Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Wenn schon die Gelegenheit da war, dann wollte Sextus sie auch schnell ergreifen.


    “Ich bitte den Princeps Senatus, auch gleichzeitig eine kleine Änderung des Paragraphen 41 zur Abstimmung zu stellen. Die momentane Fassung ist sprachlich falsch, und wenn wir hier schon Änderungen vornehmen, können wir sie auch gleich berichtigen. Denn ja, ich finde es peinlich, Grammatikfehler auf Bronzetafeln zu finden.


    Daher bitte ich um Abstimmung der Änderung im Wortlaut auf:


    (1) Um die Ämterlaufbahn aufnehmen zu können muss man dem Ordo Senatorius angehören, einer gültigen Ehe gemäß Lex Iulia et Papia entstammen und nicht von Ehrlosigkeit (Infamie) betroffen sein. Infamen Personen, die bereits Ämter des Cursus Honorum innehatten, ist es nicht gestattet, die Ämterlaufbahn weiterzuführen. Frauen sind nicht zur Wahl zu den Ämtern des Cursus Honorum zugelassen.
    (2) Aktives Wahlrecht haben alle Senatoren. Anders verhält es sich zur Wahl des Volkstribunes, hier haben alle Plebeier mit römischem Bürgerrecht das aktive Wahlrecht.



    Da es sich hierbei nur um eine Änderung im Wortlaut bei zwei Worten handelt, nicht im Inhalt, hoffe ich darauf, hier gleich eine Änderung beschließen zu können, ohne große Diskussion darüber. Außer natürlich, es möchte jemand hierüber ausführlicher diskutieren.“

    “Allerdings hast du einen taktischen Vorteil: Du bist Patrizier. Dieser Pöbel weiß, dass Patrizier reich sind. Oder zumindest sind sie dieser festen Überzeugung. Daher wissen sie, dass von einem Patrizier mehr Geschenke kommen. Und häufiger.
    Natürlich ist alles ein beständiger Prozess. Das ist das Finden von Freunden im Senat allerdings ebenfalls. Auch diese sind seltenst von Dauer. Ein kluger Mann wird immer an beiden Fronten investieren.“

    Sextus sparte sich irgendwelche Ausführungen darüber, dass dieser Pöbel das Volk von Rom sei, oder ähnlich pathetischen Schwachsinn. Er konnte die Abneigung seines Klienten ja durchaus nachvollziehen. Er hielt sich auch sehr auf Abstand zu jedem, den er unter seinem Stand wähnte. Einzig konnte er bezüglich seiner eigenen Abneigung eindeutig besser schauspielern.


    ~~~



    Auch mit dem Speer wurden die Reihen der Tiere weiter gelichtet. Zwischendurch kamen immer wieder unauffällig Helfer in die Arena geflitzt, die die bereits verendeten Tiere aus dem Weg zogen, so dass die Jäger nicht über Tierkadaver steigen mussten.
    Schließlich war nur noch ein einziges Tier übrig geblieben, das sich ängstlich hinter einem der Büsche duckte. Die Jäger indes glänzten inzwischen auch hier und da von Blut, wenn sie ein Tier aus der Nähe getötet hatten oder einem schlecht getroffenen und schreienden Bock mit dem Messer den Gnadenstoß gegeben hatten.


    Die letzte Gazelle aber rührten sie nicht an. Als ihr Werk getan war, hoben sie noch einmal ihre Arme zum Gruß an das Publikum, strahlten allen winkend entgegen – und verließen die Arena. Kurz noch huschten ein paar Helfer, um wirklich alle toten Tiere vom Sandplatz zu entfernen. Und dann war die Arena erst einmal leer.
    Die verängstigte Gazelle stand noch immer zitternd und bebend an einem der größeren Büsche und versuchte, etwas im Wind zu wittern. Aber überall lag der Geruch der großen Stadt und der vielen Menschen hier, so dass sich keine Beruhigung einstellen konnte.


    Als die Spannung sowohl bei Tier als auch beim Publikum wohl den Siedepunkt erreichte, öffnete sich rasselnd wieder ein Tor. Allerdings nicht das große Tor, durch das die venatores die Arena verlassen hatten, sondern zwei kleinere.
    Mit einem tiefen, dunklen Grollen kam aus jedem Tor ein Löwe, beide mit prächtiger, dunkler Mähne. Große Tiere, deren Muskeln sich deutlich unter dem Fell abzeichneten. Sie rochen das Blut im Sand, und fast augenblicklich tropfte von ihren Lefzen der Speichel. Ganz offensichtlich waren sie sehr hungrig.
    Und die Gazelle bemerkte es ganz offensichtlich auch in diesem Augenblick...


    An der Spitze änderte sich auch in der folgenden Runde nichts. Souverän führte Proteneas das Feld an. Wirkliche Spannung entstand nur in dem Feld hinter ihm.


    Hamiris hatte wohl zu alter Form nun doch zurückgefunden und gab seinen Pferden die Peitsche. Er schloss wieder zu Lusorix und zu Oxtaius auf. Alle drei Wagen kamen dem noch immer peitschenlosen Phytocles nun schon gefährlich nahe. Dessen einzige Taktik momentan, die Gegner hinter sich zu halten, bestand darin, möglichst blockierend auf der Fahrbahn zu bleiben und zu versuchen, die Pferde doch noch anders dazu zu motivieren, schneller zu fahren.
    Davor im Feld wurde Sotion noch immer von Tanco verfolgt. Dieser brüllte seine Pferde so sehr an, dass man seine Stimme deutlich über das Trommeln der Hufe hinweg hören konnte. An den Nüstern seiner Tiere vermeinte man fast, Schaum zu sehen, so unbarmherzig wurden sie zur Schnelligkeit gezwungen.
    Dich hinter ihm war noch immer Amasis, der sich offensichtlich nicht damit zufrieden geben wollte, von einem bislang unbekannten Fahrer auf den vierten Platz verwiesen worden zu sein.


    Aber noch waren zwei Runden zu fahren.


    Auch in der vierten Runde schien es nicht so, als ob Proteneas seiner Rolle als Favorit nicht gerecht werden würde. Souverän fuhr er auch diese Runde an der Spitze zu Ende.


