Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Langsam schritt die Prozession voran, wie ein eigenes atmendes, bangendes Wesen, wand sich durch die Straßen, immer vorwärts. Es ging vorbei am Forum Romanum und dem Tempel der Concordia. Hier schien der Gesang der Priester ein neues Crescendo zu erreichen, was die Lobpreisungen der zahlreichen Segnungen der Göttin anging. Concordia die Streitschlichterin. Concordia, die die Römer Gleichmut und Geduld lehrte. Herrliche, unvergleichbare, sanfte Concordia.
    An der Curia Iulia schritt der größer werdende Strom der Menschen vorbei, begleitet vom Singen der Priester und murmeln der Haruspices, bis es schließlich auf die Via Flaminia ging, die in Richtung Marsfeld führte, und der Castra Urbana. Und eben dem Friedensaltar, der vor den Stadtmauern schon fast am Ende des Stückchens von Rom, das über seine Mauern hinweg gewachsen war, lag.


    Sextus schritt in gemessenem Schritt immer weiter, drehte sich nicht um, als sie die Stadtmauern Roms hinter sich ließen. Schon bald konnte er den Ara Pacis sehen, auch wenn die Sonne dank des langsamen Ganges des Stromes schon weit höher stand. Bestimmt war schon die vierte Stunde erreicht, als sich der Zug allmählich seinem Ziel näherte, beständig begleitet vom Singen des Priesters und den nicht enden wollenden Lobpreisungen für die angerufene Göttin, deren Aufmerksamkeit nach all diesen Gebeten eigentlich sichergestellt sein sollte.

    Am gestrigen Tag hatten die Stadtschreier, die noch ein paar Tage zuvor mit cohortialer Unterstützung die Ausgangssperre verkündet hatten, die Nachricht von der Prozession verlautbaren lassen. Alle Bürger waren trotz des Versammlungsverbotes ausdrücklich dazu aufgerufen, sich der Prozession im Namen der Concordia anzuschließen. Am Forum Pacis sollte sie nach den morgendlichen Ritualen für Ianus starten und ihren Weg zum Ara Pacis beschreiten. Ausschreitungen befürchtete man hierbei nicht. Die Göttin der Eintracht war bei allen Schichten und allen Menschen in Rom etwas absolut Heiliges, an dem kein Sterblicher rütteln sollte. Direkt in ihrem Antlitz Unfrieden zu stiften war etwas, das einfach undenkbar war. Streitigkeiten hatten zu ruhen, wenn ihre Statue vorübergetragen wurde. Wenn ihre Priester Tage der Eintracht ausriefen, hatten sich alle daran zu halten.
    Besonders im Angesicht des personifizierten Friedens! Vom Friedensforum zum Friedensaltar zu wandern war kein Zufall bei der Wahl der Örtlichkeiten. Das war wohl jedem klar, der die Verkündigung hörte. Und vermutlich waren die allermeisten über diesen Schritt auch mehr als nur erleichtert, bot er doch die Möglichkeit, in Sicherheit die eigenen vier Wände verlassen zu können, ohne Furcht vor den Konsequenzen oder weiteren Ausschreitungen haben zu müssen.


    Vermutlich war es diese Symbolik, die das Collegium Pontificum davon überzeugt hatte, schnell zu handeln und auf den Brief des Praefectus Urbi so schnell und umfassend zu reagieren. Sextus hatte, als er seinen 'Vorschlag' an den mächtigsten Mann der Stadt gesandt hat, schon befürchtet, dass dieser sich nicht dem Spruch eines Haruspex beugen würde und das alles als religiösen Fanatismus abtun würde. Besonders bemüht um den Götterkult hatte sich der Mann ja nicht. Als dieser dann das ganze aber an das Collegium Pontificum abgegeben hatte, sah der Aurelier sein Vorhaben mehr als nur ein wenig in Gefahr. Nach dem Tod von Tiberius Durus und dem Verschwinden von Flavius Gracchus sowie weiterer Mitglieder des besagten Ordo waren die Räumlichkeiten dort mehr als nur verwaist. Allerdings hatte irgendeine göttliche Macht wohl wirklich ein Interesse daran, dass Frieden in die Stadt einkehrte, denn es war ausgerechnet der Pontifex Duilius Verius, der die Anweisung des Vescularius doch erhielt. Und jener war schön öfter dadurch hervorgetreten, die Wünsche dieses Mannes mehr als bereitwillig zu erfüllen, und so auch diesen.


    Kurzum, als Sextus zu Sonnenaufgang auf dem Forum Pacis aufgetaucht war, war er mehr als zufrieden. Er trug sein volles Haruspex-Ornat, ebenso wie der Teil seiner Collegiumsbrüder, die noch in der Stadt waren und sich seiner Bitte angeschlossen haben. Von den fünfzig Mitgliedern des Ordo in Tarquinia und Roma waren hier also nun fünfzehn Männer anwesend, gut erkennbar an den charakteristischen Kopfbedeckungen und den Lederüberwürfen über den schlichten Tuniken. Sie hielten sich alle direkt hinter den Priestern der Concordia auf, die in schlichtem, dunklen Stoff nicht weniger herausstachen, vor allem, da sie Rund um das tragbare Kultbild ihrer Göttin versammelt waren.
    In der Ferne verklangen gerade die morgendlichen Gesänge und Gebete für Ianus und die erste Stunde des Tages wurde damit offiziell eröffnet. Auf dem Forum hatten sich schon einige Menschen trotz der frühen Stunde versammelt, um der personifizierten Einigkeit ihre Ehrerbietung darzubringen – und wohl auch, um sich mit Menschen, die man aufgrund der Ausgangssperre einige Tage nicht gesehen hatte, endlich einmal wieder auszutauschen.
    Gebannt sah Sextus zu den Priestern der Göttin, die sich noch murmelnd unterhalten hatten. Kurz nickten sie einander zu und gaben den ihnen folgenden Haruspices und den Kulthelfern ein kleines Zeichen. Von sechs Opferhelfern getragen wurde das hölzerne Podest, auf dem die Göttin thronte, angehoben, so dass die Menschen sie sehen konnten. Es war eine nicht einmal lebensgroße Holzstatue einer Frau, mit bunten Farben bemalt und reich geschmückt, die Hände vor sich ineinandergelegt, in den Armen ein Füllhorn, und rund um ihre Füße die wenigen Blumen, die so früh im Jahr schon zu bekommen waren.
    “Macht Platz für Concordia!“ forderte der erste Priester auf und schritt dem Kultbild voran, während die Opferhelfer mit dem Kultbild folgten. Direkt dahinter waren die übrigen Priester und stimmten einen archaischen Gesang an, dessen Worte kein Mensch mehr verstand, geschweige denn seine Bedeutung. Aber er gehörte zum Kult und daher wurde er gesungen. Im Anschluss an die dunkel gewandeten Priester schlossen sich die Haruspices an, die ebenso archaisch murmelnd langsam folgten, während der vorderste Priester anfing, die Göttin mit leichtem Singsang in der Stimme auf die Bevölkerung herabzubeschwören. “Sehet die Göttin, Concordia, die Mildtätige. Ehret die Göttin zur Stärke von Rom. Sie segnet die Tapferen, die ihren Freunden beistehen. Sie segnet die Familien, die sich um die ihren sorgen. Sie segnet die Römer, die ihre Stadt zusammenhalten. Oh Concordia, Herrliche, Herrin der Eintracht, göttliche Bewahrerin des Friedens! Oh Concordia, Helferin Roms! Deine Gabe lässt uns stark sein...“
    Und stets weitersingend, weiterredend und weitermarschierend führte der Priester so den Zug Richtung Ara Pacis an und erinnerte so beständig die Römer an die Anwesenheit der Göttin und ermahnte zum Frieden.

    Es gab eine ganz einfache Regel, was Diskussionen anging, die immer und stets zutraf und die man als Quintessenz jeglicher Rednerausbildung betrachten konnte: Sobald das Gegenüber sich von Argumenten auf Beleidigungen verlagerte, hatte man gewonnen. Das wär nämlich ausschließlich dann der Fall, wenn die Gefühle die Oberhand über das rationale Denken übernommen hatten und die Argumente für die Überzeugung des anderen hatten sich dem Ende geneigt. Beleidigungen waren nichts, was einen dann kränken sollte oder durfte. Im Gegenteil, sie waren Beweis für die eigene Überlegenheit. Einen Menschen zu demütigen, der ohnehin untergeben und unterlegen war, war unrömisch und unnötig.
    Perfekte Logik.


    Und so nahm Sextus den Ausbruch seiner Frau auch mehr als Ggelassen hin. Ja, sie war wütend, aber das störte ihn nicht. Sie sollte tun, was er wollte, nicht wollen, was er wollte. Ob sie nach Tarquinia wollte oder nicht, ob sie es einsah oder nicht, ob er sie überzeugt hatte oder nicht, das war ihm vollkommen gleichgültig. Solange sie nur tat, was er ihr sagte. Und das machte sie. Mission erfüllt.
    Mehr als das sogar. Im Grunde genommen hätte es gar nicht besser sein können. Solange sie wütend auf ihn war, kam sie nicht auf die Idee, ihm hinterherzureisen und sich und Sextus' zweites Kind in ihr in ernsthafte und vermeidbare Gefahr zu bringen. Die Cilnii würden seinen Sohn gut behandeln und mit Nigrinas anfänglich schlechter Laune sicher balancieren können. Und wenn nicht, würde sich seine Frau eben in Tarquinia eine eigene Bleibe suchen, sollte sie tatsächlich so dumm sein, es sich mit ihren Gastgebern zu verscherzen. Allerdings hatte sie ihre Launen in Kreisen, in denen sie nicht der irrigen Meinung verhaftet war, etwas zu sagen zu haben, weitaus besser unter Kontrolle als zuhause. So oder so, sie wäre weit weg von den aufkommenden Vorboten des Krieges, wäre in Sicherheit und konnte ihr schönes Leben weiterführen.
    Es waren die kleinen Dinge, die im Endeffekt wichtig waren. Sextus machte sich nichts daraus, wenn sie ihn jetzt hasste. Er sah ihr gelassen hinterher, als sie sich aus dem Atrium entfernte, lehnte noch immer gemütlich an seiner Säule. Vielleicht, eines Tages, verstand sie, was er eigentlich für sie getan hatte. Vielleicht auch nicht. Selbst das war nicht wichtig, er war nicht abhängig von ihrer Anerkennung.


