Und da kam er, der fassungslose Augenblick, den Sextus schon mit einberechnet hatte. Wenngleich er weitaus ruhiger verlief, als er sich das ausgemalt hatte. Das hier war ja schon beinahe das Szenario des besten anzunehmenden Zustandes, im Gegensatz zum Szenario des schlechtesten Falls, in dem er einige der teuren Vasen in einem flavischen Wutanfall wieder zu Bruch hatte gehen sehen. So ruhig, wie Nigrina blieb, hatte er schon annähernd die Hoffnung, dass sie nun nach den Jahren ihrer Ehre letztendlich doch dazugelernt hatte. Wenn er sich an ihr anfängliches übertriebenes Gebaren erinnerte, war die Person, die jetzt vor ihm stand, beinahe eine gänzlich andere.
Aber nur beinahe. Eine dumme Frage kam dann letztendlich doch über ihre Lippen. “Wenn das bekannt wäre, meine Liebe, würden wir jetzt nicht hier in aller Ruhe stehen und darüber reden“, stellte er nüchtern sachlich fest, ehe er sich mit einem leisen, wohlplatzierten Seufzen gegen die nächste Säule stützte und an seinem Posca nippte, als wäre es edler Falerner. Dass er dann ganz anders an die Sache herangegangen wäre, das verstand sich für ihn von selbst. Wenn die Chance bestünde, dass hier in den nächsten Stunden Prätorianer auftauchten, würde er sicher besseres zu tun wissen, als seine Frau davon höflich in Kenntnis zu setzen und in aller Ruhe darüber zu reden. Dann säße sie schon verfrachtet auf dem Weg nach sonstwohin und er auf dem Rücken eines von ihm so gehassten Pferdes. Sextus sah keinen Sinn darin, sich für eine Sache, die er von Anfang an als Wahnsinn betrachtet hatte, heldenhaft abschlachten zu lassen wie ein braves Schaf auf dem Stein des Mars.
“Und nicht ich habe den Kaiser umgebracht. Oder Gracchus. Und schon gar nicht dein Vetter Flaccus.“ Bei letzterer Vorstellung entfuhr Sextus doch fast so etwas wie ein kleines, amüsiertes Lachen. Zwar schätzte er die Flavier sehr als politische Verbündete und achtete auch die Vorteile, die eine Ehe mit diesem altehrwürdigen Namen mit sich brachte, das Prestige und den Eindruck, den man damit schinden konnte. Doch hatte jede Situation mit eben jenen Flaviern, die er nun schon erlebt hatte, in dem Ergebnis gegipfelt, dass die ein gänzlich anderer Menschenschlag waren. Künstler! Etwas, das Sextus im Meer ersäufen würde. Aber dafür hielten sich die meisten von ihnen, und das mit Stolz. Was die Vorstellung eines kaltblütigen Mörders aus flavischen Riehen,d er sich selbst die Hände blutig machte – und zwar einem Gegner gegenüber und keinem niederen wesen wie einem Sklaven, der einem ohnehin ausgeliefert war – doch recht abstrus machte. “Nein, aber dein Vetter kannte jemand, der jemanden kannte, der mit jemandem verschwägert war, bei dem einer der Köche des Kaisers Schulden hatte, oder so ähnlich“, erklärte Sextus mit wegwerfender Handbewegung. “Es kann also sein, dass sie die Spur zu deinen Vettern zurückverfolgen.“ Und nicht zu ihm, wohlgemerkt. Ein Umstand, der ihn wieder daran erinnerte, wie froh er war, aufgrund des Wahnwitzes des ganzen Planes sich im Hintergrund gehalten zu haben. “Aber erst in ein paar Tagen. Und erst danach sind auch hier Prätorianer zu erwarten. Also haben wir heute Zeit, uns darüber zu unterhalten und die nötigen Schritte einzuleiten.“
Dass Nigrina ihn herausforderte mit ihrer Frage, was geschehen würde, wenn sie nicht ginge, entlockte Sextus ein typisch wölfisches Lächeln, durch das er auch seinen Cognomen erhalten hatte. “Natürlich steht es dir auch frei, deine eigene Wahl bezüglich deines Aufenthaltsortes zu treffen. Hier in Rom zu bleiben ist denke ich aufgrund der gegebenen Konstellationen ausgeschlossen. Selbst, wenn du dich aufgrund der Ereignisse von mir scheiden lassen wolltest – wofür ich im Übrigen Verständnis hätte“, andersherum wäre eine solche Konstellation, wenn er sich dadurch von Vorwürfen reinwaschen könnte, ebenfalls ein guter Grund für eine Scheidung, gepaart mit einer neuen, politisch opportunen Ehe. “...befürchte ich, dass deine Verwandtschaft zu Gracchus und Flaccus zu negativ behaftet ist, um in der derzeitigen Situation auf das Wohlwollen des Vescularius zu hoffen. Ich hatte dir Tarquinia angeboten, da dir dort sämtliche Komfortmöglichkeiten in bereits kurzer Zeit zur Verfügung gestellt wären. Es ist eine heilige Stadt für die Etrusker, keine Legion, egal von wem geführt, wird dort so einfach durchmarschieren ohne den massiven Widerstand der Bevölkerung. Erst recht nicht die eines plebejischen Emporkömmlings ohne nennenswertes religiöses Engagement. Und so dämlich ist der Praefectus Urbi nicht, als dass er das nur wegen einer Frau und Cousine riskieren würde, dort seine Truppen aufzureiben.
