Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Zitat

    "Geh einfach gleich hier durch zum Legatus Augusti".


    Ein verschmitzt triumphierendes Lächeln auf den Lippen, erhob sich der schlanke junge Flavius und kam der Aufforderung des germanischen Schreiberleins mit dem gewaltigen Schnauzer unverzüglich nach. Eine knappe Geste der Entschuldigung für die unangenehmen Umstände des nicht angekündigten Erscheinens begleitete seine Schritte. Kurz vor der Türe zum officium des Legaten hielt Flaccus inne und drehte sich zu seinen Begleitern um. Ein leichtes Nicken, den Anweisungen des princeps praetorii Folge zu leisten, traf die drei Männer, verbunden mit einem aufmunternden Lächeln des Flaviers. Er wusste, dass besonders Luca gewiss kein gutes Gefühl bei der Sache haben würde, und ihm später wohl einen Vortrag halten würde über die Unmöglichkeit seiner Aufgabe als Leibwächter einigermaßen nachzukommen, wenn er nicht einmal bei seinem Herrn sein konnte. Zweifellos besaß der Annaeer genug Misstrauen, um dem Flavier üble Absichten zu unterstellen, doch auch jener war keineswegs so selbstsicher und unbesorgt, wie er den Anschein erweckte. Wer schließlich konnte ausschließen, dass im officium nicht eine Abordnung bewaffneter Männer den Boten zunächst in Empfang und dann in Stücke nehmen würde? Der Sekretär jedenfalls bekam auch noch einen freundlichen Blick und ein leichtes Nicken ab, ehe Flaccus durch die Türe ins officium trat.

    Luca teilte seine Gedanken nicht mit seinem Herren. Verbissen schien er den Mantel zu bearbeiten und hätte er seine Überlegungen in Worte gekleidet, sie hätten doch nur Unverständnis beim Flavier hervorgerufen. Luca war schließlich einst selbst Krieger gewesen - und Rom unterlegen. Es war zweifelsfrei nicht nur zu ahnen, sondern regelrecht vorherzusehen gewesen, dass die besiegten Männer, wenn sie mit dem Leben davon kommen sollten, ein Dasein als Sklaven fristen würden. So war es immer gewesen, und ganz bestimmt hätte Luca mit seinen Soldaten nicht anders gehandelt, wären die Dinge konträr verlaufen. Doch noch kaum ein Volk hatte dem römischen Stahl auf Dauer zu trotzen vermocht. Andererseits könnte Luca genauso gut die Vergangenheit ruhen lassen, und dies als Neuanfang betrachten. Er erhielt bessere Kost, Kleidung und Unterkunft als der größte Teil aller anderen Menschen - die römischen Bürger miteingerechnet - hatte die Chance, etwas von der Welt zu sehen, gewissermaßen in den höchsten Kreisen Roms zu verkehren, und bei ehrenhaftem Verhalten und Treue zu seinem Herrn die Aussicht auf ein künftiges Leben in Freiheit, die Möglichkeit abermals eine Familie zu gründen.


    Tatsächlich mochte es naiv gewesen sein, dem unbekannten Sklaven ein so großes Maß an Vertrauen entgegenzubringen, und möglicherweise würde Quintus auch mit bitterer Enttäuschung dafür bezahlen, doch selbst wenn Luca hier in den germanischen Wäldern das Weite suchen würde - seine eigenen Aussichten für die Zukunft waren als entlaufener Sklave nicht gerade rosig, und der Flavius würde, zwar um einige Sesterzen ärmer, doch ebenso viele Erfahrungen reicher, keinen nennenswerten Verlust davontragen. Doch damit hatte sich Quintus noch nicht beschäftigt, und würde es auch in Zukunft nicht tun. Es gab eben freie und unfreie Menschen, das Schicksal, die Götter oder Moiren hatten das vor Urzeiten entschieden, und es als natürliche Ordnung eingerichtet. Wer war Quintus, es zu hinterfragen?