    Dahinter versuchte noch immer Sotion, den Abstand zu verkleinern. Wild spornte er seine Pferde an und machte sogar Boden auf den Führenden gut. Allerdings war er da nicht der einzige.
    Tanco hatte sich endgültig aus dem Gerangel mit Phytocles gelöst. Kurzerhand hatte er sich die Peitsche des goldenen Fahrers geschnappt und ihm entrissen. Mit einem wütenden Aufschrei hatte er sie einfach auf die Rennbahn gepfeffert und seine Pferde weiter angetrieben. Nun kam er auch Sotion gefährlich nahe, aber in dieser Runde noch nicht ganz heran.
    Phytocles konnte ohne die Peitsche seine Pferde nicht mehr ganz so hart antreiben. Er versuchte es mit dem Knallen der langen Zügel, aber seine Pferde konnten das Tempo nicht ganz halten. Auch Amasis zog wieder an ihm vorbei und schloss die Lücke zu den vorderen.
    Auch das hintere Feld konnte nun endlich den Anschluss an das Hauptfeld bilden.Lusorix trieb seine Pferde nun mehr und mehr an. Es schien beinahe, als hätte er deren Kraft für die letzten drei Runden aufgespart und würde erst jetzt so richtig am Rennen teilnehmen. Am Ende der Runde war er nur noch eine knappe Wagenlänge hinter Phytocles.
    Auch Hamiris und Oxtaius konnte das Tempo erhöhen und wieder gänzlich ans Feld anschließen. Oxtaius erwischte es hierbei allerdings etwas besser, so dass er sich nun doch auch knapp vor den blauen Fahrer setzte und, das Hauptfeld nun wieder in greifbarer Nähe, seine Pferde hart antrieb.


    Es schien, dass sich Proteneas den Sieg nicht mehr nehmen lassen könnte. Selbstbewusst führte er mit einigen Wagenlängen das Feld an und blickte noch nicht einmal zurück, was die anderen hinter ihm trieben.


    Deren treiben war mithin ohnehin weit spannender, da hier die Wagen immer dichter beieinander lagen. Amasis schien vom vorangegangenen Überholmanöver etwas aus der Ruhe gekommen zu sein. Seine Pferde scheuten leicht, wenn ihnen ein Wagen zu Nahe kam. Im dichten Feld konnte er daher seinen vierten Platz nicht halten und musste Sotion endgültig an sich vorbeilassen.
    Dieser nutzte auch gleich die Möglichkeiten und ließ seine Peitsche laut knallen. Seine Pferde machten mehr und mehr Boden gut und schlossen schließlich auch zu Tanco und Phytocles auf.
    Tanco konzentrierte sich hauptsächlich auf den Wagen direkt vor ihm. In der nächsten Kurve setzte er sich so an Phytocles, dass sich die Wagenräder beinahe berührten. Direkt nach der Kurve versuchte er erneut, was ihm in der letzten Runde einen Vorteil verschafft hatte: Er drängte seinen Wagen so gegen den von Phytocles, dass dieser fast gegen die Wand gedrückt wurde. Nur hier war der Fahrer besser vorbereitet und zog Tanco eins mit der Peitsche über.
    Sotion nutzte das Gerangel zwischen den beiden und schnellte an beiden vorbei. Am Ende der Runde war er auf dem zweiten Platz, dicht gefolgt von Tanco, Phytocles und etwa eine Wagenlänge dahinter Amasis.


    Im hintersten Drittel hatte sich Lusorix nun an Hamiris angenähert. Der blaue Fahrer schien etwas aus dem Konzept gebracht zu sein, denn Lusorix fuhr beinahe unbehelligt an diesem schließlich vorbei. Danach trieb er seine Pferde hart an, man konnte sein Rufen bis in die hintersten Reihen des Circus hören. Beinahe war er so am mittleren Feld am Ende der Runde schon heran.
    Oxtaius konnte seinem factiolosen Kollegen nicht folgen. Er kämpfte sich an Hamiris heran, kam an dessen Gespann aber nicht vorbei.

    Sein Klient erwies sich wieder einmal als ein bisschen snobistisch und überheblich. Etwas, das Sextus nicht verurteilte, ein profundes Standesbewusstsein konnte man ihm durchaus auch nachsagen. Dennoch entschied er sich, ein wenig den ursus explanandis (oder neulateinisch: den Erklärbär) zu mimen und die Aussagen seines Klienten etwas zu erweitern.
    “Ich würde es weniger Etikette nennen, sondern schlichtweg Taktik. Dieser Grundstock römischer Stadtbevölkerung wird sich nicht für religiöse Errungenschaften interessieren, oder welche Erbschaften wer zugesprochen bekommen hat. Sie selbst haben nichts zu vererben und sind so abergläubisch, wie man es sich nur vorstellen vermag.
    Aber was sie wissen werden, ist, dass die patrizischen Familien Tiberia und Aurelia sie mit Fleisch versorgt haben. Etwas, was sie sonst nur von Hunden oder Ratten kennen, und das nur, wenn sie ein solches Tier fangen können. Sie werden ihre vollen Bäuche kennen und den süßen Geschmack und unsere Großzügigkeit preisen. Und zumindest in den nächsten Wochen werden sie ihre Zähne in jeden schlagen, der schlecht über dich als ihrem großen Gönner spricht.
    Wenn du einmal Ädil sein wirst, hast du ihre Begeisterung für dich völlig kostenfrei heute dazugewonnen.


    Und die übrigen Senatoren werden um diesen Umstand wissen. Wenn sie dich ausbooten wollen, müssen sie diese Großzügigkeit erst übertreffen. Und solange sie das nicht können, werden sie es sich deutlich überlegen müssen, etwas gegen dich zu unternehmen. Und wenn sie klug sind, bis dahin mit dir zusammen arbeiten.
    Sieh es also als Investition in deine politische Laufbahn. Und frische die Erinnerungen des Volkes immer wieder auf. Letzten Endes sind diese Massen die günstigsten Verbündeten, die du haben kannst.“


