Beiträge von Flavia Nigrina

    Natürlich antwortete Sextus nicht. Was hatte sie auch erwartet? Er tat in solchen Sachen doch nie das, was sie gerne hätte. Nicht so wie ihr Vater, der immer versucht hatte sie irgendwie zufrieden zu stellen, zumindest wenn es möglich war. Nur wenn es sich um Themen gehandelt hatte, die wichtig waren, hatte Aetius sich niemals erweichen lassen – und Nigrina hatte bereits früh gelernt, wann sie es bei ihrem Vater gar nicht erst zu versuchen brauchte. Ihr Mann allerdings setzte da ganz andere Maßstäbe. Und er war schon gar nicht so wie Aulus, der ihr dann immerhin Kontra gab, nicht das eines Erwachsenen, sondern ein ebenso temperamentvolles. Ja, mit Aulus konnte sie sich wunderbar streiten.
    Nein, Sextus regte sich nicht auf, und es ging ihm auch nicht darum, ob ein Thema wichtig war oder nicht. Und das wiederum machte es für Nigrina schwer einzuschätzen, wann es bei ihm besser angeraten war, sich zusammenzureißen. Sie hegte ja inzwischen den argen Verdacht, dass es bei ihm einfach immer besser war, sich zusammenzureißen. Was ihr aber elend schwer fiel.


    Nigrina presste die Lippen aufeinander, während sie ihm zuhörte. So ruhig, so vernünftig trug er seine Worte vor. So... unmöglich. In Situationen wie diesen fragte sie sich immer, wie um alles in der Welt er das schaffte, so ruhig zu bleiben. Sie schlug ein Bein über das andere und lehnte sich in ihrem Sessel zurück, bemüht, sich gelassen zu geben, aber in ihr brodelte eine bunte Gefühlsmischung – immer noch der Ärger darüber, dass ihr Plan nicht so funktioniert hatte wie sie wollte, immer noch ein wenig Fassungslosigkeit, dass Sextus es herausgefunden hatte, immer noch das unangenehme Gefühl, sich zu kindisch aufgeführt zu haben, und zunehmend das etwas perplexe Staunen, das sie immer erfasste, wenn sie ihren Mann in einer solchen Situation so... so unfassbar gefasst erlebte. Wie MACHTE er das? Sie an seiner Stelle wäre vermutlich schon längst ausgeflippt, sie hätte wohl nicht einmal die erste Frage so ruhig gestellt, und wenn sie das Ganze von seinem Standpunkt aus betrachtete, dann musste sie auch zugeben, dass er Recht damit hätte. Sie war immerhin seine Frau. Und sie war nun schon eine Weile schwanger, ohne es ihm bisher gesagt zu haben.
    Und dann fing er auch noch an, ganz allgemein über die Nachwuchs-Frage zu plaudern! Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Du glaubst doch nicht, dass ich das Risiko eingehe unfruchtbar zu werden, bevor ich dir einen oder besser mehrere Erben geboren habe?“ Sie zwang sich, ruhig zu sprechen, auch wenn sie nicht vermeiden konnte, dass in ihrer Stimme immer noch ein unwilliger Unterton mitschwang. „Und ja, ich bin schwanger.“ Sie verkniff sich auch das schnippische zufrieden?, das ihr auf den Lippen lag. Einen Augenblick presste sie dann erneut eben jene aufeinander, bevor sie seufzte.
    „Ich hätte dir das schon noch gesagt. Ich meine, bevor irgendwer anders etwas hätte merken können. Und auch bevor du etwas hättest merken können, jedenfalls war das der Plan.“ Wirklich zu merken würde die Schwangerschaft doch erst dann sein, wenn sie sich an ihrer Figur zeigte. Und was das betraf war Sextus ohnehin der Kandidat mit den größten Chancen, ihre Schwangerschaft als erstes zu bemerken. Eine Gewichtszunahme, die sich noch dazu auf einige ganze konkrete Bereiche ihres Körpers konzentrierte, war wohl einige Zeit lang zu verschleiern, wenn man bekleidet war, und noch einige Zeit länger, wenn man seine Kleidung geschickt wählte – aber eben nicht nackt. Und Sextus war nicht nur der einzige, der sie nackt zu sehen bekam – Sklaven zählten ja nicht –, sondern dürfte ihren Körper ebenso gut kennen wie sie selbst. Nein, zu warten, bis er oder jemand anderes tatsächlich hätte erkennen können, dass sie schwanger war, war nicht Bestandteil ihres Plans gewesen. Deswegen war sie ja gerade auch so angefressen. Dass er sie darauf ansprach, egal ob nun jetzt oder irgendwann später, hatte sie nicht im Sinn gehabt, als sie beschlossen hatte Sextus noch nicht einzuweihen.
    „Weißt du, wie viele Frauen ein Kind verlieren, gerade in der ersten Zeit der Schwangerschaft? Sollte mir das passieren, ist es mir lieber, wenn das keiner mitkriegt. Dann kann's mir auch keiner vorhalten. Oder mit geheucheltem Mitleid ankommen.“ Nigrina verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran. „Und so lange von der Schwangerschaft noch nichts zu sehen ist, lässt sich ein solches Szenario wunderbar vermeiden.“

    Nigrina musterte ihren Mann, als dieser nun dazu ansetzte ihr zu erzählen, weswegen er gekommen war. Was er allerdings sagte, kam so unvermittelt, dass ihre Miene für einen Augenblick nur Fassungslosigkeit zeigte, während sie ihn für Augenblicke einfach nur anstarrte.


    Bitte WAS war das?


    „Woher weißt du davon?“, fragte sie dann nach einem Moment, und ihrer Stimme war nichts von der Fassungslosigkeit zu entnehmen, die ihre Miene gerade eben noch gezeigt hatte. Nigrina klang vielmehr lauernd, und ähnlich war der Ausdruck, der sich nun in ihren Augen und auf ihrem Gesicht ausbreitete. Woher hatte er das bitte, dass ihr vor allem morgens ständig übel war? Woher wusste er das, und wer hatte es ihm auf eine Art gesteckt, dass er offenbar auch wusste oder wenigstens vermutete, dass sie schwanger war? Denn dass er sich nach ihrem Befinden erkundigte, missverstand Nigrina keinen Moment für echte Besorgnis – das hätte sie nicht einmal dann getan, wenn er nicht noch gefragt hätte, ob sie ihm etwas mitteilen wolle. Oder die kleine Anmerkung mit den Überraschungen hinterher geschoben hätte. In ihr begann schon wieder Wut zu brodeln, aber diesmal war es eine eisige, eine, die nicht so schnell und explosiv nach außen drang. Sie mochte Überraschungen ebenso wenig wie er. Und sie mochte es nicht, wenn jemand Geschichten über sie verbreitete.
    Nicht, dass diese konkrete Geschichte nicht stimmen würde. Ihr war übel, und diese Übelkeit hatte ihren Grund darin, dass sie schwanger war. Sie war es schon seit mindestens fünf Wochen, eher länger. Und fast genauso lange hatte sie auch schon den Verdacht – der vor knapp vier Wochen dann mehr oder weniger zur Gewissheit geworden war, als sie eine Hebamme hatte kommen lassen. Und die Entwicklung seither deutete ganz daraufhin, dass die Hebamme Recht gehabt hatte mit ihrer Einschätzung. Die Übelkeit, die Schlappheit, all das, was so unglaublich nervend war an dem Blag, noch bevor sie es überhaupt – unter Schmerzen! – auf die Welt bringen konnte, wo es noch viel mehr nerven würde.
    Die Neuigkeit ihrem Mann mitzuteilen, daran hatte sie allerdings nicht im Traum gedacht – ganz im Gegenteil, sie hatte sich bewusst dagegen entschieden, ihn jetzt schon zu informieren. Und das ganze vor ihm geheim zu halten, war auch nicht allzu schwer gewesen. Jedenfalls hatte sie das bisher gedacht. Es war ja nicht so, dass sie ständig aneinander klebten, ganz im Gegenteil. Er hatte seine Beschäftigung, sie die ihre. Sie aßen für gewöhnlich zusammen, sie suchten häufiger das gemeinsame Gespräch – Nigrina vor allem dann, wenn sie irgendwelche Informationen hatte von denen sie glaubte, sie könnten wichtig für ihn sein; sie nahm ihre Rolle als Ehefrau in dieser Hinsicht durchaus ernst. Und natürlich schliefen sie miteinander, was auch… nun, nicht gerade selten vorkam. Was allerdings auch nicht hieß, dass sie jedes Mal die ganze Nacht miteinander verbrachten. Ebenso häufig kam es vor, dass sie oder er – oder beide, je nachdem wo sie waren – sich anschließend in die eigenen Gemächer zurückzog. Und wenn sie tatsächlich zusammen einschliefen, dann stand er in aller Regel früher auf als sie, früh genug, dass die morgendliche Übelkeit bei ihr noch nicht eingesetzt hatte. Sie wusste nicht, ob er überhaupt einmal mitbekommen hatte, wie sie sich übergeben hatte – wenn es so weit war, war sie kaum in der Lage auf mögliche Zuschauer zu achten –, aber selbst falls das mal der Fall gewesen sein sollte: er war ein Mann. Und als solcher in ihren Augen per se ein Nichtwisser, was Frauendinge betraf.


