Beiträge von Flavia Nigrina

    So bedächtig ihre Bewegungen auch waren, der Schleier war doch vergleichsweise schnell gelöst. Schneller, als der Aurelius zu ihr kam, was aber dennoch nichts anderes hieß, als dass er ihr nicht sofort gefolgt war, sondern sich bewusst Zeit gelassen hatte. Nigrina rührte sich dennoch nicht, sie sah sich nicht einmal wirklich nach ihm um, stand sie doch auf dem Standpunkt, dass es an ihm war, zu ihr zu kommen. Wofür war er auch der Mann? Und offiziell war sie diejenige, die keine Ahnung hatte, oder haben sollte. Haben durfte. Im Gegensatz zu ihm. Und tatsächlich, sie musste nicht wirklich warten, da kam er ihr näher. Sie sah aus dem Augenwinkel die Bewegung, spürte ihn in ihrem Rücken, noch bevor er nach dem Schleier in ihrer Hand griff und in ihr entwand, um ihn fort zu legen. Noch bevor sie seinen Atem in ihrem Nacken spürte... und schließlich seine Finger an ihrem Hals, wie sie über ihre Haut glitten und dann ihren Rücken hinab. Wo sie die Berührungen spürte, breitete sich eine Gänsehaut aus, und als er sie dann an sich zog, sog sie unwillkürlich den Atem ein.


    Immer noch rührte sie sich kaum, ließ sich lediglich bereitwillig von ihm noch dichter an sich ziehen. Die Unruhe in ihr nahm noch zu, wurde weiter entfacht mit jeder Berührung, die sie spürte. Sie hatte lange genug darauf gewartet, endlich von einem Mann auf diese Art berührt zu werden, trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass die Unruhe nicht nur durch Erregung, sondern zu einem guten Teil auch durch Nervosität befeuert war. Sie schauderte, als sie plötzlich seine Zähne an ihrem Hals spürte und gleich darauf seine Stimme hörte, als er endlich antwortete. Ihr Kopf war immer noch leicht zur Seite gedreht, so dass ihr Gesicht für ihn im Profil zu sehen war, und ihr Blick war irgendwo in eine Ecke gerichtet. Die Rollen hatten sich getauscht, meinte er, allerdings war sich Nigrina darüber nicht ganz so sicher – nicht weil sie glaubte, sie selbst wäre tatsächlich noch die Jägerin, sondern weil sie in diesem Augenblick daran zweifelte, dass er jemals Beute gewesen war. „Ich habe keine Angst“, antwortete sie, ebenso leise wie er. Hatte sie nicht? Hatte sie nicht. Ihr Status und ihre Familie waren einflussreich genug, dass sie sicher war, keine Angst haben zu müssen, er könnte sich in dieser Ehe ungebührlich verhalten. Als Frau hatte sie nicht die dieselben Möglichkeiten wie er, dennoch: sie unterstand nach wie vor ihrem Vater und war nach wie vor eine Flavia. Wenn er sich daneben benahm, würde sie Konsequenzen ziehen, auf die ein oder andere Weise, und das musste auch ihm bewusst sein. Sie war keines der diversen Weibchen, mit denen sich ihr Vater mit Vorliebe umgab, und mit denen er nahezu immer umspringen konnte wie er wollte. Sie war eine Flavia – eine Frau von dem Kaliber, mit denen sich ihr Vater wohlweislich selten eingelassen hatte, und wenn er es doch getan hatte, hatte er sich für gewöhnlich anders arrangieren müssen, wenn er ihrer überdrüssig geworden war. Letztlich ging es darum, sich zu arrangieren, dass sie beide zufrieden waren – so dass sie beide in Ruhe ihre Vorteile aus dieser Verbindung ziehen konnten, ohne sich gegenseitig etwa an die Gurgel zu gehen oder sich sonst wie das Leben zum Tartaros zu machen. Sie hatte also tatsächlich keine Angst. Sie war nur... unruhig. Ein wenig nervös. Genau.


    Was sie aber nicht daran hinderte, selbst aktiv zu werden, denn das, bei allen Göttern, war ihre Hochzeitsnacht. Ihre Hand legte sich auf seine, die wiederum auf ihrem Wollgürtel lag, und übte leichten Druck aus, um sie tiefer zu geleiten, wenn er das zuließ. Die zweite gesellte sich dazu, blieb jedoch beim Gürtel, und sie begann – ungeachtet der Tatsache, dass das traditionell eigentlich seine Aufgabe war, oder sein Vorrecht, je nachdem wie man es auslegte, aber sie hatte ja auch bei den übrigen Hochzeitsaktivitäten nicht sonderlich Wert auf Tradition gelegt, wenn es sich vermeiden ließ –, an dem Knoten zu nesteln. „Ich glaube trotzdem, dass die Jagd zu Ende ist. Oder wie nennst du es, wenn die Beute nicht nur gestellt ist, sondern schon in der Hand des Jägers?“ Womit sie ihm indirekt zugestand, dass sie die Beute war. Was aber nicht hieß, dass sie auf den Jäger keinen Einfluss ausüben könnte. Sie bewegte sich leicht, presste sich noch enger an ihn. „Eine Gegenwehr aussichtslos...“

