Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Au? Sextus zog leicht irritiert die Stirn kraus, als er auf diese Weise begrüßt wurde. Es hatte zwar ein paar Gelegenheiten gegen, dass dies das erste Wort war, das ein Mädel gesagt hatte, wenn sie seiner gewahr wurde, aber da stand er normalerweise nicht vor ihrer Tür. Und da bat er üblicherweise auch nicht um Einlass. Ein leichtes Grinsen huschte bei den Erinnerungen kurz über sein Gesicht. Ein Glück, dass die Tür blickdicht war.
    Dann aber kam die eigentliche Begrüßung, und mit neutralem Gesichtsausdruck betrat er Priscas Raum und schloss vorsichtig und leise hinter sich die Tür. Seine Taktik für dieses Gespräch hatte er sich schon zurechtgelegt. Aufgrund von Priscas Verhaltensweisen glaubte er nicht, dass sie mit vernünftig männlichen Vorgehensweisen zurecht kam. Wie auch bei dem Kerl, den sie sich ausgesucht hatte? Der war mehr Weib als alles, was Sextus in letzter Zeit im Bett gehabt hatte. Von daher galt es hier, sanftere und leisere Töne anzuschlagen, vorsichtiger vorzugehen. Vielleicht sogar, nett zu sein, auch wenn es schwer fiel. Charmant war er immer, aber nett war nochmal anders.


    “Ich hoffe, ich störe dich nicht?“ Ein wenig fragend blickte er auf ihre Stickerei. Langsam, aber nicht zögerlich, kam er näher und unterdrückte ein Schmunzeln bei ihren Worten. Jederzeit solle er vorbeischauen? Wann immer er wolle? Und wenn er mitten in der Nacht wollen würde, auf der Suche nach ein wenig Entspannung und dem Gefühl von warmer Haut? Dann auch? War das eine Einladung? Er verkniff sich das süffisante Grinsen, aber nicht den begleitenden, kurzen Blick über ihren Körper, und setzte sich in Ihre Nähe auf einen Stuhl. “Geht es dir gut? Ich hab mit dir die letzten Tage kaum gesprochen. Ich war mir nicht so sicher, ob du... Konversation mit mir wollen würdest.“ Sie nahm ihm die Sache im Theater noch immer übel. Dazu musste er kein Haruspex sein, um diese Zeichen zu deuten. Sie verhielt sich wieder schnippisch und reserviert, kein Zeichen von auch nur geheucheltem Interesse an ihm in seiner Eigenschaft als Mann. Allerdings war er hier ja nicht für einen weiteren Verführungsversuch.

    Der Haruspex schien den Wink mit dem kompletten Gartenzaun nicht verstanden zu haben. Vielleicht war er ja zu subtil gewesen? Aber nichts, nicht die kleinste Regung, keine subtil vorgebrachte Richtung, wie die Posten denn besetzt werden könnten. Keine Bemerkung über Fürsprecher solcher Männer. Keine beiläufige Bemerkung über Geld, wie die Kosten dieser Sponsalia beispielsweise. Nichts. Sextus wollte gerade eben doch zur Vorschlaghammer-Methode übergehen, als doch ein brillanter Zufall zutage trat.
    “Cilnius? Du meinst aber nicht rein zufällig Marcus Cilnius Lanatus, bei dem die Geheimnisse der libri haruspicini zu lernen ich die Ehre hatte?“ DAS wäre mal ein grandioser Zufall. Gut, er hatte keine Ahnung, wo es seinen alten Lehrer hinverschlagen hatte. Als Sextus zwanzig geworden war, hatte sein Lehrer ihn nach Velutonia begleitet zur dortigen Fakultät für Haruspizien. Nachdem Sextus seine Prüfung abgelegt hatte, hatten sich ihre Wege getrennt – und der Kontakt war eingeschlafen. Dass ihm dieser alte Griesgram noch jemals wieder von Nutzen hätte sein können, das hätte Sextus nicht gedacht. Sofern der Haruspex Primus sein 'leider' nicht ironisch gemeint hatte.
    “Und falls das Collegium noch Mitglieder sucht, ich hätte durchaus großes, persönliches Interesse, ihm beizutreten.“ Gut, das war nun wirklich alles andere als subtil gewesen, aber vielleicht redete der Haruspex dann einmal Tacheles und ließ durchblicken, wohin die Reise denn gehen sollte.

    Der Brief von Vala hatte ihn zum Nachdenken gebracht. Oder viel eher dazu, sich über sich selbst zu ärgern, weil er tatsächlich etwas übersehen hatte und erst von einem anderen darauf aufmerksam gemacht werden musste. Sextus schätzte es nicht, mit einer Erkenntnis überrascht zu werden, und hatte daher die letzten beiden Tage ausgiebig mit Überlegungen verbracht. Der Brief war mittlerweile schon seiner Bestimmung als Kohleanzünder zugeführt worden, Antwort an Vala hatte er noch keine geschrieben.
    Auch hatte er sich mit seinem Schwiegervater nicht besprochen. Flavius Aetius würde am Ende noch an einem Lachanfall krepieren, wenn Sextus ihm Gründe aufzeigen wollte, warum er seine Tochter aus seiner patria potestas entlassen sollte. Und die Wahrheit würde ganz sicher den heftigsten Lachanfall auslösen. Wer bitte gab seine Tochter für läppische 12 Aurei auf, wenn das Familienvermögen mehrere tausend Aurei umfasste? Und welchen anderen Grund konnte es geben? Sextus war ja sicher nie um eine Ausrede verlegen, aber hexen konnte auch er nicht. Es gab keinen vernünftigen Grund, das zu tun. Da konnte auch er keinen erfinden.
    Seine Cousinen konnten gar nicht erben. Im Grunde war ihm das vollkommen gleichgültig. Flora würde verheiratet werden und Narcissa Vestalin, wofür brauchten die beiden bitte Geld oder Güter? Sie waren Frauen. Allerdings, und das kam ihm im Verlauf seiner weiteren Überlegungen zugute, waren die beiden der perfekte Vorwand, das zu tun, wozu er sich gerade aufmachte.


