Beiträge von Marcus Decimus Livianus

    Livianus war gerade raschen Schrittes unterwegs zu seinen Räumlichkeiten, als er in einem Seitengang flüchtig eine junge Frau bemerkte, die mit dem Rücken zu ihm stand. Er wäre zuerst fast weitergegangen in der Annahme, dass es sich um eine der Haussklavinnen handelte, doch auf den zweiten Blick merkte er, dass ihm ihre Gestalt und ihr Haar nicht wirklich bekannt vorkamen. Er bremste sich daher ein und ging ihr ein paar Schritte hinterher. Vermutlich war sie nicht vollkommen Hausfremd, denn wie hätte sie es sonst bei den ganzen Sklaven vorbei bis hier zu den Gemächern der Familie geschafft. Aber neugierig wie er war, interessierte es ihm, um wen es sich handelte.


    "Kann ich dir irgendwie helfen?" fragte er neugierig als er nur noch ein paar Schritte hinter ihr standen.

    Man soll Mitleid mit niemand haben, man soll sich vielmehr schämen, dass es so werden konnte, würde irgendwann einmal ein kluger Mann sagen. Doch hier und heute war sich Livianus sicher, dass er diesen Wahlsieg keiner Barmherzigkeit zu verdanken hatte. Nachdem alle Stimmen ausgezählt und das Ergebnis der Wahl bekannt gegeben wurde, wandte er sich ein letztes Mal in dieser Sitzung an den Senat. Aus vermutlich verständlichen Gründen, war seine Freude über den Wahlausgang ein wenig gedämpft. Vielmehr hatte er sich über das großartige Wahlergebnis seines jungen Verwandten Aquila gefreut. Dennoch schenkte er vor allem seinen augenscheinlichen Unterstützern ein dankbares Lächeln.


    "Ich danke euch für das in mich gesetzte Vertrauen. Ich kann euch versichern, dass ich alles tun werde um es zu rechtfertigen und nicht wieder leichtfertig zu verspielen. Viel Arbeit liegt vor uns und ich werde die Zeit bis zu meinem Amtsantritt gut nutzen, um mich darauf vorzubereiten. Vielen Dank!"


    Mit diesen kurzen Worten des Dankes zog sich der nunmalige Consul designatus nach diesem anstrengenden Tag zurück und trat das Wort wieder an den amtierenden Consul ab, der vermutlich zum nächsten Punkt der Tagesordnung übergehen würde.

    Während Livianus darauf wartete, ob es noch zu einer Wortmeldung kam, zog er für sich gedanklich ein Resümee.


    Auf Aurelius Lupus bisherigen Werdegang hatte er fairer Weise zu wenig Einblick, um die Diskussion in eine andere Richtung lenken zu können. Hätte er zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass es sich bei ihm um einen Klienten des Kaiser handelte, hätte seine erste logische Gegenfrage gelautet, ober Lupus seinen Patron ebenso hart angegriffen und mit Vorwürfen überhäuft hatte, in Bezug auf die Freilassung und Begnadigung Serapios. Denn wer hätte bei all den Anschuldigungen gegen seinen Adoptivsohn ein besseres Urteil über Serapios Taten fällen können als der Kaiser selbst, der ihn bis vor wenigen Tagen noch in Gefangenschaft hielt. Doch aus irgendeinem Grund negierte der Patrizier diese Tatsache gegenüber seinem Patron gänzlich, hielt sich aber bei dieser Diskussion auch nicht zurück, um sich der eindeutigen Entscheidung seines Patrons und Kaisers in Bezug auf Serapio zu fügen. Irgendwie war das merkwürdig und passte nicht zusammen. Doch es war vermutlich einfacher im Senat als glänzender Verfechter der Gerechtigkeit aufzutreten, als mit dem Kaiser darüber zu diskutieren und sich dadurch vielleicht seinen Unmut zuzuziehen.


    Hätte Livianus zudem gewusst, dass es die ständigen Vorwürfe der Folter, die er hier mehrmals zu hören bekam, gar nicht im Auftrag und im Einverständnis seines Sohnes stattgefunden hatten und stattdessen Palma hinter dem Giftanschlag auf Kaiser Valerianus steckte, hätte er vielleicht noch mehr auf seinem Standpunkt beharrt, Serapios Vorgehen als vereidigter Offizier zu verteidigen. Vereidigt auf einen Kaiser, den dieser Senat dazu gemacht hatte. Doch eine Folter an einem Senator machte sich immer gut um die Stimmung negativ aufzuheizen. Serapio war bereits von der Gesellschaft Roms ausgeschlossen, seine Karriere war ein für alle Mal beendet und seine Freunde hatten sich abgewandt. Würde sich nun auch noch die Familie gegen ihn aussprechen und Livianus nicht zumindest versuchen einen Spießrutenlaufen durch die verschiedenen Fragen und Vorwürfe der Patrizier hinzulegen, dann blieb Serapio nur noch der Gang ins Elysio. Doch vielleicht legten es die ehrenwerten Senatoren ja genau darauf an.


    Hinzu kam auch noch, dass sich bestimmt der eine oder andere über die Tatsache wunderte, aber leider nicht aussprach, dass Livianus die streng obligatorische Besprechung der Kandidatur mit dem Kaiser fehlte. Wie sollten sie denn auch wissen, dass er bis heute auf eine Antwort des Palastes auf seinen Brief wartete, der vermutlich auf irgendeinem Schreibtisch vor sich hinvegetierte.


    Alles in Allem konnte er auch nicht gerade sagen, zu wenig Zeit oder Energien in die Vorbereitungen gesteckt zu haben. Hatte er doch fast jeden nennenswerten Senator direkt oder über Dritte kontaktiert, eine Brotverteilung am Forum veranstalten lassen und ein Theaterstück am Vorabend der Wahl organisiert. Im Vergleich zu Consular Furianus, hatte er vermutlich im letzten Monat dadurch mehr Aktivität gezeigt als dieser in den letzten beiden Jahren.