    Als Nigrina langsam durch die geöffnete Tür trat, die in das Cubiculum ihres Mannes führte, bemerkte sie doch fast so etwas wie... Nervosität, auch wenn sie sich das weder anmerken ließ noch zugegeben hätte. Spätestens seit dem gestrigen Abend hatte bereits eine gewisse Unruhe von ihr Besitz ergriffen. Sicher, sie hatte sich auf die Hochzeit gefreut, sowohl auf die Feier wie auch auf die Tatsache, endlich verheiratet zu sein. Aber eben nicht, weil sie sich darauf freute ihr Leben künftig mit einem Mann zu teilen, an den sie sich anpassen musste, auch nicht, weil sie sonderlich erpicht darauf gewesen wäre, die Villa Flavia zu verlassen und in eine ihre fremde Villa zu ziehen, sich an eine ihr fremde Familie gewöhnen zu müssen, und schon gar nicht, weil sie für den Mann, der vom heutigen Tage an der ihre sein würde, in irgendeiner Form mehr empfand. Nein, sie hatte sich darauf gefreut, weil sie wusste, welchen Machtgewinn diese Ehe bedeutete, für ihre Familie und nicht zuletzt auch für sie – eine Matrona war nun mal anders angesehen als ein unverheiratetes Mädchen, gleich aus welcher Familie sie stammte. Und nun, immerhin... ihr Mann war zwar nicht das Familienoberhaupt der in Rom ansässigen Aurelier, aber sie war – derzeit jedenfalls – die einzige Matrona im Haus, was sie nicht nur symbolisch, sondern auch faktisch zur Herrin des gesamten Haushalts machte, solange der jetzige Legat der I. tatsächlich der Villa fernblieb und der andere Senator nicht heiratete.


    Wie auch immer: ganz tief in sich konnte Nigrina eine gewisse Nervosität nicht leugnen. Das Eheleben war einfach neu für sie, und auch das, was sie nun in der Nacht erwarten würde, war – auch wenn man sie ganz sicher nicht als so unerfahren bezeichnen konnte, wie es vielleicht eigentlich hätte sein sollen –, wie sie es ihrem Vater versprochen hatte neu für sie. Dennoch wusste sie genug, um sich auch darauf zu freuen, dass sich dies nun ändern würde, was jedoch nichts an dieser Grundnervosität änderte, die sie trotz allem spürte, und die sich bereits am Vorabend angekündigt hatte, als sie den üblichen Traditionen gefolgt war. Ein Spielzeug hatte sie verbrannt, das einzige, das sie noch aufgehoben hatte von früher, speziell für diesen Zweck; die Tunica recta angezogen, die in der Tat hervorragend gelungen war – kein Wunder, hatte Nigrina die daran arbeitende Sklavin doch peinlich genau überwacht; und all das andere, was dazu gehörte, der Wollgürtel, die Frisur, der Brautschleier. Eines musste Nigrina diesen Traditionen lassen: auch wenn sie das Potential hatten zu nerven, sie schafften es irgendwie, eine passende Stimmung zu kreieren. Und sogar die Nacht war halbwegs passabel verlaufen, weil Nigrina sich einen Dreck darum geschert hatte, was beim Schlafen kaputt ging an ihrer Frisur oder ähnliches. Am Morgen hatten sich einfach die Sklaven ihrer noch mal angenommen und alles so hergerichtet, wie es sein sollte. Die Feier indes war tatsächlich traditionell verlaufen, und – wie hätte es anders sein können – rauschend gewesen. Beider Familien absolut würdig. Kein Wunder, denn Nigrina hatte nichts, aber auch gar nichts, dem Zufall überlassen. Hatten die Sklaven bei der Vorbereitung der Verlobungsfeier noch geglaubt, schlimmer könnte es nicht kommen, so hatten sie bei den Hochzeitsvorbereitungen feststellen müssen, dass es sehr wohl noch schlimmer sein konnte. Deutlich schlimmer. Nigrina hatte sie – sowohl flavische wie auch aurelische, diesmal – übler angetrieben als ein Auriga sein Gespann, wenn es um Sieg oder Niederlage ging. Und sie hatte auch nicht lange gefackelt bei jenen, die auch nur den Anschein eines Widerworts gaben, oder eines Zweifels. Oder auch einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Der Aufwand hatte sich allerdings definitiv gelohnt, denn die Feier war im wahrsten Sinne des Wortes eine Traumhochzeit geworden, wie man sie sich vorstellte bei einem patrizischen Paar – gerade dann, wenn die Braut eine Flavia war.


    Und nun stand sie also hier, im Gemach ihres Gatten, ging vor ihm hinein, bis sie etwa die Mitte erreicht hatte, und begann dann langsam, mit ruhigen Bewegungen, den Schleier zu lösen, ohne sich zu ihm umzudrehen. Dies war einer der wenigen Momente, in denen sie um Worte verlegen war. Sie hatten bisher noch nie so wirklich Gelegenheit gehabt, miteinander zu sprechen – sicher, ein paar Worte hier und da, bei der Sponsalia, bei dem ein oder anderen Treffen in der Verlobungszeit, bei der Hochzeitsfeier... Aber es waren immer andere dabei gewesen, und gerade bei den Feiern war einfach zu viel los gewesen, als dass der Aurelius und sie sich tatsächlich einmal ausgiebiger miteinander hätten beschäftigen können. Kein Vergleich zu ihrem ersten Treffen im Theater. Nigrina drehte ihren Kopf leicht in seine Richtung, ohne ihren Körper der Bewegung folgen zu lassen, und löste den Schleier endgültig. „Kommt die Jagd also zu einem Ende“, murmelte sie, auf eben dieses erstes Treffen anspielend, das sie mit Abstand am reizvollsten empfunden hatte.