    Nein, Nigrina mochte Überraschungen nicht. Sie mochte es auch nicht, wenn jemand Geschichten über sie erzählte. Und sie konnte es absolut nicht ausstehen, wenn jemand ihre Pläne durchkreuzte.
    Und doch war genau das geschehen. Sextus saß ihr gegenüber und warf ihr im übertragenen Sinn etwas vor die Füße, was in ihren Ohren nur eines bedeuten konnte. Und was ihren Plan damit zunichte machte, denn seine Worte einfach abzutun, seine Frage als Gelegenheit zu nutzen, mit einem simplen Nein zu antworten, der Gedanke kam Nigrina nicht einmal ansatzweise. Es machte keinen Sinn. Die Schwangerschaft geheim zu halten, so lange es möglich war, war eine Sache. Ihren Mann deswegen anzulügen hingegen eine völlig andere – gerade weil er früher oder später sowieso davon erfahren und sich ihre Lüge damit entlarven würde.


    Aber woher bei Pluto wusste er davon?

    Nigrina scherte sich nicht darum, dass manche der Mienen direkt um sie herum etwas zweifelnd schienen, etwas distanziert, manche gar etwas überheblich. Was zählte, war die Masse, und die zeigte sich durchaus beeindruckt genug für ihren Geschmack. Worum ging es hier? Um Macht. Und es war ihr Mann, der da stand und zum Volk sprach. Ihr Mann, der in diesem Augenblick Macht hatte. Und das hatte er, gerade weil er einfach blieb. Die stumpfsinnigen Plebejer in den hinteren Reihen hätte Sextus sonst sicherlich nicht erreicht.


    Sie lächelte Piso an und drückte leicht seine Hand, als er sie ergriff, wusste sie doch, wie viel Wert er auf solche Gesten legte. Mehr Wert als sonst jemand ihrer engsten Familie, nicht einmal Vera hatte so viel Wert auf Körperkontakt gelegt wie Aulus. Oder, nun ja, vielleicht lag das auch nur an der Beziehung, die sie persönlich zu Vera gehabt hatte. Ihr Bruder in jedem Fall freute sich immer über so was. „Danke, ja“, akzeptierte sie einen Becher Wein, bevor sie fortfuhr: „Könnte mir gar nicht besser gehen. Was ist mit dir? Und du, Flaccus, wie hast du dich in Rom eingelebt?“ Als sie sich verlobt hatte, war Flaccus bereits in Rom gewesen, aber erst seit kurzem, wenn sie sich richtig entsann.
    Als sie anschließend Pisos Kommentar hörte, konnte sich Nigrina ein Schmunzeln nicht verkneifen. Sie wusste ja, wie er über Sextus dachte. Es war ja nicht so, als ob sie nicht schon einige Male genau darüber gestritten hatten – und wie. Umso triumphierender nahm Nigrina nun zur Kenntnis, dass er jetzt nichts zu sagen wagte.
    Dann allerdings bemerkte sie Pisos Grinsen, und sie stieß ihm leicht mit dem Ellbogen in die Seite. „Was grinst du so? Oh, da fällt mir ein: ich hatte noch gar keine Gelegenheit, dir zu gratulieren, Senator.“ Jetzt war es an ihr zu grinsen. Während sich die Pontifices zurückzogen, warf sie ihrem Bruder einen anerkennenden Blick zu. Seine Ernennung war noch nicht allzu lange her, und sie hatte eigentlich geplant gehabt, ihn deswegen zu besuchen.

    Nigrina warf ihrem Mann einen zornfunkelnden Blick zu, als dieser es doch tatsächlich wagte, das Wort Sesterzen in den Mund zu nehmen. Dass er sich da manchmal etwas hatte, das hatte sie in der Zwischenzeit auch gemerkt. Aber in Momenten wie diesen scherte sie sich nicht sonderlich um die Kosten dessen, was sie da zerstörte. Sie scherte sich ja nicht einmal sonderlich darum, was sie durch die Gegend warf. Und sie war ja nun nicht völlig mittellos in diese Ehe gekommen, im Gegenteil – ihre Mitgift betrug einiges, und ihr selbst hatte ihr Vater auch ein nicht unbeträchtliches Vermögen mitgegeben. Eine Flavia war nicht vom Gutdünken ihres Ehemannes abhängig. Das passte nicht. Und Geld war etwas, was man hatte. An dieser Einstellung hatte noch nicht einmal die Tatsache etwas ändern können, dass, seit sie verheiratet war, nicht mehr ihr Vater einfach zahlte, sondern sie ihr eigenes Vermögen zu verwalten hatte. Oder dass sie sich um diesen Haushalt kümmerte, bei dessen Führung ihr engere finanzielle Grenzen gesteckt waren als sie es in ihrem eigenen privaten Bereich gewohnt war. So oder so hatte sie allerdings, wenn sie wütend war, nicht den geringsten Nerv, sich mit solchen Kleinigkeiten abzugeben. Gerade deshalb verzichtete sie darauf, Sextus etwas entgegen zu fauchen auf seinen Kommentar. Es war eine Kleinigkeit, die nur von dem ablenkte, was hier wirklich das Problem war. Ihr Vater. Und das Gör. Das in Rom bleiben durfte, jetzt schon, mit 13!


    Einen Augenblick herrschte Schweigen in dem Raum, während die Sklavin, begleitet von zwei anderen, verschwand. Danach ergriff ihr Mann das Wort, und er handelte sich gleich noch einen wütenden Blick ein. Konnte er nicht EINMAL ihre Partei ergreifen? Sich mit ihr aufregen? Aber nein, er musste immer die Stimme der Vernunft geben, was sie meistens noch mehr aufregte – gleichzeitig tat er das aber auf eine Art, die es ihr schwer machte, weiter zu toben, so sehr sie das manchmal auch wollte. Weil sie sich dann immer so lächerlich und kindisch vorkam. „Zwei Jahre! Aber nein, er musste ja warten, bis er sich mit deinen Eltern einig war!“ maulte sie trotzdem – obwohl es ihr inzwischen selbst kindisch vorkam, und obwohl er kein weitergehendes Interesse an diesem Fakt gezeigt, geschweige denn eine eigene Einschätzung auf ihre – zugegeben rhetorische – Frage gegeben hatte. Was Nigrina aber nicht daran hinderte, es ihm trotzdem zu sagen. Zumal es noch schöner passte auf seinen Kommentar hin. „Na sicher, verheiraten wir das Gör jetzt schon! Ist ja nicht so als ob ich freiwillig gewartet hätte bis ich 17 war! Aber weißt du, vielleicht zeigt sich da ja ein Muster, Leontia wollte Papá nicht weglassen, bei Vera hatte er kein Problem, mich wollte er nicht weglassen, die Kleine ist wieder kein Problem.“ Ja. Neben der Erklärung, dass das Gör ihn wohl einfach stören würde – ganz im Gegensatz zu ihr natürlich! –, war das doch eine Erklärung, die ihr gefiel. Natürlich nervte es sie trotzdem, dass ihre Halbschwester Rom jetzt schon in Rom bleiben durfte, aber der Gedanke, dass das nicht daran lag, dass das Gör womöglich ihr den Rang in der Gunst ihres gemeinsamen Vaters ablief, sondern Ausdruck des genauen Gegenteils war, der besänftigte Nigrina.


    Immer noch missmutig folgte ihr Blick Sextus, als dieser nun durch den Raum ging und sich hinsetzte. Bei seinen Worten legte sie allerdings den Kopf ein wenig auf die Seite. Sie hätte sich eigentlich immer noch aufregen können, aber er hatte leider recht: es brachte nichts. Und sie wusste weder, was die Beweggründe ihres Vaters gewesen waren, noch kannte sie das Mädchen. Sextus' letzter Kommentar dagegen machte sie neugierig, und sie wusste auch, dass er nichts sagen würde, so lange sie am Toben war. Würde sie auch nicht. Nun ja. Einen Moment zögerte sie noch, dann zuckte sie die Achseln und kam zu ihm herüber, wo sie sich ihm gegenüber hinsetzte. „Was gibt’s?“

    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso und Quintus Flavius Flaccus


    Nigrina hatte es sich selbstverständlich nicht nehmen lassen, sich an diesem Tag ebenfalls in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Oder besser gesagt: es war schlicht selbstverständlich für sie, ihren Mann bei einem solch wichtigen Termin zu begleiten. Es war immer gut, öffentlich Einigkeit zu demonstrieren, eine intakte Ehe, eine unterstützende Gemahlin, das ganze Drumherum eben, das so viel wert sein konnte. Da spielte es keine Rolle, dass sie eigentlich gar keine Lust darauf hatte, eine halbe Ewigkeit in der Gegend herumzustehen und sich zu langweilen. Auch wenn Sextus' und ihre Ehe aus rein politischen Gründen geschlossen worden war, bestand sie dennoch keineswegs nur auf dem Papier, ganz im Gegenteil. Nigrina tat, was in ihren Kräften stand, um Sextus' Karriere zu fördern.


