzuhauchen. Der Händler der Freya hatte es ihr beim Feilschen nicht sonderlich einfach gemacht, dafür hatte Cara einiges darüber in Erfahrung bringen können, was während ihrer Abwesenheit in der Stadt geschehen war. Duccius Lando war verstorben und auch außerhalb des Soldatenlagers war der Name des Legaten allgegenwärtig.


    „Ein erfolgreicher Nachmittag, nicht?“, meinte Corona. Die Iulia war selbstverständlich nicht allein zum Bummeln losgezogen, sondern hatte ihre Verwandte mitgenommen. Nicht nur der Gesellschaft wegen, Corona besaß einen ausgezeichneten Geschmack und konnte mit den Kaufleuten wie eine Löwin um die besten Preise feilschen. Schon allein ihres Geldbeutels wegen war es ratsam, Corona an seiner Seite zu haben. Einmal ganz davon abgesehen, dass Cara ihre Verwandte sehr gern hatte.


    „Ja, ich glaube, wir haben ein paar sehr hübsche Sachen gefunden…“, pflichtete Cara ihr mit einem Blick auf die beladenen Sklaven hinter ihnen hinzu. Die Frauen kauften ein und die Männer hatten die Einkäufe zu tragen. Selbst Nicocholus, Coronas Sklave, war als Packesel eingespannt worden. Sie mussten vorsichtig sein, was ihre Reisekasse betraf. Noch machte sich die Iulia darüber aber noch keinen Kopf. „Wir sehen uns später bei der cena, ja? Ich möchte gern noch ein Bad nehmen…“, Corona nickte. „In Ordnung! Bis später!“, fügte sie lächelnd hinzu und verschwand gefolgt von dem Griechen, in Richtung ihres cubiculums. Unterdessen winkte Cara einen Sklaven heran, der ihr zufällig des Weges kam und erteilte ihm entsprechend Anweisung das balneum vorzubereiten.


    Eine Viertelstunde später…eine Woge aus feuchter, duftschwangerer Luft umfing Cara, als sie das balneum betrat. Einen Moment lang schloss sie die Augen und atmete tief durch. Der schwere Dampf durchströmte ihre Lungen. Als die junge Iulia ihre Lider wieder aufschlug stand wie aus dem Nichts eine braunhaarige Frau in zweckmäßiger Gewandung vor ihr.“Huch?!“ Beim Eintreten war sie ihr gar nicht aufgefallen, dass sie nicht allein war. Einmal davon abgesehen war ihr noch keine einzige Frau im Gefolge des Decimers begegnet. Entweder sie versteckten sich vor ihr, oder es gab keine. Letzteres konnte sie sich aber nicht so recht vorstellen. Nicht bei Männern. Die Frau war etwa in ihrem Alter, vielleicht ein wenig älter und ganz offensichtlich weder Germanin noch Gallierin, obwohl sie eine Sklavin des Hauses zu sein schien. Schon allein diese Beobachtung war bemerkenswert. „Salve“, grüßte sie die Frau lächelnd, als sich ihre erste Überraschung gelegt hatte. „Wie ich sehe, ist schon alles vorbereitet – sehr schön…“, meinte Cara mit einem Blick durch das Bad.

    Schon Iulius Drusus, Caras Vater, hatte seiner Tochter erklärt, dass Angriff stets die beste Verteidigung darstellte und diesen Grundsatz hatte sich die Iulia weitestgehend zu Eigen gemacht. Damit bewegte sie sich gleichzeitig aber auch auf dem schmalen Grad zwischen dem, was gesellschaftlich akzeptiert und dem was einer rau als Untugend galt. Manches Mal verhielt sich Cara äußerst grenzwertig – zum Leidwesen ihrer Mutter, die den äußerst unbescheidenen Auftritt glücklicherweise nicht verfolgte.