    Auch Nigrina hatte sich, gemeinsam mit ihrem Vater, auf dem Forum eingefunden – gemeinsam mit dem üblichen Anhang an Sklaven und darüber hinaus noch einiger Bekannter ihres Vaters, die für dem Aurelius applaudierten. Immerhin war das ihr Verlobter, der da heute seinen Amtseid sprach – gestärkt von einem Wahlerfolg, der sich durchaus sehen lassen konnte, wie ihr Vater meinte. Nicht dass Nigrina sich selbst allzu sehr für Politik interessierte, aber nun, ein gewisses Verständnis war nötig, wenn sie sich Stück für Stück Macht aufbauen und sichern wollte, so viel wusste sie. Und sie hatte inzwischen auch begriffen, dass sie noch weit mehr Interesse würde entwickeln müssen, wohl oder übel, wollte sie nicht nur das nette Anhängsel ihres Gatten sein. Weswegen sie die ihr noch verbliebene gemeinsame Zeit mit ihrem Vater, solange dieser noch in Rom weilte, nun intensiv zu nutzen verstand – und ihn über alles ausfragte.


    Jetzt allerdings unterhielten sie sich nicht über Politik, Diplomatie und Taktiererei, sondern waren einfach hier, um Unterstützung für Aurelius Lupus zu zeigen.

    Langsam, aber sicher begann Nigrina vor Wut zu schäumen. Innerlich, wohlgemerkt. Entweder merkte Piso nicht, dass er den Bogen überspannte, oder es interessierte ihn nicht. Vermutlich spielte hier auch mit hinein, dass sie sich im Grunde jahrelang nicht gesehen hatten, seit Piso auf Reisen gegangen war und sich dann in Rom niedergelassen hatte. Genau in der Phase also, in der Nigrina selbst erwachsen geworden – und solcher Spielchen überdrüssig geworden war. Sie konnte sich noch sehr genau daran erinnern, dass es früher ähnlich abgelaufen war wie jetzt, aber wie sie bereits gesagt hatte: sie waren keine Kinder mehr. Und Nigrina hatte andere Möglichkeiten gefunden, die gemeine Ader auszuleben, die in ihr zu finden war. Ganz sicher kam ihr jetzt beispielsweise nicht einmal ansatzweise in den Sinn, ihren Bruder bei ihrem Vater zu verpetzen, was sie noch vor wenigen Jahren anstandslos getan hätte – nein, jetzt schwirrten eher Mordgelüste in ihrem Kopf herum. Und sie WOLLTE Piso im Augenblick am liebsten den Hals umdrehen! Nicht genug damit, dass er in aller Öffentlichkeit herum alberte, nicht genug damit, dass er ihr Honig ins Gesicht schmierte, und nicht genug damit, dass der Sklave sich wie der letzte Depp anstellte – nein, Piso trieb es weiter auf die Spitze. Anstatt nun wenigstens Betroffenheit zu heucheln und sich zu entschuldigen, lachte er nur noch mehr und umarmte sie dann. Und obwohl Piso nicht zu den Kräftigsten zählte und Nigrina sich durchaus wehrte – eine Ohrfeige wäre definitiv eine Option gewesen in diesem Augenblick –, er war immer noch stärker als sie, und bereits nach einem winzigen Moment war es ihr schlicht zu blöd, und sie erstarrte. Zumal ihr nur allzu deutlich bewusst war – im Gegensatz zu Piso, wie es schien – dass sie hier jeder sehen konnte.


    Allerdings: es kam noch schlimmer. Als der Sklave endlich ein feuchtes Tuch reichte, schnappte Piso es ihr vor der Nase weg, verteilte dabei fröhlich Wassertropfen auf ihr und rieb dann ihr Gesicht ab. Und jetzt – JETZT – war es Nigrina endgültig zu viel. „AULUS!“ Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie ihr Gesicht – noch kurz vor Verlassen der Villa Flavia sorgfältig geschminkt worden – nun aussehen mochte. Honigreste, glänzende Feuchtigkeit und überall Farbe verschmiert. Die feine, kostbare, die die Iunia ihr zu ihrer Sponsalia geschenkt hatte, und die tatsächlich exquisit war, was Nigrina gar nicht erwartet gehabt hätte. Wutentbrannt sprang sie auf und stand einen Moment da, mit zornflammenden Augen, und rang mit sich selbst. Sie war drauf und dran, in diesem Augenblick nicht nur eine gewaltige Schimpftirade über ihrem Bruder auszuschütten, sondern tatsächlich handgreiflich zu werden. Aber zugleich wusste sie, wusste sie nach wie vor, wo sie waren. Wer ihnen alles zusah, oder wenigstens zusehen konnte. Ihre Zähne knirschten, so fest presste sie sie zusammen, dann brachte sie sie wieder auseinander. „Das“, zischte sie, gefährlich leise nun, während ihre Augen immer noch Blitze zu verschleudern schienen, „büßt du mir noch.“ Sie griff sich ein weiteres Honigbrötchen, setzte sich in Bewegung – und schmierte es Piso im Vorbeigehen ins Gesicht. „Ups“, machte sie mit einem halb wütenden, halb süffisanten Grinsen, bevor sie die Loge verließ und draußen in der flavischen Sänfte verschwand, um sich nach Hause bringen zu lassen.