    ~~~


    Die Jäger unten in der Arena übertrafen sich an akrobatischen Einlagen gegenseitig. Sie schossen ihre Pfeile aus der Drehung, im Knien, im Springen, im vollen Lauf. Jedes Mal, wenn ein Pfeil sirrend die Sehne verließ, brach an anderer Stelle ein Tier zusammen und blieb blutend liegen.
    Panisch sprangen einige der Gazellen durcheinander. Zwei von ihnen flohen so in Panik, dass sie mit dem Kopf gegeneinander sprangen und liegen blieben, ohne dass ein Pfeil sie auch nur berührt hätte.
    Als nur noch etwa zehn Tiere übrig waren, legten die Jäger ihre Bögen beiseite und ließen sich Speere zuwerfen. Diese waren auch mit Messing überzogen, so dass sie deutlich im Sonnenlicht glitzerten.
    Als erstes warf einer der Männer seinen Speer nach einer der Gazellen – und verfehlte. Allerdings hatte sein Wurf solche Kraft, dass der Speer im gemauerten Rand der Arena stecken blieb. Seine weiblichen Kolleginnen lachten deutlich sichtbar mit theatralisch übertriebenen Bewegungen. Eine der Amazonen nahm ihren Speer hoch, so dass sie ihn werfen konnte. Sie nahm ein paar Schritte Anlauf, ihr Gang federte leicht. Als die Gazellenherde vor ihr auseinanderstob ließ sie den Speer von ihrem Arm schnellen. Zielgenau durchbohrte die Spitze die Schulter eines großen Bockes mit ausladendem Gehörn. Das Tier brach im Lauf zusammen und blieb auf seinen eingeknickten Vorderbeinen liegen.

    “In diesem Fall muss ich mir bei den nächsten von mir inszinierten Spielen wohl etwas besseres einfallen lassen“, meinte Sextus leicht verschmitzt. Auch wenn die Enttäuschung in diesen Worten gespielt war, war sie durchaus auch in gewisser Weise auch echt. Selbstverständlich hätte er dem Kaiser nur zu gerne etwas neues und außergewöhnliches gezeigt. Aber dafür reichte so eine kleine Spielerei bei den gladiatoren wohl nicht aus.



    ~~~


    Der summa rudis, der Schiedsrichter des Kampfes, erschien als letztes in blütenweißer Toga. Kurz grüßten alle Beteiligten mit ihrem erhobenen Waffenarm – oder beim summa rudis dem erhobenen Stock – den Kaiser und mit einer langsamen Drehung in alle Richtungen auch das Publikum.
    Nach diesem offiziellen Teil gab der summa rudis den Kampf dann endlich frei.


    Der Retiarius bewegte sich schnell und elegant direkt zum linken der Körbe. Ohne schwere Rüstung am Leib konnte er sich sehr frei und flott bewegen und war so selbstverständlich schneller als seine Kontrahenten. Sogleich hatte er auch eine der faustgroßen Steinkugeln gegriffen und wartete auch gar nicht lange. In derselben fließenden Bewegung noch schleuderte er sie wuchtig dem nächsten Secutor entgegen.
    Dieser hob den Schild gegen diesen Angriff und verlor so das letzte bisschen Sicht, das er aufgrund seines fast geschlossenen Helmes überhaupt noch hatte. Mit einem sehr lauten PLONG traf die Kugel auch wuchtig auf den Schild auf. Ein weiteres solches PLONG folgte auch kurz darauf mit der zweiten Kugel.
    Die Wucht durch das Gewicht der Kugel freilich zwang den Secutor dazu, seine Schritte zu verlangsamen. Mit dem Gewicht seiner Ausrüstung war ein Rennen ohnehin nicht möglich, aber so musste er noch langsamer werden.


    Auf der anderen Seite hingegen war der zweite Secutor schon gut vorangekommen. Was ihm allein aber wenig nützte. Vorsichtig näherte er sich dem oberen Ende und lugte dabei vorsichtig über den Rand seines Schildes. Aufgrund der Steigung der Brücke konnte er nicht sehen, wie weit sein Kamerad schon vorangekommen war. Er hatte nur den Aufprall der Steinkugeln gehört und konnte daher nur schätzen, dass sein Mitstreiter auf seiner Seite Schwierigkeiten hatte.
    Ein Schritt vor den anderen kam er langsam höher. Noch zwei Schritte, bis er auf das Podest oben sehen konnte. Noch ein Schritt. Jetzt!
    Was seine Augen erblickten, war der auf ihn zustürzende Retiarius, den Dreizack fest in den Händen, wie die Zacken auf sein Gesicht zuschnellten. Trafen sie die Augenlöcher, wäre sein Leben als Gladiator vorbei und er blind!
    Instinktiv zuckte er zurück und riss den Schild hoch, hörte das Schrammen und kratzen. Aufgrund der Aufgangsschräge allerdings bekam er ziemliches Übergewicht nach hinten und taumelte einige Schritte rückwärts, um sein Gleichgewicht wieder zu finden. Als schließlich auch hier eine Steinkugel auf sein Schild prallte, hatte er dazu keine Chance mehr und landete erst einmal ziemlich unelegant auf seinem Hosenboden.

    Rechtlich gesehen war der Fall wohl wirklich interessant. Allerdings war es Sextus doch eher daran gelegen, die ganze Angelegenheit so einvernehmlich und unöffentlich wie nur irgend möglich zu begehen. Daher war ihm letzten Endes sogar eine mögliche Rechtsprechung fundamental gleichgültig, wohingegen sein Verhältnis zu den Flaviern eine geradezu immanente Wichtigkeit darstellte.
    “Vermutlich wäre dieser Fall in der Tat die helle Freude für einen aufstrebenden, jungen Juristen. Mir allerdings liegt weniger an Rechtsstreitigkeiten, erst recht unter alten Freunden. Daher bin ich ungeachtet der gesetzlichen Möglichkeiten in jedem Fall bereit und willens, besagte Dos zurückzuerstatten.
    Mir stellt sich hierbei hauptsächlich die Frage nach den genauen Modalitäten zur Rückgabe und der Übermittlung an ihren Vater. Soweit mir bekannt weil er ja noch immer außerhalb von Rom und für niemanden wäre eine solche Reise, noch dazu mit größeren Geldbeträgen, wohl erstrebenswert. Daher treibt mich eher die Frage nach dem wie, und weniger die nach dem ob.
    Für mich am Einfachsten wäre wohl eine direkte Rückzahlung an die Villa Flavia hier in Roma, sofern alle Parteien damit einverstanden wären. Ich möchte die Last der Überführung nicht auf dich, Flavius Gracchus, abwälzen und diesbezüglich nicht missverstanden werden. Nur nehme ich an, da ja noch Nigrinas jüngere Schwester unter deinem Obdach verweilt und vermutlich mit ähnlicher Mitgift ausgestattet werden wird, ein zweifacher Transport vermieden werden wird. Dies selbstverständlich vorausgesetzt der Prämisse, dass die junge Dame tatsächlich in Rom dereinst heiraten soll und du als Tutor ihres Vermögens zwischenzeitlich berechtigt bist.“


    Soviel zu Sextus' Überlegungen zu jener Sachlage. Natürlich dachte er bei dieser Zahlungsgeschichte nicht an Nigrinas jüngere Schwester. Diese lieferte lediglich einen äußerst logischen Vorwand zur allgemeinen Bequemlichkeit und der zwischenzeitlichen Bereicherung der Flavii in Roma. Etwas, dem Flavius Gracchus wohl prinzipiell zugeneigt sein sollte.

