"Ehrenwerter iudex prior, Duccius, Quiriten!", seine Stimme in einer Weise erhebend, die mehr Enthusiasmus mitschwingen ließ als das bei seinen gewöhnlichen Reden als advocatus der Fall war, begann Flavius Flaccus zu sprechen, "Bei allen Gerichtsprozessen von einiger Bedeutung bin ich zu Anfang meines Plädoyers im Allgemeinen aufgeregter, als es meine Ausbildung und Studium vermuten lassen. Und gerade bei dieser Causa gibt es vieles, das mich in Aufregung versetzt. Hier und heute soll ich nämlich für mich selbst sprechen - nicht jedoch in einer Sache von einiger Wichtigkeit, keine schreckliche Anklage, keine niederträchtigen Vorwürfe sind es, gegen die ich mich verteidigen muss, nein! - ein Verstoß gegen die Lex Mercatus wird mir vorgeworfen. Wiewohl die Sache mich also in einige Verwirrung und Aufregung versetzt, so sollte ich doch eigentlich überaus glücklich sein. - Wir alle sollten glücklich sein, Mitbürger, denn offensichtlich ist unsere civitas so frei von allem Übel, so makellos, so strahlend rein von Unschuld, dass eine solch unscheinbare Angelegenheit beträchtliche Gewichtigkeit erhält, und die strahlendsten Männer des Staates sich mit ihr befassen. Felix ter et amplius also der Staat, dem eine solche Friedlichkeit gegeben ist! - Aber sollten wir lediglich aufgrund der Marginalität des Streitfalls auf die Wahrung der Gesetze verzichten? - Bei den Göttern, natürlich nicht! Mit aller Härte und gebührenden Strenge soll begangenes Unrecht geahndet werden. Doch ich stehe hier und kann freien Herzens sagen, nicht unrecht gehandelt zu haben!
Wenngleich die Wahrheit meiner Worte durch Adel, Redlichkeit, Eifer für die Wissenschaften und untadeliges Wesen allein zu genügend Strahlkraft gelangen sollte, so will ich doch Schritt für Schritt das mir vorgeworfene Unrecht abstreifen, damit auch nicht nur der Schleier des Verdachts an mir haften bleiben möge. Der Duccius hat es wohlweislich unterlassen, das mir vorgeworfene Vergehen in all seinen Facetten zu schildern, zweifellos wissentlich, dass dadurch das von ihm konstruierte Anklagekonstrukt in sich zusammenstürzen würde, wie eine hoffnungslos verplante insula. Nun will ich, der Angeklagte, es auf mich nehmen, die Anklageschrift zu zitieren, um die Dinge zu klären. - Obwohl sowohl der ehrenwerte Iudex, als auch der Wortlaut der Aklageschrift von einem Verstoß gegen die Lex Mercatus Paragraph vier Absatz drei sprechen, so glaube ich doch, einigermaßen glaubhaft machen zu können, dass ich weder ein Sklave, noch mein Status niedriger als der eines Ritters ist, ich also alle meine Güter und Betriebe rechtmäßig bewirtschafte,", bei diesen Worten konnte Flaccus sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, fuhr jedoch unmittelbar und erneut ernst fort, "und, ohne dem Kläger, dem Prätor, der die Klage angenommen hat, oder dem Iudex, welcher diese Verhadlung leitet, Unkenntnis der römischen Gesetze vorwerfen zu wollen, so denke ich doch, dass wir in dieser Streitfrage den Paragraphen fünf im Absatz drei behandeln. Titus Duccius Vala gibt also an, dass in meinem Namen an den Märkten der Stadt rohes Fleisch zum Preis von 1.35 Sesterzen vertrieben wurde, was die Herstellungskosten unterschreite und somit seiner Meinung nach juristisch zu ahnden sei, da es einen Verstoß gegen die lex Mercatus eben im Paragraph fünf Absatz drei darstelle. Manche Bürger mögen diesen möglicherweise nicht in seinem vollständigen Wortlaut im Gedächtnis haben, sodass ich ihn kurz vortragen möchte.", eine kleine Wachstafel ergreifend zitierte er laut, klar und deutlich, "Der Staat darf einen Betrieb mit einer Strafabgabe belegen, wenn er Waren zu einem Preis unterhalb der Herstellungskosten anbietet, um damit Mitbewerbern den Zutritt zum Markt zu erschweren. et cetera. Das ist alles. Nun gilt es hier jedoch zweifellos einige Dinge zu klären. So zunächst