    Der Mann wuchs vor ihr in die Höhe. Zwar musste Cara ihm zugestehen, dass er sich in einer überaus ansprechenden Form befand, kräftig und muskulös, dennoch ließ sie sich von der Tatsache, dass er sie um fast anderthalb Köpfe überragte, nicht im geringsten einschüchtern. Sie selbst hatte einen größeren Bruder und war als inoffizielles Mitglied einer Jungenbande – als kleines Mädchen war sie Saturninus selbstverständlich zu dessen Leidwesen überall hin gefolgt – unter größeren aufgewachsen. Dort hatte sie auch gelernt sich durchzusetzen, wenn es nötig gewesen war. Ihre damaligen Gefährten, heute inzwischen alles junge Männer, hatten sich mittlerweile in alle Himmelsrichtungen verstreut, um wie ihr Bruder ihrer Karriere nachzugehen. Aber das tat im Moment wenig zur Sache. Mit leiser Genugtuung stellte Cara fest, dass dem Stallmeister, dessen Namen sie noch nicht kannte, für den Hauch eines Augenblicks ob ihrer Bemerkung tatsächlich das Gesicht entglitt. Ein Schmunzeln flackerte um ihre Mundwinkel auf. Er hielt es dann wohl auch besser, nichts zu der Angelegenheit zu sagen. Vermutlich um ihr gegenüber kein Schuldeingeständnis abzuleisten. Dennoch schien sie einen nicht zu leugnenden Einfluss auf ihn auszuüben. Immerhin hatte sie ihn dazu genötigt, sich zu erheben. Er wollte sich nichts gefallen lassen, etwas das ihr durchaus gefiel. Zu Schade, dass sie unter solchen Umständen aufeinander begegnet waren. Mühelos registrierte Cara den ärgerlichen Unterton und seinen festen Blick, mit dem der Mann eine detailierte Antwort regelrecht einforderte. Anders als er wohl annahm hatte die Iulia nicht vor, den Legaten einzuschalten, sondern betrachtete die Angelegenheit als eine Sache zwischen dem Mann vor sich und ihr. Der Soldat wiederrum, die Art, wie er antwortete ließ darüber keinen Zweifel, nahm seine Arbeit wohl sehr ernst und schien pflichtbewusst zu sein. Der richtige Ansprechpartner.


    „Stallmeister“, begann sie schließlich. „Mein Pferd steht dort drüben in deinem Stall in uraltem Einstreu. Das Tier sieht aus, als hätte es zwei Wochen lang weder Bürste noch Wasser gesehen und ist so kurz angebunden, dass es nicht einmal mehr den Kopf wenden kann“ Der betroffene Ausdruck auf ihrem Gesicht, machte deutlich, dass ihr an dem Tier viel liegen musste. „Ich habe also einen fundierten Grund zur Annahme, dass hier einige Pferdeknechte schlampige Arbeit leisten…“

    Der Mann hob den Blick ; Und besaß doch tatsächlich die Frechheit – denn das war es nach Ansicht der verärgerten Iulia – ihren Busen anzustarren. Atemzüge lang. Entrüstet richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf, ohne den Blick von dem Mann zu nehmen und verschränkte die Arme vor der Brust. Gestandene 172 Zentimeter von Zeh bis Schopf. Es hatte ihr sichtlich ein wenig den Wind aus den Segeln genommen. Mochte der Mann es fehlinterpretieren und auf seine Gegenfrage zurück führen Von ihrem stürmischen Auftreten zeigte er sich zumindest reichlich unbeeindruckt. Doch schon hatte sich Cara wieder gefangen. „Es ist nicht sehr höflich einer Frau auf die Brust zu starren…“, entgegnete sie ohne Umschweife, jetzt aber wesentlich ruhiger. Die Iulia überging dabei, dass sie es ja erst gewesen war, die ihm dazu Gelegenheit geboten, indem sie sich so weit vorgebeugt hatte. Es kam wohl auch nicht sehr oft vor, dass sich eine Frau in diese Ställe verirrte.


    „Iulia Cara,“ stellte sie sich so würdevoll wie es ihr nur möglich war – schließlich galt es die zuvor empfundene Scham angesichts der Musterung diverser Körperteile wieder aufzuwiegen – dem durchaus als attraktiv zu bezeichnenden Mann vor. „Ich bin Gast im Hause des Legaten…“, schob sie vorsichtshalber noch nach; Nicht, dass er noch auf die Idee kam, sich zu fragen, was sie denn als offenkundige Zivilsitin in diesem Kastell verloren hatte.


    „Ich frage mich, wie oft hier wohl die Karren ein und aus fahren, um tote Tiere abzutransportieren. Mich würde es nicht wundern, wäre es bei dieser miserablen Versorgung mindestens einmal wöchentlich – was reichlich schlecht für die Kassen des Kaisers wäre“, machte sie ihrer Verärgerung Luft.

    Nach der privaten Hausführung durch den Legaten Decimus Livianus beschloss Cara vor der Cena noch nach ihrer Verwandten zu sehen, obschon der Decimer bereits einen Sklaven zu ihr gesandt hatte, um sich ihres Wohlbefindens zu erkundigen. Das cubiculum Coronas lag nicht weit von ihrem eigenen und des des maior domus entfernt, der freilich in der Nähe der jungen Frauen einquartiert worden war, um so über sie zu wachen. Es stellte sich also die Frage, wer hier die größere Glucke war. Caras Mutter Cretica oder Phocylides. Die Iulia nahm es ihm nicht sonderlich übel. Schließlich handelte er auf Anweisung Lucius´. Und die Formen mussten gewahrt bleiben, auch wenn sie von dem Legaten keinerlei Gefahr ausgehen sah. Der konnte sich unzüchtige Annäherungen schon ob seiner Position als Senator Roms nicht leisten.


