Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Nachdem sich Sextus einige Informationen über den Purgitier beschafft hatte, beschloss er, diesem nicht nur wie vielen anderen die Einladung zu der Sponsaliafeier einfach auf dem Postwege zukommen zu lassen, sondern sie persönlich zu überbringen. Zum einen natürlich, weil Purgitius Macer der Patron seines Vetters war – was ihm hoffentlich auch die Tür öffnen würde. Zum anderen aber, weil er verflixtnocheins einflussreicher Senator war, der auch noch mit einer Patrizierin verheiratet war, und dessen Stimme er gebrauchen könnte. So hatte er die erhältlichen Informationen abgeholt, unter anderem eben auch die nach der Zeit, zu der man den guten Mann wohl erreichen könnte. Da die Zeit bis zur Verlobung knapp war, verzichtete er darauf erst seinen Scriba zu schicken wegen eines Termines, denn bei seinem Glück läge der erst lange nach der Feier, womit er eines seiner Ziele nicht erreichen könnte. So blieb ihm nichts übrig, als eben ohne Termin hier zu erscheinen und auf Fortuna zu hoffen.


    Sein Sklave klopfte pflichtschuldig und brav an die Porta, und als diese sich öffnete, verkündete er mit klarer Stimme: “Mein Herr Sextus Aurelius Lupus wünscht den ehrenwerten Senator Purgitius Macer zu sprechen.“

    Sextus hielt sich zurück. Er war der neueste Sodales, er würde hier ungefragt seinen Mund nicht aufmachen. Vor allem, da zuhören gerade so amüsant war. Da stand ein älterer Herr patrizischen Geblüts und erklärte gerade im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte (über die Qualität eben jener mutmaßte Sextus an dieser Stelle nicht), dass es römisch sei, nichtrömische Götter anzubeten. Sextus unterdrückte jegliche Bewegung der Gesichtsmuskeln in Richtung eines Grinsens, als er sich vorstellte, dem guten Mann noch ein paar Hunde und Katzen näher zu legen, wie die Ägypter sie anbeteten. Das war sicher auch sehr römisch. Vermutlich aber nicht ganz nach dem Gusto dieses Tiberiers, denn den ägyptischen Gottheiten sagte man nicht nach, dass ihre Anhänger mit ihren Priestern ins Bett zu steigen hatten. Herodot schrieb das ja bereits vor 500 Jahren über die von Dolabella so verehrte Ishtar, und im Grunde konnte Sextus auch verstehen, warum man als Mann es dann ganz toll finden konnte, sich dort zu engagieren. Doch welche vernünftige, römische Frau, die nicht von ihren verwandten wegen Entehrung erdrosselt werden wollte, würde sich dafür freiwillig hergeben? Und Lupae waren auf Dauer doch billiger, wenn es nur um den Sex ging. Und bei weitem nicht so gefährlich, was wütende Verwandte anging.
    Kurz überlegte er, ob er nicht den Vorschlag einbringen sollte, er könne sich doch auch im Bacchus-Kult engagieren. Dessen Anhänger waren für ihre Orgien auch sehr bekannt, und das war wenigstens ein römischer Gott. Vielleicht war hier einfach das größte Hindernis die Einschränkungen des Kultes nach dem Bacchanalienskandal. Auch wenn dieser nun schon einige Jahrhunderte zurück lag. Doch war der Ruf erst einmal ruiniert...


    Sextus versuchte sich lieber darin, die Mienen seiner Kollegen zu lesen. Es wäre interessant, zu sehen, wem als erstes die Contenance flöten ginge angesichts solcher Belehrungen, was römisch sei und was nicht. Vor allem in Bezug auf diese Göttinnen, deren größter Nutzen darin bestand, ihrer Priesterschaft ein reges Sexleben zu beschaffen, und die vermutlich nur aufgrund dieser Tatsache überhaupt noch existierten und nicht vom Staub der Jahrhunderte schon längst geschluckt worden waren. Auf die Abstimmung später war der junge Aurelier jetzt schon gespannt.

    ... kam ein weiterer Brief.


    Ad
    Titus Aurelius Ursus
    Leg I Trai P F
    Mantua


    Salve Vetter,


    zunächst einmal muss und möchte ich dir danken. Natürlich ist es in gewisser Weise selbstverständlich, dass man sich innerhalb einer Gens hilft, doch mit solcher Großzügigkeit hätte ich nicht gerechnet. Ich hoffe, dein Posten bringt dir neben der Ehre, dem Imperium zu dienen, auch eine ordentliche Entschädigung. Ein schlechtes Gewissen steht mir nämlich nicht.
    Womit wir auch gleich beim nächsten Punkt wären: Wenn es dein Wunsch ist, werde ich deine Frau höchstpersönlich in eine Kutsche setzen, ehe es zu spät ist und sie das Kind auf dem Weg bekäme. Nur meinst du, dass es überhaupt so eine gute Idee ist, sie diese unternehmen zu lassen? Solch eine Reise ist anstrengend, und wir wollen denke ich alle vermeiden, dass das Kind aufgrund der Holperei, der Anspannung und Unbequemlichkeit zu früh kommt oder bei der Geburt kränklich ist. Von den üblichen Gefahren der Reiserei ganz zu schweigen. Hier in Rom hätte sie es sicherlich komfortabler als im Castellum, und dein Kind könntest du auch noch annehmen, wenn sie es zur Welt gebracht hat und dann mit eben jenem zu dir reist.
    Es ist dein Kind, und wie auch immer dein Wunsch ist, ich werde ihn ausführen.


    Als weiteres möchte ich dir danken für deine Fürsprache bei verschiedenen Senatoren. Ich denke, ich habe es nicht zuletzt dir zu verdanken, Tiberius Durus nun meinen Patron nennen zu können. Die Purgitier und die Germanicer wollte ich noch aufsuchen, um mich auch ihrer Fürsprache zu versichern, ebenso wie ich noch zum amtierenden Konsul muss, um meine Kandidatur bekannt zu geben. Wobei ich hierbei noch auf die offizielle Verkündigung des Wahltermines warte.
    Oder darauf, dass er zu meiner Sponsalienfeier erscheint. Ja, nun bin ich verlobt. Flavia Nigrina wird mich heiraten, wie mein Vater und ihr Vater es vorgesehen haben. Die Feier wird, wie es die Tradition gebietet, in der Villa Flavia stattfinden, ANTE DIEM VI NON OCT DCCCLX A.U.C. (2.10.2010/107 n.Chr.). Aufgrund der Lage innerhalb des Pomeriums weiß ich, dass du nicht kommen kannst, was ich sehr bedauere. Dennoch sollst du dich eingeladen fühlen, ebenso zu der Hochzeit, die wir noch nicht näher terminiert haben. Die Wahlen sollen zunächst stattfinden, ebenso wie meine Ernennung in das Collegium Harupicium. Letztere würde ich ebenfalls versuchen, auf der Sponsalienfeier zu arrangieren, sofern der Haruspex Primus geneigt ist, zu kommen, und noch geneigter, zuzuhören. Ich denke, deine Großzügigkeit wird mir auch hierbei behilflich sein, weshalb ich dir noch dankbarer sein müsste.


