Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Oh Götter, Sextus hoffte wirklich, dass es noch lange Zeit dauerte, ehe sein Sohn erwachsen war. Wenn er einen erwachsenen Sohn hätte, der drauf und dran war, seine Nachfolge anzutreten, würde das letztendlich vor allen Dingen eins bedeuten: Dass Sextus alt und entbehrlich war. Und bis dieser Zeitpunkt gekommen wäre, hatte er noch eine Menge vor, zu tun. Eine ganze Menge. Er war noch nicht alt. Er weigerte sich, alt zu sein.


    Dennoch brachte Sextus ein Lächeln zustande, um auf die Bemerkung zu antworten, und war über den Themenwechsel mehr als nur dankbar. “Oh, selbstverständlich wird es mir eine besondere Ehre sein, die Zeichen für deinen Sohn zu lesen. Ich denke, ich habe ihn und seine Verlobte auch auf der Hochzeit deines Verwandten Flavius Scato gesehen. Cornelia, wenn ich es richtig im Gedächtnis behalten habe?“ Er sah Gracchus fragend an. Gänzlich sicher war er sich nicht, aber er meinte, das doch recht plump wirkende Mädchen an der Seite von Gracchus Minor dieser Gens zuordnen zu können.

    Dass Tiberius Caudex ein Idiot war, dem war wohl nicht zu widersprechen. Sextus hoffte, dass sich diese Idiotie nicht noch auf weitere Lebensbereiche erstreckte. Allerdings kam Sextus nicht gleich dazu, etwas zu erwidern, dass Tiberia Corvina ihrem Bruder zur Seite sprang. Oder auch nicht. Sextus wurde aus ihrem Kommentar nicht ganz schlau, denn zum einen Teil wollte sie sich die Schuld geben, aber im selben Atemzug bezeichnete sie ihren Bruder als tumben Säufer, der nicht zuhörte. Sextus war sich nicht wirklich sicher, was er also davon halten sollte.


    Allerdings war er lange genug Politiker, um über solch offensichtliche Unlogik einfach mal hinweg zu gehen und zum eigentlichen Punkt zu kommen. “Dem gibt es wohl nichts hinzuzufügen. Ich hoffe, dass du deine zukünftigen Überlegungen sorgfältiger abwägst.


    Wie dem auch sei, wenn du deiner Schwester einen angemessenen Ehemann finden möchtest, würde ich an deiner Stelle zuerst bei den Claudii anfragen. Diese haben momentan einige junge Männer in Rom, die demnächst in den Senat streben könnten, und abgesehen von deiner Schwester sind die einzigen patrizischen Damen in Rom mit mir verwandt. Und einer Ehe mit einer Aurelia würden die Claudier wohl nie zustimmen, weshalb die Chancen deiner Schwester hier nicht allzu schlecht stehen dürften.“ Zumindest, sofern die Claudier nicht irgendwelche Damen aus den Provinzen ohne Mehrwert für ihre Gens heiraten wollten oder die jungen Männer dort auf ewig ledig bleiben sollten. “Natürlich könntest du dich auch in der Nobilitas unter den Witwern umsehen. So ist Decimus Livianus schon eine Weile verwitwet und sollte daher bald wieder heiraten. Allerdings denke ich, dass deiner Schwester wohl ein jüngerer Mann besser gefallen dürfte.“
    Natürlich nannte Sextus nun hauptsächlich Namen, bei denen er seine eigene Nichte nicht unterzubringen gedachte. Die Claudier würden wohl lieber an Inzucht sterben, als eine Aurelia zu heiraten, und Decimus Livianus hatte seine Geringschätzung gegenüber Sextus mehr als einmal mehr als deutlich gezeigt, weshalb Sextus hier definitiv keine enge Beziehung anstrebte. Allerdings hätte er nichts dagegen, wenn sein Klient eine solche Verbindung knüpfen würde und er so notfalls mittels dessen Kontakten dann davon profitieren könnte.

    Eine Weile starrte Sextus seinen Klienten nur an, in der Hoffnung, dieser würde verkünden, dass dies nur ein makabrer Scherz wäre. Aber das war offenbar sein vollster Ernst gewesen. Offensichtlich waren die Heiratsplanungen auch schon weiter fortgeschritten gewesen, sonst hätte er es wohl nicht erwähnt und auch nicht die Schwierigkeiten, Corvina jetzt zu verheiraten. Letzteres Problem kannte Sextus ja selber, brauchte seine Nichte und zwei seiner Cousinen noch einen passenden Ehemann. Aber ein einfacher Plebeier ohne auch nur die geringste Verbindung zur Nobilitas oder wenigstens zum Senat?! Große Uni, was hatte den Tiberier da bloß geritten?