    Cara durchquerte also den Gang, bis sie vor Coronas cubiculum stand und klopfte an das Holz. Einige Augenblicke verstrichen, in denen sie nur das Schlagen ihres eigenen Herzens leise hörte. Dann öffnete sich die Tür und Nicocholus, Coronas Leibsklave, streckte den Kopf heraus. Mit dunklen Augen musterte die Iulia und hob fragend die Brauen, sodass sich seine Stirn kraus zog. „Corona?“, fragte Cara.
    „Sie schläft domina. Sie ist immer noch etwas erschöpft von der Reise…Soll ich ihr etwas bestellen?“, Cara nickte verstehend. „Richte ihr nur aus, dass ich da war…“, Der Sklave neigte leicht den Kopf und schloss die Tür, als Cara sich bereits wieder entfernte.

    Er hielt sie für naiv, kindisch. Die Iulia sah es aus der Art, wie er seine Mundwinkel zu einem Schmunzeln verzog und sie mit einem nachsichtigen Blick bedachte, der normalerweise für Großväter und deren Enkel vorbehalten war. Die Erfahrung, die sie beide trennte, wurde ihr schlagartig wieder bewusst. Nicht, dass sie ihn für einen alten Mann hielt. Allenfalls für einen reifen Herrn. Jahre, Jahrzehnte trennten sie und damit Erfahrung. Verwundert stellte Cara fest, dass es sie störte, dass er sie für naiv hielt. Denn normalerweise gab sie darauf nicht viel, denn sie war jung und wollte sich auch so verhalten dürfen. Jung und lebendig und neugierig und wollte den Duft der unbekannten, neuen Welt tief einatmen, entdecken und ihre ganz eigenen Erfahrungen Schritt für Schritt tun. Wenn Cara ganz ehrlich war, dann konnte es ewig so gehen, konnte die Adoleszenz warten, bis sie grau wurde. Nur liefen die Dinge leider nicht so, wie sie es gern haben wollte. Hätte sie den Hintergrund dieses Besuchs erahnt, hätte sie wohl erschreckt festgestellt, dass die Pläne um ihre Zukunft rein gar nicht ihren eigenen Vorstellungen entsprachen und sie herzlich wenig dagegen tun konnte. Aber auch ohne dieses Wissen war Cara bewusst, dass sich ihre Zeit der kindlichen Freiheit allmählich gen Ende neigte.


    Sie verzichtete dann auch darauf, ihm noch etwas zu erwidern. Als Soldatentochter kannte die Iulia auch die andere Seite der Medaille. Es bedurfte keiner weiterer Worte. Allerdings hatte sie keine Zeit über die leise Bitterkeit nachzusinnen, die Cara in seiner Stimme subtil mitschwingen zu hören glaubte. Das Gesicht des Legaten zerfiel in offenkundige Überraschung. >Ist es nicht das, was sie alle hören wollen? Artig vorgetragen?< Ihre Antwort war genau jener Wortlaut, den man ihr, dem man jedem Mädchen in ihrem Freundeskreis, von klein auf eingebläut hatte. Decimus sorgte nun seinerseits dafür, dass sich ihre Brauen in Erstaunen hoben, als er auch noch nachhakte. Er musste doch wissen, dass es eine leere Phrase war. Wie konnte er es wagen – er als fremder Mann – nachzufragen, ihr so nahe zu treten? Er brachte sie dazu innerlich überrascht einen Schritt zurückzutreten. Abstand zu nehmen. >Weiß er denn nicht, dass Schein und Sein zwei vollkommen unterschiedliche Dinge sind, die selten zusammen gehen> Vor allem als Frau waren sie selten kongruent. >Warum ist es ihm überhaupt wichtig?<, tauchte der Gedanke unvermittelt aus dem Nichts auf, ehe er sogleich wieder versank und sich ein andere an die Oberfläche ihres Bewusstseins schob >Die Erziehung muss in seiner Familie ganz anders laufen…< Es weckte ihre Neugierde. Cara besann sich. Er hatte eine Frage gestellt. Wer sich als Fremder, zudem als männlicher Fremder, soweit vorwagte, der hatte eine Antwort verdient.


    "Hast du Töchter, Legat?", erkundigte sich Cara lächelnd mit einer Gegenfrage.