    Weiters gibt es eine nette Anekdote, die ich dir nicht vorenthalten möchte. Offensichtlich gibt es einen Tiberier, der sich in sehr abstrusen Kulten engagiert. Kannst du dir in der heutigen Zeit jemanden vorstellen, der sich östlichen Göttinen wie Ishtar oder Astarte verschreibt? Jedenfalls stellte sich Tiberius Dolabella bei den Salii Palatini vor und hat stolz verkündet, eben jenes zu tun. Ich war ja versucht, meinen neuen Patron darauf anzusprechen, doch ich habe es vorerst gelassen. Ich denke, der geehrte Pontifex hat genug andere Sorgen momentan, und ein Aurelier sollte ihn auf diese nicht unbedingt angesichts der Lage um Laevina ansprechen.


    Vale,


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    “Ich danke dir, Patronus“, war die einfache wie treffende Antwort hierauf. Allerdings war das Gespräch hiermit ja noch nicht beendet, zumindest nicht von Sextus' Seite aus. Nur bedurfte es eines rhetorischen Kniffes, seine Anliegen vorzutragen, ohne dass es so aussah, als wolle er nur deshalb dieses Patronat. Ebensowenig, wie er Aurelia Laevina ansprach und ihr Fehlverhalten. Darüber konnte man vielleicht unter vier Augen einmal sprechen, wo Sextus im Brustton der Überzeugung ihr Verhalten dann verteufeln könnte, wenngleich es ihm rein objektiv betrachtet nicht störte. Nur politisch gesehen war das eine Dummheit sondergleichen und damit ein Grund für ihn, seiner Cousine den Kopf abzureißen, sollte man sie erwischen.
    “Dürfte ich dich auch gleich um einen Rat fragen?“ Ein Rat war nichts, wo der Tiberier nun wirklich tätig werden müsste, und damit ein idealer Einstieg in eine nicht ausgesprochene Bitte.

    Auch Sextus saß inzwischen sehr entspannt da, und das nicht nur aufgrund der Weinmenge, die von ihnen beiden zu gleichen Teilen vernichtet worden war. Davon, betrunken zu sein, waren sie wohl beide weit entfernt, da sie wohl beide sehr genau auf ihren Konsum geachtet hatten. Immerhin ging es darum, Geschäfte zu machen. Arbeit war Arbeit und Schnaps war Schnaps – oder eben Wein. Man mischte beides nicht übermäßig, außer mit voller Absicht.
    “Zu Hochzeit werden sie sicherlich anreisen.“ Immerhin musste sein Vater ihn offiziell freigeben. Natürlich konnte er das auch durch ein Schreiben tun, und Sextus hielt es sogar für wahrscheinlicher, dass er ein eben solches schicken würde, anstatt sich von Athen nach Rom zu begeben, nur um eine Hochzeit mitanzusehen. Sextus war nicht sein Erstgeborener, warum also eine Weltreise dafür unternehmen? Aber die Möglichkeit bestand, dass sie kommen würden, also stellte er es so dar, als sei eben diese groß.


    Dass Der Flavier nur freundlich hatte sein wollen, glaubte Sextus nicht so ganz. Vermutlich war das noch ein abschließender, kleiner Test, aber so oder so hatte er ja eine Antwort erhalten. Was es letztendlich war, war nicht wirklich von Belang.
    “Nein, ich denke nicht. Wenn du eine Abschrift des Vertrages drei Tage vor der Verlobung spätestens zur Prüfung übermittelst, wird dann zum Termin alles geklärt sein und der Verlobung steht nichts mehr im Weg.“ Einzelne Formulierungen waren immer etwas, worüber man diskutieren konnte, und auf der Verlobung wurden die Verträge schließlich unterschrieben. Da sollten sie vorher so sein, dass alle Parteien einverstanden waren. “Wenn du kein weiteres Anliegen sonst hast, bleibt mir nur noch, dir für deine Zeit zu danken und dich deinen weiteren Geschäften wieder zu überlassen.“ Im Grunde war wirklich alles besprochen, und sie beide hatten sicher noch andere Dinge zu tun, als sich den restlichen Tag hier zu unterhalten. Auch wenn Sextus dagegen sicher auch nichts einzuwenden gehabt hätte, aber Zeit war schließlich Geld.

    Unter all den Fragen, die er hätte stellen können – Familie, Herkunft, Pläne, Leumund – war die nach Treue die erste, die dem Tiberier in den Sinn kam. Sextus nickte leicht und verbuchte diese Information wie alle weiteren, die er sich über die verschiedenen Leute, die ihm einmal nützlich sein sollten, erarbeitet hatte. “Selbstverständlich. Dies ist Sinn und Zweck eines Patronates.“ Sextus machte sich nichts vor. Er würde niemandem blinden Gehorsam leisten und selbstverständlich zuerst an sich selbst denken. Aber natürlich wäre er nie so dämlich, einen Mann auf diese Weise erst um Unterstützung zu bitten, und ihn dann zu hintergehen, nur weil ihm danach war. Natürlich würde er dem Tiberier eine Gegenleistung zu erbringen haben. Natürlich war dies eine langfristige Bindung. Und natürlich würde er auch das ein oder andere beachten müssen, was ihm hinderlich erschien. Nur war die Kosten-Nutzen-Rechnung dieser Sache eben dergestalt, dass sich trotz dieser Einschränkungen ein nicht zu unterschätzender Nutzen ergab.

