Beiträge von Shayan

    Zitat

    Original von Lucius Quintilius Valerian
    „Du bist aktiver Gladiator? Nicht ehemaliger Gladiator?“ Das wieder erstaunte Valerian. Die Flavia war wirklich eine merkwürdige Frau, wenn das die Wahrheit war. „Und ich dachte immer, gute Gladiatoren sind gut, weil ihnen ihr Hals eben doch wichtig ist.“ Er sagte es absichtlich provozierend. Wollte der Sklave ihn auf den Arm nehmen? „Du hast meine Frage nicht so wirklich beantwortet. Nämlich danach, wie wichtig Dir Deine Herrin ist.“


    Shayan konnte sich vorstellen, warum der Römer nachhakte – es hatte nicht lange gebraucht, selbst als Anfänger im Ludus, der weder sprechen durfte noch dem großartig etwas erzählt wurde, bis er realisiert hatte, dass es die Ausnahme war, wenn Gladiatoren nicht dem Ludus gehörten. Aber er sparte sich eine Antwort, sondern nickte nur ruhig. Wie exzentrisch seine Herrin manchmal sein konnte, war sicherlich kein Thema, das hier und jetzt erörtert werden sollte.


    Auch auf den nächsten Kommentar sagte Shayan nichts. Was hätte er auch erwidern sollen – dass kein Gladiator zu sehr an seinem Hals hängen durfte, weil er in der Arena jederzeit in die Lage kommen konnte, auf die Gnade des Publikums angewiesen zu sein? Oder dass speziell er sein Schicksal in anderen Händen wusste? Das eine wusste der Römer, das andere ging ihn nichts an – und würde er auch kaum verstehen. Und da der Satz des Centurio keine direkte Frage enthalten hatte, blieb der Parther auch hier stumm. Erst als er aus den letzten Worten tatsächlich eine Frage heraus hören konnte, erwiderte er etwas. „Sie ist meine Herrin“, sagte er in einem Tonfall, als würde das alles erklären. Es wäre nicht ehrlich gewesen zu sagen, dass die Flavia ihm wichtig war. Er mochte sie noch nicht einmal wirklich. Aber seine Aufgabe war ihm wichtig. Dass er hier gelandet war, war der Wille Ahura Mazdas gewesen, und er würde sich dem nicht entziehen, gleich was es ihn kosten mochte. „Ich werde sie schützen, so gut ich kann.“ Was im Moment allerdings nicht sonderlich gut war... er wusste nicht einmal, wo sie war, geschweige denn ob und wann er sie wiedersehen würde.

    Zum ersten Mal zeigte Shayan so etwas wie Anzeichen der Überraschung. Er wollte nichts wissen von ihm? Nichts von der Flavia jedenfalls oder ihrer Familie, nichts von dem, was dazu geführt hatte, dass sie hatte fliehen müssen? Damit hätte er nicht gerechnet. Und er war sich immer noch nicht ganz sicher, ob das nicht doch nur eine Falle war, ob der Urbaner nicht einfach nur versuchte, sein Vertrauen zu gewinnen... um so mehr herauszufinden. „Ich bin Gladiator.“ Er machte eine leichte Kopfbewegung zu den Tätowierungen hin, die sich an seinen Handgelenken und Unterarmen zeigten und ihn als solchen auswiesen. „Mein Hals ist nicht wichtig.“ Er hätte auch sagen können, dass es an Ahura Mazda war zu entscheiden, was mit ihm passierte... aber seiner Erfahrung nach konnten die Römer damit nicht viel anfangen. Das hatte er schon bei seinem ersten Herrn gemerkt, jenem Römer, der ihn damals im Krieg gegen sein Volk gefangen genommen und als Sklaven behalten hatte. Dass man an nur einen Gott glaubte, schien den Römern völlig widersinnig zu scheinen... und wie sehr man sein Schicksal in die Hände dieses einen Gottes gab ebenso. Nein, sein Dasein als Gladiator schien ihm eine bessere Begründung zu sein für einen Römer, und sie war ja noch nicht mal falsch – er wäre nicht zum Gladiator aufgestiegen, wenn er nicht gewisse Dinge verinnerlicht hätte.

    Jetzt kamen sie scheinbar dem ein wenig näher, was der Centurio eigentlich wollte. Auch wenn es vielleicht ein wenig plump war, ihn direkt zu fragen wie es um seine Loyalität stand – aber gut, andererseits würde der Urbaner dann gleich wissen, woran er war, und nicht seine Zeit mit Befragungen und Methoden verschwenden, die keine Ergebnisse bringen würden.
    „Falls du wissen möchtest, ob ich dir etwas über sie oder ihre Familie erzählen werde: du kannst dir Fragen sparen. Ich werde ihr nicht in den Rücken fallen.“

    Fragen über Fragen über Fragen. Und nach wie vor keine, die relevant war. Keine dazu, warum sie Rom verlassen hatten. Keine dazu, wie sie das angestellt hatten trotz der Ausgangssperre. Keine dazu, wo der Ehemann der Flavia war, oder ihre Verwandten, die gesucht wurden, so wie er das mitbekommen hatte. Die Fragen waren auch nicht mehr ganz so harmlos wie noch zuvor... aber Shayan konnte dennoch keine Falle darin erkennen. Nichts, was ihm oder seiner Herrin zum Nachteil gereicht hätte, wenn er weiterhin einfach antwortete. Oder entging ihm da etwas, weil er die Feinheiten des Lateinischen einfach nicht beherrschte?
    „Wir waren... nicht erkennbar. Nicht beim ersten Sehen. Unsere Begleiter sind tot oder fort. Aber es waren noch zwei Sklaven da... die haben erzählt. Und die Sachen meiner Herrin waren auch ein Hinweis.“ Er deutete ein leichtes Achselzucken an. „Sie wollten Lösegeld, zuerst. Aber die Verwandten meiner Herrin sind nicht mehr in Rom... und der Name ihrer Familie steht auf einer Liste eures Praefectus Urbi.“

    Shayan neigte nur leicht den Kopf, als der Centurio auf seine Namensnennung reagierte, und zögerte im Anschluss erneut. Er hatte seine Sprachkenntnisse in den vergangenen Monaten hier in Rom noch einmal verbessert... aber das hier war eine besondere Situation. Es war besser dreimal nachzudenken, bevor er irgendetwas sagte, was er so nicht sagen wollte. Aber immerhin: bislang waren die Fragen nach wie vor harmlos. Jedenfalls konnte Shayan daran keine Falle erkennen, nichts, was seine Herrin in Schwierigkeiten bringen könnte – das hieß, in größere Schwierigkeiten als sie ohnehin schon war. Seltsam fand er nur immer mehr die Art der Fragen... was interessierte der Centurio sich so sehr für diese Bande? Wo seine Herrin doch augenscheinlich viel interessanter war, wenn die Kerle eine Belohnung für sie bekamen?


