Gegen ein wenig Konversation hatte Sextus allerdings ganz und gar nichts. Warum auch? Nur, weil man zielstrebig war, hieß das ja nicht, dass man deshalb ein Holzklotz sein musste. Und er hatte ja auch nichts gegen Prisca, nicht im eigentlichen Sinne. Er störte sich an ihrer unbedachten Art, die seine Position gefährden könnte, und er verstand nicht, was diese Frau an dem Flavier fand. Sie könnte günstigere Ehen eingehen. Gerade, wo Tiberius Durus nun wieder unvermählt war, wäre dieser die weitaus bessere Wahl, und wenn Prisca sich nicht dumm anstellte, konnte sie ihn sicher von sich überzeugen. Aber nein, sie wollte lieber etwas so unbeständiges wie Liebe. Noch dazu mit so einer Person, bei der sich Sextus jetzt schon überlegte, ob seine zukünftige Frau ihm wohl böse wäre, wenn er in den Mord an ihrem Halbbruder verstrickt wäre.
Aber das sollte jetzt seine Sorge nicht sein. Auf die Frage, ob er etwas zu essen wollte, winkte er nur ab. Die Frage nach seiner Hochzeit aber brachte nun seine Schauspielkunst wieder zum Vorschein. Er breitete nur kurz etwas hilflos die Hände aus und atmete einmal durch, wie jemand, dem die Situation über den Kopf zu wachsen drohte. “Die Hochzeit verschiebt sich weiter als geplant. Jetzt nachdem auch noch Orestes und Imbrex gestorben sind, verlängert sich die Trauerzeit.“ Und während dieser eine Hochzeit anzusetzen wäre mehr als pietätlos.
Dann aber brachte Prisca eine Sache ins Spiel, die ihn doch kurz aufhorchen ließ. An seiner Haltung oder seinem Gesichtsausdruck änderte sich nicht das geringste, aber seine Gedanken rasten einen kurzen Augenblick. “Nein, das wusste ich bislang noch nicht. Gratuliere. Ich hatte zwar mit Corvinus zwei Tage vor seinem Tod geredet und er wollte es sich auch überlegen, aber ich hatte nicht gedacht, dass er vor seinem Selbstmord noch eine Entscheidung mitgeteilt hatte.“ Es war nur eine kleine Übertreibung, klein genug, um nie aufzufallen. Er hatte mit Corvinus geredet. Er hatte auch Prisca und Piso angesprochen bei dieser Unterhaltung. Das konnte er auf Iuppiters Stein schwören, wenn es sein musste. Nur das mit der Entscheidung war eine leichte Übertreibung der tatsächlichen Umstände, was aber niemand im ganzen Haus wissen konnte. So kam er unverhofft wohl doch noch zu seinem Gefallen.
“Ich kann dir gerne unsere Hochzeitsliste zukommen lassen. Die persönlichen Freunde kannst du ja dann für deine Feier streichen, ich kann sie dir auch markieren lassen, für den Fall, dass du diese nicht gleich erkennst.“ Immerhin war die Gästeliste doch sehr lang. “Vielleicht sollten wir die Termine dann auch koordinieren, damit sowohl du als auch Nigrina jede ihren großen Auftritt hat und die Gäste sich bei beiden Hochzeiten spendabel zeigen.“ Nicht die kleinste Spur von Abweisung lag in seinen Worten. Letztendlich hatte Sextus was gegen diesen Hanswurst Piso und würde sich früher oder später darum kümmern. Bislang hatte er alles daran gesetzt, dass der Flavier sein Gesicht wahrte. Er hatte sowohl im Theater verhindert, dass die Leute sich das Maul über ihn zerrissen und die Art und Weise, wie er um eine Frau warb, als auch auf seiner eigenen Sponsalia, wo er ihn weder wegen seiner fehlenden Gastfreundlichkeit bloßgestellt hatte, noch wegen seiner Trauerkleidung, noch wegen seiner volltrunkenen Pöbeleien. Nun aber, da er verlobt war und er hatte, was er wollte, würde er nichts dergleichen mehr tun, sondern mit Freuden ihm den einen Tritt noch geben, wenn der Flavier sich wieder völlig an den Rand der Gesellschaft manövriert hatte. Das allerdings hatte alles nichts mit Prisca zu tun und war kein Grund, jetzt und hier unhöflich zu sein.
Überhaupt verstand er nicht, wieso sie mit einem Mal so reserviert ihm gegenüber war. Er hatte ihr nie etwas getan. Er hatte nie etwas ungebührliches gesagt. Und seine Gedanken pflegte er, in seinem Kopf zu belassen. Von daher dachte er auch jetzt nicht daran, dass dieses Gespräch ein wieauchimmer gearteter Racheakt wäre.
“Natürlich müssten wir sehen, dass dies innerhalb der Einhunderttagesfrist geschieht, damit dein Mann das erben kann, was Corvinus ihm zugedacht hat. Oder zumindest die Hälfte, Kinder werdet ihr ja so schnell nicht bekommen. Außer er trägt sich mit dem Gedanken, jemanden zu adoptieren?“ Ein kurzer, fragender Blick. Eigentlich war diese Möglichkeit ausgeschlossen, Piso war nicht mächtig genug, jemanden zu adoptieren, für den das ein Gewinn wäre. Und die, für welche das ein Gewinn wäre, würde hoffentlich selbst dieses Weib von einem Mann nicht adoptieren. “Womit wir auch bei dem Grund wären, weswegen ich dich belästige. Es geht um Narcissa und Flora und das Erbe, das Corvinus ihnen zugedacht hat...“ Sextus druckste nun absichtlich etwas herum und ließ Prisca damit Zeit, von sich aus Interesse an der Sache zu entwickeln. Wenn er ihr alles vorkaute, war das nicht halb so intensiv.