    Und dass sich bisher lediglich die Gegner Livianus zu Wort gemeldet hatten, machte die ganze Angelegenheit auch nicht gerade besser und einfacher. Quarto war der einzige gewesen, der sich klar zu Livianus positioniert hatte. Was half es da zu wissen, dass es nur ein paar wenige Senatoren waren, die ihn hier so gezielt und gnadenlos anfeindeten, wenn es sich um die einzigen Aktiven handelte und der Rest des Senats vorzugsweise den Mund hielt.


    Unterm Strich konnte man festhalten, dass er allem Anschein nach die einzige Angriffsfläche für den Frust und die Verachtung der betroffenen Senatoren bot und dies obwohl er mit den Geschehnissen der letzten beiden Jahre nicht einmal etwas zu tun hatte, sondern sich als klarer Gegner Salinators ins selbstgewählte Exil zurückgezogen hatte. Doch wie man hörte, waren alle anderen Klienten und Unterstützer Salinators untergetaucht. Irgendeinen Sündenbock musste sie ja finden, den sie stattdessen vorführen und zu ihrem Bauernopfer machen konnten, auch wenn dieser bisher auf eine sehr lange und bis dato rechtschaffende Laufbahn zurückblicken konnte.


    Irgendwie hatte sich der Decimer seine Rückkehr in das öffentliche Leben anders vorgestellt. Und auch die Senatoren mit denen er es hier zu tun hatte, zeigten nicht gerade großen Willen oder das Bedürfnis danach, positive Veränderungen im Imperium Romanum anstreben zu wollen. Vielleicht war er ein hoffnungsloser Optimist, doch er hoffte der Rest des Senats sah das anders.

    "Die beiden Germanicii Senatoren Sedulus und Avarus sind wohl ziemlich sicher auf meiner Seite. Wie gesagt hatte ich sie erst vor kurzem bei mir zu Gast und auch wenn vor allem der gute Avarus ein wenig skeptisch war, so denke ich doch, dass ich, wenn es darauf ankommt, auf ihn zählen kann. Consular Purgitius Macer wird sich meine Rede vor dem Senat anhören und dort entscheiden ob er sich für mich ausspricht, aber es sieht gut aus denke ich. Wir kennen uns schon sehr lange und auch wenn ich uns nicht als Freunde bezeichnen würde, so haben wir uns bisher doch immer gegenseitig geschätzt. Meine Nichte Seiana hat guten Kontakt zu Senator Flavius Gracchus, und wird sich für meine Kandidatur einsetzen. Meinen alten Wegbegleiter in der Legio Senator Menencrates habe ich eine Einladung zukommen lassen, doch bisher hat er sich nicht gemeldet. Keine Ahnung ob er derzeit überhaupt in Roma ist. Vor kurzem war auch ein junger Iulier hier der ebenfalls für das Vigintivirat kandidiert. Es hat sich herausgestellt, dass er ein Klient von Hungaricus ist. Ich habe ihm gebeten ein gutes Wort für mich einzulegen. Wenn er mich nicht unterstütz so wäre mir schon geholfen wenn er nicht gegen mich auftritt. Mit dir eingeschlossen habe ich so fast jeden Senator um Unterstützung gebeten oder zumindest auf meine Kandidatur aufmerksam gemacht, den ich zu den aktuellen Meinungsbildnern im Senat zähle.


    Nebenbei haben wir auch noch geplant am Forum Romanum ein wenig Wahlkampf mittels Brotspenden zu betreiben. Darum kümmert sich Aquila. Und ich habe eine Gruppe engagiert, von der es heißt, dass sie in Rom für gutes Straßentheater bekannt sind. Sie werden am Abend vor der Wahl ein wenig für zusätzliche Werbung sorgen."


    Nach diesen kurzen Aufzählungen seiner Wahlkampfvorbereitungen nahm Livianus einen kräftigen Schluck aus seinem Becher und steckte sich einen weiteren Happen in den Mund. Er überlegte, ob er etwas vergessen hatte. Dann sah er zu seinem jungen Verwandten.


    "Achja. Aquila wollte auch seinen Mentor Senator Duccius Vala ansprechen, bei dem er zuletzt das Tiro Fori abgeleistet hat. Weißt du schon was?"

    "Da hast du bestimmt Recht. Ich werde ihre Entscheidung erwarten."


    Damit war ein unerwartetes aber durchaus bedeutungsvolles Thema abgeschlossen. Zufrieden nickte er seinem Patron zu. Erst jetzt viel Livianus auf, dass sich noch keiner der Anweisenden zugreifen getraut hatte, da die beiden Senatoren bisher in ein sehr spannendes Gespräch vertieft waren. Er forderte die Gäste daher erneut auf und nahm sich ebenfalls eine Kleinigkeit vom Tablett. Trotzdem war ihm gelegen das Gespräch weiter aufrecht zu erhalten und nachdem er einen Bissen zu sich genommen hatte, sah er wieder zu Quarto.


    "Wie ich vorhin den Worten deines Sohnes entnehmen konnte weißt du ja bereits, dass ich vorhabe für das Consulat zu kandidieren. Ich nehme an, ich kann mit deiner Unterstützung rechnen?"


    Diese Frage war eigentlich überflüssig, da Quarto kaum seine Unterstützung verwehren würde, nachdem er Livianus gerade ein Heirat mit seiner Nichte in Aussicht gestellt hatte. Dennoch war es wichtig darüber zu reden. Vor allem da er so auch auf seinen jungen Verwandten aufmerksam machen konnte, der neben ihm saß und ebenfalls an den Wahlen teilnahm.

    "Ich verstehe und danke für deine offenen Worte. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass es einfach werden wird, jedoch habe ich mir sehr viele Gedanken zu diesem Thema gemacht, die ich dem Senat in meiner Rede auch darlegen möchte. Einige Senatoren haben mir bereits ihre Unterstützung ausgesprochen und das stimmt mich zumindest soweit zuversichtlich, dass es eine knappe Entscheidung werde könnte und nicht in einem vollkommenen Desaster für mich endet. Es bedeutet mir schon sehr viel, dass du meinen jungen Verwandten unterstützt. Auch ich hege einen Optimismus was seine Kandidatur betrifft.