    „Nördlich von Rom. Ein dutzend, vielleicht anderthalb. Ja, sie waren bewaffnet“, beantwortete er die ersten Fragen, knapp, aber korrekt. Danach wurde es etwas kniffliger. Shayan überlegte kurz und machte dann angedeutet eine nachdenkliche Kopfbewegung. „Nein... sie haben nicht speziell auf uns gewartet.“ Wie auch? Hatte ja keiner gewusst, dass sie dort sein würden. Sie hatten es bis zum Vorabend ja nicht mal selbst gewusst. „Es war Zufall. Sie wollten einfach Beute.“

    Shayan warf dem Soldaten, der nun hinaus geschickt wurde, einen flüchtigen Blick zu, dann konzentrierte er sich auf den Mann vor ihm, der ihn nun ansprach. „Mein Name ist Shayan“, antwortete er, ebenso ruhig wie er da stand. Er sah keinen Grund, seinen Namen zu verheimlichen... warum auch?
    Als der Centurio allerdings weiter fragte, zögerte er dann doch einen Moment. Er hatte keine Ahnung, wo das hier hinführen würde. Was für eine Art Verhör das werden würde. Was der Mann wollte. Andererseits: er wagte zu bezweifeln, dass er das erfahren würde, wenn er jetzt nachfragte. Seine Herrin war hier irgendwo in der Castra verschwunden und wurde wohl ebenfalls befragt, und er... war nun mal hier gelandet. Er musterte den Centurio einen Augenblick schweigend und beschloss dann für sich, zunächst einfach mitzuspielen. Die Fragen zu beantworten – nur die Fragen zwar, nichts darüber hinaus, aber: immerhin die Fragen. Solange sie so harmlos wie im Moment blieben jedenfalls. „Wir sind von ihnen überfallen worden.“ Was die arg verkürzte Version davon war, dass ihnen danach zunächst noch die Flucht in die Wälder gelungen war, bevor sie eingeholt worden waren.

    Shayan ließ sich widerstandslos in den Raum hinein schieben, zu dem die Soldaten ihn gebracht hatten. Seine Körperhaltung und Ausstrahlung war ruhig, und er bewahrte auch innerlich Ruhe – trotzdem war er zugleich alarmiert. Oder besser: misstrauisch. Er wusste nicht, was das sollte, warum er hierher gebracht wurde... und nicht etwa in den Carcer, wo er hätte verhört werden können. Er war nicht zum ersten Mal in römischer Gefangenschaft, und auch wenn eine Kriegsgefangenschaft nur bedingt zu vergleichen war mit dem Festsetzen des Sklaven einer Frau, deren Familie in irgendeiner Form in Verruf geraten war... manche Dinge würden kaum anders gehandhabt werden.
    So sah er dem Mann, der ihn nun offenbar sprechen wollte, aufmerksam, aber ruhig entgegen – und überließ es ihm, zuerst das Wort zu ergreifen.

    Mit leichtem Stirnrunzeln hatte Shayan das Verhalten des Soldaten verfolgt. Mit was genau lag er richtig? Unschlüssig, was er davon halten sollte, und ziemlich aufmerksam beobachtete er, wie der Mann verschwand, und sah dann kurz zu dem anderen Soldaten, der ihnen gefolgt war und nun bei ihm blieb. Aber er schwieg. Schwieg einfach und wartete, bis der andere wieder zurückkam und ihm bedeutete mitzukommen. Zum Centurio, wie er sagte, und das hieß, dass er vorerst nicht zu seiner Herrin gebracht werden würde. Was ihm noch weniger gefiel. Immer noch schweigend folgte er jedoch dem Soldaten.

    Shayan blieb überrascht stehen, als der Soldat plötzlich anhielt – und ihn anfuhr. Er hatte damit gerechnet zu seiner Herrin gebracht zu werden, oder vielleicht in irgendeine Unterkunft, um gesondert von ihr befragt zu werden. Aber dass sie hier irgendwo im Castellum anhielten, fand er eher ungewöhnlich. Andererseits: Einfluss darauf, was die Soldaten nun mit ihm taten, hatte er ohnehin nicht.


    „Ich bin ihr Sklave“, bestätigte er also nur, nur um seine Angabe gleich noch etwas genauer zu fassen: „Ihr Custos corporis.“

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    Original von Iullus Octavius Ofella
    Auf dem Rückweg zur Porta überlegte Ofella, ob er nicht doch anders hätte handeln können. Wie er doch Flavia Nigrina hätte retten können. Er beruhigte sich selber und sagte sich immer wieder, in Zeiten wäre es für ihn selber zu gefährlich gewesen anders zu handeln. Es gab zu viele zeugen und man wusste nie wem man noch trauen konnte.
    Er überlegte sich, dass es vielleicht möglich wäre, den Mann, vermutlich der Sklave, Leibwächter von ihr, zu retten. Eine Idee dazu hatte er schon ob sie zu gebrauchen war würde sich dann zeigen.


    Am Tor angekommen sagte er zu den Wachen. „Ich musss den Kerl da noch wegbringen, haltet mir den Rest der Bande vom Hals. Es reicht dem PU wenn einer von denen drinnen ist.“
    Diese dürfte für alle einleuchtend sein, dachte Ofella sich und trat nach draußen. „Du“, wies er auf Shavan, „du wirst auch erwartet mitkommen. Ihr anderen wartet auf euren Anführer oder geht.“
    Ofella stieß ein Stoßgebet zu den Göttern aus, dass sie ihm beistehen mögen.


    Lange warten musste der Parther nicht, bis zumindest einer wieder kam: der Soldat, der sie schon seit dem Stadttor begleitet hatte. Und verkündete, dass auch seine Anwesenheit erwünscht war. Shayan war nicht sonderlich überrascht gewesen, dass er hatte bleiben sollen – schließlich war er nur ein Sklave –, aber es überraschte ihn nun auch nicht sonderlich, dass er doch noch geholt wurde. Er mochte nur ein Sklave sein, aber er war immerhin Leibwächter der Flavia, und als solcher bekam man in der Regel mehr mit als ein normaler Sklave. Nicht dass Shayan mehr mitbekommen hätte als die anderen, was den Grund ihres überstürzten Aufbruchs anging, aber das konnten die Urbaner ja nicht wissen. Dass es ihn nicht überraschte, hieß allerdings nicht notwendigerweise, dass es ihn freute... Genau genommen war er sich nicht so sicher, was er davon halten sollte. Der Flavia würde er so oder so kaum helfen können, nicht im Moment jedenfalls, aber wenn sie ihn ebenfalls mit hinein nahmen, blieb er wenigstens in ihrer Nähe. Andererseits: außerhalb der Eingeweide der Castra und zumal alleine schätzte er seine Chancen doch als höher ein, zu entkommen... die Frage war nur, ob er dann etwas würde tun können.


