Beiträge von Xanthias

    Schöne Erinnerungen. Tatsächlich schienen sie das Einzige zu sein, das Xanthias von seinem früheren Leben geblieben war. Vielleicht würde er sich eines Tages soweit unter Kontrolle haben, sich ihnen nicht mehr ganz hingeben zu müssen, im Moment jedoch drangen sie mit solch unbändiger Gewalt auf ihn ein, dass er seinen Geist nicht vor ihnen verschließen konnte, selbst wenn er gewollt hätte.


    Mit einem Arm wischte er die Tränen aus seinem Gesicht und war wieder einmal froh, dass es in der Unterkunft so dunkel war, wollte er sich doch nicht bereits beim ersten Gespräch mit seiner Mitsklavin als Weichling präsentieren. Stattdessen erhob er sich von der Liege, besann sich wieder auf seine hervorragende Erziehung und seinen Charakter und entgegnete der Sklavin: "Nein Aristea, bleib hier, ich will uns etwas zu Trinken holen." Doch schon als die Worte so voreilig seinen Mund verlassen hatten wurde ihm bewusst, dass er nichteinmal wusste, wo er um diese Zeit etwas Wasser bekommen könnte.


    "Das heißt, wenn ich wüsste, wo es etwas zu bekommen gibt ..." Und mit fragenden Augen blickte er in ihre Richtung, in der Hoffnung, dass sie anbieten würde, ihn zu begleiten.

    Xanthias' stilles Flehen wurde erhört. Aristea begann weiterzuerzählen, von einem wunderbaren Garten in dem in paradiesischer Fülle Planzen wuchsen und eine angenehme Kühle herrschte. Wie sehr wünschte sich Xanthias in diesem Moment aus der drückenden Enge der Sklavenunterkunft an diesen wunderbaren Ort den er in seinen Gedanken mit den prächtigsten Farben ausmalte. Er spazierte durch den Garten vorbei an allerlei duftenden Blüten, an Brunnen, die kunstvoll angeordnet Wasser sprudeln ließen und den Vorbeistreifenden zum Verweilen einluden. In Gedanken ließ er sich am Rande solch eines Brunnens nieder und tauchte mit der Hand ein in das kühle Naß. Langsam zog er die Finger wieder aus dem Wasser und beobachtete wie sich die Sonnenstrahlen in den Wassertropfen an seinen Fingerspitzen brachen und diese in tausend Farben glitzern ließen.


    Aristea hatte schon längst aufgehört von dem Garten zu erzählen, als Xanthias erst aus seinem Traum zurückkehrte. Sie schien zu überlegen, wovon sie noch berichten könnte. Nach einer Weile begann sie von den Saturnalien zu erzählen.


    "23" beantwortete Xanthias die Frage nach seinem Alter auf Griechisch.


    "Von den Saturnalien habe ich gehört. Bei uns in Griechenland feiern wir ein ähnliches Fest, die Kronien. Allerdings unterschieden sich die Kronien in unserem Haushalt nicht besonders von anderen Tagen, da die Sklaven ohnehin das ganze Jahr hindurch an den Symposien teilnehmen und auch sonst viel Zeit mit uns verbringen.""...verbrachten." korrigierte er sich und wieder drang ein nicht enden wollender Strom von Bildern auf ihn ein von all den wunderbaren Dingen, die er nie wieder erleben würde.

    Tatsächlich begann die junge Sklavin zu erzählen und wusste wahrscheinlich nicht im Geringsten wie gut sie Xanthias damit tat. Und sie malte bunte Bilder in die tiefschwarze Nacht. Tomyris, Demokedes ... Xanthias freute sich, griechische Namen zu hören. Er konnte es kaum erwarten diese Menschen auch kennen zu lernen, vor allem Tomyris schien eine wunderbare junge Frau zu sein. Dann begann Aristea von ihren Lieblingsplätzen in der Casa zu erzählen ... vom Garten und der Bibliothek. Xanthias würde morgen wohl versuchen, diese Orte aufsuchen, wenn es ihm gestattet sein würde. Heute musste er sich damit begnügen, in seiner Phantasie Bilder des Garten mit all den exotischen Pflanzen und der Bibliothek mit den alten Schriften zu entwerfen und die tatsächliche Bekanntschaft mit den Orten auf den nächsten Tag zu verschieben. Tief versank er in Gedanken in Griechenlands grüne Haine, in römische Gärten, gleich Oasen in einer Wüste aus Staub und Dreck - Rom.


    Plötzlich hielt Aristea inne.