    Für mich selbst möchte dich lediglich offen darum bitten dir meine Absichten anzuhören und danach deine Entscheidung zu treffen, ob ich deinen Vorstellungen eines zukünftigen Consuls entspreche. Du kennst mich schon sehr lange und weißt um mein früheres Engagement, was ich von vielen der jungen Senatoren in der Curia nicht erwarten darf."


    Macer hatte alle militärischen Examen des Decimers abgenommen, war wie er zur gleichen Zeit als Berater im Consilium Príncipes des Divus Iulianus gewesen, dessen Klienten beide waren und hatte wie auch Livianus eine lange und erfolgreiche Karriere im Militär vorzuweisen. Abgesehen von seinem Patron Quarto und seiner eigenen Familie war Macer damit einer der wenigen, die den Decimer wirklich lange und gut genug kannten, um gerecht und vorurteilsfrei über ihn und sein bisheriges Wirken urteilen zu können.

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    Callinus


    Callinus beobachtete seinen jungen Dominus bei der Wahlkampfarbeit. Er machte seine Aufgabe eigentlich ziemlich gut und wirkte gar nicht so, als wäre dies seine erste Kandidatur für ein politisches Amt. Er war sich nicht zu gut dafür selbst Brot zu verteilen und ging sehr selbstsicher auf die Menschen zu, um ihnen die Hand zu schütteln oder das eine oder andere kurze Gespräch anzufangen. Selbstverständlich war der Scriba nicht nur als Beobachter hier, sondern beteiligte sich auch selbst an der Aktion. Doch der Senator würde bestimmt danach fragen, wie sein junger Verwandter sich heute geschlagen hatte und darauf wollte Callinus vorbereitet sein. Als er für den Moment genug gesehen hatte, stimmte er in die Parolen mit ein und verteilte ebenfalls Brot.


    "Wählt Marcus Decimus Livianus – unser Consul für Rom! und Wählt Marcus Decimus Aquila zum Vigintivir!"





    SCRIBA PERSONALIS - MARCUS DECIMUS LIVIANUS

    Livianus nickte dem Venicier zu. Es war ihm bewusst, dass es noch eine persönliche Aussprache geben musste. Doch hier war weder der passende Zeitpunkt, noch der passende Ort dafür. Auch mit diesem jungen Aurelier hatte er vor nach der Wahl noch das Gespräch zu suchen, um den Grund für seine ziemlich harte Diskussionsführung herauszufinden. Es musste doch mehr dahinter stecken als nur politisches Interesse. Er ging daher wieder einen Schritt zurück auf seinen Platz in der Mitte der Halle und wandte sich wieder an die Senatsversammlung für einen aus seiner Sicht abschließenden Apell.


    "Senatoren. Ich kann das Geschehene leider nicht ungeschehen machen. Ich kann lediglich einen jeden meines Mitgefühls versichern, der in diesem Bürgerkrieg Angehörige oder Freunde verlieren musste. Genauso wie ich mich bei jedem entschuldigen werde, der durch die Taten, die mein Adoptivsohn im Auftrag des Usurpators verrichtet hat, Unrecht erleiden musste. Ich kann euch versichern, dass auch wenn mein Sohn durch den Kaiser begnadigt wurde, für mich als Vater diese Angelegenheit dadurch noch lange nicht vom Tisch ist. Doch lasst mir die Zeit den ganzen Umfang der Geschehnisse in Erfahrung zu bringen und zu begreifen. Wie ich sagte, war es bisher nicht möglich mit meinem Sohn darüber zu sprechen und auch beim Kaiser konnte ich vor dieser Wahl keinen Termin für eine Audienz erhalten. Doch sobald es Serapios Gesundheitszustand zulässt, werde ich mit ihm diese Angelegenheit klären und dementsprechende Konsequenzen daraus ziehen. Das versichere ich euch. Doch dies ist meine Angelegenheit als Vater und ich werde sie noch vor meinem Amtsantritt abschließen.


    Heute stehe ich jedoch als Kandidat für das kommende Consulat vor euch. Und ich denke gerade aufgrund der nun lange diskutierten Zerrissenheit in meiner eigenen Familie halte ich mich dafür geeignet dieses Consulat anzutreten. Ist das römische Volk denn nicht noch genauso zerrissen nach diesem verhängnisvollen Bürgerkrieg? Wer wäre besser geeignet dafür, die Gegner des Usurpators und die ehemaligen Anhänger wieder friedvoll zu vereinen und zu versöhnen, als jemand, der diese Gräben, die dadurch existieren, bereits aus seiner eigenen Familie kennt.


    Es gibt genug das endlich begonnen werden, soviel das getan werden muss und ich wäre mehr als bereit dazu, als gewählter Consul den Vorsitz dieses Gremiums zu übernehmen und die Verantwortung dafür zu tragen. Es gibt große und kleine Vorhaben von denen ich weiß, dass sie euch ein Anliegen sind. Diese möchte ich angehen und versuchen sie gemeinsam mit euch und den neu gewählten Magistraten umzusetzen. Sei das der Wunsch von Consular Aelius eine Renovatio im Senat einzuleiten oder das Anliegen Senator Sedulus, der das Ulpianum endlich in voller Größe seiner Bestimmung zugeführt sehen möchte. Sei es der Wunsch einiger Senatoren, die meinen Vorschlag ein großes Opfer mit Senat und Imperator darzubringen, sehr befürworten und es umgesetzt sehen wollen oder das große Anliegen unseres Imperators, der sich deutlich für einen funktionieren wieder erstarkten Senat ausgesprochen hat, der ihn wieder in seinen Regierungsgeschäften unterstützen kann.


    Ihr seht man muss nur kurz überlegen und hat zahlreiche Dinge im Kopf die nicht länger aufgeschoben werden sollten. Ich kann euch daher nur noch einmal um euer Vertrauen bitten und um eine vorurteilsfreie Chance, euch beweisen zu können, dass ich trotz aller Vorbehalte, die manche von euch aus verständlichen Gründen gegen mich hegen, meine ganze Kraft dafür einsetzen möchte, den Senat und unser zerrissenes Reich wieder zu Einen und in eine friedvolle und stabile Zukunft zu führen."