    „Das soll wohl ein Scherz sein?!“ Iulia Cara stand in der equile vor einer der Boxen und starrte ungläubig auf das Trauerspiel, dass sich ihr bot. Ihr Hengst Pax stand vor ihr, von oben bis unten dreckig, die Hufen irgendwo zwischen dem alten, muffigen Stroh und so knapp angebunden, dass das Tier nicht einmal die Möglichkeit hatte, den Kopf zu wenden. „Das….“, Der jungen Frau fehlten schlichtweg die Worte, weil sie einfach nicht glauben konnte, wie man hier mit dem wertvollen Tier aus Hispania – Kaesos Geschenk! – umging. Noch einen Moment lang, stand sie wie angewurzelt, dann macht der Unglaube einer aufkochenden Wut breit. >Dafür muss jemand zur Verantwortung gezogen werden!< Ein Blick nach links und nach rechts in die Stallgasse zeigte, dass sich weit und breit kein Knecht befand. Mit resoluten, festen Schritten stapfte Cara auf das Tor zu. Wie es der Zufall so wollte, kam ihr zu seinem eigenen Pech ein junger, schlaksiger Mann entgegen, der ein Pferd am Strick führte. Den nahm sie sich vor. „He du da!“, fuhr sie den Mann, der beinahe noch das Gesicht eines Junges hatte, sie aber um ganze zwei Köpfe überragte, was ihr keinen Respekt einflößen zu schien. „Du da!“ Verwundert hob der Mann den Kopf und hielt, während das Pferd neben ihm unruhig ob der Lautstärke und der offensichtlich wütenden Frau nervös mit den Ohren zuckte.
    „Wer ist für den ersten Flügel verantwortlich…“ Wild funkelte Cara ihn an. Das wiederrum schien Eindruck auf ihn zu machen. „Äh…ich…hm. .Fräulein..das weiß ich nicht…“, erklärte er und fühlte sich sichtlich unwohl. „Und WER weiß es dann?“, >Muss man diesem Kerl alles aus der Nase ziehen?!<
    „Der Stallmeister…er ist da drüben…“, mit der freien Hand wies er auf einen kleinen Anbau seitlich des Stalls. So etwas nannte man auch „Verschlag“. Ohne ein weiteres Wort stapfte Cara darauf zu.


    Mit einem Krachen sprang die Tür der Hütte auf, in welchem der Stallmeister sein Quartier bezogen hatte und ein scheinbar wild gewordener Rotschopf stürmte herein. Tatsächlich war es nicht mehr als ein Verschlag, in welches gerade einmal ein Schreibtisch passte. Ende. Aber für die Einrichtung hatte sie ohnehin keinen Sinn. „Was für Leute werden hier eigentlich beschäftigt?!“, empörte sie sich umgehend und stützte die Hände auf die Tischoberfläche, um den Mann zu zwingen von der Schriftrolle, die er gerade eingehend studiert hatte, aufzusehen. Ein Paar tiefblauer Augen funkelte ihn an. „Wer ist für die Versorgung des ersten Stallflügels zuständig?“


    Sim-Off:

    Wer möchte kann gern den Stallmeister als NPC übernehmen – ansonsten schreibe ich allein munter weiter=)

    Da korrigierte sie doch tatsächlich ihren germanischen Gruß. Sowas. Zwar befanden sie sich in einer römischen Provinz, aber das hier war immer noch Germania. Dennoch, egal wo sie ihre Schritte setzte, die Menschen passten sich der römischen Übermacht an. Auch wenn sie es eigentlich waren, die „Zuhause“ waren.


    „Ja? Vielen Dank!“, entgegnete sie geschmeichelt und strich ein wenig den Stoff glatt. Anders als sonst, hatte sie am Morgen nicht einmal sehr viel Zeit darauf verwandt sich einzukleiden, sondern hatte spontan irgendein Gewand heraus gezogen. Aber in der Tat, die junge Iulia hatte ein hübsches Stück erwischt. Der petrofarbene Stoff war fein, fließend, umschmeichelte ihre Figur und brachte ihre zu einer einfachen Frisur gesteckten roten Haare in einen gewissen Kontrast. Ihre Verwandte Corona war es schließlich gewesen, die mit dem Schnitt des Stoffes die Perfektion aus ihm herausgelockt hatte.


    „Ja, es ist ein ziemlich weiter weg nach Roma“, gab sie zerknirscht zu und sah ihrem Gegenüber ins Gesicht. Dazu musste sie regelrecht zu der Germanin empor sehen, die sie doch fast einen Kopf überragte. Dabei war Cara selbst auch nicht gerade klein. Zumindest für eine Römerin. „Wir waren Monate unterwegs. Und für mich war es jetzt schon die zweite Reise innerhalb eines Jahres.“ Bei all der Reisezeit blieb gar keine richtige Zeit, um Anzukommen, sich einzuleben. Was ihre Verwandten betraf, da hatten die beiden Frauen wohl unterschiedliche Ansichten.


    „Na ja…ich wäre eigentlich lieber in Rom geblieben. Und meine Verwandte Corona wohl auch“, gestand sie. „Aber der Hausherr der stadtrömischen Casa bestand darauf.“ Dementsprechend angespannt war auch das Verhältnis zwischen ihr und Iulius Centho gewesen, denn so impulsiv und hitzköpfig der Rotschopf zuweilen war, hatte sich Cara natürlich nicht einfach so ohne größere Diskussion fügen können. „Verwandte eben“, erklärte sie lapidar und zuckte die Schultern, als sage das schon alles. Ihr Groll hatte sich mittlerweile wieder einigermaßen gelegt. Immerhin durften sie im großen Praetorium leben und Lucius hatte ihnen erlaubt zu Pferd nach Mogontiacum zu reisen. Das verschwieg sie aber lieber.
    „Vielen Dank! Ich denke, dass es ihr schon wieder besser geht seit dem Brief, den sie an meinen Verwandten schickte…“, erwiderte die junge Frau. Zu gern hätte sie die Epistel ja selbst gelesen, denn sie war sich sicher, dass Lucius maßlos übertrieben hatte, um sie doch noch dazu zu bewegen, nach Mogontiacum zu kommen. Lächelnd stimmte sie zu.