    So oder so blieb ihm keine Wahl – und auch den Männern nicht. Shayan bemerkte, wie zwei von ihnen einen kurzen Blick wechselten, bevor sie nickten und schließlich einer von denen, die neben ihm standen, ihm einen leichten Stoß gaben, damit er sich in Bewegung setzte. Sie hatten keinen Grund davon auszugehen, dass der Sklave drinnen nicht gewünscht war... und sowieso war er niemand, den sie hoffen konnten zu Geld zu machen. Wäre er nur ein Leibwächter, wäre es noch einmal etwas anderes – aber er war ein Gladiator, und Gladiatoren mit den für sie typischen Tätowierungen fielen auf. Zu sehr, als dass man sie auf irgendeinem Sklavenmarkt hätte verscherbeln können, wenn sie einem eigentlich gar nicht gehörten – das warf nur unangenehme Fragen bei potentiellen Käufern auf. Und nachdem der hier der Flavia gehörte, war auch zu bezweifeln ob sein Ludus irgendwas für ihn zahlen würde. Kurzum: die Männer hatten nach kurzem Zögern nichts gegen den Wunsch des Urbaners einzuwenden, und so setzte Shayan sich in Bewegung und folgte dem Soldaten nun auch hinein in die Castra.

    Ebenso schweigsam wie seine Herrin hatte Shayan den Weg vom Tor zur Castra zurückgelegt, und auch jetzt stand er reglos da und sah ihr hinterher, wie sie im Lager verschwand. Nicht dass es ihm gefiel, sie allein da drin zu wissen... aber andererseits gab es ohnehin nichts, was er hätte tun können. Wenn überhaupt waren ihre Chancen hier noch geringer geworden. Und so wenig es ihm gefiel, so hilflos zu sein: es blieb nichts, als es zu akzeptieren. Dass er das schon mehr als einmal mitgemacht hatte, in Gefangenschaft zu sein, hieß zwar nicht, dass ihm das leichter fiel deswegen, aber... nun ja. Es stellte sich dann doch irgendwann ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Reglos stand der Parther also da und beobachtete einfach nur, beobachtete seine Begleiter, die ihn zu gleich bewachten, und beobachtete die Wachen am Tor, während er wartete... auf die Rückkehr des Anführers, die Rückkehr seiner Herrin, die Nachricht dass er doch ebenfalls hinein gehen solle... irgendetwas, ohne dass er aber wusste worauf genau.

    Sie liefen, liefen davon, und Shayan betete zu Ahura Mazda, ihnen den Weg zu einem Unterschlupf zu weisen – aber es gab nichts. Und selbst wenn sie etwas gefunden hätten, wo sie sich hätten verstecken können: es hätte auch nichts geholfen. Ihre Verfolger würden alles kurz und klein schlagen, was auch nur annähernd nach Versteck aussah. Und es gab keine Möglichkeit, wie sie sie abhängen konnten. Oder los werden.
    Er konnte hören, wie sie näher kamen – und sie mussten gemerkt haben, dass sie in der Nähe ihrer Beute waren, denn die Geräusche breiteten sich aus, kamen nun aus mehreren Richtungen hinter ihnen, was ihn vermuten ließ, dass sie sich in einem Halbkreis auseinander fächerten. Nicht dass es nötig gewesen wäre, sie auf die Art in die Enge zu treiben. Die Flavia war zu erschöpft, um wirklich schnell zu sein, und selbst ihr momentanes, höchstens mittelmäßiges Tempo würde sie nicht lang durchhalten.


    Es kam also, wie es kommen musste. Obwohl Shayan wusste, dass es im Grunde keinen Sinn mehr hatte, weiter zu fliehen, tat er es trotzdem, einfach weil es... immer noch besser war als stehen zu bleiben und zu warten, bis sie sie eingeholt hatten, und weil da wider besseren Wissens immer noch dieser kleine Funke Hoffnung war, vielleicht doch noch irgendeine Möglichkeit zu finden, zu entkommen... Aber natürlich war diese Hoffnung vergebens. Sie hatten keine Chance, nicht nachdem sie ihnen nun so nahe waren. Shayan war sich nicht einmal so sicher, ob sie überhaupt eine Chance gehabt hatten, denn selbst wenn sie ihnen nicht gefolgt wären, blieb da noch die Tatsache, dass sie noch tagelang durch den Wald hätten irren können, ohne jemanden zu finden, der ihnen hätte helfen können.


    Als die Männer sie dann schließlich stellten, war es nur allzu schnell vorbei. Shayan hatte zwar seine Schwerter gezogen, bereit, sich zu wehren, aber als er sah, wie viele da auftauchten und den Kreis um sie schlossen, bis sie sie umzingelt hatten, war ihm klar, dass – wie hieß es so schön? – jeder Widerstand zwecklos war. Es waren einfach zu viele. Wäre es nur um ihn selbst gegangen, hätte er bis zum Tod gekämpft... aber er war nicht allein. Und obwohl die Flavia keine angenehme Herrin war, noch nicht einmal wirklich ein angenehmer Mensch, nahm er seine Aufgabe ernst. Trotz allem, was ihm passiert war, war ihm sein Glaube nicht abhanden gekommen... Ahura Mazda wollte, dass er hier war, wollte, dass der Leibwächter dieser Frau war. Also würde er sein Bestes tun, um dieser Aufgabe gerecht zu werden – und das hieß, dass er sie nicht mit diesen Männern allein lassen konnte, indem er sich wehrte bis sie ihn töteten.

    Shayan wusste, wie wenig es Sinn hatte mit seiner Herrin diskutieren zu wollen. Sie ließ sich ja schon von Gleichgestellten herzlich wenig sagen in aller Regel, akzeptierte wenn dann nur zähneknirschend, dass sie nachgeben musste. Und er war Sklave. Er schätzte sich ohnehin schon glücklich, dass sie bisher auf ihn gehört hatte, aber so wie sie jetzt klang, ging er davon aus, dass sie das diesmal nicht tun würde – oh, sicher, er konnte sich weigern, aber sie würde dann keine Ruhe geben. Und davon abgesehen: sie hatte Recht. Sie konnten nicht hier bleiben, sie mussten weiter, mussten versuchen noch mehr Abstand zu den Wegelagerern zu bekommen... und idealerweise irgendjemanden finden, der sie unterstützen würde. Selbst wenn der Zustand der Flavia schlechter gewesen wäre, würden sie kaum bleiben können, weil er ihr einfach nicht helfen konnte. Hier schon gar nicht.