    Sie begrüßte hier eine Freundin, dort eine Bekannte, wartete in aller Ruhe die Opfer ab und ließ sich dann von ihren Sklaven einen Weg zu ihrem Bruder und einem Verwandten bahnen, als einer der Sklaven diese plötzlich entdeckte und sie darauf hinwies. „Aulus“, lächelte sie, ihr Tonfall so leise, dass er nicht stören würde. Im Augenblick wartete die gesamte Menge darauf, dass die Haruspices verkündeten, was der Wille der Götter war, und da das einige Zeit dauerte, entstand naturgemäß ein wenig Unruhe. „Flaccus. Salvete, ihr beiden. Wie schön euch hier zu treffen.“ Sie legte ihrem Bruder zum Gruß eine Hand auf den Unterarm und nickte Flaccus zu. Den Rest der Zeit wartete sie gemeinsam mit ihren Verwandten, und schließlich war es so weit.
    Ein feines Lächeln flog über ihre Lippen, als Nigrina sah, dass ihr Mann nach vorne trat, um die Worte zu verkünden. Im Grunde hätte es sie überrascht, wenn es anders gekommen wäre, nachdem der Haruspex Primus so äußerst praktisch krank geworden war und diese Rolle nicht hatte einnehmen können... aber das hieß ja nicht, dass sie sich nicht trotzdem darüber freuen konnte. Und ebenso erfreut – auch wenn sie nach außen hin eine angemessen ernste Miene zur Schau trug – stellte sie fest, wie die Menge auf Sextus' Worte reagierte. Sie glaubten ihm, was er sagte. Nigrina zweifelte nicht daran, dass es in den kommenden Tagen deutlich mehr Opfer geben würde, kleinere und größere, viele davon zu Hause, aber wohl auch in den Tempeln.
    Dann kam ihr Mann auf Diana zu sprechen, auf ihren Zorn, auf die anstehende Sühne. Und nun musste Nigrina sich zusammenreißen, um sich das Lächeln zu verkneifen. Nur in ihren Augen blitzte es anerkennend auf. Im Grunde rief Sextus zum Mord am Rex Nemorensis auf. Die Menge würde kaum etwas anderes als die gerechte Forderung der Diana in ihrem Zorn dahinter vermuten, aber sie begriff sehr wohl, was er damit letztlich erreichen würde und wohl auch wollte: dass der Mann zum Schweigen gebracht wurde, der etwas über Celerinas unsägliche Rolle in diesem ganzen Schauspiel sagen konnte. „DAS ist mein Mann“, murmelte sie, in ihrer Stimme unverhohlener Stolz, und dieser gewisse: ich hab's dir doch gesagt-Tonfall, zu ihrem Bruder gewandt. „Was sagst du nun?“

    Für einen winzigen Moment zogen sich Nigrinas Augenbrauen noch mehr zusammen. Ihr Mann wiederholte seinen Ausspruch sogar noch einmal, und sie persönlich konnte das gar nicht lustig finden. Sie war nicht niedlich. Allerdings: sie war mit mehreren Geschwistern groß geworden. Auch wenn sie das Nesthäkchen und wohl am meisten verwöhnt worden war, gab es da doch eine gewisse Schule, die man mit Geschwistern durchlief. Vera war da eigentlich außen vor gewesen, mit der hatte sie immer wenig anfangen können, aber Piso und seine Freunde, die hatten öfter mal versucht sie zu ärgern. Und dann war da noch Leontia gewesen, die von all ihren Geschwistern ihr am ähnlichsten war. Leontia hatte sie nicht geärgert im herkömmlichen Sinn. Oh nein, Leontia war auf einem ganz anderen Niveau gewesen, und von keinem hatte Nigrina so viel gelernt wie von ihrer ältesten Schwester, was Sticheleien dieser Art betraf – bis hin zu Intrigen. Sie erkannte also durchaus, wann jemand sie zu ärgern versuchte. Meistens sah sie allerdings nicht den geringsten Sinn darin, sich zusammenzureißen. Wieso auch? Sollten die Leute ruhig mitkriegen, dass sie wütend war – solange es nicht irgendwo in der Öffentlichkeit geschah, irgendein offizieller Anlass oder in Gegenwart von wichtigen, also wirklich wichtigen Leuten, hatte sie ein Recht darauf, ihrer Wut auch freien Lauf zu lassen. Allerdings gab es da immer auch die Momente im privaten Bereich, in denen das nicht ganz so angebracht war, und das hier war einer davon, aus gleich mehreren Gründen. Zum einen war das hier immer noch ihre Hochzeit. Die Feier war noch nicht vorbei, und sie hatte keine Lust darauf, den Rest des Tages beleidigt zu sein auf ihren Frischangetrauten. Zum zweiten konnte sie seinen Geschmack noch auf ihren Lippen spüren von dem Kuss gerade eben, und wer so küsste, hatte den ein oder anderen Vorschuss verdient. Und dann war da noch der Fakt, dass es schlicht lächerlich gewesen wäre, sich nun darüber aufzuregen, wo das eigentliche Thema sie viel mehr interessierte. Über das zweite Mal ging sie also, nach nur einem kurzen strafenden Blick in seine Richtung, kommentarlos hinweg.


    Und es lohnte sich. Obwohl Sextus gerade noch gemutmaßt hatte, welche Frau für seinen Verwandten wohl am taktisch besten wäre, gestand er ihr dann doch zu, dass es besser war, wenn er noch unverheiratet blieb. Ein feines Lächeln huschte über ihre Züge, begriff sie doch sehr wohl, was das hieß. Wenn Avianus noch ledig blieb, nützte das in erster Linie zunächst mal ihr. „In Ordnung“, lächelte sie also zurück. „Antonia kann ich dann fragen, wenn die Zeit stimmt.“ Dann, wenn sie und Sextus mindestens einen Erben hatten, und es sogar für sie beide irgendwann peinlich werden würde, wenn Avianus immer noch unverheiratet war.
    Bei seiner Antwort auf ihre Frage dann wölbte sich die typische flavische Augenbraue leicht nach oben. Sie legte den Kopf leicht schräg und ließ ihren Blick über seinen Körper gleiten, der nun leider von einer Tunika verborgen war – einen Blick, der deutlich machte, dass ein Bad nicht das einzige war, was ihr gerade im Sinn umging. Allerdings war ihr bewusst, dass dafür keine Zeit war jetzt. Immerhin wollte sie sich vernünftig herrichten, und das würde naturgemäß eine Weile dauern. „Schade“, seufzte sie dennoch, bevor sie auf ihn zukam. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihn zu küssen, und sie lehnte sich dabei leicht an ihn, während ihre Lippen die seinen berühren, so sacht, dass gerade darin eine gewisse Verheißung lag. „Vielleicht ein andermal. Bis gleich.“ Sie lächelte erneut ihr feines, schwer deutbares Lächeln, bevor sie sich umdrehte und den Raum verließ, um sich für den bevorstehenden Empfang herzurichten.

    Nigrina schäumte vor Wut, und das irgendjemand ohne zu klopfen hereinkam – dass sie ein eventuelles Klopfen bei ihrem eigenen Gebrüll nicht hätte hören können und entsprechend gar nicht wusste, ob geklopft worden war oder nicht, interessierte sie gerade überhaupt nicht –, befeuerte diesen Zustand eher noch. Erst als sie einen Augenblick später ihren Mann erkannte, war zumindest das wieder ein Grund zum Aufregen weniger, denn das der nicht unbedingt anzuklopfen hatte, wenn er zu ihr kam, war für sie selbstverständlich. Sie klopfte auch nicht jedes Mal an. Und Sextus war in diesem Fall eher so was wie ein, wenn schon nicht wirklich willkommener, dann doch immerhin akzeptierter Zuschauer. Sextus war immerhin jemand, mit dem sie reden konnte, ganz im Gegensatz zu der Handvoll Sklaven, die um sie herum standen und, im Fall der flavischen, die die Mehrheit ausmachten, einfach stoisch ihren Wutausbruch ertrugen, im Fall der beiden aurelischen jedoch recht hilflos bis verschreckt wirkten angesichts des emotionalen Wirbelsturms, der sich da entlud.