    Eine übertriebene Geste in der er seine Hand auf sein Herz legte, als wäre er von einem Pfeil soeben getroffen worden, war Sextus' gespielte Antwort auf ihre ersten Worte. “Oh, Rose, deine Dornen sind wahrlich scharf“, meinte er gespielt tadelnd, ehe er sein Schauspiel mit einem charmanten Lächeln auflöste.
    Als sie auf ihren langsam sichtbar werdenden Bauch anspielte, wurde sein Lächeln verschmitzter. Es war ja so ein Jammer um diese herrliche Figur. Bald schon würde die Frau sehr ungrazil vor sich hinwatscheln wie ein Ente. Aber natürlich würde er so etwas nie sagen, sondern sie nur umso charmanter mit Komplimenten überhäufen. Wenn eine Frau ihrer Selbst nicht sicher war, war sie umso leichter zu manipulieren.
    “Ich denke, bei dir würden sie eine Ausnahme machen.“ Galant bot er Septima den Arm an, damit sie sich einhaken konnte, wenn sie wollte. “Nun, ich habe deinem Mann versprochen, auf dich gut aufzupassen, ebenso wie ich euch versprochen habe, mich um euer Haus zu kümmern. Wie also könnte ich dich da nicht begleiten? Noch dazu, wo es so eine Freude ist, mich in aller Öffentlichkeit mit so einer bezaubernden Frau an meiner Seite zu zeigen, ohne dass auch nur der kleinste Einwand dagegen erhoben werden kann?“ Ja, das war dann doch ein wenig Entschädigung für seine Mühen. Wenngleich es noch ein weiter Weg bis zu wirklicher Entschädigung in dem Sinne, wie Sextus das Wort verstand, wäre. Aber er konnte ja schon einmal darauf hinarbeiten und herausfinden, ob Septima da seine Meinung teilte. “Vielleicht sollte ich dich bei dieser Gelegenheit entführen, denn ich weiß noch nicht, ob ich dich wirklich wieder zurückgeben will.“

    Es gab ganz offensichtlich noch andere Frühaufsteher, aber Sextus hatte auch nicht angenommen, sofort an die Reihe zu kommen. So nutzte er die Zeit, indem er hier und dort leise ein kleines Gespräch anfing. Die meisten waren zu sehr mit sich und ihren eigenen Wünschen bei dieser Salutatio beschäftigt, aber hier und dort entwickelte sich doch ein kleines Gespräch. Es war nicht einfach, die Richtige Mischung aus Ablenkung während des Wartens und Aufmerksamkeit in Richtung Hausherren zu finden, aber Sextus versuchte sein bestes. Immerhin würde jede Information, die er durch Beobachten des Tiberiers gewann, ihm helfen, diesen einzuschätzen. Und im Moment gab es eigentlich nichts, das wichtiger wäre, als dies, denn wenn er sich durch ein Klientenverhältnis an ihn gebunden hatte, wäre es zu spät, eine Fehlentscheidung zu bemerken. Sextus hasste Risiken, die nicht abschätzbar waren. Und hier musste er sich bereits darauf verlagern, Erfahrungen aus Schätzwerten zu approximieren.


    Irgendwann bekam dann er das Zeichen, dass er vortreten dürfe. Sogleich wurde er von dem Tiberier begrüßt, wenngleich etwas zögerlich. Aber was sollte er auch anderes erwarten, er war bislang in Rom ein nichts. Mit ein wenig Hilfe würde sich das aber hoffentlich sehr zügig ändern.
    “Salve, Tiberius Durus.“ Sextus ging auf das Zögern nicht ein und verzichtete auf eine unnötige Bestätigung, dass der Tiberier mit dem Namen richtig lag. Das war zum einen peinlich und zum anderen zeigte fehlender Widerspruch ja an, dass er richtig lag.
    “Ich danke dir, dass du mich empfängst, obwohl so viele deiner Klienten auf deinen Rat noch warten.“ Sextus hatte überlegt, ob er erst auf die obligatorische Gegenfrage warten sollte, was er hier wolle, aber er hatte sich bereits auf den wenigen schritten hier vor den Tiberier dazu entschieden, etwas Tatendrang zu zeigen. Hoffentlich, ohne aufdringlich hierbei zu erscheinen, denn das wollte er wahrlich nicht. “Zu denen ich mich selbst bald gern zählen würde, sofern du gewillt bist, mein Patron zu werden.“
    Jetzt allerdings wartete auf die Fragen, die der Tiberier wohl haben mochte. Er war hier, um nach einem Patronat zu fragen, nicht, um es zu erbetteln.

    Der Weg von der Villa Aurelia zu der der Tiberier war nicht unbedingt weit, so dass es weniger ärgerlich war, früh aufstehen zu müssen. Sextus war sicherlich nicht faul und kein Langschläfer, aber heute morgen war es doch etwas früh gewesen, um sich noch vor diesem Termin herzurichten und hierher zu gelangen.
    In feiner Toga, wie aus dem Ei gepellt, stand er also da und ließ seinen Sklaven anklopfen. Als die Tür sich öffnete, begrüßte das wandelnde Inventar auch sogleich den Ianitor und verkündete artig: “Salve! Mein Herr Sextus Aurelius Lupus wünscht mit dem ehrenwerten Tiberius Durus zu sprechen. Er möchte sich ihm vorstellen.“
    Sextus hoffte, dass der Ianitor sogleich verstand, dass es dabei nicht um ein profanes kennenlernen ging. Ebenso wie er hoffte, dass Ursus Wort gehalten hatte und bei dem Tiberier schon ein gutes Wort für ihn eingelegt hätte.

    Nachdem sie nun alle vorgestellt waren und Platz genommen hatten, fing der Ducciuer endlich an, den Sinn dieses Beisammenseins zu erklären. Was er vorschlug, war nicht weniger als eine politische Allianz zum gegenteiligen Vorteil, und das zu einem Zeitpunkt, wo noch keiner von ihnen politische Macht besaß.
    Sextus lehnte sich leicht zurück und drehte leicht seinen Weinbecher, ohne zu trinken. Der Pompeier war gleich Feuer und Flamme und äußerte unverhohlen Zustimmung zu dem ganzen. Sein Einwurf, dass er bereits auf Hindernisse gestoßen war, machte die Sache für Sextus aber doch etwas komplizierter. Er war kein selbstloser Menschenfreund, der andere unterstützte ohne konkrete Gegenleistung. Welche Gegenleistung also konnte er im Endeffekt erwarten, sich diesem Zirkel hier nun anzuschließen und dem Vorschlag des Ducciers zu folgen. Diese Männer besaßen alle keinerlei nennenswerten Einfluss, bekleideten alle kaum bedeutungsvolle Posten, sofern sie überhaupt welche hatten. Wobei er vermutlich momentan sogar mit der unbedeutendste unter ihnen war, bekleidete er doch noch gar keinen. Selbst den des Haruspex musste er erst noch erhalten.


