Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Den Jüngeren der Gracchen so unvermittelt erblickend, hielt Flaccus abrupt inne und glaubte einen kalten Griff an seiner Brust zu fühlen. Sofort waren in seiner Imagination die Bilder jener unheilvollen Nacht der Flucht gegenwärtig, drängten sich die leblosen Körper in seinen Geist, deren blasse Fratzen ihn mit grässlichem Grinsen zu verhöhnen schienen. Immer wieder suchten ihn die schaurigen Erinnerungen heim, sprachen ihn die toten Leiber bisweilen auch mit den vertrauten Stimmen seiner verblichenen Verwandten an, hinkten wie sein Patron oder trugen blutgetränkte Rüstungen als Opfer jenes unheilvollen Krieges, an dessen Entstehung er selbst mitgewirkt hatte.
    Mit leichtem Zittern fuhr Flaccus durch sein Haar, um das verhüllende Ende der Toga abzustreifen und sein Haupt dadurch frei zu machen. Er blickte den jungen flavischen Spross einen Augenblick lang musternd an und versuchte, die Erinnerungen an die gemeinsame Flucht durch halb Italia in den Hintergrund zu drängen. Zweifellos war jener während der Zeit seines eigenen Exils in Achaia einige Schritte voran gekommen auf dem Weg zur Männlichkeit, doch haftete seinem Äußeren immer noch so viel Knabenhaftes an, dass er keine Schwierigkeiten hatte, den jüngeren Verwandten Gracchus Minor zu erkennen, welchen er - ungeachtet der wesentlich komplexeren verwandtschaftlichen Bande - stets als Neffen betrachtet hatte. Und doch wusste er nicht, wie er sich nun verhalten sollte, wusste nicht, welche Reaktion der Jüngere von ihm mochte erwarten oder erhoffen. So fasste er ihn lediglich an der Schulter und blickte ihn noch einen Moment lang gedankenverloren an, ehe er seine Augen suchte und mit fester Stimme die knappe Begrüßung erwiderte, welche sein junger Verwandter hatte hervor gepresst. "Minim..", kurz hielt er inne und vergegenwärtigte sich abermals den fortgeschrittenen virilen Status des jungen Flaviers, welcher zweifelsohne auch seine bulla bereits abgelegt hatte und den bei seinem infantilen Kosenamen zu rufen wohl unangebracht war, sodass er seine Begrüßung in ein ernstes "Manius, salve." revidierte. Er drückte die weiche Schulter des Neffen, deren Konsistenz so konträr zur Beschaffenheit der eigenen sich darstellte, als um jenen von der wahrhaftigen Präsenz des ehemals krank zurückgelassenen Onkels körperlich zu überzeugen. Obgleich der Jüngere vielleicht ein Zeichen größerer Vertrautheit und Zuneigung erwartet hätte, so sträubte sich doch alles in ihm, den Minoren der Gracchen etwa in einer herzlichen Umarmung zu umfangen und in die Arme zu schließen. Stattdessen ließ er seine Hand sinken, welche bislang auf Manius' Schulter geruht hatte, um ihn stattdessen an der Hüfte zu fassen und bestimmt in das Atrium zu führen. "Erzähle. Wie ist es dir ergangen, seit die Götter unsere Wege trennten?"
    Wenngleich er durch gelegentliche Briefe auch in seinem griechischen Exil durchaus von den wichtigsten Ereignissen, die flavische gens betreffend, in Kenntnis gesetzt worden war, so hatten ihn entsprechende Nachrichten doch recht unregelmäßig und zumeist lange nach den zugrunde liegenden Geschehnissen erreicht und sich dabei nur allzu oft durch einen eher spärlichen informativen Gehalt ausgezeichnet, gerade was etwa das Heranwachsen der jüngeren Familienmitglieder betraf.

    Wenngleich sein Cubiculum kaum vertraute Gefühle in ihm wecken konnte, wie auch die ganze Villa ihm kalt und abweisend vorkam, so schien das Lararium doch den gewohnten Eindruck zu erwecken, als Flaccus sich daran machte, den Göttern ein kleines Opfer für seine heile Rückkehr darzubringen. Zwar wusste er nicht, ob es tatsächlich eine gute Idee gewesen war, nach Rom zurückzukehren, doch schien es ihm der günstigste Ort zu sein, um seine Vorhaben, die Zukunft betreffend, in die Tat umzusetzen.