    Er und Prisca hatte seit jenem unsäglichen Theaterabend reichlich wenig miteinander gesprochen. Er vermutete ja, sie war ihm noch immer böse, dass er ihre romantischen Phantasien mit einem Stück Realität erschlagen hatte. Aber was hätte er sonst machen sollen? Zulassen, dass dieser Flavier sie, sich selbst und vor allen Dingen: Ihn lächerlich machte? Ihn vor seiner Gens bloßstellte, für ein Gefühl? Das war so lächerlich, dass es nicht einmal einen Gedanken wert war.
    Und er selbst hatte kein Interesse verspürt, ihr mehr als nötig auf die Pelle zu rücken. Das war wie beim Angeln: Man warf den Köder aus und ließ dann Leine. Wenn der Fisch anbiss, ließ man ihn erst einmal eine Weile damit schwimmen und sich in Sicherheit wiegen, ehe man ihn mit einem kräftigen Ruck zu sich holte. Es machte keinen Sinn, Prisca zu bedrängen. Wenn sie ihn wollte, würde sie es umso mehr, wenn er ihr nicht nachstellte. Und wenn nicht, dann verschwendete er nur Zeit.
    Jetzt allerdings hatte er einen Vorwand, sie aufzusuchen, der nur peripher mit ihm selbst zu tun hatte. Und das wiederum war eine perfekte Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen wollte. So stand er also an ihrer Zimmertür und klopfte an.
    “Prisca, kann ich reinkommen?

    An diesem Tag brachte ein Bote einen lang erwarteten Brief aus Griechenland.



    Ad
    Sextus Aurelius Lupus
    Villa Aurelia
    Urbs Aeterna



    Numerius Aurelius Fulvus filio suo s.


    Uns erreichte soeben die Nachricht, dass du die in dich gesetzten Erwartungen erfüllt hast. Ich bin stolz auf dich, dass du die Verlobung so erfolgreich vollzogen hast und ebenso bin ich froh, von deiner Kandidatur zu hören. So wie ich dich kenne, hast du sicher die nötigen Fürsprecher, um den Senat von dir zu überzeugen.
    Und nun will ich auch mein Wort halten und gebe dich hiermit frei. Natürlich erwarte ich, dass du auch weiterhin wie ein guter Sohn meinen Wünschen entsprichst, so wie es deine Geschwister ebenfalls tun. Aber nun, da du dich als Mann beweist, sollst du auch wie einer sprechen können und deine Entscheidungen allein fällen können. Seh dich hiermit als von der Patria Potestas befreit an.


    Deine Mutter sendet ebenfalls Grüße und lässt fragen, ob du dich schon bei den Haruspices bemüht hast. Ebenso bittet sie dich, ihre Verwandten bei Gelegenheit aufzusuchen. Vor allem ihr Bruder, Antonius Macula, hat in Rom ebenfalls eine Villa und sie würde sich über ein wenig Kontaktpflege hier sehr erbaut zeigen.


    Deine Geschwister lassen ebenfalls grüßen. Dein ältester Bruder erwartet nun sein drittes Kind mit seiner Frau. Beten wir zu den Göttern, dass es diesmal ein Junge wird, der überlebt. Und wir haben einen geeigneten Ehemann für deine Schwester gefunden. Vergiss nicht, ihr deine Glückwünsche zu übersenden, wenn die Hochzeit stattfindet.


    Und schreib regelmäßiger, es ist nicht erbaulich, über die wichtigsten Dinge deines Lebens vom Stadtschreier informiert zu werden!


    Dein Vater.

    Woher sollte er denn wissen, wie Celerinas Sklaven geheißen hatten? Er wusste noch nicht einmal, wie die verdammte Puppe seiner jüngsten Schwester geheißen hatte, obwohl sie ihm das Ding so lange unter die Nase gehalten hatte und von ihm wollte, dass er salve zu ihr sagte oder ähnlich albernes, bis das Ding irgendwann mal im hauseigenen Brunnen schwimmen gelernt hatte. Und der unterschied zwischen Sklaven und Puppen bestand nach Sextus Auffassung hauptsächlich darin, dass manche Sklaven schwimmen konnten im Gegensatz zu Stoffpuppen. Aber weder das eine noch das andere war ihm wichtig genug, sich von sowas den Namen zu merken.
    Aber für solche Fragen hatte er ja die Tafeln. Wer merkte sich schon solche Nebensächlichkeiten? Also griff er danach, suchte die, auf der Grieche und Leibwächter stand und bestätigte dann: “Cleomedes. Derjenige welche, der sich unsäglicherweise in der Villa Tiberia umgebracht hat. Ich hoffe, der Abtransport machte keine allzu großen Umstände?“ Sextus hatte sich bislang gar nicht danach erkundigt, aber man wollte ja höflich sein. Sextus wollte nicht, dass wegen diesem Blödsinn ein noch tieferer Groll entstand, als er wohl ohnehin wegen Laevinas unrühmlichen Abganges noch bestehen mochte. Ja, die Aurelier waren gerade wirklich nicht vom Glück verfolgt. Nichtmal mit den angeheirateten Damen hatten sie besonders viel Glück, wie es schien. Blieb nur zu hoffen, dass er bei seiner Damenwahl etwas mehr Glück hatte. Ansonsten musste er wirklich einmal die Haruspizien lesen, also, so richtig und fundiert, und nicht nur das sagen, wofür der andere ihn bezahlte. Sextus würde auf solcherlei lieber verzichten, vor allem da dabei meist sowieso nichts brauchbares geschweige denn zukunftswirksames herauskam und er, obwohl er es gelernt hatte, nicht unbedingt daran glaubte.