    Xanthias hielt die Augen geschlossen. Hoffte inständig, dass sie nicht aufhören würde. Nur noch ein bisschen, ein paar Minuten wollte er ihrer Stimme, den griechischen Worten lauschen.

    In der Tat hatte Xanthias genügend Zeit gehabt, die deutlichsten äußeren Zeichen der Strapazen der letzten Wochen halbwegs zu beseitigen, auch die Wunden zu reinigen, die die grobe Umgangsart der Sklavenhändler ihm eingebracht hatte. - Er war zwar kein Arzt, hatte sie aber so gut versorgt, dass sie sicherlich in den nächsten Wochen heilen würden. Nicht allerdings, ohne Narben zu hinterlassen - die deutlichste wohl an seiner linken Brust. Viel schlimmer jedoch waren die Wunden, die der Verlust seines bisherigen Lebens tief in seinem Innern geschlagen hatte. Sehr lange würde es sicherlich dauern, bis auch diese Wunden vernarbten - heilen würden sie wohl nie.


    Nichts jedoch von alledem ließ sich Xanthias anmerken, als er frisch und kraftvoll das Cubiculum seiner Herrin betrat und sich in dem Korbstuhl ihr gegenüber niederließ. Gewiß würde sie nun Fragen nach seiner Herkunft, seinen Talenten stellen und überlegen, wie er sich wohl am besten einsetzen ließe. Umso überraschter war Xanthias jedoch, als Seiana zu sprechen begann. - Eine offene Frage, weit genug gestellt um dem Gesprächspartner viele Richtungen zu eröffnen, in die sich der Dialog entwickeln könnte. - Ganz anders hätte Xanthias die erste Frage seiner Herrin erwartet, war das doch einfach eine freundliche Einladung zum Gespräch.


    Also schlug der Grieche schwungvoll die Beine übereinander und begann zu erzählen: "Ihr wisst bereits, dass mein Name Xanthias ist - Sohn des Ktesias und der Xanthippe. Meine Eltern waren wohlhabende Landbesitzer in der Region Phokis, nahe dem berühmten Orakel von Delphi. Mein Leben ist Apollon geweiht, meine Liebe gehört den Musen. Doch auch für die Philosophie hege ich großes Interesse, wenn auch nicht in solchem Ausmaß."


    Kurz dachte er nach. Sie hatte ihn nichts Bestimmtes gefragt, seine Antwort konnte also auch nicht falsch oder unzureichend sein. Zweifelsohne würde sie sowieso noch genauer nachfragen.


    "Aber erlaubt mir eine Frage, domina.“


    „Warum bei den Göttern habt ihr heute morgen auf dem Markt gesteigert? Wieso hat euch meine Hasstirade gegen Rom nicht abgeschreckt, mein so unsklavisches Auftreten? Die Aussichten mich zu einen demütigen, gehorsamen Sklaven machen zu können müssen euch doch äußerst gering erschienen sein?"

    Xanthias sackte wieder etwas zusammen, hatte sich wohl zu große Hoffnungen gemacht ... wäre auch zu schön gewesen, hätte er zufällig bereits am ersten Tag seines neuen Lebens als Sklave jemanden kennengelernt, mit dem er gemeinsam von Griechenland schwärmen und in alten Erinnerungen schwelgen könnte. Aber Aristea sprach Griechisch .... und nicht schlecht fand Xanthias, auch wenn ihre Aussprache etwas seltsam, ungewöhnlich, man könnte auch sagen außergewöhnlich klang, nicht schlecht, nur eben ungewohnt, wie das eben ist, wenn man Sprachen nicht tagtäglich benutzt. Nichtsdestotrotz fand Xanthias ihr Griechisch schön, sie schien Gespür für die Melodie der Sprache, die Poesie, die Lyrik, die griechischen Worten unweigerlich innewohnt, zu haben - kein Wunder war es doch im wahrsten Sinne des Wortes ihre Muttersprache.


    Aristea war also in Rom aufgewachsen - schade, denn so hatte sie nie das Paradies auf Erden, wie Xanthias seine Heimat gerne nannte, kennengelernt, die im Sonnenschein strahlenden Kykladen, die sanften Weinhänge, die Berge in Phokis. Und wieder glitt der Grieche ab ins Reich seiner Erinnerungen, in das Meer von Bildern seiner Heimat, seiner Familie. Erst eine weitere Frage von der anderen Seite des Raumes holte Xanthias wieder auf den harten Boden der römischen Realität zurück.