    Er würde Velanius noch etwas mehr Geld mitgeben, damit er seine launenhafte Frau auch sicher in Tarquinia absetzte. Neben dem üblichen Salär für Bestechung der Torwachen und Unterkunft auf dem Weg. Immerhin war auch Tarquinia mehrere Tagesreisen entfernt. Und seiner Frau würde er einen Wechsel ausstellen, um ihr wenigstens das Gefühl zu geben, ihren Luxus in Tarquinia beeinflussen zu können. Nigrina war, was so etwas anging, sehr kurzsichtig veranlagt und erkannte den Wert von Geld ohnehin nicht. Sie ließ sich von einer vermeintlich großen Summe blenden und war dann zufrieden, ohne wirklich seinen Wert zu erfassen. Eines der Dinge, die Sextus ihrem Vater doch vorwarf, die Tochter dahingehend zu sehr verhätschelt und verweichlicht zu haben. Aber gut, er konnte damit umgehen.
    Wichtiger war nun erst einmal, dass er auch seine Flucht vorbereiten konnte. Einen jungen Senator würde Salinator wohl eher vermissen als eine Frau und ein kleines Kind, da sollte er einen besseren Plan umsetzen. Bevor der Mann die Stadttore noch gänzlich schließen ließ.

    Tja, in manchen Momenten war Sextus froh um seine Frau. Und in anderen wollte er sich selbst ohrfeigen, weil er sie gevögelt hatte, anstatt ihr einfach den Hals umzudrehen. Lupae waren soviel weniger anstrengend als Ehefrauen. Insbesondere hatten diese nicht solche idiotischen Ideen, die sie an einen herantrugen.
    “Bist du wahnsinnig?“, fuhr Sextus seine Frau wenig charmant an, als die ihm Mantua als gute Idee verkaufen wollte. “Mitkommen? Zu Pferd? Du kannst nicht reiten, schwanger erst recht nicht, und ich kann nicht die ganze Wegstrecke in einem holpernden Karren verbringen“, meinte er weiter, jetzt weniger gebellt als vielmehr belehrend, wie er es gern machte und wovon er wusste, dass seine Frau es nicht leiden mochte. Doch musste er ihr hier klar vor Augen führen, wie unmöglich ihr Vorschlag war. Bis vor 3 Minuten war die Welt noch in Ordnung gewesen, und jetzt wieder so etwas. Auf was für Ideen Frauen doch kamen?
    “Außerdem wird Mantua durch diese Sache zu einem Angriffsziel werden. Durch die Seuche liegt das Sozialleben brach, und es wird gänzlich sterben, wenn sich die Armeen erst auf den Weg machen. Ich habe nicht vor, da zu bleiben und zu warten, bis dieser Despot kommt und mich in Stücke hackt, und meinen naiven Vetter gleich mit. Glaub mir, du willst nicht in einer belagerten Stadt sein. Und sollte sich Vescularius mit einigen Legionen auf den Weg machen, steht nur noch ein einziger Weg offen: Über die zugeschneiten Alpes nach Norden nach Baetia und Germania. Kalt, nass, und weit von allem weg, was nur entfernt an einen standesgemäßen Lebenswandel erinnert.“
    Sextus hatte keine Ahnung, was Nigrina sich vorstellte. Ob sie sich überhaupt irgendwelche Gedanken machte, was es wirklich bedeutete, wenn Sextus zulassen würde, dass sie mitkam. Das war kein Ausflug in die heißen Thermen von Baiae, das war ein aufkommender Krieg, den sie noch dazu verlieren könnten, mit einer Stadt, die an Luxus derzeit nicht das geringste zu bieten hatte, mit einem weiten und vor allen Dingen unbequemen Weg und keiner Aussicht auf Änderung dieses Zustandes.
    “In Tarquina hast du alles, was dir ein angenehmes Leben ermöglicht. In Mantua wirst du alleine sitzen, vielleicht mit der Tiberia als Gesprächspartner, und darauf warten dürfen, wann die Stadtmauer abbrennt. Du bist schwanger, wenn ich dich daran erinnern darf. Ein Weg über die Alpen ist dir in deinem Zustand wohl kaum möglich. Und ich werde da auch keinen Weg finden, für diese Dummheit einen Weg zu finden, um es möglich zu machen.“


    Weiber!


    Praefectus Urbi
    Potitus Vescularius Salinator


    Cohortes Urbanae
    Roma



    Haruspex Sextus Aurelius Lupus Vesculario Salinatori s.d.



    Angesichts der derzeitigen Situation und der gespannten Lage und zur Beruhigung und Erhaltung der Ruhe in der Stadt und dem Fortbestand des göttlichen Friedens empfiehlt das Collegium Haruspicium dringend ein Zeichen göttlichen Friedens.
    Zu diesem Zweck empfiehlt das Collegium Haruspicium dringend eine Prozession im Namen der Concordia, die zu einer Woche der Ruhe aufruft und vom Forum Pacis ausgehend zum Ara Pacis führen soll, wo ein Opfer für das Wohl des gesamten römischen Volkes erfolgen soll und an dem entgegen der Ausgangssperre dem Volk die Teilnahme gestattet sein soll, zu welchem auch Haruspizien zu verkünden seien.


    In der Hoffnung auf deinen weisen und göttergefälligen Entschluss in dieser Sache zum Wohl und zum friedlichen Fortbestand der Ordnung


    Sextus Aurelius Lupus
    Collegium Haruspicium LX

    In manchen Augenblicken war Sextus froh um seine Frau. Sie stimmte, wenngleich widerwillig, seiner Lösung zu und war damit ein Problem weniger, um welches er sich zu kümmern hatte. Aber diese Überzeugbarkeit war es nicht, die ihn in diesem Moment schon beinahe berauschte, nein. Eher ihr herrlicher Blutdurst und ihre Willigkeit angesichts der bevorstehenden Gefahr.
    Statt einer Antwort erhielt sie ein Knurren, als er ihren Po umfasste und leicht anhob, sie ohne weitere Worte gegen die nächste Säule drängte. Ihr Mund war seinen Lippen schon nach wenigen Augenblicken nicht mehr genug, so dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten beißend und leckend sich einen Weg nach unten bahnte. Hinderlicher Stoff an den Schultern wurde einfach mit einer harschen Handbewegung entfernt. Das reißende Geräusch und die Laute seiner Frau, als er seinen Körper hart gegen sie drängte, das war es, was ihn in diesem Moment ausfüllte und den Göttern danken ließ, am Leben zu sein. Mit Entkleidungsfinessen hielt er sich nicht lange auf. Das kunstvolle Gewand seiner Frau wurde mit rauhen Händen grob auf Hüfthöhe geschoben, so dass ihre Beine ihn umschlingen konnten. Seine Toga wurde unachtsam über die Schulter zu Boden geworfen, die Tunika nur weit genug hochgeschoben, um sich zu nehmen, was sie ihm so willig anbot. Es war nicht zärtlich und liebevoll, voll gehauchter Schwüre und Versprechungen. Es war der animalische Akt, der Rausch des Blutes, die egoistischste Form von Hedonismus. Heiser, grob, besitzergreifend, besitzverschlingend.


    Erst, als sein Blut langsam wieder in Regionen zurückfloss, die artikuliertes Denken zuließen, küsste er Nigrina noch einmal weitaus zärtlicher. Und bemerkte erst einige Momente später durch ein dezentes Räuspern von Richtung Vestibulum, dass sie beide nicht mehr allein im Atrium waren.
    Ohne seine Frau wieder herunterzulassen, drehte er leicht den Kopf und sah nach dem Eindringling. “Meine Männer sind da, wie du es gewünscht hast, Aurelius“, grüßte da ein bärtiger Kerl mit grobschlächtigem Gesicht.
    “Gut, wartet im Vestibulum. Ihr brecht heute Nacht auf.“ Sextus wartete einen Moment lang, bis die Schritte auf dem Marmorboden verkündeten, dass der Mann gegangen war, und widmete sich solange noch dem weichen Hautstück zwischen Hals und Schulter seiner Frau, immer noch ohne sie abzusetzen. Götter, er würde sich auf der Suche nach einem adäquaten Ersatz für sie schwer tun. “Das war Tiberius Velanius Andronicus. Er schuldet mir ein paar Gefallen und wird dich und Lucius heute Nacht sicher aus Rom heraus begleiten und euch nach Tarquinia bringen. Er ist ein stinkender Arsch, aber er ist zuverlässig.“ Noch einmal biss er leicht in ihre Schulter und drängte sie gegen die Säule, fuhr knurrend über ihre makellose Haut, ehe er sie endlich herabließ. “Du solltest das nötigste packen. Truhen wirst du leider nicht mitnehmen können, aber ich werde euch genug Geld mitgeben, dass du dich bei den Cilnii standesgemäß einrichten kannst.“

