Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Nein, das hatte sie nicht gehört. Sextus war sich sehr sicher, dass sie nur böse war, weil sie es nicht verstanden hatte. Er hatte zu leise gesprochen, er war doch kein Hornochse, der eine Frau durch so etwas verärgerte. Dennoch erntete die Flavia ein entschuldigendes Lächeln und eine leichte Verbeugung, auch trotz ihres kichernden Anfalls und obwohl die Tiberia ihn in seine Schranken verwies. Nunja, so ein wenig zumindest, immerhin konnte sie ihm kaum hier im Atrium nach einem fünf minütigen Gespräch gleich erliegen und sich ihm auf der Kline hingeben. Auch wenn die Vorstellung etwas hatte. Vor allem, wenn die Flavia auch mitmachen würde... Doch man sollte sich von solchen Träumereien nicht vom wesentlichen ablenken lassen. Erst einmal galt es nur zu verführen. Die Früchte dieser Arbeit zu genießen musste er so oder so auf später verschieben, sofern diese überhaupt reifen würden. Doch momentan sah es damit doch schon besser aus als noch vor einigen Momenten.
    Septima war die erste mit einem Wunsch. Vorlesen sollte er. Vier Jahre Ausbildung in Rhetorik, dazu unzählige Stunden bei verschiedensten Rhapsoden und Gelehrten, um aus ihm einen gebildeten, jungen Patrizier zu machen. Und nun sollte er vorlesen. Ja, das wäre wohl im Bereich seiner Fähigkeiten. Er wollte gerade mit einer eleganten Verbeugung anfragen, welches Werk denn den Damen genehm wäre, als Celerina mit der verfeinerten Version dieses Wunsches aufwartete. Füße massieren und auswendig etwas aufsagen. Letzteres gestaltete sich recht einfach, denn um die Herzen der Frauen zu betören, entlieh man sich hier und da schon einmal einen Vers eines Dichters. Ersteres stellte Sextus vor ein kleines Problem.
    Nein, nicht moralischer Art. Nur zu gern würde er seine Hände über die Füße dieser Damen gleiten lassen, und auch ein wenig höher. So hoch sie es eben zuließen, wobei die Grenze eher eine Frage der Zeit war. Wenn eine Frau sich so wohl fühlte, dass sie anfing, zu schnurren wie ein Kätzchen, schaltete sich im gleichen Maße ihr Gehirn einfach ab, und sie ließ sich immer mehr berühren, nur damit man nicht aufhörte, sie zu streicheln. Damit hatte er schon durchaus gute Erfahrungen gemacht.
    Sein Problem war eher physikalischer Natur, da der durchschnittliche Mitteleuropäer nur mit zwei Armen – und zahlenmäßig übersichtlich Beinen – ausgestattet war. Wohl weil die Massage von vier Frauenfüßen gleichzeitig nicht im Bauplan einer sonst sehr vorausschauenden Evolution enthalten war. Wie also sollte er das bewerkstelligen, ohne dass eine der Damen sich vernachlässigt fühlte?
    “Nun, gerne will ich den wünschen nachkommen. Nur wie soll ich armer Tor entscheiden, mit welcher Grazie ich beginnen soll? Ich fürchte, meine Damen, ihr stellt mich vor eine Wahl, die ich unmöglich entscheiden kann, und euch beide nur halbherzig zu massieren käme mir nie in den Sinn. Nein, solche Schönheiten wie ihr verdienen nur das beste. So fürchte ich, müsst ihr euch entscheiden, mit wessen Füßen ich beginnen soll, oder aber, wir nehmen doch die Hilfe weiterer Diener in Anspruch.“
    Bedauernder konnte ein Gesichtsausdruck kaum sein als jener, den Sextus den beiden Damen zuwarf. Aber er würde nicht den Fehler begehen und hier eine Reihenfolge der Damen festmachen. Streit war das letzte, das er gebrauchen konnte, zumindest keinen, den er ausgelöst hatte. Auch wenn nicht auszuschließen war, dass die beiden Damen nichts desto trotz zankten. Wenngleich er sich nicht ganz vorstellen konnte, dass er bereits eine so besitzergreifende Wirkung auf eine der beiden erzielt haben sollte.

    … war ebenso binden wie jeder Eid. Und Sextus hatte seines nun einmal gegeben. Nicht uneigennützig, natürlich nicht. Alles auf dieser Welt hatte seinen Preis, sein Wort inbegriffen. Und er würde sich die potentielle Macht, die er durch Einlösung eben jenes Wortes erhielt, sicher nicht entgehen lassen.
    So also war er am nächsten Tag hier erschienen, fein aber nicht übertrieben hergemacht. Immerhin befand man sich im Haus und nicht im Plenarsaal der Curia. Die Toga war für draußen bestimmt zum herzeigen, nicht für einen kleinen Plausch unter Verwandten. Und nach einem solchen sollte das Ganze ja aussehen, nichts Wildes eben. Nur die Nachbesprechung des gestrigen Theaterabends, von dem Corvinus ja wusste, dass er und Prisca hingegangen waren. Wie man das eben als anständiger Begleiter so macht beim Tutor der Begleitung.


    Sextus hatte den Sklaven von Corvinus gefragt, Prygius oder wie der hieß. Wer merkte sich schon die Namen von sprechendem Inventar? Und sein Vetter war gerade in seinem Büro anwesend, allein und mit genug Zeit für diesen Plausch ausgestattet. Sextus wollte schließlich nicht mit einem 'Keine Zeit, komm später wieder' abgebügelt werden, um dann am Ende mitansehen zu müssen, wie der Flavier alles verdarb, indem er selbst tätig wurde, ehe Corvinus dafür vorbereitet war. Nein, Sextus war Taktiker, kein Spieler. Und er ließ sich seine Pläne nicht von Ungenauigkeiten durchkreuzen. Nicht mehr, als unbedingt unabänderlich war.


    Die Tür war nur angelehnt und nicht geschlossen, und so horchte er einen kurzen Moment, ob Corvinus auch wirklich zugegen war. Einen Herzschlag später öffnete er die angelehnte Tür leicht und klopfte in den Türrahmen, um auf sich aufmerksam zu machen.
    “Ich störe doch nicht, Marcus?“, meinte er in seiner bekannt charmanten Art und deutete mit einem Nicken kurz in Richtung des Schreibtisches. Nachdem dieser ihn schon vor einer Weile mit Praenomen benannte, versuchte sich Sextus nun im Gegenzug an seinem.

    Von Priscas Befürchtungen bekam Sextus nichts mit. Wieso auch? Für ihn war sonnenklar, dass er diesen Gefallen dann einbringen würde, wenn es ihm am meisten nützte. Folglich konnte es nur ein Gefallen politischer Natur sein, denn alles Private würde sich auch so ergeben. Und bis zu diesem Zeitpunkt, wenn er ihn einforderte, würde Prisca nichts weiter von ihm denken können, als dass er ihr völlig selbstlos einen Gefallen erwiesen hätte. Nur für sie, weil sie ja so bezaubernd war. Sextus gefiel diese Vorstellung zunehmend besser und besser. Nun musste er nur noch seine Talente dafür einsetzen, Corvinus soweit zu erweichen, dass er darüber nachdachte.
    Erst Priscas Zögern riss ihn einen Moment aus seinen Überlegungen, die er mit kühler Effizienz vorantrieb. Was war denn jetzt schon wieder kaputt? Konnte sie mit einem Kerl, dem sie einen Korb gegeben hatte, nicht eine Sänfte teilen, oder wo lag das Problem? Oder aber erwartete sie von ihm, dass er bettelnd ankam? Einen Blick auf ihre rückwärtigen Rundungen werfend kam Sextus diese Idee auch sehr verlockend vor, aber nein. Am Ende echauffierte sie sich nur über seine aufdringliche Art und Weise und stieß ihn wie Hercules den Faunus mit einem kräftigen Stoß auf die Straße. Nein, hier gab es nur wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Sextus war ein Taktiker, kein Spieler. Und vor allem bediente er nicht oder lief einer Frau hinterher wie ein Hundchen.


    Einen letzten Blick auf ihr wohlgeformtes Hinterteil werfend, das sie ihm so bereitwillig präsentierte, zuckte er mit den Schultern und stieg ebenfalls in die Sänfte – gegen die Laufrichtung der Träger. Mit dem Kopf am Fußende war es gewiss nicht ganz so bequem wie andersherum, aber es bot weitaus mehr Platz als wenn er sich zu Prisca direkt dazugesellt hätte. Die hatte ja den Großteil der Sänfte für sich beansprucht, beinahe schmollend mochte man meinen. “Edle Göttin, gewährt ihr mir ein Kissen?“ fragte er sanft und ruhig, während die Träger die Sänfte anhoben und mit trippelnden Schritten vorwärts bewegten. Kurz zuckte es in seinem Mundwinkel, als er sich vorstellte, wie sie wohl reagiert hätte, hätte er sich wirklich direkt hinter sie gelegt und selbe Frage in ihr Ohr gehaucht. So ganz mochte er ihr ihre Entrüstung nicht abnehmen, dazu hatte sie zu bedauernd geklungen. Und dieser mitleidige Ton in ihrer Stimme, ehe sie ihm ihren Schwur geleistet hatte, war es auch, der ihn diesen Krieg noch nicht verloren geben ließ. Diese Schlacht mochte er vielleicht nicht mehr gewinnen, aber wer wollte schon voraussagen, was der nächste Tag da noch offen hielt?

    Tarpejischer Felsen? Einen Moment lang schaffte es Prisca tatsächlich, Lupus aus dem sorgfältig zurechtgelegten Konzept zu bringen. Warum sollte sie jemand vom tarpejischen Felsen werden, wenn sie...? Ach nein, sie dachte, es sei Inzucht? Innerlich lachte Sextus auf, wenngleich er äußerlich seinen bedauernden Gesichtsausdruck beibehielt.
    “Oh, Göttin, liebste Göttin, ich fürchte, in so manchem Spiel steckt mehr Leben, als man es gleich sieht.“ Er sollte Schauspielunterricht geben. Wenn dieser Berufsstand nicht absolut indiskutabel wäre, hieß das. Jeder, der mit ihnen engere Bindungen hatte, wurde nicht umsonst von allen Ämtern ausgeschlossen. Dennoch blieb die Tatsache, dass Sextus wohl begabt wäre, denn noch immer blieb sein ganzes Gebaren bedauernd. Kurz überlegt er, sie gleich über die Gesetzeslage aufzuklären und darüber, dass sie viel zu entfernt verwandt seien, als dass es eine Rolle spiele. Bei Iuno, wenn ein Caesar Claudius seine eigene Nichte ehelichen konnte, dann konnte er doch wohl mal ein paar süße Stunden mit Prisca verbringen. Aber er beließ es erst einmal dabei. Sollte sie in dem Glauben bleiben, dass es nicht ginge, sollte sie sich vielleicht ein wenig am Reiz des Verbotenen nähren. Sollte sie eine Sehnsucht nach ihm entwickeln, die er auch weiterhin schüren würde, wenn sie ihn ließ und nicht in den schwülstigen Phrasen des Flaviers unterging. Und dann konnte er ihr vielleicht doch eröffnen, dass es durchaus alles möglich war, so sie nur wollte. Vielleicht.


    Aber das hatte Zeit, das war nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Das, was Sextus eigentlich wollte, wurde ihm gerade auf dem Silbertablett angereicht. Sie schwor, auf Iuppiters Stein. Gut, mit der Einschränkung, dass sie sich nur dann daran gebunden fühlte, wenn sie Piso heiraten würde, aber was nützte ihm auch sonst diese Zusage? Ihm ging es ja nicht um die Macht, die sie unter Umständen haben würde – die ja ohnehin nur in Einfluss auf ihren Mann bemessen werden konnte – sondern um die Macht, die der Flavier vielleicht erhielt. Wenn er denn den nötigen Grips für die Laufbahn als Politiker offenbarte, was im Moment die größte Variable in Sextus Gleichung darstellte.
    “Wie könnte man mit dem Trostpreis zufrieden sein?“ meinte Sextus, noch immer in seiner Rolle als eifersüchtiger Verlierer bleibend und sah Prisca einmal leicht leidend an. Gerade so viel, dass sie es sehen konnte, aber nicht so viel, als dass man den Eindruck eines geprügelten Hundes bekommen könnte. Dafür war er dann doch zu stolz. Kein Kerl jammerte so herum, schon gar nicht in der Öffentlichkeit und erst recht nicht wegen Sex, den man auch anders bekommen konnte. Schon zweimal nicht, wenn man es realistisch aussehen lassen wollte. “Aber ja, dein Schwur genügt mir. Ich werde morgen früh mit ihm reden und mein bestes versuchen. Ich hoffe, dein Galan weiß das zu schätzen.“ Das wiederum hoffte er wirklich. Wenn er schon nicht die Freuden einer ordentlichen Feindschaft genießen konnte, dann wollte er wenigstens, dass der Flavier wusste, wem er sein Glück zu verdanken hatte. Und es wäre ihm sogar nicht unrecht, wenn er den Preis erfahren würde. Ein Schwur auf Iuppiters Stein war bindend, nichts verwerflicher, als diesen zu brechen. Und er glaubte nicht, dass Prisca derart abgebrüht war, den Gott wirklich herauszufordern, indem sie ihr Wort nicht hielt. Im Großen und Ganzen war er also durchaus sehr zufrieden mit ihrer Aussage.