    Im Gegensatz zu Avianus aber glaubte Sextus nicht, dass es wirksam wäre, der Inquisitio mehr als nötig zu verheimlichen. Sie sollten möglichst offen zeigen, dass sie nichts zu verbergen hatten und ihnen die Geschehnisse im Hain auch am Herzen lagen. Wenn sie hier mauerten, machten sie sich nur verdächtig. Wenn sie nichts zu verbergen hatten, warum sollten sie etwas verbergen? Hätte Sextus Gedankenlesen können, er hätte vermutlich auch noch näher darauf hingewiesen, dass nur Charis NACH Celerina und im Haus der Aurelier das Zeitliche gesegnet hatte und somit nur dieser eine Zufall von den Aureliern hätte arrangiert werden können. Nur konnte er das ja nicht, so blieb ihm nur die Offenheit bei den anderen Fragen.
    Die Kunst einer wohlplatzierten Lüge bestand darin, sie mit genug Wahrheit anzufüllen, als dass sie glaubwürdig war. Denn irgendwas wusste immer irgendwer, und wenn das gerade dieser eine Funken Wahrheit im ansonstigen Gespinst aus Lügen war, hatte man schon fast gewonnen. Und so dachte sich Sextus sehr wohl etwas dabei, als er seine Vettern korrigierte.
    “Auch, wenn der Tod von Corvinus nichts mit den Vorfällen im Hain der Diana zu tun hat und sicher auch nicht für die Untersuchung desselben von Belang ist“, was die höfliche Umschreibung dafür war, dass dies nicht zu interessieren hatte, “... er hat ein paar private Zeilen an seine Nichte verfasst. Doch ist es nicht nötig, sie damit zu behelligen. Ich versichere bei meiner Ehre, dass dies nichts zu den Vorfällen im Hain beitragen kann.“ Das war die große Kunst, offen zu sein und eine Erklärung zu liefern, ohne eine Erklärung zu liefern. Es sei denn, die Vestalin und sein eigener Patron zweifelten tatsächlich, noch dazu im Haus der Aurelier, sein Ehrenwort an. Dann allerdings stünde die ganze Untersuchung hier auf einer anderen Stufe des menschlichen Zusammenseins, denn beleidigen ließ sich Sextus sicher nicht.
    “Flavia Celerina hat selbstverständlich nichts verfasst, außer sie hat es auf dem Weg vom Hain zur Villa Tiberia oder dort getan.“ Die Frage kam Sextus seltsam vor. Wie sollte sie denn etwas schreiben, wenn sie nicht vorausgeplant hätte, sich das Leben zu nehmen? Auch für einen so misstrauischen und manipulierenden Menschen wie Sextus war das etwas, das er kategorisch ausschloss. Die Flavia war ihm zwar melodramatisch, aber nicht im eigentlichen Sinne lebensmüde erschienen.
    “Und Ursus hat recht, der Grieche war ihr Custos Corporis. Bei einem so friedlichen Anlass wie das Fest zu Ehren der Diana hielt sie es nicht für nötig, mehrere Wächter mitzunehmen. Wer konnte schon so eine Tat ahnen? Im Hain der Göttin der Unschuld...“ Sextus schüttelte den Kopf. Nun, er war im Grunde nicht halb so empört, wie er sich gab. Eigentlich war er noch nicht einmal übermäßig überrascht. Er war Mensch, nichts menschliches war ihm fremd, und anderen Menschen ungeachtet der Ortschaft Gewalt anzutun war definitiv menschlich. Selbst ein Stelldichein an so einem Ort hätte ihn nicht wirklich in seinen Grundfesten erschüttert, aber zu Celerinas (und letztlich auch seinen eigenen) Gunsten ging er davon aus, dass die Vergewaltigungsgeschichte stimmte.


    Dann allerdings sagte Ursus noch etwas, das wirklich ein Problem sein könnte. Auch wenn Sextus sicher nicht abergläubisch war und nicht mehr Elan den Göttern entgegenbrachte, als es sitten- und standesgemäß war, es schien wirklich fast so, als wären ein paar Gottheiten nicht gerade erfreut über sie.
    “Wir werden Haruspizien einholen, und ich werde sie persönlich lesen. Wir werden es wieder bereinigen.“ Er sah kurz und selbstsicher zu seinem Vetter hinüber. Es gab keine wissenschaftlichere Methode, den Willen der Götter und das zukünftige Schicksal zu ergründen, als Haruspizien. Und er hatte notgedrungen Jahre damit verbracht, sie zu lernen. Auch wenn das meiste nur ein Weg war, um Bestechungsgelder fließen zu lassen, ab und an musste es doch auch einmal wirklich sein.

    Gut, der Haruspex war keiner von der blumigen Sorte. Noch nicht einmal einer von der eloquent überwältigenden Sorte. Eher einer von der “Ich sag nur etwas, wenn es sich nicht vermeiden lässt“-Sorte. Was die ganze Sache nicht unbedingt einfacher für Sextus machte. Aber das war kein Grund, nun locker zu lassen.
    Sextus also lächelte nur knapp und ging darüber hinweg. “Oh, vielleicht tun sie das nicht, dennoch sind die Haruspices ein wichtiger Bestandteil der res publica und aus dem öffentlichen Leben nicht wegzudenken. Eine Schande, dass es nicht genügend Willige gibt, die sich der Ausbildung dahingehend unterziehen wollen, auch wenn sie aufgrund ihres Blutes dazu durchaus ein Anrecht hätten.“ Eine minimale Pause, in der Sextus nicht annahm, der Haruspex würde etwas sagen. Immerhin hatte Sextus keine direkte Frage gestellt, auf die der Mann hätte antworten müssen.
    “Da fällt mir ein, ist es richtig, dass derzeit im Collegium zwei Plätze vakant sind?“ Wenn der Haruspex nicht nur wortkarg, sondern auch clever war, würde er verstehen, wohin das Gespräch führte. Sextus hoffte, dass sein Gegenüber die 'zufällige' Einladung, die 'zufällige' Erwähnung, aus welcher Blutlinie der Aurelier stammte und die 'zufällige' Frage auch ganz 'zufällig' richtig deuten würde. Sonst musste er wohl doch mit der Tür ins Haus fallen.

    Es hatte so kommen müssen. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie kommen würden. Sextus war nicht naiv und hatte keine Sekunde angenommen, dass nach diesen Ereignissen keine Untersuchung stattfinden würde. Ihn hatte eher verwundert, dass man sich so viel Zeit damit gelassen hatte. Auf der anderen Seite war das auch sicher den Namen der Toten geschuldet. Niemand wollte, dass ein Pontifex und seine Frau, die aus der Familie eines anderen Pontifex stammte, in einen religiösen Skandal verwickelt wurden. Daher hatte es doch eine gewisse Logik, dass man den Aureliern ein paar Tage Zeit gegeben hatte, mögliche Lecks zu stopfen.
    Wenn es nach Sextus gegangen wäre, sie wären gründlicher vorgegangen. Der Blonde, dessen Name oder Herkunft für Sextus so uninteressant war wie von jedem Möbelstück, würde nicht mehr leben. Ein kleiner Haushaltsunfall war schnell arrangiert, vielleicht mit vorausgegangener Folter, um wirklich alles zu erfahren, was er wusste. Nur, es ging nicht nach ihm, und Sextus konnte sich in seiner Situation nicht leisten, sich gegen die eigene Gens zu stellen, auch wenn er nach wie vor überzeugt war, ein Messer zwischen den Rippen des Jungen wäre die bessere Lösung gewesen. Schnell, sauber, effizient und risikolos. Aber gut, dann würde er eben versuchen, Plan B mit seinen Vettern durchzuziehen.