    Also hob er sie hoch, als sie es forderte, auf seine Arme diesmal, und setzte sich wieder in Bewegung. Sie kamen langsamer voran als am gestrigen Tag, deutlich langsamer, und ihm war überhaupt nicht wohl dabei, seine Herrin durch die Gegend zu tragen, während sie eine Fehlgeburt durchmachte... aber es half nichts. Und mit der Zeit schienen die Krämpfe, die ihren Körper schüttelten, geringer zu werden.
    Wenigstens etwas. Was sich beim besten Willen nicht mehr unterdrücken ließ, war der Hunger. Durst immerhin war zum Glück kein Problem, die Wälder waren im Winter feucht genug, um etwas Trinkbares zu finden, aber Essbares? Jagen konnte er nicht, weil er weder einen Bogen noch sonst etwas dafür hatte, mit den Pflanzen hier kannte er sich nicht wirklich aus, und davon abgesehen befanden sie sich auf der Flucht. Shayan war sich nach wie vor nicht sicher, ob sie nicht verfolgt wurden, und falls ja: ob sie sie abgeschüttelt hatten. Sie konnten sich weder die zeitliche Verzögerung leisten, die mit der Suche oder Jagd nach Essbarem einher gehen würde, noch die Aufmerksamkeit, die ein Feuer erregen würde. Und er konnte die Flavia nicht alleine lassen. Also blieb nur eines: weiter gehen. Immer weiter. In der Hoffnung, bald etwas zu finden.



    ~~~ An einem anderen Ort ~~~


    Wie er vermutet hatte, war es nicht sonderlich schwierig gewesen, aus der Frau das herauszubekommen, was Sulca hatte wissen wollen. Tatsächlich war es sogar ein bisschen zu einfach gewesen für seinen Geschmack. Aber nun, er konnte sich nicht wirklich beklagen. Eine Flavia! Eine Patrizierin! Für die würde er einiges an Lösegeld kassieren können. Und genau das hatte er auch vor... dafür musste er sie allerdings erst erwischen. Also hatte er die Verfolgung aufnehmen lassen, mit ein paar seiner Leute, angefangen von dem Punkt, wo Cerco sie im Wald hatte verschwinden sehen. Die zwei waren gelaufen, schnell gelaufen, ohne auf etwas zu achten, ohne sich auch nur zu bemühen ihre Spuren zu verwischen, was es zunächst leicht machte, ihnen zu folgen – auch wenn sie einen Vorsprung von mehreren Stunden hatten. Entsprechend machte Sulca sich auch wenig Sorgen, als die Dämmerung einsetzte und sie schließlich anhalten mussten. Lieber wartete er die Nacht in Ruhe ab, als das Risiko einzugehen, die Spur zu verlieren – auch wenn er den zwei damit Gelegenheit gab, ihren Vorsprung ein wenig auszubauen, vorausgesetzt sie nutzten die Nachtstunden. Aber die Spur war deutlich, er und seine Leute kannten die Gegend hier, und die, die sie verfolgten, hatten nichts außer dem, was sie am Leib trugen – er konnte es sich leisten, gründlich zu sein.


    Und so machten sie sich erst am nächsten Tag wieder daran, ihre Beute zu verfolgen. Die Zeit verging, bis schließlich die Männer, die Sulca als Vorhut eingesetzt hatte, stockten.
    „Was ist los?“ brummte er.
    Einer der Männer zuckte die Achseln. „Sieht so aus, als ob einer den anderen getragen hätt von hier an.“
    „Oh. Geht unserm Vögelchen die Puste aus?“ Ein Grinsen zeigte sich auf Sulcas Gesicht, das von den anderen erwidert wurde, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten.

    Shayan war froh, wirklich froh, dass die Flavia nichts mehr sagte nach ihrer ersten kleinen Auseinandersetzung. Und erst recht erneut ankam mit Forderungen nach Pausen oder ähnlichem. So verwöhnt und biestig sie war, dumm war sie nicht, und der Ernst ihrer Lage schien ihr durchaus bewusst zu sein... wenigstens so weit es ihre möglichen Verfolger betraf. Er bezweifelte, dass sie sich Gedanken darüber machte, wo sie waren. Oder wie sie etwas zu essen auftreiben sollten. Selbst wenn sie irgendwohin kamen, in eine kleine Ortschaft hier irgendwo – sie hatten ja nichts dabei außer den Klamotten, die sie am Leib trugen. Und Shayan war nicht gewillt irgendjemandem zu verraten, wer sie waren, damit ein Schuldschein wirklich Wert bekam. Ganz davon abgesehen, dass ihnen vermutlich sowieso kaum einer glauben würde im Moment, war es zu gefährlich.
    Nein, seine Herrin machte sich darüber keine Gedanken, vermutete er, aber es war wohl besser so. Und sie hielt lange durch, länger, als er geglaubt hätte, bis er sie schließlich auf seinen Rücken nahm und noch ein Stück durch die Gegend trug, so lange er konnte. Zum Glück war der Eisregen des vergangenen Tags gänzlich abgeklungen, und es war kurz vor Vollmond, weswegen auch in der frühen Nacht noch genug Licht vorhanden war, dass er nicht blind umher stolpern musste. Irgendwann hielt er allerdings an bei einer geeigneten Stelle. Es hatte keinen Sinn, die Nacht durchzulaufen, mit der Flavia auf den Rücken, bis er überhaupt nicht mehr konnte. Besser, jetzt eine Pause zu machen und sich wenigstens etwas auszuruhen. Auch wenn er nicht vorhatten wirklich zu schlafen. Er richtete eine provisorische Schlafstatt her, so gut wie möglich, brachte die Flavia an seinen Körper und legte seinen Mantel um sie beide, um sie zu wärmen, und war erneut froh, dass sie so erstaunlich ruhig war. Kein Gezicke, was ihm einfiel, sie zu berühren, sie gar so dicht an sich zu ziehen. Und kein Gejammer, dass sie Hunger hatte. Vermutlich war sie dafür einfach zu müde, schätzte er, aber spätestens morgen früh würde sich das ändern.