    Allerdings hörte Sextus' Anwesenheit in dem Moment auf, hilfreich zu sein, als er den Mund öffnete. Das war nun leider öfter der Fall, wie sie seit der Hochzeit hatte lernen müssen. Sextus ging zwar durchaus auf ihre Launen in irgendeiner Form ein, allerdings nicht in der Form, die sie gewöhnt war. Er machte überhaupt vieles nicht so, wie sie es gewöhnt war. Wie sehr ihr Vater sie eigentlich auf Händen getragen hatte, hatte sie erst in den vergangenen Monaten mit Sextus wirklich begriffen. Er behandelte sie nicht schlecht, das ganz sicher nicht, aber er... nun ja... er gab weit weniger häufig ihren Launen nach, und wenn er es nicht tat, machte er sich kaum die Mühe, es dann wenigstens so zu tun, dass sie trotzdem irgendwie zufrieden sein konnte, wenigstens halbwegs. Andererseits hatte Sextus zahlreiche Vorteile, die das wieder aufhob – was wiederum dazu führte, dass Nigrina dazu tendierte, sich bei ihm mehr zusammenzureißen als das bei anderen der Fall war. Oh, und natürlich sein Benehmen so wie jetzt, das trug auch seinen Teil dazu bei, dass sie sich manchmal – wenn auch zähneknirschend – zu beherrschen versuchte. Niedlich wollte sie ganz sicher nicht wirken. Und wie ein Kind schon mal gleich gar nicht. Was aber nichts daran änderte, dass sie sich nach wie vor immer, immer, erst mal noch viel mehr aufregte, wenn ihr Mann mit solchen Sprüchen ankam. Diesmal war es ein Becher, der in seine Richtung segelte. „Du machst mich WAHNSINNIG mit deinem niedlich!“ fuhr sie ihn an, nicht wesentlich leiser, aber immerhin ein wenig. Danach drehte sie sich einmal um sich selbst, während sie ihre Hände an ihre Schläfen presste und ein undefinierbares Geräusch über ihre Lippen kam, das verdächtig nach einem Knurren geklungen hätte, wäre es nicht gegen Ende hin immer höher geworden. „Das Gör ist meine Halbschwester, und so verlockend es klingt, sie einfach wegschaffen zu lassen – das Balg wird spätestens dann nützlich, wenn sie verheiratet wird.“ Den Blick voller Anklage starrte sie Sextus an. „Aber WARUM darf sie jetzt schon in Rom bleiben? Sie ist gerade mal 13! Das ist doch ein schlechter Witz, weißt du wie LANGE ich Papá damit in den Ohren gelegen hab, bis er MICH nach Rom gelassen hat? Das ist UNFAIR!“ Die Wut über diese Ungerechtigkeit war immer noch deutlich zu hören aus ihren Worten, aber immerhin brüllte sie nicht mehr das ganze Haus zusammen. Zwei der Sklavinnen indes hatten begonnen, das Abflauen des Sturms dafür zu nutzen, die Scherben der Vase fortzuräumen. Beim letzten Wort allerdings, das wieder lauter durch den Raum hallte, zuckte eine der beiden zusammen – und schnitt sich prompt, und ziemlich heftig, an einer Scherbe. Es dauerte nicht lang, bis Nigrina das Gesicht verzog und mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum wedelte. Der leicht metallisch-süßliche Geruch des Blutes, der sich auszubreiten begann, drohte ihren Magen revoltieren zu lassen. „Bona dea, schafft sie raus hier!“ fauchte sie mit einem Wink zu betreffender Sklavin, die ohne ein Wort zu sagen, aber mit einem ziemlich dankbaren Gesichtsausdruck, verschwand.

    ...denen der Geduldsfaden schon beim Einfädeln reißt.
    Gerhard Uhlenbruck



    „RAAAAAAAARGH!“ Ein Aufschrei hallte durch den Raum und pflanzte sich auch noch über die Beschränkung der Wände hinaus fort, dicht gefolgt einem lauten Krachen und dem Klirren von Scherben, als eine große – und ziemlich teure – Vase gegen Mauerwerk prallte und dort zerbarst. „Wie KONNTE er nur?!? Wie konnte er mir DAS antun?“ Nigrina konnte es immer noch nicht fassen. Natürlich war ihr klar gewesen, schon immer, dass diese ominöse kleine Halbschwester von ihr irgendwann auftauchen würde. Sie war eine Flavia, und ihr Vater ließ keines seiner Kinder bei irgendeiner seiner alten Liebschaften erwachsen werden. Dass dieses... dieses Kind also nun in ihr Leben getreten war, war nicht weiter verwunderlich. Und es störte sie auch nicht. Nun ja, nicht sehr. Nicht sonderlich. Ein kleines bisschen vielleicht. Gut, es störte sie ein bisschen mehr, immerhin hatte sie bisher als die Jüngste gezählt und hatte einen entsprechenden Platz bei ihrem Vater. Die Kleine hatte ja nie eine Rolle gespielt. Aber damit kam Nigrina klar, das hatte sie unter Kontrolle, schon allein weil es zu erwarten gewesen war, dass das Mädchen kommen würde irgendwann. Nur: warum, warum, WARUM durfte SIE in Rom bleiben? Wie um alles in der Welt hatte sie Aetius DAZU gebracht?


    Eine Flut von Schimpfwörtern ergoss sich über Nigrinas Lippen, bunt gemischt mit Anklagen gegen ihren nicht anwesenden Vater, der die Botschaft wohlweislich nicht persönlich gebracht hatte. „Dieses... dieses Gör! Dieses impertinente kleine DRECKSGÖR! Das ist einfach UN - GLAUB - LICH!“ Noch während sie am Fluchen war, wurde der nächste Gegenstand quer durch den Raum gepfeffert – diesmal eine Büste, die dicht neben der Tür an die Wand krachte. In so ziemlich genau dem Moment, in dem diese sich öffnete.


    Sim-Off:

    Reserviert

    Nigrina bemerkte zwar, dass ihr Mann irgendwie amüsiert schien, aber es war ihr schleierhaft warum das so war. Es interessierte sie aber auch nicht wirklich. Er war gut gelaunt, und das wiederum war eine gute Voraussetzung dass sie bekam, was sie wollte. Was musste sie mehr wissen?
    Seine Antwort brachte sie allerdings zum Stutzen. Ihr Mund öffnete sich leicht, und mit wachsendem Unglauben musterte sie ihn. „Eh“, machte sie zunächst nur verdutzt, bevor sie dazu ansetzte tatsächlich zu antworten. Allein, sie kam genau bis: „Wei-“ Weiter nicht. Sextus zog sie an sich und küsste sie, auf eine Art, die ihr den Atem raubte und, nun ja, den Kopf für Momente ein wenig vernebelte. Mit einem Seufzen blieb sie liegen, als er sich dann von ihr löste, strich sich nur eine Haarsträhne aus der Stirn, während sie ihn dabei beobachtete, wie er sich aufsetzte. Was er dann allerdings von sich gab, brachte auch sie dazu, den Oberkörper anzuheben. Mit den Ellbogen stützte sie sich ab, als sie ihn nun mit einem flüchtigen Stirnrunzeln ansah. „Niedlich?!?“ Der Klang ihrer Stimme machte ziemlich eindeutig, was sie davon hielt – nämlich gar nichts. Was meinte er mit niedlich? Wieso war sie niedlich, wenn sie alles in Erfahrung bringen wollte, was ihr hier von Vorteil sein konnte? Und... was meinte er mit NIEDLICH? „Wir sind verheiratet“ erwiderte sie in einem Tonfall, als würde das alles erklären – und zugleich so tatsachenorientiert, als verkünde sie lediglich, welches Wetter draußen herrschte. „In meinen Augen macht uns das zu Verbündeten. Du kannst nur davon profitieren, wenn ich den Laden hier im Griff hab.“ Sie war sich nicht ganz sicher, ob er sie auf den Arm nahm, ob sie ihm das tatsächlich erklären musste – oder ob er tatsächlich nicht vertrauenswürdig war, wie er anmerkte. Wieder huschte ein Stirnrunzeln über ihre Züge. Sie waren verheiratet. Vielleicht mochte es ein wenig vorschnell von ihr gewesen sein davon auszugehen, dass sie das wie von selbst zu Verbündeten machte, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ein Dasein als Verbündete ihnen beiden am meisten bringen würde. Fand sie. Wenn er mit ihr spielte, sie ausnutzte, ihre Stellung in dieser Villa boykottierte oder sie einfach nur als hübsches Anhängsel betrachtete, mit dem er sich vergnügen konnte, wann ihm danach war und das für ihn möglichst Söhne in die Welt setzte, dann würde er sehr bald nicht mehr darauf zählen können, dass sie ihn unterstützte. Und sie konnte ihn unterstützen, davon war sie überzeugt.