    Obwohl der größte Ansturm an Gratulanten sich gelegt hatte, gab es doch immer wieder welche, die noch zu ihnen traten und sich nicht einfach nur mit ihnen unterhalten wollten, sondern tatsächlich noch Glückwünsche überbringen wollten, die los zu werden sie bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten. Ein weiterer solcher Kandidat tauchte nun vor Nigrina und ihrem Verlobten auf – jedenfalls ging sie davon aus, da sie sein Gesicht zwar durchaus kannte, dank ihrer Vorbereitung auf diese Feier, die auch in Studium der Gästeliste enthalten hatte, ihn aber bisher noch nicht gesehen hatte. Dies war nun etwas, was sie ein wenig verwunderte, denn als Verwandter des Bräutigams hätte sie doch eher erwartet, dass er ihnen bereits früher die Aufwartung gemacht hätte – was sie sich allerdings nicht anmerken ließ. „Aurelius Avianus“, begrüßte sie also den Mann, der nun vor ihnen stand. Flüchtig überlegte sie, wie er mit ihrem Aurelius verwandt war, konnte sich daran jedoch nicht mehr so wirklich erinnern – aber nun, es war auch gleichgültig. In nicht allzu ferner Zukunft würde sie von den Verwandtschaftsverhältnissen in der Villa Aurelia genug mitbekommen, zum Überdruss, wahrscheinlich – und darüber hinaus, was viel interessanter war, die tatsächlichen Beziehungsgeflechte der einzelnen Familienmitglieder untereinander. „Es freut mich sehr, ein weiteres Mitglied der Familie meines zukünftigen Mannes kennen zu lernen.“

    Nigrina verhielt sich weiterhin so vorbildlich, wie man es erwarten konnte von einer zukünftigen Ehefrau. Sie hielt sich vornehm zurück, lächelte Gracchus lieblich an, als dieser sich zu ihnen gesellte, und neigte leicht den Kopf, um ihn in der Runde zu begrüßen, und verzog keine Miene, als ihr Verlobter davon sprach, der Frau des Tarquitius ein Geschenk zukommen zu lassen, das größer sein würde als das, welches er ihr ausgesucht hatte. Nicht dass sie ein Problem damit hatte, dass der Aurelier den Haruspex Primus bestechen wollte, aber sie fand es dann doch nicht ganz so fein, dass er dafür tatsächlich mehr ausgeben wollte als für sie. Und das auch noch so freimütig in ihrer Gegenwart kundtat. Gracchus' Ankunft indes unterbrach zunächst diesen Teil des Gesprächs, schien dann aber doch zu beschleunigen, was Lupus anstrebte – und es doch deutlich für ihn zu verbilligen. Das Lächeln, das nun um ihre Mundwinkel spielte, hatte wieder etwas leicht Triumphierendes. Dass der Aurelier bereits jetzt davon profitierte, mit ihr verlobt zu sein, gefiel ihr, und sie warf Gracchus einen Blick zu, der durchaus so etwas wie Anerkennung enthielt. Entgegen dessen, was ihr Vater von seinem Neffen halten mochte, war dieser durchaus in der Lage, seinen Einfluss geltend zu machen.


    Als beide Männer in der Menge verschwunden waren, lächelte Nigrina ihren Verlobten an. „Meinen Glückwunsch. Deiner Aufnahme ins Collegium scheint nichts mehr im Weg zu stehen.“

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    Die Begleiter der jungen Flavia, die sie von Aquileia nach Rom geleitet hatten, waren ebenfalls eingetreten, aber keiner von ihnen blieb noch länger bei dem Mädchen. Die meisten verdrückten sich, in Richtung Küche oder Unterkünfte, wo sie die Chance nutzten sich von der Reise zu erholen, solange sie konnten. Der Anführer suchte Aetius auf und erstattete ihm Bericht.


    Einige Zeit später erschien eben jener im Atrium. Er hatte sich bewusst Zeit gelassen. Das Mädchen war bei seiner Mutter aufgewachsen, und was die von ihm hielt, war ihm nur allzu bewusst. Besser also das Kind früher als später auf die Probe stellen und sehen, wie es reagierte. Sein Lächeln jedoch war so breit und jovial wie immer, als er auf seine Tochter nun zuging. „Domitilla!“ Es war gar keine Frage, wer wer war, schon allein aufgrund des Alters nicht. Die Sklavin würdigte er keines Blickes – später würde er sich von ihr Bericht erstatten lassen, was sie von seiner Tochter wusste, aber für den Augenblick gab es hier eine Flavia, die es zu begrüßen galt. „Du glaubst gar nicht, wie sehr es mich freut, dich endlich kennen zu lernen – mehr noch, dich noch dazu gleich hier in Rom begrüßen zu können.“ Ungeachtet ihrer Reaktion, ob sie es wollte oder nicht, schloss er sie kurz in die Arme, bevor er sich niederließ. Im nächsten Augenblick hielt er ein in ein samtenes Tuch eingeschlagenes kleines Päckchen in der Hand, in dem eine feine, goldene Kette mit einem zierlichen Heroldstab – dem Wappen der Flavier – als Anhänger daran zu finden war. Er zwinkerte. „Meinen Glückwunsch zu deinem dreizehnten Geburtstag – wenn auch etwas verspätet.“


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    Aetius gab dem Parther einen Wink, ohne ihm einen Blick zu schenken, und wie befohlen trat der Sklave einen Schritt vor und erzählte, was er bisher im Ludus Dacicus gesehen hatte – was nicht viel war, war er doch erst einmal dort gewesen. Der Lanista hatte deutlich gemacht, dass es erst dann ein Training gab, wenn die Verträge unterschrieben waren, und eben jene zu unterschreiben hatte Aetius sich bis jetzt bewusst Zeit gelassen. Der Parther also konnte im Grunde nur Malachi erwähnen, der Iunia Axilla gehörte, den Doctor, der ihren Übungskampf beurteilt hatte – und den Lanista sowie seinen Gehilfen.


    Nach diesem Gespräch willigt Aetius ein, dass der Parther kurz sein Können zeigte, um seine Tauglichkeit für eine Ausbildung als Gladiator zu beweisen. Zwar zeigte sich – wie auch im Ludus Dacicus bereits –, dass er nicht gerade das war, was man einen Könner mit dem Schwert hätte nennen können, aber dennoch alles andere als untalentiert war. Während der Parther also sein Können zeigte und von einem Doctor dabei beurteilt wurde, unterhielt sich Aetius mit dem Procurator über die vertraglichen Konstellationen.