    Er verhüllte sein Haupt, als er ein plötzliches Frösteln verspürte.
    Kaisermörder!
    , hallte es durch seinen Kopf. Er rieb sich langsam die kalten Hände.
    Du bist nicht würdig, den Göttern Opfer darzubringen!
    Einen Schritt auf den Altar zutretend, hielt er inne.
    Die pietas hast du mit Füßen getreten!
    Die seltsamen Stimmen in seinem Kopf zu ignorieren trachtend, nahm er einige Weihrauchkörner.
    "Vater Ianus, nimm diese Weihrauchkörner und sei mir und dieser Familie .."
    Du hast einen Bürgerkrieg heraufbeschworen!
    ".. wohlgesonnen."
    Die Körnern rieselten durch seine klammen Finger auf den focus, wo sie rauchend sofort den vertrauten Duft verströmen ließen. Erneut griff er nach einigen Weirauchkörnern.
    "Auch du, Iuppiter, sollst durch dieses Opfer geehrt sein, nimm mein Gebet an."
    Du wagst es Iuppiter selbst anzurufen?
    Mehr Rauch stieg dem Flavius in die Nase, er musste kurz husten, als er nach der patera mit Wein griff. In der spiegelnden Oberfläche der Flüssigkeit wähnte er sein eigenes Antlitz, ihm hämisch entgegen entgegengrinsend.
    Angewidert wandte er den Blick ab und goss den Wein ins Feuer, wo er sich zischend und dampfend verflüchtigte.
    „Götter, ich möchte euch für meine Rückkehr in die Stadt und in den Kreis der Flavii danken..“
    Die du durch deine Frevel ins Unglück gestürzt hast!
    „ .. ganz besonders sollen diese Gaben den Laren dieses Ortes dargebracht sein und den Manen meiner Ahnen.“
    Deren Andenken du besudelt hast!
    „Divi Flavii, nehmt dieses Opfer des Dankes an..“
    Du bist nicht wert ein Flavius zu heißen!
    Als er die zum Opfer bestimmten Blumen und Kuchen auf dem Altar platzierte musste er sich ob eines plötzlichen Schwindelanfalles festhalten, um nicht zu stürzen. Einige Momente verharrend konnte er nur langsam die Contenance wieder finden. Solche Anfälle böser Heimsuchung plagten ihn seit er von jener mysteriösen Krankheit genesen war, welche ihn schon kurz nach der Flucht aus Rom hatte befallen, wiewohl er an die Monate, in denen er vom Fieber geplagt darnieder gelegen war, kaum Erinnerungen hatte und von den wenigen, die er im Gedächtnis zu halten glaubte, nicht genau wusste, ob sie fiebriger Einbildung oder realen Begebenheiten entsprungen waren. Allmählich wich die Schwäche allerdings wieder und ließ ein Gefühl unbestimmter Leere zurück, als er sich umwandte, um diesen Ort so schnell als möglich zu verlassen.

    Ganz wie erwartet, wandelte sich die gewohnte Barschheit des flavischen Ianitors unverzüglich in dienstbeflissene Servilität, als er den bekannten Namen vernahm und sich kurz darauf auch von der Wahrhaftigkeit der Ankündigung mit eigenen Augen überzeugen konnte. Flaccus hingegen erwiderte die Worte des Sklaven lediglich mit einem knappen Nicken, ehe er, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, an Acanthus vorbei durch die Pforte trat und ihn die gleichermaßen vertraute, wie fremdartige Atmosphäre des flavischen Hauses umfing.

    Das Rauschen der vorbeiströmenden Menschen, welches aus zusammenhangslosen Gesprächsfetzen und unzählbaren Geräuschen sich konstituierte, deren bloße Differenzierung die Fähigkeiten des flavischen Ohres bereits bei weitem überstieg und an deren konkrete Kontextualisierung deshalb kaum zu denken war, bildete eine schier unerträgliche Kakophonie in der Wahrnehmung des Flaviers, die durch den beißenden, weil völlig vergessenen, Gestank der Stadt nur noch verschärft schien. Es war eine grauenhafte Idee gewesen, wieder nach Rom zurückzukehren. Sich sanft die Schläfen reibend, um so den pochenden Schmerz in seinem Kopf etwas zu mildern, vernahm Flaccus draußen eine bekannte Stimme. Acanthus, dessen gewohnt ruppigen Worte ihn in diesem Moment erreichten, schien ihm ein sonderbares Continuum in einer Welt, in der nichts mehr so sein konnte wie früher.