    Aurelius Lupus kannte er nicht und Flavius Furianus möchte er nicht, doch als sich Vinicius Hungaricus erhob und Stellung zu den Vorwürfen gegen ihn und seine Familie bezog, stockte Livianus der Atem. Er kannte diesen Mann schon fast sein ganzes Leben. Seit seinem ersten Besuch in Rom. Er war damals junger Probatus der Legio IX und durfte seinen Vetter Meridius als dessen Leibwache zur Hochzeit von Hungaricus und seiner damaligen Verlobten Cornelia Adria nach Rom begleiten. Er konnte sich sogar noch daran erinnern, dass Meridius und andere Senatoren die Braut entführt hatten und Hungaricus sie dann durch ganz Rom verfolgte. Es war noch eine unbeschwerte Zeit, die sie alle damals erlebten. Und was war nun daraus geworden? Sich vor den Patriziern zu rechtfertigen war das eine, doch vor Hungaricus? Livianus ging einen Schritt auf ihn zu. Er musste etwas darauf erwidern, ganz gleich das hunderte Augenpaare in diesem Moment auf ihn gerichtet waren.


    "Hungaricus…… Dein Verlust… Die Nachricht über den Tod deines Bruders hat mich tief getroffen. Würde es in meiner Macht stehen…… Die Götter wissen, dass ich es von ganzen Herzen bedaure, was deinem Bruder angetan…."


    In dem Moment wo er gezwungen war es zum ersten Mal auszusprechen und dabei Vinicius Hungaricus ins Gesicht zu sehen, traf es den Decimer wie ein Blitzschlag. All die versuchten Erklärungen, die Rechtfertigungen, das verleugnen des Offensichtlichen. Auch wenn Livianus nicht wusste, was man seinen Sohn sonst noch zur Last legte, dass er an der Hinrichtung des Vinicers beteiligt war wusste er. Von Folter hatte Hungaricus ebenfalls gerade gesprochen. Folter! Vinicius Lucianus war sein Freund! Wie ein Kartenhaus brach auf einmal die bittere Realität über ihn zusammen und hätte ihn fast zum Wanken gebracht. Auch wenn er mit aller Mühe standhaft blieb tat er sich schwer dabei, den Vinicier weiterhin in die Augen zu blicken, als er stockend weitersprach.


    "….. was mein….. Adoptivsohn deinem Bruder und deiner Familie angetan hat…… Ich bedauere es zu tiefst und könnte ich es irgendwie rückgängig machen….. Würde es in meiner Macht stehen, ich würde alles dafür tun, ihn dir zurück zu bringen."

    "Ich danke dir Iulius. Mehr hätte ich mir auch nicht erwartet. Was meine Pläne betrifft so gibt es nach dieser krisengeschüttelten Zeit genug, dass ein Consul zu tun bekommt. Man kann nicht abstreiten das die Arbeit des Senats zum Stillstand gekommen ist. Ich gehe davon aus, dass es mit der Uneinigkeit zu tun hat, die nach wie vor unter den Senatoren herrscht. Hier gilt es zu vermitteln und einen Konsens zu finden. Wichtig erscheint es mir dem Reich wieder Stabilität zu geben und die Bürger nicht weiter zu verunsichern. Wir haben einen neuen Kaiser und der Senat sollte ihm entschlossen zeigen, dass er sich wieder wesentlich an den Regierungsgeschäften beteiligen kann und will. Doch ich möchte meiner Kandidatursrede nicht zu viel vorweg nehmen. Ich nehme an du hast dir auch schon über deine Gedanken gemacht?"

    "Ganz wie du es für richtig hältst. Ich danke dir dafür Patron. Wirst du mit ihr sprechen, oder wäre es dir lieber wenn ich das persönlich übernehme?" fragte Livianus sicherheitshalber nach.


    Eigentlich war es Sache des Familienoberhauptes diese Dinge abzuklären. In den meisten Fällen geschahen solche Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Da Quarto allerdings in Erwägung zog seiner Nichte die Entscheidung zu überlassen, was in der Heiratspolitik auf solch hohem Niveau eher unkonventionell war, konnte es auch sein das der Consular es lieber sah, wenn Livianus selbst mehr oder weniger bei Vespa um ihre Hand an hielt.

    Livianus nickte den Senatoren ebenfalls verabschiedend zu, ehe er mit Macer alleine dastand und sich ganz seinem Gesprächspartner widmete.


    "Ich hoffe du verzeihst meinen Überfall. Ich würde mit dir gerne über die kommenden Wahlen sprechen. Ich habe mich dazu entschlossen erneut für das Consulat zu kandidieren und bin nun auf der Suche nach Unterstützern für dieses Vorhaben.


    Wir waren uns zwar nicht immer in allen Fragen einig, aber ich denke es wäre an der Zeit die Vergangenheit ruhen zu lassen und wieder in die Zukunft zu blicken. Das du meinen jungen Verwandten Decimus Aquila als deinen Klienten angenommen hast scheint mir Indiz dafür zu sein, dass du ähnlich denkst und wir beide uns trotz allem nicht in Feindschaft gegenüber stehen. Ich möchte daher deine ehrlich Einschätzung hören. Denkst du meine Chancen bei den Wahlen stehen gut?"

    Das alles klang für Livianus mehr nach eine Schlussplädoyer eines Advokaten. Resignierend atmete der Decimer tief durch und ließ die letzten Minuten vor seinem geistigen Auge teilweise neu aufleben. Ab welchem Zeitpunkt war es aus dem Ruder gelaufen? Wo war der Punkt erreicht, an dem er seine Erregung nicht mehr für sich behalten konnte. Vielleicht als sie seine Familie angriffen? Es wäre ein leichtes Gewesen sich von ihnen abzuwenden und sie den Patriziern auf dem gewünschten Silbertablett zu servieren. Oder war es, als sie seine persönliche Integrität in Frage stellten und mit ihren untergriffigen Unterstellungen begannen? Hatte er sich denn tatsächlich etwas vorzuwerfen? Aus seiner Sicht hatte sein einziger Fehler darin bestanden, sich vor zwei Jahren von diesem Spiel abzuwenden. Einem Spiel das bereits damals durch Machtkämpfe, Intrigen und den persönlichen Geltungsdrang einiger weniger bestanden hatte, anstatt Gemeinschaftssinn und Tatendrang zu fördern. Und nun? Zwei Jahren danach schien es fast so, als hätte sich daran nicht viel verändert, abgesehen von den Protagonisten. Trotz der schweren Zeit die hinter ihnen allen lag, egal auf welcher Seite man gestanden hatte, war nichts von einer gewünschten Stabilität oder einer aufkommenden Deeskalation zu spüren. Stattdessen herrschte nach wie vor eine bedrückende Atmosphäre voller Uneinigkeit und Feindseligkeit.