    Sextus schwieg erst einmal und besah sich die Runde in Ruhe. Zwei Ritter, drei, die die Senatorische Laufbahn verfolgten. Das konnte groß werden, wenn sie es richtig anstellten. Der Duccier war momentan auf dem Posten, den er anstrebte. Wenn er ihn erhielt, konnten sie dafür sorgen, dass die Amtsübergabe glatt vonstatten ging und die Kontakte, die Vala geknüpft hatte, ebenso in seine Gewalt übergingen wie die Arbeit. Und die anderen... Sextus hatte keine Ahnung, wer der Claudier war und was der bereits geleistet hatte. Oder noch würde. Sie waren nicht einmal in derselben Sodalität. Was allerdings auch vorteilhaft sein konnte, immerhin hieß das, dass er ihm auch Kontakte verschaffen konnte, die er jetzt nicht hatte, eben aus besagten Punkten.
    Bei den Rittern war Sextus sich schon unschlüssiger. Natürlich erkannte er auch die Macht, die solche Posten mit sich brachten, nur inwieweit diese Macht nun schon ihm etwas einbringen würde, darüber musste er erst noch einmal nachdenken.


    Schweigend lehnte er sich einfach zurück und wartete darauf, ob noch weitere Meinungen verkündet werden würden. Ihn würde schon interessieren, was seine 'Freunde' zu dem ganzen zu sagen hätten, vornehmlich ohne selbst die eigene Meinung preisgeben zu müssen. Vielleicht konnte er das Ganze schon für die kommenden Wahlen benutzen, so es sich wirklich als so vorteilhaft herausstellte, wie es auf den ersten Blick aussah.

    Nachdem nun feststand, dass die Hochzeit stattfinden würde, stellte sich berechtigterweise die Frage, wann sie stattfinden würde. Natürlich wollte der Flavier dies möglichst schnell in trockenen Tüchern haben. Eine Verlobung konnte man relativ verlustfrei wieder aufheben, bei einer Ehe war das schon schwieriger. Und vermutlich wollte Aetius auch nicht allzu lang hier in Rom verweilen, sondern sich wieder nach Ravenna zurückziehen. Verständlich, wenn man keinerlei politische Ambitionen für die eigene Person hegte. Dennoch war Sextus nicht so verständnisvoll, dass er sich daher den Wünschen seines künftigen Schwiegervaters beugen wollte. Nach der Verlobung hatte er ein geschlagenes Jahr Zeit, die Ehe anzutreten, da musste das nicht gleich in den nächsten drei Wochen sein. Abgesehen davon, dass so etwas auch seine Vorbereitungszeit brauchte.
    “Ich denke, wenn wir die Sponsalia in zwei Wochen ausrichten, können wir die Eheschließung innerhalb von drei Monaten anpeilen. Dann fällt es nicht mit dem Wahlkampf zusammen und läuft nicht Gefahr, hinter diesen zurückgestellt zu werden.“ Und eines war klar, wenn eine Hochzeit zwischen Flavia und Aurelia stattfand, wollten beide Gentes, dass Rom dies mitbekam. Vielleicht nicht so auffällig wie bei Corvinus Hochzeit, die wohl recht untraditionell war. Aber auf jeden Fall so, dass davon gesprochen wurde, andernfalls hatte das Ganze keinen Sinn. Und im Wahlkampf würde eher über die Schmierereien an den Wänden geredet, und wer welches Amt bekäme. Sextus war sich nicht sicher, ob das auch im Sinne des Flaviers war, allerdings war an seiner Logik kaum etwas auszusetzen.


    Dann sprach der Flavier noch auf seine Tochter an, und Sextus lehnte sich bequem zurück. Musste er sie vorher kennenlernen? Er wusste, wie sie aussah, heiraten würde er sie so oder so. Wollte er sich davor noch wirklich mit ihr groß unterhalten? Im Grunde gab es nicht wirklich etwas, was man vorab bereden müsste. “Von meiner Seite aus ist dies nicht nötig. Außer du wünscht, dass deine Tochter mich vorab etwas besser kennenlernt.“ Er glaubte zwar nicht an eine sentimentale Ader des Flaviers, aber dieses Angebot brachte ihn wahrlich nicht um. Ein Gespräch mit einer hübschen Frau würde er schon überleben.

    Die leidige Pflicht, die Baustelle zu überwachen, nahm Sextus nicht wirklich wahr. Ursus hatte ihn darum gebeten, er hatte es zugesagt, aber er verschwendete dort nicht unbedingt ein Übermaß an Energie. Was sollte er auch machen, er war ein Genie, kein Architekt? Was verstand er von Hausbau? Die meiste Zeit, wenn er dort war, sah er also skeptisch drein und übte ein sicheres Auftreten bei absoluter Ahnungslosigkeit. Und tatsächlich erreichte er mit diesem Blick meist mehr als mit jeder Diskussion, die er über Fachdetails hätte führen können. Menschen waren so herrlich lenkbar, wenn man sie einfach nur anschwieg und ihnen ihre eigene Nichtigkeit durch einen kleinen Blick vor Augen hielt.


    Nun, aber Sextus hatte nun einmal diese Pflicht übernommen, und heute schien der erste Tag zu sein, an dem es sich für ihn auszuzahlen schien. Zumindest in geringem Maße und kurzzeitig, aber immerhin mehr als in den vergangenen, vergeudeten Wochen. Septima schien schon bereit, und wenn er es nicht besser wüsste, er würde sagen, sie wollte ohne ihn losmarschieren. “Meine liebste Blume würde mich doch nicht etwa allein zurücklassen?“ Mit seinem charmantesten Lächeln kam er ins Atrium gebogen und bedachte Septima mit einem langsamen Blick von Kopf bis Fuß. Wirklich eine Schande, dass diese hübsche Frau bald schon aufgehen würde wie ein Brotteig und die schmalen Hüften dann wohl der Vergangenheit angehören würden. Wahrlich ein Jammer. Sein Blick allerdings sprach eher vom momentanen Zustand der Tiberia, und der war noch durchaus begehrenswert. “Ich glaube, Ursus würde mir zu Recht den Hals umdrehen, wenn ich dich ganz allein auf die Straße ließe. So bezaubernd, wie du heute aussiehst, würde man dich vom Fleck weg rauben wie dereinst die Sabinerinnen, denn kein Mann mit Verstand würde dich einfach ziehen lassen.“ Vielleicht schon eine Spur zu schwülstig, aber Septima kannte ihn ja schon ein wenig und wusste, dass er häufig Komplimente machte, die an der Grenze zur Übertreibung waren. Wenn er nur mit einem 'hübsch siehst du aus' gekommen wäre, sie wäre sicher glatt enttäuscht gewesen.