    „Ja, warum nicht. Ich suche ein paar Vasen und andere Gefäße für mein Übergangszuhause…“ Dass sich dieses „Übergangszuhause“ im Castell befand, ließ sie vorerst fallen. Langsam und gemütlich setzten sie sich in Bewegung. „Du bist arbeitslos? Was hast du denn vorher gemacht?“, Es wunderte sie schon ein wenig. Es kam selten vor, dass sich Frauen außerhalb der Trinität Küche, Kinder, Tempel nach einer Beschäftigung umsahen. Dass sie sich selbst als „arbeitslos“ bezeichnete, konnte nur bedeuten, dass sie schon zuvor gearbeitet hatte.

    Die schmalen Brauen der Iulia hoben sich in Überraschung. Der Duccier tot?! Natürlich kannte sie ihn nur vom Hören-Sagen. Oder besser gesagt „hatte gekannt“. „Das tut mir Leid. Das muss ein schwerer Schlag für die Familie gewesen sein. Und auch für das Handelskonsortium. Wer wird das Geschäft jetzt übernehmen?“, Und obschon Cara die Frage etwas intim schien, siegte dennoch ihre Neugierde: „An was ist er gestorben?“, Notfalls konnte sich der Mann immer noch mit einer fadenschneidigen Antwort herauswinden. Dass es sich bei dem genannten römischen Offizier nur um den Decimer handeln konnte, war klar. Er selbst hatte es ja erwähnt den Vinicier abgelöst zu haben. Cara glaubte zwar nicht, dass der Mann näheres wusste, aber schon der Umstand, dass auch nur die kleinste Möglichkeit bestand genaueres über ihren Gastgeber zu erfahren, was ihr von Nutzen im Umgang mit ihm sein konnte, ließ sie es wagen, doch nachzufragen: „Weiß man in dieser Stadt irgendetwas über diesem römischen Offizier? Irgendwelche Gerüchte? Gerede?“ Der Iulia war bewusst, dass es für den Mann so aussehen musste, selbst wenn sie es ihm in der ihr größtmöglichen Beiläufigkeit antrug, als ob sie sich persönlich für den Mann interessiere. Immerhin war sie jung und trug noch keine, sie als römische Matrona auszeichnenden Insignien. Cara war es gleich. Sollte er denken, was er wollte.


    Man konnte Amon förmlich ansehen, wie er auf „Verhandlung“ umschaltete. 15 Sesterzen! >Dreist<. Aber es sprach auch für den Mann. Klar, dass es so viel wie möglich für seine Arbeitgeber heraus holen wollte. Zudem kam wohl, dass er glaubte einer Stadtfremden gegenüber zu stehen, einer Römerin. „Ist da noch ein Extra dabei? Ich kann die Blumensträuße nirgends sehen“, Sie reckte den Hals, als suche sie etwas. „ Anders kann ich mir diesen stolzen Preis nicht erklären – Qualität hin oder her“, entgegnete sie lächelnd und ließ sich von Amons Geschäftsgebaren weder einlullen noch einschüchtern.

    Zweifelsohne war Mogontiacum weit entfernt von Rom. Auch bestand keinerlei Zweifel darin, dass man die entfernteren Provinzen nur zu gern als eine Art „Strafkolonie“ nutzte und zweifellos besaß der ältere Senator die nicht zu unterschätzende Fähigkeit selbst in einer misslichen Lage noch das Gute zu sehen. Cara versuchte zwischen den Zeilen zu lesen, jene Worte zu erhaschen, die der Mann nicht offen aussprach. Es war nicht seine Idee gewesen, nach Germania zu kommen, weil er anderen „unliebsam“ war oder, die zweite These, er hatte freiwillig die Flucht ergriffen, um eben seinen Widersachern, von denen es anscheinend einige gab, für eine Weile zu entkommen. „Eine Weile“ würde dabei dieses Mal wohl länger ausfallen.


    Die junge Iulia kam nicht umhin zu schmunzeln, als er die harten germanischen Winter erwähnte. Es hatte Jahre gegeben, da hatte sie als Kind in meterhohen Schneehaufen gespielt und sich mit den Nachbarsjungen wilde Schneeballschlachten geliefert, eine gelbe Mütze auf dem Kopf. Wenn sie an ihre Kindheit zurück dachte, dann gehörten diese Erinnerungen zu den intensivsten.