    So ließ er sich die vorbereiteten Wachstafeln reichen, als er hörte, dass sein Patron und eine Vestalin eingetroffen waren. Er selbst ließ sich Zeit, sich noch vollends herzurichten, und ging dann erst langsam zum Atrium. Immerhin war er hier nicht Hausherr, sondern nur der, der zufällig da gewesen war, als Corvinus mit Celerina auf dem Arm heimgekommen war.
    So kam er mit einiger Verspätung ins Atrium. Aus den Augenwinkeln sah er beim Eintreten den Unsicherheitsfaktor hinter einer Säule, ließ sich aber nichts anmerken. Sollte dieser Mann doch zu riskant werden, würde er das Problem auf seine Art effizient, sauber und endgültig lösen, die Meinung der anderen hin oder her. Risiken galt es zu vermeiden, wenn man in der Politik Karriere machen wollte. Er betrat nur mit dem Anlass angemessen ernster Miene den Raum und beantwortete die im Raum stehende Frage.
    “Natürlich haben sich nicht alle ihre Sklaven umgebracht. Verzeiht, werte Vestalin, wenn ich mich so unangekündigt einmische. Ich bin Sextus Aurelius Lupus und war an diesem unsäglichen Abend hier im Haus.“
    Erst danach begrüßte er die Männer im Raum, den Gast selbstverständlich zuerst. “Mein Patron, betrüblich, dich aus solchem Anlass zu sehen, und dennoch sei dir meiner Hochschätzung versichert.“
    Seine beiden Vettern grüßte er mit einem knappen Nicken, da bedurfte es nicht übermäßiger Worte. Immerhin sah man sich täglich, zumindest dieser Tage.


    Als er sich ebenfalls gesetzt hatte, kamen nun auch die Wachstafeln endlich zum Einsatz. “Um deine Frage noch einmal aufzugreifen, geehrte Vestalin: Natürlich haben sich nicht alle Sklaven umgebracht. Zu unserem Bedauern aber alle, die etwas mehr Licht ins Dunkel werfen könnten. Ihre Leibsklavin, eine... wo steht es?... ah hier, eine Makedonin namens Charis, hat sich getötet, nachdem Corvinus seine Frau hineingetragen und sie es gesehen hat. Wir waren leider zu langsam, sie davon abzuhalten. Offenbar war sie ihrer Herrin sehr verbunden.
    Sie hatte noch einen Ägypter zum Zeitvertreib... Gedichte und Musik und dergleichen. Der sich... meines Wissens nach... das wäre dann diese Tafel. Er... oh, Okhaton war wohl mit im Hain der Diana und hat es nicht rechtzeitig auf einen Baum geschafft.
    Und ihr dritter Sklave, der Bescheid wissen hätte können, war der dunkle Grieche, der sich meines Wissens nach in deinem Haus vergiftet hat.“
    So eine Leiche war dem Pontifex pro Magistro sicher aufgefallen. Und Cleomedes hatte Corvinus an jenem Abend nicht mit sich gebracht.
    Damit legte Sextus die Tafeln so weg, dass sein Patron oder auch die ihm unbekannte Vestalin danach greifen könnten. Wobei da nichts draufstand, als das, was er gesagt hatte.
    “Was nun Untersuchungen an Flavia Celerina angeht: Sie hatte einen gebrochenen Arm und einige Prellungen, aber nichts, was tödlich gewesen wäre. Wir denken, dass sie nach dem, wozu sie im Hain gezwungen wurde, das getan hat, was von jeder ehrbaren Römerin seit Lucretia erwartet werden kann.“
    Sextus hoffte, dass seine Vettern ihm seine umfassende Erklärung zu diesem Zeitpunkt nicht übel nahmen, aber was sollte er lange damit hinter dem Berg halten? So nahm er dieser Untersuchung hoffentlich den Wind aus den Segeln und gab seinen beiden Verwandten nun alle Möglichkeiten, argumentatorisch auf den Putz zu hauen, sollte doch noch eine Rückfrage seitens ihrer beiden Gäste kommen.

    Das Gespräch führte in eine unangenehme Richtung. Zwar sehr informativ, aber für jemanden am Anfang seiner Karriere nicht unbedingt ungefährlich. Sextus saß da, nahm einen Schluck verdünnten wein und lauschte dem Gespräch, ohne aktiv etwas beizusteuern. Was sollte er auch machen? Seinen Patron unterstützen, und damit den angehenden Consul vor den Kopf stoßen, der ihm Wahlunterstützung versprochen hatte? Oder seinen Patron verärgern, indem er beschwichtigend redete? Sextus beschloss, dass es in siener Position am gesündesten war, einfach die Klappe zu halten. Was wollte er auch schon den Senatoren am Tisch sagen? 'Salve, ihr kennt mich zwar nicht, und geleistet habe ich auch nichts, und ich bin auch noch gar nicht so lange in Rom, aber ich bin der sicheren Überzeugung, der Mond besteht aus grünem Käse'? Sicher nicht. Auch wenn er sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit durchaus beherrschte.
    Jetzt hier noch einmal zu hören, dass vermehrt Patrizier aus dem Senat gedrängt wurden, war ungut. Aber informativ. Sextus hatte bislang Gerüchte darüber gehört, hier und da mal ein Gespräch bei der Cena. Hier das nun so einhellig und widerspruchslos zu hören, war da aber schon konkreter. Allerdings war Sextus weit davon entfernt, sich so darüber zu echauffieren wie sein Vetter.
    Sie durften diesen Sittenverfall nicht zulassen? Was wollten sie tun? Ihm ein Messer in den Bauch jagen? Effektiv, und sicher auch durchführbar, nur sollten sie sich vorher darüber Gedanken machen, was dann kommen würde. Der Kaiser würde das wohl weniger gut heißen. Also mussten sie diesen entweder ebenso ausschalten – was sicherlich bedeutend schwieriger wäre, denn zumindest eine dafür wohl benötigte Person fehlte in dieser Runde: Der Praefectus Praetorio – oder aber diese Unterhaltung hier war wirklich, wirklich ungut für seine weitere Karriere.
    Sextus nahm etwas von dem Hühnchen und lauschte weiter den Gesprächen, ohne sich einzumischen. Raus kam er hier sowieso in keinem Fall, und am Gesprächsverlauf ändern konnte er auch nichts. Warum also sich darüber Gedanken machen? Wie hieß es so schön? Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. (Und was uns umbringt, macht uns tot.) Und rein nach dieser Devise lauschte Sextus aufmerksam und machte sich geistig Notizen zu allen Gesprächspartnern. Zu einer dermaßen ausgiebigen Feldstudie über Tendenzen bei wichtigen, tiefgreifenden Entscheidungen würde er bei diesen Herren so rasch nicht mehr gelangen. Und das wiederum konnte ihm durchaus noch einmal nützlich sein. Egal wie dieser Gesprächsfaden ausgehen würde.