    Sextus sah auch einmal zu der jungen Frau, die wohl nur knapp dem Gespött der Gesellschaft entgangen war, und dann wieder zu seinem Klienten. Bei den Göttern, was hatte er sich nur dabei gedacht?
    “Und weshalb hieltest du das für eine gute Idee?“ Sextus wandte sich kurz direkt an Tiberia Corvina, denn wenn es um heiratspolitische Überlegungen ging, waren Frauen bisweilen seltsam – wenngleich der Blick der Tiberia geradezu 'hab ich's doch gesagt' zu schreien schien. Aber sicher war sicher, denn er wollte wirklich sehr gerne, dass sie tatsächlich am nächsten Tag käme und es sich nicht wegen sowas hier anders überlegte. “Verzeih, werte Tiberia. Ich weiß, wenn Männer über Heiratspolitik reden, könnte man leicht auf den Gedanken kommen, es ginge um den Verkauf einer Kuh für die Zucht und es ginge nur darum, welcher Stier sie bespringen soll. Sei dir versichert, dass ich vor dir den höchsten Respekt hege.“ Eigentlich nicht unbedingt, aber wer vögeln wollte, musste lieb sein.
    Auch wenn diese Einlassung wohl nicht alles bereinigen würde, wandte sich Sextus dann wieder seinem Klienten zu. “Tiberius, dir ist doch sicherlich bewusst, dass deine Schwester das einzige von wirklichem Wert ist, was du anzubieten hast? Die Tiberii haben keine Stimme im Senat, dein Reichtum ist wohl noch überschaubar, und selbst wenn dein Bruder sich von seinen Verletzungen erholen sollte, ist der Vorteil, durch ihn eine Verbindung zu den Prätorianern zu haben, wohl eher überschaubar.“ Um nicht zu sagen, dass Sextus durchaus die Möglichkeit in Betracht zog, dass der Mann sich noch soweit unmöglich machte, dass er selbst für das Militär nicht mehr tragbar wäre mit seiner seltsamen Verhaltensweise. Oder aber, dass er beim nächsten Anschlag schlicht weniger Glück hatte. “Ihre Kinder sind neben den deinen die einzigen lebenden Verbindungen zwischen zwei Gentes. Das einzige, was eine Gens auch über die Dauer der Ehe hinaus an deine Gens binden kann. Und du wolltest das verschwenden an einen Ritter, dessen ganzer Einfluss sich mit seinem Tod vollkommen in Luft auflösen wird? Kinder der beiden hätten noch nicht einmal annähernd die Chance auf einen Platz im Senat und würden dir folglich nie von Nutzen sein können! Und schlimmer noch, dadurch, dass du deine eigene Schwester derart billig verschenkst, würdest du dich selbst für die Nobilitas gänzlich als möglichen Heiratskandidaten ausschließen. Denn wer gibt seine Tochter schon einem Mann, der seine Schwester so verschenkt, dessen Bruder – verzeih die Worte – verrückt scheint und ein unstandesgemäßes Leben führt und der obendrein noch einen Germanen in der Familie hat? Deine einzige Chance auf eine standesgemäße Ehe, Tiberius, ist, selbst aufzusteigen und überdies deine Schwester gut zu verheiraten, so dass man durch eine Verbindung mit dir sich auch ebenfalls diese Allianz zu nutzen machen kann.
    Welchen Vorteil habe ich also übersehen, weshalb du so eine Verbindung auch nur in Betracht gezogen hast?“

    Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit trank Sextus heute ebenfalls Wein anstelle von Posca. Wenngleich sehr stark verdünnt, wollte Sextus keinesfalls riskieren, dass der Wein ihm zu Kopf steigen würde. Er hasste jegliche Art von Kontrollverlust, das schloss die Benebelung seiner Sinne durch Wein mit ein. Nach seinem letzten Vollrausch fand er sich in einer seltsamen Zweckgemeinschaft mit einem Germanen wider, und solch eine Fehleinschätzung wollte er kein zweites Mal begehen.
    Während der Vorspeise wurde zunächst über Belangloses geredet, was Sextus ebenso mit belanglosem kommentierte. Hin und wieder warf er Tiberia Corvina einen vieldeutigen Blick zu, insbesondere, wenn sie sich eine kleine Delikatesse in den Mund schob. Frauen konnten selbst beim Essen sinnlich wirken, wenn sie wollten – oder wenn der Mann wollte, dass sie so wirken sollten.


    Kaum war der Hauptgang serviert, kam dann das Gespräch auch auf eben jene holde Weiblichkeit, und Sextus war nur froh, in diesem Moment nichts getrunken zu haben, als sein Klient ihm eröffnete, er habe eine Ehe zwischen Corvina und einem Iunius ins Auge gefasst.
    “Bitte wie? Du wolltest deine Schwester an einen Iunius verheiraten? Die plebeischen Iunii?“ Vielleicht vertat er sich ja und Caudex hatte irgendwo noch einen Abkömmling der patrizischen Iunii gefunden, der sich irgendwo versteckt hatte. Aber auch das wäre eine unglaubliche Verschwendung seiner Schwester, war doch im Senat kein einziger Iunius, weder Plebeier noch Patrizier, zu finden.

    Sofern dies überhaupt möglich war, wurde Sextus' Grinsen noch breiter. Oh ja, diese Frau wollte ihn, daran gab es nur sehr wenig Zweifel. Und wäre dieser Ort etwas verschwiegener und privater, er hätte ihr nur zu gerne jetzt gleich ihren Wunsch erfüllt, gleich hier an der nächsten Wand. Doch so musste er sich mit ihrer Zusage für den nächsten Tag zufriedengeben und sich jetzt bemühen, seine Phantasie nicht zu weit vorauseilen zu lassen. Überhaupt musste er sich von diesem göttlichen Körper losreißen, wollte er eine Chance haben, sich einigermaßen unauffällig gleich auf die Kline zu legen.


    Zum Abschied ihres kleinen Spazierganges nahm Sextus so die Hand von Corvina und gab ihr einen galanten, kleinen Kuss auf die Fingerrücken zum Abschied. Vielleicht eine etwas sehr vertraute Geste zwischen zwei Nicht-Verwandten und nicht-Verbundenen, aber dennoch noch innerhalb der sittlichen Grenzen. “Ich freue mich schon“, flüsterte er ihr noch leise zu diesem kleinen Abschied zu. Er würde in jedem Fall dafür sorgen, dass die Villa Aurelia am nächsten Tag entsprechend hergerichtet war, insbesondere sein Cubiculum und das Balneum.


    Jetzt aber musste er sich mit dem weit weniger reizvollen Bruder begnügen und sich daran erinnern, worüber sie denn eigentlich sprechen wollten. “Dann machen wir es uns bequem“ bestätigte Sextus also noch immer mit Politikerlächeln und wartete, bis Caudex ihm den Platz auf einer Kline anwies. Wie zu erwarten gewesen war, lag der junge Mann als Anstandswauwau zwischen seinem Gast und der reizvollen Schwester, was aber auch unleugbare Vorteile hatte. So kam Sextus nicht in die Verlegenheit, gewisse Körperreaktionen unterdrücken zu müssen. Auch waren seine Finger weit weniger in Gefahr, auf Wanderschaft zu gehen. Mit Corvina neben sich wäre es weit schwieriger gewesen, ihren sicher folgenden Avancen zu widerstehen.
    So aber atmete Sextus noch einmal unauffällig tief durch, um auch letzte körperliche Reaktionen abzumildern, und legte sich dann auf den ihm zugewiesenen Platz in Erwartung, dass der Gastgeber das Gespräch und das Essen eröffnen würde.