    Als der Kaiser zu den Spielen erschienen war, hatte sich Sextus selbstverständlich zu ihm gesellt, um ihm damit überdeutlich die Ehrenposition zu überlassen. Immerhin war er eigentlich der Ausrichter dieser Spiele, aber selbst in dieser Position wollte er nicht Verwirrung stiften, wem das Publikum nun Aufmerksamkeit schenken sollte.
    So also saß er als Klient und Editor gleichermaßen schräg hinter dem Kaiser und war sich für ein kleines Gespräch nicht zu schade.
    “Ich bin sehr erfreut, Imperator Cornelius, dass dein Zeitplan dir ein wenig Zerstreuung hier erlaubt hat. Hast du schon einmal einen solchen Brückenkampf gesehen?“



    Endlich wurden auch die Kämpfer dem wartenden Publikum angekündigt. Unter lautem Beifall betrat zuerst der Retiarius die Arena, ein junger Bursche mit braungebranntem, muskulösem Körper. Sein linker Arm steckte in einer glänzenden Manica, in der Rechten hielt er einen ebenso glänzenden Dreizack. Geschickt und schnell bestieg er den Pons und stieß seinen Dreizack oben angekommen erst einmal demonstrativ so ins Holz, dass dieser mittig stecken blieb. Für den ersten Teil des Kampfes würde er ihn ohnehin nicht benötigen, so zeigte er dies aber auch ganz offen dem Publikum, welches er mit hoch erhobenen Armen dazu aufrief, ihn anzufeuern.


    Während der Retiarius das Publikum so anfeuerte, öffnete sich rumpelnd erneut das Tor, und zwei Secutores betraten grimmig und groß den Platz. Mit ihren geschlossenen Helmen mit den kleinen Sehlöchern, ihren breiten Schultern und der im Gegensatz zum Retiarius richtig bullig wirkenden Gestalt sahen sie beinahe wie Zwillinge aus. Siegessicher hoben sie synchron ihre Schwerter und grüßten so das Publikum, ehe sie an beiden Seiten zum Brückenaufgang langsam Stellung bezogen.
    Ihr Ziel würde es sein, möglichst gleichzeitig das obere Ende der Brücke zu erreichen, während der Retiarius eben das mit den Steinkugeln zu verhindern suchte. Ein Secutor allein hätte gegen den Retiarius bei dessen erhöhter Stellung kaum eine Chance. Ebensowenig hätte der Netzkämpfer kaum eine Chance, wenn beide Schwertkämpfer gleichzeitig oben ankommen würden. Dann blieb ihm nur übrig, von der Brücke zu springen und zu versuchen, noch einmal irgendwie die erhöhte Position zu erreichen.


    Proteneas fuhr weiterhin an der Spitze. Er trieb seine Pferde gut an und baute seinen Vorsprung noch ein wenig weiter aus, ohne dass ein anderer ihm hierbei auch nur nahe gekommen wäre. Einzig Phytocles konnte den Abstand zu ihm halten und fuhr weiterhin an zweiter Stelle, wenngleich er den roten Wagen in dieser Runde nicht einzuholen vermochte.


    Im Mittelfeld aber hatte sich Tanco endgültig wohl zum Sieg entschlossen. Er ließ seine Peitsche laut auf die Pferderücken knallen und spornte sie mit lautem Gebrüll an. Endgültig ließ er jetzt Hamiris hinter sich zurück und schloss zu Amasis auf. Als die beiden Wagen auf gleicher Höhe auf der Geraden waren, drängte Tanco seinen Wagen rücksichtslos nach Innen. Die Pferde seines Kontrahenten ließen sich abdrängen, und einen Moment lang streifte Amasis' Wagen die Mauer, so dass Funken aufstoben. Dann war Tanco vorbei und ging sogar als Dritter über die Ziellinie.


    Dahinter fuhren Hamiris und Sotion nicht ganz so spektakulär. Von der Entschlossenheit des neuen Fahrers wohl ein wenig eingeschüchtert – oder taktierend – hatte Hamiris seine Pferde leicht gezügelt und ließ dem Zweikampf vor ihm mehr Raum. Diesen Moment allerdings nutzte nun auch Sotion, um sich vor den blauen Wagen zu setzen, so dass dieser als Fünfter über eine Wagenlänge schließlich vor Hamiris über die Markierung in die dritte Runde fuhr, nur wenig hinter Amasis.


    Im hintersten Feld kamen noch Lusorix und Oxtaius, deren Zweikampf auf diesen hintersten Plätzen kaum beachtenswert war. Aber immerhin hatten die beiden nun wohl ins Rennen gefunden und schlossen zumindest langsam zum Rest des Feldes auf.

    Sextus schüttelte kurz den Kopf.
    “Ich denke, dass wir mit Feinheiten der Postenvergabe wirklich so lange warten sollten, bis der Kandidat überhaupt gewählt wurde. Tiberius Lepidus kann wohl kaum die Verfahrensweise des Senats ausgiebigst beurteilen und Fragen zu eben jener Verfahrensweise beantworten. Außerdem hat der Kandidat nun schon mehrfach seine Bereitschaft bekundet, sich dem Willen des Senats zu fügen.
    Wenn er gewählt worden ist, wovon ich fest überzeugt bin, können wir die Frage der genauen Postenverteilung gerne noch einmal erläutern. Ich nehme den plebejischen Senatoren ihre Argumentation und ihr Unwissen im religiösen Bereich dahingehend auch bestimmt nicht übel. Aber nach der Wahl kann ich ihnen auch sicherlich eine genaue Auflistung darüber geben, wann das letzte Mal ein Patrizier und Inhaber eines religiösen Amtes in die Provinz geschickt wurde, noch dazu entgegen seinem geäußerten Wunsch. Ich denke, dann können wir auch noch einmal ausgiebig über Sonderfälle und Ausnahmen diskutieren und haben alle dasselbe Hintergrundwissen dazu.