    Einen raschen Seitenblick warf Cara dem Mann an ihrer Seite zu, als er Parthia erwähnte; Die schmalen Brauen überrascht erhoben, war es letztlich Verwirrung, die Oberhand über ihre Empfindungen gewann. Der Sarkasmus, in welchem seine Stimme förmlich ertrank, entging ihr nicht…aber es war das schon „fröhlich“ zu nennende Lächeln seiner Lippen, die ihn in diesem Moment unlesbar für Cara machte. >Es scheint ihn noch zu beschäftigen…andernfalls hätte er es nicht erwähnt…< Sein Vergleich wiederrum konnte nur bedeuten, dass er nicht freiwillig nach Germanien gekommen war.


    Sie kamen ins Atrium. Geschäftiges Treiben hing in der Luft, denn eine Hand voll Sklaven war damit beschäftigt einige fein gearbeitet Masken an die Wände anzubringen und Statuen an geeignete Orte zu verteilen. Vorsichtig schoben zwei kräftige, etwas kurz geratene Männer, ein marmornes Kunstwerk auf einen Sockel. Es war eine Frau, deren Gestalt weitestgehend von einem fließenden Gewand umhüllt wurde. Neugierig blieb Cara stehen, neigte den Kopf aufmerksam zur Seite, während sie des Decimer´s Worte weiterhin lauschte. Es war ein schönes Stück, geschaffen von einem Künstler, der wusste, was er zu tun hatte, um das Kunstwerk aus einem Block kalten Marmors zu befreien. Der Legat besaß Geschmack, auch wenn es bei ihm, einem Mann des Militärs, wohl eher zufälliger und nicht begründeter Natur war.


    „Du magst den Winter wohl nicht – die Kälte meine ich“, eröffnete Cara und wandte sich zu ihm um. Da stand sie und lächelte ihn an. „In der kalten Jahreszeit kann der Schnee hier meterhoch liegen. Wir Kinder haben dann immer gern Schneeballschlachten veranstaltet“, Sie schwieg einen Moment, sich dessen wohl bewusst, dass sie ihm auswich und gleichzeitig einen weitaus tieferen Einblick gab, als für sie gut war. Wie konnte er sie nur nach der Zukunft fragen – ahnte er die Antwort nicht ohnehin? Es gab nur eine Antwort, die öffentlich vertretbar war. Decimus war ein Fremder. „Natürlich möchte ich wie jede junge Frau nur das Beste für meine Familie. Sie wird mir meine Zukunft weisen…“, antwortete sie mit einem verschmitzten Lächeln, das sich auch auf ihren Augen wiederspiegelt und eine leise Verheißung dessen war, was dahinter lag.

    Was das für ein Wink des Schicksals sein sollte, war Cara im Moment nicht ganz klar. Schon als kleines Kind hatte sie dieses Castellum von innen gesehen. Es war ihr daher nicht unbekannt. Zeitweise hatte die Familie hier sogar gewohnt, ehe Tiberius seiner Ehefrau ein Haus außerhalb des Lagers gekauft hatte. „Es wird schon seine Gründe haben“, entgegnete sie diplomatisch. „Wer weiß schon, welche Pläne Fortuna mit uns Menschen hat…“ Die junge Iulia sah zu ihm auf und lächelte.


    Ein junger Sklave huschte mit gesenktem Blick und einem abgedeckten Korb auf dem Arm eilfertig an ihnen vorbei. Ein Hauch nach frischem, duftendem Brot verharrte schwebend in der Luft – und erinnerte Cara daran, dass ihr Frühstück und Mittagessen reichlich karg aus einem Paar Äpfel bestanden hatte.

    Dass der Legat bei all der Arbeit noch Zeit für persönliche Gespräche hatte? Ein Mann in seiner Position war sicherlich mit seiner Pflicht verheiratet. Der Tod seiner Frau hatte dazu sicherlich noch seinen Teil beigetragen. Obschon Cara von Natur aus ein neugieriger Mensch war, konnte sie den Besprechungsräumen in der Tat nichts abgewinnen. Was sollte sie da schon anderes vorfinden, als ein paar Tische und Stühle. Dann lieber die culina. Der Duft des Brotes hing ihr immer noch in der Nase. „Du sagtest, du seist schon einmal in Germania gewesen…und nun schon wieder…fühlst du dich denn hier wohl? Wie stehst du zu dieser Provinz?“

    Der Mann, Amon, wie er sich Cara vorstellte, nahm sich ihrer sogleich an und führte sie an verschiedenen Marktständen vorbei. Es war wohl kein Zufall, dass er sie direkt an einem Stand mit bunten Stoffbahnen und einem zweiten Händler mit fein gearbeiteten Broschen entlang geleitete. Ein feines Lächeln kräuselte die Lippen der Iulia. Da hatte sich das Handelskonsortium offensichtlich einen sehr fähigen Geschäftsmann in die Dienste gestellt. Zu ungeplanten Einkäufen würde sie sich heute zwar nicht verführen lassen, aber sie fühlte sich bei Amon gut aufgehoben. Zumindest hatte es sich Cara fest vorgenommen, auf unnötige Einkäufe zu verzichten. Wie es am Ende des Tages mit der Erfolgsbilanz dieses Vorhabens aussehen würde – das wussten nur die Götter.