    Wer hätte gedacht, was für ein böses Mädchen die Tiberia doch war? Als sie verängstigt und verheult vor seiner Villa gestanden hatte, um Schutz zu suchen, hatte er sie für zart und zerbrechlich gehalten, insbesondere, da sie nur kurz darauf aufs Land gefahren war, um sich von dem Schrecken des Aufstandes zu erholen. Und nun war sie an seiner Seite, schmiegte sich leicht an ihn und offerierte ihm ein ausschweifendes Abenteuer ohne Konsequenzen. Venus musste ihn wirklich lieben. Am liebsten hätte Sextus aufgelacht.
    So aber erwiderte er nur ihren Blick mit einem genauso vielsagenden Lächeln und beugte sich ihr noch ein bisschen weiter entgegen, so dass seine Lippen beinahe ihr Ohr berührten. “Oh, an diesen Ort dürftest du mich gerne jederzeit entführen, so oft du möchtest.“ Sein Daumen streichelte in einer etwas ausladenderen Bewegung, so dass er wie zufällig den Rand ihrer Brust dabei streifte. Wären sie nun doch nur allein, Sextus hätte das Spiel nur zu gerne bis zu dem in Aussicht stehenden Ende geführt. Nun aber musste er sich damit begnügen, zu beobachten, ob ihr Körper durch den Stoff hindurch die gewünschte Reaktion auf seine Berührung zeigen würde, ohne allzu direkt auf die zarten Knospen zu starren.
    “Ich muss sagen, dass die Villa Aurelia mir seit deinem Auszug etwas leerer vorkommt. Meine Cousinen sind für den Sommer aufs Land gefahren, und auch meine Nichte wird morgen den gesamten Vormittag unterwegs sein und wohl erst nach der Mittagsstunde zurückkehren. Nur ich allein halte die Stellung“, erzählte er wie beiläufig, als sie an vorbeihuschenden Sklaven vorbeigingen, und gab ihr damit sowohl einen geschützten Ort als auch eine mögliche Zeit an. Wenn es ihr wirklich ernst war und nicht nur bloße Neckerei, würde sie wohl Mittel und Wege finden – oder Alternativen vorschlagen.

    Das war doch nun wirklich keine Einbildung mehr! Nein, egal, wie sehr Sextus sich auch in Bescheidenheit üben mochte, das hier war doch verdammt eindeutig. Die Art, wie sich der schlanke Frauenkörper an seine Seite schmiegte, die Betonung der Worte. Noch eindeutiger ging es wohl nur, wenn sie sich ihr Kleid vom Leib riss.
    Sextus beschwerte sich ganz sicher nicht darüber. Wenn es das war, was sie wünschte, würde er ihr nur allzu gerne ihre Wünsche erfüllen. Vielleicht sogar ein paar mehr, als sie zu haben glaubte. Fehlte nur die passende Gelegenheit, die wohl heute nicht war. Aber man konnte sich ja vor dem Essen schon ein wenig Appetit holen.
    Und so neigte er sich im gehen ganz leicht zu ihr herunter, um ihr zuzuflüstern. “Und wenn du nicht tun müsstest, was dein Bruder heute wünscht, wohin würden wir denn dann gehen?“ So dicht bei ihr konnte er den Duft ihrer Haare riechen und die Wärme ihrer Haut. Es gab nichts herrlicheres als den Duft einer hübschen, jungen Frau. Für noch ein wenig mehr körperliche Nähe legte Sextus seine freie Hand ganz leicht auf ihre bei ihm eingehakte. An und für sich wohl eine unschuldige Geste für mehr Sicherheit, aber in diesem Zusammenhang eher eine Möglichkeit, mehr von ihr zu berühren. Ganz sanft streichelte sein Daumen über ihren Finger. Zu verlockend war die Vorstellung, es wäre ihre junge Brust, oder ihre schlanken Schenkel.


    Ja, ihr Bruder sollte sich nur schön viel Zeit lassen, sich umzukleiden. Je mehr, desto besser.

    So ganz sicher war sich Sextus nach wie vor nicht, ob er die Blicke der jungen Tiberia richtig deutete. Oh, er bildete sich nur zu gerne ein, dass sie ihn begehrte und nur allzu gerne die gesellschaftlichen Konventionen umgehen wollte, um in sein Bett zu steigen. Aber ein beharrliches Stimmchen erinnerte ihn ähnlich wie der Sklave den Triumphator daran, dass er nur ein Mensch war und sich irren könnte.


    Dass sein Klient sich just jetzt verabschiedete, um sich umzukleiden, nahm Sextus mit ein wenig Verwunderung einfach so hin. Er hatte sicherlich absolut nichts dagegen, mit Tiberia Corvina ein wenig alleine zu sein. Tiberius Caudex könnte sich ruhig einige Stunden Zeit lassen mit dem umkleiden. Am besten an einem Ort, wo man Corvina nicht würde hören können... Nein, er sollte seine Phantasie nicht zu weit vorauseilen lassen, wenngleich die Aussicht zu verführerisch war. Doch Venus würde ihn wohl kaum innerhalb eines Monats zweimal derart beschenken.
    Nichts desto trotz musste man ja seine Chancen wahrnehmen und nach Möglichkeit auch verbessern. “Oh, ich folge dir nur zu gerne überall hin, Tiberia, wo auch immer du mich gerne hinführen magst“, antwortete er also mit leicht wölfischem Lächeln auf ihre Frage und bot ihr für diese Führung auch gleich seinen Arm an. Körperkontakt schadete nie, wenn man... nunja, an mehr Körperkontakt Interesse hegte.

    Die Einlassung des Kaisers kam in der Tat unerwartet. Und doch konnte sich Sextus nicht gänzlich darüber freuen. Oh, nach außen hin natürlich schon, da zeigte er eine offene Überraschung und ein zufriedenes Grinsen, wie man es wohl erwarten durfte bei so einem großzügigen Geschenk. Aber hinter der Fassade machte Sextus sich natürlich seine Gedanken.
    Wäre dies ein Gespräch nur unter ihnen beiden gewesen und der Kaiser hätte ein Grundstück offeriert, wäre Sextus wohl dem Fehler aufgesessen, sich geschmeichelt zu fühlen und gegebenenfalls seine Meinung über den Kaiser noch einmal zu revidieren. Da dieses Geschenk aber weit weniger exklusiv war, sondern hier in dieser Gesellschaft einen durchaus sehr generellen Charakter erhielt, bestand nicht die Gefahr einer emotionsgeprägten Beurteilung der Situation. Sextus beurteilte die Leistungen der drei hier anwesenden Magistrate durchaus sehr unterschiedlich, daher war eine einheitliche Belohnung da entgegen seinem Empfinden. Aber gut, einem geschenkten Gaul sollte man nicht zu tief ins Maul sehen, und Landbesitz war auch abseits einer Auszeichnung erstrebenswert.
    “Ich möchte dir für deine außerordentliche Großzügigkeit meinen Dank aussprechen, mein Kaiser“, schloss also auch er sich artig den Lobhudeleien an, ohne allzu blumig zu werden.

