Beiträge von Flavius Aurelius Sophus

    Sophus zuckte die Achseln.


    "Wissen die Götter, was unsere Kommandeure da wieder aushecken..."


    Der Bach war erreicht.
    Plötzlich drehte sich der Centurio zur Truppe um, hob die Hand und blieb einfach mitten auf der Strasse stehen.


    "Consistite! CONSISTITE!


    Acies dirigite! Schneller, wir sind doch hier nicht bei der Zweiten! Wir sind Bestandteil einer Legion des Kaisers von Rom und können niemals in einer solch erbärmlichen Aufmachung auf italischem Boden wandeln. Ausrüstung ablegen und am Bach reinigen!"


    Wahrlich hatten sich die Legionäre während der Durchquerung des unberührten Landstreifens sehr mit Schmutz behaftet, welcher nun - allmählich getrocknet - von Beinen und Arbeitskleidung gescheuert wurde. Auch die Ausrüstung hatte gelitten und so hatte jeder etwas zu tun...

    Viele erleichterte Seufzer gingen durch die Reihen der strapazierten Legionäre, als endlich wieder fester, weitaus besser begehbarer Boden unter den Caligae zu spüren war.


    "Ach, ihr neuen Legionäre habt noch gar keine Katapultausbildung und solche Späße hinter euch? Na, dem müssen wir aber baldigst Abhilfe schaffen. Hm...momentan habe ich noch nichts geplant. Ich rechne aber damit, dass der Praefectus Castrorum in den nächsten Wochen einen recht hohen Bedarf an Arbeitskräften im Zusammenhang mit dem Bau des Amphitheaters bei Mantua haben wird. Sicher wird auch das Baugebiet selber noch zu erschließen sein. Mal sehen, ob sich da noch Zeit finden lässt - die Vorbereitungen für die Artillerieausbildung sind meist recht umfangreich und natürlich muss das alles erst durch den Kommandostab genehmigt werden."


    Die Augen des Centurio kreisten über dem Land. Irgendwo hier, so glaubte er sich erinnern zu können, musste ein kleiner Bach verlaufen...

    Die Einstellung des Legionärs gefiel dem Centurio irgendwie.


    "Nun, ich bin mir sicher, dass auch die Reiterei ganz hervorragende Decurionen vorweisen kann - ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Offizier - gleich welcher Waffengattung er sich auch verschrieben hat - der Legio I, der Legion des Kaisers von Rom, zu Unrecht seinen Posten erhalten hat. Die Kontrollen der Stabsoffiziere sind in dieser Hinsicht recht streng. Die Legion hat Mangel an fähigen jungen Soldaten. Früher...während meiner Rekrutenzeit...wollte ich unbedingt zur Artillerie."


    Sophus lächelte gedankenverloren.


    "Aber es gab keinen freien Posten mehr. Nun, seitdem bekommt die vierte Zenturie permanent meine alte Leidenschaft für Belagerungswaffen und Feldartillerie zu spüren.
    Was ich damit sagen will: Die Zeiten haben sich nach Picentia geändert, dir stehen alle Möglichkeit offen. Nur wenn ich dem Legaten sage, einer der Soldaten möchte zu einem fähigen Offizier, wird er damit wenig anfangen können.
    Schaue dich, wenn wir zurück in Mantua sind - ich hoffe, wir schaffen es bis zum Abend - ruhig ein wenig genauer im Kastell um und fälle dann eine endgültige Entscheidung."


    Die Zenturie hatte den großen Baum erreicht.


    "Ah!", entfuhr es dem Centurio.
    "So ein Zufall...dich haben wir gesucht." :D


    Im Nebeldunst tauchte in einiger Entfernung das hellgraue Band der Strasse auf.