    Aber jetzt und hier ist diese Diskussion wohl kaum zielführend.“

    Als Tiberius Lepidus zurücktrat, nickte Sextus ihm einmal anerkennend zu. Eine gute Rede, nicht zu lang, nicht zu ausführlich, und doch ausführlich genug, die wichtigsten Stationen im Leben von Tiberius Durus wiederzugeben. Wenngleich die meisten Zuschauer mit eben diesen auch nicht viel anfangen konnten, kümmerten sie sich doch wohl eher weniger um politische Finessen der Rechtspolitik. Oder um Religion. Dennoch war es eine gute Rede.


    Als Editor erhob sich nun Sextus von seinem Platz aus, und hatte nun die erfreuliche Möglichkeit, sich äußerst kurz zu fassen:
    “Mögen diese Spiele den Verstorbenen ehren und den Göttern gefallen!“
    Er hob kurz beide Arme in einer auffordernden Geste, und die Sklaven gehorchten sofort. Sie zogen mit ihren feinen Schnüren die Deckel von den Schachteln. Einen Moment lang passierte nichts, und ein erstes, enttäuschtes Ooooh ging schon durch die Zuschauerreihen. Aber dann, erst zaghaft, dann immer schneller, stiegen von überall die Schmetterlinge hervor. Das Ooooh wandelte sich zu einem überraschen Aaaaah! Weiße, rote, gelbe, blaue, bunte... überall breiteten die Falter lautlos ihre Flügel aus, badeten kurz im Licht der Sonne und stiegen dann leise und still gen Himmel und hinaus aus dem Theater, ein Sinnbild von Wiedergeburt und einer friedlichen Seele, die ihren Weg ins Elysium antrat. Nicht nur das richtige für Totenfeiern, sondern wohl auch das richtige für Rom nach einer harten und verlustreichen Zeit, um letzte Wunden zu heilen.


    Mit einem kurzen Zwinkern in Richtung seines Klienten, als wolle er sagen gern geschehen, setzte sich Sextus wieder auf seinen Platz, um dem geschehen nun als Zuschauer zu folgen.


    Die Schmetterlinge waren davon, nur hier und da war einer auf einem zaghaftem Finger sitzen geblieben und ließ sich von Nahem bestaunen. In der Arena war der Moment genutzt worden, als alle Blicke nach Oben gerichtet worden waren, um in Windeseile einige Sträucher dekorativ aufzustellen, so dass sich der schlichte Sand in die glühende Savanne Africas verwandelte.
    Das große Tor stob auf, und heraus kam eine ganze Herde an Gazellen, schlanken Tieren, die die meisten Römer in ihrem Leben noch nie gesehen hatten. Wild aufgeregt sprangen sie los, davon in die Arena, suchten den Ausweg, fanden aber keinen, und zeigten den Zuschauern ihre Künste zu springen und schnell zu laufen.
    Erst danach betraten die Jäger die Arena, zwei halbnackte Männer, und zwei als Amazonen verkleidete Frauen. Allesamt mit Bögen bewaffnet, jeder zusätzlich am Gürtel eine blitzende Klinge. Alle waren sie barfuß, dunkelhäutig und gut eingeölt, so dass ihre Körper in der vormittäglichen Sonne glänzten. Sie grüßten die Menge mit winkender Hand.
    Wie ein Schwarm aufgeschreckter Vögel stoben die Gazellen vor ihnen davon und suchten erst einmal Schutz an den hohen Mauern der Arena.


    “Das Fleisch wollte ich hinterher in der Subura verteilen lassen. Ich denke, die Menschen dort werden darüber mehr als dankbar sein“, meinte Sextus zu Lepidus gewandt, halb als frage, halb als Feststellung.
    Unten in der Arena sirrte der erste Bogen. Die Jagd hatte begonnen.


    Nach dem Startschuss knallten die Peitschen der Fahrer und Pferde stürmten los, um sich nach vorne zu drängen. Zumindest die meisten von ihnen. Oxtaius hatte starke Probleme mit seinem Gespann. Als die Pferde am Nachbargespann laut wiehernd lospreschten, erschreckte das naheste aus seinem Gespann und stieg erst einmal auf die Hinterbeine, was die anderen natürlich am Laufen arg hinderte. Der Wagen drehte sich halb zur Rennbahnmitte, und Oxtaius musste schwer kämpfen, bis er sie wieder in die richtige Richtung zurückgelenkt hatte. So verließ er erst äußerst spät den Startplatz überhaupt und konnte den meisten anderen nur hinterhersehen.
    Lusorix allerdings war kaum besser weggekommen. Seine Pferde scheuten leicht vor den anderen zurück und ließen diesen viel Raum, um davonzufahren, ehe er sich dem Feld anschloss.


    Vorne allerdings war das Feld bis in die erste Kurve dicht beisammen geblieben. Überraschenderweise auch Tanco, obwohl als vollkommener Außenseiter gestartet, der seine Pferde zu Höchstleistungen anspornte. Hamiris hatte zwar die innerste Bahn, war aber nicht so schnell, um die anderen nach außen zu drängen, und so schnitten ihm Proteneas, Amasis und Phytocles den Weg ab und er musste seine Pferde kurz drosseln. Lediglich Sotion und Tanco mussten ebenso wie er hier seine Pferde zügeln und blieb knapp hinter ihm.
    Auf der folgenden langen Geraden zeigte sich dann die Erfahrung von Fahrern und Pferden. Proteneas schoss mit seinem Gespann davon und ließ seine Verfolger deutlich hinter sich zurück. Allein ging er in die Kurve an der anderen Seite und zeigte so recht deutlich, warum er zurecht wohl der Favorit in diesem Rennen war, nach zwei vorangegangenen Siegen in der Vergangenheit. Dennoch schien er bei diesem Rennen nichts dem Zufall überlassen zu wollen und gab den Pferden weiter die Peitsche.
    Amasis und Phytocles lieferten sich hingegen ein Kopf-an-Kopf-Rennen über die gesamte restliche Runde. Dichtauf folgten dann auch Hamiris und Tanco. Auf der geraden Strecke hatten die beiden sich doch wieder ein gutes Stück vor Sotion setzen konnte und die Lücke zum Ende der Runde beinahe geschlossen. Offenbar schien Tanco wild entschlossen zu sein, zumindest einen der Factio-Fahrer zu besiegen, wenn nicht sogar alle.