    Serapio und Seiana hatten dieses Spiel während Livianus Rückzug weitergespielt und hatten sich letztendendes auf der Verliererseite wiedergefunden. Doch sie waren eigene Persönlichkeiten, die zu jedem Zeitpunkt unbeeinflusst ihre eigenen Entscheidungen trafen. War es nun tatsächlich an Livianus sich für eine Zeit zu Rechtfertigen und die Rechnung für andere zu begleichen, die nicht verstorben oder verbannt waren, sondern nach wie vor unter ihnen weilten? Eine Rechnung deren Inhalt er nicht einmal kannte, da er ja selbst nur das eine oder andere aus zweiter oder dritter Hand gehört hatte. Serapio hatte die Verschwörung rund um den Kaiser aufgedeckt war in der Acta zu lesen, als Prafectus Praetorio hatte er an den Schlachten gegen die Anhänger Palmas teilgenommen und vermutlich hatte er auch erfolgreich versucht die Macht des Vesculariers zu erhalten. Doch wie und mit welchen Mitteln, das war Livianus gänzlich unbekannt. Hätte er hier zu diesem Zeitpunkt die Taten seines Adoptivsohnes im vollen Ausmaß gekannt – vielleicht hätte er anders reagiert. Vielleicht wäre er vorgetreten und hätte sich Entschuldigt. Doch er kannte sie bisher nicht oder nicht ausreichend genug und wenn, dann nur die verharmloste Sicht seiner Verwandten und Freunde, die ihn nicht mit der Wahrheit konfrontieren wollten oder konnten. Und auch die Tatsache das Palma Serapio und Seiana ohne Auflagen aus der Haft entlassen und sie nicht verbannt oder gar getötet hatte, bot ihm ein Indiz dafür zu glauben, die Beweggründe ihrer Taten wären irgendwie zu erklären. Livianus wollte sie nicht einmal rechtfertigen.


    Letztendlich war es jedoch der Kampf gegen Windmühlen und das dazu noch mit ungleichen Mitteln, da die meisten Ankläger dieses patrizischen Tribunals mehr über die vergangenen zwei Jahre wussten als er selbst. Und sie waren dazu auch glühende Anhänger der Sippenhaftung, wie man zuvor schon bei der Kandidatur seines jungen Verwandten Aquila sehen konnte, der am allerwenigsten für die Taten seiner Verwandten zu Rechenschaft gezogen werden konnte. Er war lediglich eine neue Figur in diesem Spiel um Macht. Letztendlich musste er sich wohl eingestehen, dass die Lage schon zu verfahren war, um hier auch nur ansatzweise ein Einvernehmen zu finden. Wie der Aurelier eben den Vergleich zu den Decimi zog, waren auch hier im Senat viele Scherben in den letzten Stunden zu Bruch gegangen und es war fraglich, ob man sie je wieder zusammensetzen konnte. Dabei war es vielleicht gerade er, der die Gegner Salinators und die ehemaligen Anhänger wieder friedvoll vereinen und vielleicht irgendwann auch versöhnen konnte, als jemand, der diese Gräben aus seiner eigenen Familie kannte. Gräben die in Zukunft vermutlich auch zwischen ihn und seinem Adoptivsohn standen, sobald dieser wieder auf den Beinen war. War nicht das römische Volk ebenso Zerrissen wie die Gens Decima?


    Livianus wandte sich von Lupus ab und ließ seinen Blick erneut durch die Runde der sonst heute sehr schweigsamen Senatoren schweifen. Ob es dabei um die noch bestehenden Chancen seiner Wahl oder vielmehr um eine allgemeine Erkenntnis ging, die er zu erlangen versuchte war vermutlich nicht einmal ihm selbst klar, als er die nachfolgende Frage stellte in die Runde stellte, in der Hoffnung, auch jemand anderer würde sich noch zu diesem Thema zu Wort melden.


    "Stehen der junge Aurelius und Consular Flavus alleine mit ihrer Meinung über mich da, oder teilt noch jemand ihre Ansichten über mein Versagen in der Vergangenheit und mein Unvermögen einen Neuanfang einzuleiten?"

    Livianus schüttelte resignierend seinen Kopf. Er war hier her gekommen um über seine Kandidatur zum Konsulat zu sprechen und nicht an seiner Sohnes statt von einem patrizischen Tribunal gerichtet zu werden.


    "Du bist sehr jung Aurelius und deine Taten in jüngster Vergangenheit ehren dich und deine Familie. Auch wenn es dir vermutlich nicht viel bedeuten mag, so möchte ich dir meinen Dank für deinen Einsatz aussprechen. Doch nur weil dieser Bürgerkrieg der bisherige Höhepunkt deines jungen Lebens und das deiner Familie war, gerate nicht in die Versuchung zu glauben davor gab es…. nichts?


    Du warst vermutlich noch in den Windeln, als ich mit meinem Vetter Meridius die Aufstände in Hispania niederschlug und ihre Häscher bis nach Germanien verfolgte. Und wo waren du und deine Familie, als ich unserem vergöttlichten Kaiser Iulianus in das Partherreich folgte und dort in Gefangenschaft geriet? Ich weiß sehr wohl was es heißt einen Krieg zu überstehen, ich weiß sehr wohl was es bedeutet in Gefangenschaft und unter Folter sein Dasein zu fristen und ich habe in meine Leben und in zwei Kriegen an vorderster Front mehr Leid gesehen und erlebt, als du oder dieser Flavier es sich jemals vorstellen könntet.