    "Viele Barbaren fechten gerne einen Krieg ohne klaren Fontverlauf in möglichst unübersichtlichem Gelände, das ist wahr. In der Militärgeschichte gab es immerhin viele Beispiele - denken wir an zahllose Gefechte mit den Germanen nördlich der Alpen - welche deshalb die römische Niederlage bedeutete, weil einzelne Truppenkontingente einfach während des Marsches überrascht wurden. Dies aber ist nicht die römische Art zu kämpfen. Schau, die Römer haben ein völlig anderes Verständnis von der Schlacht als viele Barbaren: Oft sind sie an Körpergröße und Stärke weit unterlegen, auch sehen wir uns oft mit gewaltigen Überzahlen des Feindes konfrontiert, der oftmals geradezu danach trachtet, im Kampfe zu fallen. Wie kann man gegen jemanden gewinnen, der sich danach sehnt durch die Klinge eines Feindes zu sterben? Will sagen: Wir sind die bedeutend schlechteren Einzelkämpfer und haben nur dann eine echte Chance gegen einen zahlenmäßig überlegenen Feind, wenn wir möglichst geschlossen und diszipliniert unsere meist bessere Panzerung und Ausrüstung einsetzen.
    Dieses Prinzip hat sich die römische Armee seit vielen Jahrhunderten angeeignet. Es kann nicht unser Bestreben sein, Mann gegen Mann im Wald kämpfen zu lassen - denn da haben wir fast immer den Kürzeren gezogen.
    Aber man soll immer das tun, an dem man Freude findet, das einen fordert. Du bist ein junger Legionär, die ganze Zukunft bei den Truppen steht dir offen - und an Tagen wie diesen wäre es doch zuweilen bequemer, sich zu Pferde fortbewegen zu können."


    Der Centurio grinste, während er in Richtung des nun auftauchenden großen Baumes marschierte.


    "Überlege es dir gut: Ist es tatsächlich dein Wunsch, in der Reiterei zu dienen, so kann ich entweder dem Lagerkommandanten oder einem der Tribunen davon berichten. Obwohl...ich muss sowieso noch einmal mit dem Legaten sprechen und die Zenturie einsatzfähig melden, wenn wir wieder zurück sind. Da könnte ich dein Anliegen vorbringen...was hälst du davon?"

    Der Centurio musste schmunzeln.


    "So? Nun, ich habe lange das römische Heerwesen studiert und möchte mir noch immer kein abschließendes Urteil darüber erlauben, welche Truppengattungen wohl die wichtigeren seien. Wie gesagt: Die Reitereieinheiten sind Augen und Ohren der Legion. Sie sind wendig, vor allem schnell und können als Spähtrupps - richtig eingesetzt -unschätzbar wertvolle Informationen über das vor der Infanterie befindliche Land liefern.
    Dies ist ein zentraler Bestandteil der Kriegsführung: Viele Militärs vertreten schon lange die Auffassung, dass eine gute Aufklärung für den Ausgang einer Schlacht, nicht aber zwangsläufig eines Krieges, viel wichtiger ist als die eigene Truppenstärke. Nun aber ein anderer Gesichtspunkt und da muss ich die Bedeutung der Reiterei doch erheblich einschränken: Die Kampfkraft.
    Gewiss, berittene Einheiten sind meist wendiger als die Infanterie, doch in offener Feldschlacht, dessen bin ich mir sicher, hätte sie ohne Unterstützung von Fußtruppen nicht den Hauch einer Chance gegen die geschlossene Phalanx der schweren römischen Infanterie. Sie nämlich ist das Herzstück der Legion, die mit Abstand effektivste und schlagkräftigste Heeresgattung. Wir müssen ebenfalls die Tatsache beachten, dass die gesamte Strategie der Legionen darauf beruht, den Feind nicht etwa in einem frontlosen Partisanenkampf aufzureiben, sondern zu offenen Feldschlachten auf möglichst freiem und ebenem Gelände zu zwingen, das uns viel Raum für verschiedene Manöver gibt.
    In der Vergangenheit hat die Kavallerie in solchen Schlachten hauptsächlich dazu gedient, die Flanken abzusichern und gegebenenfalls mit schnellen Vorstößen in den feindlichen Truppenkörper einzudringen, während dessen Soldaten von der Infanterie in Schach gehalten werden.
    Auch eignet sich die Kavallerie hervorragend für die Verfolgung bereits geschlagener Feinde - und dies kann durchaus von großer Bedeutung sein - aber die Hauptlast der Kämpfe, das ist klar, trägt allein die Infanterie.
    Sich mit dem Wesen der Reiterei zu beschäftigen, ist sicher eine höchst spannende Unterhaltung...zumal andere Völker jener eine sehr viel höhere Bedeutung zugestehen als dies bei den römischen Truppen der Fall wäre."