    Sextus hatte auf ein wenig andere Gesprächsthemen als diese Zeichen gehofft. Es lag nicht an ihm, wilde Theorien über etwaige Zeichen zu spinnen und ihre möglichen Folgen, das sollte derjenige, an den die Botschaft ging, schön selbst herausfinden. Er berichtete nur, was er sah und was ihm dies sagte. Aber gut, solange ihn die Anwesenheit der reizenden Tiberia dafür entschädigte, würde er auch den restlichen Abend mit kryptischen Hinweisen zu überstehen wissen. Blieb nur zu hoffen, dass sie auch tatsächlich in seiner Nähe sein würde.


    Hier und jetzt blieb Sextus nicht viel anderes übrig als ein vielsagendes Lächeln. “Nun, aber zuerst muss ich mich etwas vom Blut befreien.“ Dass auch sein Klient dergleichen vielleicht tun sollte, bevor er die noch neuen Klinen verschmierte, ersparte er sich aber als Kommentar. Es war ja dessen Geld und dessen Klinen. Abgesehen davon machte Tiberius Caudex keinerlei Anstalten, ins Bad zu gehen, um Sextus Gesellschaft zu leisten und hatte auch nichts dergleichen gesagt. Also beschränkte Sextus sich ebenfalls auf die ihm dargereichten Möglichkeiten und wusch erst einmal in einer Waschschüssel großzügig die Arme ab. Der Haruspex-Hut wurde einem seiner Helfer übergeben, danach auch der Mantel wieder abgestreift. Einen nackten Moment lang wusch Sextus hernach noch die übrigen, bislang übersehenen Blutstellen von seinem Körper und trocknete sich großzügig mit den dargereichten Tüchern ab.
    Zu gerne hätte er hernach das Gefühl von Wolle gegen das Gefühl von Corvinas Haut getauscht, aber man konnte ja nicht alles haben. Zumindest nicht hier und jetzt, mit ihrem Bruder in Greifweite. Aber wenn Sextus ihre Blicke richtig deutete, konnte er ja vielleicht noch dezent eine kleine Einladung in einem passenden Moment anbringen.


    Aber erst einmal hieß es, den Geschwistern zum Essen zu folgen.

    Sim-Off:

    Danke, liebe Götterschar


    Und so ließ Sextus seine kundigen Finger über die glatte Oberfläche der Leber fahren. Knötchen oder Geschwulste konnten besser erfühlt als gesehen werden, und er wollte seine Arbeit ja vollständig ausführen. Er fing an bei Tinia, den man in Rom als Iuppiter kannte, und ging so Bereich für Bereich, Haus für Haus, jeden Bereich der Leber gründlich durch, auf beiden Seiten, ehe er sich sicher war, jede Kleinigkeit aufgenommen zu haben.
    “Du hast Glück, die Götter sind recht mitteilsam. Kommt ruhig näher“, winkte Sextus die Geschwister mit seiner blutigen Hand näher heran, um ihnen die Zeichen zeigen zu können, die er entdeckt hatte. Vor allen Dingen wollte er Tiberia Corvina gerne nahe bei sich wissen. Es war eine Weile her, dass er die Wärme ihres Körpers fühlen und den Duft ihrer Haare riechen konnte. Warum nicht diese Minuten hier für eine dezente Wiederholung ausnutzen?


    “Gleich hier oben erkenne ich einen Stern. Dies ist ein gutes Zeichen im Bereich des Iuppiters. Nicht nur ein vages, gutes Zeichen, sondern recht konkret. Ein Stern geht nachts auf und erhellt den Himmel. Im übertragenen Sinne kann man also sagen, dass Iuppiter deine Zukunftspläne bezüglich des Senates mehr als gut heißt und die Gens Tiberia aus der Dunkelheit der Bedeutungslosigkeit durch deinen Aufstieg wieder aufstrahlen lassen will.
    Allerdings ist es auch nur ein einzelner Stern, was ebenfalls bedeutet, dass du hierbei recht allein bist. Zumindest, was deine Familie angeht.“
    Natürlich würde Sextus als Patron den jungen Mann dahingehend unterstützen. Allerdings war sich Sextus auch sicher, dass Tiberius Caudex wohl kaum auf seinen Bruder würde rechnen können, was den Senat anging.


    “In diesem Bereich geht es um Wachstum und Reichtum, und hier erkenne ich... ich würde sagen, dass es Münzen sind. Was ebenfalls ein ausgezeichnetes Zeichen ist. Die Bedeutung ist hierbei wohl offensichtlich: Die Gens Tiberia wird wieder zu Wohlstand gelangen.


    Allerdings gibt es auch weniger gute Zeichen, hier, auf der negativen Seite und auch dort, auf der positiven Seite, wenn es um den Bereich der Liebe und Ehe geht. Wenn du hier fühlst, dann kannst du Knoten unter der Haut ertasten, und hier, auf der negativen Seite, ist ein kupferfarbener Schimmer zu sehen. Du wirst dich verlieben, aber es wird nicht zu deinem Vorteil sein. Im Gegenteil, hier im Bereich der Ehe zeigt sich keine derartige Zuneigung, was darauf hindeutet, dass die Frau, der deine Zuneigung gilt, entweder deine Liebe nicht erwidert, oder aber, völlig unangemessen ist. Du solltest Vorkehrungen treffen, dieses Schicksal möglichst abzuwenden“, gab Sextus ihm angesichts dieser Zeichenlage einen gutgemeinten Hinweis. Ein Schicksal war nicht unabwendbar, vor allen Dingen, wenn man darum wusste.