    Ich bin mit guten Absichten hier vor euch getreten und habe versucht nach all den schrecklichen Verbrechen einen Konsens zu finden. Ich habe euch gebeten einen Neuanfang zu wagen und mit dem Angriff gegen meine Senatskollegen, wie du es nennst, wollte ich lediglich aufzeigen, dass es viele unter uns gibt, die ihre Hände nicht einfach in Unschuld waschen können. Nur gemeinsam könnten wir dieses anscheinend utopische Ziel eines umfassenden Friedens erreichen. Doch euch ist anscheinend nicht daran gelegen. Ihr wollt lieber weiterhin Schuldzuweisungen von euch geben und euren Zorn und eure Wut in die Welt hinausschreien. Gut. Ich habe es verstanden. Die Zeit ist wohl noch nicht reif, auch wenn ich hoffe, dass nicht alle so denken wie ihr. Du und Flavius wollt unbedingt über meine Familie reden. Lasst uns über meine Familie reden.


    Meine Nichte Seiana ist lediglich eine Frau. Eine Frau die zugegebener Maßen schon lange Auctor der Acta Diurna ist, worin sie im Übrigen per Decretum Senatus eingesetzt wurde. Aber letztendlich immer noch eine Frau. Du willst mir doch nicht weismachen, dass eine Frau mit einem Amt, welches ihr der Senat jederzeit wieder entziehen kann solch eine Bedrohung für den römischen Staat darstellt?


    Und Serapio. Ich kenne seine genauen Beweggründe nicht und wie ich bereits deinem patrizischen Kollegen gesagt habe, möchte ich sie auch nicht verteidigen. Doch lass mich versuchen dir etwas zu erklären, nun wo ich weiß, welche militärischen Erfahrungen du sammeln konntest. Du hast doch bei deinem Amtsantritt als Senator einen Eid auf den Kaiser geleistet. Ebenso wie du einen Eid geleistet hast, als du zum Tribun ernannt wurdest. Einen Eid in dem du wie jeder Milites geschworen hast, all das entschlossen auszuführen, was der Imperator Caesar Augustus befehlen wird. Alle Mitglieder des Exercitus Romanus werden auf den Namen des Imperator Caesar Augustus vereidigt und sind ihm zu unbedingter Treue verpflichtet. Ist es nicht so? Dies trifft wohl besonders auf die Prätorianer zu, die für den direkten Schutz unseres Kaisers verantwortlich sind."


    Nun wandte er seinen Blick von Lupus ab und ließ ihn durch die Runde schweifen.


    "Ich verstehe sehr gut was manche von euch meinem Sohn vorwerfen. Es war mir bisher leider nicht möglich mit Serapio persönlich darüber zu sprechen oder ihn vorwürfe zu machen, da es sein gesundheitlicher Zustand nach seiner Haftentlassung bis heute nicht zugelassen hat. Ich kann euch nicht einmal sagen, ob er die nächsten Wochen überleben wird. Doch eines möchte ich euch in Erinnerung rufen. Wenn man mich richtig informierte, dann war es nicht Serapio, der Salinator zum Kaiser erhoben hat. Mir ist auch nie zu Ohren gekommen, dass mein Sohn diese Wahl propagiert oder eure Entscheidung in irgendeiner Form erzwungen hätte. Er hat lediglich das getan, was laut einem Gesetz das hier im Senat beschlossen wurde, seine Aufgabe als Kommandeur der Cohortes Praetoriae war."


    Dann wandte er sich wieder dem Aurelier zu.


    "Ich weiß nicht ob du es verstehen kannst Aurelius. Aber Soldaten einen Vorwurf zu machen, weil sie auf jener oder auf der anderen Seite gekämpft haben ist mehr als heuchlerisch. Es ist die Politik, die der Auslöser für derlei Konflikte ist und die nach dem Ende zur Verantwortung gezogen werden sollte. Einige Wenige die über das Wohl Vieler entscheiden. Nicht die einfachen Bürger auf der Straße, nicht die Soldaten oder ihre Offiziere, nicht die Bäcker weil sie Brot für Salinators Anhänger backten oder die Händler, die Rom während des Bürgerkriegs weiterhin belieferten.


    Gegenseitige Schuldzuweisungen und das blockieren einer neuen Einheit hilft niemanden. Verbrüderung, Stabilität, Neuanfang oder auch Nachsicht, Vergebung und Einsicht …. das sind einige der Werte auf die wir uns verständigen müssen, wenn wir vorhaben gemeinsam unser Reich zu einen und in die Zukunft zu blicken."

    Nun erhob sich auch Livianus mit einem breiten Lächeln im Gesicht und sah zu Purgitius Macer.


    "Aber ich bitte dich Consular! Natürlich hat er brilliert. Ich konnte mich schließlich nun lange Zeit an den Statuen ergötzen, die man in meiner Heimatstadt Tarraco ihm zu Ehren erbauen ließ. Sie sind wahrlich prachtvoll geworden und ich habe sie sehr bewundert, auch wenn darauf leider nicht vermerkt wurde, was genau sein Verdienst um Hispania war. Ich bin mir dennoch sicher, dass er sie sich redlich verdient hat. Mir ist auch über sein Consulat berichtet worden. Ich denke du erinnerst dich. Gleich nach seinem Amtsantritt soll es jedoch sehr ruhig geworden sein um ihn. So ruhig das es danach angeblich nicht einmal zu einem Res Gestae am Forum gereicht hat. Doch ich bin mir sicher er hatte seine guten Gründe. Und seine heldenhafte und lange Dienstzeit im Exercitus Romanum wollen wir nicht vergessen. Hat er überhaupt jemals ein senatorisches Tribunat abgeleistet oder unser Reich mit dem Schwert in der Hand verteidigt? Ganz gleich. Ein Mann seines Standes hat man die Ehre schon mit in die Wiege gelegt."


    Mit einer abwertenden Handgeste bedachte Livianus zum Abschluss noch Furianus, ohne ihn dabei einen Blickes zu würdigen.

    "Nein Flavius, ich wusste nicht davon." erwiderte der Decimer etwas energischer. Sie wollten oder sie konnten einfach nicht verstehen. Waren sie denn Tatsächlich so geblendet von ihrem Durst nach Rache? Livianus ließ sich nicht entmutigen und wandte sich wieder der Gesamtheit der anwesenden Senatoren zu.