    Es war sicherlich ein Drahtseilakt. Er kannte seine Verlobte noch nicht und konnte nicht einschätzen, wie gut sie mitspielen würde, wenn er hier nun geschäftliches besprach. Auf der anderen Seite hatte sie den Abend bislang sehr positiv werden lassen und Sextus vertraute einfach darauf, dass dies auch weiterhin so gut laufen würde. Ein gewisses Grundrisiko gehörte dazu, und wenn man es durch Taktik und Kalkül nicht beherrschen konnte, musste man es eben annehmen. Und ganz auf den Kopf gefallen schien ihm die Flavia auch nicht.
    Und so knüpfte er nahtlos an ihre Beteuerung an. “Oh, wie hätten wir dich nicht einladen können? Ich denke, meine Mutter wäre mir ernsthaft böse, wenn ich mich dazu erdreistet hätte, den Haruspex Primus nicht einzuladen. Ich weiß gar nicht, ob du sie kennst. Antonia Iavolena, die Tochter von Antonius Tertullus.“ So viele etruskische Blutlinien gab es nun auch nicht, zumindest nicht in diesen gesellschaftlichen Kreisen, und Sextus hoffte einfach, dass der Name dem Haruspex etwas sagte. “Sie hält sehr fest an den alten Traditionen, und ich denke, sie hätte deine Abwesenheit allein schon als schlechtes Omen gedeutet.“ Ein kleiner Scherz, begleitet von einem ganz leichten Lachen. Auch wenn der Haruspex doch sehr ernst im Moment wirkte.

    Nachdem der gröbste Andrang vorbei war, hatte Sextus auch Zeit, mit seiner Verlobten ein wenig herumzuschlendern und hier und da Gespräche zu suchen. Man war ja schließlich hier nicht am kalten Buffet, wo man sich brav in einer Reihe anstellte, das hier war ein Fest, und Sextus war auch kein Häppchen, das man sich auf den Teller lud. Und so schlenderte man hier, unterhielt sich dort, bis Sextus endlich – ENDLICH – den Mann entdeckte, mit dem er den ganzen Abend schon nur allzu gerne ein Wort gewechselt hätte.
    Am liebsten hätte er Nigrina aus dem Gespräch mit irgendeiner langweiligen Senatorengattin gerissen, um sich auf den Weg zu machen, aber so blieb ihm nicht viel, als das Gespräch charmant abzuwürgen und zu beteuern, dass man sich später noch einmal unterhalten werde, da er so einer bezaubernden Dame doch nicht eine Antwort schuldig bleiben könne. Erst danach aber konnte er seine Verlobte sanft aber bestimmt in die Richtung dirigieren, in die er wollte.


    “Haruspex Primus Tarquitius Caecina. Ich freue mich, dass du Zeit gefunden hast, herzukommen. Es ist uns eine große Ehre“, begann er, ehe der Angesprochene sich noch unauffällig vor dem Gespräch drücken konnte. “Ich hoffe, du genießt die Feier.“ Erst einmal ein wenig Smalltalk, ehe er zum Punkt kam. An einen so kapitalen Hirsch musste man sich erst heranpirschen, ehe man den Pfeil auf ihn abschoss. “Du kennst meine Verlobte, Flavia Nigrina?“

    Hände schütteln, ein paar nette Worte tauschen, sich bedanken für nicht ernst gemeinte Glückwünsche, und den nächsten in Empfang nehmen. Hier und da noch die kommende Wahl als Gesprächsthema einfließen lassen, und jedem einzelnen das Gefühl geben, als wär man besonders froh, dass er oder sie es einrichten konnte, herzukommen. Sich einzuschleimen war harte Arbeit. Aber sie lohnte sich, und seine Zukünftige war wohl auch ganz geübt auf dem Parkett getauschter Höflichkeiten und half fleißig mit.
    Schließlich kam die Nymphe, die ihm zu Beginn der Feier ins Auge gestochen war, an die Reihe, sie zu beglückwünschen. Zu schade, dass er nicht auch so einen netten Kuss erhielt, welch unschuldigere Möglichkeit gab es, einander nahe zu kommen und den Duft des anderen für eine Sekunde aufzunehmen? Sofern dieser angenehm war. Aber da vertraute Sextus auf die Erfahrung, wenn eine Frau sich solche Mühe mit ihrem Aussehen gab, ihr auch Rosenwasser bekannt war.
    Sein Blick schweifte kurz an ihr nach unten, wurde vor allem von den angedeuteten Blättern gefangen, ehe er ihr nur mit demselben falschen Lächeln, das alle heute erhielten, zunickte. “Besten Dank für deine Wünsche, Iunia.“
    Seine Angetraute jedoch schien noch nicht mit dem Persönchen fertig zu sein. Natürlich bemerkte Sextus den Tonunterschied in ihrer Stimme. Das war der Ton, bei dem bei einem Mann mit gesundem Verstand sämtliche Alarmglocken laut losschrillten. Achtung! Explosionsgefahr! Alle Mann in Deckung! Schutzbekleidung nicht vergessen!
    Er sah kurz unbeteiligt zu Nigrina hinüber. Die Iunia war ihr Gast, er hatte sie nicht eingeladen. War das nur ein Akt kleinlicher Rache gewesen, oder war seine Frau so leicht eifersüchtig zu bekommen? Letzteres könnte sich zum Problem in Gesellschaft entwickeln, denn immer lief irgendwo eine Frau auf einer Feier herum, die vermeintlich hübscher als die gerade mitgenommene Begleitung war. Und dann an ein garstiges Weib gefesselt zu sein, das nur vor Eifersucht so spritzte, war selten politisch förderlich. Eine hohle Nuss, die brav lächelte und einfach nur hübsch war, half meist mehr. Aber er würde sicher nicht den Fehler begehen, sich hier einzumischen. Er hing an seinem Leben.