die Frage des Betriebes, welcher jenes rohe Fleisch, gleichsam das corpus delicti, hergestellt hat, um es danach unter den Herstellungskosten zu verkaufen. Es handelt sich hier um ein Landgut in Kampanien, welches etwas außerhalb der Stadt Paestum liegt, und sich bereits seit Jahrhunderten dort im Besitze meiner Familie befindet. Meine Ahnen haben es errichtet, dem ehrenhaften altitalischen Bauerntum treu, und redlich verwaltet bis in diese Tage, da ich mich nun diesem Vorwurf ausgesetzt sehe. Nun ist es allerdings schon verwunderlich, wenn der Duccius von gesetzmäßig festgelegten Mindestpreisen an den Märkten der Stadt spricht. - Ich hätte eigentlich gedacht, dass mein Studium des römischen Rechts nach meiner Ausbildung in Griechenland ein intensives gewesen war, doch offenbar kennt Duccius Vala die Gesetze der Stadt genauer. Mir jedenfalls ist kein Gesetz bekannt, welches den Mindestpreis für ein Stück rohes Fleisch an Roms Märkten festlegt. Die lex Mercatus spricht hier lediglich von den Herstellungskosten, welche nicht unterschritten werden dürften. Nun wächst meine Bewunderung dieses Mannes allerdings langsam ins Unermessliche, denn er hat offenbar nicht nur eine exzellente Kenntnis der leges Romanae, sondern darüber hinaus auch Einsicht in die Herstellungskosten von Fleisch auf meinem kampanischen Landgut, welche ich selbst erst nach intensiver Korrespondenz mit dem dortigen Verwalter in Erfahrung bringen konnte. Die verblüffende Antwort: Es existieren keinerlei Herstellungskosten. Der dortige Bestand an Ziegen, denn es handelte sich um Ziegenfleisch, vermehrt sich gänzlich von selbst, es fallen dabei keinerlei Kosten an. Auch das Gras ist als Futter auf den Ländereien in Hülle und Fülle vorhanden, den Transport und die Tötung der Tiere erledigen Sklaven, deren Unterhalt sich wiederum aus den Erträgen des Landguts bestreiten lässt. Die gesamte Herstellungskette speist sich also aus dem, was guter, kampanischer Grund und Boden selbst abwerfen. Nun mag dennoch das unüblich niedrige Angebot Aufsehen und Aufregung verursachen, doch möchte ich es genau erklären und rechtfertigen. Als ich selbst nach dem Tod meines Vaters die Verwaltung des kampanischen Landguts auf mich nahm, hielt ich es für klüger, die Erzeugnisse nicht in Poseidonia und der näheren Umgebung zu vertreiben, wie mein Vater das getan hatte, sondern sie zunächst nach Rom zu transportieren, um sie schließlich hier gewinnbringender verkaufen zu können. Zumal ich selbst mich seither in Rom aufhalte, mag diese Entscheidung gewiss nachvollziehbar erscheinen. Den im Gesetzestext enthaltenen Vorwurf, das Angebot niedrig gestaltet zu haben, um damit Mitbewerbern den Zutritt zum Markt zu erschweren, weise ich jedoch auf das Heftigste von mir, bin schließlich ich derjenige, welcher Zutritt zum Markt erlagen wollte, und nicht bereits einen soliden Stock an Abnehmern gewonnen hatte. Die Situation stellte sich für mich also folgend dar: Große Mengen rohen Fleisches befanden sich in Rom, und der Druck, sie zu vertreiben war groß, beginnt rohes Fleisch schließlich bereits nach kürzester Zeit zu verderben. Dennoch, Quiriten, wurde kein einziges Stück Fleisch verkauft, sodass der niedrige Preis unmöglich etwaigen Konkurrenten zum Schaden gereicht haben kann! Worin besteht also das Unrecht, welches ich begangen habe? Etwa im vergeblichen Versuch, den Verlust durch das verderbende Fleisch mit einem niedrigen Preis möglichst gering zu halten? - Dieser Vorwurf ist lächerlich, und kann so nicht geltend gemacht werden, denn ich denke nun wahrhaft und wirklich glaubwürdig gemacht zu haben, dass der niedrige Marktpreis für rohes Fleisch keinesfalls so niedrig angesetzt wurde um - Zitat der betreffenden lex - damit Mitbewerbern den Zutritt zum Markt zu erschweren, sondern lediglich, um die eigenen Verluste nach Möglichkeit zu mindern.