    Am Sklavenmarkt ... es schien für ihn bereits eine Ewigkeit her zu sein. Was hatte er gesagt? Ah, sie meinte wohl die Beleidigung, die er dem römischen Senator an den Kopf geworfen und die Ode die er zitiert hatte. Kurz besann er sich ob er die Frage wirklich beantworten sollte, doch eigentlich war ihm bereits alles relativ egal und womöglich war Aristea ohnehin die einzige Person, der er sich anvertrauen konnte, also begann er langsam: "Ja, ... heute am Markt war mir womöglich wirklich alles egal, ich war einfach unglaublich zornig. .... Aber lass mich von vorne beginnen, vielleicht kannst du mich dann verstehen." Wahrscheinlich hatte sie weder Interesse an seiner Geschichte noch an all den anderen Sachen, die jetzt kommen würden, doch Xanthias hatte beschlossen sich zu öffnen also gab es jetzt kein zurück mehr.


    "Ich stamme aus Phokis, meine Eltern besaßen dort ein großes Landgut waren hoch geehrt in der Region und auch weit über Delphi hinaus. Mein Leben war wunderbar, ich konnte mich zur Gänze auf meine Studien konzentrieren, die ich auch intensiv betrieb. Religion, Geschichte, Philosophie, Poesie, Musik - meine Interessen waren vielfältig und umfassten wohl alle Bereiche griechischer Kultur. Je weiter ich eindrang in die Geschichte und Philosophie Griechenlands, umso bewusster wurde mir, dass eigentlich nicht Rom es verdient hatte, als "urbs aeterna" und Nabel der Welt bezeichnet zu werden, sondern Athen. Hier wurden bereits unglaubliche geistige Leistungen vollbracht, als die Römer nichts weiter taten als ihre Felder zu bestellen. Dennoch hatte sich das römische Reich zu einem ungeheuren Monster entwickelt, das andere Länder und Kulturen verschlang und sich in rasantem Tempo rings um das ganze Mittelmeer ausbreitete. Nicht genug, dass sie den Griechen ihre Freiheit nahmen, nein auch unsere Kultur, unsere Philosophie, ja selbst unsere Götter haben sie gestohlen und als ihre eigenen ausgegeben."


    Hier musste Xanthias eine kurze Pause einlegen und sich auf sein eigentliches Vorhaben besinnen, zu leicht geriet er in hitzige Gemütsausbrüche, wenn es um Rom ging. "Aber genug davon. Vor einigen Wochen also, unternahm meine Familie eine Reise nach Paphos, vor der Küste Karpathos' allerdings geriet unser Schiff in ein Unwetter, bei dem meine gesamte Familie ums Leben kam, nur durch ein Wunder - nein - eher einen Fluch der Götter überlebte ich, strandete auf Karpathos und schlug mich einige Tage in freier Wildnis durch, ohne einer Menschenseele zu begegnen, bis ich eines morgens aufwachte und mich umringt von einer Gruppe übel aussehender, brutaler Männer wiederfand, die mich schließlich auf ein Schiff zerrten und nach Rom - ausgerechnet nach Rom brachten, wo ich dann durch dreckige Gassen auf den Markt geführt und wie eine Ware auf einem Podest feilgeboten wurde. Ich, der ich mein ganzes Leben selbst bedient wurde, der man mir den größten Respekt, wegen meiner Abstammung aber auch wegen meiner eigenen Leistungen, entgegenbrachte. Als dann dieser Senator eine Darbietung meines Könnens forderte, wie wenn man von einem dressierten Tier Kunststücke sehen will, explodierte ich. Ein Römer, so wichtig und mächtig er auch sein mochte, wagte es doch tatsächlich einen Griechen, einen Abkömmling jenes Volkes, dem sie nahezu alle Bereiche ihrer Existenz verdanken, wie ein dressiertes Tier zu behandeln. - Nun, ich machte meinem Ärger Luft. Wie, hast du ja selbst bemerkt."


    Xanthias hielt inne. Jetzt war es geschehen und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden, er hatte seine Lebensgeschichte einer nahezu wildfremden römischen Sklavin anvertraut, allein aufgrund der Tatsache, dass sie schönes Griechisch sprach und Anteil an seiner misslichen Lage zu nehmen schien.


    Noch bevor Aristea antworten konnte hatte Xanthias sich allerdings schon wieder gefasst und besann sich seiner epikureischen Einstellung. "Aber genug von mir." begann er aufmunternd "Erzähl mir doch bitte ein wenig von dir, aber nicht von deiner Vergangenheit." - Die sicherlich schrecklich gewesen war, und schreckliche Dinge konnten seine Stimmung jetzt sicherlich nicht bessern. "Erzähl mir lieber von Dingen, die du gerne tust, von Menschen die du liebst, von schönen Momenten."