    Die Nacht über hielt er Wache, größtenteils. Zwischendurch erlaubte er sich, in einen leichten Dämmerschlaf zu verfallen, aber der momentane Alarmzustand, in dem er sich befand, kombiniert mit alten Gewohnheiten aus Kriegszeiten, in denen man sich ebenfalls nie so ganz hatte sicher fühlen können, verhinderten, dass er wirklich in den Tiefschlaf abglitt. Sein Bewusstsein driftete nur stets in jenem unscharfen, trüben Grenzbereich zwischen Traum und Realität entlang, und jedes Geräusch katapultierte ihn ins Wachsein.
    Nichts geschah jedoch. Wilde Tiere ließen sie in Ruhe, und auch von möglichen Verfolgern war nichts zu hören. Der Schlaf der Flavia war unruhig, aber immerhin schlief sie, trotz der Kälte... und wenn sie Glück hatten, begegneten sie im Lauf des Tages jemandem, der ihnen half. Reisende vielleicht, die froh waren um einen weiteren Mann, der sie beschützen konnte... Shayan presste seine Kiefer aufeinander. Die Hoffnung war unnütz. Sie würden hier im Wald keine Reisenden finden. Wer seine Sinne beieinander hatte – und keinen expliziten Grund – blieb auf einer der Straßen. Wenn er nur wüsste, wo sie sich befanden, wo was in ihrer näheren Umgebung war... aber er hatte nur ein vages Bild der Karte im Kopf, wusste nur grob die Richtung, die sie einschlagen mussten um nach Tarquinia zu kommen. Sonst war da nichts. Sie konnten in ein paar hundert Fuß Entfernung von einer Ansammlung von Hütten sein gerade und würden nichts davon bemerken. Und er-
    Als seine Gedanken diesen Punkt erreichten, lenkte ihn etwas ab. Nichts aus dem Wald, nichts aus der Ferne – die Flavia. Shayan runzelte die Stirn und sah auf sie hinunter, wie sie an ihn gekuschelt da lag, ihr Körper halb auf seinem, um so wenig Kontakt mit dem kalten Boden zu haben wie möglich. Ihre ruhelosen Bewegungen hatte er bisher auf ihren unruhigen Schlaf geschoben, wie auch die ganze Nacht schon. Aber jetzt schien die Anspannung in ihrem Körper eine andere Dynamik bekommen zu haben. Sie stöhnte leise auf, und ihre Glieder verkrampften sich kurz. Entspannten sich wieder. Verkrampften sich erneut. „Herrin?“ murmelte er zunächst leise, bevor er sich ein wenig mehr aufsetzte. Ihre Augenlider flatterten, aber bevor sie wirklich wach zu werden schien, schauderte ihr Körper erneut, und ein weiteres leises Stöhnen kam über ihre Lippen. Shayan zog die Augenbrauen zusammen, berührte ihre Stirn, aber Fieber schien sie keines zu haben. Er fühlte sich zunehmend hilfloser. Auf rudimentäre Wundversorgung verstand er sich wohl, wie so viele Soldaten, aber mit Krankheiten kannte er sich nicht im Mindesten aus. Noch während er allerdings am Überlegen war, was er tun sollte, wachte sie dann doch auf – und verzog das Gesicht, als ihr Körper sich einmal mehr verkrampfte. „Iuno, nein...“ stöhnte sie in einem merkwürdig angewidert klingenden Tonfall, während sie unter dem Mantel – seinem, der nach wie vor sie beide bedeckte, und ihrem eigenen – ihre Hand auf ihren Bauch zu legen schien... Aber erst, als Shayan den schweren Stoff schließlich beiseite schlug und den roten Fleck sah, der sich nach und nach auf der Kleidung der Flavia bildete, dort, wo ihre Beine in den Torso übergingen und darunter, begriff er.
    Und hätte am liebsten ebenfalls aufgestöhnt. Abgesehen davon, dass sie nichts, aber auch gar nichts gebrauchen konnten, was sie jetzt aufhielt – das da war nicht einfach nur irgendeine Krankheit, womit er sich ja auch schon nicht auskannte, aber womit er noch irgendwie... hätte umgehen können. Das da war schlimmer. Es war Frauensache. Und weit und breit keine andere Frau in Sicht, die ihm das hier nun hätte abnehmen können.

    Weiter ging es durch die Wälder, und wie bereits zuvor gab Shayan das Tempo vor – aber er hatte es zumindest deutlich gedrosselt. Sie mussten weiter, und er war froh, dass seine Herrin ohne Widerspruch folgte, weil sie das unnötige Verzögerungen sparte. Aber er wusste auch, dass sie nicht mehr sonderlich weit kommen würden, wenn er sie so hetzte, dass sie irgendwann zu erschöpft war um noch einen Schritt zu tun. Sie war bei weitem nicht so gut zu Fuß wie er, oder so ausdauernd – wie auch, bei dem Leben, das sie und ihresgleichen führten. Nein, er musste darauf achten, dass sie noch Schritt halten konnte... sonst würden sie nur allzu bald überhaupt nicht mehr vorwärts kommen. Also schlug er ein langsameres Tempo an, eines, das sie immer noch halbwegs rasch voranbrachte, das aber nicht zu schnell war für sie. Auch wenn er sich dabei nicht wirklich wohl fühlte, auch wenn er lieber wieder gelaufen wäre, um möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen sie und die Wegelagerer zu bringen...
    Und dann war da noch eine andere Sache, die ihm Sorgen machte: er kannte sich hier nicht aus. Nicht im Geringsten. Er hatte keine Ahnung, wo sie hin mussten, nur, dass es nach Norden gehen sollte, weil dort Tarquinia war. Irgendwo in der westlichen Küstenregion Italias. Aber er wusste nicht, wie genau er dahin kommen sollte. Er wusste ja noch nicht einmal, wo sie hier genau waren, erst recht nicht mehr seit sie durch den Wald gelaufen waren. Ihm blieb nicht viel mehr, als sich grob Richtung Nordwesten zu halten... und zu versuchen jemanden zu finden, der ihnen den Weg wies. Jemanden, den sie gefahrlos fragen konnten.


    Für den Moment allerdings zählte vor allem, mehr Entfernung zurückzulegen. Wenn die Wegelagerer wirklich auf die Idee kamen sie zu verfolgen, war das ihre einzige Chance. Entfernung zu bringen zwischen denen und ihnen... und das in möglichst unwegsamem Gelände, wo ihnen die Pferde nichts helfen würden. Und dann darauf hoffen, dass sie aufgeben würden, bevor sie sie fanden.



    ~~~ An einem anderen Ort ~~~


    Das Schreien von verwundeten und sterbenden Männern hatte schon längst das panische Wiehern der Pferde und das dumpfe Brüllen der Ochsen zur Gänze abgelöst. Sulca ließ seinen Blick über den Platz rund um den Karren schweifen und war ziemlich zufrieden. Von seinen eigenen Männern hatte es zwar einige erwischt, weil die Kerle sich tapfer gewehrt hatten, aber letztlich war der Blutzoll bei den Überfallenen deutlich höher – und erhöhte sich gerade Stück für Stück, als seine Männer herumliefen und einem nach dem anderen, der noch am Leben war, die Kehle durchschnitt. Die einzigen, die verschont wurden, waren die zwei die sie beim Karren gefunden hatten – eine Frau und ein Mann, und beiden war anzusehen, dass sie nicht zu der angeheuerten Schutztruppe gehörten. Vielleicht sprang da ja noch mehr bei raus bei denen.