Nun jedoch, da feststeht, dass dieser Mann durch mich keinerlei Verlust und Schaden erlitten hat, mag es doch lohnenswert erscheinen, einiges über die Erwartungen des Anklägers zu sagen. Dieser zeichnet sich zwar anscheinend weder durch Scharfsinn noch durch Erfahrung und Übung aus, ist aber trotzdem nicht ohne Hoffnung und Erwartung hierher gekommen. Dass er das Volk gegen einen jungen patricius, der tatsächlich weder Frau noch Kinder mit dem ernähren muss, was er tagtäglich vom Markt nach Haus bringt, wohl aber eine verwitwete Mutter zu versorgen hat, die, nach dem Verlust ihres Gatten in viel zu jungen Jahren, nun in eben jenem kampanischen Landgut sitzt, und deren Lebensunterhalt sich zum Großteil aus dessen Erträgen speist. - Wo Duccius, ist deine Frau, wo sind deine Kinder? - Wenn es also nicht existentielle Bedrohung ist, ja nicht einmal auch nur der kleinste erlittene Schaden, welchen Grund könnte Duccius Vala haben, einen jungen Mann edler Abstammung kurz vor dem Eintritt in den Cursus Honorum vor Gericht zu zerren? Quiriten, es giebt nur einen einzigen Grund, der diesem homo novus die Niedertracht verleihen kann, sich gegen das altitalische Bauerntum zu stellen, gegen die Ehre des redlichen Bewirtens von Grund und Boden, gegen alles, was uns Römer heilig, ihm jedoch lediglich Mittel zum Zweck ist. Der Streitfall selbst ist ihm völlig egal - er hat ja keinerlei Schaden erlitten! - nein, ihm geht es lediglich darum, sein politisches Fortkommen auf dem Rücken eines möglichst vornehmen, ihm ansonsten jedoch völlig gleichgültigen unschuldigen jungen Mannes zu bewirken. Möglicherweise hat er sich Ruhm und Ehre, wenigstens jedoch Bekanntheit seines Namens verhofft, durch dieses sein selbstloses Einstehen für Recht und Gesetz, doch tatsächlich versucht er, einem rechtschaffenen Bürger übel mitzuspielen.
Um meinen guten Willen und die unerbittliche Hoffnung, der Warheit zum Siege zu verhelfen, nun endgültig unter Beweis zu stellen, erkläre ich mich gern bereit dazu, ein öffentliches Opfer im Tempel des Merkur darzubringen, nicht jedoch zur Sühne für nicht begangenes Unrecht, sondern pro populo Romano Quiritibus, zum Wohl und Heil der Stadt und des römischen Volkes, dessen Tugend, Ehre und Rechtschaffenheit sich heute erneut als über jeden Verdacht erhaben gezeigt haben."
Tosenden Beifalls gewiss, zog sich der Flavier nach dieser flammenden und wortgewaltigen Apologie zurück, um den Fortgang der Dinge abzuwarten.