Beiträge von Shayan

    Shayan nickte ruhig, als der Römer betonte, dass auch Bögen in Rom verboten waren. Er liebte Bogenschießen – nicht nur weil das etwas war, in dem er wirklich gut war, sondern auch, weil er die Tätigkeit an sich mochte. Die Spannung, die Ruhe, die Konzentration… ganz egal welcher Aufruhr um ihn herum war, ein Bogenschütze musste in der Lage sein, in diesem einen Augenblick in höchste Konzentration zu versinken, damit der Pfeil sein Ziel fand. Ungenauigkeit brachte einen ebenso wenig weiter wie Hektik. Er sehnte sich danach, endlich wieder zu trainieren, wusste aber ebenso gut, dass es fraglich war, wann ihm das das nächste Mal möglich sein würde. Wenn überhaupt.


    Der Römer allerdings verstand es weiterhin, einen Eindruck zu machen, der Shayan… nun, sagen wir: ein wenig ratlos machte. Immer noch war es dem Parther nicht möglich zu unterscheiden, ob der Flavier das mit Absicht machte oder ob er einfach so war, was zu einem Teil auch daran lag, dass er Latein nicht gut genug verstand, um die Feinheiten in der Sprache herauszuhören. Besser wurde das, als sein Herr ins Griechische wechselte, dennoch wusste Shayan auch dann noch nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob der Römer tatsächlich so… nun ja, irgendwie ein wenig… kindisch… kindlich… dümmlich? war. Oder benahm er sich so, weil er den Parther dafür hielt?


    „Ich werde es lernen“, antwortete er ruhig, ebenso auf Griechisch nun wie sein Herr. Letztlich war die Sache so einfach. Es war nötig, also würde er Latein lernen, noch besser als er es bereits jetzt beherrschte. Ein leichtes Nicken, als der Römer ihn lobte, sonst keine Regung – obwohl er diesmal eine gewisse Irritiertheit verspürte, weil die Art des Römers, wie er mit ihm sprach, mit ihm umging als sei er ein Kind, ein Schüler, kein trotz seines Sklaventums erwachsener Mann, nun anfing, ihn tatsächlich ein wenig zu stören. Sein Blick folgte dem Flavier, als dieser sich erhob und anfing, umher zu gehen. Und wurde nun mit jedem Moment irritierter. Er war sich nicht ganz sicher, warum um alles in der Welt der Mann ihm das erzählte, und langsam begann sich der Eindruck in ihm zu manifestieren, dass das Leben als Sklave unter diesem Herrn um einiges unangenehmer werden konnte als unter seinem vorigen – wenn er immer so war wie jetzt. „Ist das so“, bemerkte er zunächst nur, in einem Tonfall der wohl ein wenig zu trocken war um angemessen zu sein für ihn in dieser Situation. Aber Shayan konnte nicht anders. Er hatte keine Ahnung, warum der Römer das erzählte, aber es klang sehr stark nach Selbstbeweihräucherung – unabhängig davon, ob es sich nun wirklich so verhielt oder nicht. Und dann, dann kam endlich die scheinbare Erklärung dafür, warum er sich das anhören musste. Auch wenn diese Erklärung den Parther nun tatsächlich überraschte. Und auch nicht sonderlich gefiel. Er und ein Instrument? Das konnte nicht gut gehen. „Nun…“ Shayan zögerte ein wenig, nahm sich Zeit, zu überlegen, seine Worte zu wählen. Fabulös, hatte der Flavier gesagt. Ja, fabulöse Musik würde er wohl machen können, aber ob fabulös in diesem Fall gleichzusetzen war mit gut, daran zweifelte Shayan stark. „Wenn du es wünschst, werde ich das tun. Aber ich denke…“ Immerhin hatte der Römer ihn ja danach gefragt, und auch wenn Shayan zu wissen meinte, was er eigentlich hören wollte – er würde ihn nicht anlügen. „…dass das keine gute Idee ist. Ich bin nicht musikalisch begabt.“

    Shayan machte sich keine großartigen Gedanken darüber, wie seine Einsilbigkeit wirken mochte. Das machte er nie. Er ließ sich nur selten drängen, und wenn er nichts zu sagen hatte, war es so. Und obwohl es nicht so war, dass Shayan nichts auf das gab was andere von ihm denken mochten, war er nicht bereit sich anders zu geben als er war – oder Kompromisse einzugehen bei dem, was ihm wichtig war –, nur um vielleicht einen besseren Eindruck zu machen. Oder einer wütenden Flavia zu entkommen, die ihn wohl auspeitschen lassen würde, wenn er ihr auf die Nase band, dass er diesen Eid nicht sprechen konnte. Aber ob es so kommen würde, wusste Ahura Mazda allein. Shayan musste sich erst all das durch den Kopf gehen lassen, was Malachi ihm erzählt hatte. Es war eine Herausforderung, so viel war klar. Er wusste nur nicht, ob das positiv war oder nicht. Ob er sie annehmen sollte... oder nicht.


    „In Ordnung.“ Er nickte dem Gladiator zu und folgte ihm ein weiteres Mal, zurück zur Rüstkammer, wo er sich seine eigene Kleidung überstreifte und – wie der Gladiator es gesagt hatte – von einem Angestellten der Schule in Empfang genommen wurde. Der Parther nickte Malachi noch einmal zum Abschied zu, bevor er nun dem Angestellten folgte, der ihn wieder hinauf zur Tribüne brachte. Der Lanista war nicht mehr hier, wie er feststellte, während er seine Herrin und die Römerin an ihrer Seite mit einem leichten Nicken begrüßte. Also gab es wohl tatsächlich keine Möglichkeit, ihn wenigstens anzusprechen. Dennoch überlegte er für einen Moment, ob er den Angestellten oder seine Herrin bitten sollte, ein Treffen mit dem Lanista zu arrangieren. Und Shayan war sich sogar einigermaßen sicher, dass – sollte seine Herrin seiner Bitte nachkommen – der Lanista wohl wenigstens noch einmal kommen würde. Nach allem, was er jedoch von Malachi gehört hatte, bezweifelte er, dass es so gut sein würde, wenn er nun versuchte darauf zu bestehen. Sollte er sich dazu entschließen, den Eid tatsächlich zu sprechen, konnte es durchaus sein, dass es ihm jemand übel nahm, weil er zuvor eine Sonderbehandlung für sich in Anspruch genommen hatte. Letztlich war er nur ein Sklave, nicht mehr. Nein, er würde allein zu einer Entscheidung kommen müssen. Mit Malachis Worten hatte Ahura Mazda ihm alles gegeben, was er brauchte, um einen Entschluss zu fassen – wäre es nicht genug, wäre der Lanista noch hier, oder es würde sich eine andere Gelegenheit ergeben. Wenn es keine gab, dann sollte es einfach nicht sein.