    Sextus indes sprach weiter – Nigrina konnte nicht genau sagen warum, ob er generell zu dem Entschluss gekommen war, dass es ihm auch was brachte, oder ob sie ihn überzeugt hatte, oder... einfach nur so. Sie dachte auch nicht weiter darüber nach, denn er hatte sich zu ihr gedreht, nackt, und der Anblick... lenkte sie wieder für einen Moment ab. Sie konnte nichts dagegen tun, es war einfach so. Erst nach einem Augenblick wanderte ihr Blick wieder nach oben, zu seinem Gesicht. Avianus hatte im Moment als keine an der Hand. Das waren schon mal gute Neuigkeiten. Sextus erzählte ihr zwar nichts über die Vorlieben seines Verwandten, aber nun, das würde sie schon mitbekommen. „Ich könnte Antonia mal fragen, ob es eine Claudia im heiratsfähigen Alter gibt...“ Aber wollte sie das? Eine Claudia für Avianus? Eine aus einem der wenigen Geschlechter, die sich mit ihrem messen konnten? Nein, da war doch eine besser, die... nun ja... schon simpel vom Stand her etwas unter ihr war. Nicht dass sie befürchtete, sie würde mit einer Claudia nicht fertig werden, aber je mehr Vorteile sie von Beginn an hatte, desto besser.
    Und dann kam das Thema auf Prisca und ihren Bruder. Nigrina richtete sich endgültig auf, rutschte zur Bettkante vor und verzog das Gesicht. Sie liebte ihn also. „Na super“, kommentierte sie, und diesmal hatte ihr Tonfall etwas ätzendes. „Aber ich sollte wohl froh sein, dass er in dieser Ehe nicht der einzige Idiot sein wird.“ Sie stand auf, streckte sich erneut kurz und wandte sich dann zu einer der Truhen, wo sie ein großes, seidenes Tuch herauszog, das sie sich um den Körper schlang. „Ich brauche ein Bad, bevor die Feier heute weiter geht. Was ist mit dir?“

    Nigrina stank die ganze Sache. Freilich nicht im wörtlichen Sinne, aber ihr Gesichtsausdruck konnte auch gut so interpretiert werden. Natürlich war sie heute hierher gekommen. Sie liebte Gladiatorenkämpfe. Wenn Spiele veranstaltet wurden, ließ sie sich diese kaum entgehen. Ungeduldig hatte sie das Opfer abgewartet und dem Beginn der Kämpfe entgegen gefiebert. Dann, endlich, hatte der Ädil begonnen, die Gladiatoren anzukündigen. Und zuerst war auch alles schön und gut gewesen, nur dann hatte der Mann begonnen, irgendetwas davon zu faseln, dass er zwar auf Traditionen stand, die Kämpfe aber trotzdem irgendwie anders sein würden. Was sich für Nigrina schon einmal per se ausschloss. Aber nun gut, ein bisschen gespannt war sie schon – nur, was dann kam, ließ sie zunächst einmal sprachlos in ihrem Sitz zurück sinken. Bitte was? Was war DAS denn? Es gab keine namhaften Gladiatoren? Keine große Namen, keinen einzigen, nicht mal einen klitzekleinen? Er ließ seine eigenen Sklaven antreten, die vielleicht ausgebildet worden waren, die aber niemand, niemand, kannte? Und begann das ganze Spektakel auch noch mit einem WEIBERGEHOPSE? Der Mann war CLAUDIER, bei allen Göttern! Wenn ein Homo novus damit angekommen wäre, ja, da hätte sie gar nichts gewundert, auch bei einem Plebejer wäre sie nicht wirklich überrascht gewesen – je nach Status ein bisschen mehr oder weniger –, aber der Mann da gehörte einer der edelsten Familien Roms an, einer der wenigen, die es wagen konnten, sich mit den Flaviern zu messen! Und er veranstaltete DAS HIER?!?


    Gereizt war gar kein Ausdruck, um Nigrina in diesem Moment zu beschreiben, und es kam noch besser, denn es kam kein richtiger Amazonenkampf, wie sie ihn erwartet hätte – bei dem die Amazonen außer einem Helm so ziemlich nichts trugen, was wenigstens noch zur Belustigung beigetragen hätte –, nein, sie verkleideten sich als irgendwelche Kämpfer. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ schimpfte sie wütend. „Die ziehen das ernsthaft durch!“ Und, kaum dass der Kampf vorbei war: „IUGULA! Sie soll draufgehen! Am besten gleich alle beide!“ Da hatte sie sich SO sehr auf die Kämpfe gefreut, und dann das – und es wurde nicht besser, denn tatsächlich: zwar wurden für den nächsten Kampf Männer angekündigt, aber immer noch fehlten die großen Namen. Die richtigen Kracher. Die, die die Menge wirklich zum Toben brachten, die, für die Frauen sich in die Ludi einschleusen ließen, weil diese Gladiatoren einfach heiß waren. Sie hob eine Hand in die Höhe und schnippte. „Herrin?“ Wenigstens ihre Sklaven verhielten sich noch vernünftig. „Finde raus ob der Claudier das tatsächlich ernst meint. Ob das nur seine Sklaven sein werden, die hier rumfuchteln.“ Es konnte doch nicht wahr sein, dass das Interessanteste an dem Spektakel heute nicht in der Arena zu finden war, sondern in den Logen, wo sie ihren Verwandten Flaccus mit einer der Cousinen ihres Mannes gesehen hatte. Sie musste unbedingt herausfinden, welcher Zwilling das denn nun gewesen war. Die angehende Vestalin, das wäre... pikant. Aber auch bei der anderen war es interessant, dass sie sich, unverheiratet wie sie war, mit einem jungen Mann hier sehen ließ. Bevor sie weiter darüber grübeln konnte, ertönte jedoch schon die Stimme des Sklaven wieder, etwas hinter ihr. „Es scheint tatsächlich so zu sein.“ Nigrina betrachtete das Schauspiel in der Arena einen Augenblick noch angewidert, dann zuckte sie die Achseln. Es war im Grunde egal. Sollte sie im Nachhinein erfahren, dass doch noch ein bekannter Gladiator aufgetaucht war, würde der Sklave das natürlich ausbaden, aber so oder so war ihr die Lust an den Kämpfen vergangen. Ohne ein weiteres Wort erhob sie sich und verschwand.

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    Aetius zog eine Augenbraue hoch, als Domitilla anfing zu argumentieren, warum sie in Rom bleiben solle. Er hatte zu viel Erfahrung mit seinen älteren Töchtern, Leontia und Nigrina, um diesen speziellen Tonfall – und vor allem DIESEN Blick – nicht zu durchschauen. Mehr noch: gerade Nigrina hatte ihm in den letzten Jahren zu oft zu lange damit in den Ohren gelegen, dass sie unbedingt auf jeden Fall am besten sofort endlich endlich nach Rom ziehen musste. Für Aetius war daher klar, dass es Domitilla vermutlich herzlich wenig interessierte, ob ein dauerhafter Aufenthalt ihrerseits in Rom von Vorteil für ihre Erziehung sein könnte, nein, sie wollte in Rom bleiben. Allerdings war er nicht abgeneigt, ihrem Wunsch zu entsprechen. Es hatte seine Vorteile, wenn sie gleich hier blieb. Sie war eine Flavia, es war Zeit gewesen, sie endlich zu ihrer Familie zu holen. Aber er machte sich nichts vor, dass er dieses Mädchen nicht wirklich kannte, und auch wenn er Nigrina vermisste – Domitilla war nicht Nigrina. Und er hatte die Ruhe auf seinem Landgut in den Monaten nach Nigrinas Abreise doch sehr genossen.


    Aetius tendierte also tatsächlich dazu, ihrem Wunsch stattzugeben. Er wusste, dass Nigrina ihm dafür vermutlich den Kopf würde abreißen wollen, wenn er das wirklich in die Tat umsetzte, hatte er ihr doch die Erfüllung genau dieses Wunsches lange verweigert. Sie würde beleidigt sein, das ganz sicher. Aber sie würde sich auch wieder abreagieren, und sowieso würde er bald nach Ravenna abreisen, was hieß: den Großteil ihrer Wut würde er nicht einmal mitkriegen. Allerdings war er nicht gewillt, nun bereits die endgültige Entscheidung zu fällen, also schmunzelte er nur. „Wir werden sehen.“ In dem Moment betrat sein Sohn das Atrium, und Aetius setzte das joviale Lächeln auf, das er häufig bei seinem Sohn aufsetzte – noch häufiger, seit er ihn das letzte Mal in Ravenna besucht hatte und sich zum ersten Mal in seinem Leben tatsächlich aufgelehnt hatte gegen ihn, ein Intermezzo, das Aetius – wie so ziemlich alles, was ihm nicht gefiel – vorzog geflissentlich zu ignorieren. Er stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Salve, Aulus! Das ist deine jüngste Schwester, Domitilla.“ Nun, wenigstens die jüngste, von der er wusste. Piso übernahm seine eigene Vorstellung selbst, und Aetius wartete noch genau diesen Moment ab, in dem Domitilla reagierte. Danach war für ihn alles in Butter – und er nutzte die Gelegenheit. „Na ihr beiden versteht euch ja prächtig, wie ich sehe. Aulus, sei so gut und kümmer dich ein wenig um deine Schwester, zeig ihr die Villa, erklär ihr die Familie. Ich muss mich nun zurückziehen, auf mich wartet noch Arbeit.“ Sprachs, zwinkerte Domitilla noch einmal zu, lächelte Piso an und verschwand.