    Vielmehr beschäftigte sich jener nämlich mit dem Brief, den er zu schreiben im Sinn hatte, und der sich ihm als so schwieriges Unterfangen widerstrebend entgegenstreckte. Dass Luca - wenig verwunderlich - die Aurelia auch nicht näher kannte, oder wenigstens erbauliche Dinge von den anderen Sklaven erfahren hatte, gestaltete die Dinge nicht einfacher. Beiläufig fragte er, ob er Prisca den kennen sollte, und Flaccus zuckte lediglich mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Vermutlich nicht, aber es wäre schon hilfreich gewesen...", meinte er dann ein wenig kryptisch, um das papyrus schließlich mit seinen schlanken Fingern zur Seite zu schieben. Er würde sich später noch einmal mit dem Brief befassen, im Moment wollte ihm ganz einfach kein sinnvoller Gedanke kommen, und dass das kleine Sklavenmädchen ihm ständig durch den Kopf geisterte, machte die Sache nicht unbedingt einfacher. Mit wenigen Schritten ging der Flavier zu seinem Bett und ließ sich darauf fallen. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt starrte er zur Decke. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, machte er schließlich einen Vorschlag. "Luca, ich möchte, dass du mir eine Frage stellst. - Ganz egal worüber. Dann stelle ich dir eine Frage, und dann kommst wieder du an die Reihe. So wird die Nacht kurz und ich kann dich besser kennenlernen.", meinte er in griechischer Sprache und blickte mit seinen dunklen Augen den Dalmaten aufmunternd an.

    Irgendwann schien es dem tatkräftigen Kämpfer wohl zu langweilig, einfach untätig herumzusitzen, sodass Luca sich nach einiger Zeit eine Bürste aus seinem kargen Gepäck schnappte und damit begann, den Mantel seines Herrn vom Staub, der sich in den letzten Tagen in arger Weise im Gewebe angesammelt hatte, auszubürsten. Quintus selbst saß immer noch nachdenklich da und starrte abwechselnd aus dem Fenster in den klaren germanischen Nachthimmel und auf das vor ihm befindliche Stückchen papyrus, auf dem, abgesehen von den Lettern Q. FLACCVS PRISCAE SVAE S. gähnende Leere herrschte. Einige Male schon hatter beherzt zu schreiben angesetzt, es dann allerdings stets mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck bleiben lassen. Er fand es notwendig, die Familie und vor allem auch den alten Tiberier, gleichsam der Initiator dieser Unternehmung, von seiner glücklichen Ankunft in Mogontiacum in Kenntnis zu setzen, ohne jedoch, da das Schreiben den amtlichen Weg des cursus publicus würde nehmen, die Namen der in die Verschwörung verwickelten Männer darin aufscheinen zu lassen. Schließlich stellte das flavische Siegel, welches die Rolle am Ende würde verschließen, letzten Endes doch lediglich ein moralisches Hindernis dar, welches einen etwaigen Spitzel des Vesculariers wohl in kaum nennenswerter Weise würde davon abhalten können, das heikle Schreiben zu lesen. Aus diesem Grunde hatte der junge Flavius es als klüger erachtet, den Brief an seiner Onkel statt der Aurelia Prisca zu widmen, um jene, im besten Falle für sie selbst unwissentlich, als Übermittlerin der verschleierten Botschaft zu verwenden. Zweifellos würde sie ihm eine solche zugegebenermaßen etwas plumpe Instrumentalisierung später verzeihen, in Anbetracht der Größe und Gefährlichkeit der Angelegenheit. Und doch wollten ihm keine rechten Worte einfallen den Brief zu beginnen, kannte er Prisca doch noch nicht gut genug, um in belangloser Weise auf etwaige gemeinsame Interessen anspielen zu können. Seufzend wandte sich der Flavier zu Luca um, der mittlerweile energisch dem verstaubten Reisemantel zu Kragen rückte. "Hast du eigentlich schon Aurelia Prisca kennengelernt? Pisos Frau?", fragte er den Sklaven, der ihm in dieser verzwickten Angelegenheit unter Umständen würde ein wenig zur Hand gehen können.

    Die provinziale Atmposhäre in jenem Nest in der nördlichsten Ecke von Germania superior in der die oftmals allzu starren Standesgrenzen der Stadt etwas aufgeweicht schienen, zusammen mit der allgemein befreiten Stimmung nach der vollendeten Reise hatten den jungen Flavius gar nicht in Erwägung ziehen lassen, den Thermenbesuch nicht mit den treuen und redlichen Männern zu teilen, die ihn bis hierher begleitet hatten. Den verbliebenen, wohl schwierigsten Teil der Mission würde er nun ohnehin gänzlich auf sich selbst gestellt bewältigen müssen. Da tat ein vorbereitendes Bad zur Erlangung der alten geistigen und körperlichen Frische ganz gut.