    “Bezüglich deines Tribunates finde ich keine deutlichen Zeichen, weder dafür, noch dagegen. Aber hier, auf der negativen Seite gibt es ein weiteres Zeichen, das nur schwer zu deuten ist.“ Sextus ließ auch die beiden Tiberii auf die Leber sehen und die seltsamen Linien betrachten, die sich dort über die Leber zogen.
    “Normalerweise deuten solche Linien am ehesten auf einen verwirrten Geist hin. Hier treten sie vor allen Dingen in Bereichen auf, die für Tod, Zerstörung, Krieg und dergleichen stehen. Sie passen nicht wirklich zu den Zeichen, die die Götter dir sonst gesendet haben, daher nehme ich an, dass sie sich nicht auf dich selbst beziehen, sondern auf jemanden in deiner Nähe.“ Zumal Tiberius Caudex keinerlei Anzeichen für Wahnsinn gezeigt hatte. Andere Familienmitglieder hingegen schon. Diesen Schluss zu ziehen überließ Sextus aber durchaus den beiden Geschwistern.

    Der zwar naheliegende aber doch recht plötzliche Themenwechsel erwischte Sextus etwas unvorbereitet. Sein Sohn? “Lucius? Ja, ich sah ihn erst anlässlich meiner Eheschließung mit Curtia Minor in Tarquinia.“ Was allerdings auch schon wieder über ein Jahr her war. Damals hatte er kurz den Jungen getroffen, der für seinen Geschmack deutlich zu viel Ähnlichkeit mit seiner Mutter aufwies: Dieselbe Nase, dieselben Augen, dieselbe schwächliche Statur. Einzig die großen Hände schienen ein Erbe seines Vaters zu sein. Es blieb zu hoffen, dass der Junge im Zuge seines Wachstums einige markantere Züge entwickeln würde. “Er ist noch zu jung für die tieferen Mysterien, lernt aber fleißig. Seine Lehrer loben seinen wachen Geist und hoffen, ihn in nicht allzu ferner Zukunft auch in den Disziplinen der Haruspices lehren zu können.“ Immerhin war der Bursche jetzt erst... Sextus merkte gerade, dass er keine Ahnung hatte, wie alt sein Sohn war. Er musste um die neun Jahre alt sein. Aber seitdem sich seine Mutter von Sextus hatte scheiden lassen und den gemeinsamen Sohn allein zurückgelassen hatte, hatte auch Sextus ein tiefergreifenderes Interesse an seinem Spross verloren. Was sollte er auch mit einem Kleinkind anstellen? Nein, so schnell es ihm möglich gewesen war, hatte er ihn nach Tarquinia zu den Verwandten seines Großvaters mütterlicherseits gesteckt, ihn mit mehr als ausreichenden Mitteln ausgestattet und ihn dort der Erziehung seiner etruskischen Verwandten überlassen. Ab und zu schrieb er einen Brief, in dem er den Jungen ermahnte, fleißig zu lernen und seinen Lehrern und Verwandten zu gehorchen. Und dies war im Groben und Ganzen der gesamte Umgang zwischen ihm und diesem Jungen.
    “Sofern er sich als geeignet erweist, wird es noch wenigstens sieben Jahre dauern, bevor er die ersten Schritte als Haruspex unternehmen kann. Wenn es so weit kommt, werde ich versuchen, für ihn in Roma eine Beschäftigung zu finden, so dass er dann auch seinen Weg in den Senat findet.“ Sofern Sextus bis dahin nicht ein Kind mit deutlich etruskischerem Blut gezeugt hätte, das eher geeignet wäre, den Weg zum Haruspex zu gehen. In diesem Falle würde sich Sextus etwas überlegen müssen, denn zwei Kinder den Haruspices zuzuführen war mehr als ungewöhnlich, um nicht zu sagen, es war verpöhnt.


    Aber all das war noch so weit weg, dass sich Sextus damit nicht näher beschäftigen wollte. Seine eigenen Pläne für seine eigene Person waren viel zu zeitintensiv, als dass er sich um die Befindlichkeiten irgendwelcher Kinder und seines Nachlasses Sorgen machen könnte.

    Das Tier blutete langsam aus und es entstand eine kurze Wartepause. Sextus ließ immer wieder kurz seinen Blick zu Tiberia Corvina wandern und beobachtete, wie sie ihn beobachtete. Natürlich schmeichelte es ihm. Natürlich hatte er auch bemerkt, wie sie ihn angesehen hatte, als er nackt gewesen war. Es war auch nicht ganz einfach gewesen, keinerlei körperliche Reaktionen auf diese Blicke hin zu zeigen. Aber der anwesende Bruder half da doch ganz gut, die Gedanken bei der Sache zu halten.
    Doch jetzt während der Pause konnten die Gedanken durchaus ein wenig schweifen. Wirklich schade, dass sie so plötzlich aus der Villa Aurelia abgereist war. Vielleicht, mit ein wenig Zeit und Mühe, hätte sich das ein oder andere ergeben. Zumindest, wenn Sextus einen Weg gefunden hätte, mit ihr wirklich allein zu sein, ohne seine oder ihre Verwandtschaft in Hörweite. Vielleicht dann, das ein oder andere geflüsterte Wort, der ein oder andere Blick, ein zufälliges Aufeinandertreffen im Balneum vielleicht...


    Nunja, irgendwann war das Schaf hinreichend blutleer, so dass Sextus mit geübten Schnitten den Bauchraum öffnen konnte. Den Darm beiseitegeschoben, den Magen zur anderen und die Hände tief in den Bauchraum geschoben, bis er die Leber ertastet hatte. Ein kurzer Schnitt, und sie lag frei. Er wartete noch einen Augenblick, da dieses Organ stets gut durchblutet war und daher auch gerne noch auch nach Ausbluten des Tieres selbst blutete, und holte das dunkle Organ dann mit einer fließenden Bewegung heraus. Seine Arme waren mal wieder bis zu den Ellbogen mit Blut besudelt, aber die Leber war unversehrt.