    Mit einem breiten Lächeln und dem Versprechen, sich zu melden, verabschiedete sich Aetius im Anschluss und verschwand mitsamt seinen Sklaven.

    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso


    Ach ja. Er war ja gar nicht alleine, wie er es sich in einem Anfall von Autismus gedacht hatte. Seine Schwester war ja noch da! Nigrina!
    Piso hatte sich lange Zeit miserabel gefühlt. Wegen seiner unerfüllten Liebe, wegen des Todes zweier ihm besonders nahe stehenden Personen, wegen Nigrinas Verlobung. Aber dass die Aussicht, Prisca zu heiraten, nun so gut stand, das hatte wieder Leben in ihn hineingebracht. Er fühlte sich wieder frisch. Und er war sogar bereit, wieder ein bisschen ästhetischen Unfug zu betreiben.
    Er blcikte auf seine Schwester, verkniff sich ein Grinsen und dachte nach, wie er ihr am Besten auf den Geist gehen könnte. Nun ja. Nigrina konnte man mannigfaltig auf den Geist gehen, das war ja das Schöne an ihr. Er ballte seine linke Hand zur Faust, ließ aber seinen Zeigefinger herausgucken. Mit jenem Zeigefinger stupste er Nigrina an.
    “Huhu!“, machte er mit gefälscht hoher Stimme und grinste jetzt wirklich. “Huhu, Nigrinchen!“ Er stupste sie noch ein paar Male an. “Huhu!“ Noch einmal stupste er. “Was ist mit du?“ Piso grinste seine Schwester breit an, mit dem breitesten Grinsen auf seinen Lippen seit Monaten. Mit halbwegs normaler Stimme fuhr er fort. “Magst du ein Honigbrötchen haben? Die sind echt spitze, sage ich dir...“ Er hielt Nigrina eines davon direkt unter die Nase, sodass sie ebendiese zwangsläufig mit Honig beschmieren würde, sollte sie unwillkürlich auch nur einen Zehntelzoll mit ihrem Gesicht nach vorne gehen.
    Den Kampf da unten beachtete er bei diesem Heidenspass nciht einmal sonderlich.


    Nigrina genoss es. Eigentlich. Bis zu dem Moment, in dem ihr geschätzter Bruder auf sie aufmerksam wurde. Sie hatte durchaus gemerkt, dass seine Laune sich in der letzten Zeit wieder gebessert hatte, und sie war auch froh darum, dass er nicht mehr wie ein Trauerkloß durch die Gegend lief – tote Schwester in allen Ehren, aber was Piso gebracht hatte, war ihr einfach zu weit gegangen. Vor allem, dass er zu ihrer Sponsalia in Trauerkleidung erschienen war! Das hatte sie ihm bis heute noch nicht verziehen. Die Feier war ja bewusst so gelegt worden, dass die Zeit für Trauer vorbei war, musste sie ja, um kein Unglück zu provozieren, es hatte also keinen, KEINEN, Grund gegeben für Piso, in Trauer zu erscheinen. KEINEN. Dass er es trotzdem getan hatte, hatte Nigrina durchaus als Angriff auf sich, auf ihren Verlobten und auf die Tatsache bezogen, dass sie auf ihrem Willen und der Entscheidung ihres Vaters bestanden hatte, anstatt Piso nach dem Mund zu reden und den Aurelier in den Wind zu schießen, um weiter unverheiratet herumzulaufen und immer älter zu werden und älter, bis ihr Marktwert so sehr gesunken war, dass sie quasi an den nächstbesten verschachert werden musste. Irgendeinen alten Sack, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte, oder noch schlimmer: einen Plebejer.


    Piso also wurde auf sie aufmerksam, und von dem Moment an begann Nigrinas Laune, so euphorisch durch die Aussicht auf die Kämpfe, zu sinken. „Was?“ fragte sie auf sein erstes Stupsen, kombiniert mit einem quietschigen Huhu hin, da noch nicht wirklich genervt, nur ein wenig erstaunt vielleicht. Sie sah zu ihm, und beim Anblick seines Grinsens schwante ihr nichts Gutes. Und tatsächlich: er machte weiter. Stupsen, Huhu, Stupsen, Huhu, und Nigrina hatte schon nach dem ersten Mal die Nase voll gehabt. „Aulus… was…“ Jetzt klang sie zunehmend genervter, und ihre Brauen zogen sich unwillig zusammen. „Jetzt lass das endlich, du bist doch keine zehn mehr!“ fauchte sie schließlich, ungeachtet seines Grinsens, und dann geschah es: sie sah das Honigbrötchen noch auf sich zukommen, aber sie konnte die eigene Kopfbewegung nicht mehr aufhalten. Nicht mal einen Lidschlag später klebte ihr Honig im Gesicht. IM GESICHT! „AULUS!“ Nigrina schlug ihm grob das Brötchen aus der Hand, das quer von dannen segelte, und es interessierte sie in diesem Moment gelinde gesagt einen Scheißdreck, wer es abbekam. „Das war doch Absicht von dir!“ klagte sie ihn an, während sie zugleich nur eine ungeduldige Geste nach hinten machte, von wo ihr nur kurze Zeit später ein Tuch gereicht wurde – allein: dennoch zu spät, in ihren Augen, und vor allem: das Tuch war nicht feucht. „Mitdenken! Ich brauch Wasser!“

    „Salinator also“, lächelte Nigrina. Ob sie sich dabei so vorkam, als verkaufe sie sich ein wenig? Mitnichten. Der Mann war Plebejer, mehr noch, ein Emporkömmling, aber er hatte Macht, Macht, und das war eines der wenigen Kriterien – wenn nicht das einzige –, das Nigrina dazu veranlassen konnte, über ihre Herablassung gegenüber allen, die niedriger standen als sie, hinweg zu sehen. Kein Wunder, wurde die ihr eigene Arroganz doch nur übertrumpft von ihrem Wunsch nach Einfluss und der Mehrung der eigenen Macht. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, wäre der Mann neben ihr ein Patrizier. Aber nun, man konnte nicht alles haben, und Nigrina gehörte zu den Menschen, die damit durchaus umgehen konnten.