    Immer weiter führte der Marsch bis Sophus den zuvor angepeilten Baum nicht mehr erkennen konnte und daher die Zenturie nun in Richtung Talsenke führte.


    "Bist du denn ein guter Reiter?", fragte der Centurio etwas später, während er nach dem Baum Ausschau hielt.

    "Moos an Bäumen...ja, das ist so eine Sache. Sicherlich eine Methode mit oft zweifelhafter Sicherheit, sich im Walde zu orientieren, doch jetzt sind wir auf recht üppiger Wiese mit lockerem Gehölzbestand. Da wäre es doch Zeit- und Kraftverschwendung, zum nächstem Wäldlein zu rennen, oder? Schau, wenn wir gerade keinen Flussläufen oder Straßen folgen, dann hoffen wir einfach auf himmlischen Beistand: Sonne und Sterne. Sind sie durch Wolken verdeckt, wie du bereits erkannt hast, dann sucht sich der Marschführer einfach besonders markante Punkte in der Landschaft als Orientierungshilfen. Als wir losmarschierten, war mit bereits bewusst, dass der Hügel, den wir eben bestiegen haben, in südlicher Richtung von unserem alten Feldlager lag. Der Kamm war also der wichtigste, weil am weitesten von unserer alten Position entfernte und damit sichtbare Punkt. In diesem besonderen Fall war es kein Thema, die Anhöhe zu erreichen, denn wir bemerken ja sofort an der Steigung, wohin wir marschieren. Aber auf relativ ebenen Flächen, wie wir sie hier vor uns haben, müssen wir ganz genau unsere Marschroute planen, bevor wir uns überhaupt in Bewegung setzen.
    Gut, wir wollen nach Südwesten, auf möglichst direktem Wege auf die Strasse nach Mantua.
    Jetzt suchen wir einen möglichst weit entfernten Punkt, der verglichen mit unserem letzten großen Orientierungspunkt, dem Hügelkamm nämlich, in möglichst gerader Linie erreichbar ist und - wie gesagt - von unserem Standpunkt aus südwestlich liegt.
    Dieser große, einzelstehende Baum ganz dort hinten wäre doch ein recht brauchbarer Bezugspunkt! Jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir möglichst bequem, schnell und sicher von hier zu diesem Baum kommen.
    Schau, vor uns liegt wieder einmal ein Waldgebiet, zur rechten Seite ein kleiner Ausläufer des Hügels und noch weiter rechts davon eine Strecke voller Geröll, die für uns nicht passierbar ist.
    Jetzt müssen wir entscheiden, was der beste Weg sein könnte:
    Die Geröllhalde scheidet also aus, der Wald ganz links wäre vermutlich begehbar, aber wie wir eben gesehen haben, eher hinderlich. Bleibt also noch der scheinbar umständliche Weg über den Hügelausläufer.
    Jetzt ergibt sich für uns aber folgendes Problem:
    Gehen wir diesen Weg weiter, so werden wir irgendwann einmal unseren einzelnen Baum, also den Bezugspunkt, der die Marschrichtung vorgibt, aufgrund des da vorne angrenzenden Waldgebietes, welches die Sicht verdecken würde, aus den Augen verlieren.
    Was machen wir also? Wir brauchen eine weitere Orientierungshilfe, die wir auch dann noch erkennen können, wenn wir den Hügelausläufer passiert haben. Nun, dafür könnte sich doch diese kleine Talsenke zu rechter Seite anbieten, welche wir aber aufgrund des Geröllfeldes nicht direkt anlaufen können. Haben wir sie erreicht, können wir - wenn ich das jetzt mit dem Augenmaß abschätze, den einzelnen Baum wieder sehen und an ihn hinmarschieren. Dann geht das ganze Spielchen wieder von vorne los: Wir suchen einen neuen Bezugspunkt mit möglichst vielen Orientierungshilfen, die uns auch während des Marsches immer darüber informiert halten, wo wir uns gerade befinden.