    Die Auslage des Keramikhändlers erwies sich als sehr üppig. Amon verwies auf einzelne Stücke; Szenen aus den Geschichten rund um Hercules, Atlas mit der Erdkugel auf dem Rücken, Nymphen und allerhand andere mythische Motive neben dahin stiebenden Rehen und Menschen in festlichen Gewandungen…In der Tat befanden sich einige Vasen und Schüsseln dabei, dir ihr sogleich durch ihre moderne Gestaltung in Farbe, Motiv und Linienführung ins Auge fielen. Es kitzelte sie schon in den Fingern, als ihr Blick über eine hellblaue Vase mit Nymphenmotiv glitt. >Für einen Legaten ist das aber bestimmt zu verspielt…< Vor allem, wenn er in der Praetoria Besucher empfing. >Militärisch gerade, schlicht…< Also doch eher jene Vasen mit einfachem Dekor oder jene die durch ihre besondere Form auffielen. Eine weiße, bauchige Vase fiel ihr ins Auge, die sich nach oben hin in einem sanften Bogen wieder öffnete…oder besser noch, sie bemalte sie selbst. Cara spürte, wie Amon sie abwartend beobachtete. Die Kundenbetreuung der Freya. Mit ihrer nächsten Frage rechnete der Mann wohl nicht: „Was gibt es neues hier in Mogontiacum? Du als Verkaufsgehilfe müsstest doch darüber Bescheid wissen…“, Prompt glitt ihr Blick zurück zu den Vasen. „Diese dort…wie viel möchtet ihr dafür?“, fragte sie und sprach mit dem „ihr“ sowohl Amon als auch den Verkäufer an, als sie auf eben jene weiße Vase und ihre Schwester, eine gleichfarbige mit schwarzer, schlichter Verzierung deutete.


    Sim-Off:

    Danke fürs Einspringen;)


    AD
    Marcus Iulius Licinus
    Legio I Traiana
    Italia, Mantua


    Sei gegrüßt Großonkel!


    Du bist in Mantua?! Mutter hat es mir heute Morgen erzählt, als ich sie besucht habe. Es ist so schade, dass ich das erst jetzt erfahren habe, dann hätten wir – Iulia Corona und ich – dich besuchen können. Schon so lange liegt es zurück, dass wir einander begegnet sind. Ob du mich überhaupt wieder erkennst? In den letzten Monaten ist eine ganze Menge passiert, so viele neue Eindrücke wurden mir zuteil, dass es mir schlichtweg an Zeit fehlte, dir eine anständige Epistel zu schreiben. Das werde ich jetzt nachholen.


    Mein Aufbruch Anfang des Jahres nach Rom stand wohl unter keinem guten Stern. Ich habe Iulius Centhos Verlobungsfeier mit Furia Calliphana verpasst – wegen eines fürchterlichen Fiebers, das mich ans Bett gefesselt hat. Mutter glaubte mich wohl schon in Plutos Händen. Ich selbst kann mich an diese Zeit kaum noch erinnern. Vieles verschwindet hinter einem Schleier. Manchmal brechen Satzfetzen darauß hervor; Satzfetzen und unklare, verschwommene Bilder. Fortuna war mir gnädig, ich habe die Stärke meines Vaters geerbt. Kaum hatte ich mich erholt, machte ich mich zum Unmut Mutters nach Roma auf. Zugegebenermaßen war es ziemlich riskant diese Reise im Winter anzutreten, aber ich konnte einfach nicht noch länger warten! Leider nutzt meine Leibsklavin die Gelegenheit, um zu fliehen. Auf einmal fand ich mich mutterseelenallein und ohne Adresse auf einem kleinen Seitenmarkt wieder. Es war und ist nicht einmal Wut die ich zuerst und jetzt empfinde, sondern schlichte, alles durchdringende…Enttäuschung. Ich dachte eigentlich, dass wir uns gut verstehen. Keine war mir so nahe wie Sophie. Ihr Verrat tat und tut weh. In Zukunft werde ich darauf achten, Sklaven und Bedienstete emotional nicht mehr so nahe an mich heran zu lassen.