    “Möchtest du den Rest laufen, oder wollen wir die armen Sänftenträger davon erlösen, uns einfach nur hinterherzulaufen?“ Die Frage war leicht und unschuldig gestellt. Sie waren die halbe strecke schon fast gelaufen, und Sextus war gewiss nicht lauffaul. Aber es war einfach nicht standesgemäß, außerdem, wozu hatte man denn die verdammte Sänfte sonst mitgenommen? Und natürlich bot sich so die Möglichkeit, dass Prisca ihre Meinung vielleicht doch noch einmal änderte, was gegenseitige Nähe anging.

    Erst, nachdem er sie freigab, drückte sie ihn ganz sanft von sich. Nicht etwa zornig oder energisch, sondern nur ganz leicht. Einen Augenblick hielt Sextus noch dagegen, blieb über ihr wie ein über seiner Beute kauernder Wolf, ehe er sich zurückschieben ließ. Sein Blick, der unablässig auf Priscas Augen ruhte, war aber noch immer durchdringend und ganz auf sie fixiert. Ganz so, als gäbe es die restliche Welt nicht.
    “Ich dachte, ich bin dein Mercurius? Du, meine Göttin, könntest es gewähren, wenn du es wolltest.“
    Sextus war weit entfernt davon, darum zu betteln. Und viel weiter war er davon entfernt, etwas für Prisca zu empfinden. Sie war eine Beute, ein Preis, den es zu erringen galt. Sie war schön und sie war verboten. Es wäre aufregend, sie einmal zu besitzen. Vor allem, wenn dieses eine Mal noch vor ihrer Ehe wäre. Aber weder würde es ihn in Verzweiflung stürzen, wenn er sie nicht bekäme, noch fühlte er etwas für sie als Person. Zumindest nicht genug, um sich nicht einfach heute Nacht mit einer Sklavin zu trösten. Und das würde er.


    Sie hingegen flehte ihn fast an, er solle ihr sagen, was er als Preis haben wollte. Die Sänftenträger hatten unterdessen aufgeschlossen und standen etwas zweifelnd zwei Schritte entfernt von ihren Herrschaften. Sie wussten nicht so recht, was sie tun sollten, und bemühten sich, nichts mitzubekommen, was dort weiter geschah. Als Sklave lebte man am längsten, wenn man nichts hörte und nichts sah und daher auch nichts sagte. Dennoch war dies noch ein weiterer Stolperstein, den Sextus nicht außer Acht lassen konnte. Er konnte sie nicht einfach nehmen, egal ob sie ja oder nein dazu sagte. Wenn es denn geschehen sollte, dann ging das nicht auf dem Heimweg vom Theater, sondern bedurfte besserer Planung. Was wiederum hieß, dass sie freiwillig zu ihm kommen musste und es wollen musste. Sextus war nicht so verrückt, für diese Frau seine Karriere zu riskieren.
    “Du weißt, was ich von dir will. Aber ich will es nicht als Bezahlung, und erst recht nicht dafür, dass du einen anderen Mann heiratest.“ Eine gute Lüge erforderte immer eine Erklärung ihrer selbst, die der andere sowohl logisch als auch emotional erfassen konnte. Sollte Prisca denken, dass er wirklich etwas für sie empfand. Sollte sie denken, er sei eifersüchtig. Wenn sie das annahm, nahm es ihr die Gelegenheit, wirklich wütend auf ihn zu sein und schloss Rache weitestgehend aus.


    Sextus ließ endgültig von ihr ab und trat einen Schritt von ihr zurück. Er schwieg eine Weile und sah sie einfach nur an. Er überlegte. Was wollte er eigentlich? Die Antwort auf diese Frage war recht simpel: Macht. Im lag nichts an Eroberungen oder an Freundschaften. Nicht übermäßig. Nur Macht zählte. Und hatte Prisca in dieser Beziehung irgend etwas zu bieten, was ihm nützen würde? Einfluss, den er ohne sie nicht hätte? Einfluss, den sie noch erlangen würde in ihrem Leben, als Frau des Flaviers?
    Sextus wusste, wenn er jemals etwas von ihr fordern wollte, musste es jetzt sein. Dieser Moment war der einzige, den er erhalten würde, in diesem Moment hatte er sie so vollkommen in der Hand wie wohl nie wieder. Die Frage also war, was sie ihm letztendlich bieten konnte, denn was immer er verlangte, sie würde es ihm geben müssen. Es wäre ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte.


    Er seufzte schließlich, und es klang ehrlich. Die Schauspieler auf der Bühne vorhin hätten von ihm noch einiges lernen können. “Gut, aber unter einigen Bedingungen.“
    Sextus bewegte sich weiter in Richtung ihres Zuhauses, wartete, dass Prisca aufschloss. Seine Worte mussten wohl gewählt sein. Sie musste ihm abkaufen, dass er es ihr zuliebe tat und sich nur absichern wollte. “Ich kann nicht garantieren, dass Marcus auf mich hören wird. Du weißt selbst, wie er zu dem Flavier steht.“ Das sollte von Anfang an klar sein. Nicht, dass sie am Ende dachte, sie schulde ihm nur etwas, wenn er Erfolg hatte. “Du und der Flavier, ihr seid mir einen Gefallen schuldig. Ich werde ihn nicht gleich einlösen, aber wenn ich ihn einfordere, und das schwörst du mir auf Iuppiters Stein, wirst du alles daran setzen, den Gefallen zu erfüllen. Und du wirst auch den Flavier dazu bringen, es einzulösen. Ganz gleich, was es ist.“ Es war nicht mehr und nicht weniger als die Forderung, dass sie ihm vertrauen musste, dass der Gefallen nicht unmöglich oder gefährlich für sie wäre. Aber eines war klar, Sextus würde sich diesen Gefallen gut aufheben. Der Flavier stand einige Stufen über ihm auf der Karriereleiter, und es würde sicher eines Tages eine politische Entscheidung anstehen, bei der Sextus ihn brauchen würde. Es war die perfekte Gelegenheit, sich so jemanden zu sichern, der nicht offen gegen ihn Partei ergreifen konnte, weil er durch einen Schwur gebunden war. Selbst, wenn nur Prisca schwor und der Flavier sich darauf nicht einlassen würde. Sie würde es nicht brechen können. “Schwör es, und ich werde im Gegenzug das tun, was in meiner Macht steht, damit Marcus der Ehe zustimmt.“
    Solch ein Gefallen war mehr wert als das kurzfristige Vergnügen, den Flavier beim Scheitern zu beobachten. Und wenn sie nicht zustimmte, konnte er das noch genießen. Im Grunde konnte er nur gewinnen.

    “Oh, schade, wäre DAS doch wirklich mal ein Thema, über das die Philosophen sich den Kopf zerbrechen könnten. Ist es edler, das einem auferlegte Schicksal klaglos zu ertragen oder aufzustehen und die Dinge zu ändern, die einem nicht passen? Revolutionär würde ich diesen Gedankengang gar nennen, stellt er doch die bisherige Ordnung als solches in Frage. Was dann zu der Überlegung führen würde, ob es denn wirklich eine von den Göttern so geschaffene Ordnung ist, nach der wir handeln, wie es gelehrt wurde, und ob wir als Menschen das Recht haben, über diese Ordnung quantitativ zu befinden und etwas daran zu verändern.“ Sextus gab sich weltgewandt und grübelte laut über die Implikationen ihrer Aussage. Seine eigene Meinung hierzu offenbarte er nicht, schon gar nicht Prisca gegenüber. Er war durchaus dafür, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten das beste für sich herauszuschlagen, aber er ging nicht so weit, dafür gleich die gesamte Gesellschaftsstruktur zu opfern. Nicht etwa aus moralischer Verpflichtung oder Pietät – in beiden Dingen war Sextus' Gewissen mit herrlicher Flexibilität ausgestattet – sondern schlicht, weil man eine Ordnung besser ausnutzen und kontrollieren konnte. Revolution war ungewiss, man konnte auf der falschen Seite stehen. Und stand man auf keiner Seite, konnte man auch keine Macht erlangen. Ordnung hingegen war berechenbar. Man musste nur die Schlupflöcher kennen und die gegebenen hierarchischen Strukturen zu nutzen wissen. “Wirklich schade“, schloss er scheinbar gut gelaunt sein kleines Gedankenspiel und schenkte Prisca ein freches, kleines Anheben der Mundwinkel.


    Und dann konnte er ein wundervolles Schauspiel mitverfolgen. Prisca beherrschte sich, wie nur eine Patrizierin sich wohl beherrschen konnte, aber er konnte in ihren Bewegungen sehen, dass seine Worte sie sehr wohl ärgerten. Als sie dann vor ihn trat und sich so zuckersüß an ihn wandte, spannte er schon leicht die Muskeln seiner Wange in Erwartung des Schlages, der wohl gleich unweigerlich kommen musste.
    Hermes... er war schon schlimmeres genannt worden. Mercurius war Gott des Handels und der Diebe, Schutzherr derer, die mit List und Tücke vorzugehen wussten. Und der Gott, der aufgrund seiner Beredsamkeit geschätzt wurde und sich aus jeder Situation hinaus palavern konnte. Ja, mit diesem Vergleich konnte Sextus sehr gut leben. In gewisser Weise war er treffender als jeder andere.
    Prisca stand so direkt vor ihm, und es bedurfte doch eines gewissen Maßes an Konzentration, ihr weiterhin in die Augen zu blicken und nicht die tiefen Einblicke zu genießen, die sie ihm gerade allzu bereitwillig gewährte. Aber das Spiel war zu interessant, um es durch dieses kurzweilige Vergnügen zu vernachlässigen und Prisca damit den Vorzug zu gewähren, ihn unvorbereitet zu erwischen.
    Ohrfeige in drei... zwei... eins... zählte er im Geist schon herunter, als dann auch wirklich ihre Hand vorschnellte. Eigentlich wollte er sie abfangen, aber seine Reflexe waren ein wenig eingerostet. Er erwischte ihr Handgelenk erst, als es eigentlich schon längst hätte klatschen müssen. Was es aber gar nicht tat, da sie ihn nicht geschlagen hatte. Eher... gestreichelt. Er hielt ihre Hand, so fest, dass sie sich ihm nicht einfach entwinden konnte, aber nicht so fest, um ihr weh zu tun, und lauschte ihren Worten.