    Jetzt kannst du dir sicher vorstellen, dass diese Methode für einen echten Kampfeinsatz natürlich viel zu gefährlich wäre.
    Ich kann zum Beispiel von hier aus nie und nimmer erkennen, ob sich in dem Wäldlein dort vorne Feinde aufhalten...oder ob sie in der Talsenke auf uns lauern...gar hinter dem großen Baum. Was ich damit sagen will: Das Sicht- und Planfeld der schweren römischen Infanterie ist - und da sehen wir von teilberittenen leichten Infanteriehilfstruppen einmal ab - enorm begrenzt. Wir sind daher im Kampfeinsatz von der Kavallerie abhängig wie ein Kalb vom Muttertier."


    Kurz hob der Centurio den Weinrebenstock nach rechts, um der Zenturie den Marschweg, eben beschriebenen Hügelausläufer, anzuzeigen und lief schweigend neben Herius Vesuvius Claudius her.

    Vorsichtig hatten die Legionäre die Karren beim Hinabfahren gebremst, bis die Zenturie schließlich wieder einigermaßenen ebenen Boden unter den Füßen hatte.
    Der Centurio ließ sich etwas zurückfallen und sprach einen der Legionäre aus dem ersten Contubernium an, um die Männer bei Laune zu halten.


    "Na, Legionär? In welche Richtung marschieren wir gerade?"

    Kaum ein Wort wurde gewechselt, nur das Klappern der Wagen und das Surren der Stechmücken durchdrang die gespenstische Stille des Waldes. Auch der Centurio gab kaum noch Befehle, blieb stattdessen immer wieder stehen, um sich der korrekten Route zu vergewissern und nahm einige Schlucke Posca aus der ampulla. Er war wohl der einzige Soldat, der noch den Helm auf dem Kopfe trug - und das auch nur deshalb, weil der auffällige querstehende Helmbusch ein Orientierungspunkt für die folgenden Contubernia darstellte - das Signum der Zenturie bei diesem dichten Nadeldach in die Höhe zu strecken, hätte wenig Sinn ergeben.


    So quälte sich der Trupp mehr schlecht als recht den steilen Hügel hinauf, bis der Centurio als erster erleichtert den Hügelkamm erreicht und in ein kleines Tal hinabblickte. Ein angenehmer Luftzug wehte hier oben. Noch konnte Sophus die zu erreichende Strasse nicht ausmachen, doch dies - davon war der Centurio überzeugt - wohl aufgrund der dichten Nebelschwaden. Zufrieden beobachtete er die Männer hinter ihm, welche nun fast ebenfalls den höchsten Punkt der Erhebung erreicht hatten.


    "Kommt, Jungs! Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung!", suchte er die Legionäre zu ermutern - wenngleich er es besser wusste: Durchaus galt es noch ein erhebliches Stück zu marschieren ehe sie die Strasse erreicht haben würden - ohne Rast, beschloss Sophus in jenem Moment, musste bis zum Abend durchgehalten werden.

    Der Weg der Zenturie führte nun weiter durch einen dichten Wald. Obwohl hier und da Wurzeln sowie große Steine aus dem Erdboden ragten, erkannte Sophus gleich, dass hier der weitere Marsch bedeutend vereinfacht wurde, da einerseits die dichten Baumkronen einen Teil des Regenwassers vom Boden ferngehalten hatten und andererseits in den Tannenwäldern relativ wenig Unterholz vorhanden war, da der Lichteinfall in solchen Baumgruppen für gewöhnlich wesentlich geringer ausfiel als in Laub- und Mischwäldern.
    Dies bedeutete jedoch auch eine besonders schlechte Sicht für alle - nicht nur aufgrund des geisterhaften Nebels, sondern auch durch die zunehmende Dunkelheit, welche in diesem Waldgebiet vorherrschte.
    Da war es natürlich sehr von Vorteil, dass der Trupp den Hügelkamm erreichen wollte und nicht einfach durch einen unübersichtlichen flachen Waldabschnitt marschierte und somit echte Schwierigkeiten mit der Orientierung bekommen würde. So aber war allen Contubernia die Richtung des Marsches klar. Dennoch wollte der Centurio vermeiden, dass sich manche Contubernia bei diesen schlechten Sichtverhältnissen aus den Augen verloren.