    “Die Leber hat zwei Seiten, die gute Seite hier oben, und die schlechte, hier unten. Auf beiden Seiten können die Götter Zeichen hinterlassen. Jede Gottheit hat dabei ihr eigenes Gebiet auf jeder Seite. Auf der hellen Seite bedeuten positive Zeichen positives, negative Zeichen negatives. Auf der Rückseite jedoch bedeutet ein von Laien positiv bewertetes Zeichen allerdings das Gegenteil, ein negatives Zeichen hingegen das Abwenden eines negativen Schicksals“, erklärte Sextus einmal ausführlich die Theorie zur Leberschau, so dass sein Klient gleich selbst mitsehen konnte, was hier geschah. Die disciplina etrusca war schließlich eine Wissenschaft und nicht so ein halbseidener Hokuspokus wie die 'Kunst' der Auguren.


    Sim-Off:

    Bitte einmal möglichst viele Götter!

    Auch wenn Prisca es tapfer zu verstecken versuchte, Sextus sah ihr an, dass sie sich eine andere Antwort erhofft hatte. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal selbst, welche das wäre, aber es war auf jeden Fall nicht die, die er ihr gegeben hatte. Doch was hätte er anderes sagen sollen? Ihr die ewige Liebe gestehen, die ihn nie mehr nach einer anderen Frau trachten ließ? Die hatte noch nicht einmal die Mutter seines Sohnes erhalten. Während Nigrina schwanger war und sich anfänglich wie eine kranke Gazelle übergeben hatte, hatte er natürlich andere Gesellschaft der ihren vorgezogen.
    Oder hätte er einen Plan aufstellen sollen, wie er und Prisca bis in alle Ewigkeit heimlich von Treffen zu Treffen leben konnten, in der ständigen Furcht, entdeckt zu werden? Ganz sicher doch nicht. Das war vielleicht in Geschichten spannend zu lesen, aber absolut enervierend, so man selbst Teil solch einer Geschichte war. Angst tötete die Lust über kurz oder lang. Immer.
    Oder hätte er sie entführen sollen, aufs Land, wo sie bis ans Ende ihrer Tage in glücklicher Zweisamkeit übereinander herfallen würden? Das glaubte Prisca ja selbst nicht, dass ihr so ein Leben gefallen würde. Prisca hatte Sextus erlaubt, sie zu nehmen, nicht, weil sie ihn liebte, nicht, weil sie ihn an und für sich begehrte, sondern weil sie mächtige Männer begehrte, weil sie Stärke begehrte und weil sie sich fallen lassen wollte. Dass es Sextus war, dem sie nachgegeben hatte, hatte sicherlich mehr mit seiner Hartnäckigkeit zu tun als mit echten Gefühlen, und dem Vertrauen, dass zwischen ihnen herrschte. Und wenn Sextus nun aufs Land ging und Bauer wäre, wo wäre da für sie der Reiz? Wo wäre ihr eigener Reiz, wenn sie fern von all dem Glanz des großen Rom leben müsste?


    Natürlich hätte Sextus jetzt noch irgendeinen Unsinn erzählen können, könnte versuchen, sie verliebt in sich zu machen oder ihr zumindest ein paar tröstendere Worte sagen. Er war ja kein Idiot. Aber so, wie es jetzt war, war es besser für sie beide. Prisca musste selbst wissen, was sie wollte. Er konnte es ihr nicht vorbeten. Sie sollte sich ihre eigenen Gedanken machen, unbeeinflusst von allem. Sextus hatte seinen Erfolg gehabt und würde die schöne Erinnerung mitnehmen. Der Bann des Unerreichbaren war hinreichend gebrochen. Würde sie dennoch von sich aus kommen und noch einmal mit ihm schlafen wollen, er würde sich sicherlich nicht wehren. Doch der nächste Schritt wäre der ihre.


    Als sie sich mit einem gehauchten Kuss auf seine Wange bedankte, war die Versuchung groß, sie an sich zu ziehen und noch einmal richtig zu küssen, noch einmal das Spiel aufzunehmen, aber Sextus unterließ es. Es war das sinnvollste, was er in diesem Moment tun konnte, auch wenn es Prisca schmerzte. “Ich danke dir“, sagte er stattdessen nur als Antwort und ließ sie gehen, damit sie sich wieder herrichten und zu ihrem Ehemann gehen konnte.

    Sextus war sich nicht wirklich sicher, ob er wirklich wollte, dass Tiberius Verus sich von seinen Verletzungen erholte. Für die gesamten Tiberier wäre es wohl rein logisch betrachtet besser, er würde es nicht, so dass sie einen Schandfleck weniger in der Familie aufzuweisen hatten. Nicht nur, dass der Soldat keinerlei Manieren hatte und einen Umgangston pflegte, der nicht als solcher betitelt werden konnte, nein, er war auch noch einfacher Soldat geworden. Selbst wenn er jetzt bei den Praetorianern war, war er doch weit näher an jedem Plebejer ohne Senatstradition als an einem patrizischen Erbe. Gegen ihn wirkte der gemanische Homo Novus, der eingeheiratet hatte, noch als verschmerzbar.
    Aber natürlich sagte Sextus nichts dergleichen, sondern steuerte die beliebte Floskel “Das ist gut zu hören“ bei und beließ das Thema damit auf sich.


    Nachdem also nun auch der modus operandi geklärt war, konnte man zur Tat schreiten. “Wenn wir nur unter uns sind, ist ein eigenes Zimmer und die Hilfe von Sklaven wohl nicht nötig“, meinte Sextus daher salopp. Mit einem geschickten griff öffnete er seinen Gürtel und streifte sich seine Tunika einfach im Atrium über den Kopf. Man war ja nicht verklemmt oder unmäßig schüchtern. Überhaupt, an jeder Ecke Roms standen nackte Menschen, die Hälfte aller Villen hatte irgendwo die Darstellung einer Sexszene an den Wänden gemalt und wenn sich jemand besonderes Glück erhoffte, hängte er sich einen Anhänger mit einem geflügelten Phallus um den Hals. Abgesehen davon reizte Sextus durchaus ein wenig die Vorstellung, der jungen Tiberia wenn auch kurz zu zeigen, was sie verpasst hatte, als sie noch die Gelegenheit gehabt hatte.