    Es war eine Falle. Sextus wusste das. Es war nicht ihr ernst. Dafür war sie zu wütend gewesen, dafür war sie nicht skrupellos genug. Er hatte ihren Blick vorhin gesehen, den sie dem Flavier zugeworfen hatte, das war nicht nur ein Schauspiel gewesen. Das hier hingegen war ein Schauspiel.
    Ein kleiner Laut kam kurz über Sextus' Lippen. Der Beginn eines hohlen Lachens, nur halb belustigt, und schon im ersten Keim wieder erstickt, während er sie einfach nur ansah. Er würde, wenn sie es ließ, vieles für sie sein, aber weder ewig und schon gar nicht treu. Aber wenn sie unbedingt wissen wollte, was er von ihr momentan wollen könnte, wer war er, ihr nicht zu antworten? Es gab nur drei Regeln zum überleben. Wähle deine Feinde mit Bedacht. Finde deine eigene Wahrheit. Lass dich nie mit Drachen ein. Sie hatte die wichtigste wohl außer acht gelassen, und Sextus genoss es zu sehr, um jetzt zurückzurudern.
    Seine freie Hand fand beachtlich schnell ihren Weg zu Priscas Nacken, während die zweite noch immer ihr Handgelenk hielt. Fest und stürmisch, aber ohne ihr weh zu tun, drängte Sextus sie einfach an die nächste Wand. Die Hand in ihrem Nacken federte dabei den Stoß ab, so dass ihr Kopf nicht den harten Verputz berührte, als seine Lippen die ihren auch schon fanden. Er küsste sie leidenschaftlich, aber ohne Gewalt. Er würde sie nicht versuchen, zu zwingen, den Kuss zu erwidern oder ihm die Lippen zu öffnen. Das hatten bislang alle Frauen in seinen Armen noch von selbst getan. Die Hand, die ihr Handgelenk hielt, führte dieses etwas nach oben auf Kopfhöhe und hielt sie so an der Wand. Sein Körper drängte ganz leicht gegen ihren, ohne sie dabei aber zu ersticken. Dennoch genug, dass er ihre Rundungen durch den Stoff fühlen konnte und sich seinerseits etwas leicht regte. Sie schmeckte süß, nach Nektar.
    So unendlich die Verlockung war, sich einfach zu nehmen, wonach ihm der Sinn stand, so unmöglich war es, dies durchzuführen. Er durfte sie jetzt nicht nehmen, und er durfte sein Verlangen nicht soweit Herrschaft über seinen Körper ausüben lassen, als dass er es verdrängen könnte. Er löste den Kuss und lockerte den Griff sowohl am Hals als auch am Handgelenk, nahm seinen Körper diese Winzigkeit zurück, dass sie nicht mehr gegen die Wand gedrängt war. Sie konnte ihn wegstoßen, wenn sie wollte.
    Sein Kopf wanderte ganz leicht zu ihrem Ohr. Von ihrem Hals stieg warm der süße Duft ihrer Haut auf. Nicht das Blumenwasser, mit dem sie wohl gebadet hatte, nicht das Duftpuder, nicht der parfümierte Stoff des Kleides. Nein, ihre warme Haut, hintergründiger, tiefer, sinnlicher. “Was ich wünsche ist der goldene Apfel aus dem Garten der Hesperiden. Was ich wünsche ist Nektar und Ambrosia. Doch das gewähren die Götter den Sterblichen nicht.“ Er merkte, dass seine Zunge schwer war wie vom Wein. Dies war gar nicht so ungewollt. Sollte sie denken, dass sie ihn damit einwickeln konnte, sofern sie überhaupt bereit dazu war, dieses Risiko einzugehen und aus dem Spiel Ernst zu machen.

    “Alle Männer sind bloße Diener angesichts solcher Schönheit. Welcher Mann könnte sich schon anmaßen, über sie herrschen zu wollen?“ Sextus gab sich weiterhin charmant, selbst im Widerspruch. Und er musste der Tiberia widersprechen, denn er hatte sicherlich nicht vor, sich durch seinen Vergleich auf eine Stufe mit einem sprechenden Möbelstück zu stellen. Oder stellen zu lassen.
    Ruhig beobachtete Sextus das kleine Geplänkel zwischen den beiden Frauen. Selbst, wenn die Tiberia ihre Worte nicht so auffällig unauffällig gewählt hätte, hätte er die Ausrede mit dem Wetter nicht hingenommen. Spätestens aber bei dem Wort 'wirklich' hätte jedem aufmerksamen Zuhörer klar sein müssen, dass es noch einen weiteren Grund gab, der wohl zumindest aus Frauensicht schwerwiegender machte. Was die ganze Sache in nicht abschätzbaren Maß verkomplizierte. Nicht nur, dass hier zwei Frauen waren, die es gleichermaßen zu beachten galt, so dass keine sich vernachlässigt oder hinter die andere gestellt fühlte. Nein, es waren auch noch beides Frauen, die zumindest heute sich reichlich uncharmant und unempfänglich für eben das zeigten. Wie sonst sollte Sextus den Wink der Tiberia verstehen, sie wolle ihn nicht als ihren Diener, ganz zu schweigen von dem Vorschlag, Celerina allein zu lassen, der ihn mit einschloss? Venus schien wirklich gefallen daran gefunden zu haben, ihm so schöne wie kalte Frauen vor die Nase zu setzen. Aber immerhin gab es so noch Ziele, denn nichts war schneller vorbei als der Rausch eines geschenkten Sieges.


    “Was ich denke?“ fiel er da auf Celerinas Worte hin wieder in das Gespräch ein. Vielleicht war sie ja wirklich ein kalter Fisch, der nicht empfänglich war, aber einen letzten Versuch war es wert. Und diese Vorlage war zu gut, sie ungenutzt zu lassen, und sei es nur, um bei der Tiberia ein wenig Sehnsucht nach Schmeichelei zu wecken. “Nun, ich denke...“ Und nun kam er doch wieder näher zu Celerina, nahm ihr sanft den Becher ab, um ihn auf das nahe Tischchen abzustellen. Er ging vor ihr leicht in die Hocke, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein, und nicht zu ihr hinabzusehen. Ihre Hand aber behielt er in der Hand, so leicht, dass sie sie ihm jederzeit entziehen konnte. So sie es denn wollte. “...dass du, werte Flavia, viel zu schön bist, um so traurig dreinzuschauen. Vor allem wegen einer Laune der Götter, die ja doch nur neidvoll auf dich hinabblicken können. Immerhin erhalten sie jede ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit nur aus Pflicht heraus und nicht um ihrer selbst willen.“ Die Kunst bestand darin, das rechte Maß zu finden und nicht zu übertreiben. Vor allem, wenn eine zweite Frau anwesend war, die ihn hören konnte. Aber noch erachtete Sextus das Maß noch nicht ganz voll, ein wenig konnte er noch. Er sah ihr dabei kurzzeitig ins Gesicht, als wäre sie die einzige Frau auf der ganzen Welt, die anzusehen sich lohnte. “Ich denke, dass dein Mann beneidenswert ist, und er ein Trottel sein muss, jetzt nicht hier an deiner Seite zu sein, um dir das zu sagen, was ich nur unzureichend aussprechen kann. Denn wie beschreibt man die Morgenröte, ohne die Worte zu benutzen, die zu sagen einem verwehrt sind?“
    Er ließ seinen Blick noch einen Augenblick auf ihr ruhen, ehe er sich erhob und sich auch der Tiberia zuwandte mit diesem leicht hintergründigen Lächeln. Er schritt auf sie leicht zu, ein wenig seitlich, um sie im Profil betrachten zu können. “Überhaupt scheinen mir meine Vettern vom Glück gesegnet zu sein. Hat Ursus doch auch die schönste Blume der Tiberier gefunden.“ Flüsternd, so dass Celerina es nicht hörte, raunte er gleich noch: “Wenn nicht von Rom.“ Er ließ seine Nähe kurz auf die Tiberia wirken und beobachtete ihre Nähe, versuchte einzuschätzen, ob sie nicht doch eine kleine Schwäche offenbaren mochte. Man sollte schließlich nicht allzu schnell urteilen, sondern erst nach Prüfung der Fakten. “Und mir bleibt nur, ihr beider Glück zu betrachten und zu hoffen, dass ein wenig ihres Glücks auch auf mich übergeht.“ Natürlich war dieser Satz zweideutig! Und Sextus meinte ihn auch durchaus so, fügte dennoch aus Anstandsgründen gleich noch an: “Wenn ich denn verheiratet sein werde.“


    Womit er die beiden Damen verwöhnen könnte, war wiederum eine andere Frage. Ihm schwebten da durchaus einige Möglichkeiten vor, nur würde er die besser nicht in einem Rahmen vorbringen, wo es den Ehemännern der beiden Damen zugetragen werden könnte. Und auch nicht, wenn er sich nicht sicher war, dass die beiden oder auch nur eine von ihnen dazu bereit wäre und eben solches beabsichtigt hätte. Das Problem, wenn man die Frau eines Verwandten flachlegte, war, dass man sie danach noch häufiger zu Gesicht bekam. Und sich folglich davor, währenddessen und danach benehmen musste, um sich der Verschwiegenheit der Dame sicher zu sein. Außerfamiliär konnte man sich einfach verleugnen lassen, bei der Cena fiel das auf Dauer doch auf.
    “Nun, meine Damen, nach welcher Art der Verwöhnung steht euch denn der Sinn? Euch dabei zu helfen, ein wenig die Verspannungen des Alltags zu lösen und abzuschütteln, wäre mir ein Vergnügen.“ Gut, das war vielleicht hart an der Schmerzgrenze, aber garniert mit einem spitzbübischen Lächeln als nicht allzu ernst einzustufen. Sollten die Damen ruhig einen Wunsch äußern, allzu schlimm würde es schon nicht werden.

    Ein Blick, der vielleicht als leicht gekränkt durchgehen mochte, traf Prisca bei ihren ersten Worten. “Nicht allwissend, das sicher nicht. Nur weit vorausplanend, das ist auch schon alles.“ Irgendwie fing das Gespräch an, ihm Spaß zu machen. Mit Priscas Wut konnte er wesentlich besser umgehen als mit ihrer Melancholie. Außerdem bot es ein wenig Abwechslung von dem üblichen Prozedere der ausgetauschten Nettigkeiten und schulte ein wenig seinen Sinn für Konversation. Zumindest war er im Moment geneigt, das ganze so zu sehen.
    Ihre nächsten Worte hingegen waren da schon schwieriger. Sie hatte in gewisser Weise recht. Er hatte nichts zu bestimmen über Prisca. Er konnte lediglich Tendenzen geben und Dinge anstoßen, aber wirkliche Entscheidungsbefugnis hatte er nicht und würde er wohl auch nie haben. Und die Tatsache, dass einige Gentes sich gezwungen sahen, auch in plebejische Gentes einzuheiraten, war wirklich ein Problem. Vor diesem Hintergrund war der Antrag des Flaviers vielleicht durchaus nicht allzu negativ zu bewerten. Allerdings kam hierbei Sextus' Risikokalkulation doch zum tragen: Nach allen Informationen, die ihm vorlagen, konnte er darauf pokern, dass Corvinus diesem Antrag ablehnend gegenüber stehen würde. Dieser konnte den Flavier nicht ausstehen, das war sehr deutlich geworden. Und sollte er von den Umständen erfahren, wäre es ein Grund für ihn, diesen Antrag abzulehnen, ohne sein Gesicht vor den Flaviern deshalb zu verlieren. Es war vielleicht nicht der beste Grund, aber es war ein gesellschaftlich verständlicher Grund und damit politisch tragfähig.


    Dennoch schwieg Sextus erst einmal dazu, während sie weitergingen und Prisca dann seine Hilfe ablehnte. Kurz zuckte sein Blick in ihre Richtung. War das ein taktischer Zug von ihr, oder meinte sie das ernst? Auch wenn er sich nichts anmerken ließ, natürlich passte es ihm nicht, wenn sie das nun so abschloss. Aber was sollte er machen, betteln? Bitte, bitte, lass mich dir helfen? Sicher nicht. Abgesehen davon, dass er nach dieser Sache ohnehin daran zweifelte, dass seine Bemühungen entsprechend honoriert und vor allem entsprechend entlohnt werden würden. Er konnte sich kaum vorstellen, dass die Mitgift der Flavia dadurch wachsen würde. Oder wenn, dann höchstens, wenn sie einem anderen gegeben wurde. Piso würde in seiner verletzten Eitelkeit wohl kaum vernünftig verhandeln. Und im Grunde fing Sextus an, die so in greifbare Nähe rückende, vorläufige Freiheit zu genießen. Sicher würde sein Vater bald eine andere Partnerin für ihn finden und ihm schreiben, mit wem er in Verhandlungen treten solle. Nachdem er ihm in einem Brief sein Bedauern über das Scheitern der Verhandlungen ausgedrückt hatte. Irgendwann in den nächsten Wochen. Einzig, dass das Amt des Haruspex damit etwas ferner rückte und er noch mehr arbeiten musste, ärgerte ihn ein wenig.
    “Oh, Prisca, Prisca... Ne nuntium necare*. Es ist nicht meine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Und wenn er mich nicht um meine Hilfe bittet, warum sollte ich sie ihm nunmehr aufdrängen? Selbst du wünscht sie nicht.“
    Ein Blick, der überdeutlich zeigte, dass Sextus sich keiner Schuld bewusst war, traf auf Priscas. Erst da erhielt er etwas leicht verschmitztes, als sich seine Mundwinkel zu einem leicht jovialen Lächeln anhoben und er so frech wie beiläufig anfügte: “Wobei es durchaus interessant gewesen wäre, dich darum bitten zu sehen. Ich wette, die meisten Männer können dir kaum einen Wunsch abschlagen, wenn du sie nur auf die richtige Weise... bittest.“
    Wahrscheinlich war das zu viel und er hatte gleich ihre Hand auf seiner Wange, aber der Spaß war es ihm wert.