    Langsam wurde es leiser, je mehr Männer verstummten, und schließlich war nur noch die Frau zu hören, mit der sich ein paar seiner Männer beschäftigten – aber auch deren Schreien verwandelte sich nach und nach in ein Wimmern. Und Sulca widmete sich nun dem Karren und wühlte dort in den wenigen Gepäckstücken, die dort zu finden waren. Bevor er allerdings sonderlich weit kam, stand Cipus auf einmal bei ihm. „Was gibt’s?“ fragte er, während er gerade durch den Vorratssack sah.
    „Ah. Zwei von uns sind drauf gegangen, fünf haben mehr abgekriegt, wird aber wieder werden, der Rest sind nur Kratzer...“ Hier wartete Cipus kurz, aber Sulca machte noch keine Anstalten etwas dazu zu sagen. „Von den anderen haben wir viele erwischt. Bei einem haben wir das hier gefunden.“ Grinsend hob Cipus einen Beutel hoch, der prall gefüllt mit Münzen war.
    „Na das sieht doch gut aus...“ grinste Sulca kurz zurück und nahm sich den nächsten Beutel vor. „Noch was?“
    „Es konnten einige fliehen. Manche zu Fuß, manche mitm Gaul – die zu Fuß können wir einholen, ist nur die Frage ob sich das lohnt.“
    Plötzlich ein wenig nachdenklich sah Sulca auf den Sack hinunter, den er gerade in den Händen hielt, genauer gesagt auf etwas darin. „Weißt du wer geflohen ist?“
    Cipus machte eine flatternde Handbewegung. „Teils. Der größte Teil waren einfach welche von den Kerlen. Aber Cerco hat nen Weib am Waldrand gesehen, die mit nem Kerl weggelaufen is.“
    „Hat er das...“ machte Sulca. „Wir folgen denen. Frag Cerco wo genau, und schick schon mal wen dahin um rauszufinden, wo die lang sind, während wir hier fertig machen.“
    „Geht klar.“ Cipus verschwand, nur um gleich darauf wieder bei ihm zu stehen. „Erledigt, die kümmern sich drum. Darf ich fragen warum wir ausgerechnet denen folgen?“
    Jetzt zog Sulca grinsend etwas aus dem Beutel. „Weil bei denen offenbar noch mehr drin ist als nur das, was wir hier gefunden haben...“ In seinen Händen hielt er ein Kleid, das von erlesenstem Stoff war – so erlesen, wie es sich nur die Reichsten leisten konnten. „Durchsuch das mal weiter.“ Er drückte Cipus den Beutel in die Hand und ging hinüber zu den beiden, die sie bisher noch verschont hatten. Viel Mühe würde er kaum haben, aus denen was rauszukriegen – ganz im Gegenteil, die Frau dürfte so oder so schon genug haben, schätzte er. „Dann wollen wir mal rausfinden, welche Vögelchen uns da in die Hände gefallen sind...“

    Der nächste Tag. Shayan war als einer der ersten auf den Beinen, schälte sich aus dem Mantel, der auch als Schlafrolle gedient hatte, legte die Lederkluft an, die er über der Tunika trug, seine Waffen, zuletzt die ledernen Armschoner, die sich bis über die Handgelenke zogen – und nicht etwa in erster Linie dazu dienten, tatsächlich seine Unterarme zu schützen, sondern die Tätowierungen zu verbergen, die ihn als Gladiator kennzeichneten. Und ein Gladiator, der frei herum lief, warf immer Fragen auf... genau die Art von Fragen, die sie vermeiden wollten, bis sie Tarquinia erreicht hatten. Entsprechend sorgfältig achtete Shayan also darauf, dass seine Tätowierungen gänzlich verborgen waren, bevor er grüßend den Männern zunickte, die die Morgenwache gehabt hatten, und sich daran machte mit einem anderen das Frühstück vorzubereiten.
    Nachdem die anderen erst mal geweckt waren, ging alles ziemlich rasch: viel Zeit für Frühstück ließ der Velanius nicht – wie bereits am Tag davor bei jeder einzelnen Pause drängte er darauf, so bald wie möglich aufzubrechen. Shayan vermutete, dass er seine lästigen Schützlinge lieber früher als später los werden wollte. Und auch die anderen wollten rasch aufbrechen, sogar die Flavia – vermutlich konnte auch sie es kaum erwarten anzukommen. Entsprechend problemlos verlief ihr Aufbruch also. Sogar der Kleine, der tags zuvor noch häufig gequengelt hatte, war jetzt ruhiger, plapperte zwar munter vor sich hin und versuchte, sich den Armen der Amme zu entwinden, um auf seinen kleinen Kinderbeinen für seine Verhältnisse durch die Gegend zu rasen, aber war zumindest gut aufgelegt. Shayans Mundwinkel zuckten kurz im Anflug eines Lächelns, als er den Winzling kurz musterte, der vermutlich der einzige von ihnen war, der in der Nacht wirklich gut geschlafen hatte, weil Kinder scheinbar immer und überall, egal unter welchen Umständen, gut schlafen konnten. Dass er hier nicht herumlaufen durfte, gefiel ihm zwar weniger, aber die Amme schaffte es ihn davon zu überzeugen, dass es ohnehin viel lustiger war, im Karren zu spielen... was glücklicherweise heute möglich sein würde, da es zumindest im Augenblick nicht mehr regnete.


    Und so brachen sie wieder auf, die Flavia, der Junge, die Amme und die beiden Sklaven auf dem Karren, Shayan zu Fuß dahinter, um sie herum die Männer des Velanius, teils ebenfalls zu Fuß, teils zu Pferd. Gegen Mittag signalisierte der Velanius, dass sie eine Pause einlegen würden, und der Karren hielt, die Männer zu Pferd saßen ab, versammelten sich, machten sich daran etwas zu essen vorzubereiten. Shayan half der Flavia vom Karren herunter und begleitete sie ein Stück abseits, damit sie sich erleichtern konnte. Und gerade als sie fertig war und sie die paar Schritte zurück zur Gruppe gehen wollten – brach Chaos aus.
    Shayan konnte, selbst im Nachhinein, nicht sagen, was zuerst passiert war. Dadurch dass er etwas abseits gewesen war mit seiner Herrin, hatte er nicht gesehen, was der Anfang gewesen war. Er sah nur, dass plötzlich Tumult ausbrach. Ein Pferd bäumte sich laut wiehernd auf, als sich ein Speer direkt vor seinen Füßen in den Boden bohrte. Einer der beiden Ochsen brüllte auf, von irgendetwas in die Flanke getroffen. Ein Mann ging zu Boden, gleich zwei Speere aus seinem Körper ragend. Und gleich darauf ein zweiter. Zwei Pferde rissen sich los und jagten davon, die Ochsen, noch am Karren festgemacht, setzten sich in Bewegung, Tiere wieherten und Männer brüllten, und in all dem Chaos war zunächst nicht zu erkennen, von wo aus sie angegriffen wurden – bis die Männer tatsächlich auftauchten. Und klar wurde, dass sie den Kreis um sie schon nahezu zur Hälfte geschlossen hatten, und nun dazu ansetzten, jetzt, wo sie gesehen waren, den Kreis auf jener Seite zu schließen, die sie zuvor aufgrund der Einsichtigkeit des Geländes hatten aussparen müssen. Shayan hörte den Velanius brüllend Befehle erteilen, Schwerter wurden gezogen, während noch weiter Steine und Speere auf sie herabgingen, die Männer machten sich zur Verteidigung bereit, wer konnte, schwang sich auf ein Pferd, um die Höhe nutzen zu können. Aber es brauchte nicht viel um zu erkennen, dass die Angreifer in der Überzahl waren. Der Velanius realisierte das im selben Augenblick wie der Parther, und während der erste die kreischende Amme mitsamt schreiendem Kind packte und sie zu einem der Männer aufs Pferd hievte, der daraufhin ohne viel Federlesens davon preschte kaum dass die Frau oben war, nutzte Shayan die Tatsache aus, dass sie dem Augenmerk der Angreifer für den Moment noch entgangen waren, griff sich die Flavia und brach mit ihr durchs Gebüsch in den Wald hinein, an dessen Rand sie gewesen waren.