    "Natürlich nur, wenn du willst." fügte er hinzu, denn das letzte was er wollte war sich anderen Menschen aufzudringen. Insgeheim jedoch wünschte er im Moment nichts mehr, als dass Aristea wenigstens ein bisschen erzählen würde, egal wovon, doch es war schön, ihrer Stimme zu lauschen und sich in der Dunkelheit eigene Bilder zu formen.

    Es tat gut, Griechisch zu hören. Im Moment war das wohl auch das einzige, was Xanthias von seiner Vergangenheit geblieben war, seine Muttersprache. Und Erinnerungen. Ob mit ihm alles in Ordnung wäre, fragte die junge Sklavin. Xanthias wusste nicht was er antworten sollte. Natürlich war überhaupt nichts in Ordnung, er war schließlich von einem Tag auf den anderen Vollwaise geworden und dann, als ob das nicht genug des Übels wäre, hatten ihn auch noch Römer, ausgerechnet Römer, versklavt und in diese abscheuliche Stadt verschleppt – doch das konnte sie alles nicht wissen und Xanthias wusste auch gar nicht, ob sie es überhaupt wissen sollte. Er war nicht der Typ, der vor fremden Menschen sein Herz ausschüttete, sie mit seinem Kummer zumüllte, ganz im Gegenteil, er verlor sonst nie die Fassung, bewahrte immer Haltung, schluckte alles hinunter. Emotionale Gefühlsausbrüche waren nicht sein Ding, er war durch und durch Epikureer, sein Ziel war die hedone, ein Leben im heiteren Genuss, in dem Leidenschaftsausbrüche nichts zu suchen hatten. Doch seine Einstellung war erschüttert worden, zuerst durch die schreckliche Katastrophe auf hoher See und dann durch die darauf folgenden Ereignisse. Epikur lehrte, dass die Götter in den Intermundien sich nicht um die Menschen kümmerten, was aber sollte das, was ihm widerfahren war, anderes sein, als eine Strafe der Götter?


    Und nun saß er hier, und der einzige Mensch mit dem er sich unterhalten konnte war eine junge Skavin … Aristea – eigentlich ein wunderschöner Name.


    „Stammst du aus Griechenland?“ die nächste Frage in die Dunkelheit.


    Wie sehr hoffte er, dass es so wäre … Er war ganz still um zu hören ob sie überhaupt noch wach war, tat es doch so gut, ihre Stimme, griechische Worte zu hören.

    Erschrocken über die plötzliche Bewegung und die griechische Anrede schreckte Xanthias aus seinen Gedanken auf, dachte im ersten Moment allerdings gar nicht daran, schnell wieder in seine Tunika zu schlüpfen oder zumindest die Decke hochzuziehen, so erstaunt war er über die griechischen Worte. Andererseits war im Dunkel ohnehin nichts zu erkennen, hatte er selbst doch bis jetzt nicht bemerkt, dass er nicht allein im Raum war. Die Stimme musste seiner jungen Mitsklavin gehören, wie war ihr Name nochmal … Aristea oder so? Anscheinend trug sie nicht nur einen griechischen Namen, sondern war auch seiner Muttersprache mächtig. Die griechischen Worte, so belanglos sie auch waren ließen in ihm warme Gefühle an seine Heimat, seine Familie aufsteigen. Die Bilder von seinen Eltern und Geschwistern, vor allem seiner süßen kleinen Schwester schienen ihn zu überwältigen, die schönen Sommertage auf ihrem Gut in Phokis, die Nächte in denen sie gemeinsam musiziert, gesungen auch philosophiert hatten, dann die Seefahrt, das schreckliche Unwetter. Nun waren alle tot. Nur mit Mühe konnte er Tränen unterdrücken, musste tief schlucken.


    „Aristea … bist du das?“ fragte er mit belegter Stimme auf Griechisch in die Dunkelheit.