    Als Luca, anscheinend immer noch fasziniert von der Hypokaustenheizung, seinem jungen Herren in rühriger Weise dafür dankte, dass er an diesem Wunder römischer Baukunst teilhaben durfte, lächelte jener verschmitzt. "Ja, Technik. Genauso wie auch die griechische téchne. Und es wird dich wohl auch nicht wundern, dass wir dieses Wunder, man nennt es hypókauston, wie alle guten Dinge, von den Griechen übernommen haben." Etwas plakativ wohl mochte diese Aussage anmuten, doch sie entsprach der philhellenischen Einstellung des Flaviers. "Man kann damit Räume, Becken und auch steinerne Bänke heizen, indem sie im Inneren von heißer Luft durchströmt werden.", erklärte er spitzfindig, da dem Dalmaten dieses "Wunder" offensichtlich nicht vertraut war. Im Grunde war das System recht simpel, doch erzeugte eine außerordentliche Wirkung. Eine Schwierigkeit vermutete Quintus etwa im genauen Temperieren der einzelnen Räume und im Aufrechterhalten der gewünschten Temperatur.


    Dass Luca der für ihn wohl neuen, entspannenden Erfahrung offenbar doch in vollen Zügen frönte, verursachte bei dessen unfreiwilligem Tauchgang ein herzhaftes Lachen in der ganzen Runde, nicht boshaft oder schadenfroh, sondern vielmehr befreit ob der Komik der Situation und der allgemeinen Erleichterung, dass das anstrengende Reisen nun vorerst vorüber war. Als er dann nachfragte, da ihm das Wort "tepidarium" offenbar noch nicht geläufig war, ob dort etwa die angepriesene Massage zu erwarten sei, grinsten die beiden anderen Sklaven und warfen sich vielsagende Blicke zu. Offensichtlich gefiel der Gedanke an den bevorstehenden Genuss dem Dalmaten außerordentlich, konnte er es doch scheinbar gar nicht mehr erwarten. Sie selbst waren natürlich mit dem Ablauf eines Thermenbesuchs wohl vertraut, und wussten, dass es sich bei dem tepidarium lediglich um eine etwas abgemilderte Form des caldariums handelte, in welchem die Temperatur nicht ganz so heiß war, und das den Übergang zum abschließend erfrischenden Bad im frigidarium bilden würde. Nun, da die Stimmung ohnehin gelöst war, rappelte Quintus sich tatsächlich auf, um dem Becken langsam zu entsteigen. Die tropfenden Glieder mit einem bereitliegenden Tuch ein wenig abtrocknend, trat der junge Flavius schließlich durch einen offenen Bogen in einen zweiten Raum, der kein Becken enthielt. In ihm herrschte eine angenehme, lauwarme Temperatur, und mehrere Steinliegen luden zum Verweilen ein. Scheinbar ziellos schlenderte Quintus durch den Raum und ließ sich auf einer der Liegen gegenüber der Statue, die sich ungefähr in der Mitte des mittelgroßen Raumes befand, bequem nieder. Auch hier strahlten die Böden und Wände die Wärme der die Hypokausten durchströmenden heißen Luft ab und schufen eine angenehme Temperatur, die nicht so drückend war, wie jene im caldarium. "Ein wenig wirst du für die Massage schon noch warten müssen ...", meinte er schließlich mit einem feinsinnigen Lächeln auf seinen wohlgeschwungenen Lippen zu dem dalmatischen Sklaven. "Doch ich denke hier lässt sichs gut warten ..." In kleinen Kohlebecken verbrannte wohlduftender Weihrauch, und ein Regal an der Wand enthielt einige Schriftrollen zum Zeitvertreib.