    Einer seiner Helfer reichte ihm auch gleich das schwere Ornat aus Tierhäuten an, was er sich mit geübter Lässigkeit überzog. Das rohe Leder kratzte ein wenig auf der Haut, aber allein der kurze, freche Augenblick zuvor war es durchaus wert, keine Untertunika zu tragen. Dazu noch die vermaledeite Mütze auf den Kopf und seinen Lituus in der Hand, und er war wieder ganz Haruspex.
    Er schritt also mit seinen Helfern zu dem Schaf. Diese hielten das ruhige Tier mit geübten Griffen ein wenig fester, aber noch so, dass das ohnehin ruhige Tier keinen Grund zur Beunruhigung darin erkennen konnte. Sextus näherte sich also und intonierte in der archaischen, etruskischen Sprache gewohnt den Gebetsgesang.“Ich rufe die Götter des Himmels, des Feuers und der Erde. Ich rufe die Götter von überall her. Ich bitte die Götter, mir ihren Willen zu zeigen. Ich bitte die Götter, dieses Schaf als ihr Gefäß zu nehmen, mir ihren Willen zu zeigen“, sang er tief und volltönend. Während er sang, ließ er sich den Wein anreichen und weihte damit das Schaf, indem er dessen Kopf großzügig über dessen Kopf goß. Mit einem kurzen Nicken gab er Tiberius Caudex das Zeichen, dass er nun seinen Teil der Opferung vollziehen konnte, während er beständig weiter sang und die Götter so bat, ihren Willen kund zu tun.

    Ein Bote der Villa Aurelia kam wie versprochen zu den Tiberiern mit einer Schriftrolle und einer Nachricht.


    “Dies ist für den ehrenwerten Tiberius Caudex. Er erwartet dieses Schreiben“, verkündete der Bote bei Übergabe der Nachricht.



    Haruspex Primus et Senator Aurelius Lupus Sodalitati Augustalibus s.d.


    Mit diesem Schreiben möchte ich mich hiermit für die Aufnahme von Tiberius Caudex in die ehrwürdigen Reihen der Augustales einsetzen. Ich habe ihn insbesondere in meiner Eigenschaft als Haruspex Primus des Collegium Haruspicum als frommen und gottesfürchtigen Mann kennenlernen dürfen, der gewissenhaft, fleißig und exakt dem Dienst an Staat und Göttern nachzugehen mehr als fähig ist.


    Ich bin mir sicher, dass er als Sodalis Augustales den Kaiserkult formidabel vertreten wird und für den Kultverein eine wichtige Bereicherung darstellen wird.


    https://abload.de/img/siegel-gold-lwe3onuoh.png


    gez. ANTE DIEM III ID MAI DCCCLXVIII A.U.C.
    (13.5.2018/115 n.Chr.)

    Bevor Sextus zu einer weiteren Erläuterung ansetzen konnte, kam die bereits erwähnte Tiberia Corvina herein wie die Sonne, um ihn zu begrüßen. Auch Sextus setzte ein ehrliches Lächeln auf. Die Schwester seines Klienten war wahrlich eine Augenweide und entsprach genau Sextus' bevorzugter Art von Frau: Schlank, helle Haut, dunkles Haar und angeborene Eleganz und Eitelkeit. Das forderte ihn jedes Mal wieder heraus, sei es bei seiner ersten Ehefrau gewesen oder bei Prisca oder eben jetzt hier.
    “Salve, Tiberia. Es ist auch mir eine außerordentliche Freude, dich wiederzusehen. Allein dein Anblick verleiht dieser Villa den Glanz der Vergangenheit wieder.“ Oder zumindest machte ihr Aussehen deutlich, dass die Tiberii noch immer Patrizier waren und sich wie solche zu benehmen wussten. Und natürlich hatte die Dame des Hauses sich auch alle Mühe gegeben, eben jenen Eindruck zu hinterlassen, was Sextus sehr wohl zu würdigen wusste. “Sehr schöne Ohrringe“, ließ er sie auch gleich wissen, dass er die kleine Geste durchaus bemerkt hatte. Der Löwe war schließlich das Wappentier der Aurelii, und goldene Löwen an ihrem Körper nicht zu bemerken hätte schon eine äußerste Unaufmerksamkeit bedeutet. Nein, Corvina sollte ruhig wissen, dass er es sehr wohl bemerkt hatte, und dass er es als schmeichelnde Geste ihrerseits durchaus zu würdigen wusste.


    Da er aber wohl kaum nun ausgiebig mit der Schwester seines Klienten flirten konnte, ohne dass es allzu auffällig würde, musste er sich wohl wieder dem für ihn wesentlich weniger attraktiven Tiberius Caudex zuwenden. “Und nein, es ist kein Problem, wenn es nicht mehr Zeugen des ganzen gibt. Ich habe lediglich aus Neugierde gefragt, da ich natürlich ein Interesse daran habe, was aus den diversen Tiberii geworden ist, die vor nicht allzu langer Zeit noch meine Gäste waren.“ Man war ja höflich.


    “Sofern keine weiteren Fragen mehr bestehen, können wir mit dem Opfer beginnen. Ich werde die Götter auf etruskisch um Einsicht in die Zukunft bitten und danach wird das Schaf geopfert. Wenn du möchtest, Tiberius, kannst auch du den Schnitt selbst vollführen. Es ist dabei kein Gebet oder ähnliches vonnöten. Die Weihung des Tieres mit Wein, den du mir dabei anreichen müsstest, übernehme ich mit dem Gebet, so dass du auf mein Zeichen direkt zur Tat schreiten könntest. Ganz wie du möchtest.“ Sextus hatte schon so viele Schafe getötet, dass ihm eines mehr oder weniger garantiert nicht auch nur das geringste bedeutete. “Danach öffne ich den Bauchraum und hole die Leber heraus, um darin zu lesen. Ich werde dir die Zeichen genau erklären, sofern es dich vor deiner schönen Schwester nicht in Verlegenheit bringt und du lieber nur die Deutung hättest.“
    Wenn das geklärt wäre, könnten sie dann auch zur Tat schreiten.