    Xanthias betrat die Sklavenunterkunft und wollte eigentlich nur mehr eines: endlich wieder einmal in einem Bett schlafen - oder zumindest auf einer halbwegs anständigen Liege, mehr würde den Sklaven hier wohl nicht zur Verfügung stehen. Er konnte sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal eine Nacht halbwegs bequem zugebracht hatte. Es musste etliche Wochen her sein. Die Nächte auf Karpatos unter freiem Himmel, im engen und muffigen Deck des Piratenschiffs und schließlich im Verschlag des Sklavenhändlers hatten den verwöhnten griechischen Adeligen ganz schön mitgenommen - war er es doch bis jetzt gewohnt gewesen seine Nächte unter einem Dach, in einem eigenen Zimmer und vor allem bequem zu verbringen. Nach der abgeschlossenen Versteigerung war die Gruppe mit Decima Seiana, Aristea, Demetrios und Xanthias schnurstracks zur Casa Decima marschiert, vorbei an allen Ständen des Mercatus, die Xanthias' Herrin nicht einmal zu notieren schien, vorbei an den gewiefte Händlern, die lautstark ihre Waren anpriesen von Decima Seiana jedoch keines Blickes gewürdigt wurden. Eigentlich war das dem Griechen nur recht, fühlte er sich doch in seinem momentanen Zustand alles andere als wohl. Trotzdem hatte er versucht, so gut wie möglich den Mund zu halten und seine missliche Lage nicht laut kundzutun vor allem, um es sich mit seiner neue Besitzerin nicht schon am ersten Tag zu verscherzen - er konnte sich zwar nicht vorstellen, wie sie ihn für seine vorlaute Zunge bestrafen würde, wollte es aber auch gar nicht aufs Spiel setzen, das allzu bald am eigenen Leib zu erfahren. Also hatte er sich auf dem Weg zur Casa in Schweigen gehüllt, und in Gedanken die letzten Wochen seit dem schrecklichen Unwetter auf hoher See Revue passieren lassen. Außerdem versuchte er sich seine Zukunft auszumalen, was würden wohl nun seine Aufgaben werden, wie würde sein Alltag aussehen? Viele Fragen schossen ihm durch den Kopf, deren Verbalisierung er allerdings auf einen günstigeren Moment verschob. Immer wieder hatte er auf dem Weg zur Casa auch seine beiden Mitsklaven, das Mädchen und den Mann beobachtet, schließlich würde er sich wohl früher oder später mit ihnen unterhalten müssen, wenn er sein restliches Leben nicht in Einsamkeit verbringen wollte. Als sie die Casa schließlich erreichten, konnte der Grieche endlich das von ihm schon so lange ersehnte Bad nehmen, nach dem er sich erfrischt und äußerst gut gelaunt zu einem Gespräch mit seiner neuen Herrin begab. Als auch dieses vorüber und die Sonne bereits längst untergegangen war, fand Xanthias schließlich seinen Weg in die Sklavenunterkunft, und wollte eigentlich einfach nurmehr eine freie Liege finden, um in Ruhe zu schlafen. Zu seiner Verwunderung konnte er im Halbdunkel eigentlich niemanden erkennen, er schien sich allein in dem Raum zu befinden. Möglicherweise schliefen die restlichen Sklaven in anderen Räumen oder waren zurzeit nicht im Haus. Allein in einer Ecke konnte er schemenhaft ein gekrümmtes Etwas auf einer Liege entdecken, womöglich war es einer seiner Mitsklaven, womöglich auch nur ein Berg schmutziger Kleidung. Eigentlich war ihm das im Moment auch egal, Xanthias war so müde, dass er einfach nur mehr schlafen wollte, er steuerte also eine Liege ungefähr in der Mitte des Raumes an, als er plötzlich an einen harten Gegenstand anstieß. Er musste tief durchatmen, um vor Schmerz nicht laut aufzuschreien und verspürte ein starkes Pochen verbunden mit einem stechenden Schmerz an seinem linken Schienbein. Irgendwie schaffte er es dann doch zu der ersehnten Liege zu humpeln, wo er sich erschöpft niederließ. Er wartete noch einige Augenblicke, bis das Pochen einigermaßen nachgelassen hatte und zog sich schließlich die frische Tunika, die man ihm gegeben hatte langsam über die Schultern. Dann legte er sie sorgsam neben der Liege ab, die er sich als Schlafplatz erkoren hatte. Er musterte seinen entbößten Körper. Eigentlich war er ganz zufrieden mit seinem Aussehen, bis auf eine Narbe an seiner linken Brust, die sich von der Schulter bis etwas über seine Brustwarze zog. Diese Narbe war die Folge einer der Wunden, die er sich bei dem schrecklichen Unwetter, das dem Rest seiner Familie das Leben gekostet hatte, zugezogen hatte. Langsam ließ er sich am Bett nieder und sinnierte über sein Leben, als sich plötzlich das Knäuel in der dunklen Ecke des Raumes zu bewegen schien.