Allerdings trifft dies nicht auf die Besitzungen deiner Familie zu, da sich dort die männlichen Teile deiner Familie aufhalten könnten. Und die zu verfolgen, so er die Hinweise erhält, wird für ihn auf seinem Weg zum Thron nun einmal unerlässlich sein. Vor den Augen des Volkes muss er die Mörder seines Vorgängers richten. Gerade die Besitzungen deines Vaters in Ravenna würde ich meiden, da diese von hier aus fast auf direktem Weg nach Mantua liegen.“ Er machte eine kleine Kunstpause, in der er den Posca in seinem Kelch leicht schwenkte. “Ich könnte dir die Gastfreundschaft meines Elternhauses anbieten, doch sind Seereisen im Winter gefährlich. Und ich kann dort nicht so sehr für deine Sicherheit garantieren wie in Tarquinia, da der Marius“ gemeint war Marius Turbo, der ehemalige Praefectus Praetorio und enger Freund Salinators – “in Dacia ist und ich nicht weiß, ob der sich bei dieser Nachricht eher nach Süden oder Westen wendet.“
Ja, Sextus hatte sich die Wahl für Nigrinas Aufenthaltsort sehr genau überlegt. Nur wollte er, dass sie es für eine gute Idee, am besten ihre eigene Idee, hielt. Es könnte durchaus sein, dass sie dort für eine lange Zeit bleiben musste. Aber dort wäre sie in Sicherheit, da war er sich sicher. Es war abgeschieden genug, um strategisch nicht wichtig zu sein, und doch bedeutend genug, um den nötigen Komfort zu gewährleisten und die nötige Defensivkraft.
“Und ich“, fuhr er fort, wobei seine Stimme noch ruhiger und leicht bedrohlicher wurde. “werde morgen in aller Ruhe in den Senat gehen und meine Einstandsrede als Senator halten. Anschließend werde ich ruhig der Diskussion folgen und nicht weiter auffallen, heimkommen und etwas essen. Und am Abend werde ich auch Rom verlassen und nach Mantua reiten.“ Und er hasste reiten. Er hasste es wirklich. “Wo ich zu Ursus aufschließen werde und alles daran setzen werde, dass wir uns nicht mit dieser jetzigen Situation abfinden werden.“ Er stellte den Kelch beiseite und kam auf Nigrina zu, fixierte sie mit ihrem Blick. “Denn ich verspreche, der Vescularius wird bezahlen. Ich verspreche, dass er für die Schmähungen, die er uns beiden hier in diesem Haus zugedacht hat, teurer bezahlen wird als ich für den Senatorenplatz. Ich verspreche, dass es ihm leid tun wird, die Rache der Aurelier und Flavier auf sich herabbeschworen zu haben.“ Bei Nigrina angekommen nahm er mit dem ihm ganz eigenen Charme ihre Hand und führte sie zu seinem Mund, küsste die Fingerspitzen. “Er und seine kleine Schlampe werden sterben, wenn ich mit ihnen fertig bin. Das versprech ich dir.“ Und Sextus gab so selten Versprechungen ab, dass er die paar, die er doch abgab, eigentlich zu halten gedachte.