    „Doch, das könnte man sicher so sagen“, antwortete sie. Theater-Fan im eigentlichen Sinn stimmte vielleicht… nicht ganz, aber sie ging oft genug ins Theater. Mehr um zu sehen und gesehen zu werden, sicher, und um Leute kennen zu lernen – so wie hier – und vielleicht etwas Klatsch aufzuschnappen, der andernorts gewinnbringend eingesetzt werden konnte – obwohl dafür die Thermen ein noch besserer Ort waren –, aber der Praefectus Urbi hatte ja nicht nach dem Grund gefragt, aus dem sie gern ins Theater ging. „Hier in Rom ist es allerdings erst das zweite Mal, dass ich es in eine Aufführung geschafft habe. Was ist mit dir, trifft man dich häufiger im Theater an?“

    Nachdem sie den Tarquitius ebenfalls begrüßt hatte, gab es für Nigrina… nichts mehr zu tun. Vielleicht hätte es das ein oder andere gegeben, was sie noch hätte sagen können, um ihren Verlobten zu unterstützen, aber: sie kannte weder ihn noch den Haruspex Primus, sie konnte keinen von beiden einschätzen. Und Lupus wirkte durchaus so, als ob er das Gespräch allein sehr gut im Griff hatte. Nein, das Risiko hier war zu groß, dass sie eher störte denn half, und so beschränkte sie sich darauf das zu tun, was die Mindestanforderung einer jeden Ehefrau war: aufmerksam zu wirken – gleichgültig ob sie nun gelangweilt war oder nicht –, an den richtigen Stellen zu lächeln, und die Überzeugung auszustrahlen, dass der Mann an ihrer Seite genau das Richtige tat.

    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso


    Auch Nigrina hatte sich gemeinsam mit Piso zu den Gladiatorenkämpfen eingefunden. Natürlich! Das war doch etwas, was sie sich nicht entgehen lassen würde! Irgendwo hinter ihr stand in dem kleinen Pulk an Sklaven, die ihr stets hinterher hechelten, auch der Parther, für den das Kommende besonders interessant sein dürfte, da sie vorhatte ihn irgendwann einmal auch in einer Arena zu sehen – was er wusste, inzwischen.


    Interessiert beobachtete sie die Darbietung der Mädchen und machte sich gedanklich eine Notiz zu prüfen, ob so etwas womöglich auch auf einem privaten Fest gut ankommen würde bei Gästen. Und zugleich waren da auch schon die Gladiatoren zu begutachten... Nigrina genoss es. Die Darbietung der Mädchen, die Gladiatoren, das Jubeln der Menge und die Vorfreude auf die Kämpfe – die ganze Atmosphäre hier. Sie genoss es.

    Sim-Off:

    Tut mir wirklich leid, hab auch den hier vergessen...


    „Natürlich darfst du das“, lächelte Nigrina. Hallo, das war der Praefectus Urbi. Selbst wenn er beschloss ihr irgendeinen Spitznamen zu verpassen und sie fortan mit diesem zu rufen – je nachdem was für ein Spitzname das sein würde, würde es ihr kaum gefallen, aber es gab nicht viel, was sie dagegen sagen würde, jedenfalls nicht in seiner Gegenwart. „Darf ich mir denn die gleiche Frechheit herausnehmen?“ Ihr Lächeln bekam etwas Verschmitztes, während sie sich ein wenig zurücklehnte und dann einen kurzen Blick auf die Bühne warf. Um sie herum erstarben nach und nach die Gespräche, was ein Anzeichen dafür war, dass das Stück bald beginnen würde, und auch Celerina schien ihre Aufmerksamkeit vermehrt auf die Bühne zu richten. Dennoch antwortete Nigrina dem Vescularier, etwas leiser nun, auf seine Frage. „Ich bin mit beiden verwandt.“ Sie war sich nicht ganz sicher, was sie aus der Frage des Praefectus Urbi heraushörte, aber dass sie sowohl mit Furianus als auch mit Gracchus verwandt war, ließ sich nun mal schlecht leugnen. Auch wenn sie – geprägt durch ihren Vater – zumindest von Gracchus nicht sonderlich viel hielt. „Sie sind beides Vettern von mir, ersten und zweiten Grades.“ Oder war sie Furianus' Tante zweiten Grades? Damit kam sie immer durcheinander, aber letztlich war das auch nicht so wichtig, fand sie.