    “Allerdings ist sie dies.“ Und Sextus war über diese Tatsache wahrscheinlich auch nicht erfreuter als die Flavier, wenngleich aus anderen Gründen. Ihn kümmerte es wenig, ob Celerina nun fruchtbar war oder nicht – und wenn sie es nicht wäre, was aus ihr werden würde. Nur verursachte diese Frau dazu unnötige Anspannungen zwischen den Familien. Wenn sie wenigstens einmal schwanger werden würde und dann das Kind verlöre! Aber soweit er wusste, war ja noch nicht einmal das der Fall. Also entweder stand sein Vetter so sehr auf Knaben, dass er seiner Frau kein Kind machen konnte, oder aber die Flavia konnte keines empfangen. So oder so nichts, was unbedingt publik werden müsste. Und leider etwas, das diese Ehe wirklich vorteilhaft für beide Familien sein ließ und so die Schlinge um seinen Hals etwas fester zurrte.


    Die Ehre der Haruspices hingegen waren etwas, das Sextus dann doch mehr zum nachdenken brachte. Diese Ehre hatte eben wegen der vielen Scharlatane und nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sie ebenso bestechlich wie die Auguren oder überhaupt jedes Collegium waren, stark gelitten. Wenn er diesem Ruf also Ehre machen sollte, hatte der Flavier dabei etwas bestimmtes im Auge und dies war seine Art, unauffällig einen Gefallen einzufordern? Sextus war nicht sicher, ob er jetzt schon welche gewähren sollte, wo noch nicht sicher war, ob er sie einlösen konnte. Und wo viel unsicherer war, was er dafür erhalten würde, denn die Hand der Flavia war unter Umständen ein zu leichtes Gegengewicht. Auch wenn es ihn mit dieser Frau schlechter hätte treffen können, er war nicht wie Flavius Piso, als dass er sich wegen einem Weibsstück aufführen würde wie ein eben solches.
    “Ich werde mich auf jeden Fall bemühen, eben dies zu tun, Flavius, wenn ich in dieses ehrwürdige Collegium aufgenommen worden bin.“ Sextus hoffte, dass der Flavier es schon richtig verstehen würde. Er würde erst dann sich anhören, was Aetius nun genau wollte, wenn er abschätzen konnte, ob er es ihm bewilligen konnte, nicht im Vorfeld. Er war Taktiker, kein Spieler. Er stellte keine Blankoscheine aus und spielte dann Rätselraten.


    Und nun endlich kamen sie zum eigentlichen. Wie hoch der Preis sein würde, den diese Hochzeit letztendlich einbringen würde. Grundstücke, Rechte, Geld, alles Dinge, die man erwarten konnte. Immer wieder wurde auf diesen oder jenen Einfluss verwiesen, den etwas einbringen würde, immer wieder über Nutzungsrechte und Pachtrechte geredet, vor allem bei der Grundstücksfrage. Schließlich kam die Sprache auch auf die Patria Potestas, unter der Sextus noch stand, ebenso wie Nigrina. Allein schon, um in der Politik eigenmächtig mündige Entscheidungen treffen zu können versicherte Sextus hier nochmal, dass sein Vater ihn zur Hochzeit aus seiner Gewalt freigeben würde, während Aetius die Gewalt über seine Tochter behalten würde. Eine Manus-Ehe hatte Sextus auch nicht erwartet. Und beide waren sich stillschweigend einig, dass eine Frau nicht über sich selbst bestimmen sollte, auch wenn keiner von beiden es so ausdrückte.
    Und schließlich, nach mehreren Stunden und mehreren Bechern Wein und scheinbar endlosem Geschacher, war man sich einig. Man ging noch einmal alles stichpunktartig durch – eine von einem Sklaven irgendwann gebrachte Wachstafel war hierbei überaus hilfreich – aber man war sich einig.
    Sextus lehnte sich recht zufrieden zurück. Wenn schon heiraten müssen, dann in die richtige Familie. Wie er schon einmal über Nigrina gedacht hatte. Sie war wie ein edles Pferd: stolz, schön, aus guter Zucht und es wert, mehr als einmal geritten zu werden. Die Gewinn- und Verlustrechnung ergab am Ende ein dickes Plus an potentiellem Machtgewinn, und das war das wichtigste. Seine Frau würde schon aushaltbar sein, und wenn nicht, konnte er immernoch hoffen, dass Celerina ein Balg warf oder aber sein kleines Schauspiel bezüglich Prisca Früchte trug. In beiden Fällen konnte er sich auch durch eine kleine Intrige wieder einfach lösen, hatte immernoch seine Freiheit vor den Wünschen seines Vaters und in der Zwischenzeit alle Vorteile genossen. Aber zunächst würde er ein wenig Arbeit investieren und die Frau an sich zu binden wissen.
    “Wenn die Verträge in schriftlicher Form ausgearbeitet sind, können wir die Verlobung vollziehen. Wie lange bleibst du in Rom?“ Sextus musste eine Liste der Leute zusammenstellen, die eingeladen werden mussten und sie mit der Liste abgleichen, die von den Flaviern aufgestellt werden würde. Dazu mussten die Einladungen mindestens drei Tage im Vornherein verschickt werden. Das alles brauchte Zeit, von daher wäre ein Rahmen für das Unterfangen nicht unnütz. Er wollte es sicher nicht hinauszögern, aber ein paar Tage würde er dafür schon veranschlagen. Vor allem, da er auch noch ein Verlobungsgeschenk finden musste.

    Sein Gegenüber war kein Anfänger. Sofort relativierte er ganz beiläufig den Einfluss der Aurelier, und betonte damit indirekt die Vorteile der Verbindung zu den Flaviern. “Glücklicherweise haben wir für die Fälle, wo ihr Einfluss allein nicht reicht, so gute Freunde wie unter den Flaviern. Mein Vetter Aurelius Corvinus ist ja mit einer Flavia verheiratet.“ Womit Sextus nun wiederum die Immanenz der Verbindung zu Nigrina etwas schmälerte. Es gab bereits eine intakte Ehe, eine zweite wäre zwar festigend, aber sicher nicht so zwingend vorteilhaft, wie Aetius ihm das wohl gerne weismachen wollte.
    Von Außen musste ihr Gespräch wirken wie leichtes, seichtes Geplänkel. Sextus erhob nicht einmal auffällig seine Stimme, die Rhetorikausbildung in Athen machte sich doch bezahlt.


    Bei der Antwort auf seine Frage nach Piso allerdings war doch ein klein wenig Zufriedenheit aus Sextus Gesicht abzulesen. Er lächelte nicht wirklich, es war nicht sein Stil. Frauen betörte man mit einem Lächeln, bei Männern ließ er lieber die Fakten für sich sprechen. Hier waren seine Gesten sachlicher, klarer, stärker. Die vielen Schnörkel konnte er sich für das schwache Geschlecht aufsparen. “Dann nehme ich diesen Zufall als gutes Omen.“ Zufall war es sicher keiner, aber es war sicher gut für Sextus. Es sagte ihm, dass die Flavier diese Verbindung wollten, trotz Pisos alberner Gefühlsduselei für Prisca. Vielleicht sogar, dass sie einer solchen, politischen Ehe aufgeschlossener gegenüberstanden als einer Liebeshochzeit. Und wer würde das auch nicht? Aus Liebe konnte man heiraten, wenn man absolut nichts hatte und niemand war. Barbaren heirateten vielleicht aus Liebe. Hier ging es um Politik, die ja wohl ein wenig wichtiger war.