    „Quintus Flavius Flaccus. Seine Ankunft wurde angekündigt.“
    Die rauhe Stimme des Sklaven schien von keinerlei Emotion getragen zu sein. Einen Schritt zurücktretend blickte er zur Sänfte.


    Einen letzten geräuschvollen Atemzug tat der Flavier, ehe er langsam ins Freie trat. Vom grellen Licht des Tages unmittelbar geblendet, schloss er einen Moment die Augen, um sie hernach wieder entschlossen zu öffnen und den Ianitor mit durchdringendem Blick zu fixieren. Er hatte keinerlei Zweifel, dass dieser ihn, dem gänzlich veränderten äußeren Erscheinungsbild zum Trotz, sofort würde wiedererkennen.

    Langsam näherte sich im Gedränge der Menschenmengen auf den Straßen Roms eine Sänfte dem flavischen Domizil am Quirinal, die von zwei hünenhaften dunkelhäutigen Sklaven getragen wurde. In ihrem Inneren befand sich ein Mann, der wenig Ähnlichkeit hatte mit jenem, der vor langer Zeit im Schutz der Nacht diese Stadt und sein bisheriges Leben hinter sich gelassen hatte. Zwar trug er noch den gleichen Namen, doch könnte die Veränderung größer kaum sein. Vor der Villa angekommen, ließen die Sklaven die Sänfte langsam zu Boden und einer trat an das schwere Tor um mit einigen kräftigen Schlägen dagegen zu hämmern.

    Ein Sklave erreichte die Villa Flavia Felix um folgendes mit dem flavischen Siegel versehene Wachstäfelchen abzugeben.



    Q. Flavius Flaccus M. Flavio Graccho S·P·D
    Si vales bene est ego valeo. Ich habe lange nichts von mir hören lassen, seit meinem letzten Brief liegt nun schon einige Zeit zurück. Die vergangenen Monate habe in der Gegend um Delphi verbracht, nun stehe ich kurz davor, mich wieder einzuschiffen, um endlich nach Italiam zurückzukehren. Ich schicke diese Nachricht voraus, um meine – so die Götter gnädig sind – baldige Ankunft in Rom anzukündigen. Valete tu tuique omnes.

    ... aber doch unvermutet hat mich das Semester gepackt und die zeitliche Belastung, wie sie mit mittlerweile drei vollwertigen Studien unweigerlich verbunden ist, erlaubt mir schlicht nicht mehr, mich aktiv an diesem Spiel zu beteiligen. Das tut meinem Interesse für die Antike natürlich keinen Abbruch - ganz im Gegenteil! - es muss sich momentan nur eben in weniger spielerischen aber nicht minder vergnüglichen Bahnen bewegen, weshalb eine Rückkehr hierher in ungewisser Zukunft natürlich wenigstens zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr wahrscheinlich scheint. Ich wünsche dem IR in dieser spannenden Zeit ein gutes Fortkommen mit tollen Geschichten und den Spielern viel Elan und Freude an diesem wunderbaren Ort. Ich möchte mich auch noch kurz bei der SL bedanken, die das ganze Unternehmen hier sehr souverän leitet und dirigiert und für die viele Arbeit und den tollen Einsatz ohnehin viel zu selten gelobt wird. Auch alle Spieler, mit denen ich im vergangenen Jahr zu spielen die Ehre hatte, seien hiermit bedankt. Es war mir stets ein großes Vergnügen. Ich bitte auch um Entschuldigung bei allen, die ich durch meine Art vielleicht genervt oder verärgert habe und hoffe, sie mögen Nachsicht walten lassen und mir meine Unzulänglichkeiten verzeihen.


    Damit ist denke ich alles gesagt und Quintus Flavius Flaccus begibt sich nunmehr vorerst "in Exilium".


    Ach ja, fast vergessen: Ceterum censeo ... ect.