    Als feststand, dass die Flavia ihren Willen bekommen würde, näherte Shayan sich seiner Herrin, um zur Verfügung zu stehen, wenn sie etwas wollte. Erfahrung hatte gezeigt, dass es am einfachsten war mit ihr umzugehen, wenn sie nicht erst lang nach jemandem suchen musste, der ihr irgendeinen Wunsch erfüllte... wobei er sich keine Hoffnungen machte, dass sie in ihrer augenblicklichen Lage einfach zu handhaben war. Er bewegte sich durch die Pferde hindurch, auf denen ein paar der Männer saßen, die der Aurelier als Begleitschutz angeheuert hatte – freilich aber nicht genug für alle. Und natürlich gehörte Shayan zu denen, die dem Karren zu Fuß gefolgt waren. Zum Glück hatte allerdings niemand angefangen mit ihm darüber zu diskutieren, auf welchem Weg er die Stadt verlassen sollte. Dass er den Karren begleiten würde, in dem seine Herrin war, war auch den Männern klar gewesen – auch wenn sie sich, kaum dass sie das Stadttor hinter sich gelassen hatten, recht bald alle wieder versammelt hatten. Shayan dabei so schweigsam wie eh und je... das Sprechverbot für die Gladiatoren im Ludus – je niedriger sie in der Hierarchie waren, desto umfassender galt es – hatte da ganze Arbeit geleistet, bei ihm jedenfalls, der ohnehin nie der Gesprächigste gewesen war. Und so hielt er sich auch jetzt zurück. Es war im Grunde auch völlig unnötig etwas zu sagen, weil er sowieso nicht zu beurteilen gewusst hätte, ob ihr Fluchtplan nun gut oder schlecht war. Und auch außerhalb Roms gab es für ihn nichts zu sagen, weil er sich nicht auskannte. Seine Gedanken machte er sich freilich dennoch... aber diese drehten sich eher um die Ursache für die Flucht als um deren Ausführung. Der Kaiser tot, und aus irgendeinem Grund war das Anlass genug gewesen für den Aurelier, seine Frau und seinen Sohn fortzuschicken. Da Shayan freilich nicht sein Interesse verloren hatte für politische und gesellschaftliche Vorgänge in seinen Jahren seit seiner Gefangenschaft, und da er zumindest als Sklave der Flavia in deren Haus doch einiges mitbekam, fiel es ihm nicht schwer, zumindest gewisse Dinge einzuordnen oder anzunehmen. Möglich, dass der Aurelier sie weggeschickt hatte, weil der Praefectus Urbi Patrizier ganz offensichtlich nicht leiden konnte. Allerdings zweifelte Shayan daran, dass das der einzige Grund war, warum er eine Flucht diesen Ausmaßes anzettelte und die entsprechenden Risiken einging, die damit verbunden waren, für seine Frau, seinen Erstgeborenen, sein noch ungeborenes zweites Kind.


    Die Pause hielt sich indes in Grenzen. Mit Sicherheit war sie nicht so lang, wie von der Flavia wohl gewünscht gewesen wäre... Andererseits war es auch am Wegesrand nicht sonderlich bequem, und trockener oder wärmer ebenso wenig. Vermutlich hatte sie deshalb nicht wirklich etwas dagegen einzuwenden, als der Anführer der Männer, der Velanius, recht bald darauf drängte, weiter zu reisen, kaum dass der aurelische Spross so weit versorgt worden war, dass er aufhörte zu plärren. Sie schmollte zwar, aber nur aus Prinzip, wie der Parther vermutete – immerhin kannte er sie mittlerweile gut genug um zu wissen, dass sie ganz anders reagiert hätte, wenn sie wirklich weiter hätte bleiben wollen. Was man auch an dem kurzen Zusammenstoß zwischen Patrizierin und Begleitschutz merken konnte, als es darum ging, den Karren etwas bequemer zu gestalten. Vom Velanius kam schlicht, aber kategorisch ein: unmöglich. Was die Flavia nicht akzeptieren wollte... aber letztlich akzeptieren musste. Es gab einfach nichts, um das Ding bequemer zu machen. Sie hatten weder Kissen mitgenommen noch sonst etwas, das einzige, was die Flavia und ihr Sohn – und mit ihm auch die Amme – noch bekamen, waren zwei dicke Mäntel von zwei der Männer, die sie noch als zusätzlichen Schutz vor dem Eisregen verwenden konnten. Und so verfolgten sie weiter ihren Weg, wanden sich aus Vogelperspektive betrachtet wie eine Schlange durch die Landschaft, immer weiter gen Norden, Richtung Tarquinia.

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    Original von Alexion
    Alexion hatte sich die Worte des Ausbilders durchaus zu Herzen genommen. err war ein stolzer Mann und die Worte schmerzten doch recht deutlich.
    So war er nach einem Frühstück zu den Pfählen gegangen um seine Schwerttechnik zu üben und zu verfeinern. Hauptsächlich damit er nicht mehr aussah als würde er eine "Fliegenklatsche" benutzen, wie der Doctor gesagt hatte. Nebenbei beobachtete er verstohlen die schon etwas erfahreneren Gladiatoren beim training. Vielleicht konnte man sich ja ein wenig abschauen, außerdem lernte man so gleich mal seine potentiellen Gegner kennen.


