Waren hier alle verwitwet? Der Petronier sprach Sextus sein Beileid aus, und auch der Duccier zeigte eindeutige Betroffenheit aufgrund des Todes dessen Ehefrau. Die Petronia versuchte, das Thema etwas aufzulockern, allerdings schaffte sie es nicht, Sextus Verwunderung über die Männer neben ihm damit auszulöschen. Konnte es wahrhaftig sein, dass er, obwohl der Tod seiner Frau scheinbar am frischesten zurücklag, darüber als einziger nicht ernsthaft betroffen war? Sicher, er hatte Nigrina geschätzt, und selbstverständlich wäre es ihm lieber, sie wäre sicher in Tarquinia angekommen. Aber Frauen starben häufig im Verlauf einer Ehe, vor allem bei Geburten. Und es war ja nicht so, als hätte er seine Frau unsterblich geliebt oder so einen Blödsinn. Wobei das bei den anderen Herrschaften ein wenig so klang, als träfe dieser Unfug auf sie sehr wohl zu.
Sextus mühte sich also darin, nichts davon zu bemerken und war froh, dass das Gespräch ohne eine Bemerkung seinerseits voranging. Und auch über seine äußerst beherrschte Mimik, die ihm nicht entglitt, als er von dem Petronier in einem Zug mit dem Duccier und sogar dem Peregrinus angeblickt wurde, als es um die Frage einer möglichen Ehepartie für dessen Nichte ging. Hier in dieser Provinz war zwar schon vieles geschehen, das Sextus nicht für möglich gehalten hätte, aber dass ein Senator und Patrizier auf eine Stufe mit einem Nichtrömer in Fragen der Heiratspolitik gestellt wurde, das war dann doch jenseits von Gut und Böse.
Und mindestens ebenso sehr mühte er sich, die Annäherungsversuche und Blicke der älteren Tochter des Magonidas ganz offensichtlich nicht zu bemerken. Ganz eindeutig hatte sich die Frau in den Kopf gesetzt, ihm deutlich zu zeigen, dass sie die heutige Nacht in seinem Bett zu verbringen gedachte. Etwas, das Sextus zumindest nicht kategorisch ausschloss, auch wenn diese Vorgehensweise sehr langweilig war. Man ging ja nicht auf die Jagd, wenn der zu erlegende Bär sich dann schon von sich aus auf den Rücken legte und alle Viere von sich streckte, nur noch darauf wartend, dass man ihm einen Speer in den Leib rammte.
Lustig fand Sextus da dann schon, dass der Vater sich nun wiederum beim Duccier entschuldigte, statt bei ihm. Fast sollte er ein wenig beleidigt sein, dass nun Valas Verwandter offenbar Ziel aller Aufmerksamkeit war. Auf der anderen Seite war Sextus zu froh darüber, offensichtlich nicht mehr in der Schusslinie potentieller Heiratskandidaten zu sein, als dass er sich darüber beschweren mochte. Sollten die Herrschaften die Petronia ruhig an ihn verschachern – denn dass dies so geschehen sollte, war langsam offensichtlich, so sehr wie das Gespräch gerade in diese Richtung gelenkt wurde.
“Bei den Germanen unterliegen auch die Männer einer Trauerzeit?“ beteiligte er sich also nur rudimentär an der Unterhaltung, weil ihm diese Sache nicht geläufig war. In Rom war es üblich, dass die Frauen eine Trauerzeit einzuhalten hatten, die je nach Alter des Verstorbenen unterschiedlich lang zu sein hatte. So galt pro gelebtem Jahr eine Trauerzeit von einem Monat, aber nicht mehr als zehn Monate insgesamt, zumindest was Kinder anging. Bei Ehemännern galt sofort diese Höchstfrist. Bezüglich des eigenen Vaters natürlich auch, bei anderen Verwandten gab es einen gewissen Ermessensspielraum, wobei natürlich vor allen Dingen der Schein nach außen gewahrt werden musste, so dass die Trauerzeit dem Stand des Betrauerten angemessen sein sollte. War der eigene Bruder ein kleiner Fleischhändler, war die Trauer sicher schneller vorüber, als wenn man von einem Ritter des Reiches oder einem hohen Magistraten redete. Da wurde von den Frauen erwartet, entsprechend lange verzweifelt und klagend in Trübsal zu verweilen.
Bei Männern jedoch endete jegliche Trauer für Verwandte oder Schwager jedweder Art mit dem Zeitpunkt der Verbrennung, augenblicklich. Immerhin war Trauern zum einen ein weiblicher Charakterzug und nichts, was einem Mann gut zu Gesicht stand. Ein Mann hatte vernünftig und zielstrebig zu handeln, und nicht in einer Ecke zu sitzen und zu flennen wie ein – nun ja – Weib. Und auf der anderen Seite hatten Männer häufig Magistratsfunktionen oder andere Pflichten, die es zu erfüllen galt, so dass es nicht nur ein positives Beispiel eines Mannes gab, der direkt nach dem Begräbnis des eigenen Sohnes seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen hatte.
Überhaupt verwirrte die Frage Sextus ein wenig, da für ihn die Trauer eben auch mit einer Absenz von öffentlichen Aufgaben verbunden war, während der Duccius seines Kenntnisstandes nach im letzten Jahr als Magistrat tätig gewesen war. Andererseits hatte er in dieser Provinz schon sehr viel ungewöhnliche Dinge erlebt, die unter zivilisierten Bevölkerungsschichten Roms nicht akzeptabel gewesen wären, da würde ihn dies nun auch nicht weiter wundern.