    Shayan versuchte noch den Reflex zu unterdrücken, die Hand mit seiner abzufangen, die da plötzlich auf seine Augen zugeschossen kam – konnte aber nicht verhindern, dass sein Arm hochzuckte und seine Finger das Handgelenk des Flaviers berührten, die eigene Hand flach, nicht in einer Geste, die ein Umschließen des Gelenks zur Folge gehabt hätten, sondern lediglich zum Abwehren, zur Seite lenken gedacht. Das allerdings führte Shayan nicht mehr aus, stattdessen zog er rasch seine Hand zurück, als sein Verstand den Reflex eingeholt und ihn wieder im Zaum hatte. Für einen Augenblick schwieg er, bevor er murmelte: „Verzeih, Herr.“ Es ging ihm gegen den Strich, sich dafür entschuldigen zu müssen, aber er wusste, was er war. Leichthin nickte er dann bei der Erklärung, dass Knüppel oder Stab in Rom offenbar erlaubt waren, ohne die Frage einzuwerfen, die interessant gewesen wäre für ihn: ob es ihm denn erlaubt sei, als Sklaven. Er würde es erfahren. Solange sein Herr ihm nicht befahl, eine Waffe zu tragen, würde er es ohnehin unterlassen. Müssen. Der Römer allerdings verwirrte ihn zunehmend. Die breite Gestik, die er verwendete, die Ausdrucksweise, wobei es vielmehr der Tonfall war denn die eigentlichen Worte, wie er ihn dann anstarrte, ohne zu blinzeln, nur um im nächsten Moment zu grinsen… Shayan schüttelte wiederholt den Kopf, als ihm wiederholt Trauben angeboten wurden, und zog leicht verwirrt eine Augenbraue hoch. „Der Bogen“, antwortete er auf die Frage nach seiner Hauptwaffe. Hatte er zuvor nicht schon erwähnt, dass er Bogenschütze gewesen war? Oder wollte der Römer ihn irgendwie auf die Probe stellen, oder noch weiter verwirren? Shayan kam mehr und mehr zu der Auffassung, dass es eben das war: er wollte ihn verwirren. Das plötzliche Schwärmen über seine Heimat kam ihm auch nicht ganz geheuer vor. Sie hatten Krieg geführt gegeneinander. Schwärmte man so von seinem Gegner? Andererseits war der Römer kein Soldat, wie er Shayan nun schon mehr als einmal bewiesen hatte. Allerdings wusste der Parther auch nicht so recht, was er nun antworten sollte darauf, dass der Römer die parthische Sprache, die Kultur, und ihm generell sein Volk zu gefallen schien. „Griechisch wäre einfacher für mich“, antwortete Shayan schließlich, und überging dezent, was der Römer über sein Volk gesagt hatte. „Aber ganz wie du es wünschst, Herr. Ich werde mich bemühen, noch besser Latein zu lernen.“ Und wieder übernahmen seine Reflexe kurzzeitig die Oberhand, diesmal in Form eines Zurückzuckens, als der Römer erneut urplötzlich seine Hand ausstreckte und direkt vor Shayans Nase schnippte. Gleich darauf fragte er sich ein weiteres Mal, was das sollte. Er verstand den Römer nicht – nicht die Worte, die verstand er schon, aber seine Art. Was er damit bezweckte. Shayan begriff es nicht, so wenig, dass er noch nicht einmal zu sagen vermochte, ob tatsächlich etwas dahinter steckte, oder ob der Flavier einfach so war. Wenn er allerdings so war, dann fand Shayan, war er ein wenig seltsam. Seine Schwester hätte vermutlich gesagt, dass der Römer einen Sprung in der Amphore hatte. Und das Gespräch ging auch so weiter. Wieder eine Frage, diesmal eine, die Shayan abermals ein wenig verwirrte. „Meine Einstellung zu den Künsten… ist die, die eines freien Mannes würdig ist“, antwortete er, ein wenig vorsichtig, bevor ihm der Fehler auffiel und er noch hinzufügte: „Ich bin nun Sklave, aber an meiner Einstellung hat sich nichts geändert. Ich weiß die Kunst durchaus zu schätzen. Aber ich bin Soldat.“

    Shayan wusste, dass er Sklave war. Er wusste, dass ihm das die Freiheit der Wahl im Grunde nahm. Und doch hatte er sie. Natürlich wollte er nicht ausgepeitscht werden, natürlich wollte er nicht sterben oder in irgendeinem Steinbruch schuften. Aber das war das Schicksal, das er wählen würde, bevor er einen Eid schwor, von dem er wusste, dass er ihn nicht halten konnte. Der ihm falsch erschien. Er wollte nicht erpicht darauf zu erfahren, welche Seiten die Flavia aufziehen würde, wenn ein Sklave ihr nicht gehorchte, aber er hatte auch keine Angst davor. Wenn er zu der Überzeugung kam, dass es das war, was Ahura Mazda wollte, würde er auch das über sich ergehen lassen. Ob sein Gott ihn strafen wollte oder einen anderen Plan hatte, spielte da weniger eine Rolle – obwohl Shayan mehr und mehr zu der Auffassung kam, dass er sich irgendetwas hatte zuschulden kommen lassen. Das, was er hier in Rom nun erlebte, kam verdächtig nah an eine Strafe heran, und gerade die Sache mit den Gladiatoren schien so oder so höchst unangenehm für ihn auszugehen, egal wie er sich entschied. Vielleicht hatte er eine falsche Entscheidung getroffen in diesem Krieg, eine, die unnötige Menschenleben gekostet hatte. Vielleicht hatte er Ahura Mazda unbeabsichtigt beleidigt. Er wusste es nicht. Aber ob es eine Strafe war oder nicht, er würde akzeptieren, was sein Gott ihm auferlegte. Was allerdings nicht hieß, dass es für ihn dadurch leichter wurde. Es hieß nicht, dass er leichter würde ertragen können, was ihn erwartete.


    Es gab also keine Möglichkeit, mit dem Lanista zu reden, vorab. Allerdings war Shayan sich nun nicht mehr so sicher, ob das wirklich nötig war. Malachis Worte sagten einiges aus, genug, vielleicht. Kein Freund. Aber auch kein Feind. Nach dem, was der andere sagte, schien der Lanista immerhin gerecht zu sein – hart, sehr hart wohl, aber gerecht. Und das war es, was für Shayan eine Rolle spielte, nicht die Tatsache, wie sympathisch der Mann ihm nun war. Er wollte wissen, ob es einer von der Sorte war, dessen Befehlen er gehorchen konnte. Und das musste nicht notwendigerweise jemand sein, den er mochte, das hatte er spätestens in der Armee gelernt. Man konnte den größten Respekt vor Männern haben, mit denen man aus den unterschiedlichsten Gründen sonst kaum einen Abend verbringen würde. Der Gladiator erzählte unterdessen weiter. Und es war nichts, was Shayan sonderlich gefiel. Wem hätte schon die Zukunft, die Malachi gerade ausbreitete, gefallen? Aber sollte er sich dafür entscheiden, würde er damit leben können, irgendwie, das wusste er. Und wenn es ihn an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit treiben würde, was mit Sicherheit wohl tun würde, er würde sich zwingen, durchzustehen. Mit unbewegtem Gesicht lauschte er, während er grübelte. Er maßte sich nicht an zu denken, dass die Anfangszeit im Heer vergleichbar wäre mit dem, was Malachi ihm in Aussicht stellte. Anfänger dort hatten es auch nicht leicht, aber da war schon mal der erste Punkt, dass Shayan nicht so eingestiegen war wie die meisten anderen. Ein anderer Punkt war, dass es immer mehrere Anfänger gab, die sich gegenseitig unterstützen konnten. Und auch sonst klang es danach, als sei das Training, das ein Gladiator absolvieren musste, mehr abverlangte als das, das er kannte. Und dann war da die Sache mit dem Tod. Shayan hatte ganz sicher kein Problem damit, zu töten, wenn es notwendig war. Noch nicht einmal damit, es gezielt, bewusst zu tun und nicht einfach nur im Eifer des Gefechts. Er war Bogenschütze. Er war dazu ausgebildet worden, mit Präzision und Kaltblütigkeit Gegner zu töten. Und er kannte auch das Gefühl vor einer Schlacht, das Gefühl, nicht zu wissen, ob man den nächsten Tag überleben würde. Aber man hatte es immer noch wenigstens irgendwie in der Hand, man hatte sein Können, man konnte kämpfen, und wenn der Tod so plötzlich kam, dass man nichts tun konnte, dann musste man in der Regel nicht warten. Und das war etwas völlig anderes, als im Sand knien zu müssen und auf die Gnade eines anderen angewiesen zu sein.


    Shayan blieb noch einen Moment in dem Becken mit dem warmem Wasser. Nach und nach wurde ihm nun langsam bewusst, vor welcher Wahl er da wirklich stand, und plötzlich wurde ihm ein wenig kalt. Das Bild, das Malachi von dem Leben als Neuling unter den Gladiatoren gezeichnet hatte, war düster. Düsterer als alles, was Shayan bisher erlebt hatte. Er hatte es nicht immer unbedingt leicht gehabt, in den letzten Monaten nicht, und auch davor nicht, war seine Herkunft doch stets mit einer nicht geringen Erwartungshaltung verbunden gewesen, aber das hier – das war etwas anderes. Er würde ganz unten sein, noch weiter unten als er es als Sklave ohnehin schon war. Und er zweifelte nicht daran, dass es in der Realität noch um einiges schlimmer werden würde als das, was Malachi mit so stoischer Ruhe beschrieb, als erzähle er gerade etwas über das Wetter. Shayan verließ ebenfalls das warme Wasser, stieg in das kalte und grübelte immer noch. Du denkst zu viel. Die Worte seiner kleinen Schwester klangen plötzlich in seinem Kopf, Worte, die sie mehr als einmal zu ihm gesagt hatte – und nahezu jedes Mal vergeblich. Er verharrte einige Augenblicke im kalten Wasser, verließ dann auch dieses und nahm sich eines der Tücher, noch während die Frau damit beschäftigt war, Malachi zu helfen. Merkwürdigerweise wäre es ihm unangenehm gewesen, sich von ihr helfen zu lassen, obwohl er das von zuhause, von seinem früheren Leben wie selbstverständlich gewohnt war. Aber nun... Er hatte sich verändert, er war nicht mehr der Gleiche wie noch vor ein paar Jahren. Das Heer hatte ihn verändert, der Krieg, und nicht zuletzt die Sklaverei. Und er hatte nicht vergessen, was Malachi gerade noch erzählt hatte. Er war hier im Moment nichts. Nichts. Und wenn er diesen Eid leistete und hier aufgenommen wurde, würde er noch eine ganze Zeit lang nichts bleiben. Und irgendwie führte das dazu, dass er sich merkwürdig fehl am Platz vorkam in diesem Augenblick. Shayan trocknete sich also ab und zog sich seine Tunika, die jemand hierher gebracht hatte, über den Kopf, ohne die Hilfe der Frau in Anspruch zu nehmen. Erst danach wandte er sich an Malachi. „Ich danke dir. Für deine Erzählung, und für den Kampf.“