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    Original von Shayan
    Neuer Tag, neues Training. Shayan führte die geforderten Bewegungen aus, immer wieder, immer wieder, immer wieder die gleichen... bis sie in Fleisch und Blut übergingen, egal wie kompliziert sie auch waren. Und komplizierter wurde das, was der Doctor der Dimachaeri forderte, mit jedem Mal, wenn eine Übung zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen war. Obwohl Shayan nun schon einige Zeit im Ludus war, war er nach wie vor noch nicht so weit, dass er wirklich das Gefühl bekam, sich etwas auf seine Leistung einbilden zu können. Irgendetwas fand der Doctor immer zum Aussetzen, wie es schien. Aber immerhin hatte er ihn mittlerweile für gut genug befunden, Gladiator zu sein, weswegen Shayan nun seit zwei Tagen die Tätowierungen trug, die ihn als solchen auswiesen.
    Am Training selbst hatte das nicht viel geändert, und auch sonst war es nicht so, dass er großartig Unterschiede spürte – er mochte kein Tiro mehr sein, aber in der Hierarchie der Gladiatoren gab es mehr Stufen als nur diese eine. Und Shayan selbst war ohnehin niemand, der aufgrund eines anderen Status' nun ein anderes Verhalten an den Tag gelegt hätte.


    An diesem Tag allerdings änderte sich bald etwas. Nachdem das erste Frühtraining vorbei war, gaben die Doctores bekannt, dass sie heute zur Abwechslung gegeneinander kämpfen würden, und so kam es, dass Shayan sich einem Tiro gegenüber sah, der zum Thraker ausgebildet wurde.


    Zitat

    Original von Alexion
    Alexion hatte sich gerade etwas erholt, als es auch schon zum Zweierkampf kam. Interessanter Weise stand er nun einem Kämpfer gegenüber der augenscheinlich schon Gladiator war. Wobei Alexion selbst erst einige Trainingseinheiten hinter sich hatte. Also trotz seiner überlegenen Bewaffnung (seiner Meinung jedenfalls) ein nicht unbedingt einfacher Kampf. Es würde so oder so jedenfalls interessant werden.
    "Salve" meinte er zu seinem gegenüber."Ich bin Alexion."



    Shayan drehte seine Holzschwerter ein paar Mal aus dem Handgelenk heraus, um eben jene sowie seine Unterarmmuskeln ein wenig zu lockern, und neigte leicht den Kopf zur Begrüßung. „Shayan“, antwortete er ruhig, wandte dann erst den Kopf, um nach dem Doctor zu sehen, wo dieser stand... momentan nicht in Hörreichweite, stellte er fest. Ob der Neue deswegen nun gesprochen hatte oder ob er das Schweigen einfach noch nicht genug... verinnerlicht... bekommen hatte, konnte Shayan nicht beurteilen. Sollte allerdings letzteres der Fall sein, würden die Prügel irgendwann schon dafür sorgen, dass er lernte darauf zu achten, wann er besser den Mund halten sollte. Was so ungefähr immer war, als Anfänger.


    Der Neue konnte sich damit also Ärger einhandeln, wenn er nicht aufpasste – und Shayan gleich mit, wenn der Doctor sie tatsächlich im Gespräch erwischte. Dem Parther war es im Grunde allerdings gleichgültig, ob er dadurch Ärger bekam oder nicht. Er hatte hier schon Schlimmeres eingesteckt als das, was ihn wohl für eine kurze Unterhaltung erwarten würde, und davon abgesehen... er war nun Gladiator. Der neueste unter ihnen, sicher, aber dennoch... Gladiator. Was hieß, dass ihm wenigstens etwas mehr zugestanden wurde als einem Tiro.
    Um sich selbst also machte Shayan sich wenig Gedanken, und letztlich konnte es ihm eigentlich egal sein, ob der Neue sich Ärger einhandelte oder nicht... Aber das war es nicht, im Gegensatz zu sich selbst. Auch wenn er deutlich zurückgesteckt hatte, was seinen Einsatz für andere anging, einfach weil es nichts, aber auch gar nichts brachte – außer dass er selbst Schwierigkeiten bekam und es für denjenigen, dem er hatte helfen wollen, höchstens noch schlimmer wurde –, änderte das doch nichts daran, dass er letztlich immer noch Verantwortung übernahm für andere. Und in Situationen, in denen die Chance bestand, dass es vielleicht doch etwas nützte, handelte er auch nach wie vor noch so... und wenn es nur ein kurzer Hinweis für einen Neuen war. „Wir sind nicht zum Reden...“, erinnerte er Alexion also an das Schweigegebot, sein Latein mittlerweile doch um einiges besser... wenn auch von seinem schweren, parthischen Akzent gefärbt. Er machte eine leichte Kopfbewegung zu dem Doctor, der ihnen am nächsten war, während die Stimme eines anderen gerade durch die Arena bellte: „AUFSTELLUNG! Ihr übt die Abfolge von gerade eben – zwanzig mal hintereinander, die ersten zehn langsam, die zweiten schnell, dann wird gewechselt! Der Gegner kann sich was zum Verteidigen ausdenken, aber ich will hier noch KEINEN FREIKAMPF sehen!“
    Shayan ging wie gefordert in Grundstellung und bedeutete Alexion mit einer Kopfbewegung, dass er anfangen sollte, seinen Bewegungsablauf an Angriffen abzuspulen, den er zuvor am Pfahl hatte üben sollen. „Wenn du redest: pass auf.“

    Neuer Tag, neues Training. Shayan führte die geforderten Bewegungen aus, immer wieder, immer wieder, immer wieder die gleichen... bis sie in Fleisch und Blut übergingen, egal wie kompliziert sie auch waren. Und komplizierter wurde das, was der Doctor der Dimachaeri forderte, mit jedem Mal, wenn eine Übung zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen war. Obwohl Shayan nun schon einige Zeit im Ludus war, war er nach wie vor noch nicht so weit, dass er wirklich das Gefühl bekam, sich etwas auf seine Leistung einbilden zu können. Irgendetwas fand der Doctor immer zum Aussetzen, wie es schien. Aber immerhin hatte er ihn mittlerweile für gut genug befunden, Gladiator zu sein, weswegen Shayan nun seit zwei Tagen die Tätowierungen trug, die ihn als solchen auswiesen.
    Am Training selbst hatte das nicht viel geändert, und auch sonst war es nicht so, dass er großartig Unterschiede spürte – er mochte kein Tiro mehr sein, aber in der Hierarchie der Gladiatoren gab es mehr Stufen als nur diese eine. Und Shayan selbst war ohnehin niemand, der aufgrund eines anderen Status' nun ein anderes Verhalten an den Tag gelegt hätte.


    An diesem Tag allerdings änderte sich bald etwas. Nachdem das erste Frühtraining vorbei war, gaben die Doctores bekannt, dass sie heute zur Abwechslung gegeneinander kämpfen würden, und so kam es, dass Shayan sich einem Tiro gegenüber sah, der zum Thraker ausgebildet wurde.