    Ihre Finger bewegten sich unablässig weiter über seine Haut. Sie wusste, wie der männliche Körper beschaffen war, dennoch genoss sie es, nun endlich einen tatsächlich erforschen zu können, und wer wusste schon, wie positiv ihn die Zärtlichkeiten gerade stimmte. Sie selbst jedenfalls genoss die Berührungen, die er ihr zuteil werden ließ, durchaus, also warum sollte es bei ihm anders sein? Und so wenig sie sich kennen mochten, es sprach nicht das Geringste dagegen, das hier zu genießen, fand sie. Unterhalten konnte man sich auch nebenbei.


    Allerdings schien ihr Mann noch nicht gewillt, ihr eine Antwort zu geben, jedenfalls nicht so ohne weiteres offenbar. Stattdessen kam zunächst nur eine Gegenfrage – wenn auch eine, die Nigrina durchaus verstehen konnte. Sie sah zu ihm hoch, während ein feines Lächeln ihre Lippen umspielte. „Ich bin hier die Hausherrin. Und ich habe vor, meine Position in dieser Villa zu festigen, bevor Avianus eine weitere anschleppt, die schon allein deshalb eine Konkurrenz sein wird, weil er Senator ist.“ Und ihr Aurelier noch nicht, aber das würde sich in nicht allzu ferner Zukunft ändern. Falls nicht, würde sie sich irgendwann scheiden lassen, so viel stand fest. Aber nach allem was sie über ihren Mann wusste, glaubte sie nicht wirklich, dass sie sich darüber Sorgen machen musste. Worüber sie sich genauso wenig Sorgen machte, war die Tatsache, wie Sextus ihre Worte wohl auffassen könnte. Mit der Hochzeit war sie hier nun die Hausherrin, für sie war klar, dass sie diese Stellung hier festigen wollte und würde, und ebenso klar war für sie, dass das nur von Vorteil für ihren Mann sein konnte – und sie deshalb mit ihm darüber auch reden konnte. Dass es vielleicht ein wenig unvorsichtig war, ihn so offenherzig über ihre Ziele zu informieren, darüber dachte sie nicht einmal nach in diesem Moment. Und dass er womöglich anders darüber dachte, dass er gar zu jenen gehören könnte, die innerhalb der Familie niemandem den Rang ablaufen wollen würden, das war eine Einstellung, die Nigrina so fern lag, dass ihr diese Möglichkeit gar nicht in den Sinn kam. „Je länger er sich mit dem Heiraten Zeit lässt, desto besser. Je mehr er in der Zwischenzeit mir vertraut, was die Angelegenheiten angeht, bei denen er weibliche Unterstützung gebrauchen könnte – noch besser. Ich finde auch so heraus, was ich wissen muss, um meine Position so unverrückbar wie möglich zu machen, aber es ginge schneller mit deiner Hilfe.“ Ihr Lächeln verstärkte sich für einen Moment, bevor es verschwand und einem Gesichtsausdruck Platz machte, der schwankte zwischen Unschlüssigkeit und ein wenig Unwillen. „Und was Prisca angeht: mein Bruder“, erläuterte sie knapp den Grund für ihre Frage. Ihr Blick war zur Decke gewandert, kehrte aber sofort wieder zu ihm zurück, um zu sehen, wie er darauf reagierte. „Er ist der einzige Sohn meines Vaters. Ich würde gerne wissen, womit ich bei dieser Ehe zu rechnen habe, wenn er sie denn tatsächlich bekommt. Und ich gehe davon aus, dass du sie besser kennst als ich.“

    Ein wenig zu kurz. „Ja, das auch“, murmelte Nigrina ein wenig versonnen, während sie sich zugleich fragte, ob – und wenn ja, was – es zu bedeuten hatte, dass er nichts davon sagte, ob er denn gut geschlafen habe. Oder schlecht. Oder wie auch immer. Nun ja, so wie sie die vergangenen Stunden beurteilte, war er genauso auf seine Kosten gekommen wie sie, insofern gab es nichts, worüber er sich hätte beklagen können. War ja nicht so gewesen, dass er seine Bedürfnisse komplett zurückgestellt hätte für sie, und dass es – irgendetwas – mal so lief, war doch etwas ungewohnt für sie. Aber in diesem Fall war es... so... so... gut gewesen... Ein schwaches Grinsen umspielte ihre Lippen, während ihre Finger weiter über seinen Oberkörper fuhren und ganz langsam tiefer wanderten. Zugleich spürte sie nach wie vor seine Finger auf ihrer Haut, und ein wenig träge spielte sie mit dem Gedanken zu testen, ob der ein wenig zu kurze Schlaf dennoch ausreichend gewesen war für ihn, sich so weit zu erholen, dass sie vielleicht das ein oder andere von der vergangenen Nacht wiederholen konnten. Aber sie entschied sich dann doch dagegen, nicht weil sie nicht Lust darauf gehabt hätte, sondern aus anderen Gründen. So sehr sie der Gedanke reizte, den größten Teil des Vormittags mit ihm in diesem Bett zu verbringen – wenigstens heute ging das nicht, das wusste sie. Irgendwann würden sie aufstehen müssen, um dem Schluss der Hochzeitsfeierlichkeiten beizuwohnen. Und davor wollte sie ein Bad nehmen, gerne mit ihm gemeinsam, wenn ihm danach war, aber auch wenn nicht: sie brauchte in jedem Fall eins. Das war allerdings nicht der einzige Grund. Sie musste mit ihrem Mann reden – und da sie nicht wusste, wann sie an diesem oder in den nächsten Tagen wirklich unter vier Augen und in Ruhe mit ihm würde reden können, war es wohl besser, die Gelegenheit jetzt zu nutzen, wenn sie sich ihr schon so schön bot. Denn es gab da durchaus ein paar Dinge, die sie wissen wollte, bevor sie daran ging, ihre Position in diesem Haus klar zu machen, schon allein deshalb, damit sie ihre Stellung gleich in Stein meißeln konnte, so, dass sie unverrückbar war.


    „Erzähl mir von deiner Familie“, bat sie ihn also nach einer Weile des einvernehmlichen Schweigens, während ihre Finger nicht aufhörten, über seine Haut zu streichen, aber – wenn auch knapp – auf sicherem Terrain blieben. „Von Avianus, vor allem. Wie er ist, welche Vorlieben er hat... hat er vor bald zu heiraten?“ Je länger der Kerl unverheiratet blieb, desto besser für sie. Ursus, der Legat hingegen interessierte sie nur bedingt, im Moment jedenfalls. Der war zwar verheiratet, aber er lebte nicht in Rom, und wenn er kam, durfte er das Pomerium nicht betreten. Was hieß, seine Frau konnte ihr auch keine Konkurrenz machen im Augenblick. Und die aurelischen Frauen konnten das sowieso nicht, würden sie auf kurz oder lang doch alle die Villa verlassen, jedenfalls wenn die Familie nicht irgendwann ihren Ruf – sowohl den der Mädchen als auch den der Gens – aufs Spiel setzen wollten. Trotzdem zögerte Nigrina kurz und setzte dann doch noch hinzu: „Und Prisca.“ So wie es aussah, würde Piso die Aurelia wohl tatsächlich heiraten, und so wenig eine der unverheirateten Aurelia ihr hier die Position als Hausherrin wirklich streitig machen konnte – wenn Prisca ihren Bruder heiratete, dann wollte Nigrina wissen, worauf sie sich gefasst machen musste. Piso war hoffnungslos verschossen in die Aurelia, und das war etwas, was gefährlich war. Zumal Piso der einzige Sohn ihres Vaters war.

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    Aetius lehnte sich mit einem Schmunzeln zurück, ließ sich einen Becher Wein reichen und beobachtete seine Tochter dabei, wie sie das Schmuckstück bewunderte – das in der Tat exquisit war. „Davon bin ich überzeugt“, antwortete er, in einem Tonfall, der auf eine Art sicher war, die verdeutlichte, dass Domitilla besser daran tat ihn tatsächlich nicht zu enttäuschen.


