"Moos an Bäumen...ja, das ist so eine Sache. Sicherlich eine Methode mit oft zweifelhafter Sicherheit, sich im Walde zu orientieren, doch jetzt sind wir auf recht üppiger Wiese mit lockerem Gehölzbestand. Da wäre es doch Zeit- und Kraftverschwendung, zum nächstem Wäldlein zu rennen, oder? Schau, wenn wir gerade keinen Flussläufen oder Straßen folgen, dann hoffen wir einfach auf himmlischen Beistand: Sonne und Sterne. Sind sie durch Wolken verdeckt, wie du bereits erkannt hast, dann sucht sich der Marschführer einfach besonders markante Punkte in der Landschaft als Orientierungshilfen. Als wir losmarschierten, war mit bereits bewusst, dass der Hügel, den wir eben bestiegen haben, in südlicher Richtung von unserem alten Feldlager lag. Der Kamm war also der wichtigste, weil am weitesten von unserer alten Position entfernte und damit sichtbare Punkt. In diesem besonderen Fall war es kein Thema, die Anhöhe zu erreichen, denn wir bemerken ja sofort an der Steigung, wohin wir marschieren. Aber auf relativ ebenen Flächen, wie wir sie hier vor uns haben, müssen wir ganz genau unsere Marschroute planen, bevor wir uns überhaupt in Bewegung setzen.
Gut, wir wollen nach Südwesten, auf möglichst direktem Wege auf die Strasse nach Mantua.
Jetzt suchen wir einen möglichst weit entfernten Punkt, der verglichen mit unserem letzten großen Orientierungspunkt, dem Hügelkamm nämlich, in möglichst gerader Linie erreichbar ist und - wie gesagt - von unserem Standpunkt aus südwestlich liegt.
Dieser große, einzelstehende Baum ganz dort hinten wäre doch ein recht brauchbarer Bezugspunkt! Jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir möglichst bequem, schnell und sicher von hier zu diesem Baum kommen.
Schau, vor uns liegt wieder einmal ein Waldgebiet, zur rechten Seite ein kleiner Ausläufer des Hügels und noch weiter rechts davon eine Strecke voller Geröll, die für uns nicht passierbar ist.
Jetzt müssen wir entscheiden, was der beste Weg sein könnte:
Die Geröllhalde scheidet also aus, der Wald ganz links wäre vermutlich begehbar, aber wie wir eben gesehen haben, eher hinderlich. Bleibt also noch der scheinbar umständliche Weg über den Hügelausläufer.
Jetzt ergibt sich für uns aber folgendes Problem:
Gehen wir diesen Weg weiter, so werden wir irgendwann einmal unseren einzelnen Baum, also den Bezugspunkt, der die Marschrichtung vorgibt, aufgrund des da vorne angrenzenden Waldgebietes, welches die Sicht verdecken würde, aus den Augen verlieren.
Was machen wir also? Wir brauchen eine weitere Orientierungshilfe, die wir auch dann noch erkennen können, wenn wir den Hügelausläufer passiert haben. Nun, dafür könnte sich doch diese kleine Talsenke zu rechter Seite anbieten, welche wir aber aufgrund des Geröllfeldes nicht direkt anlaufen können. Haben wir sie erreicht, können wir - wenn ich das jetzt mit dem Augenmaß abschätze, den einzelnen Baum wieder sehen und an ihn hinmarschieren. Dann geht das ganze Spielchen wieder von vorne los: Wir suchen einen neuen Bezugspunkt mit möglichst vielen Orientierungshilfen, die uns auch während des Marsches immer darüber informiert halten, wo wir uns gerade befinden.
Jetzt kannst du dir sicher vorstellen, dass diese Methode für einen echten Kampfeinsatz natürlich viel zu gefährlich wäre.
Ich kann zum Beispiel von hier aus nie und nimmer erkennen, ob sich in dem Wäldlein dort vorne Feinde aufhalten...oder ob sie in der Talsenke auf uns lauern...gar hinter dem großen Baum. Was ich damit sagen will: Das Sicht- und Planfeld der schweren römischen Infanterie ist - und da sehen wir von teilberittenen leichten Infanteriehilfstruppen einmal ab - enorm begrenzt. Wir sind daher im Kampfeinsatz von der Kavallerie abhängig wie ein Kalb vom Muttertier."
Kurz hob der Centurio den Weinrebenstock nach rechts, um der Zenturie den Marschweg, eben beschriebenen Hügelausläufer, anzuzeigen und lief schweigend neben Herius Vesuvius Claudius her.