    "Und ich kann euch auch den Grund dafür nennen…… Ich hatte mit Rom abgeschlossen.


    Hier. Exakt hier an dieser Stelle bin ich gestanden habe mein Consulat geopfert und habe euch beschworen das ihr Salinator und seinen Obskuren Behauptungen keinen Glauben schenken sollt. Ich habe euch darauf aufmerksam gemacht, dass wir keinen Beweis dafür hatten, dass der Kaiser die Amtsgeschäfte an den damaligen Prafectus Urbi übertragen hatte, wie es unserem Gesetz entspräche. Ich habe ihm aufgefordert uns einen Beweis für seine Behauptungen vorzulegen. Als dies nichts brachte habe ich versucht seine Macht zu beschneiden und sie an den Senat und an die Magistrate des Cursus Honorum zu übertragen. Habt ihr zu mir gestanden? Habt ihr mich unterstütz? Ganz im Gegenteil, die Mehrheit von euch haben mich ausgelacht, mir Wahnvorstellungen unterstellt und haben mir letztendlich das Consulat verwehrt. Du hingegen…"


    Livianus deutete mit den Finger anklagend auf den Flavier.


    "Du hast damals von dieser Farce profitiert und konntest die Wahl knapp für dich entschieden. Was hast du getan? Hast du etwas gegen Salinator unternommen? Hat dich auch nur das Geringste meiner Worte zum Nachdenken gebracht? Ganz im Gegenteil, ich habe gehört es ist nach deiner Amtseinsetzung recht ruhig um dich geworden."


    Dann richtete er seine Worte wieder an den Senat.


    "Ganz Recht. Ich habe nur davon gehört. Denn vermutlich ist es euch entfallen, dass ich kurz danach, bestimmt durch eine wundersame Fügung der Götter von unserem Kaiser an die äußersten Grenzen unseres Reiches geschickt wurde um den Limes zu bewachen. Ward ihr damals wirklich so naiv zu glauben der Kaiser hätte auch nur das Geringste mit diesem Kommando in Germanien zu tun gehabt? Oder war es euch einfach egal? Konntet ihr darin keinen Zusammenhang erkennen, dass mich dieser Befehl kurz nach meiner offenen Konfrontation mit Salinator und meiner Aufforderung ihm entgegenzutreten erreichte. Vermutlich habt ihr euch wie der Vescularier darüber gefreut diesen Störenfried Livianus endlich los zu sein.


    Doch war es das? Nein keineswegs. Kaum war ich in Germanien angekommen ließ der Praefectus Urbi einen seiner Klienten in meiner Abwesenheit einen Prozess gegen mich führen. Wohlwissentlich, dass ich aufgrund meines eben übernommenen Kommandos nicht nach Rom kommen konnte um mich zu verteidigen. Und wieder waren es einige von euch, die über mich richteten und ein Urteil gegen mich fällten über eine Tat, eine Banalität die unseren Gesetzen nach damals sogar schon verjährt war. Versteht mich nicht falsch. Es ging dabei nicht um das Strafmaß. Es war mein bis dahin guter Ruf, den der Vescularer in den Schmutz zog während ich hilflos am anderen Ende des Reiches festsaß. Er hatte wohl erkannt das ich eine Bedrohung für ihn war. Ich ließ mich nicht entmutigen und erhob Einspruch. Doch wieder war es…. genau! Ein Mitglied des Senats, dass für Salinator ein Gutachten erstellte und den Urteilsspruch bestätigte. Es war eine Hexenjagd die Salinator losgetreten hatte und entschied mich von der Bildfläche zu verschwinden, da ich damals schon damit gerechnet habe, er würde nicht damit aufhören mich anzufeinden und nach und nach mein Leben zu zerstören.


    Und nun bin ich es, der euch eine Frage stellen möchte. Ich hatte euch damals schon vor Salinator gewarnt, aber einige von euch ihm dabei geholfen mich zu vertreiben und haben ihn anschließend zum Kaiser erhoben. Und nun soll ich es sein, der in euren Augen irgendeine Verantwortung für das Geschehene übernehmen soll?"

    Als er die Reaktion seines Patrons beobachtete, konnte sich Livianus ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen und auch die Nervosität war mit einem Schlag weniger geworden. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl ein Kind vor sich zu haben das sein Holzpferd nicht mit ihm teilen wollte. Doch die Worte seines Sohnes klangen da schon weitaus vernünftiger und Livianus nickte ihm der unterstützenden Worte wegen dankend zu. Auch er ließ nicht so schnell locker und versuchte eine möglichst neutrale Formulierung seiner Gedanken darüber zu finden, die nicht auf Quartos Alter oder seinen selbst vorhin erwähnten eigenen Tod anspielten.


    "Ich kann dich gut verstehen mein Patron. Es ist schwer sich von seinen Lieben zu trennen, aber du solltest auf deinen Sohn hören und an Vespas Zukunft denken. Sie wäre bei mir in Sicherheit, hätte alle Annehmlichkeiten meines gesellschaftlichen Standes, vielleicht auch bald der Nobilitas und vor allem hätte sie für sich und ihren Sohn wieder ein Heim, dass sie ihr eigenen nennen kann. Ich kenne deine Pläne für die Zukunft noch nicht, aber ich selbst habe vor Rom so schnell nicht wieder zu verlassen. Sie wäre also nach wie vor in deiner Nähe und könnte dich oft besuchen. Und mein Haus steht dir als mein Patron ohnehin jederzeit offen."

    "Natürlich."