    Auf das Angebot sich auszuruhen ging das Mädchen gar nicht ein, was Aetius aber nicht wunderte, immerhin war sie noch jung. Die Villa Flavia schien sie indes in der Tat zu reizen – allerdings nicht genug. Nicht so sehr, dass sie ihre Fragen zurückgestellt hätte. Und auch das hatte Aetius erwartet, weshalb er ihr auch bereits angeboten hatte, ihre Fragen zu stellen. „Nun, es wird Zeit für dich, dass du endlich als das lebst, was du bist: eine Flavia. Mitsamt den Rechten und Vorteilen, die das mit sich bringt – aber auch den Pflichten. Du hast eine Verantwortung gegenüber deiner Familie, du hast ihren Stolz und ihre Ehre zu wahren. Damit du lernst, was das alles heißt, habe ich dich herbringen lassen, weil du nun alt genug dafür bist.“ Er schmunzelte erneut. „Ich bin mir allerdings noch unschlüssig darüber, ob ich dich mit nach Ravenna nehmen oder gleich hier in Rom lassen soll.“

    An der Seite ihres Mannes betrat Nigrina die Regia und folgte ihm bis zu dem Officium, in dem sie ihre Ehe nun eintragen lassen würden. Die Hochzeit lag nur wenige Tage zurück, und Nigrina hatte die Zwischenzeit bisher genutzt, sich mit der Villa Aurelia und ihrem Inhalt bekannt zu machen. Vor allem mit dem sprechenden Inventar, auch Sklaven genannt. Auch wenn sie keinen Zweifel daran hegte, dass ihre persönlichen Sklaven, die sie mitgebracht hatte, die aurelischen aufklären würden, es ging doch nichts darüber, als selbst zu verdeutlichen, welche Ansprüche sie hatte.
    Besagte Ansprüche wurden auch in dem Officium erfüllt, denn das Eintragen ging erfrischend schnell. Was nicht zuletzt an Sextus – seit der Hochzeit nannte sie ihn so, aus Prinzip, denn: immerhin waren sie nun verheiratet, auch wenn sie sich noch kaum kannten – was also nicht zuletzt an Sextus lag, der kurz und präzise die Angaben machte, die der Scriba zum Eintragen brauchte. Sämtliche Angaben. Sie hatten sich schon wieder zum Gehen gewandt, als doch noch eine Nachfrage kam – und eine flavische Augenbraue dazu bewegte, nach oben zu wandern. „Wie mein Mann bereits erwähnt hat: die Hochzeit fand sine manu statt.“

    Nigrina schlief. So entspannt, wie man nur schlafen konnte, wenn man eine Nacht hinter sich hatte wie sie. Ihre langen Haare bildeten einen wirren Kranz um ihren Kopf, hatte sich doch irgendwann in der Nacht auch die letzte Nadel verabschiedet – herausgezogen, herausgerutscht, welches Schicksal die letzte genau erlitten hatte, war nicht so genau festzustellen. Sie selbst war irgendwo in den Kissen vergraben und schlummerte, auf dem Bauch liegend, selig vor sich hin, und als ihr Mann neben ihr erwachte und sich aufrichtete, bemerkte sie davon – nichts. Auch als er begann, über ihre Haut zu streichen, trug das mitnichten dazu bei, sie schnell aufzuwecken, kein Wunder, war doch das Fordern, das Drängen, das in der Nacht darin gelegen hatte, ersetzt durch eine Sanftheit, die er bislang nicht wirklich gezeigt hatte. Irgendwann jedoch drang auch diese Berührung bis zu ihrem Bewusstsein durch, holte sie langsam näher ans Wachsein heran, und, für den Moment noch mehr schlafend denn wach, bewegte sie sich etwas, drehte dabei auch den Kopf auf die andere Seite, so dass er nun Lupus zugewandt war – wenn auch teils verdeckt von Haaren. Dann begann sie nach und nach bewusst die Berührung zu spüren, die regelmäßig über ihre Schulter strich, und unbewusst verzog sie die Lippen zu einem Lächeln und machte ein leise, schnurrendes Geräusch. Es war ungewohnt, nicht allein aufzuwachen. Aber ganz sicher nicht unangenehm, nicht wenn man so geweckt wurde. Wobei sie, wie sie verschlafen feststellte, gegen die Art, die er in der Nacht genutzt hatte sie zu wecken, auch nichts einzuwenden hatte.


    Sie blinzelte und drehte Kopf und Körper so, dass sie ihn bequem sehen konnte, als sie seine Stimme hörte. „Morgn“, brachte sie noch hervor, bevor sie zunächst seinen Kuss genoss – nicht den auf die Stirn, obwohl der ganz süß war, sondern den auf den Mund, den sie auch erwiderte. „'vorragnd“, murmelte sie, ihre Stimme noch rau und verschlafen, und sie räusperte sich, bevor sie mit einem leichten, verschmitzten Lächeln wiederholte: „Hervorragend.“ Vielleicht war das etwas zu eindeutig, aber nach DER Nacht war ihr nicht danach, irgendwelche Scharaden aufrecht zu erhalten, mehr noch, nach dem was sie geteilt hatten, wäre es ihr irgendwie lächerlich erschienen, sich nun zurückhaltend zu geben oder gar verschämt zu tun. Sie hatte hervorragend geschlafen, was sollte sie ihm da vormachen? Sie war noch ein wenig müde, auf eben diese wunderbare Weise nach einer hervorragenden Nacht, fühlte sich nach wie vor auf eine verdammt angenehme Art erschöpft, spürte irgendwo in sich die prickelnde Faszination darüber, was so alles angestellt werden konnte mit zwei Körpern, und hätte sich am liebsten geräkelt wie eine Katze in der Sonne. Was sie gleich darauf auch tat. Dass Lupus dabei einiges von ihrer Haut zu sehen bekam, daran dachte sie in diesem Augenblick gar nicht, und hätte sie es, wäre es ihr nur recht gewesen. Es gab an ihrem Körper nichts auszusetzen, nichts zu verbergen, im Gegenteil – und sowieso hatte er ihr kein Geheimnis gelassen letzte Nacht. Sie legte ihre Hand auf seine Brust und begann gedankenverloren, die Konturen seiner Muskeln nachzuzeichnen. „Was ist mit dir?“

    Ob Lupus die Unsicherheit, das Zögern, welches sich ihrer fast schon gegen ihren Willen bemächtigte, bewusst ignorierte, oder ob er es tatsächlich einfach nicht bemerkte, konnte Nigrina beim besten Willen nicht unterscheiden. Ihr blieb auch gar keine Zeit, kein Moment der Ruhe dafür, um sich überhaupt ausgiebiger Gedanken darüber zu machen. Fest stand nur, dass ihr Stolz ihr vehement verbot, deutlicher zu machen, dass es ihr nun plötzlich doch etwas zu schnell ging. Und so blieb ihr nicht mehr viel, als sich, nun ja, ihm einfach zu ergeben, seinem Drängen, seinen fordernden Berührungen. Die Tunica recta bekam noch einen weiteren, größeren Riss ab – und von dem Moment an, als sie seine Lippen auf ihrer Haut spürte, war es ohnehin um jeden Einwand geschehen. Weil er sich nahm, was er wollte. Und weil sie genau das genoss. Hätte sie nachgedacht, hätte sie sich vielleicht geärgert, weil es ganz eindeutig nicht sie war, die die Zügel in der Hand hatte – und irgendwann später würde dieser Gedanke sicher noch kommen. Aber in diesem Moment dachte sie nicht mehr. Sie genoss. Und gerade der Fakt, dass Lupus den Takt bestimmte – was Nigrina weder kannte noch sich vorgestellt oder gar erwartet hätte –, trug einen wesentlichen Teil dazu bei.


    Sie selbst war bei weitem nicht passiv – wo sie konnte, wo er es zuließ, entdeckte sie seinen Körper wie er den ihren. Dennoch war und blieb deutlich, wer bestimmte, auch wenn Nigrina nicht das brave Weibchen war, das mann vielleicht erwartete in der Hochzeitsnacht. Erst, als er auch den letzten Schritt tat, so hungrig und ungestüm wie alles bisher, seit sie versucht hatte die Kontrolle an sich zu reißen, drang etwas anderes zu ihr vor. Sie keuchte auf, diesmal nicht vor Lust, sondern vor Schmerz, krallte ihre Finger in seinen Rücken und biss in seine Schulter, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Sie hatte gewusst, dass es weh tun würde – aber auch das war anders, als sie sich vorgestellt hätte. Nigrina meinte im Grunde, alles – oder doch so gut wie – zu wissen. Was eine hervorragende Eigenschaft war, um sich anderen gegenüber mit völliger Selbstsicherheit zu behaupten. Was sich allerdings nicht ganz so gut auswirkte, wenn man dann doch mal falsch lag – und es dann noch gezeigt bekam. In diesem Moment fühlte sie sich hilflos, ausgeliefert, sie verkrampfte und klammerte sich an ihren Mann, während sie doch zugleich gefangen war in stetigem Rhythmus, den er vorgab, ohne innezuhalten. Hätte sie nicht ohnehin schon jedes Zeitgefühl verloren gehabt, wäre es jetzt so weit gewesen. Weiter, immer weiter bewegten sich die Körper, bis es irgendwann besser wurde, nicht mehr so schmerzhaft, nicht mehr so ungewohnt, so dass sie wieder mehr... genießen konnte – auch wenn es ein schmaler Grat blieb, der schmaler wurde, je mehr sie sich verlor in der Lust.