    Shayans Blick streifte kurz die Frau, die im Bad war und irgendetwas herum räumte, bevor er ein ums andere Mal seinem Begleiter folgte und es ihm gleich tat. Mit ruhigen Bewegungen begann er sich zu waschen, während er sich der Antwort Malachis lauschte. Und was er zu hören bekam, war noch etwas, was in seine Entscheidung einfließen musste. Eine straffe Hierarchie herrschte hier. Nebenbei registrierte er, wie Malachi wieder dieses Wort verwendete – Tiro –, und begriff nun, dass es keineswegs ein Name gewesen war, aber er kommentierte es nicht weiter, klärte auch seinen Irrtum von zuvor nicht auf. Es spielte keine Rolle, nicht jetzt, nicht mehr. Wichtig waren die Worte, die Malachi in diesem Moment aussprach. Shayan grübelte einen Augenblick. Mit der Hierarchie an sich würde er kein Problem haben, auch wenn es ihm kaum gefiel, zunächst ganz unten zu stehen. Immerhin bestand hier noch die Möglichkeit, sich hochzuarbeiten, was als Sklave weit weniger möglich war, jedenfalls bei seiner augenblicklichen Besitzerin. Sklaven behandelte sie immer gleich, er hatte bisher noch nicht entdecken können, dass es irgendeinen unter ihnen gab, den sie irgendwie bevorzugte oder besser behandelt hätte. Ein Muskel zuckte in seiner Wange, während er die Tätowierungen betrachtete, die der andere ihm in diesem Augenblick zeigte.


    Er hielt inne in dem, was er tat, und ließ sich in das warme Wasser des Beckens sinken, zeitgleich mit Malachi, und immer noch schweigend. Die Frau kam ein weiteres Mal an, und diesmal bemerkte Shayan, wie sie lächelte, als sie davon ging. Einen Augenblick sah er ihr nach und fragte, ob die zwei etwas miteinander hatten. Oder ob einer der beiden es sich wünschte. Im nächsten tauchte er völlig unter Wasser und hielt die Luft an, harrte aus für einige Momente, bevor er wieder hochkam und sich mit beiden Händen über das Gesicht fuhr. So viel hatte sich geändert, in den letzten paar Wochen. Gerade als er verdaut gehabt hatte, gefangen genommen worden zu sein, nicht mehr nach Hause zu können, sein Leben, wie er es bisher gewohnt war, nicht mehr führen zu können... Es ging ihm noch nicht einmal allzu sehr um den Luxus daheim, den das Leben bei seiner Familie bot, weil das Leben beim Heer weit davon entfernt war. Aber ein Sklaven-Dasein war doch noch einmal etwas anderes. Allein die Tatsache, nicht mehr frei zu sein... Und gerade, als er angefangen hatte sich daran zu gewöhnen, war sein Herr gestorben und er nach Rom verfrachtet worden. Wo alles neu war. Alles anders. Und er nun einer Herrin gehörte, die er noch nicht so recht einzuschätzen wusste, von der er aber jetzt schon sagen konnte, dass sie nicht einfach war. Und nicht freundlich, nicht zu Sklaven. Bestenfalls ignorierte sie sie, wenn sie taten was sie wollte. Er sah wieder zu Malachi hinüber, der ihm nun seinerseits eine Frage stellte. „Ich will den Eid nicht leisten, wenn ich nicht überzeugt bin davon.“ Nachdenklich rieb Shayan über seine Schultern und seine Brust und versuchte in seinem akzentgefärbten Latein zu erklären, was in ihm vorging. „Es ist viel. Verlangt viel. Nicht die Ehre, nicht der Respekt vor den anderen. Den Brüdern. Aber der... absolute Gehorsam.“ Shayan musterte sein Gegenüber. „Ich leiste einen Eid, ich folge ihm. Keine Ausflüchte. Keine Ausnahme.“ So einfach war das für ihn. So einfach, und so schwierig. „Wenn der Lanista wie ein Vater sein soll, ich möchte... würde gerne vorher reden, mit ihm. Vor dem Eid. Vor meiner Entscheidung.“ Shayan war sich bewusst, dass diese Worte aus seinem Mund merkwürdig klingen mochten. Aber der Lanista würde ihn kaum aufnehmen, wenn er sich weigerte, seinen Eid zu leisten. Shayan würde sich dann nur mit dem auseinander setzen müssen, was die Flavia sich für ihn ausdachte... Sollte es tatsächlich nicht möglich sein für ihn, mit dem Lanista zu reden, würde er sich irgendwie so ein Urteil bilden müssen. Ob er das hier tatsächlich eingehen wollte. Ob es das war, was Ahura Mazda wirklich für ihn wollte. „Kannst du etwas über ihn sagen? Und das Leben hier, die Gemeinschaft, die Ausbildung?“

    Shayan bemerkte, dass er beobachtet wurde. Es war auch nicht sonderlich schwer, weil sie sich keine Mühe gaben, es zu verbergen. Aber er ignorierte die Blicke schlicht, die ihm wie ein steter Schatten folgten. Selbst wenn er auf eine Flucht aus gewesen wäre, es hätte keinen Sinn gemacht, nicht hier, nicht so. Er war Soldat, er hatte in dem Krieg gegen die Römer gekämpft, er hatte schon anderes hinter sich gebracht. Würde er fliehen wollen, würde es keine Kurzschlussreaktion sein, er würde planen. Aber er wollte nicht fliehen. Er sah keinen Sinn darin. Dass er hier gelandet war, hatte einen Grund, und wer war er schon, dem zuwider zu handeln, was Ahura Mazda ihm auferlegt hatte? Sollten sie ihn nur misstrauisch beäugen, Shayan in jedem Fall würde ihnen keinen Grund geben, noch misstrauischer zu werden. Er folgte Malachi einfach nur und gab wie er die beiden Schwerter ab, mit ruhiger Miene und ohne jedes Zögern. Er wusste auch, dass das kaum ausreichen würde, Vertrauen zu gewinnen. Wie er gerade selbst gedacht hatte: ein Fluchtversuch jetzt wäre töricht. Ein Fluchtversuch dann, wenn sie begannen ihm zu vertrauen, konnte Erfolg haben. Natürlich würde keiner hier denken, er sei vertrauenswürdig, nur weil er sich an seinem ersten Tag hier nichts zuschulden kommen ließ.


    Parallel zu Malachi begann auch Shayan, sich Stück für Stück seiner Rüstung zu entledigen, während dieser nun den Eid aufsagte. Und abgesehen davon, dass ein Teil von ihm fast amüsiert darüber war, dass der wortkarge Gladiator nun plötzlich so viele Worte am Stück von sich gab, machte ihn der Eid nachdenklich. Nicht alles, schon gar nicht der Teil, wo es um die Kameradschaft unter den Gladiatoren ging, oder darum, Würde und Ehre zu zeigen. Was Shayan zu denken gab, war der Teil, der ihn völlig dem Lanista und seinen Leuten unterwerfen würde. Leistete er diesen Eid, war kein Widerwort möglich. Und da er sowohl aufgrund von Abstammung als auch aufgrund seiner Leistung nie nur ein einfacher Soldat gewesen war, der stumpf gehorchte, war er das nicht gewöhnt – im Gegenteil, er war es gewöhnt selbst zu denken, und die Verantwortung zu tragen für andere, die ihm unterstanden. Und, sicher war es nicht so, dass sein Leben als Sklave etwas anderes für ihn bereit hielt als das, was ihn hier als Gladiator erwartete. Aber das war eben einer der Aspekte seines neuen Lebens, mit denen er deutlich Schwierigkeiten hatte, nach wie vor, so sehr er sich auch bemühte sich damit abzufinden – und es war auch etwas anderes. Als Sklave hatte er keine Wahl, und er konnte dennoch aufbegehren, konnte es zumindest versuchen, wenn etwas geschah, was ihm völlig zuwider lief, weil er nie, niemals, etwas versprochen hatte. Auch wenn sein Gott ihn hierher geschickt hatte, er war letztlich nicht freiwillig hier, und wenn etwas geschah, was er nicht mit sich und seinem Gewissen vereinbaren konnte, dann würde auch sein Gott wollen, dass er sich wehrte, davon war er überzeugt. Tat er aber diesen Schwur, war ihm diese Möglichkeit genommen. Shayan brach keinen Eid, den er geleistet hatte.