    Sextus erhob sich kurz, um seinem Klienten zur Seite zu stehen – wenngleich dieser das nicht wirklich nötig hatte, waren seine Antworten doch wohlüberlegt und gewählt ausgedrückt. Abgesehen davon war er wohl der Kandidat der letzten Jahre, die sich am meisten in ihrem Vigintivirat verdient gemacht hatten, obwohl sie vom Senat den meisten Gegenwind erhalten hatten. Gerade das sollte wohl auch die letzten Skeptiker überzeugen.
    “Ich möchte hiermit Tiberius Lepidus meine vollste Unterstützung für seine Kandidatur zum Ausdruck bringen. Er war vor zwei Amtsperioden wohl unbestreitbar der Vigintivir, der sich am meisten um sein Amt verdient gemacht hat. Darüber hinaus war er der einzige, an dessen Res Gestae ich mich überhaupt erinnern kann. Von mehreren Seiten wurde er für seine Arbeit, die er vollbracht hat, für eine Belobigung vorgeschlagen! Nicht zuletzt auch durch den ehrenwerten Consular Decimus selbst.
    Und dies, obwohl er nicht den Posten erhalten hatte, den er sich erhofft und auf den er sich sicherlich gut vorbereitet hatte. Man mag sich kaum vorstellen, wie viel mehr er als Vigintivir hätte leisten können, wenn er seinen Wunschposten damals in der Tat auch bekleidet hätte!


    Ich sehe nicht den geringsten Grund, ihm nun keine Möglichkeit zu geben, sein Geschick als Quaestor zu beweisen. Daher bleibt mir nur, ihm für die Wahl meine vollste Unterstützung und meine Stimme zuzusprechen.
    Und zumindest in meine Überlegungen zur Postenbesetzung wird später, wenn die Wahl vorüber ist, sicherlich sein Können im Vigintivirat mit einfließen, ebenso wie die Tatsachen, dass er ein verdienter Pontifex dieser Stadt ist und darüber hinaus dem Kaiser schon von mehreren Begegnungen persönlich bekannt.“


    Sextus sah nicht einmal einen Grund, warum man Lepidus als Pontifex der Stadt Rom irgendwo in die Pampa schicken sollte. Er war wohl der Kandidat, der es sich wirklich aufs Härteste verdient hatte, dahin gesteckt zu werden, wo er wollte.


    Ab dem frühen Nachmittag, pünktlich nach dem Ende des Wagenrennens, hatten die Gladiatorenspiele begonnen. Wie es Sitte war, hatten die schwächsten Kämpfer angefangen und die ersten Kämpfe bestritten, um das Publikum immer weiter aufzuheizen. Zwischendurch waren immer wieder Artisten aufgetreten und hatten die Zuschauer mit künstlerischen Verrenkungen beglückt und vom Umdeckorieren der Arena abgelenkt.


    Als es so langsam auf den Abend zuging, kamen dann schließlich die Hauptattraktionen, die angekündigt worden waren. Unter dem Schatten spendenden Sonnensegel verkürzten gerade auch wieder einige radschlagende und auf den Händen laufende Mädchen den Zuschauern die Zeit, während im Zentrum der Arena von fleißigen Händen die erste große Attraktion der Gladiatorenspiele aufgebaut wurde: Eine große, hölzerne Brücke, der Pons.
    Die einzelnen Teile waren schnell zusammengesetzt und mittels gewaltiger Holzzapfen verkeilt, so dass die Konstruktion sehr stabil war. Anschließend wurden zwei Körbe herbeigeschleppt und je einer auf einer Seite der Brückenplattform abgeladen. Arenakenner wussten, dass hier die Verteidigungsmunition des Retiarius gelagert war: Mehr als faustgroße Steinkugeln, mit denen der Netzkämpfer die beiden Secutores, die seine Brücke erstürmen wollten, auf Abstand halten oder sogar töten konnte.


    Die Mittagszeit war gekommen und der Circus Maximus füllte sich für das erste größere Wagenrennen seit einer Ewigkeit. Dementsprechend gefüllt waren auch die Sitzplätze, während die Wagen schon einmal in Stellung gingen.
    Da der geehrte Tote Tiberius Durus selbst lange Zeit Mitglied der Factio Veneta gewesen war, hatte deren Fahrer Hamiris für den Start die Innenbahn erhalten. Nach Außen weitergehend folgte die Aurata mit Sotion und Russata mit ihrem Fahrer Proteneas. Danach kamen Russata und Aurata in vertauschter Reihenfolge noch einmal mit Amasis und Phytocles. Leider hatte sich die Purpurea nicht gemeldet und die Praesina ihre Anmeldung ebenfalls mit keinerlei Namen versehen, so dass Sextus Aurelius Lupus aus der Not eine Tugend gemacht und kurzerhand dreien der freien Fahrer eine Chance in diesem Rennen gegeben hatte, mit einem eigenen Wagen ohne Zugehörigkeit zu einer Factio zu starten. Also starteten Lusorix, Tanco und Oxtaius als Außenseiter auf den Außenbahnen.




    Pferde wieherten und schnappten nacheinander, wurden unruhig. Alles wartete auf den Start des Wagenrennens. Sextus erhob sich von seinem Platz und trat vor zu der kleinen Balustrade. Bereits am Morgen hatte das Publikum ja die Lobrede auf Tiberius Durus hören dürfen, weshalb er sich jetzt und hier äußerst kurz fassen konnte.
    “Zur Ehre von Manius Tiberius Durus und in seinem Andenken als großer Freund des Rennsports, wünsche ich den Fahrern das Wohlwollen der Götter, die sich an diesem Rennen ebenso erfreuen mögen!“
    Sprach es und gab das Startsignal, woraufhin die Wagen loszupreschen begannen.