    Zitat

    Original von Flavia Nigrina und Manius Tiberius Durus


    Nachdem sein Schwiegervater in spe sich nun mit den besten Wünschen verabschiedet hatte und sich selbst ins Getümmel stürzte, folgten auch gleich die ersten Gratulanten. Natürlich ließ sich sein Patron nicht nehmen, sich direkt unter die ersten Gratulanten zu gesellen und ihnen seine besten Wünsche zu übermitteln. Sextus gab sich dankbar und geehrt, wenngleich ihm die Vorstellung, bald schon ein schreiendes Kind um sich zu haben, nicht gefiel. Und mochte es noch so sehr ein Erbe sein und sein Kind, es war ein schreiendes, kleines Wesen, das den Körper seine Vorzeigefrau deformieren würde. Er selbst hatte es damit nicht so eilig, aber er konnte sich schon denken, woher dieser Wunsch beim Tiberier rührte.
    “Ich danke dir herzlich für die Glückwünsche. Und ich hoffe, dass dir dieses Glück auch vergönnt sein möge.“ Was ja dank Laevinas eigensinniger Flucht nicht funktioniert hatte. Aber Sextus blieb ganz ruhig und freundlich, als er ungerührt fortfuhr. “Und ich hoffe, dass du die Feier genießt. Da fällt mir gerade ein, hattest du schon das Vergnügen, meine Cousinen kennen zu lernen? Zwillinge, Aurelia Narcissa und Flora. Narcissa soll dem Kaiser als Vestalin vorgeschlagen werden, so er sie annehmen mag.“ Sextus hoffte, dass sein Patron schnell genug verstand, was der Aurelier hier gerade durch die Blume ansprach. Flora war noch zu haben. “Ich fürchte nur, ich kann mich heute nicht selbst ausreichend um die nötige Unterhaltung der beiden kümmern bei den vielen Gästen.“
    Wenn das mal keine Glanzvorlage war. Sextus wusste, dass Corvinus mit dem Tiberier schon gesprochen hatte, ihm gegebenenfalls einen Ersatz für Laevina anzubieten. Auf so einer ungezwungenen Feier wie dieser konnte er ja eine der noch ledigen Aurelierinnen kennenlernen und sehen, ob sie denn gefiele. Und das käme Sextus bei seinen momentanen Planungen doch sehr gelegen. Die Aurelier brauchten wieder eine profunde Bindung zu den Tiberiern.

    Gespräche begannen sich zu entwickeln, die aber allesamt Sextus nicht betrafen. Hatte er aber auch nicht erwartet. Wie er bereits festgestellt hatte, war er hier der kleine Fisch in einem großen Haifischbecken. Und selbst, wenn diese Haifische hier so taten, als hätten sie Plüschzähne, es blieben Haifische. Und auch, wenn Sextus sicher kein Karpfen war, gab er sich erst einmal stumm wie einer und hörte zu. Wann schon konnte er mehr lernen und mehr hören als in den folgenden Stunden?
    Die Themen waren weitläufig. Da war zunächst einmal das der Religion. Nach Corvinus' Tod wurde also ein neuer Pontifex gesucht – was nicht weiter verwunderlich war – und nun wurde über einen Nachfolger spekuliert. Das Thema war nicht weiter verwunderlich, war sein Patron doch Pontifex pro magistro und der ebenfalls anwesende Flavius Gracchus ebenfalls im Collegium. Die Namen allerdings waren dann doch interessanter als erwartet. Piso. Sein Schwager in spe. Gut, dass Sextus seine Emotionen wie seine Gesichtszüge unter Kontrolle hatte, sonst hätte er wohl einen Hauch von Genugtuung gezeigt, als der Flavier durch Durus verworfen wurde. Der andere Mann war ebenfalls interessant. Sextus kannte den Senator nicht persönlich, nur seinen Namen, und diese Geschichte hier rundete das ab, was er dem Marktgerede bereits entnommen hatte. Neuerdings schienen sich alte und obskure Kulte wieder größerer Beliebtheit zu erfreuen. Und wo gerade das Thema so schön war, kam der Annaer auch gleich auf Tiberius Dolabella zu sprechen.
    Sextus lehnte sich ein wenig zu seinem Patron – es war wirklich nützlich, dass sie nebeneinander Platz genommen hatten – und klärte ihn leise auf, hoffentlich ohne dabei seine Aufmerksamkeit von den Tischgesprächen abzulenken. “Patron? Ich nehme an, du weißt, dass dem Cultus Ishtaris nachhängt? Er ließ so etwas bei seiner Bewerbung bei den Salii Palatini verlauten...“ Sextus nahm an, dass sein Patron darüber Bescheid wusste. Wobei er sich nicht ganz sicher war, und bevor er hier von einem Senator unvorbereitet darauf angesprochen wurde – wo es gerade schon um Hausdurchsuchungen und die Zerstörung von privaten Schreinen ging – nahm er es lieber auf sich, von seinem Patron einen Rüffel zu erhalten, weil er nicht verstanden hatte, dass der Tiberier sich dumm stellte und nichts davon wissen wollte. So oder so, es war ein Risiko, aber lieber, sein Patron unterschätzte seine Fähigkeiten ein wenig, als dass er wütend war, weil er nicht informiert war. Wenn man unterschätzt wurde, konnte man schließlich positiv überraschen.