    Der Händler erteilte schließlich der Dame den Zuschlag und schon wurde Xanthias von den zwei derben Handlangern desselben gepackt und nach vorne gezerrt. Die Römerin schien noch einmal zu überlegen, obwohl der Kauf eigentlich schon rechtskräftig war, musterte Xanthias eindringlich mit unbewegter Miene, aus der der junge Grieche nicht schlüssig wurde, ob sein äußeres Erscheinungsbild ihren Ansprüchen gerecht wurde. Wahrscheinlich eher nicht, schließlich waren die Möglichkeiten zur Körperpflege die letzten Wochen für ihn mehr als dürftig gewesen und an sein letztes Bad konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Sie hatte also vor, ihn gleich mitzunehmen. Zum Glück, dachte Xanthias, denn er hätte es keine Minute länger bei diesem widerwärtigen Sklavenhändler mit seinen dumm dreinblickenden dafür äußerst groben Handlangern ausgehalten.
    Zwei Sklaven hatte die junge Dame in ihrer Begleitung, ein Mädchen, das wohl ungefähr so alt wie Xanthias war und einen Mann, der offenbar zu ihrem Schutz und seiner Bewachung mitgekommen war. Als die Römerin den Händler aufforderte Xanthias etwas zum Anziehen zu geben, kam dieser ihrem Wunsch nach und stülpte dem Griechen kurzerhand einen muffigen Sack über, der nur im entferntesten Ähnlichkeit mit einem Kleidungsstück besaß.


    Nun wandte sich Xanthias seiner neuen Besitzerin zu: "Domina, darf ich euren Namen erfahren?.", er verbeugte sich galant in Richtung seiner neuen Herrin. "Meine Dame, würdet ihr mir auch denn euren verraten?.", auch die junge Sklavin bekam eine Verbeugung. Schließlich nickte er noch dem Sklaven, der ihn sehr misstrauisch anblickte mit einem breiten Grinsen zu.


    "Ich wäre euch zutieftst verbunden, domina, könntet ihr meine Fesseln lösen.", machte Xanthias nun die inzwischen nahezu unerträglich gewordenen Schmerzen der Stricke an seinen Handgelenken zum Thema. "Außerdem bitte ich um die Möglichkeit eines Bades, wenn das auch in eurem Interesse liegt.", fügte er in einem ehrlich unterwürfigen Ton hinzu - die Strapazen der letzten Wochen dürften auch sein Ego etwas geschmälert haben, hatte doch seine Stimme einen Großteil ihrer früheren Überlegenheit eingebüßt.

    Eine weitere Interessentin hatte sich dem lustigen Treiben angeschlossen. In der Tat, inzwischen machte das Ganze Xanthias sogar Spaß, abgesehen von der Tatsache, dass er offenbar für den mickrigen Betrag von 450 Sesterzen verkauft werden sollte, die ihn leicht kränkte, "Kein Geld der Welt könnte meine Fähigkeiten jemals aufwiegen.", dachte er bei sich. Nachdem die junge Dame seinem Vortrag gelauscht (und ihn dabei nicht mit Dreck beworfen hatte), beobachtete sie auch noch den Schlagabtausch zwischen ihm und dem Mann in der Sänfte und schien zu überlegen. Als das Gebot über 401 Sesterzen gefallen war, wartete sie noch einige Momente, schien zu überlegen ... und ließ schließlich von ihrem Sklaven 450 Sesterzen bieten. Außerdem folgte die Frage nach Xanthias' Namen.


    Dieser musterte die junge Frau, sie war durchschnittlich groß, schlank und hatte dunkles Haar. "Hübsch wäre sie schon mal, und wohl auch ungefähr so alt wie ich. Allerdings scheint sie nicht gerade zur High-Society zu gehören.", dachte der Grieche, bevor er antwortete: "Mein Name ist Xanthias, werte Dame, und ich stamme aus Phokis, wo meine Familie viel Land besaß."

    "Da wagt doch glatt einer zu bieten, nachdem was ich den Römern da an den Kopf geworfen habe." Xanthias war verwundert. Möglicherweise war es ja keiner dieser verklemmten Römer, die nichts anderes als Krieg im Kopf hatten, sondern einer den die Musen zumindest nicht vollständig kalt ließen. Neugierig sah er in Richtung des Reichen, der sich in seiner Sänfte nicht rührte und offenbar noch nicht vorhatte mitzumischen. Xanthias trat von einem Bein auf das andere, schön langsam wurde es unangenehm da oben auf dem Podium, das inzwischen voll von allerlei Unrat war, mit dem die wütende Menge ihn und den Händler nach seiner Poesie-Aktion beworfen hatte. Außerdem schnitten ihn die Fesseln an seinem Rücken inzwischen schon ziemlich und die Tatsache, dass er noch immer halb nackt dastand machte das Ganze nicht erträglicher.

    Schon etwas weniger vorlaut, nicht etwa der Ohrfeige des Händlers sondern viel mehr der geistreichen Antwort des Patriziers wegen, der offenbar doch nicht zu der Sorte von Römern gehörte, die das non plus ultra in Catos "Origines" oder Ennius' "Annales" sahen, erwiderte Xanthias dem Laufburschen: "Ich entschuldige mich vielmals, und will ohne Zögern der Aufforderung deines Herrn nachkommen!"