    Der Morgen der Totenspiele war angebrochen wie jeder Morgen: Die Ianus-Priester hatten den neuen Tag ausgerufen und geopfert, der große Kalender war einen Tag vorgestellt worden und eine strahlende Sonne ging über einem wolkenlosen, stahlblauen Himmel langsam auf.


    Und doch war heute etwas anders, denn das Theatrum Flavium hatte schon kurz danach seine Tore geöffnet und jedem, der eintreten wollte, Zutritt zu den hohen Zuschauerrängen gewährt. An vielen Plätzen waren kleine Holzschächtelchen mit Schubdeckeln ausgelegt, bewacht von Sklaven, die dünne Schnüre zu den Deckeln der Schachteln hielten und die ein oder anderen frühen Gäste schon freundlich zu ihren Plätzen halfen, sich bei fragen zu den Schachteln aber geheimnisvoll gaben. Der Sand der Arena war frisch aufgefüllt und mit Besen und Rechen glatt gestrichen worden.


    Aber noch waren sehr wenige Menschen im Theater, denn der Einzug, die pompa begann traditionell am Forum Romanum, wo auch die meisten Menschen warteten, um sich alles genau anzusehen und im feierlichen Einzug mitzumarschieren.
    Mit einem Stoß in die tubae der Musikanten wurde so auch das Startsignal gegeben, nur kurz nach Erwachen des Morgens.


    Vorneweg in zwei Reihen gingen zwölf Liktoren, gekleidet in die weiße Toga eines römischen Bürgers, die Rütenbündel geschultert, wie es eigentlich einem amtierenden Consul gebührte. Heute, für die Ehrung eines toten Consulars, hatte Sextus das nur als rechtes Zeichen zu Ehren des Toten empfunden. Zumal momentan auch die Lemuria anstanden und die Geister der Toten erst recht gewürdigt werden sollten.
    Im Gänsemarsch daran folgte dann nicht Sextus als Gastgeber – er selbst hätte sich mit so vielen Liktoren nicht zeigen dürfen – sondern die der Villa Tiberia für diesen Zweck entliehenen Totenmasken. Allerdings Nachbildungen derselben aus Messing, die Sextus extra hatte fertigen lassen, dass den echten Totenmasken in der schon recht sommerlichen Wärme nichts geschehen würde. (Und angesichts der Tatsache, dass aufgrund der Todesart von Tiberius Durus keine solche Maske wirklich gefertigt wurde, ohnehin ein notwendiges – dafür aber sehr strahlendes – Übel.) Zuerst natürlich die Maske des heute zu ehrenden Toten, dem die ganze Ehrung galt, hoch auf einer Stange erhoben, damit die Bevölkerung Roms sie auch gut sehen konnten. Im Anschluss folgten die Toten der Familie, die hohe Ehren in früheren Zeiten errungen hatten. So auch Tiberius Vitamalacus, der es bis zum Aedil und Legatus Legionis gebracht hatte, oder auch Lucius Tiberius Commodus, der für seine Arbeit als Aedil eine Diploma erhalten hatte. Daneben wurden noch einige Götterstatuen mitgeführt, unter deren besonderen Schutz man die feierlichkeiten zu stellen gedachte.
    Erst danach kam dann Sextus. Zu Fuß! Vielleicht hätte es herrschaftlicher ausgesehen, wenn er geritten wäre, aber allein dieser Möglichkeit hatte er sich absolut strikt verweigert. Nachdem er sein letztes Pferd mit Genuss geopfert hatte, war er wild entschlossen, nie wieder seinen Hintern auf eines zu verfrachten. Daher waren die ihm folgenden ebenfalls alle gezwungen, zu Fuß zu marschieren. Traditionell durften sich hier neben seinen Verwandten natürlich auch die Familie des Toten einreihen, nebst dem ein oder anderen Klienten, wenn gewünscht.
    Danach kamen die Musiker. Eine halbe Centurie an Tubabläsern, Flöternspielern und ganze vier auf kleine Wägen montierte Wasserorgeln folgten und verliehen dem Zug den nötigen... Krach.
    Es folgten eine Horde an Ministri, die Tafeln hochhielten, auf denen das wichtigste zur Veranstaltung noch einmal zu lesen war: Wie viele Tiere bei den Tierhetzen sterben würden. Die Namen der Gladiatoren, die Kämpfen würden, nebst einigen ihrer Statistiken, so dass jeder mit denselben Informationen nach Herzenslust wetten konnte. Und natürlich die Ankündigung zum mittäglichen Rennen, das anstatt Hinrichtungen (mangels passender Delinquenten) angesetzt worden war.
    Danach dann kamen die herrschaftlich geschmückten Wagen der Pferde fürs Pferderennen, die edlen Tiere von Sklaven am Halfter geführt, damit sie nicht aufgrund der Menschenmassen und ihres Temperamentes aus der Formation ausbrachen.


    Im Anschluss durften sich die Bürger der Stadt ihrem Rang entsprechend dem Zuge anschließen, um so feierlich in Roms größtes Theater einzuziehen. Viele Bürger nahmen diese Möglichkeit auch durchaus wahr.
    Über das Forum ging es so im Gänsemarsch vorbei am Atrium Vestae und dem Tempel der Venus bis zum Amphitheatrum Flavium, wo sich erstmalig der Zug dann aufteilte. Ganz langsam ging der Führungsteil des Zuges in den dunklen Bauch der Bestie, während alle Zuschauer nun auf den Rängen oben schon gemütlich Platz nehmen konnten. Erst dann öffneten sich die inneren Tore der Arena, um den vorherigen Zug wieder ins Licht zu lassen, wo er in einer langsamen Kreisbahn noch einmal vor den Augen aller entlangmarschierte, ehe die Führungsspitze im Zentrum zum stehen kam.
    Die Pferde wurden wieder hinausgeführt, die Musiker bezogen Stellung an den Seiten und hinter gemauerten Verstecken, um bei den Tierhetzen nicht gleich als Zielscheibe missbraucht zu werden.
    Ein Priester trat hervor, an der Hand eine Ziege – das traditionelle Opfer für einen Toten schon seit dem silbernen Zeitalter der Menschheit. Die Masken der Toten wachten über ihn, ebenso die Statuen der Gottheiten, während die editores dieser Spiele – sprich Sextus und seine Begleiter, die nun in der Hauptloge des Theaters Platz nehmen durften (und das neben dem Kaiser, so dieser kommen sollte!) - sich nun zum Aufgang an der gegenüberliegenden Seite begaben.
    Kaum hatte Sextus Platz genommen, schritt der Priester auch schon zur Tat und opferte feierlich die Ziege dem Geist des Toten. Natürlich wurde das Opfer angenommen – selbst, wenn es nicht angenommen werden würde. Und damit war der erste Akt des offiziellen Teils vollendet. Den zweiten Akt – die feierliche Totenrede – überließ Sextus seinem Klienten. Es war eine gute Möglichkeit, sich ins rechte Licht zu rücken, ebenso eine gute Vorarbeit in Bezug auf ein späteres Aedilat. Und Sextus fand es angemessen, wenn ein Tiberius den Consular ehren würde und nicht er selbst.