    Und so harrten die beiden Männer, einer einige Jahre jünger als der andere, an jenem späten Abend im prächtigsten cubiculum einer germanischen Schänke, welches doch kaum den Vergleich mit dem schäbigsten Zimmer der flavischen Villa zu Rom würde für sich entscheiden, jeder für sich in tiefe Gedanken versunken, schweigend miteinander aus. Wie es der Zufall oder vielmehr die Götter wollten, hingen sie sogar beide in Gedanken an Frauen fest. Der eine dachte an seine geliebte Frau, die, durch ungünsties Schicksal allzu früh dahingerafft, nun wohl im Reich der Schatten weilte - der andere an eine kleine Sklavin, die sich in Rom befand, ihm aber dennoch so weit entfernt war, wie jenem die Seine. Eigentlich konnte er sich selbst nicht so recht erklären, weshalb seine Gedanken schon auf dem einzigen ausgedehnten Ritt, den die letzten Wochen dargestellt hatten, immer wieder um jenes Mädchen gekreist waren, ihm immer aufs Neue ihr jugendliches Antlitz vor Augen geführt hatten, ihre braunen Augen, ja selbst die sanfte Berührung glaubte er zuweilen an seiner Wange zu spüren, da ihn ihre zarte Hand einst berührt hatte. Mit seinem für gewöhnlich messerscharfen Geist das Problem einer eingehenden Betrachtung unterziehend, war er doch zu keinem befriedigenden Schluss gekommen, hatte lediglich erreicht, dass seine Überlegungen ihm mit der Zeit immer stumpfer und trüber zu werden schienen. Auch jetzt also hing er in Gedanken an ihrem Bild fest und vermochte doch keine Zeichen aufs papyrus zu bringen. Er hatte gehofft, dass es ihm Erleichterung verschaffen würde, seine Empfindungen vielleicht in das Gewand eines kleinen Gedichts zu kleiden, doch versiegte die Quelle der sonst so munter sprudelnden Worte kläglich, und ließ ihn doch nicht vorwärts kommen in seinem sonderbaren Zustand.


    Als Luca sich also an den jungen Flavius wandte, drangen dessen Worte erst mit geraumer temporaler Verzerrung in die bewussten Sphären seiner ohnehin etwas getrübten Wahrnehmung, sodass den Dalmaten zunächst ein etwas entgeisterter Gesichtsausdruck verbunden mit einem sinnarmen "hmmm?" traf. Die Worte im Geiste langsam rekapitulierend nahm der Audruck des Flaviers langsam wieder gewohnt aufmerksame Formen an. "Ähm, ja. Wenn du das für nötig hältst...", meinte er, der zunächst nicht ernsthaft daran dachte, dass ihnen hier tatsächliche Gefahr drohen könnte, wusste doch außer dem Legatus Augusti niemand von dem wahren Grund ihres Aufenthaltes, sich jedoch schon im nächsten Moment innerlich für seine Leichtfertigkeit schalt. Natürlich drohte ihnen hier potentielle Gefahr, nicht alleine deshalb, weil Quintus der Träger verschwörerischen Gedankenguts war, sondern schon aus dem viel profaneren Grunde, da eine beträchtliche Geldmenge sich im Raum befand, die wohl jeden Germanen mit wenig überragenden Zukunftsaussichten durchaus zu Unsinn verbunden mit versuchter oder tatsächlicher Gewaltanwendung verleiten mochte. Durch den aufmerksamen Geist seines custos corporis jedoch wieder einigermaßen beruhigt, ertappte sich der Flavier schon im nächsten Augenblick wieder dabei, gedankenverloren aus dem Fenster zu starren.

    Erleichtert stellte Quintus fest, dass die Beamten hier im provinzialen Norden ihren collegae in der Stadt offensichtlich gar nicht unähnlich waren in ihrem Wesen und Gebaren - und mit denen hatte er umzugehen gelernt. Dass der Besuch des Flaviers nicht angekündigt worden war lag vermutlich daran, dass kaum ein greifbarer Bote die Strecke in kürzerer Zeit denn die Gruppe selbst zurückzulegen vermocht hätte, sodass man schon von Beginn an darauf verzichtet hatte. Ausgesucht höflich bedankte sich der junge Mann also, als der Sekretär meinte, den Legaten nach seinen momentanen zeitlichen Ressourcen für ein Gespräch zu fragen. Tatsächlich würde dies den Beginn des Gesprächs jedoch höchsens etwas verzögern, unter keinen Umständen jedoch verschieben, denn für jene Angelegenheit, die den jungen Flavius hierher geführt hatte, musste wohl eine unvorhergesehene germanische Invasion mittleren Ausmaßes anstehen, um den kaiserlichen Legaten dermaßen zu beschäftigen, dass tatsächlich keine Zeit für eine Unterredung da war. Um jedoch die oftmals etwas sture und auf Unhöflichkeit mit boshafter Trägheit reagierende Beamtenseele nicht zu verstimmen, kam Quintus dem Angebot nach, um "einen Augenblick" an den Fenstern Platz zu nehmen. Auf die Frage nach seinem Anliegen machte der Flavier jedoch nur eine wegwischende Handbewegung. Unter keinen Umständen würde er den Grund seines Aufenthaltes einem dahergelaufenen Germanen, der vermutlich erst jüngst für besondere Verdienste um das Imperium sein Bürgerrecht erhalten hatte, leichtfertig auf die Nase binden. "Sag ihm ich sei im Auftrag des Consulars und Pontifex Manius Tiberius Durus hier um wichtige Dinge zu besprechen.", meinte er schlicht, jedoch mit einer Bestimmtheit, die keine weiteren Auskünfte in Aussicht stellte.