    Und da kam er, der fassungslose Augenblick, den Sextus schon mit einberechnet hatte. Wenngleich er weitaus ruhiger verlief, als er sich das ausgemalt hatte. Das hier war ja schon beinahe das Szenario des besten anzunehmenden Zustandes, im Gegensatz zum Szenario des schlechtesten Falls, in dem er einige der teuren Vasen in einem flavischen Wutanfall wieder zu Bruch hatte gehen sehen. So ruhig, wie Nigrina blieb, hatte er schon annähernd die Hoffnung, dass sie nun nach den Jahren ihrer Ehre letztendlich doch dazugelernt hatte. Wenn er sich an ihr anfängliches übertriebenes Gebaren erinnerte, war die Person, die jetzt vor ihm stand, beinahe eine gänzlich andere.
    Aber nur beinahe. Eine dumme Frage kam dann letztendlich doch über ihre Lippen. “Wenn das bekannt wäre, meine Liebe, würden wir jetzt nicht hier in aller Ruhe stehen und darüber reden“, stellte er nüchtern sachlich fest, ehe er sich mit einem leisen, wohlplatzierten Seufzen gegen die nächste Säule stützte und an seinem Posca nippte, als wäre es edler Falerner. Dass er dann ganz anders an die Sache herangegangen wäre, das verstand sich für ihn von selbst. Wenn die Chance bestünde, dass hier in den nächsten Stunden Prätorianer auftauchten, würde er sicher besseres zu tun wissen, als seine Frau davon höflich in Kenntnis zu setzen und in aller Ruhe darüber zu reden. Dann säße sie schon verfrachtet auf dem Weg nach sonstwohin und er auf dem Rücken eines von ihm so gehassten Pferdes. Sextus sah keinen Sinn darin, sich für eine Sache, die er von Anfang an als Wahnsinn betrachtet hatte, heldenhaft abschlachten zu lassen wie ein braves Schaf auf dem Stein des Mars.
    “Und nicht ich habe den Kaiser umgebracht. Oder Gracchus. Und schon gar nicht dein Vetter Flaccus.“ Bei letzterer Vorstellung entfuhr Sextus doch fast so etwas wie ein kleines, amüsiertes Lachen. Zwar schätzte er die Flavier sehr als politische Verbündete und achtete auch die Vorteile, die eine Ehe mit diesem altehrwürdigen Namen mit sich brachte, das Prestige und den Eindruck, den man damit schinden konnte. Doch hatte jede Situation mit eben jenen Flaviern, die er nun schon erlebt hatte, in dem Ergebnis gegipfelt, dass die ein gänzlich anderer Menschenschlag waren. Künstler! Etwas, das Sextus im Meer ersäufen würde. Aber dafür hielten sich die meisten von ihnen, und das mit Stolz. Was die Vorstellung eines kaltblütigen Mörders aus flavischen Riehen,d er sich selbst die Hände blutig machte – und zwar einem Gegner gegenüber und keinem niederen wesen wie einem Sklaven, der einem ohnehin ausgeliefert war – doch recht abstrus machte. “Nein, aber dein Vetter kannte jemand, der jemanden kannte, der mit jemandem verschwägert war, bei dem einer der Köche des Kaisers Schulden hatte, oder so ähnlich“, erklärte Sextus mit wegwerfender Handbewegung. “Es kann also sein, dass sie die Spur zu deinen Vettern zurückverfolgen.“ Und nicht zu ihm, wohlgemerkt. Ein Umstand, der ihn wieder daran erinnerte, wie froh er war, aufgrund des Wahnwitzes des ganzen Planes sich im Hintergrund gehalten zu haben. “Aber erst in ein paar Tagen. Und erst danach sind auch hier Prätorianer zu erwarten. Also haben wir heute Zeit, uns darüber zu unterhalten und die nötigen Schritte einzuleiten.“


    Dass Nigrina ihn herausforderte mit ihrer Frage, was geschehen würde, wenn sie nicht ginge, entlockte Sextus ein typisch wölfisches Lächeln, durch das er auch seinen Cognomen erhalten hatte. “Natürlich steht es dir auch frei, deine eigene Wahl bezüglich deines Aufenthaltsortes zu treffen. Hier in Rom zu bleiben ist denke ich aufgrund der gegebenen Konstellationen ausgeschlossen. Selbst, wenn du dich aufgrund der Ereignisse von mir scheiden lassen wolltest – wofür ich im Übrigen Verständnis hätte“, andersherum wäre eine solche Konstellation, wenn er sich dadurch von Vorwürfen reinwaschen könnte, ebenfalls ein guter Grund für eine Scheidung, gepaart mit einer neuen, politisch opportunen Ehe. “...befürchte ich, dass deine Verwandtschaft zu Gracchus und Flaccus zu negativ behaftet ist, um in der derzeitigen Situation auf das Wohlwollen des Vescularius zu hoffen. Ich hatte dir Tarquinia angeboten, da dir dort sämtliche Komfortmöglichkeiten in bereits kurzer Zeit zur Verfügung gestellt wären. Es ist eine heilige Stadt für die Etrusker, keine Legion, egal von wem geführt, wird dort so einfach durchmarschieren ohne den massiven Widerstand der Bevölkerung. Erst recht nicht die eines plebejischen Emporkömmlings ohne nennenswertes religiöses Engagement. Und so dämlich ist der Praefectus Urbi nicht, als dass er das nur wegen einer Frau und Cousine riskieren würde, dort seine Truppen aufzureiben.
    Allerdings trifft dies nicht auf die Besitzungen deiner Familie zu, da sich dort die männlichen Teile deiner Familie aufhalten könnten. Und die zu verfolgen, so er die Hinweise erhält, wird für ihn auf seinem Weg zum Thron nun einmal unerlässlich sein. Vor den Augen des Volkes muss er die Mörder seines Vorgängers richten. Gerade die Besitzungen deines Vaters in Ravenna würde ich meiden, da diese von hier aus fast auf direktem Weg nach Mantua liegen.“
    Er machte eine kleine Kunstpause, in der er den Posca in seinem Kelch leicht schwenkte. “Ich könnte dir die Gastfreundschaft meines Elternhauses anbieten, doch sind Seereisen im Winter gefährlich. Und ich kann dort nicht so sehr für deine Sicherheit garantieren wie in Tarquinia, da der Marius“ gemeint war Marius Turbo, der ehemalige Praefectus Praetorio und enger Freund Salinators – “in Dacia ist und ich nicht weiß, ob der sich bei dieser Nachricht eher nach Süden oder Westen wendet.“
    Ja, Sextus hatte sich die Wahl für Nigrinas Aufenthaltsort sehr genau überlegt. Nur wollte er, dass sie es für eine gute Idee, am besten ihre eigene Idee, hielt. Es könnte durchaus sein, dass sie dort für eine lange Zeit bleiben musste. Aber dort wäre sie in Sicherheit, da war er sich sicher. Es war abgeschieden genug, um strategisch nicht wichtig zu sein, und doch bedeutend genug, um den nötigen Komfort zu gewährleisten und die nötige Defensivkraft.


    “Und ich“, fuhr er fort, wobei seine Stimme noch ruhiger und leicht bedrohlicher wurde. “werde morgen in aller Ruhe in den Senat gehen und meine Einstandsrede als Senator halten. Anschließend werde ich ruhig der Diskussion folgen und nicht weiter auffallen, heimkommen und etwas essen. Und am Abend werde ich auch Rom verlassen und nach Mantua reiten.“ Und er hasste reiten. Er hasste es wirklich. “Wo ich zu Ursus aufschließen werde und alles daran setzen werde, dass wir uns nicht mit dieser jetzigen Situation abfinden werden.“ Er stellte den Kelch beiseite und kam auf Nigrina zu, fixierte sie mit ihrem Blick. “Denn ich verspreche, der Vescularius wird bezahlen. Ich verspreche, dass er für die Schmähungen, die er uns beiden hier in diesem Haus zugedacht hat, teurer bezahlen wird als ich für den Senatorenplatz. Ich verspreche, dass es ihm leid tun wird, die Rache der Aurelier und Flavier auf sich herabbeschworen zu haben.“ Bei Nigrina angekommen nahm er mit dem ihm ganz eigenen Charme ihre Hand und führte sie zu seinem Mund, küsste die Fingerspitzen. “Er und seine kleine Schlampe werden sterben, wenn ich mit ihnen fertig bin. Das versprech ich dir.“ Und Sextus gab so selten Versprechungen ab, dass er die paar, die er doch abgab, eigentlich zu halten gedachte.

    Vermutlich hatten die Senatoren gerade alle etwas besseres zu tun, als einen neuen in ihren Reihen zu begrüßen. Und wenn Sextus ehrlich war, hatte er eigentlich auch besseres zu tun, als sich hier vorzustellen. Es war eine Farce. Er wusste das. Und die Senatoren wussten das auch. Der Kaiser war tot, der Notstand war ausgerufen und der Senat war noch die einzige Versammlung, die überhaupt zusammentreten durfte. Sämtliche Collegia, sämtliche Sodalitäten und Vereine warteten, lagen brach. Die Stadt verschanzte und verbarrikadierte sich, so gut sie eben konnte. Und er stand jetzt hier und sollte eine Rede halten, wie sehr er sich freute, Senator zu sein. Das war an Absurdität und Groteske kaum zu übertreffen.
    Aber nun war er hier, in der nagelneuen Toga und den schicken, roten Schuhen, und der Consul hatte ihn vorgestellt. Also wollte er als braver Komödiant sein Stündlein auf der Bühne abhalten. Er trat vor, wie es von ihm erwartet wurde, und sprach, als er aufgefordert wurde.
    “Patres Conscripti! Ich hätte mir wahrlich eine leichtere Zeit gewünscht, mit diesen Worten der Dankbarkeit vor euch treten zu dürfen. Gerne würde ich euch von der Ehre erzählen, die ich empfinde, mich euren Reihen anschließen zu dürfen, gerne mich noch einmal für das Vertrauen bedanken, dass ihr mir bereits zwei Mal geschenkt habt, als ihr mich zum Vigintivir und zum Quästor erhoben hattet.
    Doch die Wahrheit ist, dass obwohl ich das alles fühle, ich nur hoffen kann, der mir zugedachten Ehre auch gerecht zu werden. In diesen schweren Zeiten, in denen nicht einmal unsere höchsten und heiligsten Staatslenker sicher sind, in denen Gift die feige Waffe der Mörder ist, benötigt das Volk Verlässlichkeit. Es benötigt Stärke und Sicherheit. Und in seiner Angst, in seiner Not und Verzweiflung, da sind es diese Hallen, auf die es schaut. Und die Männer hier, in die es sein Vertrauen, seine Hoffnungen setzt.
    Es ist eine große Ehre, hier stehen zu dürfen, an Eurer Seite, Patres Conscripti. Aber noch viel mehr ist es eine große Verantwortung, gerade jetzt. Eine Aufgabe, von der ich nur hoffen kann, sie an der Seite so ehrwürdiger Männer Roms wie den langjährigen Mitgliedern dieses ehrwürdigen Gremiums bestreiten zu können.“

    Noch eine kurze Geste der Dankbarkeit an die Senatoren, und schon nahm Sextus seinen Platz wieder ein, für den er so teuer hatte bezahlen müssen. Und den er auch so bald schon wieder ganz im Gegensatz zu seinen Worten wieder verlassen würde, um sich in Sicherheit zu begeben. Doch erst einmal verlangte das Schauspiel hier noch anderes.