    Und er trieb ihn noch ein wenig weiter, verkleidet in schmeichelnde Worte und den so lange geübten, sanften Tonfall, dem schon desöfteren die ein oder andere Frau erlegen war. “Du wirst lachen, aber sie war der Grund, weswegen ich nach Rom geschickt wurde. Mein Vater strebte eine Verbindung an. Doch dank dir, meine Göttin, bin ich nun frei, um mich weiter in deinem Glanz zu sonnen. Denn welche Frau könnte es schon mit deiner Schönheit aufnehmen? Auch wenn dein Gemüt sich wohl verdunkelt hat, selbst in göttlichem Zorn bleibst du begehrenswert.“ Sein Blick sprach von derselben Intensität wie damals bei den Gladiatorenspielen. Ja, diese Frau würde kein Mann mit Blut im Körper von der Bettkante schubsen. “Wenn auch ebenso unerreichbar wie die Sonne.“


    Sim-Off:

    *Töte nicht den Boten.

    “Oh, nein, da sind wir wahre Naturtalente. Um jemanden zu ärgern bedarf es nicht viel. Man muss nur ehrlich sein, und schon hat man mehr Leute vor den Kopf gestoßen, als man zählen kann.“ Sextus scherzte leichthin. Die Kunst bestand darin, jemanden zu verspotten, ohne ihn zu verärgern. Eine Kunst der allzu viele Satireschreiber zum Opfer gefallen waren, weil sie sich zu sehr auf den Schutz ihrer Befürworter verlassen hatten. Aber wie sagte einer von ihnen? Difficile est satiram non scribere. Es war schwer, keine Satire zu schreiben. Sextus hatte vergessen, aus der Feder wessen Schmierfinken das stammte, aber der Mann hatte recht. Man musste nur mit offenen Augen auf die Straße gehen und fand tausend Möglichkeiten, die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen aufs Schärfste aufzudecken.


    Und Prisca kam auch sogleich wieder auf ihre eigene Unzulänglichkeit zu sprechen. Warum er ihr gesagt hatte, dass er als Vermittler hätte auftreten können? Weil sie ganz offensichtlich weder weit noch analytisch genug dachte, um auf solch eine Idee zu kommen. Eigentlich eine Verschwendung, bei ihrem Aussehen wäre ein solcher Geist von Vorteil. Männer taten häufig dumme Dinge für schöne Frauen. Gut, Sextus nicht, der tat dumme Dinge, so er sie überhaupt machte, ausschließlich für sich selber. Aber die ein oder andere Intrige war allein deshalb von Erfolg gekrönt gewesen, weil eine hübsche Frau in Aussicht gestellt hatte, dafür die Beine breit zu machen.
    “Nun, Cousinchen, das stimmt. Du hast mich nie darum gebeten, weil du noch nicht einmal an diese Möglichkeit gedacht hast.“ Es war nicht einmal abwertend gemeint, sondern rein eine Feststellung. “Und ich weiß nicht, warum du dich so aufregst. Hätte dein Galan sich wie ein Politiker benommen und einfach mitgespielt, wäre nichts passiert. Ich habe ihm jede Möglichkeit gelassen, seinen vorschnellen Vorstoß einzusehen, sich einfach hinzusetzen und den Rest des Abends zu genießen. Ob ihr euch weiterhin Liebesschwüre zusäuselt oder Händchen haltet, war mir doch völlig gleichgültig. Aber ein Heiratsantrag? Was hast du denn erwartet, wie ich reagieren soll?“
    Das war nun etwas ehrlicher, als er es gemeinhin war. Aber ihn störte diese verachtende Ignoranz. Dumme Menschen waren nur solange lustig, solange sie einem nützen. Prisca hingegen nützte ihm im Moment rein gar nichts, folglich war die Dummheit hier unerträglich und enervierend. Wenn diese die eigene Familie bevölkerten umso mehr.
    “Was denkst du, wie Corvinus reagiert hätte? Oder wie er reagieren wird, wenn er davon hört, wie das ganze stattgefunden hat?“ Noch immer war Sextus weder unfreundlich noch herablassend, sondern stellte die Frage genau so, als hätte er sie um ihre Einschätzung des morgigen Wetters gebeten. Einzig sein Blick mochte verraten, wie wenig amüsiert er über dieses Thema tatsächlich war.
    “Du hast mich vorhin gefragt, was ein tumber Spartaner wie ich so denkt. Nun, ich denke, dass weder du noch der Flavier sich diese Fragen gestellt haben, ehe es zu dieser Szene gekommen ist. Ich denke, dass keiner von euch bedacht hat, dass wir zwar in einer Loge, aber dennoch in der Öffentlichkeit waren, wo der nächste Nachbar gerademal zwei Schritt entfernt war und ihr nicht darauf bauen konntet, dass dieser vom dem miserablen Stück auf der Bühne völlig gefesselt ist.“
    Sextus bog in die nächste Querstraße ein. Die Sänftenträger folgten ihnen immernoch in einigen Schritten Abstand. “Ich denke, dass ihr meine Hilfe bitter nötig hättet. Nur dass der Flavier viel zu stolz ist, um das zu sehen, oder sie auch nur jemals zu erbitten. Also bleibt mir wohl nur das kurzweilige Vergnügen, ihm beim Scheitern zuzusehen.“ Leicht zuckte er die Schultern. Viel mehr Vergnügen würde er wohl wirklich nicht aus dieser Sache ziehen können.
    Seine Gedanken hingegen waren bei weitaus profaneren Dingen angekommen. Wenn er Flavius Gracchus wegen dieser Geschichte als Fürsprecher beim Haruspex verlieren sollte, musste er sich um Ersatz bemühen. Es stand nicht zu erwarten, dass die Verlobungsverhandlungen mit diesem verliebten Ochsen noch stattfinden würde, oder gar einen Abschluss fänden. Und ohne Verlobte keine Verbindung zum Pontifex, also auch keine Fürsprache. Ärgerlich, aber dem war wohl so. Das gehörte zu den Dingen, auf die Sextus keinen Einfluss hatte, und es bestand keine Notwendigkeit für ihn, darauf zu beharren und daher dem Flavier besonders entgegenzukommen. Es gab ja Alternativen.

    Die Hitze. Sicherlich. Selbst wenn es nicht eine so offensichtliche Ausrede gewesen wäre, hätte Sextus ihr kein Wort geglaubt. Es passierte zwar hin und wieder, dass eine Frau mit schwacher Konstitution wegen der Hitze umkippte, aber die sahen dann nicht so aus wie die Flavia vor ihm. Celerina sah eher aus, als habe sie geheult oder wollte das tun. Nicht, dass Sextus auch nur im geringsten interessierte, warum sie Grund zum Heulen hatte. Das war ihm an und für sich vollkommen gleichgültig. Einzig die Möglichkeit, dass es eine später nützliche Information sein konnte, weckte noch ein wenig sein Interesse.
    Was ihm viel mehr auffiel, war, dass sie überhaupt nicht auf seine Gestik und Mimik reagierte. Aber wirklich gar nicht. Die meisten Frauen, die bemerkten, dass man ihnen etwas mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachte, dass man sie als weibliches Wesen wahrnahm, reagierten irgendwie. Manche ganz offen geschmeichelt und die Gesten erwidernd, andere schüchtern, wieder andere offen empört, aber dann doch wieder schauend, als könnten sie gar nicht glauben, dass man sie gemeint hatte. Die meisten überspielten es sofort gekonnt, aber dieser erste Moment, dieser kurze Aufblick, den hatten sie doch alle.
    Nur Celerina nicht. Nichts, rein gar nichts. Und für sowas verschwendete er sein Talent! Entweder war ihre Gemütsverfassung wirklich derartig jammervoll, dass sie es nicht wahrgenommen hatte, respektive gerade keinen Sinn für diese Art des menschlichen Miteinanders hatte. Oder aber Corvinus tat ihm leid und er konnte verstehen, warum die beiden noch kein Kind hatten. Wer lag schon gerne bei einem kalten Fisch im Bett? Sextus konnte nur hoffen, dass der für ihn ausgesuchte Fisch sich doch als Rennpferdchen entpuppte. Oder zumindest als einigermaßen angenehm.
    Er ließ seinen Blick noch einmal über die Flavia gleiten, diesmal aber nicht mehr mit diesem leicht schmeichelnden Ausdruck im Gesicht. Wirklich schade, denn sie war eine schöne Frau, und er hätte sich schon vorstellen können, bei günstiger Gelegenheit und der Annahme der Verschwiegenheit da etwas intimere Gespräche zu führen. Nur im Moment sah er da keine Ansatzpunkte.


    Und es kam auch sofort Gesellschaft hinzu, für die gedachte Zweisamkeit wohl gleichfalls galt. Eins musste man Ursus lassen, er hatte sich ein schönes Weib ausgesucht. Schlank wie eine Gerte mit feinem Gesicht. Sextus konnte verstehen, warum die beiden die meiste Zeit zusammen nächtigten. Wäre er sein Vetter, er hätte es nicht viel anders gemacht. Zumindest für die erste Zeit, bis die Tiberia schwanger war.
    “Septima“ begrüßte Sextus auch sie und erhob sich wieder von der Kline, so dass die Tiberia besser zu Celerina treten konnte, ohne ihm dabei so nahe kommen zu müssen. Das wäre vielleicht doch eine Spur zu aufdringlich gewesen. Wenngleich die Vorstellung etwas für sich hatte, die Nähe der beiden Frauen genießen zu dürfen. Doch das war kontraproduktiv für jegliche Pläne, die er mit einer der beiden Damen auch hegen mochte.
    So also trat er einen Schritt beiseite. “Nun, Celerina, du solltest dich dennoch schonen. Wenn das Wetter deinem Gemüt so übel mitzuspielen weiß, solltest du es nicht herausfordern und zu rasch wieder aufstehen. Lass dich ruhig ein wenig verwöhnen. Einer Dame von Rang steht dies ja durchaus zu.“ Nach wie vor glaubte er zwar kein Wort ihrer Ausrede, aber hier vor Septima konnte er kaum weiter in sie dringen und den wahren Grund für ihre Sorge eruieren.


    Charmant lächelte Sextus den beiden Damen zu. “Und da hier zwei edle Damen von Rang sind, fällt die Aufgabe des Verwöhnens wohl mir niederem Diener des schönen Geschlechts zu. Sofern ich dessen von den Herrinnen für würdig erachtet werde.“ ein bisschen Spiel schadete nie. Und viel anderes konnte er ohnehin im Moment nicht machen.

    Als Prisca eben noch wütend auf ihn gewesen war, hatte Sextus sich absolut nichts daraus gemacht. Frauen waren andauernd aus dem einen oder anderen Grund furchtbar erbost. Man konnte sie gar nicht nicht gegen sich aufbringen. Zeigte man sich verständnisvoll und einfühlsam, war man ein Waschlappen und Pantoffelheld, und sie sehnten sich nach Kriegern und Kommandanten. Gab man ihnen eine Richtung vor und sagte ihnen, was sie zu tun und zu lassen hatten, beklagten sie sich über mangelndes Einfühlungsvermögen. Wenn eine Frau sich aufregen wollte, brauchte sie keinen Grund. Sie fand einen.
    Als Prisca jetzt aber so treu wie ein Lamm herkam, sich bedankte und ihn so abgrundtief aufrichtig ansah, das war anders. Das war einer der Gründe, warum Sextus kein Retter in strahlender Rüstung sein wollte, denn dadurch etablierte sich eine Erwartungshaltung, die er nicht zu erfüllen gedacht. Und außerdem, so sehr er sich auch in Anerkennung und Bewunderung sonnen mochte, so unberechenbar war ehrliche Dankbarkeit. Er bekämpfte das aufkeimende Gefühl von Großzügigkeit und Galanterie. Niemals durfte er sich von Gefühlsregungen in seinen Zielen beirren lassen.
    Nur was genau waren gerade seine Ziele? Rache an diesem eingebildeten Pfau? Kurzweiliges Vergnügen. Vielleicht eine langfristige Feindschaft, die für ein wenig Amüsement sorgen konnte, wenn ihm langweilig war. Seiner Cousine heimzahlen, dass sie ihn benutzt hatte, und dann sowas dabei herausgekommen war? Da hatte er bessere Möglichkeiten im Kopf, sich mit ihr zu vergnügen. Also, Wolf, wo ist deine Beute?
    “Reden wir nicht darüber“, winkte er ihren Dank einfach nur ab. “Ich habe dir bereits vorhin gesagt, dass ich nicht zulassen kann, dass jemand meine Cousine kompromittiert oder ihr Leid zufügt.“ Er war vielleicht kein edler Retter, aber Prisca konnte nicht abstreiten, dass er sich zumindest annähernd wie einer benahm.