    Den Weg zur Casa fand ich dennoch. Ich fragte einen Passanten, der mich sogar nach Hause geleitet. Senator Aurelius Ursus. Stell dir das einmal vor, Onkel! Ein Senator, der mich nach Hause bringt! Ein wirklich sehr freundlicher Mann. Iulius Centho war davon nicht sehr begeistert. Kennst du ihn? Hattet ihr schon Kontakt zueinander? Also nicht, dass mich ein fremder Mann geleitete – immerhin ist er Senator – sondern, dass ich allein in Roma unterwegs war. Dabei konnte ich gar nichts dafür. Er appellierte erst einmal an mein Bewusstsein eine Iulia zu sein und predigte dann, wie sich eine solche zu verhalten habe. Als ob ich das nicht wüsste. Auch wenn Lucius dies bezüglich sehr streng ist, mag ich ihn ganz gern. Er kann auch sehr großzügig sein. Alles was er tut, ordnet er dem Ziel unter, die gens in Roma zurück zu Ehre und Ruhm zu führen. Eine schwere Last, die da auf jungen Schultern ruht. Ich kenne ihn noch nicht so gut, um sagen zu können, ob das nicht auch eine gewisse Gefahr darstellt. Welche Gefahr, wirst du jetzt fragen. Ich meine damit die Bereitschaft einzelne Mitglieder zum Wohle der Familie zu „opfern“. Aber eigentlich will ich ihm das nicht unterstellen. Dieses Jahr hat er übrigens sein Tribunat angetreten und von der Hochzeit hast du sicherlich auch gehört. Furia Calliphana ist wirklich eine sehr nette Frau. Mit ihr und Iulia Corona – sie ist die Tochter Pompei Lucias, einer guten Freundin meiner Mutter -, die erst vor kurzem ebenfalls aus Ara Agrippinensum nach Rom gekommen ist, werde ich nach meiner Rückkehr aus Mogontiacum ein Fest organisieren; Das hat Centho uns versprochen.


    Mittlerweile sind wir nämlich wieder in Germania. Corona und Phocylides, der Maior Domus der stadtrömischen Casa haben mich begleitet. Wir besuchen hier meine Mutter, die nach einem Brief Centhos Sorge bezüglich ihres Gesundheitszustandes geweckt hat. Also wurden wir zurückgeschickt. Wohnen tun wir jedoch nicht in der Casa Iulia. Der Legat Marcus Decimus Livianus hat uns in der Praetoria aufgenommen - um Streitereien zwischen mir und meiner Mutter vorzubeugen. Der Mann ist freundlich zu uns und sorgt dafür, dass uns nichts fehlt. Und unsere vorübergehende Unterkunft ist großartig! Die Märkte haben wir hier bereits wieder unsicher gemacht. Insgesamt dürfte mir die Rück-Eingewöhnung nicht sehr schwer fallen. Immerhin wurde ich hier geboren.


    Wie ergeht es dir in Mantua? Wie lange wirst du dort stationiert sein? Was gibt es sonst noch für Neuigkeiten?


    Liebe Grüße,


    deine Großnichte Cara


    Sim-Off:

    Einmal Familienkarte bitte!=)

    Die junge Iulia war stehen geblieben und verschaffte sich aufmerksam einen kurzen Überblick. Hier, am Seiteneingang gab es in der ersten Reihe hauptsächlich Korbwaren, Lederwaren schlossen sich an, dazwischen Glasgegenstände; in zweiter Reihe Stoffe, Kleider, Schmuck, verschiedene Dienstleister und erst ganz hinten, dort, wo es kühler war, konnte man hochwertige germanische Lebensmittel erstehen. >Wo zuerst hin?< Ihr Blick blieb an einem Paar blauer Augen hängen. Sie gehörten zu dem sommersprossigen Gesicht einer blondhaarigen, großen Frau. >Eine Germanin< Irgendetwas an ihr weckte Caras Neugierde. Der Mantel, den sie über ihrer Gewandung trug und die Mütze auf ihrem Kopf waren doch eher untypische Kleidungsstücke für eine Frau- Zwischen all den Ständen machte sie zudem einen etwas verlorenen Eindruck auf die Iulia. Sie erwiderte das freundliche Lächeln, mit welchem sich die Fremde nun näherte.


    „Salve! Iulia Cara ist mein Name“, erwiderte Cara und das Lächeln wuchs sich angesichts des germanischen Grußes zu einem Grinsen aus. >Ich habe es doch vermisst<, gestand sie sich nun ein. Die Vielfalt der Kulturen, die hier viel deutlicher zu spüren und zu fassen war als in Roma. Und tatsächlich, spätestens jetzt, da sie auch ihren Namen nannte, bestätigte sich ihre Vermutung voll und ganz. >Eine Duccia<. Die gens war germanischer Abstammung, hatte aber römisches Bürgerrecht erhalten. „Das kann sein. Der Stoff stammt aus Roma – ich selbst wurde aber hier geboren. Die letzten Monate verbrachte ich allerdings bei meinen Verwandten in der Hauptstadt. Nachdem es meiner Mutter aber nicht so“…an dieser Stelle zögerte sie einen Moment…“gut ging und die Sommerhitze in Rom allmählich eingesetzte, wurden wir für die Sommermonate zurückgeschickt“, erklärte sie. Den Aspekt, dass sie damit eher nicht so glücklich war, verschwieg sie lieber…