    "Contubernia! Bleibt zusammen! Bildet eine Linie! Ein Wagen nach dem anderen!"


    An der Spitze der marschierenden Truppe wartete Sophus und beobachtete, wie sich die Zeltgemeinschaften zu einer schlangenförmigen Formation zusammenfanden.

    Allmählich bewegte sich die Zenturie immer weiter in Richtung der bewaldeten Hügellagen - schon bald machten sie sich daran, selbige zu erklimmen.
    Die zusätzlichen Belastungen der Steilhänge schienen für die wackeren Maultiere endgültig zu viel des Guten zu sein. Laut prustend stemmten sie sich unter den erbarmungslosen Peitschenhieben der Trossknechte gegen das Gewicht der Wägen ohne nennenswerte Erfolge zu erzielen. Wieder einmal galt es also für die schwitzenden Legionäre, die schon längst sämtliche Helme an den Furcae angebunden hatten, das Mühen der Tiere mit kraftaufreibenden Schubbewegungen zu unterstützen - und das bis zum Hügelkamm.


    "Kommt, Legionäre, diesen Kamm dort oben müssen wir unbedingt noch vor der Mittagszeit erreichen. Zugleich! Zugleich!"


    Immer wieder legten die Infanteristen bitter nötige, immer länger werdenden Verschnaufpausen ein. So zogen die Wagen in ruckartigen Bewegungen den steilen Hügel empor.

    Zufrieden bemerkte Sophus, wie der Wagen endlich wieder über die Wiese hoppelte. Nächstes Mal würde er sich ganz aus der Angelegenheit heraushalten und beobachten, wie die Legionäre mit auftretenden Schwierigkeiten selbstständig umgehen konnten.
    Obwohl die allgemeine Stimmung freilich hätte besser sein können, zog Sophus bereits jetzt eine positive Bilanz des Übungsmarsches: Während der Formationsübungen hatten sich die Probati zunehmend besser in das Gesamtbild der Zenturie eingefügt, die Legionäre hatten gewohnt routiniert, ruhig und zielstrebig alle Befehle ausgeführt und auch diese widrigen Bedingungen waren während langer Feldzüge in entlegenen, kaum besiedelten Bereichen des Imperiums an der Tagesordnung.
    Hundemüde würden insbesondere die weniger trainierten Probati am Abend in die Zelte kriechen und den Tag ihrer Anmeldung bei der Legion verfluchen, aber - und allein das war entscheidend - sie würden um einige wichtige Erfahrungen reicher sein.
    Der Trupp lag, da noch immer das kleine Flusstal durchschritten wurde, in dichtem Nebel - die schmutzigen Militärtuniken klebten an der Haut, tief versanken die Caligae im aufgeweichten Boden.
    Jeder Schritt kostete die Männer doppelt Kraft, zumal immer wieder Teile der Ausrüstung abgelegt werden mussten, um die nicht einmal durch Bodennässe, sondern vielmehr aufgrund des üppigen Graswuchses in regelmäßigen Abständen stockenden Wagen anzuschieben.

    Als der Wagen noch immer nicht zu bewegen war, unterlegte Sophus die Räder einigen der mitgeführten Holzbretter und plauderte augenzwinkernd mit den Legionären, denen die Anstrengung ins Gesicht geschrieben stand.


    "Was seid denn ihr für Memmen? In meiner Legionärszeit hat eine Zenturie die gesamte Feldartillerie einer Kohorte von Rom nach Mantua und wieder zurück mitgeschleift...und das bei teils kniehohem Schnee. Also kommt, so schwer ist der Wagen nicht.


    Heda, ihr!"


    Die letzten Worte rief er einem der benachbartem Contubernium zu, dessen Wagen wohl eine bessere Fahrstelle erwischt hatte und recht gut voranzukommen schien.


    "Helft mal euren Kameraden!"

    Kaum hatte sich die Zenturie in Bewegung gesetzt, als bereits der erste Karren im Schlamm versank.