    Erschöpft blickte Flaccus Luka an, jenen Mann, in welchem er stets weitaus mehr als einen treuen Begleiter gefunden zu haben geglaubt hatte. Er nahm das dreckige Stückchen Stoff, das ihm der Dalmate entgegenhielt und fuhr sich damit nachlässig über das unrasierte Kinn. Man mochte es wohl dem kräfteraubenden Marsch, der unangenehmen Kälte, der späten Stunde, der allgemeinen nervösen Gereiztheit des jungen Flaviers ob des Fehlschlags der Verschwörung und der schlichtweg unzumutbaren gegenwärtigen Situation zuschreiben, doch die wiederholten Worte Lukas, er solle sich verdammt nochmal "zusammenreißen", bewirkten lediglich, dass eine völlig irrationale, in Anbetracht der äußeren Umstände allerdings nicht sonderlich abwegige, Welle der Agression aus seinem erschöpften, überspannten, und verzweifelten Inneren hervorbrach und sich in einer harschen, nie dagewesenen Feindseligkeit über Luka ergoss. "Ich soll mich zusammenreißen?", er klang gereizt und blickte den Freigelassenen direkt an, während Wut und Empörung in seinen Augen funkelten. "Wir sitzen hier auf einem verdammten Leichenkarren und dieser irre Fettwanst hat uns vermutlich schon die Prätorianer auf den Hals gejagt um uns in den verfluchten Hades zu schicken!" Vergessen schien die zart entsproßne Freundschaft, vergessen die Tatsache, dass es Luka gewesen war, der ihm sein junges Leben gerettet hatte. Im gegenwärtigen Moment, an der Klippe zum Abgrund bloßer Existenz war es in erster Linie nackte Furcht, die den Patrizier in ihrem Bann hielt, während sein Gebaren unschöne Züge von Arroganz und Agression annahm. "Wenn Gracchus will, dass du gehst, dann hau' doch ab! Du bist frei, wieso solltest du noch länger hier bleiben?" In einer umfassenden Geste wies er um sich. "Rette dein erbärmliches Leben und verschwinde!", die letzten Worte spie er Luka regelrecht ins Gesicht, während seine Augen beinahe ein irres Funkeln überzog und er wild gestikulierte. Alle Verzweiflung, alle Empörung und Erschöpfung, alle Schmerzen und alle Aggression der letzten Stunden entlud sich in geballter Feindseligkeit gegen Luka, der ihm in dieser schwierigen Situation offensichtlich lediglich als jener Freund zur Seite hatte stehen wollen, den er in dieser düsteren Stunde bitter nötig hatte.

    Auch nachdem sie die Stadttore hinter sich gelassen hatten, gestaltete sich das weitere Fortkommen für die Flavier nicht weniger mühsam. In schier unendlicher Monotonität kämpften sie sich vorwärts, einen Zustand höchsten Elends kaum ertragend, bis schließlich der kleine Manius es war, welcher als Erster unter der Bürde der Situation zusammenzubrechen schien. Frierend, völlig erschöpft und dennoch dankbar über die Pause wandte sich Flaccus hin zu seinem Neffen für welchen die Umstände dieser Flucht noch tausendmal schlimmer mochte zu ertragen sein und den sein Vater nun halb tröstend, halb drängend wieder auf die Beine empor zu heben suchte. Von dem Konflikt jedoch, welcher sich zwischen Luka und Gracchus anzubahnen schien, nahm er schlichtweg nichts mehr wahr, da er schon wieder nach vorne blickte und sich anschickte, die elende Reise fortzusetzten, auf dass Tod oder Erlösung das Ziel sein mochten. So fristete er die nächste Zeit in einem Zustand dämmriger Abwesenheit, sein Geist schien seltsam umnebelt, und vermochte nicht zu erklären, ob dieser seltsame Umstand den Geistern der Toten, giftigen Dämpfen aus deren Körpern oder schlichtweg der eisigen Kälte zuzusprechen war. Dennoch schien ihm dieser ungewöhnliche Zustand der Schwebe, in welchem sein Geist sich gegenwärtig befand, gleich einem Geschenk der Götter, drängte er doch die Schmerzen erfolgreich aus seinem Empfinden und schuf stattdessen ein weites Feld vollkommener Leere. - Irgendwann kam der goldfarbene Schein einiger Fackeln in Sicht, in deren Mitte ein Scheiterhaufen aufgeschichtet worden war, um die Körper der Toten von dieser Welt in jene andere zu transferieren. Von Gracchus dazu aufgefordert, nahm er am Bock des Karrens Platz und hatte zum ersten Mal seit dem Aufbruch von der Villa Gelegenheit, die gegenwärtige Situation mit allen Sinnen wahrhaftig zu erfassen. Er spürte ein regelmäßiges Pochen in der brennenden Innenfläche seiner Hände und ein zaghafter Blick zeigte ihm geschundene, von getrocknetem Blut verkrustete und von frischem Blut feuchte Hände, welche er beim besten Willen nicht als seine eigenen zu erkennen vermochte. Seine Zehen schienen durch die Kälte völlig taub, wie er auch am ganzen restlichen Körper bitter fror und deshalb zitterte wie Espenlaub. Nachdem er sich also des miserablen Zustands seines eigenen Leibes bewusst geworden war, nahm er nun auch sein Umfeld erstmals bewusst wahr. Er erblickte den schmalen Burschen im hellen Kleid und den Bärtigen mit der dunklen Stimme. Dann erst traf ihn mit einem Schlag der schreckliche Gestank, dessen Quelle er in seinem Rücken glaubte und ein Blick über die Schulter offenbarte ihm die Ursache. Mit einem Gefühl als würde sein Magen sich nach außen kehren, übergab sich Flaccus vom Karren herab auf den kalten Boden.