    Auf dem Rücken liegend lächelte Sextus einfach vor sich hin. Endlich war einmal zwischen ihm und seiner Cousine klar, was sie beide wollten, ohne Spielchen, ohne Herumgetänzel, ohne Masken. Einfach nur klare, ehrliche Lust.
    Aber natürlich konnte Prisca diesen Zustand nicht einfach bestehen lassen. Sie flüsterte leise an seiner Brust und aus jedem ihrer Worte schwang Zweifel, Sorge und Furcht mit. Sextus streichelte einfach durch ihr Haar. Sein dunkelstes Verlangen? Prisca war weit entfernt davon, eben jenes zu kennen. Auch, dass sie sich nach wie vor mit dem goldenen Apfel der Hesperiden verglich, war ein wenig belustigend. Aber es gab keinen Grund, sie über ihren Irrtum aufzuklären, und noch weniger Grund, sie damit zu verletzen. Sollte sie ruhig in ihrem Glauben bleiben und denken, dass das hier die Erfüllung aller Träume für Sextus war. Immerhin war es zumindest die Erfüllung eines Traumes, und darüber hinaus weit erfreulicher, als er es sich vorgestellt hatte. So erfreulich, dass er nach wie vor Verlangen nach ihr verspürte und einer Wiederholung nicht abgeneigt war.


    “Ich würde vorschlagen, erst einmal den Schweiß wegzuwaschen. Und du solltest auch deine Frisur neu richten lassen, ehe du in die Villa Flavia zurückkehrst. Wenn du dort zerzaust auftauchst, könnte das Fragen aufwerfen.“
    Vermutlich war das nicht die Antwort, die Prisca hören wollte. Aber es war die vernünftigste Antwort, die Sextus geben konnte. Er streichelte noch einmal über ihre Schulter und setzte sich dann auf, wodurch sich die traute Zweisamkeit löste. “Prisca, ich kann dir nicht deine Entscheidungen abnehmen. Eine einmalige Sache endet hier und jetzt mit einem Bad und ein paar gerichteten Haaren und vielleicht der ein oder anderen süßen Erinnerung. Ohne Risiko, ohne Konsequenzen.“ Er stand auf und hob seine Tunika vom Boden auf, um sie sich schnell über den Kopf zu ziehen. Baden würde er auch noch müssen, aber er überließ Prisca da gerne den Vortritt. “Wenn du etwas anderes willst, dann musst du das sagen. Und dafür Vorkehrungen treffen.“

    “Salve, Tiberius““, erwiderte Sextus den Gruß ebenso freundlich. Auf irgendwelche Floskeln bezüglich dieses Heimes verzichtete er dabei. Zum einen war die Einladung ja schon eine Weile fix, zum anderen war der Grund fast schon geschäftlich zu nennen. Zudem war die Villa Tiberia ohnehin nicht in einem Zustand, der überschwängliches Lob sehr glaubhaft hätte erscheinen lassen, zumal Sextus die alte Villa noch deutlich vor Augen hatte. Überhaupt ein Wunder, dass die Tiberii doch noch so viel hatten retten können, wie die Büsten ihrer Ahnen. Wäre Sextus ein Aufständischer voller Wut gewesen, er hätte wohl gerade solche zerschlagen, um den Familien seiner Feinde Schmerz zuzufügen. Aber vielleicht war dies auch der Tatsache geschuldet, dass er ein Römer war und daher die Römer eher verstand als ein Feind Roms.


    “Die Zeichen des heutigen Morgens waren positiv und es scheint kein Gewitter in Sicht, daher denke ich, dass die Götter uns den ein oder anderen Einblick gewähren werden. Hilfreich wäre es natürlich, wenn du konkrete Fragen an die Götter stellen würdest, welche diese beantworten können. Es ist sehr viel einfacher, die Antwort zu erkennen, wenn man weiß, wie die Frage lautete. Die Götter sind manchmal nicht gerade überschäumend mit ihren Antworten.“
    Tiberius Caudex konnte sich ja im Vorfeld noch ein paar Gedanken machen. Noch waren sie ja nicht ganz bereit, wenngleich es auch gleich losgehen könnte. Die Aussicht, hernach erst einmal zu baden mit einer Sklavin, ließ Sextus grinsen. Mit Blick auf die Sklavin hatte es sogar eine anzügliche Note, denn er konnte sich eigentlich nur eine Sache vorstellen, bei der sie ihm gerade dort behilflich sein könnte. Und solange Tiberius Caudex sie nicht ganz explizit hierfür zur Verfügung stellte und dies explizit verbalisierte, würde Sextus definitiv nichts in die Richtung unternehmen. Es gab für diese Konstellation ja nicht umsonst diverse Gesetze und Brauchtümer.
    “Ich hatte eigentlich weniger vor, mich für längere Zeit allein ins Balneum zu verziehen. Das käme mir nicht ganz gastgerecht vor.“ Sollte Tiberius Caudex sich anschließen und sie würden im Balneum ein wenig palavern, wäre dies ja etwas anderes. Aber als Gast verabschiedete man sich nicht einfach mal so vom Gastgeber. Auch nicht, wenn dieser einem dafür eine Sklavin zur Seite gab.
    “Deine Schwester wiederzusehen wird ein Vergnügen. Ihre Abreise aus der Villa Aurelia kam ja doch etwas plötzlich, so dass keine Gelegenheit war, sich angemessen zu verabschieden.“ Oder überhaupt einmal länger mit ihr allein zu reden. “Werden sich denn noch weitere Familienangehörige der Leberschau anschließen?“ fragte Sextus neugierig nach. Tiberius Verus laborierte ja noch immer an seinen Wunden, so dass keine Gefahr bestand, auf ihn zu treffen. Tiberia Corvina zu sehen hingegen war eine durchaus erfreuliche Aussicht. Nicht ganz so erfreulich wohl, wie mit ihr zu baden, aber das würde realistischerweise wohl nicht passieren. Und Tiberia Maximilla wäre... nunja, nicht ganz so schlimm wie Tiberius Verus, aber definitiv ein gutes Gegenmittel zu sämtlichen Gedanken bezüglich der Schwester seines Klienten. Und Sextus hatte keine Ahnung, ob mittlerweile noch mehr Tiberii irgendwo aufgetaucht wären. Auch wenn der Realist in ihm davon ausging, dass Tiberius Ahala und dessen Bruder Postumus tot und erschlagen den Tiber hinunterschwammen, wäre es eine äußerst erfreuliche Nachricht, wenn zumindest der Sohn seiner Cousine Flora doch noch lebend irgendwo auftauchte.