    "Beim Mars! Steht nicht so untätig in der Gegend rum! Ich sagte doch bereits: Wir marschieren heute nicht in Formation. Scuta und furcae absetzen und anschieben! Zuuuuuuuuuuuugleich! Zuuuuuuuuuuuuugleich!"


    Sophus konnte nur hoffen, dass nicht auch noch an den Karren ernsthafte Beschädigungen aufkamen...eigentlich waren diese Transportmittel auch für unwegsames Gelände abseits der Strassen gebaut worden, aber man konnte ja nie wissen...

    "Hm, naja...du musst es wissen.", grummelte der Centurio skeptisch, kritzelte einige Notizen auf die Wachstafel und reichte sie dem Probatus.


    "Aber wenn wir wieder in Mantua sind, reichst du das hier im Lazarett ein. Du bist hiermit vom regulären Arbeitsdienst befreit. Deine Kampfausrüstung darfst du auf den Karren deines Contuberniums laden. Und jetzt ab ins Glied!"


    Der Centurio setzte den Helm auf und schritt den bereits wartenden Soldaten entgegen.


    "Legionäre,", setzte er an, "unglücklicherweise sehen wir uns heute aufgrund des gestrigen Wolkenbruchs mit miserablen Bodenverhältnissen konfrontiert, welche es uns unmöglich machen, bei Beibehaltung der bisherigen Marschroute pünktlich wieder im Kastell einzutreffen. Daher werden wir den Anschluss an eine weiter südlich von hier gelegene Strasse suchen, die uns schneller nach Hause bringen dürfte. Nun liegt aber zwischen unserem jetzigen Standort und jener Verkehrsanbindung ein wenig erschlossener Landstreifen, den es trotz seiner geographischen Hindernisse, die unser Fortkommen in Form von steilen Hügellagen, dichten Waldgebieten und eben dem schlammigen und damit sehr tiefen Boden behindern werden.
    Wir werden während unseres Marsches daher auf die sonst übliche Formation verzichten.


    Milites, aequatis passibus...pergite!"


    Mit der Vitis zeigte der Centurio die Marschrichtung für die Truppe an.

    Fast alle Contubernia waren bereits in sauberen Reihen abmarschfertig angetreten, die Trossknechte spannten bereits die Karren an einige Maultiere, als der Centurio am Rande des ehemaligen Lagergebietes einen sichtlich erschöpften Soldaten erblickte.


    "Probatus Corvius Flavian, nehme ich an."


    Sophus zückte ein Wachstäfelchen und blickte den Rekruten stirnrunzelnd an.


    "Man berichtete mir, du seist gesundheitlich angeschlagen...und wie ich sehe, war diese Information korrekt."


    Jeder Laie sah sofort, dass dies nasskalte Wetter dem Probatus nicht bekam.


    "Fühlst du dich kräftig genug, den anstehenden Rückmarsch zu Fuß zu bewältigen?"

    "In Ordnung."
    Der Centurio nickte und prüfte mit einem kurzen Blick noch einmal die vom Contubernium zugeschütteten Grabenabschnitte.
    "Saubere Arbeit, Legionär. Haltet euch zum Appell bereit - die Arbeitsutensilien habt ihr ja bereits gereinigt und auf dem Maultier verstaut. Sage den anderen, sie sollen sich zum Abmarsch fertig machen. Um die Transportwägen und die Maultiere zu entlasten, soll jeder Legionär die volle Kampfausrüstung anlegen. Vale!"


    Sophus grüßte militärisch und machte sich, da der Optio gerade nicht in der Nähe war, persönlich auf die Suche nach besagtem Rekruten, den er nach Vesuvius' Auskünften in der Nähe der noch im Erdreich verbliebenen Pila muralia vermutete...

    Das Zuschütten des Grabens gehörte sicherlich zu den unbeliebtesten Aufgaben, da der starke Regenguss den Erdwall enorm schlammig hatte werde lassen und es durchaus vorkam, dass einer der Legionäre von selbigem in den noch etwa bis zur Hälfte mit Wasser gefüllten Spitzgraben abrutschte und seine Arbeitskleidung damit noch mehr ruiniert war als die der anderen Arbeiter.


