An Tagen wie diesen war es wohl mehr Pflicht als irgendetwas anderes, die eine Anwesenheit bedingte. Sextus war trotz seines Amtes nicht im mindesten religiös. Er war sich noch nicht einmal über die Existenz der Götter sicher, und das, obwohl er munter und mehrfach ihren Willen verkündete, die diese durch Flecken, Verwerfungen, Verfärbungen und Verformungen jeder Art auf diversen Innereien zeigten. Aber das eine schloss das andere ja nicht aus, und Sextus sah vor allen Dingen den gesellschaftspolitischen und nicht zuletzt kommerziellen Nutzen seines Postens.
Von Gefühlen an Entsühnung und göttliches Wohlwollen also weit entfernt hatte er sich dennoch aus Pflichtbewusstsein mit seiner Frau hier eingefunden. Sie konnten nicht nicht hier sein. Alle würden hier sein, die irgendwie ins Licht der Öffentlichkeit gerückt waren. Und als gewesener Vigintivir war er vermutlich ein zu kleines Licht, um wirklich aufzufallen, als Patrizier und verwandter des amtierenden Ädils aber wohl doch wichtig genug, dass seine Abwesenheit bemerkt werden könnte. Davon abgesehen galt es, zu zeigen, dass die Götter weder den Aureliern noch den Flaviern übel gesonnen waren. Zum Glück war nicht an die Öffentlichkeit gelangt, dass die Frau, aufgrund deren Fehltritt der göttliche Zorn ausgelöst worden war, Flavia Celerina gewesen war. Irgendwie schien das Volk die Frau ganz vergessen zu haben und akzeptierte nun ohne tiefere Nachfragen den Mann als Schuldigen, der heute exemplarisch verurteilt und hingerichtet werden sollte. Dass der Kerl ohnehin schon tot war, schien da nicht weiter zu stören.
Sextus störte das ohnehin nicht. Wenn das Volk beschwichtigt würde, war der Sache gedient. Wenn diese nicht hinterfragten, wer die geheimnisvolle Frau war, war seiner Sache sehr gedient. Wenn niemals ans Licht käme, dass es Celerina war, und Corvinus sich deshalb wenige Tage später wohl auch umgebracht hatte, dann war es ein Erfolg. Seinen Teil hatte er schon beigetragen durch den Aufruf, den Rex Nemorensis zu ersetzen. Und er war auch durchaus zufrieden mit sich gewesen, als er in der Acta gelesen hatte, dass sein kleines Komplott Früchte getragen hatte und der unliebsame Zeuge nun aus dem Weg war. Blieb nur sein Patron Durus, der von der Sache wusste. Aber dieser würde wohl schweigen, nicht zuletzt, um seinen braven Klienten zu schützen. Und damit letztendlich sich selbst.
Aber es gab auch einen sehr viel einfacheren Grund, weswegen Sextus heute hier erschien. Nicht nur die Pflicht, weil man eben hier sein musste, nein. Eben weil alle wichtigen Persönlichkeiten der Pflicht unterworfen sein würden, heute hier zu sein, war dies eine grandiose Gelegenheit, sich beim ein oder anderen Senator noch einmal ins Gespräch zu bringen. Die Hälfte des Amtsjahres war schon wieder vorbei. Nicht mehr allzu lange, und es würde wieder Wahlen geben. Nach deren Ende er Quästor zu sein gedachte. Da konnte es nicht schaden, den ein oder anderen dezent darauf anzusprechen. Den Consular Purgitius hatte er schon erspäht, und dieser hatte sich bei seiner Wahl zum Vigintivir auch schon als Nützlich erwiesen. Warum eine alte Zweckfreundschaft nicht auffrischen?
Doch würde er damit wohl bis zur Prozession warten müssen, so einfach war ein Durchkommen bis ganz nach vorne, wo der Consular seinen Platz eingenommen hatte, nicht zu bewerkstelligen. Zumindest nicht ohne massiven Ellbogeneinsatz, gegen den Sextus zwar prinzipiell nichts einzuwenden gehabt hätte, doch in diesem Fall unterlassen musste. Die Honorationen, denen er eben jenen Ellbogen in die Rippen würde rammen müssen, waren immerhin ebenfalls potentielle Unterstützer. So beschränkte er sich erst einmal auf eine grüßende Geste und darauf, zu warten, was die Pontifices alles aufbieten würden, um das Volk und letztendlich die Göttin zu beschwichtigen.