    Auch Sextus erhob sich und bat um das Wort.


    “Auch ich muss Consular Decimus in weiten Teilen recht geben. In der Tat ist das Wahlrecht für den Senat schon ausreichend in §41 geregelt – wenngleich ich dafür plädiere, dass dieser doch noch einmal sprachlich überarbeitet wird und die beiden Fehler, die sich darin eingeschlichen haben, auszumerzen. Es mag kleinlich klingen, aber wenn man sich gänzlich an die Buchstaben des Gesetzes hält, dürfte die Hälfte der hier anwesenden Personen nicht die Stimme erheben, da sich den Ordo Senatorius nicht geerbt haben, sondern verliehen bekommen haben. Auch sollte man bemerken, dass es infamen Personen nicht gestattet ist, ihre Ämterlaufbahn weiterzuführen. Aber dies sind nur sprachliche Feinheiten, die nichts mit der aktuellen Diskussion zu tun haben.


    Bezüglich dieser bleibt die Tatsache, dass das Wahlrecht bereits geregelt ist, und ich möchte auch anmerken, zu genüge. Wenn ein wahlberechtigter Senator eine wie auch immer geartete Bildung für sich als nötiges Kriterium ansieht, so hat er jede Möglichkeit, den Kandidaten hiernach zu befragen, und, wenn er dieses Kriterium nicht erfüllt, diesen eben nicht zu wählen. Dieses Recht bleibt jedem Senator unbenommen, und ich sehe ebenfalls keine Notwendigkeit, Vorschriften zu erlassen, wie ein erwachsener, gebildeter Mann edlen Standes, der in seinem Leben schon soviel erreicht hat, um zum Senator berufen zu werden, zu wählen hat.“


    Sextus machte eine kleine Pause, um zu zeigen, wie sehr er über das nun Folgende nachgedacht hatte. Und auch, um damit ein gewisses Unbehagen wortlos auszudrücken.
    “Wenn ich nun so argumentiere, dass jeder Senator darüber befinden kann, ob er einen Kandidaten wählt oder nicht, so fällt es schwer, beim Amt des Prätors anders zu argumentieren.
    Ihr alle habt gehört, dass ich mich bei der letzten Diskussion dafür ausgesprochen habe, dass das Officium für Rechtsfragen erhalten bleiben sollte und weiterhin den Cursus Iuris abnehmen sollte. Noch immer drängt mich ein Gefühl, dies weiterhin zu bekräftigen. Doch Gefühle sind tückisch und wechselhaft und nicht so verlässlich wie der Verstand. Schließlich sollte jeder Mann stets nur der Vernunft den Vorzug geben. Und wenn ich so nun die Argumente kritisch durchdenke, kann ich nicht umhin, auch hier Consular Decimus Recht zu geben zur Frage der Prätur. Wer so weit gekommen ist, den sollte der Senat schon mindestens drei Male zuvor geprüft haben. Ebenso sollte jeder Mann von Verstand eine Prätur nur anstreben, wenn er den Anforderungen des Amtes an sich gewachsen ist. Und dies scheint mir ohne eine juristische Grundbildung nur mit einem Übermaß an Selbstüberschätzung möglich zu sein. Diese wiederum wäre einem Mann sicherlich bereits früher zum Verhängnis geworden.
    Daher kann ich mich Consular Decimus nur anschließen und ebenfalls dafür votieren, dass wir hier nicht überregulatorisch vorgehen sollten. Folglich kann auf diesem Gebiet einfach eine Streichung erfolgen.


    Ob man das Officium für Rechtsfragen weiterhin als Sammelstelle für Advokaten-Listen oder zur Auskunft für besorgte Bürger beibehalten will, könnte an anderer Stelle hiervon unberührt diskutiert werden. Eventuell könnte dies auch als die von Senator Decimus angesprochene zentralisierte Stelle durchaus weiterhin wie bislang auch schon dienen.“


    Sextus war durchaus für pragmatische Ansätze zu haben, wenngleich er im Grunde ein sehr misstrauisch Mensch war und daher eigentlich nicht auf den Inhalt seiner eigenen Worte vertrauen wollte. Er sah den Tag doch irgendwie schon kommen, dass eines Tages ein unfähiger Anfänger mit nur genügend Anhängern die höchsten Ämter erklimmen würde. Allerdings war dies in der Geschichte Roms durchaus schon vorgekommen, und doch stand die Ewige Stadt noch. Vielleicht sollte er daher eine gelassenere Grundeinstellung einnehmen – auch wenn er seinen Mitmenschen noch lange nicht vertraute.


    GLADIATORES!


    Der ehrenwerte Senator Aurelius Lupus für seinen einstigen Patron und die Familie der Tiberii für ihren geliebten Verwandten richten
    Totenspiele für Consular Manius Tiberius Durus
    aus.
    Kommt also alle ANTE DIEM VI ID MAI DCCCLXIV A.U.C. (10.5.2014/111 n.Chr.) ins Theatrum Flavium und in den Circus Maximus!


    Es werden 40 Gazellen, 2 Löwen und ein Rhinozeros zu Ehren des Toten sterben!
    Gladiatoren aus Massilia werden sich mit unseren heimischen messen! Unter anderem wird es eine Schlacht um den Pons geben! Im Hauptkampf werden sich Nubius vom Ludus Dacicus und Lobo aus Massilia gegenüberstehen!
    Im Circus findet ein Wagenrennen zu Ehren des Toten statt!
    Livius Eburnus hat diese Ankündigung gefertigt