    Die Lagerthermen? Hatte man als Legat in dem schicken Haus, das einem gebaut wurde, kein eigenes Balneum? Sextus war ein wenig verwirrt, denn entweder hatte Ursus keine eigenen Bademöglichkeiten – was es noch viel weniger erstrebenswert machte, sich militärisch zu engagieren, kam doch zur Abgeschiedenheit von Roms Politik, Abhängigkeit durch Versorgungsleistungen von anderen und dem täglichen Ärger, sich mit tausend stinkenden Idioten rumschlagen zu müssen dann auch noch fehlender Luxus hinzu – oder aber er wollte diese nicht teilen. Letzteres anzunehmen machte aber wenig Sinn, hatte Sextus doch seines Wissens nach noch nie etwas getan, das seiner Gens auch nur geringfügig negativ im Gedächtnis hätte bleiben können. Er war da durchaus sehr darauf bedacht, nichts zu tun, was den Seinen schadete. Zumindest nicht, wenn es ihm nicht außerordentlich nützte und die Chance bestand, seine Anverwandten könnten es mitbekommen.


    “Nein, schwanger ist sie noch nicht, ich habe zumindest nichts in diese Richtung gehört“ , gab Sextus mit etwas Schwermut in der Stimme zu. Vielleicht war Flora ja schon schwanger oder hatte ein Kind in den ersten Monaten verloren. Kam ja andauernd vor und war normalerweise nichts, was ein Mann jemals erfuhr, geschweige denn auch nur merkte. Doch aufgrund auch Laevinas Vorgeschichte zweifelte Sextus doch eher am Tiberius als an seiner Cousine, was das anbelangte.
    Zu dem stolzen Bericht von Ursus, wie groß sein Sohn schon war, lächelte Sextus dann aber wieder pflichtschuldig. Wie alt war der Knirps jetzt? Fünf? Sechs? Wenn er sich am Schreiben versuchte, würde das wohl das Alter sein. “Ja, da merkt man erst, wie man selbst langsam alt wird. Hast du schon einen passenden Lehrer für ihn besorgt?“
    Für seinen eigenen Sohn, so er das siebte Lebensjahr erreichte, war der Weg schon vorgezeichnet. Sextus würde ihm einen Griechen kaufen, der ihm lesen, schreiben und die wichtigsten philosophischen Grundbegrifflichkeiten beizubringen hatte, und mit 10 würde er den Knirps nach Tarquinia schicken zu den Cilnii, auf dass er dort die Kunst der Haruspizien studieren sollte. Eventuell mit einigen Zwischenaufenthalten bei Sextus Vater in Griechenland oder am Museion zu Alexandria, aber das waren Kleinigkeiten.


    Und zum Glück herrschte Einigkeit darüber, dass ein Aurelier sich nicht unter Wert zu verheiraten hatte. Sextus hatte nicht so lange für seinen eigenen Erfolg gearbeitet, um ihn durch den Spott über seinen Verwandten zerstören zu lassen, und Ursus war wohl auf den Namen bedacht. Verständlicherweise! In hundert Jahren würden sie alle Staub sein, Ursus, Avianus, er selbst, aber der Name, der würde noch weiter existieren und an dem gemessen werden, was ALLE Aurelier jemals getan hatten oder tun würden.
    “Natürlich gibt es mehr zu berichten. Aber ja, zur Cena wäre es passender. Ich möchte mir die Straße vom Leib waschen und mich wieder wie ein Mensch fühlen. Wenn du deinem Scriba auftragen könntest, dass der mich zu den Thermen dann bringt, wär ich dir dankbar. Ich fürchte, deine Untergebenen müssen mich alle für einen Trottel halten, weil ich mich hier nicht auskenne. Oh, achja, und vor dem Tor wartet noch meine Eskorte. Die müsste auch irgendwo untergebracht werden. Aber ich fürchte ja, nach den letzten Ereignissen ist Platz das geringste Problem.“ Die Seuche hatte da für einiges an ungenutztem Raum gesorgt.

    Der Posca kam, und kurz darauf seine Frau. Sextus nahm gerade noch einen Zug von der bitteren Flüssigkeit, um seine Gedanken etwas zu ordnen, als er ihre Stimme hörte. “Setz dich“, blickte er sie an und bemerkte erst danach den etwas angespannten Tonfall in seiner Stimme. Mit einem “Bitte.“ nahm er noch etwas Härte aus der Aufforderung und wies auf eine der gepolsterten Bänke am Impluvium. Allerdings vermochten die kurzen Worte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eigentlich keine Bitte, sondern eine dringliche Aufforderung war. Und er wusste, dass Nigrina das ihm auch anmerkte, und er hoffte einfach, dass sie die Urgenz der Situation erfasste und nun nicht einen ihrer kindlichen Anfälle voller gespielter Echauffierung hatte, den sie mal mehr und mal weniger gut unterdrückte. Diese Schwangerschaft machte sie wieder etwas unberechenbarer. Frauen wurden seltsam, je länger sie schwanger waren.


    Er nahm unterdessen noch einen weiteren Schluck und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Er hatte gehofft, solcherlei Gespräche nicht führen zu müssen in seiner Ehe. Er erklärte seine Gedankengänge nur ungern, klang es für ihn doch wie eine paraphrasierte Wiederholung einer Sache, die schon einem Beschluss unterlag. Noch weniger gern diskutierte er über selbige, und seine Frau hatte wie alle Frauen die Angewohnheit, auf Dinge zu antworten, die keine Frage beinhalteten oder die Abgabe einer Meinung erforderten. Und auch hierbei wollte er weder ihre Meinungen noch ihre Rückfragen, die zweifellos kommen würden, wenn er sie erst aufgeklärt hatte. Und dennoch war es unabdingbar.
    Nicht, weil er sich übermäßig um Nigrina Gedanken machte, um ihr Überleben oder ihre Zukunft. Nicht, weil er sie plötzlich in kindischer Agonie zu lieben angefangen hatte und den Gedanken an ihren Tod unerträglich gefunden hätte. Nicht einmal, weil ihre Ehe nach wie vor wichtig für ihn war, um seine Verbindung zu den Flaviern möglichst eng zu halten. All das waren Dinge, die er leichthin vernachlässigen hätte können. Selbst, dass sie die Mutter seines Sohnes war und mit dem Segen der Götter einen selben gleicher Bauart in sich trug. Man konnte ja noch mehr von der Sorte machen.
    Aber so moralisch flexibel Sextus auch war, so erkannte er doch die Verpflichtung an, die er bei Schließung dieser Ehe eingegangen war. Nigrina hatte zumindest verdient, zu erfahren, wofür sie vermutlich sterben würde. Sie hatte es sich durch viele kleine Dienste, die sie ihm erbracht hatte, verdient, zu wissen, warum sie auf Luxus und Annehmlichkeiten verzichten musste, so dass sie es verstehen konnte. Nicht mehr und nicht weniger. Für Sextus hatte das weder etwas mit Moral, noch mit Ehre und erst recht nichts mit Liebe zu tun, sondern war nur logische Konsequenz, um spätere Komplikationen von vornherein auszuräumen.


    “In der Stadt wurde der Notstand ausgerufen. Der Kaiser ist tot und der Vescularius versucht, die Kontrolle über die Stadt zu sichern.“ Das war schon einmal die erste Nachricht, die Nigrina zu verdauen hatte. Seine Frau war nicht blöde, sie wusste, was bei einem längeren Notstand passierte. Das, was immer passierte: Irgendjemand nutzte die Situation zu Plünderung, Mord und Gewalt. In diesem Fall am ehesten derjenige, der den Notstand verhängt hatte. Weshalb es das Haus mit Bewaffneten zu sichern galt und sich auf alles gefasst zu machen.
    Gerade, als er die Andeutung einer Frage in den Augen seiner Frau aufblitzen sah, fuhr er auch schon fort, wenngleich erst einmal nicht an sie gewandt. “Ihr da. Wenn ihr schon nicht so unauffällig wie Pflanzen seid, dann müsst ihr hier auch nicht festwurzeln. Raus hier und sichert das Haus, geht die Vorräte durch... der Maiordomus wird euch anweisen“, scheuchte er die Sklaven fort. Vom folgenden wussten sie so wenig wie Nigrina, und DAS wiederum war etwas, das er so beizubehalten gedachte. Um DEREN Überleben oder ihre Chancen oder seine Verpflichtungen ihnen gegenüber scherte sich Sextus nämlich nicht einmal ansatzweise. Der Gedanke allein war abstrus. Sollte der Praefectus Urbis sie ruhig alle foltern und töten, wenn es ihn glücklich machte. Nur erfahren würde er von ihnen nichts. Die Geldverschwendung, passenden Ersatz zu finden, war natürlich ärgerlich, aber sonst...?


    Nachdem die Sklaven also das weite gesucht hatten, fuhr er fort. “Da ist noch mehr“, fing er ominös an und wartete diesen dramatischen Moment lang, in dem Nigrina sich ihre eigenen Vorstellungen machen konnte und doch nicht darauf kommen würde. Wer konnte solches schon ahnen?
    “Ich habe die Amme angewiesen, Sachen zu packen für sich und Lucius. Ich werde sie noch heute Nacht mit ihm nach Tarquinia schicken zu der Familie meines früheren Lehrers. Dort ist er in Sicherheit und kann, wenn die Zeit kommt, die Ausbildung zum Haruspex beginnen.“ Was in mehreren Jahren soweit sein würde. Eine Tatsache, die wohl den Umfang dieser Flucht noch zu unterstreichen vermochte.
    “Es könnte sein, dass seine Abwesenheit von Rom für lange Zeit notwendig sein wird. Denn der Tod des Kaisers hat höchstwahrscheinlich seine Ursache im Handeln meines Patrons, dem Mann meiner Cousine Tiberius. Und dem deines Vetters Gracchus. Und meinem. Und Avianus, Ursus, Flavius Flaccus, die Vinicii...“ Und wenn sie nicht ganz auf den Kopf gefallen war, was Sextus bislang zu glauben nicht nötig hatte, sollte es jetzt 'klick' gemacht haben. “Auch wenn dieses anders geplant war. Mit deutlich mehr Kontrolle und wesentlich besserer Machtverteilung. Im Grunde hätte Vescularius nichts mitbekommen sollen, bis eine scharfe Klinge an seiner Kehle ihn von seiner Niederlage in Kenntnis gesetzt hätte. Ich weiß nicht, was schief gelaufen ist, aber dies ist die Situation. Weshalb ich auch wünsche, dass auch du die Stadt verlässt. Ich bin mir sicher, die Cilnii würden auch dir ihr Heim anbieten, wenn du dich Lucius anschließen möchtest.“ Soweit erst einmal die Nachrichten. Erst jetzt gab er ihr die Gelegenheit, zu irgendwas die wohl unvermeidlichen Rückfragen zu stellen.