    Weil Quintus Flavius es gar nicht erst darauf ausgelegt hatte, standesgemäße Unterkunft im Statthalterpalast von Mogontiacum zu finden, um nicht am Morgen mit einem Dolch im Bauch herausfinden zu müssen, dass der Annaeer der coniuratio offenbar doch nicht so gewogen war, wie er es zu sein den Anschein geweckt hatte, war einer seiner Begleiter damit betraut worden, eine halbwegs passable Unterkunft in einer nicht allzu zwielichtigen taberna zu suchen, wo man sein römisches Geld ohne langes Nachfragen stillschweigend annehmen, und die Männer nicht weiter behelligen würde. Das cubiculum opulentum, so jedenfalls war es angekündigt worden, stand für den Flavier frei, welcher die Annehmlichkeiten des Zimmers, welches "alles, was man braucht" zu bieten hatte, durchaus zu würdigen wusste und lobende Worte fand, wenngleich es für seine im Hinblick auf die Reise ohnehin nach unten geschraubten Bedürfnisse auch ein weitaus einfacherer Raum getan hätte. So jedenfalls fand er sich am Abend beim Licht einiger Kerzen germanischen Wachses mit einer kleinen Rolle papyrus wieder und starrte nachdenklich aus dem Fenster in den schwarzen Himmel über dem Dorf. Auch seine drei Reisebegleiter würden im selben Zimmer schlafen, wobei im Moment lediglich Luca im Zimmer weilte, während Quintus den anderen beiden Männern gestattet hatte, im Schankraum der taberna auf Tuchfühlung mit germanischem Bier und hiesigen Schankmägden gleichermaßen zu gehen.

    Lucas Blick in des Falviers Richtung, der jenem zu zeigen schien, dass sein Herr das Bad in ebenso unbeschwerter Weise genoss wie die zwei übrigen Sklaven, streifte Quintus, doch dieser wurde sich dessen nicht sonderlich gewahr, war er doch mittlerweile in einen Zustand tiefer Entspannung gefallen, und einigermaßen mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, die zum größten Teil um das bevorstehende Treffen mit dem Annaeer kreisten wie die trist krächzenden Geier um ein Stück Aas. Dass der ehemalige Kämpfer sich erneut ein wenig verkrampfte, sowohl in Gedanken, als auch körperlich, bemerkte er schlichtweg nicht, registrierte lediglich dessen verbale Zustimmung zu seinen eigenen Worten. Die Gewissenskämpfe, die der Dalmate inzwischen mit sich selbst ausfocht, blieben von seinem Herrn und den beiden übrigen Sklaven ebenfalls unbemerkt, war es doch für alle drei völlig normal, jene wohltuenden Dienste talentierter Sklavinnen in Anspruch zu nehmen, ohne Gedanken an die einzelnen Schicksale und Hintergründe zu verschwenden. Doch für den ehemals freien Rebellen mochte es eine gänzlich andere und über die Maßen seltsame Vorstellung sein, die Massage einer anderen Sklavin zu genießen, deren Schicksal dem seinen unter Umständen gar nicht so unähnlich war. Schweigend und wohl jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend verblieben die vier Männer schließlich noch eine geraume Weile im heißen Wasser des caldariums, ehe der junge Flavius langsam die Augen öffnete, einige Momente lang aufmerksam die Mosaike an der gegenüberliegenden Wand musterte, die verschiedene Fische und verspielte Wassergottheiten darstellten, und zuletzt vorschlug, den Badeablauf fortzusetzen. "Ich schlage vor, wir begeben uns allmählich ins tepidarium ...", meinte er, ohne jedoch selbst augenblicklich Anstalten zu machen, seinen eigenen Worten tatsächlich auf der Stelle nachzukommen."