    Schwer atmend und erschöpft lag sie später da, dicht an seinem Körper, ihr Kopf an seiner Schulter, hatte er sie doch gerade erst zu sich gezogen. Sie sagte kein Wort. Sie fühlte sich gar nicht in der Lage zu sprechen, selbst wenn sie gewusst hätte, was sie sagen sollte. Sie lag einfach nur da... und begriff erst später, dass sie wohl eingeschlafen sein musste. Später hieß in dem Fall: als Lupus sie irgendwann in der Nacht auf eine Art weckte, die... nun... so eindeutig wie eindrucksvoll klar machte, worauf er aus war. Und er bekam, was er wollte. So kam es, dass Nigrina ein weiteres Mal erschöpft und mit nur langsam sich beruhigendem Atem an seiner Seite zu liegen kam.

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    Es war nicht so, dass Aetius die Reaktionen anderer nicht bemerkte. Im Gegenteil, er registrierte sehr wohl, wie sein Umfeld sich verhielt – er wäre kein so erfolgreicher Geschäftsmann, hätte er dafür kein Gespür entwickelt. Aber er wusste sehr genau, wann er einfach ignorieren konnte, was ihm nicht in den Kram passte, und wenn er es konnte, tat er es in der Regel auch – und dann war es ihm völlig egal, ob er als Holzklotz wirken mochte.


    So ignorierte er auch jetzt, dass Domitilla sich zunächst etwas steif benahm. „Natürlich.“ Ein joviales Grinsen, das keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass es für Aetius eine Selbstverständlichkeit war, dass seine Tochter sich freute ihn zu sehen. Und spätestens sein Geschenk schien auch Domitilla davon zu überzeugen, dass echte Freude angebracht war. Er lachte auf, als sie – nachdem ihre Sklavin ihr geholfen hatte, die Kette anzulegen – ihm um den Hals fiel, umarmte sie erneut und wies dann auf den Stab, als sie sich von ihm löste. „Das flavische Wappen. Es ist nicht nur ein Geburtstagsgeschenk, wenn du so willst, sondern auch ein Willkommen – in unserer Familie. Du bist eine Flavia, Domitilla, gleich wer dich großgezogen hat. Vergiss das nie.“ Obwohl seine Worte immer noch begleitet waren von dem breiten Lächeln und auch durchaus freundlich klangen, hatten sie doch einen ernsten Unterton. Wer wusste schon, was die Mutter der Kleinen ihr eingetrichtert hatte? Aber noch war Domitilla jung genug, um derlei Dinge hinzubiegen, nötigenfalls mit Hilfe seiner anderen Kinder, die beide mit einem gesunden Stolz, Flavier zu sein, gesegnet waren. „Nun. Womit fangen wir an? Du hast sicher eine Menge Fragen – aber du kannst dir auch zuerst die Villa ansehen, wenn du möchtest.“ Er zwinkerte erneut. „Ein Zimmer für dich ist auch schon vorbereitet. Falls du dich zuerst ausruhen möchtest, ich weiß ja nicht, wie anstrengend deine Reise war.“

    Er ließ es nicht zu. Er widerstand nicht nur dem leichten Druck, den ihre Hand ausübte – mit einer Bewegung, die schneller kam, als Nigrina sie registrieren konnte, griff er zu und hielt ihre Handgelenke fest. Für einen Moment verharrte sie, dann versuchte sie kurz, sich zu befreien – ohne Erfolg jedoch. Sein Griff tat nicht weh, war aber doch fest genug, dass sie sich nicht einfach so entwinden konnte, und er gab sie nicht frei, sondern machte eher Anstalten den Druck zu verstärken, als sie es für den Bruchteil eines Augenblicks versuchte. Und damit war der Moment gekommen, in dem Nigrina gänzlich ratlos war. Unwillkürlich, ohne daran zu denken dass sie ihm nach wie vor ihr Profil zuwandte und er sie damit sehen konnte, biss sie sich auf die Unterlippe, während seine Worte an ihr Ohr drangen. Sie war anderes gewöhnt. Sie war verwöhnt. Sie bekam ihren Willen, in allen erdenklichen Situationen, und das nicht nur bei Sklaven, auch bei Freien – Männern wie Frauen, gleich mit wem sie es bisher zu tun gehabt hatte. Bei ihren Freundinnen in Ravenna hatte sie bestimmt. Und auch die Männer, die in ihrem Leben bisher eine Rolle gespielt hatten, hatte sie auf die ein oder andere Art um den Finger wickeln können. Ihr Bruder konnte ihr nicht wirklich die Stirn bieten, selbst wenn er es versuchen würde, dafür respektierte sie ihn zu wenig. Ihr Vater las ihr beinahe jeden Wunsch von den Augen ab – und tat er es einmal nicht, dann wusste er, wie er sie zu nehmen hatte. Das hieß nicht, dass er tatsächlich jedes Mal sich die Mühe gab, es so zu drehen, dass auch sie zufrieden war, aber doch meistens. Und wenn es nicht so war: ihr Vater war der einzige Mensch, den Nigrina wirklich respektierte. Bei allen anderen war sie es gewöhnt, zu bestimmen, gerade auch, was das zwischenmenschliche Beisammensein anging. Nicht nur bei Sklavinnen, auch bei anderen, bei dem Liebchen ihres Vaters beispielsweise, war sie gewöhnt, dass sie den Ton angab, dass sie ihren Willen durchsetzte, auch wenn sie es in ihren diversen Spielchen verschiedenster Natur nur allzu häufig fertig brachte, dass es zumindest auf den ersten Blick nicht so wirkte. Dass der Aurelier nun auf diese Art, die bei Frauen so erfolgversprechend war, nicht ansprang, mehr noch, dass er den Spieß umdrehte und sie spüren ließ, dass es diesmal nicht nach ihrem Willen gehen würde, irritierte Nigrina nicht nur, es verunsicherte sie auch, auch wenn sie das nicht zeigen wollte, geschweige denn zugeben. Das Problem war: sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie war nervös, auch wenn sie versuchte sich das nicht anmerken zu lassen – unter anderem dadurch, dass sie versucht hatte das Tempo vorzugeben. Sie stellte gerade fest, dass die Erfahrungen, die sie hatte, in diesem speziellen Moment nicht allzu viel Wert zu sein schienen, ob es nun an Lupus speziell lag oder an Männern im Allgemeinen, die einfach anders tickten, darüber war sie sich nicht ganz so sicher. Und ihr begann darüber hinaus zu dämmern, in diesem Moment, dass Lupus sich nicht so einfach um den Finger wickeln lassen würde.


    Nigrina rührte sich also kaum. Sie verharrte, wie sie war, sicherlich ein wenig empört darüber, dass er sich ebenso wenig rührte, sondern sie einfach nur festhielt, aber zu unschlüssig, was sie tun sollte, um sich tatsächlich zu wehren. Der Biss auf ihre Unterlippe wurde zwischenzeitlich fester, je länger Lupus sie einfach nur festhielt – aber gerade als sie meinte, die Spannung nicht mehr aushalten zu können, drehte er sie zu sich um, küsste sie, drängte sie gleichzeitig zurück, zum Bett. Ehe sie es sich versah, lag sie schon darauf, und er war über ihr, drängte sie weiter nach hinten und zerrte an ihrer Kleidung. Und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Bei allem, was sie erwartet hätte, war sicher nicht das dabei gewesen. Hatte sie den ungestümen Kuss gerade eben noch erwidert, lag sie nun unter ihm, ihre Hände irgendwo auf seiner Brust, wo sich die Finger in den Stoff krallten, in einer Bewegung, die sich nicht so ganz entscheiden zu können schien, ob sie nun abwehrend sein sollte oder nicht. „Lupus“, stieß sie halblaut hervor, als sie nicht nur spürte, wie ihr Gürtel heftig gelöst wurde, sondern auch hörte wie die Tunica recta irgendwo riss, und auf ihrem Gesicht stand eine Mischung aus Überraschung, Erregung und die flüchtige Andeutung von Schreck geschrieben.