    Sim-Off:

    Entschuldige bitte! Das hab ich irgendwie komplett aus den Augen verloren :(



    Nigrina blieb unbeteiligt im Hintergrund stehen, nachdem sie der Sänfte entstiegen war, auch wenn es ihr nicht gefiel warten zu müssen, während ihr Sklave höflich nickte und leicht lächelte. „Ich danke dir. Wir werden so lange warten.“

    Was auch immer für Domitillas dreizehnten Geburtstag noch geplant war: es sollte nie stattfinden. Denn noch im Laufe des Vormittags erschienen Reiter bei der Villa Horatia. Sie waren gut gekleidet, und nichts deutete darauf hin, dass sie einen längeren Ritt hinter sich hatten. Ihr Auftritt hier war wohl geplant, und ihre Anweisungen deutlich. Entsprechend waren sie bereits vor zwei Tagen eingetroffen, um alles vorzubereiten – und ihrer Ankunft bei der Villa Horatia den passenden Flair geben zu können, der da sicherlich nicht beinhaltete den Eindruck zu erwecken, als sei die Entscheidungsgrundlage für diesen Besuch überstürzt getroffen worden. Vielmehr, so war ihnen eingeschärft worden, habe ihre Anwesenheit vor allem eines zu vermitteln: dass die Horatia, auch wenn sie das wohl geglaubt haben mochte, in all den Jahren nie vergessen worden war – und niemals wirklich unbeobachtet.


    Ein forsches Klopfen und ein paar deutliche Worte gewährten ihnen Einlass, und dort, im Atrium, wurde nach Horatia Lepida sowie Flavia Domitilla verlangt. Der Mutter, als sie eintraf, wurde vom offenkundigen Wortführer der drei, die das Haus betreten hatten, ein respektvolles Nicken entgegen gebracht. „Salve, Horatia Lepida. Ich habe eine Botschaft für dich.“ Ohne weiteres Federlesens überreichte er ihr eine versiegelte Schriftrolle und wartete dann zunächst ab, bis die Frau das Siegel gebrochen und die Botschaft gelesen haben würde.


    Lepida, Schätzchen, nach langen Jahren, in denen du nichts von mir gehört hast, ist es nun an der Zeit. Sicherlich bist du trotz der Ruhe, die ich dir gegönnt habe, nicht davon ausgegangen, ich hätte dich vergessen – oder meine Tochter. Domitilla ist nun dreizehn, womit ich sie weit länger in deiner Obhut gelassen habe als üblich ist. Du weißt, dass ich das nur dir und der Erinnerung unserer gemeinsamen Zeit – an die ich wirklich gern zurückdenke, vor allem an gewisse... Fähigkeiten von dir – zuliebe geduldet habe. Aber nun, wo das Mädel in das Alter kommt, in dem sie gewinnbringend verheiratet werden kann, ist es an der Zeit, dass sie zu ihrer Familie kommt. Sie muss lernen, was es heißt, eine Flavia zu sein, bevor sie eine standesgemäße Ehe eingeht.


    Die Männer, die dir diese Botschaft überbringen, haben den Auftrag, Domitilla mitzunehmen. Sie werden sie nach Rom bringen, wo ich mich derzeit aufhalte. Ob die Kleine dort dann gleich bleibt oder mit mir nach Ravenna kommen wird, entscheide ich, wenn ich abreise. Vorher möchte ich sie kennen lernen und beurteilen, wie weit das Mädchen ist. Ach ja, und richte meiner Tochter schöne Grüße aus. Ich freue mich auf sie.


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    P.S.: Ich denke es ist nicht nötig, dich daran zu erinnern, dass du keine Wahl hast als meinem Wunsch nachzukommen. Dennoch, unter alten Freunden sei mir die Freude vergönnt, dich in diesem Schreiben darauf hinzuweisen: Schätzchen, du hast keine Wahl.

    Nigrina war recht erleichtert, als der erste Ansturm der Gratulanten vorbei war. Nur da zu stehen, zu lächeln und Glückwünsche entgegen zu nehmen, wurde auf Dauer einfach langweilig, zumal sie mit keinem länger ins Gespräch kommen konnte, nicht solange andere darauf warteten, ebenfalls kurz zu gratulieren. Nachdem jedoch die meisten durch waren, hatte sie die Gelegenheit, endlich mit dem ein oder anderen mehr zu plaudern – nun ja, ihre Möglichkeiten waren immer noch etwas begrenzt, weil sie mit ihrem Verlobten gemeinsam gewisse Persönlichkeiten abklapperte, aber nun, man konnte nicht alles haben. Und das hier war nun mal ihre – gemeinsame, sollte man dazu erwähnen – Sponsalia.


    Und, das musste sie ihm lassen, Lupus erwies sich tatsächlich als angenehm – sowohl als Begleiter wie auch als Gesprächspartner –, bis er dann plötzlich doch ein Gespräch abwürgte, in dem sie sich gerade befanden. Ein kurzer Blick aus ein wenig verengten Augen traf ihn, aber sie schloss sich ihm nur an und verabschiedete sich mit einem charmanten Lächeln. Dass der Aurelier etwas bestimmtes im Sinn hatte, merkte sie spätestens, als er nicht einfach weiter schlenderte, sondern zielgerichtet mit ihr in eine Richtung strebte. Den Bruchteil eines Augenblicks überlegte sie, ob sie ihn fragen sollte, was es damit auf sich hatte – aber sie beschloss, einfach abzuwarten. So wie es aussah, würde sie es ohnehin gleich erfahren, was ihr Verlobter wollte. Und tatsächlich, wenige Momente später standen sie beim Haruspex Primus, den Lupus begrüßte. „Haruspex Primus Tarquitius.“ Nigrina setzte ihr lieblichstes Lächeln auf. Lupus wollte ins Collegium aufgenommen werden, das hatte ihr Vater ihr erzählt. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Wir fühlen uns geehrt, dass du unserer Einladung nachkommen konntest.“