    Sim-Off:

    Verzeihung, den Thread hab ich irgendwie völlig vergessen gehabt


    Irgendwie schienen sich Gespräche über Geldwechsel und Politik nicht dazu anzubieten, eine Frau in eine etwas weniger distanzierte Grundstimmung zu versetzen. Die Duccia zumindest blieb auf Abstand und fragte ihn nach seinen politischen Plänen. Ein Gesprächsthema, dass er nun nicht unbedingt mit einer fremden Frau zu eruieren gedachte, tat er solches noch nicht einmal mit seiner eigenen. Doch galt es ja, höflich zu bleiben.
    “Meine nächsten Schritte werden mich erst einmal nach Hause führen, denke ich“, meinte er also so charmant wie nur möglich und nippte noch einmal an seinem Wein. “Und was das Politische betrifft, werde ich versuchen, den Traditionen meiner Familie zu folgen und die Ämter des Cursus Honorum weiter ausfüllen, sofern mich der Senat mit so einer Ehre bedenkt. Aber hierfür muss erst einmal die notwendige Standeserhebung noch folgen.“
    Kurz überlegte Sextus, wie seine Chancen wohl stehen würden, wenn er das Gespräch noch weiter ausdehnte. Bislang hatte sich keine Gelegenheit ergeben, ein vernünftiges Kompliment anzubringen und Sextus fiel auch keine passende kleine Plattitüde ein, die er einfach so einstreuen konnte. Solange das Thema weiterhin nur um solch sachliche Fakten kreiste, würde sich daran ebenfalls nichts ändern. Es folgte ein kurzer Blick auf die Duccia, die nach wie vor nicht seinem üblichen Beuteschema entsprach und nur der Herausforderung an sich wegen interessant war.
    “Du brauchst mir nicht zu danken, werte Duccia. Im Gegenteil habe ich deinem Neffen dankbar zu sein, mir einen so herrlichen Vorwand gegeben zu haben, mich einmal mit seiner schönen Tante zu unterhalten“, nickte er ihr kurz zu, ehe er sich auch von seinem Platz erhob. Am heutigen Tag würde er wohl kaum einen Erfolg verzeichnen können, der Grundstein für weitere Tage aber war gelegt. Und im Moment hatte er keine Veranlassung, das Prozedere zu beschleunigen oder überhaupt zu forcieren, so dass er sich auch wieder nach Erledigung der Aufgabe auf den Weg machen konnte. “Aber nun möchte ich deine kostbare Zeit nicht weiter für mich in Beschlag nehmen. Ich denke, dass du durch die Ausstellung des Wechsels und seinen Versand genug zu tun haben wirst über deine üblichen Tagesgeschäfte hinaus, so dass es ich nicht noch mehr Aufmerksamkeit stehlen möchte.“

    Sim-Off:

    Huh, erstmal wieder erinnern, was ich alles sagen wollte :D


    Die ausgebreiteten Arme wurden gleich zu einer etwas schmerzhaften Umarmung genutzt. Wenn sein Vetter so gerne auch ein wenig nasse Straße an seiner Kleidung hatte, würde Sextus nichts dagegen einzuwenden haben und ihm diese kleine Geste gewähren. Nachdem das obligatorische Schulterklopfen also erledigt war und Sextus noch ein paar mehr Muskeln gefunden hatte, die nach einem heißen Bad schrien, lehnte er sich nur leicht an die nächste Wand. “Wenn es dich nicht stört, Titus, bleibe ich lieber ein wenig stehen. Ich schwöre dir, mein Gaul hat versucht, meine zukünftigen Kinder zu ermorden.“ Der Scherz kam leicht über Sextus Lippen, auch wenn er es durchaus ernst meinte. Er würde dieses blöde Vieh eigenhändig schlachten und sein Fleisch über kleiner Flamme rösten, sobald er in Rom wäre, auch wenn es weder ein Gaumenschmaus noch eine kluge Investition von Geld war, und nie, nie, NIE wieder auf den Rücken von einem seiner Vettern steigern, wenn es nicht absolut unumgänglich war. Nungut, vielleicht auch ein paar Mal, wenn es gesellschaftlich opportun war, aber auf jeden Fall nicht in nächster Zukunft.
    “Den Wein nehm ich allerdings gerne.“ Nachdem sein Vetter ihm also eingeschenkt hatte und er mit einem anerkennenden Nicken an dem Wein genippt hatte, ging er also dazu über, die Nachrichten auszutauschen. “In Rom geht es allen sehr gut soweit. Ich soll dich von Flora recht herzlich grüßen. Ich denke, sie hat sich in ihre Rolle als Ehefrau mittlerweile gut eingefunden.“ Die Hochzeit war nun im Oktober immerhin schon vier Monate her. Eigentlich eine Zeit, in der man langsam von einer Schwangerschaft berichten sollte, aber selbige Nachrichten hatte Sextus leider nicht zu überbringen. Etwas, das ihn durchaus etwas betrübte. Laevina hatte Durus kein Kind geschenkt – wohl aber einem anderen, wie man den Gerüchten vernehmen mochte. Vielleicht war sein Patron nicht mehr fähig, Nachkommen zu zeugen, was die Verbindung zu den Tiberiern nicht so stark machte, sie sie sein sollte. Würde Flora ihm einen Sohn – einen eigenen, keinen adoptierten – schenken, der Einfluss der Aurelier auf die Tiberier wäre weitaus größer gewesen als so. “Und mein Sohn kann nun laufen, und seine Amme berichtet sehr stolz von seinen ersten Worten und dergleichen. Aber nunja, sie ist seine Amme und muss ihn für ein begnadetes Genie halten.“ Sextus lächelte leicht und verlagerte ein wenig sein Gewicht, da Stehen in der nassen Kleidung auch unangenehm wurde. Und vor allen Dingen kalt.
    “Einzig Tiberius ist letztens etwas zurückgezogen. Nigrina erzählte etwas von einer Verliebtheit seinerseits, aber das einzige Mädchen, das mit ihm gesehen wurde, war eine Helvetia, und ich denke wir sind uns einig, dass das seinem Stand wohl kaum angemessen ist, noch dazu als Magister der Salii Palatini. Ich denke, er wird vermutlich dich als seinen Vetter eher aufklären als mich bezüglich solcher Absichten.“ Immerhin waren Sextus und er nur über etliche Ecken verwandt. Kaum so sehr, als dass es rechtlich relevant wäre. Der Haruspex zuckte die Schultern.
    “Ansonsten ist Rom dieselbe verkommene Hure, die sie schon immer war. Nur dass ihr Zuhälter immer dreister wird.“ Dass damit der Vescularius gemeint war, verstand sich von selbst.

    Unruhig wie ein Tiger im Käfig betrat Sextus das Atrium des Hauses. Er war noch im Collegium Haruspicium gewesen, als die Nachricht hereinkam, dass die Versammlung aufzulösen sei und der Notstand über die Stadt verhängt worden war. Während seine Mitharuspices empört aufgesprungen waren, auf den sakrosanten Zustand dieser Versammlung und die Bedeutung für die Res Publica hinwiesen und ihrem Ärger über diesen gewaltsamen Einbruch in ihre heiligen Riten lautstark Luft machten, war der Aurelier ganz still geworden. Natürlich schlug er in Gedanken sofort den Bogen zu dem Plan, den sein Patron geschmiedet hatte und der demnächst zur Ausführung kommen sollte. Allerdings hatte Sextus stark angenommen, zuvor von dem Tiberier noch informiert zu werden, so dass er ebenso wie alle anderen noch die nötigen Vorkehrungen zum politischen Umsturz treffen konnten. Und im Grunde gab es es nur zwei Möglichkeiten, warum dies nicht so eingetroffen war: Entweder die Abneigung seines Patrons gegen ihn ging tiefer als erwartet und dieser hatte absichtlich seinen Klienten im Ungewissen gelassen, um diesen in den Wirren des Umsturzes abzuschlagen und somit von der sonnigen Seite des Folgenden auszuschließen – oder aber es war nicht nach Plan gelaufen, sie waren aufgeflogen oder sonstwie hatte der Plan nicht funktioniert, Salinator war ihnen zuvor gekommen und Tiberius Durus hatte sie folglich nicht informieren können. Und so sehr Sextus von der Abneigung des Tiberiers gegen seine Person überzeugt war, so erschien ihm doch die zweite Möglichkeit als durchaus logischer.


    “DU! Such die Amme. Sag ihr, sie soll ihre Sachen und die meines Sohnes packen. Nur das nötigste für eine Reise. Keine Truhen, nur Sackgepäck.“, wies er den ersten Sklaven harsch an.
    Auf dem Weg nach Hause war es noch immanenter geworden. Überall waren Menschen unterwegs, versuchten, noch schnell Vorräte zu ergattern, noch schnell irgendwo hinzukommen, schnell den Cohortes Urbanae aus dem weg zu gehen. Hauptsache schnell. Angst lag über der Stadt schlimmer als der faulige Geruch der Million Einwohner und der Tibers im Hochsommer. Die Stadt erwartete Blut, und Sextus fürchtete, sie könnte Blut bekommen. Und noch mehr fürchtete er, dass es nicht das des Vesculariers sein würde.


    “Und du, schaff meine Frau hierher, ich muss mit ihr reden“ folgte der nächste gebellte Befehl an den nächsten zusammenzuckenden Sklaven, der auch sofort abzischte.
    Es waren sehr viele Truppen unterwegs gewesen. Und das beängstigendste daran waren vor allem, dass viele Schwarzröcke unterwegs waren. Eine Gruppe war direkt an ihm vorbei in Richtung des nächsten Stadttores geeilt. Unzweifelhaft, um darüber hinaus einem Auftrag nachzugehen. Dazu die immer wieder aufkeimenden Gerüchte vom Tod des Kaisers und der Machtergreifung des Vesculariers. Dinge, die nur zu wahr sein konnten.


    Ein Sklave kam mit einem Tablett herbeigeeilt, auf dem ein Becher mit Wein stand. Unzweifelhaft die Mischung, die Sextus bevorzugte und üblicherweise trank. Mit einer harschen Bewegung schlug er so gegen das Tablett, dass dieses und der Silberkelch darauf scheppernd zu Boden fielen. Der rote Wein auf dem weißen Marmor erschien dem Haruspex wie ein unglücksverheißendes Omen. “Bring Posca. Weißen.“ Er musste einen klaren Kopf bewahren.