    Kurz dachte er nach, ob er den Römer nochmals beleidigen sollte, besann sich aber schließlich auf seine guten Manieren und die Worte seiner Mutter, sich auch den ungebildetsten Fremden gegenüber immer höflich zu verhalten. (ob das wohl auch noch galt, wenn man von einem Mitglied jenes Volkes versklavt wurde?) Allerdings schien dieser hier offenbar gar keiner der ungebildeten Sorte zu sein, und so rief er mit lauter Stimme, in lateinischer Sprache, in Richtung der Sänfte: "Dominus, ich entschuldige mich für meine vorlauten Worte und bereue sie zutiefst! Nichts liegt mir ferner als den Zorn eines so gebildeten Bürgers, wie ihr einer seid, auf mich zu ziehen!" "Immerhin beherrscht er offenbar ein paar Brocken Griechisch", dachte Xanthias. "Nun, den Musen bin ich durchaus nicht abhold. Ich pflege meine Gedichte auf der Lyra oder der Kithara zu begleiten und auch auf der Tibia weiß ich manch schöne Melodey zu spielen."


    Nach diesen versöhnlichen Worten, hoffte Xanthias den Zorn des Römers wieder einigermaßen beschwichtigt zu haben, da dieser als offenbar reicher Mann ihm wahrscheinlich eine relativ angenehme Zukunft bieten würde können. Außerdem war er anscheinend der einzige, der Interesse an ihm gefunden hatte, doch das konnte sich ja noch ändern.

    Autsch! Dass nun gerade dieser widerwärtige Sklavenhändler ihn verstehen würde hätte er nicht gedacht. Und wie er ihn dann auch noch anschnauzte ... dabei hatte seine Familie sicherlich ein Vielfaches des Vermögens dieses Mannes besessen. Doch die Moiren waren grausam und des Schicksals Wege unergründlich, und so war er nun in der Gewalt dieses Mannes. Wie auch immer, er hatte mit seinem bisherigen Leben abgeschlossen und alle Demütigungen, die er jetzt erfuhr ließen ihn kalt. Und auch noch so viele Ohrfeigen des Händlers würden ihn nicht davon abhalten können, diesen minder bemittelten Römern seine Meinung ins Gesicht zu sagen.

    Dem hässlichen einäugigen Sklaven, der an das Podium getreten war, entgegnete Xanthias: „Nun, dann will ich deinen Herrn nicht enttäuschen.“ Und mit lauter Stimme, sodass ihn auch der Patrizier in der Sänfte klar verstehen konnte: „Werter pithekos en porphyra!“ ,denn er war sich sehr sicher, dass der Römer kein Griechisch konnte – vielleicht würde er die griechische Anrede ja sogar als Kompliment auffassen., „wenn es euch beliebt, so will ich ein Gedicht in eurer Sprache vortragen, um euch nicht mit der schwierigen griechischen zu belasten!“ „Was für eine langweilige Sprache Latein doch ist, so ausdrucksschwach!“, dachte er sich insgeheim und begann, mit einem schelmischen Lächeln auf dem Gesicht und neugierig, wie die Epode dem Römer wohl bekommen würde, laut und deutlich zu rezitieren:


    „Quo, quo scelesti ruitis? Aut cur dexteris
    Aptantur enses conditi?
    Parumne campis atque Neptuno super
    Fusum est Latini sanguinis,
    Non ut superbas invidae Karthaginis
    Romanus arces ureret
    Intactus aut Britannus ut descenderet
    Sacra catenatus via,
    Sed ut secundum vota Parthorum sua
    Urbs haec periret dextera?
    Neque hic lupis mos nec fuit leonibus
    Umquam nisi in dispar feris.
    Furorne caecus an rapit vis acrior.
    An culpa? Responsum date."


    Hier legte Xanthias eine Pause ein, auch wenn er nicht wirklich auf Antworten hoffte. Schließlich setzte er fort:


    "Tacent et albus ora pallor inficit
    Mentesque perculsae stupent.
    Sic est: acerba fata Romanos agunt
    Scelusque fraternae necis,
    Ut inmerentis fluxit in terram Remi
    Sacer nepotibus cruor.”


    Als er geendet hatte, legte er eine wirkungsvolle Pause ein, um sich schließlich zu verbeugen, so gut das mit am Rücken gefesselten Händen eben ging. Während er gebeugt dastand und zur Erde blickte, überlegte er, ob er mit dem Gedicht nicht zu weit gegangen war. „Wer weiß, vielleicht würde der Römer die tiefe Kritik ja gar nicht verstehen“, dachte er sich und gefasst auf das Schlimmste blickte er wieder auf.