    Dicht hinter Luca trat auch der junge Flavius ein, um während der Worte seines Sklaven den princeps praetorii, einen offensichtlichen Wolf im Schafs ... äh, Germanen im Römerpelz, zu mustern, keineswegs herrisch oder unfreundlich, sondern vielmehr interessiert und mit verhohlener Neugier. Ähnlich wie dem Dalmaten fiel auch Quintus zunächst der prächtige Bart ins Auge, ein Anblick, der in der Stadt unter römischen Bürgern ein überaus seltener war, trug man doch der Mode entsprechend schon seit längerer Zeit keinen Bart mehr. Doch hier im provinzialen Norden des Reiches schien man es mit den aktuellen Modetrends nicht so streng zu halten, oder aber der Domitier, dieses Gentilnomen hatte der junge Mann sich von der Wache an der porta gemerkt, war - und das schien möglicherweise die viel plausiblere Erklärung - ganz einfach ein etwas verschrobener Eigenbrötler mit nostalgischer Affinität zu seiner germanischen Vergangenheit. Dennoch mochte Quintus sich nicht allzu viele Vorstellungen machen, bevor der Sekretär nicht einmal zu sprechen begonnen hatte, sodass er sich schließlich darauf verlegte, die Worte Lucas mit bedeutungsvollem Nicken zu unterstreichen.

    Bestätigend und erfreut nickte Flaccus, als die Wache ihn nun offensichtlich richtig verstanden hatte. "Natürlich.", meinte er knapp und folgte dem Soldaten, gemeinsam mit seinen drei Begleitern, da jener ihn nicht angewiesen hatte, sich von ihnen zu trennen.

    Ungläubig ruckte der Kopf des dalmatischen Sklaven in Richtung seines jugendlichen Herrn, als jener scherzhaft und beinahe beiläufig die in Aussicht stehende Massage erwähnte. Ein breites Grinsen schlich sich auf seine markanten Züge und gewiss war die phantastische Vorstellung, die unzähligen schmerzenden Stellen ihrer durch die lange Reise strapazierten Körper von zarten Frauenhänden sanft zu massieren und anschließend mit duftenden Ölen salben zu lassen, ihm eine ähnlich angenehme wie dem Rest der Truppe. Dennoch umwölkte mit einem Male ein nachdenklicher, ja mit den Schatten der Wehmut angereicherter Ausdruck das Antlitz des kräftigen Sklaven. Quintus ahnte, was momentan hinter der gerkäuselten Stirne des einstigen Rebellen vorgehen mochte, doch mochte nicht in dessen Gedankenprozess eingreifen, weder in die eine, noch in die andere Richtung. Die Augen geschlossen lehnte er stattdessen seinen Kopf gegen den Rand des Beckens und atmete tief durch, während das warme Wasser seinen Körper sanft umspielte. Luca würde es selbst mit seinem Gewissen vereinbaren müssen, ob er die Massage einer anderen Sklavin annehmen konnte oder nicht. Sein junger Herr hatte jedenfalls nicht vor ihn dazu zu nötigen, soviel stand fest. Zögerliche Worte lenkten die Aufmerksamkeit des Flaviers nach einigen Momenten, in denen wohl jeder der vier seinen eigenen Gedanken nachgehangen war, schließlich wieder zurück zu seinem Sklaven, als jener - ganz wie vermutet - Einwände zu erheben schien. "Wir haben in den letzten Wochen so unendlich viel Weg zurückgelegt, nun muss einfach Zeit dafür sein.", meinte Quintus, die Augen noch immer geschlossen und die Arme an den Rändern des Beckens ausgebreitet. Die beiden anderen Sklaven nickten bestätigend, denn tatsächlich hatten sie durch das enorme Tempo der letzten Tage gewissermaßen einen immensen zeitlichen Vorsprung erwirkt, zu dem die wenigen Stunden in den Thermen in lächerlichem Verhältnis zu stehen schienen. "Man würde es ihnen ja gar nicht zutrauen, aber die Germaninnen sind einfach göttlich in diesen Dingen ...", meldete sich schließlich wieder jener Sklave zu Wort, der offensichtlich bereits das eine oder andere Mal nähere Bekanntschaft mit den Frauen dieses Volkes geschlossen hatte. Eine konkretere Definition dieser Dinge blieb jedoch, sehr zum Missfallen des anderen Begleiters und auch des jungen Flaviers selbst, aus, der diese Form leichter, befreiter und völlig belangloser Unterhaltung nach den Anstrengungen der Reise und zur Entspannung vor dem ernsten Gespräch mit dem legatus Augusti sehr willkommen hieß.