    Sie gingen in Richtung der Villa Aurelia. Schweigsam nebeneinander liefen sie durch nachtschwarze Straßen, gefolgt von den Sänftenträgern. Sextus bemerkte, wie Prisca neben ihm scheinbar immer kleiner wurde. Gut, sollte das schlechte Gewissen in ihr ein wenig wachsen. Sollte sie sich ihre Idiotie nur vor Augen führen und dann Zuflucht bei ihrem edlen Retter suchen. Sie sollte aufschauen und rufen 'Rette mich'. Und er würde hinunterschauen und flüstern 'nein'. Ein leichtes Lächeln zuckte kurz um seine Mundwinkel bei diesem Gedanken. Macht war etwas Berauschendes, selbst in kleinen Dosen.
    Doch dann kam es doch etwas anders. Sie flehte ihn nicht um Hilfe an, zumindest nicht direkt. Bei ihren Worten zuckten Sextus' Augenbrauen kurz fragend nach oben, und eine Weile ging er neben ihr her, ohne zu antworten.
    “Es wäre zumindest der einfachste Weg“, stimmte er ihr nach einigem Überlegen unumwunden zu. Er sah zu ihr herunter, während er die Worte einen Moment sacken ließ. Erst als er das Gefühl hatte, sie wollte doch etwas sagen, oder dass zumindest die Tragweite dieses Gedankens sich in ihrem Geist ausbreitete und dort zu einer Erwiderung formte, sprach er weiter. “Andererseits, weswegen das ganze Leben wegwerfen wegen so einer Kleinigkeit? Vielleicht überzeugt er ja Corvinus.“ Auch wenn die Wortwahl aufbauend war, so ganz ließ sich der selbstgefällige Unterton nicht verbergen. Sextus machte sich nicht die größte Mühe, ihn zu verbergen. Sollte sie ruhig wütend auf ihn werden. Wut war immernoch besser als dieses Selbstmitleid. “Vielleicht sollte ich froh sein, nur ein tumber Spartaner zu sein, da bleiben mir solche Gedanken erspart.“ Es war leicht, fast charmant gesprochen, und er lächelte ganz leicht, als er zu ihr herunter sah. Er wollte sie nur ein wenig ärgern, nicht völlig verspotten. Diese Melancholie war ungesund.

    Dies war nicht die Straße zur Villa Aurelia. Frauen hatten ja generell keinen Sinn für Orientierung, aber heim fanden sie normalerweise doch immer. Was nur einen Schluss zuließ: Prisca wollte nicht heim, Prisca wollte Spielchen spielen.
    In einigem Abstand folgte Sextus ganz gemütlich seiner davonstapfenden Cousine und hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Sänftenträger wiederum folgten ihm mit ihrer Last, so gut sie es eben vermochten. Der Blick des Aureliers blieb auf dem sich wiegenden Hinterteil seiner Verwandten haften, während er ihr hinterherging. Sie lief zackig und abgehackt, die Wut war ihr zu deutlich anzusehen. Und sie ließ es sich nicht nehmen, ihn anzugiften. Was er zu machen gedachte? Nun, im Moment dachte er darüber nach, ihr den Hals umzudrehen und einfach solange zuzudrücken, bis kein Wort mehr diese Kehle verließ. Aber das war nur der erste Zornesgedanke. Die Rachegedanken danach waren weitaus erheiternder. Im Grunde musste er Corvinus noch nicht einmal etwas sagen. Wenn der Flavier am nächsten Tag aufkreuzen würde und um Priscas Hand anhielt und in seiner Unkenntnis dessen, dass Sextus eben nicht geplaudert hatte, selbst gestehen würde, würde Corvinus ihm einfach die Tür weisen. Und selbst wenn der Flavier es schaffte, wie durch göttliche Vorwarnung sich nicht zu verplappern, wäre Corvinus wohl kaum geneigt, diesem Ansinnen stattzugeben. Sextus war im Begriff, eine Flavia zu heiraten. Corvinus selbst war bereits mit einer verheiratet. Es brachte keinen politischen Vorteil, eine weitere Ehe mit dieser Gens einzugehen. Dahingegen waren die Bindungen zu den Tiberiern nun nach Laevinas Verschwinden erschreckend dünn, und Tiberius Durus einen Ersatz anzubieten könnte vorteilhaft sein. Und wenn Sextus das schon sah, was musste dann erst Corvinus denken? Der Piso nach allem, was er wusste, nicht ausstehen konnte.
    Nein, Sextus musste sich nur zurücklehnen und den Dingen ihren Lauf lassen. Er musste sich nicht einmal die Finger schmutzig machen. Einzig und allein die Genugtuung, dass er aktiv etwas zum Scheitern des Flaviers beigetragen hätte, ließ ihn dennoch weiter grübeln. Wenn er schon einen Feind hatte, wollte er ihn sich auch redlich verdienen. Mitleid gab es umsonst, Hass erforderte etwas mehr Einsatz. Zu gerne würde sich Sextus in der Gewissheit suhlen, dass der Flavier wusste, dass sein 'Unglück' – allein das Wort war in Bezug auf eine Heirat eine Farce – darauf beruhte, den falschen Mann verärgert zu haben. Nur hatte er noch keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen konnte, ohne der Freundschaft der anderen Flavier verlustig zu gehen. Das erforderte definitiv mehr Planung, und vermutlich mehr Zeit, als er zur Verfügung hatte.


    Und dann passierte, was ja beinahe zwangsläufig hatte passieren müssen. Prisca wurde von einem Mann, der sie für leichte Beute hielt, beiseite gedrängt. Den Bruchteil einer Sekunde kam der Gedanke in Sextus auf, einfach weiterzugehen und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Sie wollte ja seine wohlwollende Fürsorge nicht, und er war auch sicher nicht der edle Beschützer aus den Heldensagen, der die Jungfer in letzter Sekunde vor dem Opfertod an ein Monster nach Wahl rettete. Aber dieser Gedanke hielt nicht einmal einen Atemzug. Egal, wie sehr Sextus solche Rettungsaktionen auch verabscheute, das war seine Cousine, und wenn jemand ihr weh tat, dann nur jemand aus der Familie.
    Er beschleunigte seinen Schritt und überwand so den Abstand zwischen ihnen beiden. Der Angreifer sah noch zu ihm herüber, und der Aurelier sah auch etwas in seiner Hand blitzen. Aber jetzt war es ohnehin ausgeschlossen, sich noch zurückzuziehen.
    Er fing den Arm, der auf ihn zugeschossen kam, mit festen Griff um das Handgelenk ab, zwang mit Druck den Mann dazu, den Griff um sein Messer zu lockern und fast in derselben Bewegung landete sein freier Ellbogen im Gesicht des Kerls, der Prisca beiseite drängen wollte. Der Mann taumelte zurück und schätzte kurz seine Chancen ab, dann verschwand er.
    “Wenn du dich umbringen willst, zum tarpejischen Felsen geht es da lang!“ fuhr Sextus sie kurz ungehalten an und deutete zielsicher in eine Richtung. Weiber! Hauptsache, sich im Recht fühlen und gerechten Zorn zur Schau tragen! Er brauchte ihr nicht sagen, was für ein Dummchen sie war. Für so weltfremd, nicht zu sehen, was sie gerade eben getan hatte, hielt Sextus Prisca nicht.
    Er schüttelte kurz den Kopf und ging dann weiter, in Richtung der Villa Aurelia. Nach zwei Schritten blieb er kurz stehen und sah zurück, ob sie denn nun folgen wollte oder doch eine schneller e Form von Freitod wählen wollte, als nachts allein durch die Straßen zu gehen.

    Zu sehr achtete Sextus auf die Gesichtsregungen seines Gegenübers, als dass diese ihm hätten entgehen können. Das Lächeln, als er Athen erwähnte, gepaart mit den Worten ließen hoffen. Doch direkt danach kam Alexandria zur Sprache, und jegliches Interesse schien dem Flavier aus dem Gesicht zu fallen bis hin zu reiner Gleichgültigkeit. Zwei Dinge, die der Aurelier sich für weitere Begegnungen merken würde – und sie bei Gelegenheit um Hintergründe ergänzen würde. Nur jetzt war die Möglichkeit wohl verstrichen, weiteres Nachhaken obsolet und destruktiv. Daher gab sich Sextus nur charmant und genügsam.
    “Nein, Pontifex. Ich danke dir für deine Zeit und dein Wohlwollen.“ Auch wenn letzteres an Bedingungen gekoppelt war, die allerdings nicht unerfüllbar waren. Sie brachten lediglich Sextus geplante Reihenfolge etwas durcheinander. “Die Grüße werde ich gern überbringen. Ich bin mir sicher, vor allem deine Verwandte wird sich freuen.“ Auch wenn Sextus sie kaum kannte, aber Frauen freuten sich grundsätzlich, wenn man an sie dachte.


    Damit stand er dann auch schon auf, um den Flavier seiner Arbeit zu überlassen. Im Grunde hatte er sich mehr von diesem Treffen erhofft, aber auch weniger davon erwartet. So in der Mitte zwischen Hoffnung und Erwartung war das Gespräch als solches wohl als positiv zu bewerten. “Vale, Flavius“, verabschiedete sich Sextus noch mit einem leichten Nicken, ehe er den Senator verließ. Es gab ein paar Pläne, die er nun machen musste.

    Solch liebliche Töne auf einmal? Sextus besah sich seine Cousine, schräg hinter ihr stehend, ihren weißen Hals und wie sich die Muskeln dort anspannten. Die Worte mussten sie schmerzen, so sehr wie sie sich dabei anspannte. Sie hatte recht, er hatte wirklich keine Ahnung, wie das war, so zu lieben und geliebt zu werden. Nur im Gegensatz zu ihr war ihm das auch vollkommen gleichgültig. Liebe war etwas für Poeten, wenn sie keine Heldentaten zu besingen hatten. Eine Ehe hatte damit rein gar nichts zu tun, und sie war auch absolut nicht nötig, um eine für beide Seiten vorteilhafte Verbindung einzugehen. Sie redete da in seinen Augen wirklich dummes Zeug. Er war kurz davor, sie darüber aufzuklären, dass Männer deshalb ihre Frauen etwas besser als das Vieh behandelten, weil Vieh nunmal keine Erben gebären konnte, aber er ließ es. Sie jetzt vollkommen gegen sich aufzubringen brachte keinen Gewinn. “Du tust mir Unrecht, Prisca. Ich habe nur versucht, dich wie auch meine Familie zu beschützen.“
    Ganz von der Hand zu weisen war es nicht, auch wenn er sich vorhin dazu hatte hinreißen lassen, ihr zu drohen. Damit war es wohl nicht möglich, sich gänzlich als Unschuldslamm zu präsentieren. Allerdings waren seine Argumente nur schwer von der Hand zu weisen, denn wenn sie diesen Hanswurst wirklich heiraten wollte, war diese Vorgehensweise die denkbar schlechteste, um an ihr Ziel zu kommen. Und dennoch konnte er auch bei aller Wahrheitsdehnung doch nicht umhin, vor sich selbst zugeben zu müssen, dass er dem Flavier keinen Erfolg wünschte. Er wollte sehen, wie dieser versagte und abgewiesen wurde. Viel mehr noch, für diese Anmaßung wollte er ihn nur zu gerne leiden sehen. Das einzige, was ihn abhielt, war, dass er dessen Schwester wohl noch brauchte, wollte er die Flavier als Fürsprecher für seine Karriere behalten. Man konnte eben nicht alles haben.