    Doch das Gespräch wartete nicht auf die Erörterung der Frage, wie vorteilhaft es nun sein mochte. Stattdessen erwies sich Aetius geschickt darin, den Schwachpunkt in der bisherigen Argumentation aufzuspüren und anzusprechen. Wäre Sextus auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen, er wäre vielleicht in Erklärungsnot gekommen. Aber natürlich sprach der Flavier an, warum er ausgerechnet unter allen Ämtern das der Haruspex wählte. Kaum ein intelligenter Mensch machte sich da etwas vor, die Haruspices hatten natürlich keinen direkten Draht zu den Göttern und konnten die Zukunft vorhersagen. Zwar hatte er gelernt, wie das gehen sollte, aber Hand aufs Herz, welcher vernünftige Mensch würde daran glauben? Die Macht der Haruspices bestand vielmehr darin, dass 99% von Roms Bevölkerung eben nicht vernünftig waren. Die abergläubische, frömmelnde Masse in der Subura liebte die Haruspices. Sie fürchteten ihre schlechten Omen mehr als das Schwert der Cohortes und hingen an ihren Lippen mehr als an denen der Ausrufer des Senats. Darin lag die Macht des Collegiums. Die Magistrate mussten sie befragen. Nicht aus Tradition. Nicht aus religiöser Überzeugung. Sie mussten sie befragen, weil das Volk darauf bestand, dass die Haruspices befragt wurden, ehe man etwas tat, das den Zorn der Götter nach sich ziehen konnte. Und wenn es nur ein Tempelbau war.
    “Warum nicht Haruspex?“ fragte Sextus zurück, und diesmal lächelte er doch ein ganz klein wenig. Nicht so wie der Flavier oder seine Tochter. Sein Lächeln war ein Schauspiel anderer Art, mehr wie eine menschliche Variante des Zähnefletschens seines tierischen Namensgebers. Er hätte seinem Gegenüber nun erzählen können, dass seine Mutter Etruskerin war, dass er die Haruspizien studiert hatte von Kindesbeinen an. Dass er alle Voraussetzungen mitbrachte, die es dafür brauchte. Dass er konnte, was man von ihm verlangen würde, und noch darüber hinaus auch willig wäre, das zu seinem und unter Umständen auch zum Vorteil der Flavier auszunutzen. Nur das würde Aetius alles nicht interessieren, das konnte er sich für den Haruspex Primus aufsparen. Vielleicht abgesehen von dem letzten Teil.
    “In diesem ehrenwerten Amt kann ich die Magistrate in ihrer Arbeit unterstützen“, was soviel hieß wie sie kennenzulernen und sich ein paar wichtige Gefallen zu sichern, solange er auf dem Weg nach oben war. “Und den Willen der Götter für das Volk Roms ergründen und ihm notfalls – natürlich in Absprache mit dem Haruspex Primus – die Richtung weisen.“ Er beging nicht den Fehler, seine Macht jetzt schon so darzustellen, als wäre sie unübertrefflich. Der Haruspex Primus würde mächtiger als er sein und würde auch zunächst darüber entscheiden, ob er Haruspex werden würde. Aber doch blieb die Tatsache, dass diese Stelle einen gewissen Machtgewinn für ihn persönlich einbringen würde, der trotz des allgemein nicht besonders herausragenden Rufes der Haruspices nicht zu verachten war.

    Es dauerte eine Weile, in der Sextus nur leicht an seinem Wein nippte. Er hatte nicht vor, sich die Verhandlungen schwer zu machen, indem er über seine eigene Zunge stolperte. Er glaubte nicht daran, dass er unbeabsichtigt warten musste. Er selbst würde an Stelle des Flaviers auch seinen Gast schonmal mit Wein etwas alleine lassen in der Hoffnung, ihn dann später leichter zu überrumpeln, wenn die Sprache auf wichtige Dinge kam. Und so trank er seinen Wein nur langsam und mit reichlich Wasser verdünnt, bis der Flavier dann schließlich auftauchte.
    Langsam und von Selbstsicherheit getragen stand Sextus auf, um ihn zu begrüßen, wie es sich gehörte. Sitzen zu bleiben hätte wohl den Eindruck der Abfälligkeit hinterlassen, aber es fiel ihm nicht ein, wie ein ertappter Schuljunge aufzuspringen. Sie beide wussten, weshalb er hier war, und für Sextus war das wahrlich kein Grund, nervös zu sein. Überhaupt gab es für ihn als Taktiker nur selten Gründe, nervös zu sein. So etwas wie Pech gab es nicht, nur schlechte Vorbereitung. Und er war nicht schlecht vorbereitet, also musste er auch kein imaginäres Pech fürchten.
    “Salve, Flavius. Mich nennt man Lupus.“ Sextus wartete, bis auch sein Gastgeber Platz nahm, ehe er es sich wieder gemütlich machte und in den belanglosen Smalltalk einfiel. “Ja, ein wirklich sehr guter Jahrgang. Ich sollte dir danken, dass du ihn mir anbieten ließest.“ Irgendeinen Kommentar zu den Sklaven ließ Sextus wohlweißlich aus. Die waren nichts, was einer Erwähnung bedurfte. Das hätten sie nur, wenn etwas nicht zu seiner Zufriedenheit gewesen wäre, wenn sie frech oder vorlaut gewesen wären, so dass er auf eine mögliche Strafe hinweisen könnte. Aber die flavischen Sklaven waren braves Inventar und bemühten sich, unauffällig zu sein.
    “Danke der Nachfrage, Flavius. Es ist erfreulich, auf wie viel Rückhalt meine Gens zählen kann, der hier in Rom auch mir zuteil wird. Ich habe Hoffnung, demnächst dem Collegium Haruspicium LX anzugehören und damit meinen Teil dazu beizutragen, den Frieden mit den Göttern zu bewahren. Desweiteren fühle ich mich nun sicher genug, auch die Politik endlich in Angriff zu nehmen. Ich kann es kaum erwarten, die weißen Hallen der Curia einmal von Innen zu sehen.“ Und schon waren die Verhandlungen eröffnet. Wie bereits erwähnt, es gab nicht so etwas wie Glück oder Pech. Und es gab auch keine belanglosen Fragen. Alles hatte seinen Grund und Sinn, und Aetius' Frage nach Sextus Leben in Rom war nichts anderes wie die Frage, ob er es denn verdient hatte, eine Flavia zu heiraten. Gesprochene Worte und das, was man meinte, waren eben verschiedene Dinge. So auch Sextus Antwort, die man auch mit Ja was denkst du denn? Meine Gens hat Einfluss und Geld. Ich strebe eine strategische Position im Cultus Deorum an, die mir noch mehr Macht und Einfluss bringt, noch dazu ein nicht zu verachtendes Einkommen. Und mein Hunger nach Macht ist noch lange nicht zuende, also pass auf. übersetzen könnte. Begleitet von einem selbstsicheren, geraden Blick. Das hier war etwas geschäftliches, nichts privates. Also kein Grund, sich irgendwie kleiner zu machen, als man war.
    Und nun war es an Sextus, den Flavier ein wenig in das Spiel zu verwickeln. Was er in freundlichem und aufrichtigem Tonfall sagte, war: “Ich muss zugeben, es hat mich etwas überrascht, von dir Nachricht zu erhalten. Ich dachte, dein Sohn solle die Verhandlungen führen?“ Oder übersetzt: Na, hat er schon gebeichtet, was er angestellt hat, so dass Väterchen einspringen musste, um die Tochter noch an den Mann zu bringen? “Allerdings eine positive Überraschung, wenngleich dein Aufenthalt hier einen traurigen Grund hat. Mein Beileid zum Verscheiden deiner Tochter. Ich durfte sie leider nicht kennenlernen, aber man sagte mir, dass sie ihrem Vater alle Ehre gemacht hat.“ Hoffentlich ist deine andere Tochter robuster als die erste. Dass sie sich als Patrizia standesgemäß zu benehmen hat, versteht sich von selbst.
    Sextus mochte diese Spiele, sie schulten den Verstand und waren gute Übungen für das politische Taktieren. Und so genoss er auch in gewisser Weise diese Diskussion hier, die er nun mit diesem aufrecht betroffenen Tonfall fortgeführt hatte, ehe er einen kleinen Schluck Wein wiederum nahm und dem Flavier Raum für eine Antwort ließ.