    Zitat

    Original von Mathayus Magonidas
    Ich habe gerade gesehen das der Prätorianerpräfekt eigentlich der höchste Präfekt des Reiches ist und dementsprechend der PU eigentlich auf ihn hören müsste.


    Zitat

    Original von Kaeso Anneus Modestus
    In diesem Fall weil Salinator als PU Stellvertreter des Kaisers war und damit auch über die Praetorianer das sagen hatte.


    Dass hier der Praefectus Urbi Macht über den Prätorianerpräfekten zu haben scheint, ist der besonderen Machtkonstellation des IR geschuldet, in der sich Vescularius Salinator als "Quasi-Kaiser" etabliert hat. Das bloße Amt des Stadtpräfekten würde diese umfassende Macht nicht legitimieren, da dieses den Inhaber lediglich in gewissem Sinne zum Vetreter des Kaisers in der Stadt während dessen Abwesenheit (etwa auf Feldzügen) macht, keinesfalls aber mit einer modernen umfassenden Stellvertreterposition vergleichbar ist.

    Unendlich langsam nur, so schien es Flaccus, rollte der Karren durch die Dunkelheit der Stadt, welche lediglich wurde durchbrochen durch den kleinen Kegel flackernden Lichtes, welchen die Fackel, die den schaurigen Gefährten vorausgetragen wurde, auf den holprigen Weg warf. Bereits die Ränder der Straße schienen jedoch wieder in der fahlen Düsternis zu verschwimmen, zu seinen eigen Füßen lag undurchdringliche Dunkelheit. Mehr als einmal stießen die klammen Zehen seiner kaum geschützten Füße hart gegen Steine oder versanken in Substanzen weicher, bisweilen auch flüssiger Natur, deren genaue Beschaffenheit er sich unter keinen Umständen näher ausmalen wollte. In diesen Momenten schien ihm die völlige Dunkelheit zu seinen Füßen gar ein Geschenk der Götter. Ein knapper Blick über die Schulter traf die Leiber der Toten auf der Ladefläche des Karrens und einmal mehr stellte Flaccus sich die Frage, ob jene wohl ihr Leben hatten lassen müssen, um ihnen auf diese Weise die Flucht aus der Stadt zu ermöglichen, oder ob ein natürlicher Tod sie dahingerafft hatte, ehe sie nun ihre letzte Reise in patrizischer Gesellschaft antraten. Ein Schaudern lief über den Rücken des jungen Mannes, nicht etwa aus Furcht ob jener Überlegungen, sondern vielmehr der schneidenden Kälte wegen, welche ihm unbarmherzig unter die dünne Tunika fuhr und langsam auch in die Glieder kroch, um sich dort fest einzunisten. Ein Brennen an der Innenfläche seiner Hände, welche das grobe Holz der Deichsel krampfhaft umfasst hielten, rief ihm auch deren ungewohnte Beanspruchung ins Bewusstsein. Ein schmerzhaftes Brennen fühlte er bald jedoch nicht nur an seinen Händen, sondern ebenfalls in den Muskeln seiner Oberarme wie auch den Sehnen seiner Beine, welche eine derartige übermäßige Belastung schlichtweg nicht gewohnt waren und seiner Jugend zum Trotz langsam vor Anstrengung zu zittern begannen. Mit Gewalt zwang er sich jedoch Schritt für Schritt vorwärts, wusste er doch, dass sie die Mauern der Stadt in dieser Geschwindigkeit noch lang nicht würden erreichen. Bisweilen suchte er in dem formelhaften Beschwörungsgesang des libitinarius Ablenkung, versuchte dessen Worte zu verstehen, vergaß darüber allerdings nur für einen kleinen Moment seine Erschöpfung, die Kälte, die Schmerzen, welche meist schon nach kurzer Zeit in deutlich gesteigerter Intensität zurückkehrten. Unwillentlich begann nun auch das Unterkiefer des jungen Flavius zu zucken, versuchte sein Körper auf diese Weise offensichtlich vergeblich, der schneidenden Kälte entgegenzuwirken. Immer wieder war Flaccus kurz davor, die Deichsel loszulassen und sich vor Erschöpfung an Ort und Stelle zu Boden zu werfen und lediglich das Wohl der Seinen, welche er dadurch wohl dem sicheren Tod würde überantworten, hieß ihn immer aufs Neue in seinen Schmerzen, in der Müdigkeit und Erschöpfung auszuharren und die ebenso erniedrigende, wie schlichtweg quälende Situation länger zu etragen.