    “FünfzehnTAUSEND Sesterzen? Für einen Senatssitz? Bist du nebenzu noch Komödienschreiber?“
    “Na, na, Aurelius, jetzt mal nicht kleinlich werden. Das ist ein 1A Senatssitz in bester Lage, mit Blick direkt auf den Consul. Eine der exklusivsten Plätze überhaupt im Reich.“
    “Bah! Tu doch nicht so! Exklusiver Platz... da tummeln sich Neureiche und Barbaren aus den Provinzen bald mehr als Berühmtheiten! Und mit denen darf man sich dann auch noch in langweiligen Debatten rumschlagen!“
    “Was heißt hier langweilige Debatten? Immerhin können die Senatoren Roms Gesetze beschließen, Dekrete erlassen und somit das Reich lenken!“
    “Achja? Hat der Kaiser die Republik wieder eingeführt?“
    “Na, gut, das nicht, aber...“
    “Nix aber! Der Senat kann debattieren und reden und kann Gesetze vorschlagen, aber Hand aufs Herz, mehr kann er auch nicht. Für jede Kleinigkeit braucht man die Zustimmung des Kaisers. Oder deine! Und dazu muss man sich mich sechshundert Barbaren und Trotteln erstmal einig werden! Die Procuratoren, die mit dir direkt reden, können dasselbe tun, und müssen sich mit sich selbst nicht erst einig werden. Ritterstand und Ritterposten! Da liegt die Macht! Der Senat ist doch nur ein schickes Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit und ein Ort, an dem sich homines novi die Hintern plattsitzen können und alte Säcke sich zum tratschen treffen!“
    “Na, na, ein bisschen mehr könnt ihr schon. Und vergiss das ansehen nicht und den Zugriff auf die höheren Posten!“
    “Die ja allesamt schon mit den obersten Speichelleckern des Reiches besetzt sind! Und solange wir nicht wieder Krieg mit unseren Nachbarn anfangen und das Reich um ein oder zwei senatorische Provinzen erweitern, wird’s da auch keine neuen geben!“
    “Das heißt also, du willst den Sitz nicht?“
    “Na, nicht für fünfzehnTAUSEND Sesterzen, und das für einen gebrauchten Sitz!“
    “Pah! Was heißt da gebraucht? Der ist noch super erhalten!“
    “Achja? Wer war denn der Vorbesitzer?“
    “Decimus Fadius Parmensis.“
    “Fadius? Der ist Verstorben! Du willst mir den Stuhl eines Toten verkaufen!“
    “Aber der saß doch nicht da, als er gestorben ist!“
    “Ach nein? Dir würd ich alles zutrauen, auch mir einen Todessitz zu verscherbeln!“
    “Jetzt bin ich aber langsam wirklich beleidigt! Ich bin ein grundehrlicher Händler und habe nur die besten Waren! Außerdem muss ich meine Familie ernähren!“
    “Ich dachte, deine Frau wäre verschieden und deine Tochter schon lange verheiratet?“
    “Ich hab eben eine Ein-Mann-Familie! Und vielleicht gründe ich auch mit Thalia hier noch eine neue?“
    “Mit der? Oh, verstehe, dann brauchst du natürlich jedes As, was du kriegen kannst. Aber ich zahl trotzdem nicht so viel. Der Sitz ist keine fünf Tausend wert, nicht mal zwei! Die zehn waren schon mehr als nur ein Geschenk an dich, und das weißt du auch! Ist ja nichtmal ein Posten dabei!“
    “Na, er ist so viel wert! Mehr sogar, ich verschulde mich ja schon fast, um ihn dir so anbieten zu können, eigentlich hätte ich noch zehn weitere Wartende dafür. Aber da wir uns hier so gut amüsieren, will ich mal nicht so sein. Sagen wir... vierzehn?“
    “Zwölf! Und keinen Quadrans mehr!“
    “Hmmm... Dreizehn.... einhalb! Und damit komm ich dir schon mehr entgegen, als du ahnst!“
    “Dafür darf ich aber nach deinem Tod deine Geliebte durch mein Bett scheuchen.“
    Meinetwegen.“
    “Gut, dann abgemacht.“


    ------------------


    Nun, so hätte das Gespräch aussehen können – wenn das hier ein Stand bei einem Händler am Forum wäre. Nur leider war es das nicht. Und Sextus bedauerte noch viel mehr, dass ihm auch sonst wenig Möglichkeiten blieben, seine Meinung zu dieser absonderlichen und herablassenden Forderung kundzutun. Zu gerne hätte er dieser fetten Qualle ein dezidiertes 'Leck mich doch' ausgerichtet und ihn des Hauses verwiesen. Und auch unter Einbeziehung aller möglichen Konsequenzen einer solchen Handlung blieb die Idee, eben solches zu tun, doch sehr verlockend. Und hätte Sextus gewusst, dass er damit an der Spitze der Preisliste, was jemals für einen Senatsposten bezahlt wurde – und das trotz der im Vorfeld gelaufenen Einschleimereien und dem Opfer an Merkur – sich wiederfinden würde, vermutlich wäre dies doch eine der Gelegenheiten gewesen, in denen sein so gewissenhaft gezügeltes Temperament mit ihm durchgegangen wäre. So wusste er nur, dass Merkur auf die versprochene Stele für seine Hilfe lange warten konnte. Bei diesem Preis hatte der Gott ganz offensichtlich nicht die geringste Wirkung auf den Vescularius.
    Also blieb nur die Frage, was Sextus tun wollte. Es war eindeutig eine Geldverschwendung, einem Toten soviele Sesterzen in den Rachen zu werfen. Und nach diesem Auftritt hier hatte Sextus keine Zweifel daran, dass Salinator sterben würde – zur Not mit aurelischen Händen um seine fette Kehle. Da sollte Proserpina sein nächstes Kind als Gegenleistung fordern, wenn sie wollte, solang sie ihm diesen Fluch erfüllte, aber sterben würde der Mann.
    Auf der anderen Seite würde eine allzu offene Ablehnung des Ganzen einiges an Fragen aufwerfen. Fragen, die sich ihre kleine Gruppe derzeit nicht leisten konnte. Sollte der wahnwitzige Plan seines Patrons Erfolg haben, würde von allen äußerste Diskretion und politische Korrektheit erwartet werden. Da wäre ein durch Beleidigung aufgescheuchter Salinator nicht hilfreich. Noch dazu, wo dieser wohl nicht dumm genug war, sich nicht zu fragen, wie Sextus gedachte, sein Leben weiterhin zu gestalten, gänzlich ohne Senator werden zu wollen. Ein Ritterposten kam für einen Patrizier nicht in frage, und alle höheren Amtsposten, die für jemanden seines Standes angemessen wären, erforderten nun einmal schicke rote Treter oder aber Erfahrungen auf militärischem Gebiet, die der Aurelier nicht hatte. Von daher blieb nur der Gedanke, dass 1. Sextus wahnsinnig wäre und auf Kosten seiner Verwandtschaft sein Leben in unbedeutender Nichtigkeit verbringen wollte; 2. Sextus extrem selbstsicher wäre, zu meinen, den Posten des Haruspex Primus auch ohne Senatorentitel hinreichend ausfüllen zu können oder 3. da etwas im Busch war, was den Senatorenstand für ihn zum jetzigen Zeitpunkt uninteressant machte, da er ihn später erhalten würde. Wobei dieses „später“ zwangsläufig eine Zeit ohne Salinator wäre. Und es galt, den Praefectus Urbi davon abzuhalten, auf diesen dritten Gedankengang zu kommen.
    “Ich denke, du überschätzt den Inhalt der Truhen dieses Hauses gewaltig“, begann Sextus zurückhaltend. Und es stimmte auch. Die Summe, die der Vescularius verlangte, würde mit einem Schlag dreiviertel seiner privaten Vermögensstände verschlingen und auf absehbare Zeit ein Ädilat unmöglich machen. Und eigentlich hatte Sextus aus diesem Grunde überhaupt erst gespart, um in seiner Zeit als Ädil dann das Volk mit angemessenen Spielen beglücken zu können – die ein Ädil immerhin aus eigener Tasche zu bezahlen hatte. “Immerhin hatten die Aurelier schon lange keine senatorischen Posten mit der Möglichkeit zur Einnahme eines grundlegenden Salärs inne, so dass sich unsere Vermögenswerte einzig aus der Verwaltung unserer Besitzungen speisen.“ Gut, abgesehen vielleicht von Aurelius Ursus als Legionskommandanten, aber der war technisch gesehen nicht einmal mit Sextus wirklich verwandt, und dazu noch weiß weg und ohne Möglichkeit, Rom zu betreten.
    “Besonders mein eigenes Vermögen ist hier arg begrenzt.“ Durch seine Arbeit als Haruspex würde er bei einem durchschnittlichen Verdienst von 500 Sesterzen im Monat zweieinhalb Jahre benötigen, um diese Summe wieder auszugleichen! Und bei dieser Rechnung hätte er noch weder etwas gegessen noch auch nur ansatzweise den Ansprüchen seiner Frau, was Luxus und Lebensstil angeht, entsprochen!
    Doch es nützte wenig, sich dies alles vorzuhalten, wenn er aufgrund der Verpflichtung zur Ruhe ohnehin kaum große Auswahl hatte.
    “Ich werde mir das Geld leihen und dir zukommen lassen. Und ich hoffe, dass du bei der nächsten Besetzung eines Curatorenpostens in Rom vielleicht an mich denkst.“ Die Chance bestand immerhin, dass der dauerabsente Octavius Victor doch seines Postens entledigt wurde und die Stelle noch vor der Tötung des Kaisers mitsamt der Folgen vergeben werden würde. Abgesehen davon untermauerte so eine Bitte das Sicherheitsgefühl, in dem der Vescularius schwelgen sollte, bis die Falle zuschnappte. Auch wenn Sextus bezweifelte, dass wirklich sein Name auch nur ansatzweise von seinem Gegenüber angedacht werden würde, sollte es tatsächlich neue Posten innerhalb Roms zum Verteilen geben.
    Sein Blick glitt kurz über die Begleitung von Salinator. Wenn Sextus mit seiner Rache an dem fetten Leichnam neben ihm fertig wäre, würde er sie mit ihr fortsetzen. Schmerzhaft. Sehr schmerzhaft. Der Gedanke daran munterte doch ein wenig auf.