    Sim-Off:

    Das Gedicht ist die Epode Nr. 7 von Q. Horatius Flaccus "An das römische Volk"
    Übersetzung: Wohin, wohin, Verruchte stürmt ihr? Und warum in eure Rechte nehmt ihr die Schwerter, die doch schon geruht? Ist denn zu wenig über Land und Meere hin vergossen worden an Latinerblut? Nicht dafür, dass des neidischen Karthagos stolze Burgen der Römer brennen seh', noch auch dafür, dass der noch ungebrochene Brite hinziehen muss in Ketten auf dem Heiligen Weg, sondern dafür, dass nach der Parther Wünschen durch eigene Hand zugrundegehe diese Stadt? Das war bei Wölfen nicht die Art noch auch bei Löwen jemals: die sind nur gegen Fremdes wild. Ob blinde Wut euch hinreißt oder allzu heiße Leidenschaft, ob Schuld? Antwort gebt! Sie schweigen, und ihr Antlitz bleiche Blässe färbt, die Herzen in Erschütterung starrn. So ist es: herbes Schicksal treibt die Römer um und Frevel auch des Brudermords, seit niederfloss zur Erdes des unschuldigen Remus Blut: den Enkeln Fluch.


    Kann man hier das griechische Alphabet nicht benutzen? pithekos en porphyra müsste eigentlich À¯¸·º¿Â ἐ½ À¿ÁÆÍÁ± heißen. "Affe in Purpur"

    Die letzten Wochen, seit diese widerwärtigen Piraten ihn auf Karpathos aufgegriffen hatten, waren die schrecklichsten seines bisherigen Lebens gewesen. Hätte sich ihm nur die geringste Möglichkeit geboten, ohne zu zögern hätte er sich das Leben genommen. Was auch immer ihn in der Unterwelt erwarten würde, es könnte nicht schlimmer sein als das hier. Außerdem war sein Leben nun, da er seine gesamte Familie verloren hatte, ohnehin sinnlos. Seine restlichen Verwandten in Phokis würden wohl glauben, dass auch er bei dem schrecklichen Unwetter gemeinsam mit seiner Familie ums Leben gekommen wäre. Dabei hatten sie vor ihrer Abreise noch das berühmte Orakel um Rat gefragt, und Pythia sprach, dass ihr Unternehmen jemandem einen großen Gewinn bringen würde. Zweifelsohne meint sie einen geistigen Gewinn, die Erhebung in höhere spirituelle Sphären, dachte Xanthias damals, die er sich vom Besuch des Aphroditeheiligtums auf Paphos erhoffte. Nun allerdings würde wohl höchstens dieser abscheuliche Sklavenhändler Gewinn aus der ganzen Katastrophe ziehen.


    Hier stand er nun also, auf einer Bühne mitten am belebtesten Markt Roms. Man hatte ihm die Hände am Rücken gefesselt und seinen Oberkörper entblößt, wohl um auch noch aus seiner Attraktivität Gewinn zu schlagen. Noch hatten sich nicht viele Menschen um das Bretterpodium eingefunden, doch zweifellos würde das nicht allzu lange dauern. Mit der Routine eines Mannes, der seinen Beruf schon jahrelang ausübt, begann der Händler, die Aufmerksamkeit der vorbeiströmenden Menschen mit vielversprechenden Schlagworten auf sich zu ziehen. Xanthias beobachtete die Bürger, er war noch nie in Rom gewesen, und was er jetzt erblickte widerstrebte seinen hohen griechischen Idealen zutiefst. Schmutzig, stinkend und einfach abscheulich lag der Markt eingezwängt zwischen Gebäuden, die wohl auch schon einmal bessere Zeiten gesehen hatten. Nicht vergleichbar jedenfalls mit einer griechischen Agora, fand Xanthias. „Auch hier zeigt sich wieder mal die eindeutige Minderwertigkeit der römischen Kultur im Vergleich zur griechischen.“, dachte er insgeheim. So stand er da und wartete ab, was wohl noch passieren möge.

    Ich möchte mich gerne anmelden.


    Stand: Servus
    bitte versteigert zu werden.
    Name: Xanthias
    Wohnort: Roma


    Xanthias ist ein junger gebildeter Grieche, musisch begabt, ein Schmuck für seinen dominus/seine domina und den Haushalt. Er eignet sich außerdem ob seiner umfassenden Bildung bestens als Hauslehrer.