    Nigrina bemerkte, dass der Aurelier zu ihr sah, aber sie ignorierte ihn schlichtweg. Das hier ging ihn nichts an – und sie erwartete noch nicht einmal, dass er verstand, was hier vor sich ging. Männer waren in dieser Hinsicht nicht sonderlich helle. Die Iunia allerdings schien auch nicht wirklich zu verstehen, was los war... was Nigrina gänzlich den Spaß an der Sache raubte. So naiv und ehrlich konnte eine Frau doch gar nicht sein! Schon gar nicht eine, die einen Aelius klar gemacht hatte, ein Mitglied der Kaiserfamilie, ganz gleich wie nah oder fern der Kerl nun mit dem Kaiser selbst verwandt sein mochte! Aber nein, Nigrina konnte nichts feststellen, weder im Tonfall der Iunia noch in ihrem Gesichtsausdruck. Da war nur... Offenheit. Als die Iunia sich kurz abwandte, verzog Nigrina ganz leicht abschätzig den Mund, und sah kurz ebenfalls in die Richtung, in die Axilla blickte, nachdem diese für einen Augenblick erstarrt zu sein schien. Der Begleiter der Vinicia war es, der die Aufmerksamkeit der Iunia auf sich gezogen hatte, stellte sie kurz fest – sich seinen Namen einzuprägen, diese Mühe hatte sie sich nicht gemacht, und sie brachte ihn auch nicht in Verbindung mit jenem Mann, den ihr Bruder hatte hinaus schmeißen wollen. Es war unwichtig. Als die Iunia sich wieder umdrehte und den Abschied einleitete, lächelte sie ihr nur wieder zu, diesmal recht unverbindlich, und nickte leicht. „Oh, mach dir deswegen nur keine Sorgen. Keiner würde es wagen, dir einen Vorwurf zu machen.“ Kein Mann, wenigstens. „Genieß das Fest!“

    Lächelnd stand Nigrina neben ihrem Verlobten, ganz wie es sich gehörte, während dieser sich ein wenig ausführlicher mit seinem Patron unterhielt. Als Lupus jedoch von seinen Cousinen sprach, Zwillinge, eine geplante Vestalin, die andere... unerwähnt, wurde sie ein wenig aufmerksamer. Vestalin hin oder her, das war ihr reichlich egal, aber dass der Aurelier auf die andere Cousine so gar nicht einging, ließ Nigrina vermuten, dass da etwas im Busch war. Erst recht, als da noch der versteckte Vorschlag kam, sein Patron solle doch Gesellschafter der Zwillinge spielen, verpackt in den dezenten Hinweis, dass er es nicht könne. Immerhin war der Tiberier erst kürzlich seine Frau losgeworden – natürlich hatte auch Nigrina davon gehört, war das doch, wenn schon nicht ein Skandal, so doch sehr... pikant.


    Die nächsten Gratulanten folgten dem Tiberier auf dem Fuße, und Nigrina spielte ihre Rolle vorbildlich, lächelte, plauderte ein wenig mit den Gästen, hatte zwischendurch einen leichten Scherz auf den Lippen, wo es angebracht war... Und begann sich schon recht bald zu langweilen, was sie jedoch gekonnt verbarg. Mit einem Lächeln, das ebenso strahlend war wie die ganze Zeit schon, wandte sie sich dem nächsten Gast zu – bei dem ihr Lächeln ein klitzekleines bisschen gefror. Der Ausdruck ihrer Augen hingegen gefroren nicht nur ein bisschen, er wurde eisig. Ähnlich wie in jenem Moment, als sie der Vinicia gewahr wurde, schoss ihr beim Anblick der Iunia erst mal nur ein Wort durch den Kopf: FRECHHEIT! Es war eine. bodenlose. Frechheit!!! dass die Iunia es wagte, SO gekleidet auf IHRER Sponsalia zu erscheinen, wo SIE, Nigrina, die Hauptrolle spielte, wenigstens die weibliche. Und die Iunia war aufgemacht in einer Art, die die Blicke ganz eindeutig ablenkte. Von ihr, der Braut, auf der die Blicke eigentlich ruhen sollten. „Iunia Axilla“, lächelte sie. Wer ganz genau hinhörte, mochte nun in ihrem Tonfall etwas... Schneidendes wahrnehmen. Diese gewisse Mischung aus falscher Freundlichkeit und einem Anklang von Hinterhalt, in der männlichen Variante Aetius so gut beherrschte – und dabei stets so klang, dass es nicht wirklich greifbar schien. Die Iunia konnte es vielleicht heraushören, der Aurelier hingegen, der sie nun bereits einige Gäste hatte begrüßen hören, dagegen schon eher. „Ich danke dir für deine Glückwünsche. Oh, ein Geschenk – ich bin überzeugt, dass es mir gefallen wird.“ Sie war sich nicht ganz sicher, was die Iunia mit ihrem Kommentar zu grün und blau meinte, aber allzu viele Möglichkeiten gab es nicht, und sie würde es schon herausfinden. „Was für ein bezauberndes Kleid du trägst. Ich muss sagen, es steht dir vorzüglich. Dein Begleiter wird sicher von allen hier beneidet – wo hast du ihn denn gelassen?“ Sie wusste, dass die Iunia alleine hier war. In ihrer Rückmeldung hatte sie nichts von einem Begleiter vermerkt gehabt, nur dass sie kommen würde. Und, natürlich wusste sie noch, was die Iunia ihr bei ihrem Kennenlernen erzählt hatte: dass ihr Mann tot war. Sie wusste inzwischen sogar, wer ihr Mann gewesen war. Und dennoch: nein. Nigrina konnte sich diese Spitze – im freundlichsten Tonfall formuliert übrigens – nicht verkneifen. Die Iunia hatte es gewagt, SO hier zu erscheinen, und für Nigrina gab es darauf nur eine Reaktion: Rache. Und wenn sie noch so klein sein mochte.