    Sextus nahm sich ein Ei und lauschte auch dem anderen Gesprächsfaden. Politik. Macer gab sich bescheiden, was seine Ziele anging. Oder aber, er wollte sie schlicht nicht hier ausbreiten, was auch verständlich war. So lief er nicht Gefahr, dass jemand hier in der Runde aktiv Bestrebungen unternahm, ihn zu boykottieren.
    Sein Cousin schließlich erhielt Tipps, wie man sich am besten Namen merken konnte. Interessante Idee, die der Claudier da vorbrachte. Zum Glück war Sextus mit einem hinreichend guten Gedächtnis geboren, wobei die Vorstellung einer Karikatur jedes Senators wirklich etwas amüsantes hatte.
    Dann jedoch wurde Sextus hellhörig, als der Vinicier meinte, die Rechte des Senats würden beschnitten. Natürlich war die Anspielung leicht zu durchschauen. Gerade als Patrizier musste man ja schon fast wissen, wer damit gemeint war. Nur hatte Sextus nicht gedacht, dass dies hier in diesem Rahmen auch angeschnitten werden würde. Und ob das Thema verfolgt werden würde, war die noch weitaus brisantere Frage.

    Und wieder ein weiterer Schritt auf dem Weg hin zu mehr Macht geschafft. Und im Endeffekt war es doch leichter gefallen als angenommen. Zwar fühlte er nach wie vor kein Verlangen, sich an irgendwen zu binden, erst recht an keine Frau, aber wenn es ihm die Vorteile verschaffte, die er genießen wollte, so war ihm das durchaus recht. Und wenn es nur bedeutete, dass die Flavier bei der kommenden Wahl ihren Einfluss für ihn geltend machen würden und er so den angestrebten Posten erhalten würde. Und vielleicht heute noch den Haruspex Primus, den er bereits erspäht hatte, auf seine Seite zu ziehen.
    Doch zunächst einmal galt es, sich mit Nigrina sämtlichen Gratulanten zu stellen, die sich nun einstellten und der Flavia eventuell ein Geschenk überreichen mochten, so sie das nicht geflissentlich vergaßen oder aber bereits beim Ianitor abgegeben haben mochten.

    Eine Augenbraue verweilte leicht hochgezogen während der gesamten Prozedur, selbst noch als sie lächelte und einwilligte. Letzteres war wohl keine große Überraschung, wäre jede Weigerung an dieser Stelle doch mehr als ein Lapsus gewesen und hätte sowohl sie als auch die Flavier auf absehbare Zeit dem Gespött der Leute preisgegeben. Nein, zumindest insoweit war seine Frau wohl politisch akzeptabel, dass sie die Vorteile des Bündnisses wohl würde zu schätzen und selbiges zu pflegen wissen. Die Augenbraue hingegen war ein Novum, das Sextus nicht eindeutig zuzuordnen vermochte. Sie verriet eine gewisse Skepsis, doch zu was nun im Einzelnen, das zuzuordnen vermochte der Aurelier nicht. Selbst die Weisen vermochten nicht die Gedanken von Frauen zu lesen. Vermutlich, weil sie selten in denselben Sphären beheimatet waren, aber das war wiederum eine Frage für ein philosophisches Gespräch.
    Kurzum: Sextus hatte keine Ahnung, was genau ihr nicht ganz passte, aber solange sie mitmachte, war es ihm auch im Großen und Ganzen egal. Er steckte ihr also für alle sichtbar den Ring an den Ringfinger der linken Hand. Er ließ ihr und dem Publikum einen Moment Zeit, den Ring in all seiner Pracht zu bewundern, ehe er einen Schritt näher trat. Schließlich galt es noch eine Kleinigkeit zu erledigen, um der Verlobung Gültigkeit zu verleihen. In zeitgenössischen Schriften würde es heißen 'Umarmungen und Küsse wurden getauscht', aber ganz so kaltschnäuzig rational ging Sextus die Sache doch nicht an. Eine Hand griff ihr an die Taille, die zweite sanft an den Nacken, ohne sie festzuhalten. Der Kuss war zwar dem Rahmen entsprechend kurz und nicht zu innig, aber eindeutig mit der Verheißung auf mehr und lange genug, um zu registrieren, ob sie ihn zurückküsste. Als sie sich lösten, blieb sein blick noch einen Moment schweigend bei ihren Augen. Die 'Na, schon gespannt, wie es weitergeht'-Frage stellte er angesichts der Zeugen erstmal nicht. In seinem Blick aber lagen eindeutige Zeichen, dass das noch nicht das Ende der Jagd war. Nur einmal ein erstes Blutlecken.


    “Und natürlich verdient meine Verlobte noch ein Geschenk, mit dem ich meine Wertschätzung ausdrücken möchte.“ Natürlich bekam sie noch ein Geschenk. Heute würde sie wohl unzählige bekommen. Nur seines war eben das erste, das sie bekam, und jeder würde es sehen wollen.
    Und er hatte sich schwer überlegt, was er ihr schenken sollte. Es sollte protzig sein, aber nicht zu protzig. Es sollte an ihre kleine Unterhaltung im Theater erinnern, aber nicht zu sehr und vor allem nicht für andere erkennbar. Kurz hatte er überlegt, seinem neuen Preispferdchen ein eben solches zu kaufen, nur stellte sich direkt darauf die Frage, was eine Frau denn bitte mit einem Pferd anfing, noch dazu mit einem Rennpferd. Verschwendung in Ehren, aber das war doch zu dekadent. Und zu unnütz. Und es würde Gerede hervorrufen. So blieb nur das unverfängliche Feld des Schmucks. Und hierbei hatte Sextus, als er sich verschiedene Goldschmiede ins Haus hatte kommen lassen, auf dass sie ihm ihren Tand andrehten. Und daher bekam Nigrina eine besondere Einzelanfertigung.