    Und es kam noch besser. Prisca brachte so etwas ähnliches wie eine Entschuldigung an die anderen hervor. Natürlich bemerkte er die bissigen Worte dabei, aber immerhin schien sie eingesehen zu haben, dass man Corvinus jetzt nicht mehr stören sollte. Fein.
    Der Flavier hingegen sah sie kurz an, als wollte er sich unter ihrem Rockzipfel verstecken. Und dann wählte er die neunte Stunde für seinen Besuch. Nicht morgens, wie von seiner Schwester vorgeschlagen – und wo er noch die Chance gehabt hätte, dass Sextus ihm einfach nichts hätte erzählen können. Unter sehr unwahrscheinlichen Umständen, aber dennoch – sondern den Nachmittag. Sextus ließ ein wölfisches Lächeln sehen, sagte aber nichts dazu. Wenn er meinte, dass Corvinus nachmittags besser gelaunt sei als morgens, war das eine amüsante Einschätzung. Er hätte einen Termin gewählt, bei dem nicht zu befürchten war, dass schon zwanzig Bittsteller erschienen waren, wobei man das ja nie so genau zu sagen vermochte.
    Statt dessen wandte er sich wieder seiner vielleicht-Zukünftigen zu. Vielleicht würde Flavius als kleine Racheaktion auch die Verlobung platzen lassen, was insofern ärgerlich wäre, als dass Sextus doch noch bei den Tiberiern vorstellig werden musste. Flavius Gracchus hatte ja recht deutlich gemacht, dass seine Unterstützung an dieser Verlobung hing. Aber andererseits hatte er dann auch seine Freiheit und konnte seinem Vater guten Gewissens berichten, dass er sein Möglichstes getan hatte, die Flavier aber ablehnten. Ein geringer Preis.
    “Wenn das heißt, dass wir uns so lange treffen werden, wie ich dir diese Antwort schuldig bin, werde ich sie selbst als Geheimnis hüten, werte Flavia. Auch wenn ich fürchte, dass ich damit enthülle, wie ich zu selbigen stehe.“ Er schenkte ihr eine charmante, kleine Verbeugung und machte dann Platz, damit sie und ihr Bruder auch aus der Loge treten konnten. Das könnten sie zwar auch so, aber Sextus wusste nicht, ob der Flavier Manns genug war, so dicht bei ihm vorbeizugehen. Also zeigte er sich ein wenig friedlicher und begab sich, als wäre nichts weiter gewesen, wieder zu Prisca.
    “Und du, liebste Cousine, möchtest du das Stück noch zuende sehen?“ Schmeichelnd, leicht, kein Anzeichen davon, dass auch nur irgendetwas vorgefallen wäre. Ganz gleich, ob es in ihm auch brodelte, er zeigte sich als der perfekte Charmeur. Ihm war es sogar recht gleichgültig, ob Prisca das durchschaute – und es war anzunehmen, dass sie seiner Art wohl nicht trauen würde. Aber es konnte ihm niemand vorwerfen, er habe sich laut im Ton vergriffen. Das hob er sich für eine Gelegenheit auf, wenn sie beide unter sich waren und er sich einen Vorteil davon versprach.

    Früh am Morgen hatte sich die kleine Opfergesellschaft zusammengefunden. Auch wenn Sextus insgeheim fluchte, es war nun eben einmal brauch, dass Ianus, der am Anfang aller Dinge stand, sein Opfer morgens erhielt. Die täglichen Opfer auf den vielen Altären der Stadt waren bereits vollzogen, aber die hora secunda war für Sextus' Dafürhalten immernoch reichlich früh, zumindest im Sommer.
    Einen Vorteil hingegen hatte es, so früh schon unterwegs zu sein. Die Straßen waren so gut wie leer. Hier am Forum war natürlich immer etwas los, auch in den frühesten Stunden des Tages, aber dennoch war es kein Vergleich zu den Nachmittagsstunden, wenn die Stadt aus allen Nähten zu platzen schien. So war es kein Problem gewesen, den weißen Ochsen hierher zu führen und anzubinden. Natürlich hatte es auch den Nachteil, dass so nicht zu viele Menschen von seinem Opfer Notiz nehmen würden, ebensowenig wie von der großzügigen Fleischspende in seinem Namen. Aber für den Einstieg hier in Rom würde es genügen müssen.
    Das Tier war schön geschmückt worden. Um die Hörner waren infulae und vittae gebunden, weiß und rot. Die Hufe waren vergoldet worden, was furchtbar teuer gewesen war, aber um Eindruck zu schinden durfte man nicht knausern. Eine breite, reich geschmückte dorsule lag dem Tier über dem Rücken. Zwei Popae hielten das Tier an den schweren Ketten und befestigten diese an den schweren Eisenringen, während der kräftige victimarius mit dem malleus sich noch etwas abseits hielt und wartete.
    Sextus ging ein letztes Mal zu dem Ochsen und besah sich das Tier. Der Ochse stand ganz ruhig, beinahe etwas verschlafen. Offenbar hatte sich jemand die Mühe gemacht, ihm etwas einzuflößen, so dass er still hielt. Gut so! Ein Ausbrechen der Tieres wäre katastrophal gewesen. Das weiße Fell war noch zusätzlich mit Puder eingerieben worden, so dass nicht der geringste Makel daran zu erkennen war. Die Augen waren klar und dunkel, nur ein wenig verschlafen. Aber an und für sich sah das Tier gesund aus. So konnte das Opfer beginnen.


    Der Aeditus des Tempels wartete bereits vor den geöffneten Türen des Tempels. In Parthia war kein Sieg errungen worden, daher waren die Türen nach wie vor sperrangelweit offen. Eine ältere Frau ging an den beiden Männern vorbei und rüttelte an der Tür, sprach ein kleines, kurzes Gebet, während Sextus noch die letzten Zahlungsmodalitäten leise abklärte. Als man sich schließlich einig war, zog der Aurelier eine großzügige Falte seiner weißen Toga über den Kopf wie eine Kapuze und trat an das Becken, das einer der Popae ihm hinhielt. Gewaschen hatte er sich bereits zuhause, aber das Ritual musste eingehalten werden. Allerdings verzichtete er auf eine Formel dabei, die das Wasser beschwören sollte, ihn zu reinigen.
    Ein kleiner Zug von tibicines folgte ihm, ebenso wie zwei ministri, die die Opfergaben trugen. Vor dem Kultbild des doppelgesichtigen Gottes war der kleine, tragbare Altar aufgebaut worden, das Opferfeuer brannte mit kleiner Flamme daneben. Sextus wartete, bis die kleine Gemeinschaft aufgeschlossen hatte, ehe er zum Kultbild aufblickte und die Stimme erhob.


    “Ianus, der du am Anfang aller Dinge stehst, Gott des Wandels! Ianus, der du die Tore des Himmels bewachst, der du nach Ost und West zugleich blickst! Ianus, Torhüter, Schlüsselwächter, der du siehst, was kommt und was geht! Höre mich an!“


    Die Flötenspieler hatten ihr Spiel auf eine leise, melodische Weise verlegt, die im Hintergrund die Geräusche der Straße fernhielt. Der erste der ministri trat vor, wie es besprochen worden war, und legte großzügig Weihrauch aufs Feuer, wo es sofort qualmenderweise seinen eindringlichen Geruch verbreitete.
    “Ianus, der du die Grenzen bewachst, der du stets im Übergang bist, Ende und Anfang zugleich! Dieser Weihrauch sei für dich und nur für dich. Nimm ihn als Geschenk von mir, Sextus Aurelius Lupus!“
    Ein paar Kräuter fanden ebenso ihren Weg auf das Feuer und verliehen dem Geruch eine schwindelerregende Note. Dennoch stand Sextus firm und gerade vor der bärtigen Statue des Gottes, die Arme leicht seitlich erhoben, die Handflächen nach oben.
    “Großer Wächter, der du den Frieden in deinen Mauern hältst und fest verschließt, wenn er hereingebrochen ist, auf dass er nicht so schnell entfliehe, oh Hüter der friedlichen Zeit! Ich bringe dir mulsum, so süß wie diese wundervolle Zeit!“
    Der zweite Junge trat vor und goss aus einer Amphore vorsichtig das Honig-Wein-Gemisch in ein Loch, das im Boden vor dem Altar zu finden war.


    “Ianus, der du ein guter Ratgeber bist für alle Anfänge, höre mich an. Ich kam von Achaia hier her, um dem Willen meines Vaters zu entsprechen und ein neues, ruhmreiches Leben zu beginnen. Ich blicke zurück...“, und er tat es auch wirklich, indem er über seine Schulter sah, um seine Worte zu unterstreichen und wie es beim doppelgesichtigen Gott nicht unüblich war, “... und sehe das Leben, was ich bislang geführt habe. Als Sohn, als Schüler. Stets hatte ich guten Rat und gute Anleitung.
    Und nun blicke ich nach Vorne“
    , und er tat es, wand sich dem Gott wieder ganz zu, “...und sehe meine Ziele, die vor mir liegen. Ich sehe die Laufbahn, die ich einschlagen möchte. Der Weg, der mich hoffentlich bis in den Senat führen wird. Das Amt als Haruspex, das ich erhalten möchte. Auch die Ehe, die mein Vater für mich angedacht hat. Ich stehe hier, Ianus, auf dem Weg zum wirklichen Mann, der seiner Familie Ehre macht. Ein neuer Anfang in einer neuen Stadt.“
    Sextus ließ die Worte einen Moment sacken. Wenn er ein gefühlsduseliger Mensch wäre, er hätte den Moment wohl ergreifend gefunden. Sicher, es waren große Aufgaben, die vor ihm lagen. Aber er war sich sicher, dass er sie meistern würde. Dafür würde sein Ehrgeiz schon sorgen. Und Sextus war noch nie für überschwängliche Gefühlsmitteilungen bekannt gewesen.
    “Ianus, hier stehe ich am Übergang und bitte dich, führe mich vom hier in das dort, ebne meinen Weg hinaus in die Welt. Segne diesen neuen Anfang in dieser wundervollen Stadt. So wie du am Anfang jedes Tages stehst, stehe auch am Anfang meiner Karriere. Lass meine Pläne gelingen, darum bitte ich dich. Als Dank soll dir ein prächtiger, schneeweißer Ochse gehören.
    Ianus, gib mir dienen Segen, auf dass ich weiß, dass mein Vorhaben gelingen wird, und auf dass ich auch weiterhin meine Pläne in deine wissenden Hände lege und dir auch weiterhin treu opfern werde!“


    Damit beendete er das Voropfer mit der Wendung nach rechts. Die kleine Prozession von dem Opferherrn, den tibicines und Opferhelfern folgte ihm gemessenen Schrittes nach draußen in den morgendlichen Sonnenschein. Der Ochse hatte sich nicht gerührt und sah auch jetzt nicht viel interessierter drein. Lediglich die Menge an Menschen vor dem Tempel hatte sich leicht erhöht, und es traute sich auch niemand mehr, das Opfer nun zu stören und selbst den Gott um etwas zu bitten. Einigen anderen war anzusehen, dass sie auf etwas Opferfleisch spekulierten.
    Der Aeditus besprengte ihn leicht mit etwas Wasser, um ihn nochmalig zu reinigen. Danach wurde es bereits still auf dem Platz, und die Flötenspieler ließen ihr Spiel verstummen, als der kräftige Bariton des Aeditus über den Platz schallte. Favete Linguis!“ Und alles schwieg.
    Ihm wurde eine Schüssel gereicht, in der er sich die Hände nochmalig wusch, anschließend ein weißes Tuch, das mallium latum, mit der er sich abtrocknete.


    “Ianus, großer Gott aller Übergänge, dieses Opfer sei dein! Möge es dir gefallen!“
    Sextus wartete geduldig, bis das Tier mit mola salsa bestrichen und der Schmuck entfernt worden war. Der Aeditus gab ihm das Opfermesser in die Hand. Langsam schritt der Aurelier das Tier damit ab, die Klinge knapp über dem weißen Fell haltend, vom Kopf bis zum Schwanz. Nun war es endgültig seiner Bestimmung geweiht. Das Messer legte Sextus wieder auf die patera, die einer der popae hielt.
    Der victimarius wartete bereits, den schweren Opferhammer in beiden Händen haltend. Als er bemerkte, dass der Aurelier zu ihm herüber sah, stellte er die einzige Frage, die er zu stellen hatte. “Agone?
    Sextus wartete noch eine dramaturgische Sekunde, ehe er schließlich laut und klar antwortete. “Age!“ Der Hammer beschrieb einen wohlgeübten Bogen und landete krachend auf dem Schädel des Ochsen, der sofort in die Knie ging. Augenblicklich war der Opferstecher herbei und stach mit seinem Messer gezielt in die Halsschlagader des verendenden Tieres, woraufhin sich ein ordentlicher Schwall Blut ergoss. Der Ochse gab noch nicht einmal mehr ein Stöhnen von sich, sondern blutete in aller Stille des Moments einfach langsam aber sicher aus.


    Mit einem geschickten Schnitt öffnete der victimarius schließlich die Bauchdecke des Tieres und lud die Innereien auf einzelne paterae, die ihm dazu angereicht wurden. Dabei achtete er penibel genau darauf, kein Organ zu verletzen, allen voran die Leber. Jene wurde schließlich, auf einer einzelnen, goldenen Schale ruhend, zu Sextus selbst gebracht. Er ließ es sich nicht nehmen, sie selbst zu untersuchen und den Erfolg des Opfers zu verkünden. Dies würde er unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis tun, denn dafür war ihm der Schein zu wichtig, als dass er solch eine Schmähung, und sei sie von einem Gott, hätte hinnehmen können. Natürlich würde er Ianus mit Sühneopfern anschließend überschütten, aber erst einmal sollte das Opfer angenommen werden.
    Ohne zu zögern griff Sextus nach dem blutigen Organ, um es sich von allen Seiten ansehen zu können. So eine Rinderleber war ein großes Stück Fleisch, so dass sich viele Zeichen darauf verbergen konnten. Und er besah sie sich, teilte sie sogar unbewusst in die verschiedenen Zonen ein, die er so oft hatte aufsagen müssen. Aber kein Gott, auch nicht Ianus, schien sein Missfallen zum Ausdruck bringen zu wollen. Keine Verfärbungen waren zu sehen, keine Beulen oder Vernarbungen. Noch nicht einmal Knoten konnte Sextus fühlen. Alles schien ganz normal, um nicht zu sagen, bestens.
    “LITATIO!“ verkündete er laut und deutlich, ehe er die Leber wieder zurück legte, auf dass sie mit den anderen Innereien in die Tempelküche gebracht werde, um dort gekocht zu werden.