    Ebenso ruhig erwiderte er den Blick Malachis, als dieser ihn nun musterte. Der seine, der auf den des anderen traf, war nachdenklich, und erst als er meinte ein Lächeln zu sehen, hoben sich seine Mundwinkel ein wenig in Erwiderung darauf. Er wusste, dass er eigentlich keine Wahl hatte als diesen Eid zu leisten. Aber hier war die Entscheidung, die er treffen musste. Wenn er diesen Schwur tat, dann mit vollem Herzen. Wenn er das nicht konnte, musste er ablehnen, gleich was die Flavia dann mit ihm anstellen mochte. Er nickte langsam, bevor Malachi sich abwandte, und holte dann leise, aber tief Luft. Der Lanista sei für mich wie ein Vater, ging ihm durch den Kopf. Mit wenigen Schritten war er wieder an Malachis Seite. „Sie wird nach mir schicken lassen, wenn sie mich an ihrer Seite wissen möchte“, antwortete er nur. Er wusste nicht, ob die Flavia ihn jetzt schon wieder bei sich haben wollte, aber nach dem Kampf wollte auch er sich waschen, und sie hatte zuvor nichts gesagt. Und dass sie ihn holen würde, wenn sie ihn wollte, davon war er überzeugt. „Wenn es dir Recht ist, begleite ich dich.“ Malachi schien keine Einwände zu haben, und wieder folgte Shayan ihm. Einige Augenblicke vergingen in Schweigen, bis sie das Balneum erreicht hatten und betraten, und für einen Moment hielt Shayan im Türrahmen inne angesichts des – für ihn zumindest – überraschenden Luxus', der sich vor seinen Augen auftat. Das hier war kein Vergleich zu den Sklavenwaschräumen, die es in der Villa Flavia gab, oder den unzureichenden Waschmöglichkeiten an der Front. Gladiatoren schienen tatsächlich nicht allzu schlecht zu leben, dachte er, aber er sprach es nicht aus. Stattdessen fragte er Malachi etwas anderes. „Ist es möglich, mit dem Lanista zu sprechen?“

    Shayan war, gelinde gesagt, ein wenig unschlüssig, wie er reagieren sollte. Die Art des Römers war... verwirrend. Wie er den Namen seiner Heimatstadt wiederholte, wie er es aussprach, wie er dabei den Kopf neigte... Shayan bemühte sich, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren, aber wieder blitzte etwas wie Zweifel in seinen Augen auf. Der Mann war anders als die, mit denen er in den vergangenen Jahren zu tun gehabt hatte – deutlich anders. Wäre es nicht schon zuvor klar gewesen, spätestens jetzt hätte er keinen Zweifel mehr daran gehabt, dass der Römer kein Soldat war. Er wirkte einfach zu... zu... weich. Vielleicht war das das falsche Wort, aber Shayan fiel kein besseres ein. „Nein“, antwortete er auf die Frage, ob er wüsste, dass man in Rom keine Waffe tragen dürfte – innerhalb des Pomeriums jedenfalls, was auch immer das sein mochte. Shayan beschloss, später einen seiner neuen Mitsklaven zu fragen. „Ich kann mit dem Schwert kämpfen. Nicht gut, aber gut genug, für Verteidigung im Notfall.“ Knüppel oder Stab... Ein flüchtiges Stirnrunzeln zeigte sich. Das waren keine richtigen Waffen, fand er. Er konnte damit so gut oder so schlecht umgehen wie jeder, der es verstand, einfach draufzuhauen. Er war Krieger, wenn es sein musste, wenn er gezwungen war und nichts anderes zur Verfügung hatte, nutzte er zur Not auch das als Waffe. „Nicht in der Armee gelernt. Wenn du das meinst.“


    Der Parther nickte ruhig, als sein neuer Besitzer ihn verbesserte. „Sie war gut“, wiederholte er, ungeachtet des Tonfalls, den er beim anderen vernahm und der ihm nicht sonderlich gefiel. Aber was gab es schon zu sagen? Er war Sklave, daran führte kein Weg vorbei. Es war besser, wenn er sich einfach zurückhielt. „Die Familie meines Vaters ist Widarna*.“ Erneut musterte er den Mann vor sich, als dieser nun erneut eine Salve von Fragen auf ihn losließ. Shayan bekam den Verdacht, dass der Römer sich gern reden hörte. Andererseits... nun, es mochte ein gutes Zeichen sein, dass er Interesse zeigte an seinem neuen Sklaven, aber so ganz sicher war sich der Parther nicht darüber. Aber das würde er wohl noch herausfinden. „Ich kann Griechisch. Deutlich besser als Latein“, fügte er auf Griechisch an. „Es war Teil meiner Ausbildung in meiner Heimat. Ich kann lesen und schreiben – in meiner Sprache, in Griechisch. Nicht in Latein, die Zeichen sind fremd. Kein Instrument, kein Singen. Erzählen... nicht sehr gut.“ Shayan war nicht unbedingt das, was man musikalisch nennen konnte. Oder generell künstlerisch begabt. „Auch kein Handwerk. Ich kenne Wissenschaften. Ich kenne griechische Schriftsteller, philosophische Werke. Ich kenne Politik und Strategie. Ich habe Ausbildung, wie sie üblich ist, für mein Stand. In Parthien“, fügte er nach einer winzigen Pause noch hinzu. Und obwohl er einiges gelernt hatte – zwangsläufig – war er doch nie einer der Besten darin gewesen. Er hatte sich schon immer mehr für alles interessiert, was körperliche Aktion erforderte, und so war es für niemanden verwunderlich gewesen, als er in die Armee eingetreten war.



    Sim-Off:

    *von mir gedacht als eine der Sieben, jedoch ohne historischen Hintergrund

    Shayan erstarrte mitten in der Bewegung, als er das kühle Metall auf seiner Haut spürte. Er hatte gewusst, dass es letztlich darauf hinauslaufen würde, entweder auf ein solches Ende oder eben darauf, dass irgendjemand den Kampf vorher abbrach. Er hatte es schon gewusst, als er noch oben bei seiner Herrin gestanden hatte. Und dennoch erfüllte es ihn mit einer gewissen Unzufriedenheit. Er war nicht Soldat geworden, um zu verlieren. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass das Schwert nicht seine Hauptwaffe war und er keine Chance gehabt hatte. Er ließ seine Waffen sinken und warf seinem Gegner einen kurzen, undeutbaren Blick zu, nickte dann leicht, anerkennend, als er sich zurückzog. Dann wanderte sein Blick zu dem Doctor, der begann um ihn herumzugehen. Shayan schwieg, und während er wartete, überlegte er, was die Flavia wohl mit ihm anstellen würde, wenn es nun hieß er sei ungeeignet. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, einen Gladiator haben zu wollen als Leibwächter, und sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass er das sein sollte. Und sie wirkte nicht so, als sei sie es gewohnt, dass etwas einmal nicht nach ihrem Willen ging. Er kannte verwöhnte Gören wie sie, es hatte sie in seiner Heimat auch gegeben – der Unterschied war nur, dass er bisher noch nie in der Lage gewesen war, einer ausgeliefert zu sein.


    Allerdings würde er zumindest heute nicht erfahren, was es hieß, wenn sie enttäuscht von ihm war oder zornig. Der Doctor hatte seine Musterung beendet, und sein Urteil war, wenn auch nicht schmeichelnd, so doch immerhin positiv. Auch Shayan lockerte Arme und Schultern, unschlüssig, was nun als nächstes kommen würde. Für den Moment war er angewiesen darauf, dass ihm andere sagten, was er zu tun hatte, und das gefiel ihm ebenso wenig wie die Tatsache, dass er deutlich unterlegen gewesen war. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er nicht sein Bestes gegeben hätte, wenn er versucht hätte sich als ungeeignet zu erweisen – Shayan ahnte, dass er sich damit wohl einiges erspart hätte. Andererseits war da immer noch seine Herrin. Er könnte sie zwar fragen, ob sie ihn nicht irgendwo als Bogenschütze unterbringen könnte, aber er hatte auch den Eindruck, dass es gerade diese direkten Zweikämpfe waren, die ihr gefielen. Ein Bogenschütze stellte eine tödliche Gefahr für jeden Gegner dar, aber in einem Kampf Mann gegen Mann entwickelte sich eine völlig andere Dynamik, eine andere Spannung, auch bei denen, die zusahen. Wenn die richtige Strategie gewählt worden war, wenn die anderen Soldaten ihre Arbeit machten, waren die Bogenschützen kaum in Gefahr – es war selten so, aber das war stets der Plan. Der Bogenschütze war in Sicherheit, nur sein Gegner hatte um sein Leben zu bangen. Und auf einem Pferderücken hatte ein parthischer Bogenschütze noch viel mehr Gelegenheiten, seinem Gegner zuzusetzen und zugleich für die eigene Sicherheit sorgen zu können. Nein, das war etwas anderes als ein Zweikampf, und von dem, was er gehört hatte, schwärmte seine Herrin für gerade die Spannung, die sich bei einem solchen Wettkampf aufbaute. Es ging ihr nicht um Können oder Präzision, die sie bewundern konnte. Es ging ihr um den Kampf, das Adrenalin. Vielleicht auch um das Blut, das irgendwann floss. Mehr noch als alles andere wäre er sich jedoch selbst im Weg gewesen, hätte er versucht absichtlich schlechter zu kämpfen als er es gekonnt hätte. Es war nicht seine Art, unaufrichtig zu sein. Oder weniger zu geben als sein Bestes.