    Ein weiteres Kissen wurde wie aufs Stichwort herbeigebracht, und darauf lag eine goldene Brosche. Durch eine geschickt angebrachte Öse mochte man sie auch als Kette um den Hals tragen, oder eben das ein oder andere Kleidungsstück mit ihr verzieren. Seine Frau würde dafür schon Verwendung finden, ansonsten würde sie das massive Gold hoffentlich als wertvoll genug erachten.
    Mit filigranen Details versehen hatte die Brosche die Form des Chiron, des nobelsten der Centauren. In den Händen hielt er einen fein gearbeiteten Bogen, den Pfeil nur halb angelegt und nicht durchgespannt, die Haltung des Pferdekörpers stolz. Sextus hatte die Idee passend gefunden, war Chiron doch nicht nur Lehrer des göttlichen Hercules ebenso gewesen wie des großen Achilles. Er war auch hervorragender Bogenschütze, so dass sich die Gelehrten nach wie vor nicht ganz einig waren, ob das Sternbild Sagittarius nun ihn oder doch einen anderen Centauren darstellte. Und so verband das Wesen 2 Dinge in perfekter Harmonie miteinander: Jäger und nobles Pferd – wenngleich Nigrina das letztere keinesfalls verstehen würde.
    “Für meine schöne Jägerin den Meister der Schützen“, flüsterte er ihr leise und mit einem schelmischen Ausdruck in den Augen zu. Erst danach wandte er sich lauter an die Gäste und an Aetius als Gastgeber.
    “Nun, Aetius, ich glaube, wir haben unsere armen Gäste genug auf die Folter gespannt. Nachdem das Offizielle nun abgeschlossen ist, erlaubst du, dass ich deine Tochter unter die Gäste entführe? Ich will ein wenig angeben.“ Laut und schalkhaft genug vorgetragen, um als Scherz durchzugehen – und es wurde auch mit einem Lachen der Gäste beantwortet – und doch genug Wahrheit darin, um selbstironisch zu sein. Und im Grunde fehlte nur das offizielle Einläuten des lockeren Teils (bei welchem Sextus aber dennoch das ein oder andere Geschäftliche noch abzuschließen gedachte).

    Es hatte durchaus etwas amüsantes an sich, zu sehen, wie Druck sich auf einzelne Gemüter auswirkte. Der Pompeier war nach wie vor geradezu aufgekratzt und mühte sich, die Sache aktiv voranzutreiben. Vala, der selbst fast nichts von sich preisgab, schien nun auch der Spannung zu erliegen und ging zum direkten Angriff über. Entweder man war für die Sache, oder man konnte gehen. Natürlich packte er einen damit bei der Ehre, und um den Schein nach außen zu wahren und nicht als Feigling dazustehen blieb den Männern nun kaum mehr übrig, als zuzustimmen. Zumindest, wenn man auf die persönliche Ehre irgendeinen Wert legte und diese nicht wie jegliche Tugend als veränderliche und durchaus verkäufliche Größe ansah.
    Dann war da der Claudier, der sich erst stark an den Quintilier gehalten hatte und mit seinen kleinen Äußerungen doch so informativ gewesen war. Und im Grunde sagte er dasselbe, was Sextus ebenfalls schon gesagt hatte: Wenn sie einander aufgrund von Unkenntnis schon nicht trauen konnten, so konnten sie wenigstens darauf vertrauen, dass ihr gemeinsamer Bekannter nicht vorschnell gehandelt hatte. Nun blieben nur noch er und der Quintilier, die sich noch nicht eindeutig gemeldet hatten.
    Sextus war niemand, der sich Gruppenzwang hingab. Und er war auch niemand, der wartete, bis alles vorbei war, und damit Gefahr lief, als Opportunist zu gelten (obwohl er einer war). Von daher war es jetzt an der Zeit, doch etwas zu sagen. Sicher nicht so überschäumend wie der Pompeier, aber doch Zustimmung bekundend. “Eine Zusammenarbeit klingt recht vielversprechend. Ich bin dabei.“ Mehr gab es zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu sagen. Mehr war auch wohl nicht wirklich wichtig.

    Na also, ging doch. Sextus ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken, als der Senator endlich seine Unterstützung zusagte, sondern blieb weiterhin höflich distanziert und nickte nur einmal ganz leicht. “Das ist mehr, als ich erwarten durfte, ehrenwerter Senator. Ich danke dir.“
    Er wollte nicht den Eindruck erwecken, nun nach erfolgter Zusage gleich flüchten zu wollen, daher wartete, ob Sedulus noch etwas vorzubringen wusste. Ansonsten war es auch das Privileg seines Gastgebers, auf die Zeit zu verweisen oder ähnliches und damit den Abschied einzuleiten. Sextus war hier schließlich der Bittsteller und niemand, der schlicht eine Forderung durchsetzte.

    Sextus war mit dem ihm zugewiesenen Platz mehr als nur zufrieden. Direkt neben dem Gastgeber (natürlich nicht auf dem Ehrenplatz, sondern auf der anderen Seite) und zwischen ihm und seinem Sohn. Subtiler konnte Durus ihn nicht in eine vorteilhafte Position bringen. Als Sextus sich also auch den Klinen zuwandte, beantwortete er die Frage. Zumindest zwei der Senatoren, darunter auch denjenigen auf dem locus consularis, kannte Sextus bislang noch nicht, da galt es, Stimmen zu gewinnen.
    “Das ist richtig. Ich hoffe, dass der Senat meinem Wunsch nachkommt und ich in der nächsten Amtszeit als Decemvir litibus iucandis dem Imperium dienen kann.“
    Vielleicht hätte er gleich noch einen Hinweis anfügen sollen, dass die Herren Senatoren ihm dabei behilflich sein konnten, aber das erschien ihm eine Spur zu aufdringlich. Der Abend würde noch länger werden, und am Ende desselben sollten die Senatoren einen positiven Eindruck von ihm im Gedächtnis behalten. Abgesehen davon, dass er sich mit dem ebenfalls angesprochenen Purgitius Macer bereits über das Thema unterhalten hatte und dieser hoffentlich die zugesagte Unterstützung auch gewähren würde.

    Die ehrliche Antwort wäre gewesen: Durch Bestechung, indem ich meinen Verwandten auf der Tasche liege und die Mitgift meiner Frau. Die politisch korrekte Antwort fiel etwas hervorzeigbarer aus.
    “Natürlich, andernfalls würde ich eure Zeit nicht in Anspruch nehmen. Ich denke, der Senat hat besseres mit seiner Zeit anzustellen, als jeden Mann Roms anzuhören. Ich kann auf genügend monetäre Rücklagen, nicht zuletzt durch die Unterstützung meiner Verwandtschaft, zurückgreifen, um mich den mir gestellten Aufgaben mit der vollen Aufmerksamkeit zu widmen. Sofern der Senat geneigt ist, meinem Ansinnen zuzustimmen.“