    Als Sextus sich schließlich die blutigen Hände – nochmals – abwusch und abtrocknete, und anschließend mit dem Aeditus noch die letzten Zahlungsmodalitäten des Opfers durchging, war er durchaus zufrieden mit sich. Der Ochse wurde unterdessen schon zerteilt und würde in angemessenen Portionen an die Vorbeikommenden verteilt werden. Als Geschenk von Sextus Aurelius Lupus! Nicht unbedingt der ruhmreichste Weg, sich bekannter zu machen, vor allem nicht, wenn nicht bald eine Wiederholung folgte. Aber immerhin hatten so einige Leute seinen Namen schon einmal gehört. Und er würde dafür sorgen, dass sie das nicht so rasch vergaßen.

    Frauen waren sehr widersprüchliche Wesen. Andauernd beteuerten sie, alles sei bestens, aber wehe man glaubte es. Genauso falsch allerdings war es, nachzufragen, ob sie sich sicher waren. Nicht selten bekam man dann den ganzen aufgestauten Frust in einigen harschen Worten entgegengezischt. Noch schlimmer allerdings war es, wenn man sie nicht fragte, dann schmollten sie und beschwerten sich, sie wären einem Gleichgültig. Oder kurz: Frauen wussten doch selber nicht, was sie eigentlich wollten, außer möglichst viel Aufmerksamkeit und Mitleid. Mit ihren tausend Wehwehchen waren sie Meisterinnen der Hypochondrie, so dass es unmöglich war, herauszufinden, ob sie nun wirklich etwas hatten oder doch nicht.
    So auch hier. Celerina litt viel zu offensichtlich, als dass ihre Beteuerung wahr sein könnte. Ob es allerdings etwas war, was auch nur halbwegs ernstzunehmen war, das konnte sextus beim besten Willen nicht sagen. Krank sah sie nicht aus, wenngleich etwas blass um die Nasenspitze. Allerdings konnte das mit dem Schauspiel zusammenhängen, das sie für die Sklaven hier gab. Sextus aber entschied sich, einfach einmal mitzuspielen und der Dame auf den Zahn zu fühlen.
    Mit leicht besorgt wirkendem Gesichtsausdruck kam er zu ihr. “Ja, richtig“, bestätigte er ihr seinen Namen. “Aber sag doch Sextus, wenn es dir nicht zu aufdringlich erscheint.“ Und wo er gerade beim Thema aufdringlich war, setzte er sich auch zu ihr auf den Rand der Kline, sie weiter einfach nur besorgt betrachtend. Nur kurz ließ er seinen Blick über sie etwas tiefer gleiten (und er achtete dabei darauf, dass sie in dem Moment auch gerade eben zu ihm herschaute), um dann fast wie bei einem Gedanken ertappt zu der Sklavin zu blicken, die geblieben war.
    Redete er denn undeutlich, oder was machte die noch hier? Wobei er sich zu erinnern glaubte, dass diese da der Flavia gehörte. Sicher war er sich nicht, er achtete weder auf Namen noch auf Gesichter der Sklaven besonders. Aber das würde ihr hierbleiben erklären. Aber gut, sollte sie bleiben und sichergehen, dass der Aurelier nicht über ihre Herrin herfiel. Er wollte sie ja auch nur aushorchen und sich ein wenig beliebt machen.


    Nach dieser kurzen Sekunde also wandte er ihr wieder den Blick zu und schien einen Moment mit sich zu hadern. “Nun, Celerina, was macht eine so schöne Frau wie du um diese Zeit hier? Solltest du nicht draußen alle Männer neidisch auf den deinen machen?“ Die bloße Nachfrage, was denn nun los sei, war ihm zu plump. Sicher, eine anständige Matrone hütete das Haus, aber wer wollte das schon bei einer Schmeichelei so genau nehmen?

    Das Lächeln, das sich auf Sextus' Gesicht zeigte, mochte über seine Gedanken bei Priscas Worten hinwegtäuschen. Trottel, Schwachkopf, soso. Wer von ihnen beiden hatte denn nicht genug Weitblick, um die Folgen abzuschätzen? Vor allem diejenigen, die es für Sextus selber hätte. Auch wenn er so etwas wie Ehrgefühl für seine Gens verspürte (irgendwo ganz tief in ihm, gut verschlossen und eingesperrt) und es daher ganz und gar nicht goutieren konnte, wenn Piso sich derart unkonventionell verhielt, in erster Linie ging es ihm um sich selber. Und wie sollte er denn noch diese Verliebtheit und das alles für sich ausnutzen, wenn diese beiden liebestollen Vögel gleich mal munter zu Corvinus flattern und alles verderben würden? Und dieser, da war er sich nun sicher, würde von diesem Antrag vieles sein, aber nicht begeistert.
    “Wie wäre es mit der Wahrheit? Dass du dich über seinen Willen hinweggesetzt hast und ihn getroffen hast, obwohl du wusstest, dass er deinen Verehrer nicht goutiert? Ich bin sicher, er wird begeistert sein, davon zu hören, dass er dir einen Antrag in der Öffentlichkeit gemacht hat, ohne sich vorher seines Einverständnisses zu versichern.“
    Sextus wusste zwar nichts von dem expliziten Verbot, aber er konnte sich denken, dass es ein solches gab. Anders war Priscas Verhaltensweise und Corvinus Kommentar nicht zu deuten. Und er war sich sehr sicher, dass Corvinus ihm in dieser Sache Rückendeckung geben würde, selbst wenn er etwas übertrieb.
    “Aber du, teure Cousine, solltest dir lieber überlegen, was ich ihm stattdessen hätte erzählen können. Dass ich mit ihm hätte reden können und ihm erklären können, welch positiven Eindruck ich von meinem künftigen Schwager doch hätte. Welch redlicher Mann er ist, abgesehen von seiner weibischen Art, seine Gefühle zur Schau zu tragen. Wie ehrbar seine Absichten wären, und wie vorteilhaft eine tiefere Bindung zu den Flaviern. Denn meine Liebe, egal, was du auch dazu sagen magst, er wird dir nicht glauben. Du bist verliebt. Egal was er sagt, er wird ihm nicht glauben, denn er ist in dich verliebt.“ Sextus wechselte zu ihrem anderen Ohr, um weiter zu flüstern. “Ich hingegen... welche Interesse sollte ich haben, ihm etwas derartiges zu sagen, wenn es nicht die Wahrheit wäre?“Auch wenn sie nichts davon halten würde, ließ er seine Hände kurz einmal auf ihren Schultern ruhen und über ihren Nacken streichen. Zu gern hätte er ihr für ihre Worte den Hals umgedreht.
    “Aber nein, Helena glaubt in ihrer blinden Liebe an ihren Paris und will gleich mit ihm gehen. Meinst du, die Trojaner werden es dir danken, wenn du dich über den Willen Spartas hinwegsetzt? So viele Bindungen, so viel politischer Einfluss. Meinst du, wie werden dich aufnehmen als Tochter?“
    Sextus Hände waren bereits wieder verschwunden. Sein Lächeln hatte nur noch auf den ersten Blick etwas freundliches an sich und glich fast mehr einem leichten Zähnefletschen. “Wer zahlt doch gleich deine Mitgift? Der Mann, den du vor den Kopf zu stoßen gedenkst? Wahrscheinlich stürmt dein Paris gleich dessen Zitadelle, um dich zu fordern und mitzunehmen. Was meinst du, wie erfreut wird er wohl sein um diese Uhrzeit?“
    Sextus schnaubte einmal, aber es klang eher bitter als verächtlich. Langsam richtete er sich wieder auf. Er hatte keine Lust auf eine Szene, aber notfalls würde er auch eine zeternde Prisca hinausschleifen, wenn die beiden sich nicht beherrschen konnten.
    “Aber bitte, gehe hin und verbrenne Troja. Vergiss deinen Apfel nicht.“
    Und Sextus meinte seine Worte sogar einigermaßen ehrlich. Die Flavier würden sicher nicht begeistert sein, wegen so einer Sache einen Familienstreit mit den Aureliern vom Zaun zu brechen. Wenn Prisca nicht Corvinus Einverständnis hatte und auf ihr Recht klagen würde, wäre der Bruch sehr tief. Den Einfluss von drei Senatoren in der Curia, dazu den ganzen, die ihnen in der Meinung folgten... nein, die Flavier wären sicher nicht begeistert, wenn all dies aus einem so läppischen Grund wie der Liebe verlustig ging. Und Sextus würde sich wohl einen anderen Fürsprecher suchen müssen für das angestrebte Amt des Haruspex. Von seiner Stelle beim Consul ganz zu schweigen.


    Doch dieser verdammte Flavier konnte sich offenbar nicht beherrschen. Echote er da etwa seine Worte nach? Aber es kam noch besser. Oh, es kann bis vier zählen? Sextus lächelte belustigt. Drohte dieser eingebildete Pfau ihm doch tatsächlich, weil er derjenige war, der sich den Damen gegenüber falsch verhielt? Soweit noch ignorierbar, auch wenn Sextus Faust zu gern Bekanntschaft mit Pisos Gesicht gemacht hätte. Doch das danach war nicht mehr tolerierbar.
    “Beschlossen?“ fragte Sextus gerade noch einmal, als hätte er sich verhört. Er musste sich auch verhört haben, wenn dieser Kerl sich einbildete, er habe hier irgendeine Gewalt, etwas zu beschließen. Er konnte beschließen, heim zu gehen und seine Schwester mitzunehmen, aber alles, was Prisca betraf, lag momentan in Sextus Entscheidungsgewalt. Er war sehr sicher, dass Corvinus, der ihr Tutor war, jegliche seiner Entscheidungen unterstützen würde. Gut, vielleicht sollte er um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden den Flavier nicht unbedingt aus der Loge schmeißen und so das letzte bisschen Aufmerksamkeit von der Bühne ablenken. Aber dass er nun Prisca mit sich nehmen würde, egal wohin, das war gänzlich ausgeschlossen. Sollte sie zetern und schreien, aber das war beschlossene Sache. Wenn sie meinte, dass es ihren Marktwert noch weiter steigerte, wenn sie sich total lächerlich machte und morgen jeder in der Acta über ihr Fehlverhalten lesen würde, konnte er sie nicht davon abhalten. Dann war es auch gleichgültig, wenn er sie daraufhin nach Hause zerrte. Aber der Flavier würde definitiv nicht daran beteiligt sein.


    Sextus machte einen bedrohlichen Schritt auf den Mann zu, als ihm Einhalt geboten wurde. Nicht etwa von einem überraschenden Anflug an Männlichkeit seitens Piso, nein, von einem einfachen Lächeln seiner Schwester. Geschickt hatte sie sich zwischen sie beide geschoben und verhinderte so effektiv jede mögliche Bekanntschaft von Fäusten und Nasen (wenngleich Sextus sich beherrscht genug fühlte, damit bis draußen auf der Straße zu warten).
    Sextus senkte ganz leicht den Kopf und schenkte ihr einen anerkennenden Blick. “Wäre es kein Verbrechen, dich von der Jägerin zur Sklavin zu degradieren, ich würde dich, werte Flavia, der Briseis gleichsetzen. Solch sanftes Wort nötigte selten soviel Gehorsam ab.“
    Dass er sich damit mit Achill gleichsetzte, störte ihn nicht sonderlich. Auch wenn man es so hätte verstehen können, dass er Agamemnon sei und der Flavier der König von Pthia, aber nach Sextus Meinung taugte der noch nichtmal zum Patroklos.
    Er hoffte nur, dass auch seine Cousine zur Einsicht gelangt war. Mochte sie ihm auf der Straße weitere Beschimpfungen an den Kopf werfen, aber das hier würde nach seinen Bedingungen enden.

