Sextus hatte gewusst, dass so eine Geburt laut war und lange dauerte. Aber hätte sich sein holdes Weib nicht entschließen können, den Vorgang des Gebärens auf die Tagesstunden zu verschieben, vorzugsweise diejenigen, in denen er nicht im Haus, sondern auswärts war? Die Villa Aurelia war zwar groß, aber dermaßen groß, als dass man von dem Stöhnen, Keuchen und Schreien von Nigrina nichts mitbekam, dann doch nicht. Schon gar nicht während der Nachtstunden, in denen die ganze Nachbarschaft ruhig war – denn man wohnte glücklicherweise so, dass nicht zig Fuhrwerke des Nachts vorbeirumpelten aufgrund des Tagfahrverbotes.
Kurzum, Sextus hätte es bevorzugt, in dieser Nacht ruhig schlafen zu können, um am nächsten Tag seinen Wahlkampf noch ein wenig voran zu treiben. Doch konnte er wohl kaum zu der Kreißenden gehen und dort alle Beteiligten bitten, etwas ruhiger zu sein. Und irgendwo ganz weit hinten in seinem Bewusstsein, wo bei anderen Menschen ein Gewissen saß, machte er sich ein klein wenig Sorgen um Nigrina. Aus rein praktischen Gründen, natürlich, wenn sie kurz vor der Wahl starb, würde die Senatorenschaft das noch als schlechtes Zeichen deuten und ihn ablehnen, weil die Aurelier offensichtlich verflucht waren oder etwas vergleichbares. Ganz abgesehen von der mühseligen Suche nach einer adäquaten Nachfolgerin. Sextus hatte nicht vor, unverheiratet in den Senatorenstand zu treten.
So aber hatte er sich dann nur irgendwann in Wachs getränkte Wolle bringen lassen und sich etwas davon in die Ohren gestopft, um endlich schlafen zu können. Am nächsten Morgen war er zwar dennoch deutlich durchnächtigt, aber bei weitem nicht so schlimm, wie es hätte sein müssen. Und ein Wunder war geschehen, es schien auch überstanden zu sein. Zumindest hörte er momentan kein kreischendes Schreien mehr, sondern nur Ruhe. Beinahe gespenstische Ruhe. Er ließ sich von einem Sklaven beim Ankleiden helfen und versuchte beim Gang zum Frühstück in den Gesichtern der Sklaven, die ihm entgegenkamen, zu lesen. Doch nichts, sie wichen seinem Blick zwar wie üblich aus, aber nicht auf die beschämend-wissende Art, die ihn wirklich besorgt hätte werden lassen.
Irgendwann – er hatte ein wenig Brot gegessen – kam der große Bursche, den seine Frau zum Gladiator ausbilden ließ. Er könne nun das Cubiculum seiner Frau betreten, wenn er es wünsche. Höflich. Freundlich. Sextus blickte ihn statt einer Antwort nur einmal taxierend an und ging, ohne ein Wort zu sagen, an ihm vorbei. Er mochte den Burschen nicht besonders, fand aber keinen Grund, das Spielzeug seiner Frau kaputt zu machen.
Die Tür zu Nigrinas Räumlichkeiten schien ihm seltsam ins Bewusstsein zu springen. Er hatte sich nie die Zeit genommen, das Ding zu betrachten, bemerkte aber jetzt, wo er sie öffnen wollte, die feine Maserung, die dunklen Flecken, wo Astlöcher waren, wie glatt sie abgeschliffen worden war. Seltsam, dass sein verstand sich auf solch eine Nichtigkeit für einen Moment lenkte, anstatt dass er einfach hindurch ging. Er schüttelte den lästigen gedanken beiseite und trat durch die Tür.
Drinnen stank es. Das war das erste, was ihm auffiel. Man hatte zwar gelüftet und diese lächerlichen, kleinen Schüsseln mit Blütenblättern aufgestellt, aber man musste schon die Nase eines Gerbers haben, um den penetrant süßlichen Geruch von Blut nicht zu bemerken, der trotz allem in der Luft hing. Blut und etwas, das Sextus nicht kannte. Was er auch gar nicht kennen wollte, geschweige denn identifizieren.
Das zweite, was ihm auffiel, war seine Frau. Sie sah aus wie ein Gespenst. Seine Amme hatte ihm als Kind Geschichten erzählt, um ihn zu erschrecken, wenn er nicht artig war. Von Manen und Lemuren, die die Lebenden heimsuchten oder warnten. Die waren auch allesamt blutleere Gestalten mit glasigem Blick, so wie seine Frau jetzt. Sie sah irgendwie fiebrig aus. Und ihr Bauch war zwar nicht mehr so prall und rund, sah dafür irgendwie verbeult aus. Mussten Frauen nach einer Geburt so unvorteilhaft aussehen?
Die Hebamme sah wohl seinen leicht skeptischen Blick, und klärte ihn über ein paar Dinge auf. Er hatte sie nicht gefragt, und eigentlich interessierte es ihn auch nicht weiter, aber das Weib redete, und er war einen Moment zu langsam, als dass er sie stoppen konnte. Nigrina habe viel Blut verloren. Schwierige Geburt. Schmale Hüften. Anstrengend. Blablabla. Das Kind ein Junge. “Das einzige, Weib, das mich interessiert, ist, ob meine Frau überlebt.“
Sextus fixierte die Hebamme, starrte sie regelrecht nieder. Er erhielt als Antwort nur ein recht unbefriedigendes Schulternzucken und einen blick, der nach ihm eine ganze Zeit lang stand hielt, ehe er beiseite ging. Sextus schnaubte.
Sie hatte ihm das Kind gleich aufschwatzen wollen, aber er schickte sie einfach mit einer Handbewegung weg. Er trat neben die Wiege, in der sein Sohn lag. Eine dünne, aber weiche Decke war über ihn gelegt, und er schlief. Sextus zog die Decke soweit beiseite, dass er Sicherheit über das Geschlecht haben konnte, und winkte dann eine Sklavin herbei, dass diese das Kind wieder richtig einpackte. Es hieß immer, kleine Kinder hätten Ähnlichkeit mit ihrem Vater, um diesem zu zeigen, dass sie sein Fleisch und Blut waren. Wenn dem so war, hatte seine Frau zur Zeit der Zeugung dieses Kindes eine heftige Affäre mit einer Backpflaume gehabt. Er nahm das Kind nicht jetzt auf. Natürlich erkannte er es an, natürlich hatte seine Frau nicht wirklich eine Affäre mit einem Stück Trockenobst oder sonstwem gehabt. Er würde das Kind aufnehmen an dem Tag, wenn es seinen Namen bekommen würde, ganz offiziell und vor dem gesamten Haus. Aber erst einmal sollte dieses kleine Leben beweisen, dass es diese Mühe wert war, indem es diese Tage überlebte.
Sextus hingegen trat ans Bett seiner Frau, setzte sich schweigend an den Rand. Er beobachtete sie, wie sie ihn beobachtete aus müden, glasigen Augen. Vorsichtig ergriff er ihre Hand und erwartete schon, hindurch zu fassen. Aber sie war da, und er patschte zweimal sanft mit seiner Hand darauf, ehe er sie wieder weg nahm. “Ein hübscher Junge“, log er glattzüngig, um seiner Frau anzuzeigen, dass er mit dem Ergebnis zufrieden war.