    Shayan nickte ein weiteres Mal, als sich sein Gegner sich nun vorstellte. Malachi. Der Name klang ungewohnt in seinen Ohren. Er folgte ihm auf seinen Wink hin – er ging einfach davon aus, dass es in Ordnung sein würde – und war mit wenigen, weit ausgreifenden Schritten an seiner Seite. „Welcher Eid?“ fragte er nach, während sie hinein gingen, in die Richtung, aus der Shayan bereits gekommen war und wo er die Waffen und die Rüstung bekommen hatte.

    Shayan wusste nicht, nach welchem Muster sein Gegner den Kampf gestaltete, aber es wurde deutlich, dass es ein Übungskampf war. Eine ganze Weile ließ ihm der andere den Vortritt, ließ ihn angreifen, und Shayan begann sich zunehmend lächerlich zu fühlen. Diese Phase seiner Ausbildung hatte er schon lange genug hinter sich, dass er es schlicht nicht mehr gewohnt war, wie ein Anfänger angreifen zu müssen, ohne dass irgendetwas kam. Am liebsten hätte er einfach aufgehört. Aber er wusste auch, dass er nicht in der Position war zu entscheiden. Ganz und gar nicht. Andere an seiner Stelle hätten nun wohl wenigstens die eine Gelegenheit genutzt, die sie hatten, um das Ganze zu beschleunigen: das Tempo noch mehr anziehen, deutlich mehr in die Offensive gehen, versuchen den Gegner so sehr zu reizen, dass er aus der Reserve kam. Shayan nicht. Seine Bewegungen blieben überlegt, während er Angriffe durchführte, um zu zeigen, was er konnte, und zugleich im Grunde darauf wartete, dass ihnen der Doctor das Ende des Kampfes befahl – oder sein Gegner endlich zur Sache kam.


    Und dann kam er endlich zur Sache. Zunächst bemerkte Shayan es nur daran, dass er seine Angriffe nicht mehr passiv blockte, sondern aktiv dagegen vorging. Und nur wenige Momente später war er der Angegriffene. Mehr noch als zuvor zeigte sich nun, wo Shayan in der Defensive war, dass er zwar wusste, wie er mit einer Klinge umzugehen hatte, aber kein guter Schwertkämpfer war. Gerade eben noch war er es gewesen, der das Tempo des Kampfes beeinflusst hatte, nun wurde die Geschwindigkeit mehr und mehr von seinem Gegner bestimmt – und da Shayan seinem Können nicht allzu viel entgegenzusetzen hatte, gab es für ihn auch keine Chance, das Ruder herumzureißen. Shayan wich weit häufiger aus als er parierte, nutzte seine Schnelligkeit und Agilität, und versuchte wenigstens, Einfluss auf den Verlauf des Kampfes zu nehmen, indem er angriff, wenn sich ihm eine Möglichkeit bot. Dennoch war klar, wer die Oberhand hatte, nun, da sein Gegner an ihrem Kampf auch tatsächlich teilnahm. Shayan blockte einen weiteren Hieb ab, vernachlässigte dabei seine Deckung und erhielt prompt den Schild gegen seine Seite. Ein weiterer Schlag folgte, abermals gegen seine Linke, und Shayan begann die Anstrengung in diesem Arm zu spüren. Dennoch parierte er den Hieb und hielt dem Druck stand, den der andere für einen Moment auf seine Klinge ausübte. Und das Tempo nahm noch weiter zu. Die Angriffe des anderen wurden schneller, und sie wurden wuchtiger – und ließen ihm immer weniger Raum, selbst in die Offensive zu gehen. Shayan steckte noch weitere Treffer einen, keinen, der ihn wirklich ernsthaft verletzt hätte, aber allesamt durchaus schmerzhaft, und bei einigen hatte er jetzt schon das Gefühl, sie später als Bluterguss auf seinem Körper betrachten zu können. Er wich einem weiteren Angriff aus, blockte, konzentrierte sich auf seinen Gegner und versuchte abzuschätzen, was als nächstes kommen würde. Ein weiterer Hieb, dem Shayan ausweichen wollte, aber sein Gegner war schneller, zog sein Schwert in einem Winkel herum, den der Parther schwerlich für möglich gehalten hätte, und im nächsten Augenblick berührte die Klinge seine Schulter, dort, wo sie in den Hals überging.

    Keine Vorstellung. Nun gut, Shayan hatte sich auch nicht im eigentlichen Sinn vorgestellt, aber er hatte immerhin seinen Namen genannt. Aber nun, er war noch nie auf einen Gladiatoren getroffen. Vielleicht war es so üblich in der Arena, immerhin: keiner wusste wohl, wie lange er noch zu leben hatte. Und wer den Tod letztlich verantworten würde. Vielleicht spielten Namen dann keine allzu große Rolle. Im Heer war das anders, aber das war auch nicht weiter verwunderlich. Man hatte Kameraden, man verließ sich aufeinander, man musste sich aufeinander verlassen können. Nur wie die Gegner hießen, gegen die man kämpfte und die man tötete, interessierte einen auch nicht weiter. Shayan ging davon aus, dass er wohl noch früh genug lernen würde, wie die Sitten in einer Gladiatorenschule waren. Vorausgesetzt, sie nahmen ihn, denn so viel hatte er begriffen, dass es nun wohl an ihm und seiner Leistung hing, ob er für fähig befunden wurde. Vermutlich war es tatsächlich gut, dass man ihm zwei Schwerter gegeben hatte – vermutlich auf Wunsch seiner Herrin, jedenfalls ging er davon aus. Seine Rüstung war leichter, ließ ihm mehr Bewegungsspielraum und belastete ihn zugleich weniger, ebenso fehlte das Gewicht des Schilds. Die Agilität, die einen berittenen Bogenschützen ausmachte, konnte er so besser ausspielen, als wenn er Schwert und Schild gehabt hätte.


    Er beendete die Aufwärmübungen und nickte nur leicht, als der andere noch mal antwortete. Wenn sie dich nehmen, wird sich das ändern. Im letzten Jahr, seit seiner Gefangennahme, hatte sich so viel verändert in seinem Leben, dass es darauf nun wohl auch nicht mehr ankam. Dennoch versetzte er ihm einen leichten Stich, der Gedanke, dass er sich vom Bogen würde verabschieden müssen. Er konnte immer noch mit einem trainieren, aber er machte sich nichts vor: wenn er hier am Schwert ausgebildet werden würde, würde sich sein eigener Schwerpunkt verlagern. Er würde nicht wieder auf denselben Trainingsstand mit dem Bogen erreichen können, den er einmal gehabt hatte. Er konnte es versuchen und würde es, so er genügend Zeit übrig hatte, aber wieder so gut zu werden wie er gewesen war, als er im Heer mit den anderen geritten war, konnte er abschreiben. Er war immer noch besser als die meisten wohl, weil er früher mehr als nur gut gewesen war. Mit ein bisschen Training würde hier, wo ihn keiner von früher kannte, wohl kaum einem etwas auffallen. Aber er wusste es, er spürte den Unterschied. Aber nun, vielleicht sollte er froh sein, dass er überhaupt die Gelegenheit in Aussicht hatte, regelmäßig zu trainieren, und das noch dazu nicht alleine, sondern mit anderen. Und dennoch: er vermisste seinen Bogen. Und er ahnte, dass er ihn allzu bald noch viel mehr vermissen würde, ebenso wie das Gefühl zeigen zu können, was er konnte, anstatt sich in etwas beweisen zu müssen, worin er derzeit bestenfalls Durchschnitt war.