    Während Sophus durch die Reihen der an allen Ecken und Enden schuftenden Legionäre schritt, fiel ihm auf, dass ein Contubernium unvollständig zu sein schien.
    Einen Soldaten, der gerade seinen Spaten auf einem der Maultiere verstaute, sprach er daher sogleich an.


    "Legionär, ist das dein Contubernium?"
    Der Centurio deutete auf sechs weitere Männer.
    "Soweit mir bekannt ist, befinden sich sämtliche Zeltgemeinschaften dieser Zenturie auf Sollstärke. Weshalb hat der betreffende Soldat nicht gemeldet, dass er sich offensichtlich von der Truppe entfernt hat? Um wen handelt es sich überhaupt?"

    Froh, nicht glücklich darüber, dass dieser Tag ein solcher sein würde, welcher dazu dienen konnte, das eigene Versagen für einige Stunden zu verdrängen, nahm Sophus im Kreise der Unteroffiziere, welche bereits in regen Besprechungen über die Bodenbeschaffenheit der kommenden Streckenabschnitte verharrten, das Frühstück, die wichtigste Mahlzeit eines Soldaten, ein. Obwohl er keinen rechten Hunger hatte, konnte er sich doch durch Erfahrungswerte dazu zwingen, einige Happen der Getreidefladen, Käse, Speck, etwas Posca zu sich zu nehmen. Da es - wie fast immer - auch an jenem Tage kein wirkliches Mittagessen geben würde, war es umso wichtiger, ein reichhaltiges Essen am Morgen zu vertilgen.
    Wollte die Zenturie einigermaßen Strecke gutmachen, würde die körperliche Belastung für die Männer heute überdurchschnittlich hoch sein. Noch während des Frühstücks teilte der Centurio den Unteroffizieren, allen voran dem Optio, sein Vorhaben mit, das Feldlager so schnell als möglich abbrechen und die Zenturie nach getaner Arbeit marschfertig antreten lassen zu wollen.


    Nachdem einige Zeit an den Feuerstellen verstrichen war, gab der Cornicen den Befehl zum Räumen des Platzes. Der Centurio teilte erneut die Legionäre in Trupps zur Beseitigung des Erdwalles, Zuschüttung des Spitzgrabens, Bergung der Pila muralia, Abbau der Zelte und Tore ein. Ebenfalls wurden einige Contubernia dazu eingeteilt, die an Sammelpunkten systematisch angelagerten Baumaterialien auf die Maultiere und Karren zu verladen, während es weiterhin Aufgabe jeder Zeltgemeinschaft war, für die Pflege der eigenen Ausrüstung zu sorgen und diese entsprechend auf den Lasttieren aufzupacken.

    Aus unruhigen Träumen, aber festem Schlaf erweckte ihn einer der Trossknechte. Wie der Centurio am Stand der Sonne erkannte, blieb keine Zeit für die langwierige Rasur - immerhin musste gefrühstückt und die Unteroffiziere mit Anweisungen bedacht werden. Auch wollten die für heute anstehenden Abbauarbeiten des Lagers beaufsichtigt werden.


    Mit routinierten Handgriffen legte Sophus die Uniform an - wenn es sich vermeiden lies, trat er niemals mit schmuddliger Arbeitskleidung vor die Männer. Im Hinausgehen schnappte er sich noch den Helm, den er unter den rechten Arm klemmte und trat mit übermüdet wirkendem Gesicht vor das Zelt.


    Gerade gab der Cornicen das Signal an die Soldaten zum Aufstehen.
    Bald würde der Platz wieder von kochenden und speisenden Legionären überfüllt sein.


    Verwundert blinzelte Sophus in den strahlend blauen Himmel - nichts erinnerte mehr an das schreckliche Unwetter der vergangenen Nacht; offenbar hatte sich der starke Regen in den frühen Morgenstunden abgeschwächt. Mit besorgtem Blick untersuchte er jedoch den Untergrund: Selbst die angrenzenden Weideflächen glichen eher den Moor- und Sumpfgebieten der Nordländer.


    'Na, da macht das Marschieren ja doppelt Spaß.', dachte der Zenturio mit einem schiefen Grinsen, während der matschige Boden unter jedem seiner Schritte wie zum Hohn aufgluckste.