    Sim-Off:

    Staatskasse 2

    Im ersten Moment schien es so zu sein, als würde sein Gast endlich in dieses subtile Spiel der Andeutungen einsteigen, und mehr als das, als wäre er sogar endlich gewillt, Sextus ein gewisses Maß an Entgegenkommen zu zeigen. Allerdings nur einen Moment, ehe der Vescularier ein vollkommenes Unverständnis für feine Konversation bewies. Das musste irgendeine Unart aus seiner Vergangenheit als Soldat sein, die Dinge so direkt und unhöflich anzusprechen, und Sextus nahm es kein Wunder, dass der Mann bei den alten Geschlechtern Roms sehr unbeliebt war, schlugen jene doch viel hinterhältigere Töne an.
    Und auch bei ihm vermittelte die Deutlichkeit der Worte des Präfekten zunächst einmal den zurückgekehrten Drang, sich die Schläfen reiben zu müssen, um den aufwallenden Kopfschmerz zu bekämpfen. Etwas, das Sextus natürlich nicht tat, zumal die Neuigkeit, dass Imperiosus sich schon positiv für ihn verwendet hatte, durchaus aufmunternd war. Der Pompeier war wohl doch nicht nur ein ebenso unhöfliches Ärgernis wie sein Patron, sondern bisweilen äußerst nützlich – was den Mann von der 'Leute, die ich beim Umsturz vergessen werde'-Liste gleich auf die 'Vielleicht doch ganz nützlich'-Liste brachte.


    “Wenn wir durch eine kleine Spende keine großen Freunde werden, dann sollte ich vielleicht eine große investieren und sehen, wie hier das Ergebnis ist“, scherzte Sextus leicht. Offensichtlich störten den Vescularius weder seine beiden Mitbringsel noch seine Geliebte noch Sextus Frau oder die halbnackten Sklavinnen auch nur annähernd. Folglich war es wohl das opportunste in dieser verdrehten Situation, selbst die Etikette beiseite zu lassen und sich eben auf dieses Niveau herabzubegeben. Eines der Dinge, die Sextus schon früh gelernt hatte, man begab sich am besten immer auf eine Ebene mit seinen Gesprächspartnern, das erleichterte einige Dinge ungemein.
    “Da wir also schon dabei sind: Wären Zehntausend Sesterzen wohl eine angemessene Summe?“ Sextus hoffte, dass das Opfer an Merkur sich nun bezahlt machte. Im Grunde war diese Summe schon eine erheblich höhere, als er ursprünglich aufwenden wollte, aber alles unterhalb hätte seine erste Einlassung wohl albern erscheinen lassen.

    Ein wenig verwunderte es Sextus schon, dass ausgerechnet seine Frau die Adressatin der Einladung zu dieser Hochzeit gewesen war und er 'nur' die Begleitung war. Nigrina kannte die Braut wohl, bei deren Namen irgendwas in Sextus klingelte. Allerdings war die Information zu unbedeutend gewesen, als dass er darauf kommen würde. Aber er war jetzt schon wie lange mit Imperiosus zweckverbündet? Da hätte er ihn gleichberechtigt einladen können, wenigstens das. Mitbringsel...
    Dennoch ließ sich Sextus nichts von seinen Gedanken anmerken, als er an der Seite seiner Frau schließlich die Casa betrat und sich in die Reihe der Gäste einordnete, um zu [strike]kondolieren[/strike] gratulieren. Er sah ein paar bekannte Gesichter hier. Da war sein Patron und seine Cousine, Consular Purgitius etwas weiter und sogar der Vetter seiner Frau mitsamt Familie. Dafür, dass die Iunii in den letzten zwei Generationen kaum von sich Reden gemacht hatten, ein interessantes Publikum. Vermutlich war es wohl eher dem Bräutigam geschuldet und seinem Posten in der kaiserlichen Kanzlei, wo jede einzelne Standeserhebung, jede Beförderung und jede Auszeichnung im Reich über seinen Schreibtisch ging. Es war gut, sich mit dem Ritterstand gut zu stellen, lag doch die wirkliche Macht nicht beim Senat, sondern bei diesen paar Beamten, die eine aufstrebende Karriere durch ein 'versehentliches Übersehen' mal ganz schnell beenden konnten.


    Schließlich aber war die Reihe an ihnen, und Sextus legte sein feinstes Politikerlächeln auf und begrüßte das Brautpaar. “Iunia. Pompeius. Es ist uns eine große Freude, an diesem wichtigen Tag eure Gäste sein zu dürfen.“

    Über diesen Einwand ging Sextus mit einem Lächeln einfach hinweg. Was sollte er dazu schon sagen? Dass der Vescularius sich auch nie durch besondere Religiösität ausgezeichnet hatte, obwohl das DIE Nationaltugend der Römer war, und sein Ruf eher in eine Richtung ging, die man vom moralischen Standpunkt aus als verwerflich bezeichnen konnte? Wohl kaum. Abgesehen davon, dass Sextus, was diese Punkte anging, ohnehin alles andere als kleinlich war. Und es darüber hinaus auch wenig opportun gewesen wäre, den Mann aufzuklären, dass es bislang auch noch keine Gründe gab, dass der Ordo ihm in die Quere hätte kommen wollen. Was sich aber sicherlich auch ändern ließ – und zu gegebener Zeit würde.


    So aber lenkte der Aurelier das Gespräch erst einmal fort von diesem Thema, das sich für ihn ein wenig wie Zähneziehen gestaltete. Der Praefectus ließ auch überhaupt rein gar keine Äußerung fallen, die darauf hindeuten könnte, dass er jetzt über eine Bestechung verhandeln wollte. Im Gegenteil schien er gerade nicht besonders empfänglich zu sein, eher angesäuert.
    Allerdings war der Abend lang, und Sextus hatte Zeit. Er hatte nun über ein Jahr darauf gewartet, hätte eigentlich sich schon zum Ädil aufstellen lassen wollen, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Da machte nun eine Stunde länger keinen Unterschied mehr. Und so redeten sie über leichtere Themen, über Spiele, Wagenrennen, den Winter, das Essen, etwas Politik.


    Und erst, als Sextus meinte, dass die Stimmung des Mannes sich wieder gehoben hatte (was vornehmlich am beständigen Nachfüllen seines Kelches gelegen haben mochte), kehrte der Gastgeber zu seinem ursprünglichen Plan zurück. Warum denn auch nicht, war dieser doch mit der Modifikation des bisherigen Gesprächs noch immer hervorragend.
    “Deine Begleitung, Vescularius, ist wirklich bezaubernd. Ich muss dir zu diesem besonderen Schmuckstück wirklich gratulieren“, fuhr er so lächelnd im Anschluss an einen kleinen Scherz am späteren Abend mit seinem Vorhaben fort. “Wenn ich es mir leisten könnte, dich zu verärgern, ich wäre fast versucht, ihr ein Geschenk zu machen, um sie für mich zu gewinnen.“ Ein kleines Lachen und ein Zuprosten mit dem teuren Wein sowohl an den Vescularius, als auch an sein Vögelchen. In geradezu perfekter Schauspielermanier nahm Sextus einen kleinen Schluck, aber kaum benetzte der Wein die Lippen, setzte er den Kelch auch schon ab, als wäre ihm gerade die Idee gekommen. “Ah, aber ich weiß etwas besseres! Da wir nun fast so etwas wie Freunde sind, was hältst du davon, dass ich dir etwas zukommen lasse, und du schenkst ihr dann eine Kleinigkeit? So haben wir alle doch etwas davon. Die bezaubernde Tahlia die Zuwendung, die ihr gebührt, du ihre aufrechte Dankbarkeit“ Die Art und Weise, wie er das letzte Wort betonte, ließ erahnen, wie Sextus meinte, dass diese sich wohl ausdrückte. “... und ich zwei glückliche Freunde.“ Jetzt war nur zu hoffen, dass der Vescularier diesen Kunstgriff durchschaute und nicht so tumb reagierte wie schon zuvor. Dürfte ja hoffentlich nicht das erste Mal sein, dass jemand ihn bestach und dabei einen anderen Vorwand vorschob.

    Sextus nahm den Wein entgegen und nippte zwischendurch immer wieder einmal daran. Nicht der beste, den er je getrunken hatte, aber auch nicht der schlechteste, und die Mischung war ganz genehm.
    “Den Versand? Nein. Mich persönlich binden ohnehin mein Amt und meine Aufgaben an Rom. Ich bin Haruspex, musst du wissen, und hoffe baldigst in den Senat aufgenommen zu werden.“ Was nach dieser ewigen Wartezeit – immerhin bald zwei Jahre! - auch Zeit wurde. “Mein Interesse bestand eher darin, meinem Freund einen Gefallen zu tun. Häufig ist es Männern unangenehm, ihre weiblichen Verwandten direkt um Geld zu bitten, so dass solche Sorgen, wiewohl sie zu oft unangenehmen Folgen führen können, lieber verschwiegen werden. Und da Quintilius Sermo – so der Name besagten angedachten Überbringer des Wechselverkehrs – nun diesen Freundschaftsdienst nicht erfüllen kann, wollte ich dich ins Bild setzen.“ Er konnte ja nicht wissen, dass Vala zwar seiner Tante geschrieben hatte, dass er Geld brauchte, aber nicht das von Sermo, und auch nicht, dass er Sextus über all diese Dinge geschrieben hatte. Konnte ja keiner Gedanken lesen, schon gar nicht über Kontinente hinweg.
    “Allerdings könnte ich dir anbieten, dass dein Bote auf der Nordwind mitfahren kann, wenn sie das nächste Mal nach Alexandria fährt. Das Schiff ist im Besitz meiner Gens. Wobei ich meine, dass die Decimi ebenfalls über eigene Schiffe verfügen, falls du lieber auf deine Schwägerschaft für einen solchen Dienst zurückgreifen möchtest.“

    Offenbar war sein Witz besser geglückt, als Sextus angenommen hatte. Salinator lachte laut und schallend, und Sextus fiel mit einem wesentlich leiseren und verhaltenen Lächeln ein. Man musste ja auch nicht völlig übertreiben. Außerdem hatte er ja viel zu sagen gehabt.