    Als es dann an den Kampf ging, ließ Shayan sich Zeit. Sein Gegenüber hatte ihn aufgefordert, den Anfang zu machen, aber er hatte nicht vor, unüberlegt einfach drauflos zu schlagen. Er war Trainingspartner seines früheren Herrn gewesen, mit Schwert und Schild und allem, was dieser so gebraucht hatte bei seinem Gegner, also war ihm auch diese Art von Kampf nicht gänzlich unvertraut – diese Art, in der er unterlegen war. Und Shayan war Krieger. Dass er wusste, dass seine Chancen schlecht standen, änderte nichts daran, dass er im Grunde dennoch gewinnen wollte. Natürlich wollte er das. Und er hatte nur eine Chance, wenigstens länger standzuhalten, wenn er bedacht handelte, wenn er sich Zeit ließ, den anderen einzuschätzen. Er führte seinen rechten Arm, ließ das Schwert in einem Standardangriff nach vorne zucken, brachte aber wieder Abstand zwischen sich und seinen Gegner, als dieser mühelos abwehrte. Er sollte Angriffe zeigen. Nun gut. Ein weiterer folgte, schneller diesmal, Shayan zog das Tempo ein wenig an – aber ebenso ein Standardangriff, nichts besonderes, das wusste er selbst. Er konzentrierte sich dennoch lieber darauf. Die Standardsachen waren die, die er immer noch am besten beherrschte, weil er sie schlicht als erstes gelernt und am häufigsten geübt hatte. Wenn man auf rasche Flucht aus war, hielt man sich nicht mit den Feinheiten der Schwertkunst auf. Ein weiterer Angriff von Shayan folgte, erneut ein wenig schneller, und diesmal lenkte er das Schwert selbst zur Seite, bevor sein Gegner parieren konnte, und ließ einen Schlag mit der Linken folgen, ungelenker als mit der Rechten, aber dennoch mit Kraft und einem gewissen Geschick geführt, das darauf hindeutete, dass auch seine Linke nicht unbrauchbar war.

    Flüchtig runzelte sich seine Stirn, als Shayan hörte, wie der andere ihn ansprach. Tiro. Er hatte keine Ahnung, was das war, aber es klang nach einem Namen. Vielleicht war ihm einfach irgendeiner gesagt worden, wer wusste das schon. „Nicht Tiro. Shayan“, verbesserte er ihn, während er sein Gegenüber musterte. Ein bisschen größer als er, augenscheinlich auch muskulöser. Nicht wirklich verwunderlich. Vermutlich war jeder der Gladiatoren hier muskulöser als er. Shayan presste kurz die Lippen aufeinander, und wieder dachte er an seinen Bogen. Daran, dass er hier vermutlich nicht ganz an der richtigen Stelle war. Er ahnte schon, was gleich passieren würde, es gab gar keinen anderen Ausweg. Er war nicht hier, um möglichst bald eine Rückzugsmöglichkeit zu finden. Aber es hatte keine Möglichkeit gegeben, seine Meinung zu dem Ganzen kund zu tun. Und so wie er seine Herrin jetzt schon einschätzen konnte, hätte sie vermutlich trotzdem darauf bestanden, dass er kämpfte. Nein, es hätte wohl nicht viel Sinn gehabt, wenn er versucht hätte sie zu zwingen zuzuhören. Außer womöglich irgendeiner Strafe, die er sich eingefangen hätte. Und da war es ihm allemal noch lieber, zu kämpfen, selbst wenn er in diesem Kampf kaum eine Chance hatte.


    Er folgte den Worten des anderen und begann, sich aufzuwärmen, seine Muskeln zu lockern, und seine Bewegungen zeugten davon, dass er das bei weitem nicht zum ersten Mal machte. Er sagte jedoch nichts zu dem Kommentar des anderen, nichts in der Richtung, dass er ihm das nicht sagen müsse, dass er Bescheid wisse, vielen Dank auch. Der andere konnte es nicht wissen, und selbst wenn, es war einfach unnötig. Nur auf die letzte Frage hin blickte er auf. „Ja. Mehr als einmal.“ Er ging dazu über, seine Schultern und Oberarme zu lockern. „Allerdings: kaum mit dem Schwert. Ab und zu ein Training, selten im Ernstfall. Ich bin Bogenschütze.“

    Für einen Augenblick bekam Shayan den Eindruck, dass dem Römer missfiel, dass er nichts wollte. Aber es kam nur ein Kommentar, nichts sonst, und er schwieg. Wartete. Der Römer würde schon etwas sagen, wenn ihm danach war, und Shayan war von Natur aus eher zurückhaltend. Vorsichtig. Ganz davon abgesehen, dass er Sklave war, und das hier sein neuer Herr, von dem er keine Ahnung hatte, von dem er nicht wusste, wie er war und wie er reagieren würde. Mochte er ihm auch damit Unrecht tun, Shayan war und blieb auf der Hut.


    Schließlich ergriff der Römer wieder das Wort, und was dann kam, war nicht nur eine Frage, es waren gleich mehrere. Noch dazu so gestellt, dass er sie nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten konnte, was ihm am liebsten gewesen wäre. Er kam nicht umhin, dem Römer ein gewisses Maß an Respekt zu zollen, vorausgesetzt er hatte die Fragen mit Bedacht so formuliert. „Ich stamme aus Persepolis, Herr“ setzte Shayan zu seiner Antwort an. Seine Worte kamen nicht zögernd, aber langsam, mit Bedacht. Er konnte seinen Akzent nicht verbergen, aber er versuchte, sorgfältig zu formulieren, versuchte Fehler zu vermeiden. „Ich war Bogenschütze, bei den Reitern meines Volks. Keinen anderen Beruf. Ich bin in das Heer meiner Familie... eingegangen, als ich 17 war. Meine Familie gehört zu den einflussreichen in Parthien.“ Shayan machte eine kurze Pause und überlegte, während er zugleich Erinnerungen, die sich nach vorn drängen wollte bei dieser Erzählung, im Hintergrund hielt. „Für mein Können ist es besser, wenn du fragst, Herr. Nach bestimmtem. Meine...“ Shayan machte eine vage Handbewegung und zögerte, bis ihm das Wort einfiel, „Ausbildung war viel. Ich habe Latein gelernt bei meinem früheren Herrn.“

    Die Unterhaltung, die er weiter mitverfolgen konnte, trug nichts dazu bei, dass Shayan sich wesentlich wohler gefühlt hätte in seiner Haut. Er hatte kein Problem damit zu kämpfen, er hatte auch kein Problem damit, nun womöglich zu lernen, besser mit dem Schwert umzugehen. Aber er bekam den Eindruck, dass die Flavia seine Fähigkeiten besser dastehen ließ, als sie waren. Wenn er alles richtig verstand, dann schürte sie zumindest den Eindruck, er wäre besser als er tatsächlich war. Aber sie hatte seine Einwände auch schon nicht hören wollen, als er zum ersten Mal davon erfahren hatte, dass er Gladiator werden sollte, was nebenbei bemerkt erst heute morgen gewesen war. Sie hatte... ihn einfach übergangen. Eine wedelnde Handbewegung gemacht und ignoriert. Und auch jetzt ergab sich zu keinem Zeitpunkt eine Gelegenheit, bei der er seine Meinung, seine Einschätzung hätte äußern können. Der Lanista schien sich für ihn ebenso wenig zu interessieren wie die Flavia. Wäre dies zu seiner Anfangszeit als Sklave passiert, Shayan hätte womöglich einfach etwas gesagt. Aber inzwischen war er an den Punkt gekommen, an dem er auch solche Dinge einfach geschehen ließ. Zumal es ohnehin kaum etwas ändern würde, befürchtete er. Die Flavia hatte ihren Entschluss gefasst, und so wie sie wirkte, würde sie ihn auch umsetzen. Ob er dabei auf der Strecke blieb, war gleichgültig. Vielleicht tat er ihr damit Unrecht, aber das war der Eindruck, der bei ihm entstand, und er glaubte nicht so recht daran, dass er damit falsch lag. Er war ein Sklave. Und die Flavia schien zu denen ihres Volkes zu gehören, für die Sklaven tatsächlich nicht mehr waren als simpler Besitz, der je nach Fähigkeiten irgendwo zwischen einfachsten Möbelstücken und wertvollen Rennpferden rangierte.