    Verwundert über die Selbstverständlichkeit mit welcher die beiden Vestalinnen ihn hereinbaten, um seiner Bitte nachzukommen, ganz so, als hätten sie bereits auf sein Erscheinen gewartet, trat Flaccus ein und ließ sich dankend auf dem angebotenen Platz nieder. Anscheinend waren die Jungfrauen der Vesta viel näher am Puls des Geschehens in der Stadt, als es ihre aparte Stellung vermuten ließ. Einige Momente lang zupfte er achtlos an den Falten seiner Toga herum, ehe er die bei ihm verbliebene Vestalin nachdenklich anblickte. "Wie nur lässt sich ein so grausamer Streich der Götter erklären?", murmelte er dann, beinahe mehr zu sich selbst, denn tatsächlich zu der Priesterin, wenngleich er ihr beständig in die Augen blickte.

    Gleich zwei Vestalinnen öffneten das Tor und zogen durch ihre freundliche Begrüßung die Aufmerksamkeit des jungen Flavius auf sich, welcher in Gedanken immer noch versuchte, die unfassbaren Geschehnisse der vergangenen Stunden zu begreifen. "Salvete. Ich bin Quintus Flavius Flaccus, decemvir stlitibus iudicandis, und bitte um das Testament des Senators und Pontifex Aulus Flavius Piso." Sprachs, und konnte nicht fassen, jene Worte tatsächlich auszusprechen und damit das Unaussprechliche kundzutun.

    Die frische Luft auf dem Weg zum Forum Romanum hatte auch den Geist des jungen Flavius etwas geklärt, wenngleich das grausige Bild des toten Verwandten immernoch lebendig in seinem Kopf zugegen war. Mit langen Schritten strebte er nun also über das belebte Forum, gleichsam das Herz Roms wie des ganzen Imperiums, bis er schließlich vor dem prunkvollen Wohnhaus der Priesterinnen angelangte, und kräftig gegen das Tor klopfte.