    Was dann aber kam war weniger erquicklich. Sextus war durchaus froh um seine Ruhe und die vielen Stunden, in denen seine Lehrer ihm Selbstbeherrschung eingeprügelt hatten – wörtlich. So nahm er ganz ruhig einen weiteren Schluck Wein und einen weiteren Happen einer der dargereichten Köstlichkeiten, während es in ihm brodelte.
    “Wie kommst du darauf, dass ich kein Vertrauen in die Götter hätte, Vescularius? Natürlich vertraue ich ihrem Willen voll und ganz, und die Erhaltung des Einvernehmens mit diesen Mächten liegt ganz und gar in meinem Bestreben. Um Tullius Cicero zu zitieren: Denn wer ist so wahnwitzig, dass er, wenn er zum Himmel emporblickt, nicht fühlt, dass es Götter gibt, sondern etwa glaubt, dass die Geschehnisse, die so sehr einen Geist voraussetzen, dass kaum jemand sie in ihrer Ordnung und Notwendigkeit mit irgend einer Kunst erfassen kann, dass diese Dinge dem Zufall zuzuschreiben wären und der, wenn er einmal eingesehen hat, dass es Götter gibt, dann nicht auch einsieht, dass nach deren Willen dieses große Reich entstanden, vermehrt und erhalten worden ist? Denn, patres conscripti, wenn wir uns auch noch so sehr lieben, weder können wir es an Bevölkerungszahl mit den Spaniern aufnehmen, noch an Körperkraft mit den Galliern, noch an Schlauheit mit den Puniern, noch an Kunst und Wissenschaft mit den Griechen, noch an dem ursprünglichen Mutterwitz, der dieses Volk und Land auszeichnet, mit den Italern selbst und den Latinern, aber durch Frömmigkeit und Religion und durch diese einzige Weisheit, die uns erkennen ließ, dass alles durch den Willen der Götter regiert, gelenkt und gesteuert wird, haben wir alle Völker und Nationen unterworfen.“
    Na gut, vielleicht ein wenig dick aufgetragen, ausgerechnet den großen Redner heranzuziehen – auch noch bei seiner Rede bezüglich eines Gutachtens der Haruspices sein Haus betreffend – und dann auch noch einen nicht gerade geringen Teil. Andererseits war dies hier ein Abendessen, da sollte man als Gastgeber auch ein wenig mehr reden. Und vielleicht war auch ein klein wenig Ärger dabei über die ungerechtfertigte Anschuldigung des Vesculariers, er würde seine Arbeit als Haruspex nicht ernst nehmen. Nur im Gegensatz zu vielen Millionen Mitbürgern wusste er definitiv, was davon Schein und was sein war.
    “Und ja, ich bin sehr zuversichtlich, dass es so geschehen wird“, bekräftigte er noch einmal leichtzüngig seine vorherige Feststellung. Und warum auch nicht? In einer Zeit, in der Familien dafür vom Staat bezahlt wurden, noch dazu etruskische und damit nach stadtrömischer Ansicht eigentlich ausländische, nur damit die Kunst nicht am Ende ausstarb, konnte man sich etwas darauf einbilden, eine immerhin über zehn Jahre andauernde Ausbildung erhalten zu haben. Der Ordo trug ja auch nicht umsonst den Beititel „LX“. Es gab nur zehn Gentes, die ihre Söhne in diese Ausbildung schickten. Und nur sechzig Mitglieder des Ordo, und zwar in Rom UND Tarquinia, wo der zweite Hauptsitz der Haruspices war. Nach Rom war er ja erst verlegt worden auf Bestreben von Kaiser Claudius. Dass Sextus diesem Gremium angehörte kam nur aufgrund des für ihn glücklichen Zufalls zustande, dass sein Großvater keine männlichen Nachkommen hatte und so auf die seiner einzigen Tochter zugegriffen hatte – namentlich Sextus Aurelius Lupus.
    Kurzum, es gab ohnehin nicht unendliche Auswahl, und solange der Kaiser keinen klaren Favoriten im Vorfeld protegierte, machte das Collegium, was es wollte. Und da etwa 98% der ungebildeteren Schichten Roms schlicht alles glaubte, was die Haruspices sagten, ja sogar glaubte, dass diese als einziges dazu in der Lage wären, in die Zukunft zu schauen und nur durch die Etrusca disciplina der göttliche Wille in seiner Gänze zu erfassen sei, hatten sie ein herrliches Instrument der Macht in Händen. Eines, dessen sich die Kaiser gern bedienten, und es weniger bekämpften, schon gar nicht offen.


    “Und wie du sicher weißt, ist der etruskische Adel dem römischen nicht wirklich unähnlich. Die Orakeldeutungen der letzten Jahrhunderte ließen eine ganz klare... in Zeiten der Republik hätte man gesagt, eine optimatenfreundliche Haltung erkennen. Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass viele meines Standes... sagen wir einmal, skeptisch sind, was einen plebejischstämmigen Kaiser und einen ebenso plebejischen Statthalter angeht. Sie erkennen einfach nicht die Größe eines Mannes, wenn er direkt vor ihnen steht, sondern sehen nur auf seine Ahnenreihe, unabhängig von persönlichen Verdiensten.“ Bei diesen Worten sah Sextus den PU offen an. Er sollte ruhig mitbekommen, dass diese Worte dazu gedacht waren, ihm Honig ums Maul zu schmieren. Und es war ja noch nicht einmal gelogen. Wären die Umstände etwas anders, Sextus hätte kein Problem damit gehabt, den Vescularier ernsthaft zu unterstützen. Sextus war gern der Freund des zukünftigen Kaisers. Nur hieß der nach Plan seines Patrons nunmal nicht Potitus Vescularius Salinator.
    “Ich sehe eher die Taten, die ein Mann vollbringt. Die vergangenen, die jetzigen, und die zukünftigen. Und hoffe, dass ich ebenfalls nach diesen beurteilt werde.“

    Irgendwie war dieser Abend in der Planung anders abgelaufen. Sextus hatte vor gehabt, den Praefectus Urbi schon von seiner Frau und den ganzen Sklavinnen umgarnen zu lassen und gemütlich beim Essen von sich einzunehmen und abzufüllen. Der Falerner war zwar teuer gewesen, aber auch dementsprechend gut und geeignet dazu, dass man mehr trank. Und unverdünnter trank. Und an einem nicht näher definierten Zeitpunkt hatte Sextus geplant, den Vescularier noch einmal zu seiner charmanten Begleitung zu gratulieren, ihr vielleicht noch das ein oder andere Kompliment bezüglich ihres Liebreizes zu machen und sie in dem Rahmen zu umgarnen, dass sie geschmeichelt war, ohne zu geschmeichelt zu sein. Und dann Salinator darauf anzusprechen, dass so eine Blume doch sicher teuer war, und er ihr zu gerne ein Geschenk machen würde. Und da er ihren Geschmack ohnehin besser kenne als er, er bei der Auswahl vielleicht helfen könne. Oder noch besser, damit er nicht auf die Idee käme, Sextus wolle ihm die Geliebte abspenstig machen, er würde einfach Salinator das Geld geben, und dieser solle seiner liebreizenden Freundin doch dafür ein Geschenk machen.
    So oder so ähnlich war der Abend geplant gewesen. Dass es dabei mitnichten um das kleine Vögelchen gegangen wäre, wäre Vescularius sicher sofort klar gewesen, der Mann war nicht blöde. Aber wie bei jedem Schlachtplan hielt der genau so lange, bis die Truppen das erste Mal aufeinander trafen. Ab da lag es in den Händen der Götter, die wohl geurteilt hatten, dass Sextus einem Sturmangriff begegnen sollte.


    “Du meinst abgesehen von meinem freundlichen Wesen?“ fragte er in einer Tonlage, die die Antwort ganz klar als Scherz deklarierte, und nahm noch einen Schluck von dem Wein. “Auch ich bin ein Mann, für den Freundschaft in Dingen besteht, die man genau greifen kann.“ Deutlicher bezüglich einer Summe wollte Sextus erst werden, wenn Salinator darauf zu sprechen kam. Dies vor dessen beiden Gefolgsleuten zu tun erschien ihm doch arg direkt und er wollte den PU auch nicht in die Verlegenheit bringen, sich irgendwie vor Zeugen rechtfertigen zu müssen. Wenn er von sich aus allerdings darauf zu sprechen kam, war die Sache anders gelagert.
    “Darüber hinaus gehöre ich zum Collegium Haruspicium. Der jetzige Haruspex Primus ist alt. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird er auf die ein oder andere Weise gezwungen sein, seinen Posten aufzugeben, und das Collegium wählt einen neuen aus seinen Reihen.“ Sextus lehnte sich bequem zurück und nahm sich ebenfalls eine Auster, deren für seinen Geschmack eigentlich etwas schleimiges Muschelfleisch er auch gleich schluckte. Miesmuscheln waren ihm im Grunde lieber, aber die waren sehr schwer zu bekommen, vor allem in den Wintermonaten, wo die Schiffspassage von Lusitania wegen der Winterstürme durch die Säulen des Hercules hindurch kaum befahrbar war.
    “Und ich bin mehr als zuversichtlich, dass ich diesen Posten ausfüllen werde.“ Oder mit anderen Worten, er hatte schon jetzt fast dreiviertel des Collegiums hinter sich. Etwa die Hälfte davon wären sogar bereit, ihn zu unterstützen, den Tarquitius vorzeitig abzusetzen, während die anderen von der Weisheit des alten Mannes noch profitieren wollten (und vor allen Dingen seinen Verbindungen) und daher dem Mann seinen Lebensabend gönnten. “So dass ich nicht nur jetzt schon die ein oder andere Gefälligkeit durch ebenso gefällige Vorhersagen erwidern könnte, sondern für zukünftige Planung sogar die höchste Autorität für eben solche Vorhersagen besitzen werde.“ Auch jetzt war er als Haruspex schon sehr frei in der Interpretation von Zeichen. Und das einfache Volk liebte Zeichen, forderte bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, dass zunächst Zeichen eingeholt würden. Und den meisten reichte das einfache „Die Götter gewähren gute Zeichen“ der Auguren bei weitem nicht. Einer der Hauptgründe, warum die Haruspices seit der Eingliederung Etrurias in das römische Imperium beständig an Macht gewannen.