    Der Aufforderung folgte Sextus natürlich gerne und betrat den Raum. Und ihm wurde sogar abgenommen, auf den Grund seines Hierseins erst beiläufig anzuspielen, als Corvinus auch gleich schon erfreulicherweise den vermeintlichen Smalltalk mit dem vorhersehbaren Thema des gestrigen Abends eröffnete. Sextus unterdrückte jeglichen emotionalen Impuls und blieb sachlich charmant wie stets.
    “Es war recht erheiternd. Immerhin war es auch eine Komödie, auch wenn ich das Ende verpasst habe. Prisca wollte schon früher gehen. Versteh einer die Frauen.“ Leicht zuckte Sextus mit den Schultern und ließ die ganze Geste von einem angedeuteten Lächeln unterstreichen. “Viel interessanter war ohnehin, wen wir getroffen haben. Vor dem Theater trafen wir auf Flavia Nigrina – du weißt ja, die Frau, von der mein Vater wünscht, das sich sie heirate. Und ihren Bruder.“ Eine winzige Pause, gerade lang genug, um eine Reaktion bei Corvinus auszumachen, aber nicht lang genug, als dass er hier schon einfallen könnte. Natürlich musste Corvinus wissen, wen er meinte, hatten sie doch in der Bibliothek vor nicht allzu langer Zeit darüber ausführlich geredet, eben wegen der geplanten Verlobung. “Die Höflichkeit gebot eine Unterhaltung, also habe ich sie in unsere Loge eingeladen. Verzeih mir diese kleine Dreistigkeit, ich weiß, du hältst den Flavier nicht für den nobelsten Vertreter seiner Gens.“ Ganz leicht plätscherte seine Stimme dahin, als nähe er es gar nicht so ernst mit der ganzen Situation, aber doch ernst genug. Nicht, dass die Sache am Ende an zur Schau getragener Leichtigkeit scheiterte. Jede Geste, jedes Heben der Brauen, jede Handbewegung war die eines gekonnten Schauspielers, der genau wusste, welche Reaktion er bei seinem Publikum erzielen wollte. Wäre dieser Berufsstand nicht infam, vielleicht hätte er wirklich nachdenken sollen, Unterricht zu geben. “Doch andererseits war das daraus resultierende Gespräch äußerst aufschlussreich und interessant. Während die Damen sich das Stück ansahen, hatten wir eine kleine Unterredung.“ Nahe genug an der Wahrheit, um als solche durchzugehen. Das Geheimrezept einer guten Intrige, die lange Bestand haben sollte und ihre Wirkung voll entfalten sollte. Außerdem musste man sich so weniger Details merken, denn die Wahrheit war einem ja so oder so geläufig. “Und wegen dieser überfalle ich dich auch gerade. Es gibt da einiges, wozu ich deinen Rat zu schätzen wüsste.“ Und das zweite Geheimrezept einer guten Intrige: Man musste den anderen glauben machen, das sei alles seine Idee.
    An dieser Stelle machte Sextus nun lange genug Pause, dass Corvinus auch einmal reagieren konnte, so er es denn wollte und nicht vorzog, stumm einfach mal zuzuhören, was Sextus zu sagen hatte.

    Und Sextus ließ sich führen. Seine Sklaven wurden auf halbem Weg mit einer mikroskopischen Geste in die Küche – oder wo auch immer hin, Hauptsache, sie kamen in einem Stück wieder – entlassen. Noch ein letzter Blick durch den Raum, in dem er noch abgesehen von sprechendem Mobiliar allein war, dann setzte er sich hin. Warum sollte er stehend wie ein Schuljunge warten und Unsicherheit damit ausstrahlen, wo er doch keine empfand. Höchstens einen kleinen Mangel an Information, aber die Flavier wären nicht verrückt genug, ihn in ihrem Haus umzubringen, wo jedermann wusste, wo er war. Von daher gab es keinen Grund, hier nervös herumzustehen und zu warten, wenn man auch sitzen und verdünnten Wein trinken konnte. Und eben das tat Sextus, während er auf den Vater seiner vielleicht zukünftigen Braut wartete.