    Die Ruhe und das warme Wasser taten offensichtlich nicht nur dem jungen Flavius gut, denn auch seine Begleiter machten einen durchaus glücklichen und zufriedenen Eindruck, als sie gemeinsam im dampfenden Wasser Platz genommen hatten. Langsam wich die Anstrengung der letzten Wochen aus den müden Knochen der Männer und bereitete entspannter Ruhe den Weg in die schweren Glieder. Schmunzelnd beobachtete Quintus, wie Luca sichtlich erstaunt den Steinboden berührte, der durch darunter im Verborgenen strömende heiße Luft geheizt wurde, und sich daraufhin in der Nähe seines Herrn ins Wasser gleiten ließ. Seine Worte zauberten dann allerdings ein schelmisches Grinsen auf die Züge des Flaviers. "Ganz wie du willst ... dann holen wir dich nach der Massage wieder hier ab ...", meinte er scherzend zu dem Sklaven denn Luca, der offensichtlich zuvor noch niemals in den Genuss römischer Thermen gekommen war, glaubte vielleicht, im caldarium läge bereits der Höhepunkt eines ausgedehnten Thermenbesuchs. Die scherzhaften und gleichzeitig verheißungsvollen Worte des Flaviers ließen auch die beiden anderen Sklaven schmunzeln, von denen einer mit rauer Stimme meinte: "Die haben hier sicher germanische Sklavinnen, die würde ich mir an deiner Stelle nicht entgehen lassen ...", und offensichtlich wusste er, wovon er sprach, denn ein seliger Ausdruck verklärter Erinnerung an wohlige Stunden in der Vergangenheit lag auf seinen von Wind und Wetter gegerbten Zügen.

    Es kostete den jungen Flavier einiges an Anstrengung, seine Verärgerung über den Stumpfsinn des als Wache postierten Soldaten zu verbergen, zumal sich jener so freundlich und höflich verhalten hatte. - Freundlich und höflich, aber dennoch stumpfsinnig. Immerhin standen sie hier direkt vor dem Sitz des Statthalters. Mit welchem Legaten würde der Flavier also wohl sprechen wollen? Heftig den Kopf schüttelnd berichtigte er also. "Nein. Ich spreche natürlich vom legatus Augusti, nicht vom legatus legionis.", entgegnete er höflich, doch mit einer Stimme, die es gewohnt war, klare und unmissverständliche Anweisungen zu geben.

    ~ refectio corporis et animae ~


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    Vom Eingangsbereich durch einen kleinen Gang schließlich im apodytérion angekommen, begann Flaccus langsam seine Kleidung abzulegen, und anschließend in einer der freien Nischen zu verstauen. Zunächst glitt der staubige Reisemantel von seinen Schultern, auf dem auch die feuchte Witterung einige große Flecken hinterlassen hatte, und der wahrhaftig so aussah, als hätte er eine gründliche Wäsche dringend nötig. Mit zusammengebissenen Zähnen, um ein schmerzerfülltes Stöhnen zu unterdrücken, ließ der junge Flavius sich daraufhin auf einer steinernen Bank nieder, um die Riemen seiner Sandalen zu lösen, und jene daraufhin von seinen von Staub und Schmutz völlig verdreckten Füßen zu streifen. Die letzten Tage und Wochen im Sattel hatten den jungen Mann mehr geschlaucht als jener zugeben wollte, und so blieb er nun einige Momente lang lediglich mit auf den Knien abgestützten Ellbogen, den Kopf in den Händen vergraben, mit Blick zum Boden auf der Bank hocken und atmete tief durch. Er hatte es tatsächlich geschafft. Mogontiacum war in minimaler Zeit erreicht worden, er selbst sowie seine drei Begleiter noch am Leben und, abgesehen von den unangenehmen Nebenwirkung einer dermaßen strapaziösen Reiseart, bei bester Gesundheit und in verhältnismäßig guter Allgemeinverfassung. Die Götter schienen seinem Unterfangen wohlwollend gegenüberzustehen, sodass eigentlich auch für den weiteren Verlauf der birsanten Mission Erfolg zu erhoffen war. Mit frischer Kraft ob dieser positiven Zukunftsgedanken raffte sich der junge Flavius erneut auf, um zuletzt auch noch die kurze Hose, welche er der Praktibilität halber entgegen guter römischer Tradition beim Reiten unter der Tunika getragen hatte, und auch jene Tunika selbst, deren naturbelasses helles Leinen mittlerweile ebenfalls einen eher heruntergekommenen Eindruck erweckte, loszuwerden, und sich nun, gänzlich nackt und auf diese Weise mit einem durchaus befreiten Gefühl seinen mittlerweile ebenfalls entblößten Begleitern zuzuwenden. "Ich denke, wir haben uns ein langes Bad verdient." Sprachs und ging voran ins caldarium, wo die Luft durch beheizte Wände und Böden unheimlich warm und feucht seinen matten Körper erneut zum Schwitzen anregte, das warme Wasser jedoch, in welches sich Quintus mit einem wohligen Seufzen gleiten ließ, die schmerzende und verkrampfte Muskulatur in einen Zustand völliger Entspannung gleiten ließ.

