Luca teilte seine Gedanken nicht mit seinem Herren. Verbissen schien er den Mantel zu bearbeiten und hätte er seine Überlegungen in Worte gekleidet, sie hätten doch nur Unverständnis beim Flavier hervorgerufen. Luca war schließlich einst selbst Krieger gewesen - und Rom unterlegen. Es war zweifelsfrei nicht nur zu ahnen, sondern regelrecht vorherzusehen gewesen, dass die besiegten Männer, wenn sie mit dem Leben davon kommen sollten, ein Dasein als Sklaven fristen würden. So war es immer gewesen, und ganz bestimmt hätte Luca mit seinen Soldaten nicht anders gehandelt, wären die Dinge konträr verlaufen. Doch noch kaum ein Volk hatte dem römischen Stahl auf Dauer zu trotzen vermocht. Andererseits könnte Luca genauso gut die Vergangenheit ruhen lassen, und dies als Neuanfang betrachten. Er erhielt bessere Kost, Kleidung und Unterkunft als der größte Teil aller anderen Menschen - die römischen Bürger miteingerechnet - hatte die Chance, etwas von der Welt zu sehen, gewissermaßen in den höchsten Kreisen Roms zu verkehren, und bei ehrenhaftem Verhalten und Treue zu seinem Herrn die Aussicht auf ein künftiges Leben in Freiheit, die Möglichkeit abermals eine Familie zu gründen.
Tatsächlich mochte es naiv gewesen sein, dem unbekannten Sklaven ein so großes Maß an Vertrauen entgegenzubringen, und möglicherweise würde Quintus auch mit bitterer Enttäuschung dafür bezahlen, doch selbst wenn Luca hier in den germanischen Wäldern das Weite suchen würde - seine eigenen Aussichten für die Zukunft waren als entlaufener Sklave nicht gerade rosig, und der Flavius würde, zwar um einige Sesterzen ärmer, doch ebenso viele Erfahrungen reicher, keinen nennenswerten Verlust davontragen. Doch damit hatte sich Quintus noch nicht beschäftigt, und würde es auch in Zukunft nicht tun. Es gab eben freie und unfreie Menschen, das Schicksal, die Götter oder Moiren hatten das vor Urzeiten entschieden, und es als natürliche Ordnung eingerichtet. Wer war Quintus, es zu hinterfragen?
Vielmehr beschäftigte sich jener nämlich mit dem Brief, den er zu schreiben im Sinn hatte, und der sich ihm als so schwieriges Unterfangen widerstrebend entgegenstreckte. Dass Luca - wenig verwunderlich - die Aurelia auch nicht näher kannte, oder wenigstens erbauliche Dinge von den anderen Sklaven erfahren hatte, gestaltete die Dinge nicht einfacher. Beiläufig fragte er, ob er Prisca den kennen sollte, und Flaccus zuckte lediglich mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Vermutlich nicht, aber es wäre schon hilfreich gewesen...", meinte er dann ein wenig kryptisch, um das papyrus schließlich mit seinen schlanken Fingern zur Seite zu schieben. Er würde sich später noch einmal mit dem Brief befassen, im Moment wollte ihm ganz einfach kein sinnvoller Gedanke kommen, und dass das kleine Sklavenmädchen ihm ständig durch den Kopf geisterte, machte die Sache nicht unbedingt einfacher. Mit wenigen Schritten ging der Flavier zu seinem Bett und ließ sich darauf fallen. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt starrte er zur Decke. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, machte er schließlich einen Vorschlag. "Luca, ich möchte, dass du mir eine Frage stellst. - Ganz egal worüber. Dann stelle ich dir eine Frage, und dann kommst wieder du an die Reihe. So wird die Nacht kurz und ich kann dich besser kennenlernen.", meinte er in griechischer Sprache und blickte mit seinen dunklen Augen den Dalmaten aufmunternd an.