    Sicher war Sermo nicht der einzige der kam, denn kaum hatte er die Frage ausgesprochen, betrat auch schon der nächste Gast die Runde. Wenngleich Sextus nicht wusste, was der Zweck dieses Zusammentreffens war, so hatte er es sich doch nicht nehmen lassen, herzukommen. Sicher kannte er den Duccier nicht gut genug, um dessen Absichten abzuschätzen, aber gut genug, um zu wissen, dass er es bereuen würde, ginge er nicht. Abgesehen davon war es vielleicht gut, mit dem Mann zu sprechen, den man im Amt zu beerben gedachte, so alles glatt lief.
    Im Gegensatz zu dem ihm noch unbekannten Quintilier war Sextus nicht allein hergekommen. Allerdings warteten die obligatorischen Anklopfer, im Volksjargon auch Sklaven genannt, brav dort, wo auch immer man sie hinverfrachtet hatte. Doch das Haus des PP gänzlich leger zu betreten kam für Sextus nun auch nicht in frage. Soweit er das eruieren konnte, war dies hier keine Wiederholung des Lupanar-Besäufnisses.
    “Salve, Duccius, und... wir sind einander denke ich noch nicht vorgestellt worden? Sextus Aurelius Lupus.“ Mit leicht fragendem Gesichtsausdruck gen Sermo blieb Sextus kurz stehen. Irgend ein Plebejer, wie es schien, aber darüber würde der Gastgeber ihn schon aufklären. Ebenso über den Grund des Treffens sowie weitere Gäste. Die Anzahl der Klinen ließ zumindest darauf schließen, dass noch jemand kam. Oder aber, sie hätten zu dritt wahrlich viel Platz.

    Sim-Off:

    Von der Familienwertkarte bitte abziehen



    Ad
    Titus Aurelius Ursus
    Leg I Trai P F
    Mantua


    Salve Vetter,


    da deine Frau uns dereinst so freundlich aufgefordert hat, euch fleißig auf dem Laufenden zu halten, übernehme ich heute diese freudige Pflicht und widme dir ein paar Zeilen. Zunächst einmal das wohl wichtigste für dich: Septima ist wohlbehalten angekommen. An dieser Stelle will ich dir auch einmal meine Glückwünsche übermitteln zu der Schwangerschaft. Mögen die Götter geben, dass das Kind gesund zur Welt kommt und männlich ist.


    Doch sind hier noch mehr Dinge geschehen, über die ich dich aufklären möchte. Politik ist manchmal schon eine wankelmütige Geliebte, und ich fürchte, dass sich dort die Stellung der Aurelier nicht unbedingt verbessert hat, im Gegenteil.
    Laevina ist vor ihrem Mann geflohen. Vor ein paar Tagen hat Tiberius Durus uns hier aufgesucht, um mit Corvinus über die Verwicklungen dieser Sache zu reden. So wie es aussieht, hat sie sich mit einem Liebhaber abgesetzt. Wie untragbar solches Verhalten ist, muss ich dir wohl nicht schreiben. Vielleicht sind die Tiberier mit einem Ersatz einverstanden, Flora, Narcissa und Prisca wären im passenden Alter.
    Doch damit nicht genug, auch die Verlobung von Orestes mit Tiberia Arvinia wurde gelöst. Vielleicht hast du es schon gehört, dass er erkrankt ist und daher noch immer auf dem Gut seiner und der Zwillinge Mutter weilt. Offenbar hat dies die Verlobungszeit zu lange herausgezögert, so dass diese Verlobung gelöst wurde. Dank deiner Ehe mit Septima verbleibt uns zwar noch eine Bindung zu den Tiberiern, doch bin ich mir nicht sicher, wie nachhaltig die Schäden dieser Aktionen letztendlich sind.


    Da ich noch einen Patron suche, habe ich überlegt, dies Tiberius Durus anzutragen. Er könnte mir vermutlich behilflich sein auf meinem Weg zum Haruspex, darüber hinaus ist er auch Senator einer nicht unbedeutenden Gens und nicht zuletzt Patrizier. Vielleicht würde dies die Wogen zwischen Tiberia und Aurelia ein wenig glätten.
    Vor allem, da ich plane, für die nächsten Wahlen als Vigintivir zu kandidieren. So ich einen Wunsch äußern kann, werde ich mich bemühen, den Posten als Decembir litibus iucandis zu erhalten. Allerdings werde ich auch jeden anderen Posten, den der Senat mir zugedenkt, nach bestem Gewissen ausfüllen.


    Daher möchte ich auch dich um Unterstützung bitten. Zwar bist du in Mantua fernab von Rom, doch bin ich sicher, du hast auch Freunde, an die du mich verweisen kannst. Ein paar geöffnete Türen wären nicht schlecht, meinen Fuß bekomme ich dann schon in eben jene.


    Von den anderen Vorkommnissen in Rom hast du durch die Verkündigungen und die Acta sicher auch so erfahren. Wenn sich dort etwas näheres ergibt, was nicht auf diesem Weg zu dir gelangt, werde ich dir erneut schreiben.


    Vale


    [Blockierte Grafik: http://img41.imageshack.us/img41/9149/salq.gif]

    Zu früh gefreut. Das war es, was Sextus sich gedacht hatte, als er den Brief von einem Sklaven erhalten hatte. Er hatte wirklich schon geglaubt, erst einmal der Verpflichtung, eine Ehe zu schließen, entgangen zu sein, und sich voll und ganz auf seine politischen Pläne konzentrieren wollen. Doch schien der Vater seiner künftigen Braut nicht gewillt, ihn wegen so einer lächerlichen Lappalie wie dem Vorfall im Theater vom Haken zu lassen. Wäre auch zu schön gewesen, wenn dieser Flavier ebenso übertrieben musisch veranlagt wäre wie sein Spross und ihm damit noch eine Weile unbedarfter Freiheit gewährt hätte.
    Andererseits war es vielleicht auch nicht das schlechteste, jetzt schon diesen Weg zu gehen und sich einstweilen zu binden. Diese Verbindung zu den Flaviern konnte sich als vorteilhaft erweisen, hatten sie doch auch einiges an politischem Einfluss zu bieten. Nicht unbedingt das schlechteste, wenn man gerade am Anfang seiner Laufbahn stand und außer einem Namen nichts vorzuweisen hatte. Und sollte sich diese Verbindung im Nachhinein oder im Verlauf seiner Karriere als unvorteilhaft erweisen, konnte man sie mit etwas Glück verlustlos lösen. Oder sich der Frau anderweitig entledigen. Oder dafür sorgen, dass sie sich selbst in Verruf brachte.
    Im Grunde blieb nur zu hoffen, dass dies hier keine geschickte Falle aufgrund gekränkten flavischen Stolzes war. Der flavische Wahn war leider nicht nur sprichwörtlich zu verstehen, so dass ein gewisses Risiko immer blieb. Doch ehrenhaft ablehnen konnte Sextus diesen Termin nicht.
    So stand er da, in seiner besten Toga gekleidet und bereit, Geschäfte zu machen. Er schickte einen seiner Sklaven vor, damit er anklopfte und dem Ianitor die Einladung des Flavius Aetius übergab.