    Nach einem nicht aufschiebbaren Besuch der Thermae Iuliani, um all den Schweiß und Schmutz der Reise abzuwaschen, und nach der gewaltigen Anstrengung auch einen kühlen und klaren Kopf zu bekommen, fand sich der junge Flavius am späteren Nachmittag, einige Stunden nach seiner Ankunft in der Stadt, mit seinen drei Begleitern an der porta der Regia des Legatus Augusti ein. Der Einfachheit halber, und um von Beginn an Missverständnisse zu vermeiden, übernahm der Flavier es selbst, dem wachhabenden miles sich und seine Mission zu erklären. "Salve miles. Ich bin Quintus Flavius Flaccus und bringe wichtige Nachricht für den Legatus aus Rom." Im Vertrauen darauf, dass die Nennung seines Gentilnomens bloße zwölf Jahre nach dem Tod des letzten princeps, welcher eben dieser gens entsprungen war, auch bei einfachen Provinzsoldaten noch genug Gewicht besaß, um seine Bitte nach einem Gespräch mit dem Annaeer zu rechtfertigen, unterließ er es, den Namen seines Patrons fallen zu lassen, um keinerlei vermeidbare Informationen über den wahren Grund seines Germanienaufenthaltes in Umlauf zu bringen.

    Hart und entbehrungsreich waren die letzten Tage und Wochen für den jungen Flavius verlaufen, der sich selbst und seinen Begleitern kaum ausreichend Rast und Ruhe gegönnt hatte, sodass sie die Strecke durch Italia aber vielmehr noch jenseits der Alpen in halsbrecherischer Geschwindigkeit hinter sich gebracht hatten. Lediglich die kurzen Nächte waren auf Landgütern der Familie oder befreundeter Senatoren und Ritter angenehm durchschlafen worden, doch schon beim ersten Anbruch des Morgengrauens war die Ruhe vorbei und der kleine Reitertrupp sattelte erneut auf. Der Grund für diese anstrengende und kräftezehrende Art des Reisens lag darin, dass Quintus die Zeit, welche diese Unternehmung in Anspruch nehmen sollte, so knapp als möglich zu halten im Sinn hatte, sodass er als Begleiter neben dem neuen Luca nur noch zwei andere zähe Sklaven gewählt hatte, die die Strapazen ohne Murren etragen würden. Und tatsächlich kam schließlich endlich das Ziel der Reise in Gestalt des Stadttores von Mogontiacum in Sicht.

    Am frühen Nachmittag gelangte kleine Gruppe um Quintus Flavius Flaccus schließlich an das Stadttor von Mogontiacum. Die vier Reiter zügelten ihre Pferde, die nur widerstrebend zur Ruhe kamen und noch eine ganze Weile nervös auf der Stelle tänzelten und dampfende Rauchwolken ausstießen. Ihre starken Körper glänzten von Schweiß und auch auf den durch die Anstrengung verzerrten Gesichtern der Reiter standen Schweißperlen. Zum Glück für die aufgeriebenen Männer behelligten sie die Wachen nicht weiter, sodass sie langsam durch das Stadttor traben konnten.