    Die Verhandlungen darüber, wie viel es kostete ihn zu trainieren, verfolgte Shayan nur mit halbem Ohr, und verstand infolgedessen nicht wirklich etwas. Sein Latein war zwar inzwischen ganz passabel, abgesehen von seinem Akzent, aber er musste sich nach wie vor doch deutlich konzentrieren, wollte er Gesprächen folgen. Stattdessen musterte er die Trainierenden unten in der Arena, bei denen er offenbar auch bald stehen würde. Immerhin, er konnte sich im Grunde glücklich schätzen, dass sich seine Herrin ausgerechnet diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Er würde trainieren können. Er würde etwas tun können, was er mochte, was ihm lag, sinnierte er. Er hätte auch zu ganz anderen Arbeiten verdonnert werden können. Shayan sah erst auf, als sich plötzlich die andere Frau einschaltete, die bereits hier gewesen war. Sein Blick glitt kurz über sie – und erst dann realisierte er, was sie da gesagt hatte. Ein Kampf? Mit einem leichten Stirnrunzeln sah er zu seiner Herrin, dann zum Lanista – und dann zu dem Angestellten, der ihn aufforderte, ihm zu folgen. Einen winzigen Moment blieb er, wo er war, und fragte sich, was er da gerade verpasst hatte, bevor er sich in Bewegung setzte und dem Mann folgte. „Entschuldige – was passiert jetzt?“ Der Mann musterte ihn kurz von der Seite. „Hast du nicht zugehört? Du kommst zum Medicus, der dich untersuchen wird, und danach zeigst du erst mal in einem Kampf, was du kannst.“ Shayan runzelte erneut leicht die Stirn. „Was ich kann“, wiederholte er. „Was ist, wenn das nicht viel ist?“ Jetzt schien der Mann für einen Moment überrascht – bevor er anfing zu lachen. Der Ton hatte irgendwie eine dreckige Note. „Dann wünsch ich dir jetzt schon mal viel Spaß.“ Danach ging es, erneut schweigend, weiter, bis sie zum Medicus kamen. „Arbeit für dich. Du sollst prüfen, ob er tauglich ist. Ich hol schon mal was er danach braucht.“ Shayan trat vor und ließ sich nun untersuchen, tat wie vom Medicus geheißen. Schweigend. Als tauglich würde er sich wohl erweisen, daran hatte er wenig Zweifel. Was seine Kampffertigkeiten hingegen anging, war er beim Arzt wohl an der falschen Adresse, seine Einschätzung kundzutun. Die Reaktion des anderen Mannes war recht eindeutig gewesen.


    Wie von ihm erwartet, fiel die Untersuchung entsprechend aus, und nur kurze Zeit später fand Shayan sich in der Arena wieder, wo er zu einem der Kämpfer gebracht wurde. Er trug eine leichte Rüstung und hatte zwei Schwerter in den Händen. Nicht nur eins, sondern zwei. Shayan sehnte sich nach seinem Bogen. Andererseits: hätte er in der anderen Hand einen Schild, würde das wohl auch keinen allzu großen Unterschied machen, immerhin konnte er mit dem noch weniger umgehen. Und ein Schild wäre zwar etwas, was ihn mehr schützen könnte, allerdings würde er ihn auch mehr behindern, und Shayan war es gewohnt, Bewegungsfreiheit zu haben. Und davon abgesehen: all diese Grübeleien führten zu nichts. Es war nicht so, als ob er die Wahl hatte. Und so neigte er leicht seinen Kopf zum Gruß gegenüber dem Gladiator, mit dem er nun offenbar gleich kämpfen sollte.

    Baden. Obwohl der Händler durchaus Acht auf seine Ware gegeben hatte, darauf, dass sie in einem einigermaßen präsentierfähigen Zustand war, war das sklavische Bad der Flavier doch etwas völlig anderes als das, was ihm beim Händler zur Verfügung gestanden hatte. Nun, was er aus seiner Heimat kannte, war ebenso anders. Aber man wurde genügsam – in der Armee, und in der Sklaverei erst recht. Man wusste die einfachen Dinge wieder deutlich besser zu schätzen.


    Frisch gewaschen also und in eine neue Tunika eingekleidet wurde Shayan also von dem Jungen, der ihn auf Geheiß des Ianitors bereits in die Villa geleitet hatte, weiter geführt durch die Gänge. Und was Shayan sah, bestätigte nur den Eindruck, den er bereits von außen gewonnen hatte: eine angesehene Familie offenbar, reich in jedem Fall, deutlich besser situiert als wohl die meisten anderen. Es konnte, musste aber nicht von Vorteil für ihn sein. So oder so war es jedoch das, was Ahura Mazda ihm zugedacht hatte. Shayan atmete tief ein, als der Junge schließlich vor einer Tür stehen blieb, und entließ die Luft dann in einem längeren Atemzug, nicht ganz ein Seufzer, aber fast. Ahura Mazda hatte einen Plan. Davon war er überzeugt. Es hatte einen Sinn, dass er hier war. Wie auch immer das hier werden würde. Nachdem der Sklavenjunge – der ebenso schweigsam geblieben war wie Shayan selbst – die Tür geöffnet hatte, trat er ein.


    „Herr.“ Trotz allem – trotz der Zeit, die er mittlerweile schon Sklave war, und trotz seiner Überzeugung, genau dort zu sein, wo sein Gott ihn haben wollte – fiel es Shayan immer noch nicht leicht, dieses Wort über seine Lippen zu bringen. Vielleicht gehörte das ja zu den Dingen, die er lernen sollte. Demut. Gleich in welcher Situation. Dem entgegen sprach allerdings das Benehmen des Flaviers, der ihn einlud sich zu setzen und ihm gleich darauf Trauben anbot – dass er nebenher noch am Kauen war, verleitete Shayan allerdings beinahe zu einem Stirnrunzeln, das er sich allerdings gerade noch verkneifen konnte. Sein Gesichtsausdruck blieb ruhig, nur seine Augen blickten etwas... zweifelnd drein. Er nahm wie geheißen auf dem Hocker vor dem Bett Platz, schüttelte aber leicht den Kopf auf das Angebot des Römers hin. „Ich danke dir. Aber nein.“

    Der Ianitor blieb griesgrämig. Den Gehilfen des Sklavenhändlers war das reichlich egal, und auch Shayan machte sich nicht weiter Gedanken darüber. Er würde schon klar kommen, irgendwie, und gerade mit dem Ianitor würde er wohl nicht allzu viel zu tun haben. Er schenkte den Männern, die ihn hergebracht hatten, keinen weiteren Blick, sondern trat auf die Aufforderung hin wortlos ein. „In Ordnung“, antwortete er dann ruhig, um dann dem Jungen zu folgen.

    Mit gemischten Gefühlen hatte Shayan den Besitzerwechsel verfolgt gehabt. Nicht, dass er etwas dagegen hätte tun können. Nicht, dass seine Meinung irgendwie zählte oder auch nur jemanden interessierte. Er war ein Sklave, mehr nicht. Das Problem war nur, dass er das noch nie so deutlich gespürt hatte wie hier in Rom. Bei seinem früheren, seinem ersten Besitzer, war ein gewisser Grundrespekt vorhanden gewesen. Sie beide waren Soldaten, Krieger, und letztlich hatte der Römer sich gemeinsam mit seinen Landsleuten als die Stärkeren erwiesen gehabt. Aber hier... Rom war anders. Und seine Besitzer waren anders. Vor allem seine jetzige Besitzerin. Shayan zögerte noch, ein Urteil zu fällen, aber sie schien... Sie kam aus einer guten Familie, sie sah gut aus, sie war wohlhabend, sie war intelligent – und sie wusste all das. Und bereits jetzt hatte er gemerkt, dass sie launenhaft war. Doch, im Grunde hatte er ein Urteil gefällt. Sie war arrogant. Sie hielt sich für etwas besseres, und nach allem, was Shayan jetzt schon gehört hatte, hatten Sklaven bei ihr nicht unbedingt ein leichtes Leben. Aber das schien ganz allgemein auf die Flavier zuzutreffen. Mit Schaudern nur sprachen die Sklaven in der Villa von einigen Flaviern, die augenblicklich – wofür jeder dankbar zu sein schien – nicht in Rom weilten, sondern sonst wo. Und seine neue Herrin war auf dem besten Weg, sich einen ähnlichen Ruf zu erarbeiten. In jedem Fall hieß es, dass sie nicht viel Spaß verstand, wenn ihr Besitz sich in irgendeiner Weise daneben benahm.


    Und so wusste Shayan auch nicht so recht, was er davon halten sollte, als die Flavia den Einfall gehabt hatte ihn in einer Gladiatorenschule ausbilden zu lassen. Sie hatte sich noch nicht einmal sonderlich dafür interessiert, was er nun eigentlich konnte – dass er Bogenschütze war und kein Schwertkämpfer, beispielsweise –, sondern einfach etwas beschlossen. Er wusste noch nicht einmal genau, was er nun werden oder lernen sollte. Sicher konnte er mit einem Schwert umgehen, aber er war nur so gut damit, wie ein Mann eben sein konnte, der nur sporadisch damit trainierte und noch seltener damit gekämpft hatte. Er kannte die Grundlagen, er kannte den ein oder anderen Kniff vielleicht noch. Genug, um sich im Notfall wenigstens halbwegs verteidigen zu können, sollte er vom Pferd stürzen und in einen Nahkampf geraten, wo ihm sein Bogen nicht viel nützte, genug, um sich – wenn er denn Glück hatte, wenn er schnell war und es nicht zu viele Gegner waren – eine Flucht zu ermöglichen, bevor er selbst erschlagen wurde. Aber er war nicht gut. Er war nicht dafür ausgebildet, tatsächlich in einem Kampf zu bestehen, der nicht eine Flucht seinerseits zum Ziel hatte. Nur, die Flavia schien sich dafür nicht zu interessieren. Sie hatte ihm verkündet, was sie vorhatte, und ihn ohne großes Federlesen hierher geschleppt, und jetzt stand er hier und lauschte mit gemischten Gefühlen dem Gespräch zwischen ihr und dem Lanista. Einen Dimachaerus wollte sie aus ihm machen lassen. Es wäre schön, fand er, wenn ihn jemand darüber aufklären würde, was das war. Dennoch schwieg er, wartete – bis die Flavia ihm ein Zeichen gab, vorzutreten. Langsam näherte er sich seiner Herrin und dem Mann, mit dem sie sprach, sagte aber immer noch nichts, sondern neigte nur den Kopf zur Begrüßung.