    Der Decimer nickte zustimmend, während seine Gedanken bereits weitere Kreise um dieses Thema zogen. Auch er war nach wie vor Witwer, nachdem er seine Frau in so jungen Jahren verloren hatte. Wie hatte er sie geliebt seine Aemilia. Nach ihrem Tod viel es ihm schwer eine neue Frau in sein Leben zu lassen und irgendwann entschied er überhaupt, einer neuen Verbindung keine Chance mehr zu geben und das Thema völlig abzutun. Er lebte weiter sein Leben als Soldat voller Pflichten und Entbehrungen, zurückgezogen und immer nur zum Wohle des römischen Reiches. Für Privatleben oder gar eine zwischenmenschliche Beziehung war ohnehin kaum Platz. Doch nun, in den letzten Jahren und vor allem in seinem selbstgewählten Exil in Hispania hatte er so etwas wie Einsamkeit erfahren. Er war fernab seiner Soldaten, fernab jegliches Kommandos das ihn Tag ein Tag aus beschäftigte, befreit von allen Aufgaben und Verpflichtungen. Er hatte natürlich Familie um sich, aber auch er musste schlussendlich erkennen, dass Familie keinen Partner ersetzte. Wie es Quartos Nichte dabei gehen musste?


    Gleichzeitig schweiften seine Gedanken auch wieder auf die kommenden Wahlen ab, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, zuerst rein privates zu besprechen und die Politik hintenanzustellen. Er wollte für das Konsulat kandidieren. Ein Amt das seinem Kandidaten traditionell gewissen Voraussetzungen abverlangte. Eine davon war es verheiratet zu sein. Er war Witwer, wer konnte es ihm verübeln nach dem Tod seiner Frau keine neue Ehe eingegangen zu sein? Doch so wie Livianus einige Senatoren kannte, würde man es bestimmt zum Thema machen.


    Vielleicht war es vermessen. Er wusste es in diesem Moment nicht. Doch einerseits war da das plötzliche Gefühl einer Verpflichtung gegenüber seines alten Freundes Balbus, dessen Verbundenheit und Freundschaft schon auf ihre Väter zurückreichte, der Wunsch nach einer vertrauten und führsorglichen Person in seinem Leben, den er seit einiger Zeit wieder stärker verspürte und natürlich die der Gedanke an das Konsulat, dass er anzustreben versuchte. Er räusperte sich und nahm nun ebenfalls einen kräftigen Schluck aus seinem Becher. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass Livianus, der sich noch ex caligae bis zum Legaten hochgearbeitet, in zwei Kriegen gekämpft, in parthischer Gefangenschaft gesessen hatte und nun als Consul kandidieren wollte, bei diesem Thema flau im Magen wurde. Es trug auch nicht gerade positiv dazu bei, dass die beiden jungen Männer hier am selben Tisch saßen und den gealterten Feldherrn nach Worten ringen sahen. Dennoch begann Livianus etwas holprig aber ehrlich.


    "Ähm…… Es mag vielleicht ein wenig plötzlich und überraschend für dich kommen und ich weiß auch nicht so Recht wie ich meine Gedanken in Worte fassen soll, aber…… *räusper*


    Ich selbst habe meine Aemilia ja in sehr jungen Jahren verloren und lebe seitdem ebenfalls das Leben eines Witwers. Es ist sehr lange her und ich bin gewiss nicht mehr der Jüngste…. vermutlich wird sich Vespa auch nicht wirklich an mich erinnern, aber du weißt um meine Verbundenheit zu Tiberius und natürlich auch zu seiner Familie. Du bist mein Patron.


    Also… Es wäre mir eine…. eine Freude und auch eine Ehre mich… wie soll ich sagen…. seiner Familie anzunehmen. Sie in meinem Hause aufzunehmen und seinen Sohn in Gedenken und Hochachtung vor seinem Vater nach dessen Vorbild zu erziehen. Also wenn du dir vorstellen könntest…. Ich meine, wenn Vespa damit einverstanden wäre. Wie du schon sagtest. Jeder Mann könnte sich Glücklich schätzen und ich wäre einer dieser Männer der…. Also…. Wie denkst du über eine mögliche Eheschließung zwischen deiner Nichte und mir?"


    Etwas verkrampft sah Livianus kurz zu dem jungen Aquila, der eben seine nicht gerade rhetorische Höchstleistung miterlebt hatte. Was er sich wohl denken musste von seinem bisherigen Vorbild. Dann zu Quartos Sohn und dann wieder zu Quarto selbst, dessen Antwort er nervös erwartete.

    Livianus seufzte leise. Dieser arme Mann hatte wahrlich viel ertragen müssen. Genug für ein ganzes Leben doch eindeutig zu viel für die wenige Jahre, in denen all diese Vorfälle passierten. Man könnte gar meinen die Götter hätten die Aelier ebenso verlassen wie sie in den letzten Jahren Rom verlassen hatten. Auf den letzten Satz des Consulars konnte er nicht eingehen. Er hätte wohl nicht die passenden Worte gefunden. Stattdessen wollte er bei nächster Gelegenheit die Götter darum bitten, dass sie Quarto noch ein langes Leben bescherten und er seinen Lebensabend möglichst unbeschwert und frei von weiterer Sorge verbringen konnte. Der Decimer griff ein anderes Thema auf, dass ihn sehr überraschte und das vermutlich auch die bedrückte Stimmung seines Patrons wieder ein wenig aufhellte. Livianus konnte man die freudige Überraschung wohl an seinem Gesicht ablesen.


    "Vespas Sohn? Ich wusste nicht….. Es ist…. Er ist wohl bereits nach meiner Abreise aus Rom zur Welt gekommen. Leider hatte ich danach keinen Kontakt mehr zu Tiberius und hab den Wunsch ihm einen Brief zu schreiben immer verschoben bis mich irgendwann die Nachricht über seinen Tod erreichte.


    Aber das ist wirklich eine wunderbare Nachricht. Ich freue mich für Tiberius, dass er noch erleben konnte, wie sein Sohn zur Welt gekommen ist. Vor allem aber das es den beiden gut geht und sie den Krieg ebenfalls unbeschadet überstanden haben. Sie sind nun in deiner Obhut? Hier in Rom? Oder hat Vespa erneut geheiratet?"


    Als er die letzte Frage ausgesprochen hatte, bedauerte er es auch schon wieder so unüberlegt gefragt zu haben. Für eine Witwe mit Kind war es bestimmt nicht einfach einen neuen Mann aus gutem Hause zu finden und dann auch noch während eines Bürgerkriegs, auf der Flucht, untergetaucht vor den Häschern die das Leben der ganzen Gens bedrohten. Livianus hoffte, dass Quarto ihm diesen verbalen Fehltritt nicht übel nahm.