    Nachdem er sich von der gefühlsduseligen Liebeserklärung seiner Cousine erholt hatte, kam auch schon direkt die erwartete Antwort, genauso schwülstig, wie er sich das gedacht hatte. Sollten jemals solche Worte über seine Lippen kommen und diese Worte auch noch so gemeint sein, hoffte er, dass Iuppiter ihn in seiner Gnade gleich mit einem Blitz erschlagen würde.
    Seine bezaubernde Begleitung lenkte kurz nochmal seine Aufmerksamkeit auf sich. Typisch Frau aber auch, wehe, man sah irgendwo anders hin, und wenn es um etwas wichtiges wie Politik ging. Hauptsache Prinzessin fühlte sich genügend beachtet. Sextus drehte sich ihr charmant zu und blickte kurz runter zur Bühne, wo König Wiedehopf gerade aufmarschierte und mit den beiden Stotterern ein seichtes Geplänkel startete. Eine Sekunde später wünschte er, er hätte sich nicht ablenken lassen, dann hätte er den Flavier noch rechtzeitig unterbrechen können, ehe der die mos maiorum mal eben im Vorbeigehen mit Füßen trat. Um seine pietas auf jeden Fall schien es nicht weit bestellt, wenn er an einem öffentlichen Platz ohne Gegenwart von Priscas Tutor so eine Frage stellte. Auch noch an die betreffende Frau selber! Wo käme man denn hin, wenn jeder aus schwülstigem Gefühl heraus die Frauen selbst nach ihrem Willen fragte? Als ob die das entscheiden könnten!
    “Piso, Freund!“ fing Sextus laut genug an, um auf jeden Fall gehört zu werden. Sogleich legte er den Arm um seinen Sitznachbarn und zog diesen zu sich her und von Prisca weg, noch ehe diese Gelegenheit hatte, zu antworten. Als Piso zu ihm herschaute, nutzt Sextus die Gelegenheit, mit der Hand Prisca ungesehen ein Zeichen zu machen. Er hob nur den Zeigefinger, aber so bestimmt, dass er auch 'Halt jetzt ja den Mund und sag gar nichts!' hätte schreien können. “Herrlich, diese Komödien, nicht. Sie machen einem den Geist genauso leicht wie ein guter Wein. Und scheinbar die Zungen genauso losgelöst.“
    So leise, dass die beiden Damen es nicht mitbekamen, raunte er ihm in weit weniger brüderlichem Tonfall, aber nach außen einem Lächeln auf den Lippen, etwas zu. “Ich denke zwar, dass es ein äußerst schlechtes Omen wäre, meinem zukünftigen Schwager etwas zu brechen, aber wenn du mich noch einmal so beleidigst wie durch diesen kleinen Ausbruch eben, werde ich mich dazu gezwungen fühlen. Wenn du sie heiraten willst, schön, aber besprich das wie ein Mann mit dem dafür zuständigen Mann. Ich werde nicht zulassen, dass du meine Cousine vor aller Augen lächerlich machst.“ Um es zu unterstreichen ruckte er einmal mit seinem Arm den Flavier näher zu sich. Dabei lachte er laut und irritierte kurz die Schauspieler auf der Bühne, die noch mehr ins stottern fielen und ihre Sätze wiederholen mussten.
    Charmant wandte er seinen Kopf in Richtung Nigrina und schenkte ihr seinen gewinnendsten Blick. “Nun, meine Jägerin der Nacht, ich fürchte, ich muss mich deiner Gegenwart kurz entziehen, so verlockend und lohnend der Preis der Fallen auch sein mag. Aber du weißt, die Stärke des Wolfs ist sein Rudel, und das verlangt gerade meine Aufmerksamkeit. Aber ich denke, dein Bruder wird dich auch kurz gut unterhalten, bis wir unsere philosophischen Betrachtungen vertiefen können.“
    Erst jetzt ließ er Piso wieder los und stand auch sogleich auf, um zu Prisca hinüberzugehen. Lächelnd beugte er sich zu ihrem Ohr hin hinunter. “Du kannst dir den Ärger nicht vorstellen, in dem du steckst, sollte ich herausfinden, dass du mich dafür benutzt hast. Ich sähe mich nur äußerst ungern dazu gezwungen, Corvinus davon zu berichten. Ich hoffe, dein Galan beherrscht sich ab jetzt.“
    Auch wenn Sextus sich locker gab und nach außen hin lächelte, in ihm kochte es. Er hatte einen schönen Plan gehabt, Nigrinas Mitgift zu seinen Gunsten in die Höhe zu treiben. Ja, er hätte sich vielleicht angeboten, dem Flavier dabei zu helfen, Corvinus zu überzeugen. Hätte ihm klar gemacht, dass er ebenso mit Corvinus reden konnte, um Prisca seinem Einfluss gänzlich zu entziehen, wenn er nicht auf seine Forderungen einginge. Aber wenn dieses Weib von einem Mann sich noch nicht einmal in einem öffentlichen Theater für fünf Minuten beherrschen sollte, war dieser schöne Plan für die Katz. Und Sextus hasste es, wenn ein Plan nicht funktionierte.

    “Dann also bin ich nun deine Beute?“ feixte Sextus, als sie sich setzten, und schenkte Nigrina diese bestimmte Art von Lächeln, die erahnen ließen, woher sie rührten. Er erlaubte sich einen kleinen Vorstoß und ließ seinen Blick einmal an ihrem Körper hinabgleiten, und dann, viel langsamer, wieder hinauf. “Nun, wenn dem so ist, sollte ich wohl auf der Hut sein. Mir scheint, meine Jägerin hat einige allzu verlockend tückische Fallen dabei, in die zu tappen mich meinen Kopf kosten könnte.“ Er lächelte ihr vielsagend zu und lauschte dann unauffällig ein wenig dem Geplänkel zwischen Piso und Prisca. Als dieser anbrachte, sie sei eine Gottheit, hätte er sich am liebsten jovial rübergelehnt und den Mann darüber aufgeklärt, dass dieser Vergleich schon vergeben war. Sextus hatte Prisca bereits bei den Megalesia zu seiner Göttin des Lichts erhoben und ihr Anbetung versprochen. Von daher kam der Flavier etwas zu spät, wie Sextus mit Genugtuung feststellte. Außerdem verklausulierte man Komplimente nicht so, am Ende verstanden Frauen noch nicht einmal, dass man es positiv meinte. Zu logischem Denken waren sie nur begrenzt fähig. Nur Prisca schien es trotz allem zu gefallen, und damit verpasste sie Sextus selbstzufriedener Laune einen kleinen Dämpfer. Vor allem, da sie diesen Pfau einem Amor gleichstellte, rüttelte stark an Sextus Selbstbeherrschung.
    Doch der Aurelier wäre nicht er selbst gewesen, wenn er sich davon etwas hätte anmerken lassen. Zumal sein Pferdchen hier genügend Anreiz bot, um sich abzulenken. Sofern er sich nicht zu sehr ablenken ließ, immerhin hatte er vor, jegliche hier gesammelte Information später gewinnbringend einzusetzen. Völlige Fokussierung auf die Kurzweil, die Frau, die ohnehin keine Wahl haben würde, ihn zu heiraten, um den Finger zu wickeln, fiel somit aus.


    Aber ein wenig spielen blieb amüsant genug, vor allem wenn die Flavia ihm so meisterlich die Worte bereit legte und er nicht lang nach Komplimenten suchen musste. Eine Weile konnte er sie noch bedienen und sehen, wie sehr sie sich davon beeinflussen ließ. Einzig den Zeitpunkt der Forderung galt es geschickt abzupassen und dann nötigenfalls zu intervenieren.
    “Dunkelheit? Welche Dunkelheit? Ich sehe das sanfte Licht des Mondes und die Schönheit der tausend Sterne. Nacht, süße, wundersame Nacht sehe ich, doch keine Finsternis. Da fragt man sich, wie noch ein Narr der eitlen Sonne huldigen mag.“ In ein paar hundert Jahren würde ein kleiner Schreiberling im fernen Britannia die Genialität dieses Vergleiches wohl noch einmal aufgreifen, wenngleich er es in einer endlosen Liebeselegie verschwenden würde. Aber das konnte Sextus nicht ahnen, als er Nigrina mit einem Blick bedachte, der von dem anhimmelnden Schmachten, dass seine beiden Sitznachbarn füreinander übrig hatten, weit entfernt war, aber dennoch nicht weniger aufmerksam.


    Doch dann sagte Prisca etwas, was ihn kurz aus dem Konzept brachte. Sie hauchte ihrem frisch gekürten Amor eine Liebeserklärung zu. Das hab ich jetzt nicht gehört.... Sextus drehte sich kurz in die Richtung der beiden, die wie hypnotisierte Kaninchen einander in die Augen schauten. Ich fürchte, das hab ich gehört... Einen Moment der Fassungslosigkeit später war sich Sextus gar nicht mehr so sicher, ob es nicht sogar gut war, dass er es gehört hatte. Wenn Prisca diesem Kerl so zugetan war, machte sie das angreifbar. Wenn er ihr auch so zugetan war und das ganze jetzt ausdrücklich erwidern würde, war er erpressbar. Alles in allem eine vielversprechende Position um in eine Verhandlung zu starten. Sextus hoffte nur, dass der Mann neben ihm genug verstand hatte, sich auf Worte gleich zu beschränken und nicht auf Körperkontakt übergehen würde. Wenn Sextus ihn der Leute wegen zurückziehen und zur Rede stellen musste – immerhin war man hier im Theater nicht allein und es ging immernoch um den Ruf der Familien – wäre das wohl eine schwierige Ausgangslage für Verlobungsgespräche.



    Unterdessen traten auch schon die beiden Protagonisten auf die Bühne, jeder mit einem ausgestopften Vogel auf der Hand.


    EUELPIDES zu der Dohle, die er auf der Hand trägt.
    “Gradaus, dort nach dem Baum zu weist du mich?“
    PISTHETAIROS zu seiner Krähe.
    “Ei, berste du! – Die krächzt uns nun zurück.“
    EUELPIDES.
    “Verdammt! Da stolpern wir nun auf und ab
    Und laufen kreuz und quer hinein ins Blaue!“

    PISTHETAIROS.
    “Ich Tor! – zu folgen einer Kräh', und mehr
    Als tausend Stadien Wegs herumzuirren!“
    *
    ….


    Der eine der beiden war etwas zögerlich in seiner Ausdrucksweise, er schien recht nervös zu sein. Insgesamt kein guter Anfang, zumindest nicht nach den Ansprüchen, die der Aurelier gemeinhin stellte. Allerdings war das Schauspiel hier in der Loge auch interessanter.




    Sim-Off:

    Ich möchte bitte darauf hinweisen, dass die Gedanken dieses Charakters weder inhaltliche noch sachliche Kritik des Schreibers eben jenen Chars an anderer Leute Schreibe ist, sondern lediglich die unausgesprochen Gedanken einer nicht sehr netten Figur.

    Die verworrene Geschichte seiner mütterlichen Abstammung war wohl zu genüge eruiert worden und Sextus alles andere als traurig, dass es keine weiteren Fragen dazu gab. Er nahm sich fest vor, bei jeglichen Gesprächen, die noch kommen mochten und dieses Thema betrafen, seine Worte weiser wählen würde. Wer einen Fehler einmal machte, war unvorbereitet. Wer einen Fehler zweimal machte, war ein Trottel. Sextus war nur äußerst ungern ein Trottel.


    Stattdessen interessierte der Pontifex nun mehr für ihn und seinen allgemeinen Werdegang, wie es schien. Dann wollte er einmal ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern und die Neugierde seine Person betreffend befriedigen. Vielleicht brauchte er den Flavier noch irgendwann als Verbündeten, da sollte er sich nun um ein gutes Verhältnis bemühen. Abgesehen davon, dass er die Empfehlung für die Haruspices noch nicht hatte, und alles, was man nicht schriftlich in Händen hielt, hatte man gar nicht.
    “Nur bis ich etwa 10 Jahre alt war. Mein Vater entschied, dass er mit seiner Familia lieber in Achaia sein Glück finden wollte, anstatt sich hier in Rom in der Politik zu versuchen.“ Man konnte auch sagen, dass Numerius Aurelius Fulvus lieber ein großer Fisch in einem kleinen Becken war als ein kleines Fischlein in einem gewaltigen Meer. “Was sich in dem Fall für mich ohnehin als Vorteilhaft erwies, war es doch ohnehin fast an der Zeit, dass ich mich mit tiefergehenden Studien befasste. Ich lernte dann in Athen die artes liberales und vertiefte meine Studien anschließend zwei Jahre in Alexandria.“ Dass da ein paar Jahre fehlten, in denen er reichlich untätig war und sich auf seinem Status als 'Sohn des großen Fisches im kleinen Teich' ausgeruht hatte, musste er nicht erwähnen, noch war es irgendwie von Belang. Jetzt war er hier, und jetzt setzte er alles daran, möglichst bald selbst ein großer Fisch zu werden. Angefangen bei den Haruspices.