    „Der hier“, einer der Gehilfen, die Shayan hierher gebracht hatten, machte eine Kopfbewegung zu ihm hin, „ist für euch. Einen...“ Er linste auf eine Wachstafel, die er dabei hatte, „Flavius Piso, um genau zu sein. Ist schon bezahlt. Einfach hier bestätigen, dass die Ware korrekt abgeliefert wurde.“ Das hier waren die Flavier, da konnte man sich wohl darauf verlassen, dass der Ianitor zuverlässig war, fand der Gehilfe. Shayan indes bemühte sich, Ruhe zu bewahren bei dessen abfälliger Formulierung, konnte jedoch nicht verhindern, dass in seiner Wange ein Muskel zuckte. Er nickte dem Ianitor leicht zu, als dieser zu ihm sah – immerhin, wenn er hier bleiben würde, schadete es nicht, sich von vornherein mit dem ein oder anderen gut zu stellen, auch wenn dieser Sklave einen eher griesgrämigen Eindruck machte – und wartete im Übrigen schweigend darauf, eingelassen zu werden und zu erfahren, was ihn als nächstes erwartete.

    Als sie endlich ankamen, war Shayan in erster Linie eines: erleichtert. Es war früher Nachmittag, und die Hitze hatte noch um einiges zugenommen. Viel mehr aber noch zählte für ihn, dass er endlich ankam. Nicht simpel an einem x-beliebigen Bestimmungsort, sondern an einem Ort, wo er tatsächlich ankommen konnte. Wo er, so zumindest der Plan, bleiben konnte. Er mochte nicht wissen, was der Römer mit ihm vorhatte, aber er ging davon aus, dass er ihn nicht gekauft hatte, um ihn gleich weiter zu schicken. Shayan bewegte Schultern und Kopf ein wenig und ließ seine Nackenwirbel knacken, während er darauf wartete, dass sich die Tür öffnete, an die die Gehilfen des Händlers mittlerweile geklopft hatten, und er übergeben werden würde.

    Der Römer schien zufrieden zu sein mit dem, was er hörte, in jedem Fall fragte er nichts weiter nach. Und dann ging die Versteigerung los. Shayan presste die Kiefer aufeinander und richtete seinen Blick wieder irgendwo über die Köpfe der Menge hinweg, ohne jemanden – oder etwas – anzusehen. Die Prozedur, die sich nun in Gang setzte, war erniedrigend. Sie zu ertragen war immer noch am einfachsten, wenn er sie schlicht ignorierte. Oder sich wenigstens den Anschein gab, denn dass er die Versteigerung mithörte, das Schachern um seine Person, konnte er schlecht verhindern. Und, ganz entgegen seiner Erwartung, es fielen Worte, die Shayans Aufmerksamkeit erregten. Genauer gesagt waren es Beträge, die zwischendurch gerufen wurden, irgendwelche krummen wohl – welche es genau waren, konnte Shayan nicht sagen, weil sein Latein dafür dann doch nicht gut genug war, noch dazu bei dem Lärm, der hier herrschte. Er sah doch wieder in die Menge, suchte sie ab nach dem, der steigerte, und entdeckte kurze Zeit später den Römer, der ihm zuvor auch schon die Frage gestellt hatte. Er war es zwar nicht, der mitbot, aber er schien seinem Begleiter Anweisungen zu geben. Was hatte der Mann gerufen beim ersten Mal? Er hatte einen Namen genannt, da war Shayan sich ziemlich sicher, aber er hatte ihn nicht ganz verstanden, hatte nicht genug Acht gegeben in jenem Moment. Er sah den Mann an, dem der Händler in diesem Augenblick den Zuschlag zu geben begann. Was hatte er zuvor noch gedacht? Politiker. Das war seine Einschätzung gewesen. Vielleicht auch einer von der Sorte, der einfach nur in den Tag hinein lebte und sich auf dem Vermögen seiner Familie ausruhte. In jedem Fall bedeutete es für Shayan eine Abwechslung, einem Mann wie ihm zu gehören, und keinem Soldaten – auch wenn der Parther in diesem Fall ein wenig Sicherheit der Abwechslung vorgezogen hätte. Mit Soldaten erlebte man eher selten Überraschungen, und für einen Sklaven, der von der Laune seines Herrn abhing, konnte das einen wesentlichen Unterschied machen.


    Allerdings war das nichts, was Shayan beeinflussen konnte. Die Versteigerung war beendet, der Römer hatte den Zuschlag bekommen, und alles weitere geschah so schnell, dass er für den Moment kaum Gelegenheit hatte, sich noch großartig weiter Gedanken zu machen. Er wurde hinunter geschleppt von den Gehilfen des Händlers, zu dem Römer gebracht, der nur die Anweisung gab, ihn zu ihm nach Hause bringen zu lassen – und wieder fort gebracht, zuerst in die Räume des Händlers zurück, und dann, schließlich, zu seinem neuen Zuhause, wenn man es denn so nennen konnte.

    Shayan hätte am liebsten die Augen geschlossen, als der Händler anfing zu schwadronieren, aber er beherrschte sich. Stattdessen lauschte er mit halbem Ohr weiter, was der Mann zu erzählen hatte, und blieb so regungslos, wie er von Beginn an gewesen war. Der Händler nannte noch immer kein Startgebot, was Shayan nun allerdings weniger verwunderte, hatte er doch den Verkauf einiger Sklaven vor ihm schon mitbekommen. Die meisten verkaufte der Händler offenbar, indem er mit Interessierten einen Preis aushandelte, ohne eine lautstarke Versteigerung einzuleiten. Dem Parther war das relativ gleich, was nun bei ihm geschah. Er hoffte einfach nur, dass es bald vorbei sein würde. So sehr er sich bemühte, sein Schicksal zu akzeptieren, das ihm von Ahura Mazda auferlegt worden war, es anzunehmen, so schwer fiel ihm das in Momenten wie diesen.


    Der Parther fokussierte seinen Blick erst wieder auf die Menge, als plötzlich eine Frage laut wurde, und er musste nicht lange suchen, um den Mann ins Auge zu fassen, der sie gestellt hatte. Ein Römer der oberen Gesellschaftsschicht, wie es schien, auch wenn er unter der Hitze genauso litt wie jeder andere hier. Groß, aber nicht von der Sorte, die zu kämpfen verstand, so seine unwillkürliche Einschätzung. Er wirkte nicht kräftig genug dafür. Gut, Shayan gehörte auch nicht in die Kategorie Muskelprotz, aber bei den berittenen Bogenschützen im parthischen Heer hatten die auch nichts zu suchen. Was dort zählte, war neben einer gewissen Kraft vielmehr Wendigkeit und Körperspannung. Und auch das konnte er bei dem Mann, nun, nicht so ganz entdecken. Ein Soldat, auch ein ehemaliger, hätte eine andere Haltung gehabt, wäre anders dort gestanden. Nein, der Römer kam ihm eher vor wie die Sorte Mann, zu der auch sein Vater gehörte – Politiker. Shayans Gedanken haftete dabei nichts Negatives an, höchstens eine vage Vorsicht, aber die legte er grundsätzlich an den Tag, nicht nur bei Politikern oder Römern.


    Die Einschätzung des Mannes, der die Frage gestellt hatte, dauerte indes nur einen Augenblick, bevor Shayan antwortete – noch bevor der Händler ihn dazu auffordern konnte. „Was möchtest du hören?“ Die Frage, in Latein formuliert, war nicht in herausforderndem Tonfall gestellt. „Ich kann dir auf Latein nichts rezitieren, falls du das erwartest. Bei meinem Volk hat deine Sprache eine eher untergeordnete Rolle gespielt.“ Anders als Griechisch, beispielsweise, weswegen Shayan Latein auch erst dann gelernt hatte, als er in römische Gefangenschaft geraten war. Bevor er allerdings noch mehr sagen konnte, drängte sich nun der Händler dazwischen und warf Shayan einen bösen Blick zu, bevor er sich an den Römer wandte. „Du siehst, um sein Latein ist es bestens bestellt. 500 Sesterzen als Startgebot, meine Damen und Herren, was sagt ihr dazu? Das ist ein wahres Schnäppchen!“