    "Flaccus" - erschrocken blickte der Angesprochene in das Antlitz dessen, welcher ihn durch sein Wort aus der beklemmenden Fassungslosigkeit gleichsam zurückrief in die grauenvolle gegenwärtige Situation, und in welchem er erst nach einigen langen Augenblicken seinen Verwandten Gracchus erkannte. Er klammerte sich verzweifelt an den Blick des Großonkels, und in seinen dunklen Augen, welchen matter Glanz geflossener Tränen ein sanftes Schimmern verliehen hatte, lagen unzählig viele Fragen. Nur nach und nach erreichten auch die folgenden Worte den Geist des jungen Flavius, nur nach und nach vermochte er ihren Inhalt auch tatsächlich zu erfassen. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung riss er seinen Blick los von demjenigen seines Onkels und erblickte tatsächlich einen libitinarius, welcher bereits sein Werk hatte begonnen am Leib des Toten. Er selbst hatte nicht bemerkt, dass jener eingetroffen war, wie es ihm überhaupt erschien, als wäre er selbst gerade erst an diesen grausigen Ort gekommen, so sehr lähmte der Schrecken scheinbar auch den Lauf der Zeit. Weitere Worte zwangen ihn, seine Aufmerksamkeit erneut auf den lebenden Verwandten zu richten, welcher ihn immernoch mit beiden Händen an der Schulter gefasst hielt, als um ihn körperlich festzuhalten in der Klarheit der Gegenwart und auf diese Weise zu verhindern, dass sein Geist erneut würde versinken die Schatten der Verzweiflung. Ein geistesabwesendes Nicken mochte dem Älteren zeigen, dass er seine Worte wahrgenommen hatte, wenngleich er es mied, seinem Blick erneut zu begegnen, sich stattdessen mit einem unwilligen Ruck aus dem Halt seines Verwandten befreite, und mit weit ausholenden Schritten, ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick auf den Toten, das Atrium verließ, um jener Pflicht nachzukommen, um welche er nicht hatte gebeten, wiewohl sie ihm doch war auferlegt worden.

    Etwas abseits der innigen Szene des Voneinanderscheidens der familia Flavia Graccha lehnte die hagere Gestalt eines weiteren Flaviers etwas nachlässig an der schmucklosen Wand im Halbdunkel jenes engen Ganges, welcher offenbar geradewegs zum Seitenausgang des flavischen Anwesens führen musste, ebenso grässlich gekleidet wie die Übrigen, und betrachtete nachdenklich das triste Bild. Einen kurzen Moment lang erfasste ihn der etwas wehmütige Wunsch, er hätte selbst nun Gelegenheit, sich so vertraut von jemandem zu trennen, einen geliebten Menschen leidenschaftlich in die Arme zu schließen, bevor die ungewisse Zukunft ihn endgültig mit ihren unbarmherzigen Klauen würde umschlingen. Doch da war niemand gekommen, um sich von ihm zu verabschieden, er stand völlig alleine in diesem Gang und nun erst packte ihn mit kaltem Grauen die Erkenntnis, dass er möglicherweise nie wieder würde zurückkehren, dass er viele Menschen würde nie mehr sehen, dass er die Möglichkeit einer solchen Trennung schon lange hatte vertan. In verworrenen Bildern sah er mit einem Male Menschen, denen er sich nahe fühlte, glaubte Flora in der Düsternis zu erkennen, wähnte auch Axilla, ganz die Nymphe ihrer ersten Begegnung, im Halbdunkel zu erspähen, ja sah schließlich selbst seine Mutter unter den Schatten - wann hatte er sie zum letzten Mal gesehen? Wie lange weilte er nun schon in Rom, vielleicht zwei Jahre? Oder waren es gar schon drei oder vier? Ob sie sich nach dem Tod des Vaters sehr verändert hatte? Ob ihre jugendliche Gestalt wohl noch so anziehend wirkte wie früher? Ein stechender Schmerz fuhr Flaccus gleich einem Schwertstoß durch die Brust - wie gerne hätte er sie in diesem Moment gesehen, sie ein letztes Mal geküsst, in seine Arme geschlossen. Seltsamerweise schien ihm mit einem Male auch das bleiche Antlitz Pisos vor Augen, kalt und reglos. Der erste, welcher sein Blut hatte gelassen für die gute Sache, wie es nun wohl allen bevorstand, deren Gesinnung edel und deren Wesen rechtschaffen war. Zu der starren Miene seines Onkels gesellten sich die friedlich schlafenden Züge seines Mentors Nikodemos', wie schließlich selbst das Antlitz seines Vaters, auf unheimliche Weise versöhnlich im Tod. Die Augen geschlossen, versuchte Flaccus diese Bilder aus seinem Kopfe zu bannen, versuchte sie im pechschwarzen Dunkel zu ertränken, den Geist nicht auf die Zeichen der Vergangenheit, sondern der Zukunft zu richten, die Vernunft Herr seiner Wahrnehung werden zu lassen, auf dass schließlich die Hoffnung emporkeime, dass sein und seiner Verwandten Leben noch nicht war verwirkt, dass vielmehr noch die Aussicht bestand, alles zum Guten zu wenden.